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3. Konsens und Streitfragen - Entwicklungslinien der ostdeutschen Stromwirtschaft aus dem Blickwinkel verschiedener Interessen

a) Die Bedeutung des Verhandlungskompromisses für die kommunale Energiewirtschaft

Nach Auskunft des Deutschen Städtetages befürchteten einige Städte, die Verständigungslösung könnte sie dazu zwingen, Strom vom Regionalversorger zu Preisen zu beziehen, die über den Kosten der Eigenerzeugung von Elektrizität lägen. Um dieser Sorge zu begegnen, hob der Deutsche Städtetag am 15. Januar 1993 in einer Presseerklärung hervor, die Städte würden davon ausgehen, daß die Preise für Stromlieferungen der regionalen Energieversorger im Vergleich zur wirtschaftlich und technisch möglichen Stromerzeugung wettbewerbsfähig seien. Weil dieser Erklärung von Seiten der Regional- und Verbundunternehmen nicht widersprochen wurde, kann sie nach Auffassung des Deutschen Städtetages bei Strombezugsverhandlungen als Grundlage der Verständigungslösung geltend gemacht werden.

Gemeinden, die nicht in der Lage oder willens sind, eine eigene Stromversorgung aufzubauen, wandten gegen die Verständigungslösung ein, sie lasse keinen Vorteil gegenüber der Ausgangslage erkennen. Diese Einschätzung ist nach Auffassung des Deutschen Städtetages nicht zutreffend, denn die Gemeinden hätten stets nur den Kapitalanteil am Regionalunternehmen bekommen, der dem Wert ihrer örtlichen Anlagen entspricht. Auch mögliche Restitutionsansprüche wären vermutlich von der Rechtsprechung in Anlehnung an die Grundsätze des Vermögensgesetzes über die Rückgabe privater Unternehmen in Ansprüche auf Kapitalbeteiligung oder Entschädigung umgedeutet worden. In beiden Fällen hätten viele Gemeinden eine Kürzung ihrer Kapitalanteile auf zusammen höchstens 49 Prozent hinnehmen müssen. Da das örtliche Vermögen der stadtwerkefähigen Städte vergleichsweise hoch sei, wäre die im Einigungsvertrag festgeschriebene Kappungsgrenze für die Anteile der Städte, Gemeinden und Landkreise wahrscheinlich wirksam geworden. Nun, nach Ausscheiden stadtwerkefähiger Städte, müsse man nicht mehr befürchten, daß die Anteile der anderen Städte und Gemeinden am Regionalversorger die Kappungsgrenze erreichen. Allerdings sinke mit dem Ausscheiden der Städte die kommunale Gesamtbeteiligung an den Regionalversorgern, in einigen Fällen sicherlich auch unter die 25-Prozent-Grenze. Um der kommunalen Seite dennoch zu einem gewichtigen Anteil an den regionalen Versorgungsunternehmen zu verhelfen, sei in der Verständigungslösung vereinbart worden, daß die Gemeinden zusätzliche

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Anteile aus den freiwerdenden Stadtwerkeanteilen erwerben könnten. Zudem, so der Deutsche Städtetag, stärkten die sich nun entwickelnden konkurrenzfähigen Stadtwerke auch die Verhandlungsposition der Gemeinden bei der Neuverhandlung von Konzessionsverträgen.

Neben Städten und Gemeinden haben auch Landkreise Einwände gegen die Verständigungslösung vorgebracht. So wurde zum Beispiel von dieser Seite damit gedroht, eine einstweilige Anordnung gegen die Aushändigung der Vermögenswerte durch die Treuhandanstalt zu beantragen. Unter anderem wurde behauptet, die regionale Versorgung sei eine Kreisaufgabe, daher hätten nicht die Kommunen, sondern die Kreise Anspruch auf das Kommunalvermögen. Dieser Einschätzung hält der Deutsche Städtetag entgegen, daß die Regelung der örtlichen Energieversorgung untrennbar mit dem kommunalen Wegeeigentum verbunden sei und deshalb nur als Aufgabe der jeweiligen Gemeinde angesehen werden könne.

Bei der Bewertung der Verständigungslösung ist nach Auffassung des Deutschen Städtetages zu beachten, daß selbst ein für die Kommunen günstiger Ausgang der Verfassungsbeschwerde keinesfalls eine Gewähr für die Herausgabe der Vermögenswerte an die Städte böte. Ein Erfolg der Verfassungsbeschwerde würde nur die Kappungsgrenze für die kommunale Beteiligung an den Regionalunternehmen aufheben. Damit könnten sich zum Teil kommunale Mehrheiten in den Unternehmen bilden, was wiederum die Einhaltung der Stromverträge - und damit die Sanierung der Braunkohlewirtschaft - gefährden würde. Außerdem öffneten kommunale Mehrheiten an den Regionalversorgern noch lange nicht den Weg für den Aufbau einer kommunalen Energieversorgung. So könne es durchaus im Interesse einiger kleinerer Gemeinden liegen, den Bestand des jeweiligen regionalen Unternehmens zu sichern. Diese Gemeinden würden dann nicht zulassen, daß dort, wo es energierechtlich möglich ist, Stadtwerke gegründet werden.

Ohnehin ist nach Auffassung des Deutschen Städtetages der Spielraum für die Aufnahme einer kommunaleigenen Stromversorgung nicht so groß, wie oft angenommen wird. Da das Energiewirtschaftsrecht zur Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Belange verpflichte, sei damit zu rechnen, daß die staatliche Energieaufsicht sich bei der Prüfung von Anträgen einzelner Kommunen auf Erteilung einer § 5-Genehmigung stark an der Sicherung des Braunkohlenbergbaus in den neuen Ländern orientieren werde. Hier seien politische Gestaltungsspielräume gegeben, die gerichtliche Auseinandersetzungen kaum sinnvoll machten. Diese würden dann eher

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den Eindruck erwecken, die Gemeinden wären nicht an politischen Konfliktlösungen interessiert.

Als Erfolg für die kommunale Seite sei anzusehen, daß die Vereinbarung vorsieht, allen, also auch den an der Beschwerde nicht beteiligten Städten, die örtlichen Anlagen im Tausch gegen Kapitalanteile zu übertragen, sofern eigene Stadtwerke aufgebaut werden. Zudem schaffe die Verständigungslösung für alle Städte und Gemeinden eine klare Rechtsgrundlage für die Entwicklung der kommunalen Versorgungswirtschaft. Ein Festhalten an der Beschwerde würde dagegen Rechtsunsicherheit fortsetzen und Investitionen blockieren. Nicht zuletzt müsse man aus gesamtwirtschaftlicher Sicht auch die Sicherung des ostdeutschen Braunkohlenbergbaus begrüßen. Daher hat der Hauptausschuß des Deutschen Städtetages der Verständigungslösung am 10. Februar 1993 in Münster einstimmig zugestimmt und die Mitglieder gebeten, ihre Beschwerde zurückzunehmen.

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) räumt ein, die von ihm mitgetragene Verständigungslösung habe dazu geführt, daß vielen, vor allem kleineren Städte, der zunächst geplante Aufbau eines kommunalen Querverbundunternehmens mit den Sparten Strom, Gas, Fernwärme und Wasser nicht mehr erreichbar scheint. Dabei richtet sich die Kritik vor allem auf folgende Aspekte:

  • Die regionalen Gasunternehmen sind an der Gassparte von Stadtwerken mit einem hohen Kapitalanteil beteiligt. Ohne diese Beteiligung würden die Städte in den neuen Ländern keine Genehmigung nach § 5 Energiewirtschaftsgesetz für die Aufnahme der Gasversorgung erhalten.
  • Da die Städte nur einen Teil des benötigten Stromes selbst erzeugen dürfen, können sie sich im Einzelfall gezwungen sehen, teurer produzierten und angebotenen Strom der Regionalversorger zu beziehen.
  • Diejenigen Gemeinden, die keine Stadtwerke gründen können oder wollen, sehen nicht ein, warum sie durch die Annahme und den Vollzug des Vergleichs auf ihre Restitutionsansprüche verzichten und sich mit einem insgesamt geringeren kommunalen Anteil an einem Regionalunternehmen begnügen sollen.
  • In einigen Ländern ist der Eindruck erweckt worden, die Erteilung der § 5-Ge-nehmigung würde von der Zustimmung des betroffenen Regionalunternehmens abhängen. Daher wollen einige Gemeinden die Beschwerde erst dann zurücknehmen, wenn das zuständige Wirtschaftsministerium des Landes die § 5-Genehmi-gung erteilt hat.

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Zwar bedauert der VKU, daß einige der vom ihm vertretenen Forderungen, wie die Herauslösung der Anlagen für die Stadtwerke durch Abspaltung statt durch Kauf, völlige Freiheit für die kommunale Stromerzeugung, Neuverhandlungen bereits abgeschlossener Konzessionsverträge und rascher Abbau der noch bestehenden Unsicherheiten bei der § 5-Genehmigung, nicht durchgesetzt werden konnten. Dennoch sieht er für diejenigen Städte, die eine § 5-Genehmigung bekommen und ihre örtlichen Anlagen zurückerhalten, die Verhandlungslösung als vorteilhaft an. Um seine Mitgliedsunternehmen bei der Beantragung dieser Genehmigung zu unterstützen, hat der VKU einen Stab für § 5-Genehmigungcn gegründet, der die fachlichen Grundlagen für Seminarveranstaltungen erarbeitet, die unmittelbar nach Zustimmung zum Vergleichsentwurf vom VKU für die Mitgliedsunternehmen angeboten werden. Nach Einschätzung des VKU dürften 120 bis 140 Städte die § 5-Genehmigung erhalten.

Auch die Gemeinden und Städte, die keine Stadtwerke gründen, sondern einen Teil der bei Stadtwerkebildungen freiwerdenden Aktien des Regionalversorgers erwerben, profitieren nach Auffassung des VKU von der Verständigungslösung, weil diese Kapitalanteile in Zukunft sehr rentabel werden könnten.

Schließlich weist der VKU daraufhin, daß es völlig offen sei, ob das Bundesverfassungsgericht sich bei einer gegebenenfalls doch noch notwendigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auch zur zukünftigen Versorgungsstruktur in den neuen Ländern äußern würde. Zwar werde das Gericht sicherlich über die Vereinbarkeit des § 4 Absatz 2 Satz 2 KVG mit Artikel 28 Absatz 2 GG urteilen, aber ob - und wie - das Gericht darüber hinaus auch zum Verhältnis Verbundstufe-Regionalstufe Stellung beziehen werde, sei nicht vorhersehbar. In jedem Fall müsse die Gesamtbewertung der Verständigungslösung auch den möglichen negativen Ausgang der Verfassungsbeschwerde kalkulieren. Diese Entscheidung würde vielen Städten den Weg zum eigenen Stadtwerk verbauen. So äußerte sich der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts am 22. Februar 1993, daß im Falle der Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde viele Städte - mangels ausreichender finanzieller Möglichkeiten - keine eigenen Stadtwerke mehr betreiben könnten.

Nicht zuletzt müsse man nach Auffassung des VKU auch berücksichtigen, daß die Annahme der Verständigungslösung dazu beitragen werde, den Investitionsstau in der ostdeutschen Energiewirtschaft abzubauen. Das geschätzte Investitionsvolumen für die gesamte ostdeutsche Stromwirtschaft von rund 300 Milliarden DM habe

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einen Beschäftigungseffekt von 3 Millionen Mannjahren. Verteilt auf 10 Jahre bedeute das die Sicherung von 300 000 Arbeitsplätzen pro Jahr in allen Bereichen der Volkswirtschaft. Da zudem nicht damit zu rechnen sei, daß sich das erzielte Ergebnis für die Städte und Kommunen durch Nachverhandlungen verbessern lasse, empfiehlt auch der VKU die Annahme der Verständigungslösung.

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b) Die Struktur der Stromversorgung in den neuen Bundesländern aus der Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft

Nach Auffassung des Bundes beziehen die Gemeinden ihre starke Stellung bei der zukünftigen Gestaltung der Energieversorgung eher aus dem Wegerecht als aus dem Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung nach Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz. Auch die Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts zur Einigung im Stromstreit leite den Herausgabeanspruch der Kommunen offenkundig aus dem Wegerecht ab und nicht aus dem Kommunalvermögensgesetz, dem Restitutionsanspruch oder gar aus einem kommunalen Vorrecht bei der Stromversorgung. Das privatrechtlich ausgestaltete Wegerecht gäbe den Gemeinden die freie Entscheidung darüber, ob sie das Wegerecht für Energieleitungen einem städtischen Unternehmen, eventuell unter Beteiligung Dritter, oder einem Regionalversorger erteilten. Zwar könnten die Gemeinden aufgrund des Wegerechts im Gegensatz zu Bund, Ländern und Landkreisen, die als Gegenleistung für die Vergabe von Leitungsrechten nur die Kosten ersetzt bekämen, Konzessionsverträge abschließen. Doch daraus folge kein prinzipieller Vorrang der Gemeinden für die Übernahme der Energieversorgung. Diese sei nach den Worten des Bundesgerichtshofes vielmehr ein Jedermannrecht, für das nach Vorliegen der Voraussetzungen die Gewerbefreiheit gelte.

Mit Blick auf den Wettbewerb im Stromsektor ist der Bund, zusammen mit dem Bundeskartellamt und der EG-Kommission, der Auffassung, daß die Ausschließlichkeit des gemeindlichen Wegerechts nicht durch das Grundgesetz geschützt sei. Mit dem Konzessionsvertrag verpflichte sich die Gemeinde gegenüber ihrem Stadtwerk oder einem Regionalversorger, die Leitungsrechte zur Versorgung der Endverbraucher exklusiv zu vergeben. Die Vergabe derartiger Ausschließlichkeitsrechte stelle einen Verstoß gegen das im deutschen Kartellrecht festgeschriebene Kartellverbot dar. Nur wegen der im Kartellgesetz festgelegten ausdrücklichen Freistellung vom Kartellverbot für längstens 20 Jahre könne diese Ausschließlichkeit zulässig und rechtswirksam sein. Ob die kartellrechtliche Freistellung beibehalten, modifiziert

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oder abgeschafft werde, sei eine rein politische Frage, über die der Gesetzgeber frei entscheiden könne.

In diesem Zusammenhang sei zu beachten, daß die deutschen Unternehmen und sonstigen Wirtschaftssubjekte auch dem europäischen Kartellverbot unterlägen, zumindest dann, wenn der grenzüberschreitende Handel mit Strom betroffen sei. Da es auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft keine Freistellung für ausschließliche Konzessionsverträge gäbe, seien nach Auffassung der EG-Kommission und des Bundeskartellamtes diese Ausschließlichkeitsrechte grundsätzlich zu verbieten, wenn der grenzüberschreitende Stromhandel behindert werde. Dabei gilt vor allem das im Bundesgebiet anzutreffende dichte Geflecht von Gebieten, die auf der Grundlage eines Konzessionsvertrages von einem einzigen Anbieter versorgt werden, als Handelshemmnis.

Den Gemeinden in den neuen Ländern rät der Bund dringend, rational zu prüfen, ob die Gründung von Stadtwerken sich tatsächlich lohne. Grundsätzlich sollte jede einzelne Kommune erwägen, ob sie angesichts der vielen von ihr zu bewältigenden Aufgaben auch noch für die Stromversorgung Investitionsmittel, Management und Personal in angemessenem Umfang zur Verfügung stellen könne. Zudem müsse man sich vor übertriebenen Ertragserwartungen an Stadtwerke hüten, denn der zunehmende Wettbewerb wird in Zukunft die möglichen Gewinnspannen drücken. Hinzu kämen, gerade in den neuen Ländern, Kalkulationsrisiken als Folge der Umstrukturierungen in der Wirtschaft. Daher sei zu überlegen, ob es nicht zumindest für eine Übergangszeit besser wäre, von einem Regionalversorger die volle Konzessionsabgabe zu beziehen und die Erträge aus der kostenlosen Kapitalbeteiligung an dem Unternehmen einzustreichen. Immerhin sei der Fall denkbar, daß das Stadtwerk die Konzessionsabgabe nicht vollständig entrichten könne. Die beim Land angesiedelte Preisaufsichtsbehörde müsse im Interesse der Kunden einen Vergleich der Stadtwerktarife mit den Tarifen der anderen Elektrizitätsversorgungsunternehmen vornehmen. Im Einzelfall könnte das zu genehmigten Tarifpreisen führen, die die Kosten der Versorgung nicht voll decken.

Nach einer Ende 1985 vom OVG Münster rechtskräftig getroffenen Entscheidung haben die Städte keinen Anspruch darauf, die gleichen Tarife wie die Regionalversorger genehmigt zu bekommen. Vor allem dürften die Aufsichtsbehörden nicht hinnehmen, daß man mit einer Herauslösung von Stadtwerken die Preise der Regionalversorger zunächst in die Höhe treibe, um dann dieses Preisniveau auch in den

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kostengünstiger zu versorgenden Städten festzuschreiben. Zwar sei gegen eine regionale Differenzierung in begrenztem Umfang nichts einzuwenden, aber die Preisaufsicht habe auf eine preisgünstige Versorgung zu achten. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern prüfe derzeit die Grundsätze der Tarifgenehmigung für alle Bundesländer. Dabei erweise sich, daß bei der Preisaufsicht der Länder die Auffassung überwiege, die Strompreise seien zu hoch. Der Bund stehe dem Aufbau von Stadtwerken grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, doch dürften Stadtwerkegründungen keine zusätzlichen Belastungen für die Verbraucher mit sich bringen.

Daher haben die der Rechtsaufsicht des Bundeswirtschaftsministerium unterliegenden Genehmigungsbehörden der Länder bei Anträgen der Kommunen auf Erteilung einer Genehmigung nach § 5 Energiewirtschaftsgesetz zum einen zu berücksichtigen, ob das Stadtwerk eine sichere und preiswerte Versorgung im beabsichtigten Umfang gewährleisten könne. Zum anderen müsse geprüft werden, ob der Regionalversorger nach Herauslösung der Stadtwerke in der Lage ist, seine Kunden weiterhin zu angemessenen Preisen mit Strom zu beliefern. Dabei sei nicht ausschlaggebend, ob das betroffene Regionalunternehmen mit seiner jeweils gegebenen Struktur nach der Herauslösung von Stadtwerken erhalten werden kann. Eine Bestandsgarantie für überkommene Kombinats- und Bezirksstrukturen gäbe es schließlich nicht. Entscheidend sei vielmehr, daß überhaupt eine wettbewerbsfähige Regionalversorgung möglich bleibt.

Um den Nachweis zu erbringen, daß die Stadt Strom mindestens zu den gleichen Preisen wie der Regionalversorger anbieten kann, muß sie bei der Beantragung der § 5-Genehmigung nicht nur ein nachprüfbares Konzept für die Versorgung vorlegen und ausreichend geschultes Personal und Management, Know-how und die nötigen Investitionsmittel ausweisen. Zudem müssen die künftige Kosten Struktur sowie die Kostenvor- und -nachteile konkret dargelegt werden. Zu diesen Kostennachteilen gehören zum Beispiel eine nicht optimale Eigenerzeugung, eine schlechte Durchmischung der Stromnachfrage, eine nicht optimale Betriebsgröße in kleineren Städten, ein erhöhter Verwaltungsaufwand und eventuell beträchtliche Investitionskosten für die Netzeinbindung. Kostenvorteile können sich aus einer besseren Ausschöpfung lokaler Optimierungsmöglichkeiten von Fernwärme und Strom ergeben. Der von kommunaler Seite oft genannte Vorteil, mit einem Querverbund zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen Kosten vor allem bei der Verwaltung und der Instandhaltung senken zu können, sei dagegen nicht nur auf die lokale Ebene beschränkt, sondern ebensogut vom Gebietsversorger geltend zu machen.

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Bei der Prüfung der Kosten für die Netztrennung sollten die Möglichkeiten, Kosten zu sparen, voll ausgeschöpft werden. So würde zum Beispiel eine Kooperation zwischen Stadtwerk und Regionalversorger in Form einer Minderheitenbeteiligung Kosten senken, weil teure Netztrennungen damit hinausgeschoben werden könnten. Die Verselbständigung der Netze ließe sich dann im Zuge der ohnehin anstehenden und sich bis weit ins nächste Jahrtausend hinziehenden Netzentwicklung und Erneuerung stufenweise verwirklichen.

Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Überlegungen sieht das Bundesministerium für Wirtschaft in der Vereinbarung vom 22. Dezember 1992 einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Beteiligten. Daher erwartet das Ministerium, daß diese Vereinbarung möglichst rasch in Kraft gesetzt wird. Die Beilegung des Stromstreits sei ein wichtiges politisches Signal. Milliardeninvestitionen, die dazu beitragen, eine leistungsfähige und umweltschonendere Stromversorgung aufzubauen, Arbeitsplätze zu sichern und dem Wirtschaftswachstum Impulse zu geben, könnten endlich getätigt werden. Zudem schaffe die Vereinbarung für alle Beteiligten eine größere Rechtssicherheit als die kaum vor Sommer oder Herbst zu erwartende Entscheidung des Verfassungsgerichts, die zahlreiche Rechtsfragen offenlassen würde.

Schließlich profitieren nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums auch die Kommunen von der Verständigungslösung. Diejenigen Kommunen, die ein eigenes Stadtwerk genehmigt bekämen, erhielten die örtlichen Anlagen ohne jedes Risiko gegen die bloße Aufgabe der Kapitalbeteiligung am Regionalversorger. Zudem sei die Einzelabtretung so geregelt, daß sie einer Abspaltung nach dem Spaltgesetz gleichkomme, wobei auch die steuerlichen Vorteile aus der Übertragung des Sonderverlustkontos in Anspruch genommen werden könnten. Zwar sähen die Kommunen es zum Teil als Belastung an, daß sie 70 Prozent ihres Strombedarfs vom Regionalversorger beziehen müßten, doch diese Regelung diene letztlich dem Braunkohlenabsatz und sei damit auch eine Absicherung des Sanierungs- und Neubauprogramms für die Kraftwerke.

Auch die Kommunen ohne ein zukünftiges Stadtwerk zögen aus der Vereinbarung Nutzen, denn zusätzlich zur Konzessionsabgabe seien sie am Gewinn der Regionalversorger beteiligt. Deren Investitionsplanung werde durch die mit der Verständigungslösung erreichbare Rechtssicherheit erleichtert Die Verpflichtung der Stadtwerke zum Strombezug mildere die wirtschaftlichen Nachteile durch die Ausgliede-

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rung. Und die Genehmigungspraxis nach § 5 des Energiewirtschaftsgesetzes sichere auch den Gemeinden ohne eigenes Stadtwerk eine Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen.

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c) Die Perspektiven des überregionalen Verbundunternehmens VEAG Vereinigte Energiewerke AG

Auch das für die überregionale Stromerzeugung und -verteilung in den neuen Ländern verantwortliche Verbundunternehmen VEAG Vereinigte Energiewerke AG begrüßt die durch die Verständigungslösung geschaffene Planungssicherheit. Das 16 000 Mitarbeiter zählende Unternehmen wurde am 12. Dezember 1990 gegründet und übernahm im Februar 1991 die beiden in Aktiengesellschaften überführten ehemaligen DDR-Verbundkombinate Vereinigte Kraftwerks AG, Peitz, und Verbundnetz Elektroenergie AG, Berlin. Das Unternehmen verfügt über eine Kraftwerksleistung von 15 000 MW. Den größten Anteil haben mit 12 000 MW Braunkohlekraftwerke, die die VEAG auf absehbare Zeit zum größten Braunkohlenverbraucher Ostdeutschlands machen. Die anderen 3000 MW verteilen sich auf Wasserkraftwerke (2000 MW) sowie auf Anlagen, die mit Gasturbinen betrieben werden (1000 MW).

Über ihre 380- und 220-kV-Netze liefert die VEAG den produzierten Strom fast ausschließlich an die 15 regionalen Elektrizitätsversorger in Ostdeutschland. Diese leiten den Strom an Haushalte, Industrie und Gewerbe weiter. Die Eigentumsrechte an der VEAG liegen noch bei der Treuhandanstalt und werden voraussichtlich im Laufe des Jahres an die acht westdeutschen Verbundunternehmen, die am Stromvertrag beteiligt sind, übergehen.

Das Verbundunternehmen rechnet damit, daß im Jahre 2005 das Nettostromaufkommen in Ostdeutschland nur rund 75 Prozent des Aufkommens im Jahre 1989 betragen wird. Allerdings bringt die ungeklärte wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern Unsicherheiten bei der Prognose des Strombedarfs mit sich.

In dem Unternehmenskonzept der VEAG für die zukünftige Energieversorgung spielt die Braunkohlenförderung eine zentrale Rolle. Über 80 Prozent der Elektrizität sollen im überschaubaren Zeitraum auf Braunkohlebasis erzeugt werden. Erstens sei Braunkohle der einzige in großen Mengen vorhandene und gegenüber importierten Energieträgern wettbewerbsfähige heimische Energieträger. Zweitens sichere die

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Braunkohleverstromung in strukturschwachen Gebieten auf lange Sicht Tausende von Arbeitsplätzen im Bergbau, in den Kraftwerken sowie in angrenzenden Bereichen. Und schließlich ließen sich auch nach Auffassung der VEAG die Altlastensanierung und die Rekultivierung des Braunkohlenbergbaus nur im Zusammenwirken mit einem noch aktiven Bergbau befriedigend bewältigen. So stamme heute zum Beispiel die Hälfte des Spreewassers aus den Lausitzer Braunkohlegruben. Würde die Braunkohlenförderung stark gemindert oder gar eingestellt, hätte das schwerwiegende Folgen für den Wasserhaushalt Berlins, da der natürliche Zufluß der Flüsse auf Jahre hinaus in den Kohlengruben mit ihren riesigen Grundwasserdefiziten versickern würde.

Zur Sanierung ihres Kraftwerkparks plant die VEAG, acht 500-MW-Blöcke in den Kraftwerken Jänschwalde und Boxberg bis zum 30. Juni 1996 mit modernster Umweltschutztechnik nachzurüsten. Zudem werden die Blöcke technisch überholt, so daß sich ihr Wirkungsgrad erhöht. Die restlichen 8000 MW Kraftwerksleistung werden im Laufe der 90er Jahre schrittweise stillgelegt. Dafür errichtet die VEAG in der Lausitz an den Standorten Boxberg und Schwarze Pumpe sowie bei Lippendorf, südlich von Leipzig, sechs 800-MW-Braunkohlenblöcke, die mit einem Wirkungsgrad von über 40 Prozent arbeiten werden. Damit erreichen sie eine Steigerung des Wirkungsgrades von 6 Prozent gegenüber den heute effizientesten westdeutschen Kraftwerken mit einen Wirkungsgrad von 34 Prozent. Gegenüber den derzeit besten ostdeutschen Anlagen wird sogar ein Anstieg von 8 Prozent erzielt.

An den Anlagen in Lippendorf beteiligen sich drei süddeutsche Versorgungsunternehmen, die nach Fertigstellung der Kraftwerksblöcke die Hälfte des produzierten Stroms nach Süddeutschland leiten wollen. Weitere Stromlieferungen nach Westdeutschland scheinen aus heutiger Sicht unrealistisch, da sich die auf Braunkohlebasis erzeugte Elektrizität wirtschaftlich weder gegen Strom aus billiger Importkohle noch gegenüber ausländischen Stromlieferungen durchsetzen kann. Bedeutung werden dabei vor allem Stromlieferungen aus Osteuropa erlangen. Dort werden mit deutscher Technik Kraftwerke errichtet und später mit Stromlieferungen bezahlt.

Um die Risiken der Stromerzeugung zu mindern, plant die VEAG auch andere Energieträger ein. So sollen zur Abdeckung der Mittellast Steinkohlekraftwerke an den Standorten Rostock im Jahre 1994/95 und Stendal nach dem Jahre 2000 mit einer Gesamtleistung von rund 2000 MW in Betrieb gehen. Zur Deckung der

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Spitzenlast werden bis zum Jahre 2000 außerdem das Pumpspeicherwerk Goldisthal, südöstlich von Suhl, mit 1 060 MW Leistung sowie ein erdgasbefeuertes Gas- und Dampfkraftwerk bei Greifswald mit rund 300 MW errichtet. Und schließlich sind Verbundlieferungen in einer Größenordnung von 1 000 MW vorgesehen.

Mit diesem Konzept trägt die VEAG dazu bei, in ihrem Geschäftsbereich die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid bis zum Jahre 2005 im Vergleich zum Jahre 1989 um 25 Prozent zu senken. Im gleichen Zeitraum werden die Emissionen von Staub und Schwefeldioxid um 95 Prozent und von Stickoxiden um 70 Prozent verringert.

Um die Sicherheit der Stromversorgung zu garantieren und die in Westeuropa übliche Frequenz- und Spannungsstabilität zu gewährleisten, will die VEAG ihr ostdeutsches Stromnetz an das westeuropäische Verbundnetz UCPTE (Union pour la Coordination de la Production et du Transport d'Electricité) anschließen. Dafür müssen vier Verbund-Doppelleitungen in Betrieb genommen werden. Zwei 380-kV-Leitungen sind bereits fertiggestellt und verbinden Niedersachsen (Helmstedt) mit Sachsen-Anhalt (Wolmirstedt) sowie Bayern (Redwitz) mit Thüringen (Remptendorf). Zwei weitere Trassen sind zwischen Lübeck und Güstrow sowie zwischen Mecklar in Hessen und Vieselbach in Thüringen geplant. Zudem baut die VEAG, zusammen mit einem dänischen Konsortium, ein 45 km langes Stromkabel durch die Ostsee, das voraussichtlich in drei Jahren in Betrieb genommen werden kann. Und schließlich beteiligt sich das Unternehmen an der Konzeption für eine auf mehrere tausend Megawatt ausgelegte Gleichstromleitung vom russischen Smolensk über Weißrußland und Polen nach Deutschland.

Um das vorhandene Stromnetz zu sanieren und Umweltschutzanforderungen anzupassen, stattet die VEAG Transformatoren mit Ölauffangvorrichtungen und Lärmschutz aus, baut feuerverzinkte Freileitungsmasten auf und verlegt Leitungstrassen parallel zu Vogelfluglinien. Neue Netzleittechniken werden den Betrieb von Verteilungsanlagen sicherer und rationeller machen. Und ein Rückbau von 220-kV-Leitun-gen zugunsten von 380-kV-Leitungen, die Strom verlustärmer transportieren, wird die Landschaftsnutzung deutlich mindern.

Zur Umsetzung ihres Unternehmenskonzepts veranschlagt die VEAG ein Investitionsvolumen von über 30 Milliarden DM, davon rund 6 Milliarden DM für den Netzbereich. Zum größten Teil werden die Aufträge an ostdeutsche Firmen ver

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geben und sichern damit Arbeitsplätze in den neuen Ländern. Die VEAG selbst wird ihre Planungen mit großen Veränderungen im Personalbestand bewältigen müssen. Waren zum Jahresanfang 1991 noch rund 28 000 Mitarbeiter bei der VEAG beschäftigt, so werden im Jahre 2000 noch 9000 bis 10 000 Arbeitnehmer zum Unternehmen gehören. Bisher ließ sich der Personalabbau nahezu ohne betriebsbedingte Kündigungen durch Ausgliederung betriebsfremder Werke, Sozialpläne und Vorruhestandsregelungen erreichen.

Nach Darstellung eines Vorstandsmitglieds lasse sich die Unternehmensplanung der VEAG nur dann realisieren, wenn der in Braunkohlekraftwerken erzeugte Strom genügend Abnehmer finde. Mit Skepsis beobachtet daher die VEAG die Pläne von Stadtwerken, eine Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgasbasis aufzubauen. Dies könne dazu führen, daß die Kommunen mehr Strom erzeugen als wärmegeführt möglich wäre. Die VEAG wendet sich deshalb auch gegen den Plan des Landes Brandenburg, eine Einspeisevergütung für Strom aus kleinen, zumeist mit Gas und Erdöl befeuerten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen bis zu 5 MW durchzusetzen. Nach vorsichtiger Schätzung könne die Realisierung dieses Vorhabens den Zubau eines 800-MW-Braunkohlenblocks gefährden. Dies würde wiederum bedeuten, daß pro Jahr rund 5 Millionen Tonnen Braunkohle weniger abzusetzen wären.

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d) Die energiepolitischen Ziele des Landes Brandenburg

Bereits in ihrer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde hatte die brandenburgische Landesregierung unterstrichen, sie räume dem Recht der Gemeinden, ihre Belange in eigener Verantwortung zu regeln, einen hohen Rang ein. Zu der von der Landesregierung angestrebten pluralistischen Struktur in der Versorgung mit leitungsgebundenen Energien zählt sie eine sichere, preiswerte und flächendeckende Energieversorgung, die wirtschaftlich und umweltverträglich in Großkraftwerken erfolgt, und dezentrale Einrichtungen, die in kommunalen und regionalen Energieversorgungsunternehmen die Potentiale der Kraft-Wärme-Kopplung optimal nutzen können. Ein weiteres wesentliches Ziel der Energiepolitik ist der Erhalt eines gesunden Braunkohlenbergbaus als wichtiges wirtschaftliches Standbein der Lausitz. Die Landesregierung hofft, daß Strom aus der Lausitz in nennenswertem Umfang bald auch nach Berlin und Westdeutschland verkauft werden kann. Die Beseitigung der Altlasten im Bergbau ist nach einer im vergangenen Jahr getroffenen Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gesichert.

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In dem Bundesland Brandenburg, das den gewichtigsten Anteil an der Energiewirtschaft in Ostdeutschland hat, macht sich der Rückgang des Braunkohlenbergbaus besonders bemerkbar. Wurden vor der Wende auf dem Gebiet dieses Bundeslandes 114 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut, so sank die Menge 1990 bereits auf 94 Millionen Tonnen. Im Jahre 1992 wurden noch 61 Millionen Tonnen gefördert. Entsprechend ging die Zahl der Beschäftigten im Bergbau von 50 000 Arbeitnehmern im Jahre 1990 auf 32 000 Mitarbeiter Ende 1992 zurück.

Während die "Leitentscheidungen zur brandenburgischen Energiepolitik", vorgelegt im Frühjahr 1992, noch von einer künftigen Förderung von 60 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr im brandenburgischen Teil der Lausitz ausgingen, hält das Anfang 1993 fertiggestellte "Gutachten zur Erarbeitung eines Energiekonzepts für das Land Brandenburg" eine Förderung von 45 Millionen Tonnen pro Jahr im Jahre 2000 für gesichert. Diese Mengen sind nach Auffassung der Landesregierung zu niedrig, um die Beschäftigungssituation zu bewältigen, die Wirtschaftskraft im Süden Brandenburgs zu stärken, die Braunkohlentagebaue zu sanieren und die Wasserhaltung zu regulieren. Daher bemüht sich die Landesregierung auch darum, der Braunkohle eine stärkere Position am Wärmemarkt zu verschaffen.

Nach Auffassung der Landesregierung eigne sich Braunkohle für den Einsatz in der Kraft-Wärme-Kopplung, denn mittlerweile würden umweltgerechte Techniken wie Staub- und Wirbelschichtfeuerung zur Verfügung stehen. Daher appelliert die Landesregierung an die Kommunen, sich nicht von kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolgsaussichten beeinflussen zu lassen, sondern die langfristigen Chancen einer sicheren und preisgünstigen Brennstoffversorgung zu berücksichtigen. Zwar würden kleinere und mittlere Anlagen für die Kraft-Wärme-Kopplung besser mit Gas befeuert, aber ab einer Leistung von 50 MW sei auch Braunkohle wirtschaftlich einsetzbar. So habe man am Beispiel der Stadt Potsdam die Wirtschaftlichkeit von Kohle und Gas verglichen und sei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Investitionen für Braunkohleöfen zwar höher liegen als für gasbetriebene Meiler. Dafür seien die Brennstoffkosten bei Verwendung von Braunkohle niedriger, auch unter Berücksichtigung des geschlossenen Brennstoffkreislaufs. Mit einer Gasanlage ließen sich zwar höhere Stromerlöse erwirtschaften, doch niemand wisse, wie sich die heute niedrigen Gaspreise in Zukunft entwickeln werden.

Mit einer Reihe von Kommunen, wie den Städten Cottbus, Potsdam und Frankfurt/Oder, hat die Landesregierung bereits Gespräche über den Einsatz von

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Braunkohle in kommunalen Erzeugungsanlagen geführt. Dabei habe sie ihre Auffassung unterstrichen, diese Nutzung von Braunkohle sei eine wichtige Voraussetzung, um mit glaubhaften Argumenten für den Einsatz von Braunkohle in Berlin zu werben. Der Berliner Wirtschaftssenator sei bereit, die Bemühungen Brandenburgs zur Erschließung des Berliner Marktes für Braunkohle zu unterstützen, erwarte aber, daß Braunkohle auch in Brandenburg in angemessener Menge für die dezentrale Energieversorgung eingesetzt werde.

Zwar will und kann die Landesregierung energiewirtschaftliche Entscheidungen der Kommunen und Unternehmen nicht direkt beeinflussen, aber sie hat im Rahmen ihrer Energieaufsicht die Möglichkeit, Fehlentwicklungen zu korrigieren. So wird sie zum Beispiel darauf achten, daß Anlagen für die Kraft-Wärme-Kopplung tatsächlich wärmegesteuert sind und nicht im Sommer als einfache Stromerzeuger ohne Wärmegewinnung arbeiten. Zudem solle jedes Stadtwerk eine eigene Tarifberechnung durchführen und erhöhte Gewinne an die Stromkunden weitergeben.

Zur Unterstützung der Städte beim Aufbau leistungsfähiger Stadtwerke wird die Brandenburger Regierung darauf hinwirken, daß die Regionalversorger den Kommunen alle Informationen, die für die Beantragung einer § 5-Genehmigung notwendig sind, zur Verfügung stellen. Sofern Gemeinden bereits die Aufnahme der Versorgung ihres Gebietes mit Strom oder Gas genehmigt bekommen haben, wird beim Antrag auf Genehmigung auch des anderen Energieträgers das Ergebnis des ersten Antrages beschleunigend und erleichternd berücksichtigt. Zudem verlangt das Wirtschaftsministerium vom Antragsteller keinen Nachweis darüber, daß dessen Betriebsaufnahme die Flächenversorgung nicht beeinträchtigen wird. Sofern Zweifel darüber bestehen, werde das Ministerium selbst Ermittlungen vornehmen. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen für die Betriebsaufnahme der Strom- und Gassparte vorliegen, besteht nach Auffassung der Landesregierung ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung.

Um die Beantragung der § 5-Genehmigung einzuleiten, müssen die Kommunen ein Energiekonzept erarbeiten, nach Möglichkeit ein Gutachten über die Wirtschaftlichkeit der geplanten Energieversorgung veranlassen, den Beschluß der Kommunalvertretung zur Stadtwerkebildung herbeiführen, das Stadtwerk gründen und gegebenenfalls in das Handelsregister eintragen lassen. Außerdem müssen sie bei der Treuhandanstalt die Abspaltung der Anlagen und beim Wirtschaftsministerium die

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Betriebsgenehmigung beantragen. Diesem Antrag sind unter anderem folgende Unterlagen beizufügen:

  • Darstellung des Stands und der Planung der Energieversorgung im vorgesehenen Gebiet
  • Darlegung der aktuellen Rechtszustände wie Restitutionsanspruch, Eigentumsverhältnisse an den bestehenden Energieanlagen, bestehende energiewirtschaftliche Verträge
  • Darlegung der künftigen Unternehmensstruktur, also deren Rechtsform und Satzung
  • Nachweis der Eintragung in das Handelsregister
  • Nachweis einer ausreichenden Abdeckung der Schadenshaftung
  • Beschluß der Kommunalvertretung zum vorgelegten Antrag.

Außerdem muß der Antrag folgende Informationen bieten:

  • Beschreibung und Bewertung der zur Übernahme vorgesehenen Versorgungsanlagen
  • eine Energiebedarfsanalyse und -prognose für die nächsten 10 Jahre auf der Basis von Mengenentwicklungen und Abnehmergruppen
  • Maßnahmen zur Deckung des künftigen Energiebedarfs, also Bezugsverträge mit Vorlieferanten, Aufbau einer Eigenerzeugung, Sanierung und Ausbau des Verteilungssystems, Ausschöpfung der Energiesparpotentiale
  • Einzelnachweise der erforderlichen Investitionen für die nächsten 10 Jahre und Finanzierungsnachweise, einschließlich Sonderkredite und Fördermittel
  • Erfolgsvorausschaurechnung mit Gewinn- und Verlustrechnung, Tarifsysteme und Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über die Allgemeinen Bedingungen für die Gas- beziehungsweise Stromversorgung von Tarifkunden
  • Nachweis von technisch qualifiziertem Personal mit den erforderlichen Zulassungen für den Betrieb der Anlagen
  • Maßnahmen zur Gewährleistung der technischen Sicherheit und Versorgungsstabilität (Havarieplan und Betriebsführungsregime).

Wenn in Brandenburg auf dem Gebiet der Stromwirtschaft im Gegensatz zur Gaswirtschaft noch kein Durchbruch bei der Vergabe der § 5-Genehmigung erzielt werden konnte, dann liegt das nach Aussagen des Abteilungsleiters Energiepolitik und Bergwesen des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des

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Landes Brandenburg vor allem daran, daß bisher keine entscheidungsreifen Anträge vorgelegt worden sind. Dies sei wiederum auf die Rechtsunsicherheit sowie auf Ungewißheiten über den Investitionsbedarf und über die Entwicklung des Stromabsatzes zurückzuführen. Um die investitionshemmende Rechtsunsicherheit zu überwinden, hat auch die Landesregierung sich bemüht, die Kommunen des Landes zur Annahme des Vergleichs zu bewegen.

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e) Sozialverträglicher Umbau der Stromwirtschaft - die Position der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr

Auch die ÖTV, die für die Beschäftigten in der leitungsgebundenen Elektrizitäts-, Gas- und Fernwärmewirtschaft zuständige Gewerkschaft im DGB, setzt sich für eine Versorgungsstruktur ein, die nach überregionalen, regionalen und kommunalen Versorgungsunternehmen gegliedert ist. Weil diese Zielsetzung mit dem Stromvertrag nicht erreichbar erschien, hatte die ÖTV bereits im August 1990 gegenüber der Bundesregierung und den Vorständen der maßgeblichen westdeutschen Energieversorgungsunternehmen Einwände gegen den Stromvertrag vorgebracht.

Da der nun vorliegende Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts die Gründung leistungsfähiger Stadtwerke und damit den Aufbau eines kommunalen Standbeins der Energieversorgung ermöglicht, müssen die Beteiligten nach Auffassung der ÖTV die Vereinbarungen rasch umsetzen. Der Investitionsstau bei der VEAG und bei den Regionalversorgern habe die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung insgesamt gefährdet und damit nicht nur die Beschäftigten der Energiewirtschaft und des Bergbaus, sondern auch die Arbeitnehmer anderer Branchen verunsichert. Außerdem seien die Arbeitnehmer im Laufe des Rechtsstreits durch widersprüchliche Informationen irritiert worden. So hätten die Kommunen zum Beispiel bei den Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht in Stendal 1992 von rund 50 000 Arbeitsplätzen gesprochen, die bei einer positiven Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erhalten blieben. In nachfolgenden Erklärungen des VKU sei jedoch nur noch von 35 000 Arbeitsplätzen die Rede gewesen. Statt mit verunsichernden Zahlen Politik zu betreiben, sollten die am Stromstreit Beteiligten konkrete Handlungskonzepte vorlegen. So würden noch viele Beschäftigte der Regionalversorger daran zweifeln, daß die Kommunen in der Lage seien, eine moderne und effiziente Energieversorgung aufzubauen, die auch den Interessen der Arbeitnehmer gerecht werde. Diese Zweifel ließen sich nur ausräu-

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men, wenn die kommunalen Spitzenverbände eine klares und überzeugendes Konzept zur sozialen Absicherung der energiewirtschaftlichen Umstrukturierung vorlegten.

Die ÖTV setzt sich dafür ein, daß beim Übergang eines Betriebsteils vom Regionalversorger zum kommunalen Unternehmen das Recht jedes einzelnen Beschäftigten bestehenbleibt, selbst über den Betriebsübergang zu entscheiden. Dabei stützt sich die Gewerkschaft auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der in einem Urteil vom 16. Dezember 1992 bestätigt hat, daß das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers im Falle eines Betriebsübergangs gewahrt bleiben müsse. Daher, so die ÖTV, sei das Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers mit dem veräußernden Unternehmen aufrechtzuerhalten, wenn der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widerspricht. Nicht hinnehmbar sei es, wenn - wie bereits vorgekommen - Beschäftigte kurzfristig ohne Nachteilsausgleich versetzt würden oder wenn kommunale Arbeitgeber soziale Rechte nach kurzer Zeit in Frage stellten. Nach Auffassung der Gewerkschaft hätten die kommunalen Energieversorgungsunternehmen in Deutschland erst noch unter Beweis zu stellen, daß sie für sichere und soziale Arbeitsplätze sorgen können. Die Gewerkschaft schlägt den Kommunen daher vor, zusammen mit den Personal- und Betriebsräten der vielfach noch im Aufbau befindlichen örtlichen Versorgungsunternehmen verbindliche Regelungen für den Übergang und die Arbeitsplatzgestaltung auszuhandeln.

Die ÖTV geht auf der Grundlage ihrer Erfahrungen im Westen davon aus, daß kleinere Gemeinden oftmals besser beraten seien, mit Regionalversorgern Konzessionsverträge abzuschließen und dabei günstige energiewirtschaftliche, finanzielle und ökologische Bedingungen auszuhandeln, statt selbst als Unternehmer tätig zu werden. Gleichwohl sieht die ÖTV, daß leistungsfähige örtliche Unternehmen im Querverbund eine gute Voraussetzung bieten, um in einer Stadt eine sichere, ausreichende, preiswürdige sowie umwelt- und sozialverträgliche Energieversorgung zu garantieren.

Eine hundertprozentige Übernahme der Energieversorgung durch Städte und Gemeinden hält die ÖTV jedoch vor dem Hintergrund der finanziellen Situation in den neuen Ländern nur in Ausnahmefällen für realistisch. Eher sei bei der Gründung von Stadtwerken der volle Querverbund mit einer kommunalen Mehrheitsbeteiligung anzustreben. Dabei sollte kapitalkräftigen und mit technischem Know-how ausgestatteten Investoren der Zutritt zu den öffentlichen Unternehmen ermöglicht werden.

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Beispiele in Halle, Dresden und Leipzig zeigten, wie eine derartige Kooperation zu einen tragfähigen Kompromiß führen könne, der nicht nur die kommunalen Interessen, sondern auch die sozialen Belange der Mitarbeiter beim Übertritt von einem Unternehmen zum anderen berücksichtigt.

Zur Umstrukturierung der Versorgung und zur Ausschöpfung vorhandener Einsparpotentiale hält die ÖTV auf allen Stufen der Energieversorgung folgende Maßnahmen für vordringlich:

  • Sanierung und Erweiterung der Nah- und Fernwärmeerzeugung und -verteilung:
  • Zur Deckung des Bedarfs an Niedertemperaturwärme sind Heizkraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung auf- und auszubauen. Heizwerke mit ihren viel geringeren Wirkungsgraden müssen rasch ersetzt werden. Gerade in den großen Städten bieten sich in Ostdeutschland aufgrund der vorhandenen weiträumigen Fernwärmenetze hervorragende Voraussetzungen für die Kraft-Wärme-Kopplung an.
  • Modernisierung der Raumheizungssysteme: Vorrangig sind dabei die Umstellung der Einzelofenheizung auf moderne Heizsysteme, die verbrauchsabhängige Messung der Wärmeenergie in den Wohnungen sowie die Schaffung von Regulierungsmöglichkeiten des Wärmeverbrauchs in Heizsystemen. Die örtlichen Energieversorger könnten bei der Bereitstellung individuell zugeschnittener Dienstleistungen eine Vorreiterrolle übernehmen.
  • Verstärkter Wärmeschutz von Gebäuden: Im Rahmen von Energiedienstleistungspaketen sollten Energiesparmaßnahmen für Neubauten und für die Bauerhaltung angeboten werden.
  • Einsatz regenerativer Energieträger. Vor allem die kommunalen Energieversorgungsunternehmen müssen bei der Ausweitung der Rolle regenerativer Energieträger eine Vorbildrolle erfüllen. So wäre es zum Beispiel möglich, daß die kommunalen Unternehmen Energiedienstleistungen für den Bau, Betrieb und die Wartung öffentlicher und privater Photovoltaik- und Windkraftanlagen anböten.
  • Erhöhung des Anteils leitungsgebundener Energien an der Versorgung.

Beim Ausbau der Versorgung mit leitungsgebundenen Energien müsse vermieden werden, Erdgas und Fernwärme in einen ruinösen Wettbewerb miteinander zu bringen. Fernwärme sei in Ostdeutschland heute mit rund einem Viertel am Wärmemarkt vertreten, doch es bestehe ein gewaltiger Bedarf, Leitungen zu sanieren und auf umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplungen umzustellen. Hinzu käme, daß der

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Osten Deutschlands seit der Wende der größte Wachstumsmarkt für Erdgas in Europa darstelle. So beabsichtige der überregionale Erdgastransporteur Verbundnetz Gas AG (VNG) zum Beispiel, die 3 Millionen Haushaltskunden, die bisher Gas im wesentlichen zum Kochen und zur Warmwasseraufbereitung nutzen, an die flächendeckende Erdgasversorgung und an die Erdgasheizung anzuschließen. Wegen seiner Umweltfreundlichkeit sollte Erdgas Vorrang bei den noch nicht an Fernwärme angeschlossenen Gebieten erhalten. Begrüßenwert, so die ÖTV, sei, daß sowohl VNG als auch die regionalen Versorger mit den Kommunen frühzeitig beim Aufbau örtlicher Versorgungsstrukturen kooperiert hätten, denn die Festlegung von Vorranggebieten für Gas und Fernwärme in den örtlichen und regionalen Versorgungskonzepten trage dazu bei, volkswirtschaftlich unsinnige Doppelleitungsnetze zu vermeiden.

Um allen Beteiligten zu ermöglichen, ihre energiewirtschaftlichen Perspektiven aufeinander abzustimmen, sollten nach Auffassung der ÖTV Landes-Energiebeiräte eingerichtet werden. In Sachsen-Anhalt ist auf Initiative der Gewerkschaft erstmals in den neuen Ländern ein solcher Beirat gebildet worden. Vertreter der Energieversorgungsunternehmen und der Politik beraten dort gemeinsam mit der ÖTV Rahmenzielsetzungen des Landesenergiekonzepts.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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