FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




III. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der EURO-REGION Neiße - Darstellung der Kooperation und ihrer Probleme an ausgewählten Sachbereichen

3. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der EUROREGION NEISSE



Page Top

3.1 Kommunikation

Bedingt durch ihre jeweiligen nationalen Randlagen, die den Informationsaustausch zwischen Zentrum und Grenzraum beeinträchtigen, hat grenzüberschreitende Kommunikation für Grenzgebiete eine wichtige Funktion zur Erweiterung der eigenen Entwicklungsspielräume. Grundvoraussetzung ist jedoch zweierlei:

  1. Man muß mit dem Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze kommunizieren wollen und

  2. die Kommunikation muß faktisch möglich sein.

Im deutsch-tschechoslowakischen und mehr noch im deutsch-polnischen Verhältnis werfen beide Punkte Probleme auf.

Am 10.4.1992, am Tage des Kongresses in Zittau, schrieb Adam Krzeminski, Redakteur der Zeitung "Polityka" in der Wochenzeitung "DIE ZEIT" folgendes: "Man kann natürlich mit der Gegenwart beginnen, mit der Gegenüberstellung des

[Seite der Druckausgabe: 32]



EUROREGION NEISSE
Euroregion-Neisse[Graphik vergrößern]



[Seite der Druckausgabe: 33]

deutschen und des polnischen Potentials, mit dem Dickicht der Mißverständnisse und historisch-psychologisch bedingten Verdächtigungen. Wir haben zwar den Nachbarschaftsvertrag, Pläne für die Zusammenarbeit, eine Euro-Region in Zittau und dergleichen mehr, aber die Leichen im Keller rühren sich immer wieder, sobald es konkret wird".

Mentale Kommunikationsbarrieren in einem Grenzraum, der extrem unter historischen Altlasten zu leiden hat, dessen Bevölkerung durch Flucht, Vertreibungen und Zwangsbesiedlung ihre einstmals bestehenden Bindungen über die Grenzen hinweg eingebüßt hat, in dem sich die Menschen zwangsläufig als Fremde begegnen, müssen wohl als dieser Situation angemessene Normalität betrachtet werden. Es wird lange dauern und viel Geduld und guten Willen aller Beteiligten erfordern, diese Barrieren abzubauen. Mit dem Hinweis auf ökonomische oder regionalpolitische Effizienz grenzüberschreitender Zusammenarbeit allein dürften jedenfalls bestehende Ängste vor dem Nachbarn und kommunikative Zurückhaltung nicht zu überwinden sein.

Schließlich muß man sich begegnen können, miteinander kommunizieren können. Im deutsch-polnisch-tschechischen Grenzraum ist das - allen politischen Veränderungen zum Trotz - immer noch nicht problemlos: fehlende Grenzübergänge und Brücken hindern an der Begegnung, mangelnde Sprachkenntnisse erschweren den Dialog.

Page Top

3.1.1 Fehlende Grenzübergänge

Das Problem fehlender Grenzübergänge wird einhellig als einer der bedeutendsten entwicklungshemmenden Faktoren in der EUROREGION NEISSE bewertet. Wer, um beispielsweise von Zittau nach Liberec zu gelangen, einen Umweg fahren muß, der etwa das Doppelte der eigentlichen Fahrtstrecke ausmacht, wird auf den grenzüberschreitenden Kontakt häufig von vornherein verzichten. Tut er es nicht, gehört er zu denjenigen, die dazu beitragen, die Umweltbedingungen seiner Mitmenschen, die an den wenigen Transitstrecken leben, bis an die Grenzen des Zumutbaren zu belasten. Die Bewohner von Görlitz/Zgorzelec oder Rumburk erfahren das täglich.

Das Beispiel Zittau steht für andere: Seit mehr als einem Jahr gelingt es nicht, einen Grenzübergang zwischen Zittau und Hradek (Grottau) in der CSFR, verbunden durch ein etwa 1.000 Meter langes Teilstück auf polnischem Gebiet, zu eröffnen. Der Weg nach Liberec würde sich dadurch für die Zittauer Bürger um mehr als 50 km verkürzen. Jetzt wird über eine provisorische bilaterale deutsch/böhmische Verbindung mit einer Behelfsbrücke nachgedacht, eine Lösung eigentlich nicht im Sinne einer trilateral kooperierenden Grenzregion.

In der Frage der Grenzübergänge haben sich politische Absichtserklärungen und verwaltungsmäßige Umsetzung auseinanderentwickelt. Beschleunigte Verfahren zur Einrichtung neuer Übergangsstellen für den Straßen- und Bahnverkehr aber

[Seite der Druckausgabe: 34]

auch für Fußgänger, vor allem im Bereich des Tourismus, sind absolut vordringlich.

Page Top

3.1.2 Abbau von Sprachbarrieren

Sprachbarrieren in Grenzräumen bestehen fast überall in Europa. Sie durch Verordnung zum Erlernen einer einzigen Sprache, welche auch immer das sein könnte, abbauen zu wollen, erscheint in einem Europa, dessen Regionen sich immer stärker ihrer selbst bewußt werden, kein gangbarer, wohl auch kein wünschenswerter Weg zu sein. Allenfalls könnte eine gemeinsame Sprache als Drittsprache angeboten werden.

Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit, die Fähigkeit in Grenzräumen mit dem Nachbarn in dessen eigener Sprache kommunizieren zu können, sind eher geeignet, Verständnis füreinander zu wecken. Diese Erkenntnis haben inzwischen alle Grenzregionen gewonnen und versuchen sie praktisch umzusetzen, wobei der Jugendarbeit im schulischen, vor- und außerschulichen Bereich besondere Bedeutung zukommt.

Der Landkreis Görlitz hat mit dem "Spiel-Sprach-Mobil" ein sehr interessantes Konzept entwickelt, das sowohl Kinder im Vorschulalter als auch ältere bzw. bereits fremdsprachlich vorgebildete Kinder spielend mit der polnischen, der deutschen und der englischen Sprache vertraut machen soll. Das Mobil wird gleichermaßen im polnischen wie im deutschen Teil der Region zum Einsatz kommen.

Page Top

3.2 Kooperation im Hochschul- und Wissenschaftsbereich

Zwischen den Hochschulen der EUROREGION NEISSE und jenen der angrenzenden Regionen hat sich bereits ein enges Beziehungsgeflecht entwickelt. Dieses über den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse für die EUROREGION nutzbar zu machen, ist erklärtes Ziel der Hochschulen.

Innerhalb der EUROREGION NEISSE bieten sich direkte Kooperationen zwischen der Technischen Hochschule Zittau bzw. ihrer künftigen Nachfolgerin, der Hochschule für Technik und Wirtschaft mit Standorten in Zittau und Görlitz sowie den Hochschulen TU Liberec und der Ökonomischen Fakultät Jelenia Gora der Ökonomischen Akademie Oscar Lange an.

Die Intensivierung der Zusammenarbeit ist in vier Stufen vorstellbar:

  1. Bilaterale vertragliche Zusammenarbeit zwischen jeweils zwei Hochschulen;

  2. Forschungs- und Wissenschaftskoordinierung der Hochschulen im Dreiländereck;

[Seite der Druckausgabe: 35]

  1. Gründung eines internationalen deutsch-polnisch-tschechischen Hochschulinstitutes in Zittau;

  2. Gründung einer Konföderation der Universitäten und Hochschulen der EURO-REGION NEISSE.

Im Rahmen bilateraler Vereinbarungen haben sich bereits eine Reihe von Partnerschaften zwischen unterschiedlichen Lehrstühlen der Hochschulen entwickelt. Die Koordinierung von Forschung und Wissenschaft soll insbesondere durch das "Zentrum zur Koordinierung der Forschung der Hochschulen der EUROREGION NEISSE" mit Sitz in Liberec wahrgenommen werden. Wissenschaftler der drei Hochschulen versuchen in den Bereichen Umweltschutz und Entsorgung, Energiequellen und Energieverwendung, Regionale Wirtschaftspolitik, Bildung und Erziehung, Tourismus, multikulturelle Zusammenarbeit sowie Informatik ihre Erfahrungen auszutauschen und Forschungsschwerpunkte abzustimmen.

In zwei Pilotprojekten, dem Aufbau eines Datenkommunikationsnetzes im Dreiländereck sowie der Einrichtung einer Umweltdatenbank soll die Zusammenarbeit erste praktisch verwertbare Ergebnisse erbringen. Seitens der Hochschulen wird hier noch eine stärkere Mitarbeit der Region insbesondere bezüglich des Transfers der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis gewünscht.

Vorbereitet wird gegenwärtig die Gründung eines internationalen Hochschulinstitutes mit Sitz in Zittau, das bereits im Hochschulstrukturgesetz des Freistaates Sachsen vorgesehen ist. Das Projekt soll auch durch Bundesmittel gefördert werden und Studenten der drei Partnerhochschulen nach dem Vordiplom die Möglichkeit geben, die Fachrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik oder Betriebswirtschaft zu studieren, wobei jeweils Sprachstudien und ein Auslandspraktikum vorgesehen sind. Das Abschlußdiplom kann an jeder der Partnerhochschulen absolviert werden. Umfragen bei polnischen und tschechischen Studenten haben gezeigt, daß ihrerseits ein großes Interesse an einem solchen Studium vorliegt.

Neben Kontakten zu den Hochschulen im Dreiländereck strebt die Universität Zittau Partnerschaften mit der TU Wroclaw, der TU Gliwice und der Technischen Universität in Prag an. Auch hier bestehen bereits Partnerschaften zwischen verschiedenen Lehrstühlen technisch-naturwissenschaftlicher Disziplinen. Mit Hilfe von Fördermitteln des EG-Programms TEMPUS und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes sollen diese Kontakte gefestigt werden.

Dem Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft kommt, wie bereits erwähnt, eine Schlüsselfunktion bei der Entwicklung der EUROREGION NEISSE zu. Die Kooperation zwischen dem Unternehmenssektor sowie dem Wissenschafts- und Forschungsbereich bzw. Einrichtungen der Weiterbildung könnten dabei noch intensiviert werden. Drei vom Bundesminister für Wirtschaft mitinitiierte und -geförderte Projekte laufen in dieser Richtung derzeit an:

[Seite der Druckausgabe: 36]

  1. In Görlitz ist durch den BMWi eine Technologie- und Innovations-transferagentur - auch für grenzüberschreitenden Transfer - für zunächst fünf Jahre abgesichert worden. Zum Auftrag dieser Agentur gehört u.a. der grenzüberschreitende Transfer.

  2. Das sächsische Wirtschaftsministerium wird EG-Mittel für den Aufbau einer sächsischen Führungsakademie mit Sitz in der EUROREGION NEISSE zur Verfügung stellen, die auch polnischen und tschechischen Führungskräften offenstehen wird.

  3. Im April 1992 wurde das Projekt "Perlenschnur entlang der Neiße" gestartet. Es stellt eine Zusammenfassung vieler Einzelprojekte investiven Charakters mit grenzüberschreitender Bedeutung dar. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Sachsen in Dresden berät über dieses Vorhaben.

Die Idee zu einem zweijährigen Studium für polnische und tschechische Facharbeiter mit deutschen Sprachkenntnissen entstand in Weißwasser. Die dortige Ingenieur-/Fachschule will diesen Studiengang mit dem Abschluß "Staatlich geprüfter Techniker" anbieten.

Probleme bestehen mit der Finanzierung. Das Bildungsangebot der Ingenieurschule Weißwasser ist, da es sich um berufliche Bildung handelt, dem Landkreis zuzuordnen; dieser müßte finanzielle Mittel für das Projekt gewähren, was bei der gegenwärtigen Finanzsituation der Kreise kaum möglich ist. Der Staat Sachsen hat zugesagt, sich dieses Problems nochmals anzunehmen.

Page Top

3.3 Verkehr und Infrastruktur



Page Top

3.3.1 Straßenverkehr

Die Intensivierung der Ost-West-Beziehungen hat erhebliche Infrastrukturengpässe vor allem im Bereich der neuen EG-Außengrenzen deutlich werden lassen. Insbesondere handelt es sich um Flaschenhälse im Verkehr, deren Beseitigung einer Region erhebliche Impulse verleihen kann, da der Standortwettbewerb zwischen Regionen nicht zuletzt durch die Güte ihrer Verkehrsverbindungen entschieden wird.

Auf das äußerst drängende Problem zusätzlich erforderlicher Grenzübergänge sowohl in der EUROREGION NEISSE als auch im gesamten deutsch-polnischen bzw. deutsch-tschechischen Grenzraum wurde bereits hingewiesen. Um die Straßeninfrastruktur ist es ebenfalls schlecht bestellt.

Die Straßennetze wurden in der Zeit des Kommunismus allenfalls im jeweiligen Binnenland verbessert, in den Grenzräumen der drei Länder hingegen vernachlässigt.

[Seite der Druckausgabe: 37]

Ein bedeutender Schritt zur Verbesserung dieser Situation wäre der Bau von Autobahnen bzw. Schnellstraßen im Bereich der Städte Dresden - Görlitz - Boleslawiez und Cottbus - Zittau - Liberec im Zuge der Bundesstraße 178. Diese Maßnahmen erfordern hohe Mittel, werden sich wirtschaftlich spätestens jedoch dann auszahlen, wenn der noch fehlende ca. 20 km lange Streckenabschnitt zum vierspurigen Ausbau der Verbindung Liberec / Prag fertiggestellt ist. Damit wird dann zusammen mit der o.g. Nord-Süd-Verbindung ein weiterer Abschnitt der europäisch bedeutsamen großräumigen Strecke Stettin - Prag - Wien realisiert. Gleichzeitig würde durch diese Maßnahmen der dichtest besiedelte Teil der EUROREGION NEISSE mit dem deutschen Autobahnnetz verknüpft.

Page Top

3.3.1 Flug- und Bahnverkehr

Zur Anbindung der gesamten Region an den Flugverkehr ist bereits eine Studie über den möglichen Standort eines Flughafens im tschechischen Teil der EUROREGION vorbereitet.

Aus verkehrlichen und ökologischen Erwägungen müßte das Verkehrssystem der EUROREGION durch Modernisierung und Erweiterung des Bahnnetzes abgerundet werden. Der gegenwärtige Zustand der Bahnen ist sehr schlecht.

Die Kapazität der Strecke Zittau-Liberec müßte verdoppelt und für den multimodalen Verkehr vorbereitet werden. Für den Huckepackverkehr von LKWs sollten vor allem die Strecken Turnov - Liberec - Zittau - Görlitz bzw. Bischofswerda -Görlitz - Jelenia Gora vorgesehen werden. Weitere wichtige Eisenbahnverbindungen für den Transport von Gütern in der Region sind Liberec - Frydlant - Zawidow, Liberec - Tanvald - Szklarska Poreba und Liberec - Frydlant - Smirst. Die genannten Strecken sind jedoch alle renovierungsbedürftig.

Insgesamt wäre es notwendig, für die Region unter Einbeziehung aller Verkehrsträger eine gemeinsame grenzüberschreitende Verkehrsplanung zu erarbeiten.

Page Top

3.3.3 Immaterieller Verkehr

Neben dem materiellen sollte dem Aufbau eines Netzes für den immateriellen Verkehr große Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Mit Priorität ist dabei an eine Datenübertragungsleitung zwischen Görlitz und Prag über Liberec zu denken. Ein gut ausgebautes Telekommunikationsnetz käme der gesamten Region zugute, wobei insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Banken aber auch zwischen den Städten von der Modernisierung der Informationsnetze profitieren könnte.

[Seite der Druckausgabe: 38]

Page Top

3.4 Umwelt und Tourismus



Page Top

3.4.1 Umweltprobleme in der EUROREGION NEISSE

Umwelt und Tourismus stehen in der EUROREGION NEISSE in einer engen Beziehung zueinander: Dank der landschaftlichen Prägung der Region könnte sich der Tourismus zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor entwickeln - vorausgesetzt, die Umweltbedingungen verbessern sich spürbar.

Gegenwärtig sind es vor allem industriell verursachte Luft- und Wasserverunreinigungen, die der Entfaltung des Tourismus entgegenwirken. Die früheren Regierungen maßen der Umwelt wenig Bedeutung bei; Investitionen in den technischen Umweltschutz fanden so gut wie nicht statt. Unter dieser Mißachtung der Umwelt von damals hat der Tourismussektor der Region heute, im Wettbewerb mit anderen Regionen stehend, zu leiden. Die Beeinträchtigung der Umwelt im Dreiländereck ist in erster Linie auf S02-lmmissionen aus Kraftwerken in den Grenzbereichen aller drei Staaten zurückzuführen. Der sofortige Einbau von Entschwefelungsanlagen oder die Abschaltung von Kraftwerken sind die Alternativen, durch die eine ökologische Katastrophe doch noch abgewendet werden könnte. Darüber hinaus sind Umweltprogramme erforderlich, die sowohl von den drei nationalen Regierungen als auch der EG mitfinanziert werden sollten.

Die Lösung der Umweltprobleme sollte - und wird - jedoch auch aus der Region selbst vorangetrieben werden. In allen Teilgebieten der EUREGION NEISSE haben sich inzwischen Umweltschutzgruppen gebildet. Nicht zuletzt diese Gruppen waren es, die der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Region wichtige Impulse verliehen haben. Es bietet sich an, in Jelenia Gora, wo bereits vor der Wende ein ökologisches Zentrum bestand, im Herbst dieses Jahres ein Treffen aller Umweltschutzgruppen der Region zu veranstalten und Bilanz über das bislang Erreichte zu ziehen.

Page Top

3.4.2 Notwendige Verbesserung des Tourismusangebotes

Neben der Umwelt ist das touristische Produkt selbst zu verbessern. Vor 100 Jahren war der Tourismus im Dreiländereck zu Hause. Heute genügen die Hotelkapazitäten in der Region, speziell im polnischen und tschechischen Teilgebiet, häufig qualitativ nicht internationalen Ansprüchen. Insbesondere in Polen muß ein neuer Ansatz in der Tourismuspolitik gefunden werden, der der Rolle des Tourismus als bedeutendem Wirtschaftszweig gerecht wird. Die Einrichtungen regionaler, auch grenzüberschreitender, Tourismusförderagenturen - etwa eine sudetische Tourismuskammer -, laufende Kontrollen der Beherbergungsbetriebe zur Einhaltung guter Servicestandards oder die Entwicklung von attraktiven Programmen für Besucher der Region könnten Bestandteile eines solchen Ansatzes sein.

Auch das polnische Projekt, in Jelenia Gora ab 1993 Manager im Tourismusbereich auszubilden, weist in die richtige Richtung.

[Seite der Druckausgabe: 39]

Page Top

3.5 Weitere Formen und Probleme grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der EUROREGION NEISSE und anderen Grenzregionen

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit entfaltet besondere integrative Effekte in einer Region, wenn sie von der Basis, den Bürgern beiderseits der Grenzen, initiiert und mitgetragen wird. Für den deutsch-polnischen aber auch für den deutsch-tschechischen Raum sind die direkten Kontakte zwischen den Menschen - etwa im Rahmen kleinerer überschaubarer Projekte - von außerordentlicher Bedeutung. Beispielhaft für viele Initiativen dieser Art sei auf zwei Projekte in der EUROREGION NEISSE verwiesen: Um Gedankenaustausch und Begegnungsmöglichkeiten zwischen Jugendlichen im Grenzgebiet zu fördern, hat es sich eine Gruppe deutscher, polnischer und tschechoslowakischer Bürger zum Ziel gesetzt, im Dreiländereck geeignete räumliche Möglichkeiten für einen solchen Austausch zu finden. Geeignete Objekte in allen Teilgebieten der EUROREGION werden von diesen Bürgern in Eigenarbeit zu Jugendbegegnungsstätten umgestaltet.

Ein weiteres Basisprojekt ist die Erarbeitung eines "Euroregionsadressbuches", in dem als "Informationsinstrument von unten" alle diejenigen Gruppen erfaßt werden sollen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der Basis betreiben. Das Buch ist inhaltlich fertiggestellt und muß noch gedruckt werden. Eine Förderung durch die EUROREGION NEISSE ist vorgesehen.

Die Zunahme grenzüberschreitender Kooperation und Verflechtungen bringt viele sicht- und erlebbare Vorteile für die Menschen in der Region mit sich, weckt jedoch in dem einen oder anderen Bereich auch Befürchtungen. Der Arbeitsmarkt ist solch ein sensibler Bereich. Insbesondere von den polnischen und tschechischen Nachbarn wird nachdrücklich der Wunsch und die Notwendigkeit grenzüberschreitender Arbeitsmärkte betont, die vor allem den qualifizierten Facharbeitern dieser Länder neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen könnten. Von der deutschen Seite wird auf diesen Wunsch eher verhalten reagiert, da vor allem unterschiedliche Lohnstrukturen einen Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt hervorrufen könnten, der allen Bemühungen zu stärkerer politischer und sozialer Integration im Grenzraum zuwider laufen könnte. Mit dem Argument unterschiedlicher Lohnkosten sollten, um nicht mißverstanden zu werden, keine neuen Marktzutrittsbarrieren für Arbeitnehmer im Grenzraum errichtet werden; das Problem sollte aber mit eben jener Geduld angegangen werden, die für die gesamte grenzüberschreitende Zusammenarbeit im deutsch-polnisch-tschechischen Grenzraum unentbehrlich ist.

Auch von einer Institution wie der EUROREGION NEISSE sollten weder in dieser noch in anderen Fragen Patentlösungen erwartet werden. Die EUROREGION ist beschränkt in ihren Möglichkeiten, auftretende Probleme selbst zu lösen. Was sie aber tun kann und sollte, ist, durch Kontakte, Interventionen oder Informationsübermittlung gezielt alle Entscheidungsträger im Bereich von Politik und Verwaltung auf bestehende Defizite hinzuweisen und damit in der Wirtschaft und

[Seite der Druckausgabe: 40]

auf allen Verwaltungsebenen zur Umsetzung von positiven Entwicklungen beizutragen.

Ein Instrument, das sich bereits an anderen Grenzen Deutschlands hervorragend in diesem Sinne bewährt hat, ist die Erarbeitung eines Kataloges alltäglicher Grenzprobleme und deren systematische Abarbeitung. Eine solche Auflistung, möglichst vollständig und fortschreibungsfähig, könnte kontinuierlich mit den Regierungen diskutiert und/oder zur Grundlage von entsprechenden Anfragen an Politik und Verwaltung gemacht werden.

Wenn in der bisherigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Dreiländereck der Eindruck entstanden sein sollte, daß die bilateralen Kooperationen zwischen Deutschland und Polen bzw. Deutschland und der CSFR besser funktionieren als die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den polnischen und den tschechischen Nachbarn und somit die Gefahr einer deutschen Dominanz drohen könnte, so sollte dabei bedacht werden, daß an den deutschen Grenzen aufgrund der vielen Grenznachbarn - Deutschland hat die meisten Grenznachbarn in Europa - über Jahrzehnte bereits ein erheblicher Erfahrungsschatz in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gesammelt werden konnte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

Previous Page TOC Next Page