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5. Zusammenfassung und Ausblick: Die Neustrukturierung der Stromwirtschaft sozial vertretbar gestalten

Der Stromvertrag, als Weichenstellung für die rasche Sanierung der ostdeutschen Elektrizitätswirtschaft verteidigt, erwies sich zunächst als Hemmschuh. Nahezu drei Jahre lang verzögerte der Streit über das Kommunalvermögen die Modernisierung der ostdeutschen Stromwirtschaft. Die Städte und Gemeinden der neuen Länder sahen sich durch die im Stromvertrag vereinbarte und vom Einigungsvertrag festgeschriebene Kappungsregel, höchstens 49 Prozent der Kapitalanteile an regionalen Energieversorgern erwerben zu können, in ihrem kommunalen Selbstbestimmungsrecht eingeengt.

Um zu erreichen, daß ihnen Anlagen und Netze für den Aufbau einer eigenen Elektrizitäts- und Fernwärmeversorgung aus dem Vermögen der Regionalversorger übertragen werden, legten zahlreiche ostdeutsche Kommunen vor dem Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes Beschwerde gegen die vorgesehene Begrenzung ihrer Besitzansprüche ein. Die so entstandene Rechtsunsicherheit über die Zukunft der kommunalen und regionalen Stromversorgung in Ostdeutschland blockierte Milliardeninvestitionen für den Aufbau einer flächendeckenden, preiswürdigen und umweltgerechten Stromerzeugung. Damit blieben auch die Aussichten für den Braunkohlenbergbau in den neuen Ländern lange ungewiß. Waren 1990 noch rund 170 000 Arbeitnehmer in der ostdeutschen Braunkohlenindustrie beschäftigt, fanden dort zwei Jahre später nur noch 67 000 Menschen Arbeit. Und im Frühjahr 1993 war die Zahl der Beschäftigten auf 45 000 gefallen.

Die absehbaren strukturellen Veränderungen auf dem Energiemarkt, erwünschte Effizienzsteigerungen bei der Energieerzeugung und Energieverwendung sowie Umweltschutzerfordernisse lassen die jährliche Fördermenge von ehedem über 300 Millionen Tonnen Braunkohle Ende der achtziger Jahre bis zum Ende des Jahrzehnts auf unter 100 Millionen Tonnen sinken. Der Bergbau wird dann noch rund 20 000 Arbeitnehmer beschäftigen können.

Allerdings sind auch diese Arbeitsplätze nur dann zu halten, wenn Strom in den neuen Ländern vor allem auf Braunkohlenbasis erzeugt wird. Dabei profitieren nicht nur die Bergleute, sondern auch das Handwerk und der Mittelstand vom Bergbau. Außerdem ist die Beseitigung von Altlasten in den Bergbauregionen ohne eine

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wirtschaftliche Fortsetzung der Bergbaus ebensowenig finanzierbar wie die Rekultivierung der vom Tagebau verwüsteten Landschaften und die hydrologische Sanierung der Braunkohlenregionen. Daher hält auch das Brandenburger Wirtschaftsministerium daran fest, Braunkohle mit moderner Technik weiter zu nutzen. Der Bergbau in Brandenburg wird sich auf wenige leistungsfähige Tagebaue konzentrieren, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Großkraftwerken befinden. So bleiben im Bereich des Energiekomplexes Jänschwalde die Tagebauen Cottbus-Nord und Jänschwalde erhalten. Beim Energiekomplex Schwarze Pumpe wird der Tagebau Welzow-Süd ausgebaut.

Daß die Stromerzeugung auf Braunkohlenbasis modernen energiewirtschaftlichen Anforderungen gerecht werden kann, zeigen die geplanten Investitionsvorhaben der VEAG. Das überregionale Verbundunternehmen wird an drei Standorten in den neuen Ländern insgesamt sechs neue 800-MW-Braunkohlenblöcke mit einem Wirkungsgrad von über 40 Prozent in Betrieb nehmen. Allein die Steigerung des Wirkungsgrades um 15 Prozent gegenüber den leistungsfähigsten westdeutschen Kraftwerken spart nach Angaben eines Vorstandsmitgliedes so viel Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid ein, wie der Ersatz konventioneller Kohlekraftwerke durch die Nutzung der gesamten in Deutschland wirtschaftlich verfügbaren Windenergie.

Doch Braunkohle eignet sich nicht nur für die Verfeuerung in den großen Meilern der Kraftwerke. Auch Anlagen für die Kraft-Wärme-Kopplung lassen sich ab einer Leistung von 50 MW mit diesem fossilen Brennstoff wirtschaftlich und umweltgerecht betreiben. Daher könne, so die brandenburgische Landesregierung, Braunkohle auch für die kommunale Energiewirtschaft zur Erzeugung von Strom und Fernwärme an Bedeutung gewinnen.

Nachdem nun, drei Jahre nach Unterzeichnung des Stromvertrages, der Streit über die Neustrukturierung der ostdeutschen Stromwirtschaft beigelegt ist, müssen die Chancen zum Aufbau einer sicheren, wirtschaftlich vernünftigen und umweltpolitisch akzeptablen Energiewirtschaft genutzt werden. Die dazu notwendige Neustrukturierung der Elektrizitätswirtschaft muß sozialpolitisch tragbar bewältigt werden. Stadtwerke wie Stendal und Schwerin zeigen zwar, wie es gelingen kann, eine örtliche Energieversorgung aufzubauen, die ihren Kunden eine sichere und preiswürdige Versorgung mit Strom und Fernwärme gewährt. Doch viele Beschäftigte der regionalen Energieversorgungsunternehmen zweifeln heute noch daran, daß der Aufbau einer kommunalen Versorgungswirtschaft und die damit verbundene

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Übertragung von Anlagen und Netzen vom Regionalversorger auf lokale Stadtwerke auch Arbeitnehmern eine zukunftssichere Perspektive bieten.

Dieses Mißtrauen hat viele Ursachen. Zum einen sorgen sich die Beschäftigten um den Bestand der Regionalunternehmen nach Ausgliederung der Stadtwerke. Zum anderen sind viele Arbeitnehmer noch nicht von der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit kommunaler Unternehmen überzeugt. Hier wirkt nach, daß selbst Bürgermeister kleiner Gemeinden für eine eigene Energieversorgung eingetreten sind, zum Teil von Beratern unterstützt, die sich unsachgemäß auf Positionen kommunaler Spitzenverbände berufen haben. So konnten sich Vorstellungen entwickeln, deren Umsetzung beim Aufbau kommunaler Energieversorgungsunternehmen die wirtschaftliche Existenz der Regionalversorger gefährdet hätte. Zudem, so der Leiter der Landeskartell-Behörde in Brandenburg, sei wohl auch damit spekuliert worden, mit der politischen Entscheidung für die Gründung von Stadtwerken Strompreise rechtfertigen zu können, die über den Wettbewerbspreisen lägen. Auf der anderen Seite sahen sich einige Kommunen, die beim Wirtschaftsministerium ihres Bundeslandes einen Antrag auf Erteilung der § 5-Genehmigung für die Aufnahme des Versorgungsbetriebes gestellt hatten, unzulässig gegängelt. So soll der in Dessau aktive Regionalversorger angedeutet haben, er könne mit seinen Verbindungen zur Landesregierung die Erteilung der § 5-Genehmigung verhindern. Auch in anderen Städten und Gemeinden wurde offenbar der - falsche - Eindruck erweckt, die Erteilung der § 5-Genehmigung hänge von der Zustimmung des jeweiligen Regionalversorgers ab.

Nach einer Phase harter, nicht immer fair geführten Auseinandersetzungen, in der auch Mißverständnisse, Irrtümer und Illusionen zur Verhärtung der Fronten beigetragen haben, hängt es nun von der Kooperationsbereitschaft und dem Geschick der Beteiligten ab, die Entwicklung einer leistungsfähigen dreistufigen Versorgungsstruktur mit überregionalen Verbundunternehmen, Regionalversorgern und Stadtwerken voran zu bringen. Dabei können Kooperationen zwischen Vertretern der Kommune, der zuständigen Gewerkschaft ÖTV, der Betriebs- und Personalräte sowie der Regionalversorger sicherlich ebenso helfen wie die Einrichtung von Landesenergiebeiräten, in denen die Versorgungsunternehmen zusammen mit den politischen und gewerkschaftlichen Vertretern Rahmenziele für ein Landesenergiekonzept beraten. Diese Beratungen und Abstimmungen tragen dazu bei, Fehlentwicklungen zu verhindern, Mißverständnisse auszuräumen und Illusionen mit rationaler Argumentation abzubauen.

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Wie der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete des niederlausitzischen Wahlkreises Calau-Senftenberg-Spremberg hervorhebt, stützt sich die Zukunft der ostdeutschen Stromwirtschaft auf die kommunale Energieversorgung und auf die Braunkohlenverstromung - dies gilt es nun, unter Beweis zu stellen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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