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[Seite der Druckausgabe: 35]

4. Stendal und Schwerin, zwei Konzepte für den Aufbau von Stadtwerken

Im Jahre 1990 faßte die 50 000 Einwohner zählende Stadt Stendal, Sachsen-Anhalt, den Beschluß, die Stadtwerke- Altmärkische Gas-, Wasser und Elektrizitätswerke GmbH Stendal als Querverbundunternehmen mit den Bereichen Strom, Gas, Fernwärme, Wasser und Abwasser als Rechtsnachfolger der 1949 enteigneten Stadtwerke wiederzugründen. Die Stadt übertrug den Stadtwerken die gegenüber der Treuhandanstalt geltend gemachten Restitutionsansprüche. In einem Konzessionsvertrag haben sich die Stadtwerke verpflichtet, eine sichere, preiswerte und umweltschonende Energieversorgung zu gewährleisten, die Synergieeffekte des Querverbunds zu nutzen und die Planungen für die Stadtentwicklung zu unterstützen.

Nachdem die Stadtwerke am 1. April 1991 ihre Arbeit in den Bereichen Nahwärmeversorgung und Fernwärmeverteilung aufgenommen hatten, gingen mit Wirkung zum 1. August 1992 die Anlagen für die Fernwärmeerzeugung und für die Primärverteilung von der Energieversorgung Magdeburg AG auf die Stadtwerke über. Einen Monat zuvor hatten die Stadtwerke die Wasser- und Abwasseranlagen übernommen. Heute umfaßt das Querverbundunternehmen die Stromversorgung Stendal GmbH (SVS), die Gas- und Wasserversorgung Stendal GmbH (GWS), die Fernwämeversorgung Stendal GmbH (FVS), die Wärmeerzeugung Stendal GmbH (WES), die Abwasserentsorgung Stendal GmbH (AES) und die Freizeit und Erholung Stendal GmbH (FES).

Der Stromverbrauch der Stadt beträgt zur Zeit 95 000 MWh pro Jahr; im Jahre 2007 wird er voraussichtlich bei 135 000 MWh liegen. Von den rund 22 000 Wohnungen der Stadt sind etwa 12 000 Einheiten an Nah- und Fernheizungsnetze angeschlossen. Davon werden 7 500 Wohnungen mit einem Anschlußwert von 49 MW fernwärmeversorgt. Den Jahresverbrauch von 116 000 MWh decken ein mit Rohbraunkohle befeuertes Heizwerk mit einer installierten Kesselleistung von 30 MW sowie ein mit Eigenerzeugungserdgas betriebenes Heizwerk (installierte Leistung 46 MW). Hinzu kommen 4 500 nahwärmeversorgte Wohnungen mit einem Anschlußwert von 26 MW und einem Jahresverbrauch von 45 000 MWh. Diese Wohnungen werden von rund 80 Blockheizhäusern, die Stadtgas verbrennen und eine Leistung von jeweils 0,5 bis 2 MW aufweisen, mit Wärme beliefert. Dazu kommen 15 Großabnehmer im Industriegebiet mit einem Anschlußwert von 10 MW und einem Jahresverbrauch von 12 000 MWh, die aus einem steinkohlebefeuerten

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Heizwerk mit Wärme versorgt werden, sowie 7 Abnehmer mit einem Anschlußwert von 1,5 MW. Diese Energie wird von zwei ölbefeuerten Heizhäusern mit einer installierten Kesselleistung von jeweils 1 MW bereitgestellt.

Während sich die Transport- und Verteilleitungen für Fernwärme überwiegend in einem guten Zustand befinden, sind die Erzeugungsanlagen technisch verschlissen. Die Fernwärmeversorgung in Stendal kann daher nur mit Ersatzinvestitionen aufrechterhalten werden. Die kurz und mittelfristigen Planungen der Stadtwerke sehen vor, die 80 mit Stadtgas betriebenen Blockheizhäuser für die Nahwärmeversorgung sowie eines der beiden ölbefeuerten Heizhäuser im Herbst 1993 durch ein 40-MW-Heizhaus auf der Basis von Eigenerzeugungserdgas zu ersetzen. An dieses Heizhaus werden weitere Wohngebiete angeschlossen.

Um auch die mit Rohbraunkohle und mit Steinkohle beheizten Werke ersetzen zu können, ist am Standort des zu errichtenden neuen Heizhauses der Bau eines Blockheizkraftwerkes geplant, das mit 3 Motoren eine Wärmeerzeugungsleistung von 24,3 MW und eine Stromerzeugung von 23,1 MW aufweisen wird. Dieses Blockheizwerk soll pro Jahr 128 600 MWh Wärmeenergie und 122 000 MWh Elektrizität liefern und mit niedrigkalorischem Erdgas aus Salzwedel betrieben werden. Die Stadtwerke haben dieses mit einem hohen Stickstoffanteil befrachtete und deshalb nur noch schwer verkaufbare Erdgas zu einem günstigen Preis erwerben können. In den nächsten 15 Jahren werden die Stadtwerke für rund 150 Millionen DM Gas aus der strukturschwachen Altmark beziehen.

Die Grundsteinlegung für das Blockheizkraftwerk erfolgt im Juni 1993, im Oktober 1994 soll es in Betrieb gehen. Der Strompreis für die Abnehmer wird dann pro Kilowattstunde unter dem Preis liegen, den der Regionalversorger heute fordert. Außerdem bemühen sich die Stadtwerke, über das Entgelt für Stromeinspeisungen in das Regionalnetz Spielraum für die Senkung des Fernwärmepreises von derzeit 73 bis 80 DM pro MWh um rund 10 DM zu gewinnen.

Für die Einspeisung von Elektrizität aus dem Blockheizkraftwerk in das Stromnetz bietet der Regionalversorger Energieversorgung Magdeburg AG einen Preis von 10,22 Pfennig pro Kilowattstunde an. Da nach Auffassung der Stadtwerke unter Zugrundelegung von verdrängten Kosten für den Regionalversorger ein Preis von mindestens 13, 5 Pfennig angemessen wäre, wird über die Vergütung des Stroms noch verhandelt.

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Für die Umsetzung des vorliegenden Energiekonzepts sind in den nächsten fünf Jahren Investitionen von rund 350 Millionen DM vorgesehen. Trotz eines Umsatzes von 50 Millionen DM pro Jahr können die Stadtwerke Stendal diese Mittel nicht aus eigenen Einnahmen aufbringen. Am Beispiel des Blockheizkraftwerkes mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 80,7 Millionen DM zeigt sich, wie eine Finanzierung der Sanierungsaufgaben möglich ist, ohne daß die Stadtwerke Eigenmittel einsetzen oder Kredite aufnehmen müssen.

Das von der BVT Anlagengesellschaft GmbH, München, ausgearbeitete Finanzierungskonzept sieht vor, private Kapitalanleger an einer Kommanditgesellschaft zu beteiligen, deren Gegenstand die Errichtung und der Betrieb des Heizkraftwerkes ist. Nach dem Investitionsplan der Gesellschaft sind 34 Prozent der Gesamtinvestitionen mit Kommanditkapital zu finanzieren, das potentiellen Kommanditisten zur Zeichnung angeboten wird. Weitere 60 Prozent werden durch Fremdkapital, das heißt, durch Kredite, die die Kommanditgesellschaft aufnimmt, eingebracht. Staatliche Investitionszulagen decken die verbleibenden 6 Prozent. Die von der Gesellschaft aufzunehmenden Kredite werden innerhalb der prognostizierten Nutzungsdauer von 15 Jahren getilgt. Ein Generalunternehmer übernimmt die schlüsselfertige Errichtung sowie die Instandhaltung des Kraftwerkes.

Für die Nutzungsdauer von 15 Jahren führen die Stadtwerke gegen eine Festvergütung und eine jährliche Gewinnbeteiligung den Betrieb der Anlage. Außerdem wird ein Gasbezugsvertrag und ein Fernwärmeversorgungsvertrag abgeschlossen. Damit ist die Belieferung der Gesellschaft mit Gas durch die Stadtwerke sowie der Verkauf der erzeugten Fernwärme an die Stadtwerke zu einem kalkulierbaren Arbeitspreis gesichert. Planung und Überwachung der Baumaßnahmen übernehmen die Stadtwerke Stendal im Auftrag und auf Kosten der Gesellschaft. Das Grundstück kauft die Gesellschaft von den Stadtwerken. Sobald die Stadtwerke in den Besitz des Stromnetzes gelangen, werden sie einen Stromlieferungsvertrag mit der Gesellschaft abschließen.

Nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 15 Jahren wird die dann schuldenfreie Kommanditgesellschaft die Anlage gegen Entgelt an die Stadtwerke übereignen. Der Kaufpreis wird in der Mitte zwischen Ertragswert und Buchwert der Anlage liegen und mindert sich in dem Maße, in dem der durchschnittliche Jahresgewinn der Gesellschaft in den vorausgegangenen Jahren einen vereinbarten Prozentsatz des Kommanditkapitals übersteigt.

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Für die Kapitalanleger sind die zu erwartenden hohen Renditen sowie die Beteiligung am Verkaufserlös nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungszeit attraktiv. Außerdem werden den einzelnen Gesellschaftern die hohen steuerlichen Verluste durch Anlaufkosten und gesetzlich vorgesehene Sonderabschreibungen in der Investitionsphase zugerechnet. Sofern einzelne Gesellschafter ihre Anteile mit Krediten finanzieren, mindern die dafür anfallenden Zinsen und sonstigen Kosten der Fremdfinanzierung das Ergebnis des betreffenden Gesellschafters. Die Ausschüttungen stellen sich als nicht steuerpflichtige Einnahmen dar. Und der Aufgabegewinn nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 15 Jahren ist steuerlich begünstigt.

Die Stadtwerke profitieren davon, daß sie die Anlage von Beginn an selbständig betreiben können, ohne Eigenmittel aufbringen oder Kredite aufnehmen zu müssen. Darüber hinaus erhalten sie eine Festvergütung und eine Gewinnbeteiligung. Bei Übernahme des Werkes wird die dann schuldenfreie Anlage zwar steuerlich abgeschrieben sein, doch noch viele Jahre mit Gewinn arbeiten können.

Auch die Stadt Schwerin baut eigene Stadtwerke auf, die alle wesentlichen kommunalen Dienstleistungen im Querverbund anbieten. Im Sommer 1992 wurden die Stadtwerke Schwerin GmbH gegründet und Vorranggebiete für die Fernwärme ausgewiesen. Zur Zeit werden rund drei Fünftel der Wohnungen und gut die Hälfte der Industriegebäude in Schwerin mit Fernwärme versorgt Mit der Festlegung von Vorranggebieten ist gesichert, daß die bisher mit Fernwärme versorgten Gebiete sowie einige hinzukommende Teile der Stadt auch in Zukunft Fernwärme beziehen werden.

Die in den Querverbund einzugliedernden Unternehmen wurden, entsprechend ihrer jeweiligen Rechtsform, durch Übertragung, Zuordnung oder Abspaltung von den Stadtwerken übernommen. Während die Anlagen für die Wärmeverteilung sowie die Wasserversorgungs- und Abwassergesellschaft und das kommunale Eisenbahn- und Transportunternehmen bereits in den Querverbund eingegliedert werden konnten, steht die Übernahme der Anlagen für die Wärmeerzeugung sowie für die Strom- und Gasverteilung noch aus. Die Gasverteilung soll durch Übertragung des Unternehmens Gasversorgung Schwerin in den Querverbund übergehen. Die Anlagen zur Wärmeerzeugung und Stromverteilung sollen nach Abspaltung vom Regionalversorger, der Westmecklenburgischen Aktiengesellschaft, übernommen werden.

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Das Finanzierungsmodell für die Stadtwerke stützt sich vor allem auf die Wärme- und Stromversorgung. Zwei neu zu errichtende Heizkraftwerke mit einem Investitionsvolumen von 200 Millionen DM werden zunächst aus den Stadtwerken ausgegliedert und von einer Projektgesellschaft übernommen. Diese finanziert den Bau der Anlagen. Ein dänischer Regionalversorger überwacht, in enger Absprache mit den Stadtwerken, den Anlagenbau.

Die Projektgesellschaft wird die Heizkraftwerke nicht selber betreiben, sondern damit die Stadtwerke beauftragen. Außerdem bezieht sie von den Stadtwerken das als Primärenergie genutzte Gas. Der erzeugte Strom wird an die Stadtwerke verkauft und in das Netz des Regionalversorgers eingespeist.

Die Grundstücke, auf denen die Anlagen stehen, bleiben Eigentum der Stadtwerke. Sie werden der Projektgesellschaft auf der Basis eines Erbbaurecht-Vertrages zur Verfügung gestellt Dieser Vertrag geregelt auch die Bedingungen, zu denen das Stadtwerk nach Ende der vereinbarten Laufzeit von voraussichtlich 15 Jahren die Anlagen erwirbt.

Offen ist zur Zeit noch die Erteilung der § 5-Genehmigung für die Aufnahme des Stromversorgungsbetriebes. Obwohl das Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern anerkennt, daß die Genehmigung nach Vorliegen aller Unterlagen wohl erteilt werden muß, prüft das Ministerium noch die Auswirkungen der Stadtwerkegründung auf die flächendeckende Stromversorgung. Daher haben die Stadtwerke in der Zwischenzeit das Angebot unterbreitet, auch die Versorgung des dünn besiedelten westmecklenburgischen Raumes zu übernehmen, falls der Regionalversorger sich dazu nicht mehr in der Lage sehen sollte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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