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TEILDOKUMENT:




I. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa - Entwicklung, Formen und Intrumente

1. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg

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1.1 Probleme grenzüberschreitender Zusammenarbeit

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit findet heute in allen westeuropäischen Staaten statt: Vom Länderdreieck Schwedens, Norwegens und Finnlands im hohen Norden Europas bis zur Grenze zwischen Spanien und Portugal haben sich eine Vielzahl unterschiedlicher Kooperationsformen über die Staatsgrenzen hinweg entwickelt, denen ein Grundanliegen gemeinsam ist - die mit der Lage an einer Grenze verbundenen Nachteile für die dort lebenden Menschen abzubauen und durch vereintes Bemühen Lebensbedingungen in diesen Gebieten zu schaffen, die den jeweiligen innerstaatlichen Lebensumständen und Lebenschancen entsprechen.

Die Nachteile, mit denen Menschen in Grenzräumen zu kämpfen haben, lassen sich - generalisierend - beschreiben als wesentliche Begrenzung ihrer möglichen Aktionsräume und -möglichkeiten durch die Grenzen im Vergleich zu Bewohnern des Binnenlandes, die derartige Beeinträchtigungen nicht kennen. Das gilt sowohl für Arbeitsmärkte als auch für Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten; die Wahl der Wohnung unterliegt häufig ebenso räumlichen Einschränkungen wie die Nutzung kultureller Angebote oder insbesondere sozialer Einrichtungen mit Problemen verbunden ist.

Die Bewohner der Grenzgebiete spüren am stärksten die Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme, der Verwaltungsstrukturen und des Verwaltungshandelns. Nationale Finanz-, Wirtschafts- und Währungssysteme erschweren ihnen das Leben sowohl in ihrer Rolle als Konsument als auch als Unternehmer.

Der Blick über die Grenzen ist zwar grundsätzlich möglich, der Weg auf die andere Seite jedoch immer noch vielfach mit Stolpersteinen unterschiedlichster Art gepflastert.

Die Staaten Westeuropas erkannten schon früh nach dem 2. Weltkrieg, daß die Lebensumstände der Menschen in den Grenzregionen nur durch Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg zu verbessern waren. Der Prozeß der Umsetzung dieser Erkenntnis in praktische Politik erwies sich jedoch als außerordentlich schwierig:

Zu groß war und ist häufig noch das Mißtrauen gegenüber dem Nachbarstaat, zu verwurzelt die Angst, anstelle gemeinsamen Nutzens würden alte Formen politischen Dominanz- und Hegemonialstrebens wiedererstehen können.

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Letztlich behielt die Einsicht in die Notwendigkeit grenzüberschreitender Kooperation die Oberhand, wobei - auch in Westeuropa - Reste jenes alten Mißtrauens bisweilen auch heute noch zu spüren sind. Mißtrauen behindert insbesondere den Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an den Grenzen zu Mittel- und Osteuropa.

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1.2 Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Westeuropa

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit vollzieht sich in Westeuropa auf staatlicher, staatlich/regionaler, regional/kommunaler und lokaler Ebene.

Staaten arbeiten im grenzüberschreitenden Bereich vorzugsweise in Form bi- oder trilateraler Regierungskommissionen oder als Raumordnungskommissionen zusammen.

Beispielhaft aus dem deutschen Grenzraum sind hier zu nennen die Deutsch-Französisch-Schweizerische Regierungskommission (gebildet 1975) am Ober- und Hochrhein oder die Deutsch-Französisch-Luxemburgische Regierungskommission (1970/71), deren regionaler Arbeitsbereich den Grenzraum Saarland/Südwestteil Rheinland-Pfalz/Lothringen/Luxemburg umfaßt.

Regierungskommissionen, deren geographische Handlungsräume sich - nach unterschiedlichen Kriterien abgegrenzt - entlang den Grenzen ihrer Staatsgebiete erstrecken, behandeln im allgemeinen recht umfangreiche Aufgabenkataloge. So setzt sich die Deutsch-Französisch-Schweizerische Regierungskommission beispielsweise mit Fragen von Raumordnung, Umwelt, regionaler Wirtschaftspolitik, Energie, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Arbeits- und Sozialfragen, Errichtung industrieller und landwirtschaftlicher Betriebe, Städtebau und Siedlungswesen, Wohnungsbau, Bodenpolitik, Unterrichtswesen, Berufsausbildung und Forschung, Gesundheitswesen, Kultur, Freizeit, Sport und Fremdenverkehr sowie der Katastrophenhilfe auseinander.

Die Ergebnisse dieser Diskussionen finden ihren Niederschlag in Empfehlungen, die - im Wege der Selbstbindung - jeweils national durch die entsprechenden zuständigen Institutionen und Gremien umgesetzt werden sollen. Darüber hinaus bereiten die Kommissionen durch ihre Erörterungen inhaltlich zwischenstaatliche Übereinkommen vor.

Staatliche Raumordnungskommissionen, wie etwa die Deutsch-Belgische Raumordnungskommission (1971) oder die Deutsch-Niederländische Raumordnungskommission (1977) unterscheiden sich von Regierungskommissionen durch ihre Spezialisierung auf Fragen der grenzüberschreitenden Raumordnung. Da Raumordnung eine Querschnittsaufgabe darstellt, deren wichtigste Funktion die räumliche Integration raumrelevanter Fachplanungen ist, weisen auch sie ein breites Spektrum von Aufgabenfeldern auf.

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Gemäß ihrer Geschäftsordnung soll die Deutsch-Niederländische Raumordnungskommission insbesondere

  • zu den Zielvorstellungen und Maßnahmen der Raumordnung zur Verbesserung der raumstrukturellen Verhältnisse im Grenzgebiet, insbesondere mit den Mitteln der räumlichen Planung, beitragen,
  • die beiden Staaten auf dem Gebiet der Raumordnung einander näher bringen und
  • Beiträge für eine Europäische Raumordnungskonzeption liefern.

In der praktischen Arbeit bedeuten diese Vorgaben, daß sich die Kommission vor allem mit Fragen der grenznahen und grenzüberschreitenden Siedlungsentwicklung, mit Problemen des grenzüberschreitenden Verkehrs - insbesondere auch im nationalen und internationalen Kontext -, mit der regionalen Wirtschaftsentwicklung oder - mit wachsender Bedeutung - mit Formen und Problemen des grenzüberschreitenden Natur- und Umweltschutzes zu befassen hat.

Die Arbeit von Raumordnungskommissionen ist für die betreffenden Grenzgebiete insofern von hervorgehobener Bedeutung, als es deren Aufgabenstellung entspricht, für den jeweiligen Kommissionsbereich räumlich-sektoral integrierte Leitbilder zu entwerfen und für deren Einpassung in den jeweiligen nationalen und auch internationalen Rahmen Sorge zu tragen.

Schneller und umfassender Austausch von Informationen, offene und frühzeitige Konsultationen des Nachbarn hinsichtlich eigener Vorhaben sowie der feste Wille zur gutnachbarlichen Abstimmung über eigene Vorhaben und Planungen zu kommen, sind wesentliche Voraussetzungen für die erfolgreiche Arbeit in Raumordnungskommissionen.

Neben den bereits erwähnten deutsch-belgischen und deutsch-niederländischen Kommissionen sind im europäischen Raum vor allem die grenzüberschreitenden Tätigkeiten des Nordischen Rates, der bereits zu Beginn der 50er Jahre gegründet wurde und die der "Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)" zu nennen;

letztere wurde 1972 gegründet und stellt - wie auch die "Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria" - eine der wohl kraftvollsten und politisch bedeutsamsten Formen der Zusammenarbeit nicht nur im Alpenbogen, sondern in Europa insgesamt dar.

Die staatlich/regionale Ebene der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wird repräsentiert durch grenzüberschreitende Kooperationen staatlich/regionaler Verwaltungsbehörden und von Kommunalverbänden. Beispiele hierfür sind die regionale Zusammenarbeit in "Nordkalotten" am Polarkreis sowie den skandinavischen Ländern und die Euregio Maas-Rhein - ein grenzüberschreitender Zusammenschluß im Dreieck der Länder Belgien, Deutschland und Niederlande -, deren Träger der Regierungspräsident Köln sowie die Provinzen Lüttich, Belgisch- und Niederländisch-Limburg sind.

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Mit der "Regio Basiliensis" hat sich im Oberrheingebiet eine aus französischen, schweizerischen und deutschen Mitgliedern bestehende Vereinigung auf der staatlich/regionalen Ebene etabliert, deren Wirken weit über die Grenzen dieses Gebietes hinaus bekanntgeworden ist und die wichtige Grundlagen für die Arbeiten der ihr Gebiet berührenden Regierungskommissionen geliefert hat.

Die Formen der staatlich/regionalen Zusammenarbeit bieten den Vorteil relativ kurzer und direkter Verbindungswege zwischen regionalen und nationalen Behörden bzw. im föderativen Aufbau der Bundesrepublik zwischen den Verwaltungen auf regionaler Ebene und auf Landesebene.

Zusammenarbeit auf der regional/kommunalen Ebene bietet gegenüber der staatlich/regionalen Form der Kooperation vor allem einen ganz wesentlichen Vorteil: Es hat sich im Laufe der Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als unumstößliche Tatsache herausgestellt, daß diese umso erfolgreicher ist, je stärker sie von der Basis in der Region, d.h. den in den Dörfern und Städten lebenden Menschen beiderseits der Grenzen mitgetragen wird. Identifizierung der Bürger mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erfordert daher deren "Bürgernähe". Regional/kommunale grenzüberschreitende Zusammenschlüsse sind in hohem Maße in der Lage, diese Bürgernähe zu vermitteln, insbesondere dann, wenn in ihnen die Parlamentarier aller Ebenen mitwirken.

In dem Modell regionaler/kommunaler grenzüberschreitender Zusammenarbeit, das beispielsweise im deutsch/niederländischen Grenzraum, etwa in der EUREGIO, der Grenzregio Rhein-Maas-Nord, der Regio Rhein-Waal oder der Ems-Dollart-Region recht erfolgreich arbeitet, verfolgen kommunale Zusammenschlüsse in enger Abstimmung mit regionalen Behörden und z.T. auch den Industrie- und Handelskammern grenzüberschreitend umfangreiche Aufgabenbereiche wie etwa Fragen alltäglicher Grenzprobleme vor allem von Grenzpendlern, Fragen des Umweltschutzes und der Touristik in der Region, vom Sport, Kultur und aus dem sozialen Bereich bis hin zu grenzüberschreitenden Verkehrsproblemen und möglichen Formen gemeinsamer Ver- und Entsorgung. Sie beschränken sich dabei ausschließlich auf die Behandlung grenzüberschreitender Fragen und leisten dadurch wertvolle Zuarbeit für die kommunalen, regionalen und nationalen Behörden.

Reine lokale Zusammenarbeit findet sich vor allem dort, wo Kommunen grenzüberschreitend eng umrissene, sie spezifisch betreffende Probleme im eigenen Kompetenzbereich lösen wollen. Der Bau gemeinschaftlich genutzter und auch finanzierter Kläranlagen zur grenzüberschreitenden Wasserreinhaltung ist hierbei als ein Beispiel zu nennen. Kooperation zwischen Gemeinden im grenzüberschreitenden öffentlichen Personennahverkehr wie die Einrichtung gemeinsamer Buslinien fallen ebenfalls in diese Kategorie.

Eine Intensivierung der reinen kommunalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist gegenwärtig im nordrhein-westfälisch/niederländischen Grenzraum zu beobachten: Zwischen Aachen und Heerlen wird die Planung und Einrichtung

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eines gemeinsamen grenzüberschreitenden Gewerbegebietes vorbereitet. Die Städte Kerkrade und Herzogenrath haben sich gutachterlich über eine gemeinsame zukünftige Entwicklungskonzeption unter dem Namen "EURODE" beraten lassen. Diese Entwicklungskonzeption bezieht neben Einzelprojekten erstmals auch die Möglichkeiten gemeinsamer grenzüberschreitender Flächennutzungsplanung ein.

In der Niederrhein-Region haben die niederländische Stadt Nijmegen und die deutsche Gemeinde Emmerich eine Absichtserklärung unterzeichnet, bei der gemeinsamen Planung und Betreibung eines Güterverkehrszentrums grenzüberschreitend zu kooperieren.

Es ist kein Zufall, daß gerade im deutsch-niederländischen Bereich - vor allem in den dichter besiedelten Grenzabschnitten - die Kooperationen zwischen Kommunen zunehmen, da hier auf der Grundlage des "Europäischen Rahmenübereinkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften" des Europarates mit dem "Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Niedersachsen, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Königreich der Niederlande über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen" eine Grundlage geschaffen wurde, die es den Kommunen erstmals ermöglicht, ohne jeweils speziell für Einzelzwecke abzuschließende Staatsverträge im eigenen Kompetenzbereich auf öffentlich-rechtlicher Basis zusammenzuarbeiten (vgl. dazu unten).

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß grenzüberschreitende Kooperation dort am besten funktionieren kann, wo eine möglichst breite Grundlage aller Zusammenarbeitsformen existiert und die kommunale, regionale und nationale Zusammenarbeit von unten nach oben und von oben nach unten im "Gegenstromprinzip" erfolgt. Da diese Situation im deutsch-niederländischen Grenzraum gegeben ist, soll die deutsch-niederländische Zusammenarbeit nochmals als ein funktional sich ergänzendes hierarchisches schon relativ ausdifferenziertes System räumlicher grenzüberschreitender Planung dargestellt werden.

Die deutsch/niederländische Zusammenarbeit ist vor allem deshalb erfolgreich, weil in sie alle Ebenen möglicher Kooperationsformen intensiv einbezogen sind. Auf der staatlichen Ebene werden in der Deutsch-Niederländischen Raumordnungskommission
- Hauptkommission - jährlich ein- bis zweimal Fragen und Probleme von nationalem Interesse miteinander erörtert. Die Einbeziehung der regionalen - und auch der kommunalen - Ebene in diesen nationalen Informationsaustausch sichern zwei sog. Unterkommissionen Nord und Süd, deren mehrmalige jährliche Sitzungen einen aktuellen und fließenden Dialog über die Grenze hinweg garantieren. Neben dieser staatlich/regionalen Ebene arbeiten sehr erfolgreich die bereits erwähnten fünf grenzüberschreitenden regional/kommunalen bzw. regionalen Zusammenschlüsse. Durch halbjährliche Treffen wird die Koordination zwischen den staatlichen Raumordnungskommissionen und dieser regionalen Ebene sichergestellt. Beide Seiten haben festgestellt, daß diese Erörte-

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rungen inhaltlich von so erheblicher Bedeutung sind, daß die Frage der Mitgliedschaften der grenzüberschreitenden Zusammenschlüsse in den Raumordnungskommissionen baldmöglichst diskutiert werden sollte.

Ganz neue Formen der Zusammenarbeit haben sich seit ca. zwei bis drei Jahren an bestimmten Schwerpunkträumen grenzüberschreitender Verflechtung im nordrhein-westfälisch/niederländischen Grenzraum entwickelt. Im sog. Städtedreieck zwischen Münster, Osnabrück und Enschede/Hengelo und intensiver noch im Bereich der Städte Maastricht/ Heerlen - Aachen- Lüttich- Hasselt/ Genk (MHAL) soll die städtebauliche Zusammenarbeit zu einer höheren Ebene der grenzüberschreitenden Kooperation führen. In diese Initiativen sind die Staaten/Länder, die Regionen und die Kommunen einbezogen. Zielsetzung für MHAL beispielsweise ist die Erarbeitung einer gemeinsamen grenzüberschreitenden räumlichen Entwicklungsperspektive für die Gemeinden und Städte in diesem Raum und deren Umsetzung durch bedeutende strategische Projekte in den Bereichen städtische Zusammenarbeit, Verkehr und Transport, Umwelt, ländliche Räume, Wirtschaft sowie Tourismus und Erholung.

Im Verlauf der bisherigen Zusammenarbeit hat sich gezeigt, daß diese Form intensiver Kooperation mit den bisher zur Verfügung stehenden Instrumenten allein nur unbefriedigend durchgeführt werden kann. Es deutet sich die Notwendigkeit an, die Organisation der grenzüberschreitenden Planung dem neuen intensiven Aufgabenspektrum anzupassen. In Nordrhein-Westfalen wird daher gegenwärtig im Rahmen eines Gutachtens geprüft, welche Formen gemeinsamer grenzüberschreitender und verbindlicher Regionalplanung zukünftig denkbar sein könnten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung und die Umsetzung dieser Ziele dürften auch für andere Regionen an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland von erheblichem Interesse sein und für die europäische Integration Modellcharakter haben.

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1.3 Zur Rolle des Europarates und der Europäischen Raumordnungsministerkonferenz



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1.3.1 Schwerpunkte der Tätigkeit für die Grenzgebiete

Der Europarat hat sich seit seiner Gründung im Jahre 1949 intensiv mit der Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedstaaten beschäftigt. Das gilt sowohl für das Ministerkomitee als auch die Parlamentarische Versammlung und das Generalsekretariat, die durch die Arbeit in den parlamentarischen Gremien und durch Bildung von Fachausschüssen und Arbeitsgemeinschaften sehr differenzierte und grundlegende Beiträge für diesen Bereich europäischer Politik zur Verfügung gestellt und dabei die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in maßgeblicher Weise gefördert haben.

Bemerkenswert ist, daß die Problematik der Benachteiligung von Grenzregionen vor allem durch die Vertreter der regionalen und kommunalen Ebenen in den Europarat eingebracht und durch sie auf Lösungsansätze gedrängt wurde. Hier hat

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vor allem die "Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen" nach 1972 bemerkenswerte Arbeit geleistet.

Die Arbeit des Europarates konzentrierte sich vor allem auf:

  • die Europäischen Konferenzen der Grenzregionen;
  • die Erarbeitung eines exemplarischen Rechtsrahmens zur grenzüberschreitenden Kooperation: Das europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften;
  • die Fachministerkonferenz für Raumordnung (Europäische Raumordnungsministerkonferenz, EMKRO).


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1.3.2 Europäische Konferenzen der Grenzregionen

Die Europäischen Konferenzen der Grenzregionen:

Es war die Beratende Versammlung (heute: Parlamentarische Versammlung), die 1971 die Durchführung einer Konferenz empfahl, die sich speziell mit Problemen der Grenzregionen befassen sollte. Diese Konferenz fand 1972 in Straßburg statt. Es folgten bis heute vier weitere Konferenzen, und zwar: 1975 in Innsbruck; 1984 in Borken; 1987 in Saragossa und 1991 in Rovaniemi (Finnland). Die 6. Konferenz soll 1993 oder 1994 an der Grenze zu den GUS-Staaten durchgeführt werden.

Thematisch wurden im Rahmen dieser fünf Konferenzen der Grenzregionen folgende Schwerpunkte erörtert:

  • Bestandsaufnahme der Probleme; Ebenen, Methoden und Formen der Zusammenarbeit (1972).
  • Erörterung von Fortschritten und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit; Erarbeitung der grundsätzlichen Positionen, die später u.a. zur Empfehlung zur Schaffung der Rahmenkonvention (siehe unten) führten (1975).
  • Diskussion einer Reihe spezifischer Probleme aus den Bereichen Raumordnung und Regionalpolitik, Grenzpendler, Verkehrs- und Umweltpolitik, kulturelle Zusammenarbeit und alltägliche Grenzprobleme; Fortschrittsbericht seit der letzten Konferenz (1984).
  • Anregung zur Bildung interregionaler Arbeitsgemeinschaften; Aufruf zur Anwendung der Europäischen Raumordnungscharta (siehe unten); Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Europarat und Europäischen Gemeinschaften bezüglich grenzüberschreitender Zusammenarbeit; Forderung zur Schaffung eines Europäischen Zentrums für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Darüber hinaus wurde auf die Bedeutung der Erarbeitung Grenzüberschreitender Aktionsprogramme sowie die Notwendigkeit, deren Umsetzung durch finanzielle Förderung zu unterstützen, hingewiesen. Die Konferenz betonte in

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  • diesem Zusammenhang mit Nachdruck, daß die Europäischen Gemeinschaften auf der Grundlage von Aktionsprogrammen nicht nur Regionen an Binnengrenzen, sondern auch an Außengrenzen der Gemeinschaft fördern sollten (1987).
  • Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und europäische Integration; neue Perspektiven der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kontrolle der Umweltverschmutzung und des Landschaftsschutzes; Grenzgänger und ihre Alltagsprobleme; zehn Jahre europäische Rahmenkonvention für grenzüberschreitende Zusammenarbeit - Ergebnisse und Perspektiven; Möglichkeiten zur verstärkten Zusammenarbeit an den Grenzen zu Mittel- und Osteuropa (1991).

Der Wert der Konferenzen liegt vor allem darin, daß Vertreter der Grenzregionen auf breiter Ebene - Politik, Wissenschaft, Verwaltung - Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen, mit Vertretern des Europäischen und der nationalen Parlamente und Regierungen diskutieren und in Empfehlungen an europäische und nationale Institutionen bündeln können.

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1.3.3 Europäische Rahmenkonvention für Grenzgebiete und ihre Umsetzung

Die Erarbeitung eines exemplarischen Rechtsrahmens zur grenzüberschreitenden Kooperation "das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschafen" erfolgte nach intensiver und lange dauernder Vorarbeit. Es wurde am 21. Mai 1980 in Madrid im Verlauf der 4. Konferenz der Europäischen Minister für Gemeindeangelegenheiten unterzeichnet und trat am 22. Dezember 1981 in Kraft.

Mit diesem Abkommen wird angestrebt, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf regionaler und lokaler Ebene eine Grundlage zu verschaffen. Insbesondere verpflichten sich die Vertragspartner, durch die Rahmenkonvention

  • die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften / Behörden zu erleichtern und zu fördern;
  • den direkten Kontakt zwischen den Gebietskörperschaften zu ermöglichen;
  • den Abschluß von Vereinbarungen entsprechend den Mustern des Europarates zu unterstützen;
  • die Lösung aller rechtlichen, administrativen oder technischen Schwierigkeiten, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit behindern können, anzustreben;
  • umfassende gegenseitige Informationen über die Möglichkeiten zur Durchführung des Abkommens auszutauschen und
  • den Europarat über Abschlüsse gegenseitiger Abkommen zu informieren.

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Die Reaktionen auf diese Rahmenübereinkunft waren aber schon nach deren Abschluß eher geteilt. Der nur geringe materielle Aussagegehalt der Vereinbarung führte im Ausschuß für Raumordnung und Gemeindeangelegenheiten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Kritik. Sie konzentrierte sich vor allem auf das Fehlen einer im Übereinkommen vereinbarten Ermächtigung der Gemeinden gegenüber ihren Staaten, grenzüberschreitend selbständig auf öffentlich-rechtlicher Grundlage kooperieren zu können. Dies mindert den Wert der Konvention erheblich, wurde aber vom Europarat über Jahre anders gesehen. Um diese entscheidende Lücke zu füllen, wurden die Unterzeichnerstaaten von der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen aufgefordert, entsprechende Anwendungsverträge miteinander zu schließen.

Welche Schwierigkeiten mit der Erarbeitung solcher Verträge verbunden sind, zeigt allein die Tatsache, daß der erste Anwendungsvertrag erst 1991 - also 11 Jahre nach Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens - in Kraft getreten ist. Dieser Vertrag regelt im Grundsatz die Möglichkeiten für die kommunale/regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit der BENELUX-Staaten.

Ebenfalls 1991 wurde ein vergleichbares Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Niedersachsen, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Königreich der Niederlande über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen unterzeichnet. Die Ratifizierung des Abkommens durch die 2. Kammer des niederländischen Parlamentes steht bislang noch aus, soll aber noch 1992 erfolgen.

Das Abkommen versetzt die kommunalen Körperschaften im deutsch-niederländischen Grenzraum (und auch darüber hinaus) in die Lage, öffentlich-rechtlich

  • durch Bildung kommunaler Arbeitsgemeinschaften,
  • durch Bildung von Körperschaften öffentlichen Rechts (Zweckverbänden) und
  • durch den Abschluß öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen

zusammenzuarbeiten. Den verfaßten Grenzregionen im deutsch/niederländischen Grenzraum eröffnet das Abkommen damit die Möglichkeit, ihren bislang bestehenden privat-rechtlichen Charakter gegen einen öffentlich-rechtlichen Status einzutauschen.

Die rechtlichen Schwierigkeiten, die sich in beiden Staaten bzw. in den Bundesländern bezüglich des Vertragsinhaltes ergaben, waren Anlaß zu langen und komplizierten Verhandlungen. Durch sie wurde ein weiteres Mal sehr anschaulich belegt, mit welchen Problemen jeder Schritt zur Integration Europas vor dem Hintergrund existierender ausdifferenzierter nationaler Rechts- und Verwaltungssysteme verbunden ist. Umso mehr kommt es nunmehr auf die Initiativen der europäischen Staaten an, trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten weitere Umsetzungsverträge zur europäischen Rahmenkonvention in Angriff zu

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nehmen und miteinander abzuschließen. Nur so kann den kommunalen Körperschaften im Grenzraum der Spielraum für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eröffnet werden, der unbedingt notwendig ist.

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1.3.4 Die Fachministerkonferenz für Raumordnung (Europäische Raumordnungsministerkonferenz, EMKRO)

Die Europäische Raumordnungsministerkonferenz (EMKRO) hat seit 1970 neun Tagungen zu Fragen der europäischen Raumordnung durchgeführt. Die besondere Problematik grenzüberschreitender Regionen stand bereits beim ersten Treffen 1970 in Bonn auf der Tagesordnung.

Im Verlaufe der zweiten Konferenz 1973 in La Grande Motte wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf der Grundlage eines ausführlichen Berichts gesondert behandelt. Als Ergebnis formulierten die Raumordnungsminister hierzu in einer Entschließung folgende Empfehlungen:

  • Die Vorbereitungen zur Aufstellung gemeinsamer Programme und Pläne für die Grenzgebiete sollten intensiviert werden;
  • Konkrete Aufgaben für die bilateralen und multilateralen regionalen Grenzkommissionen seien zu entwickeln;
  • Vorschläge für die Durchführung und Durchsetzung gemeinsamer örtlicher Aktionen sollten erarbeitet werden;
  • Neue Initiativen im Sinne des Entwurfes der Rahmenkonvention über die Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften an den Grenzen sollten entfaltet werden;
  • Beim Europarat sollte ein Informationsbüro für grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingerichtet werden;
  • Die Koordination der Bemühungen um die Verbesserung grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen den Organen des Europarates sei sicherzustellen.

Weitere Studien der EMKRO beispielsweise zur Harmonisierung grenzüberschreitender Planungen oder zu ersten Überlegungen für ein europäisches Raumordnungsschema folgten dieser Konferenz. Sie flossen ein in die Europäische Raumordnungscharta, die von den Ministern 1983 angenommen wurde.

Die Europäische Raumordnungscharta ist nicht speziell für Grenzgebiete erarbeitet worden, enthält jedoch eine Reihe wichtiger Aussagen für die europäischen Grenzräume. In Artikel 21 fordert sie beispielsweise, daß die verschiedenen mit Raumordnungsfragen befaßten Behörden mit der Kompetenz und den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden müssen, um Entscheidungen treffen und sie durchführen zu können. Bei ihrer Arbeit müssen sie stets alle auf höherer oder niedrigerer Ebene beabsichtigten oder geplanten Maßnahmen in ihre Überlegungen einbeziehen und sich gegenseitig regelmäßig unterrichten, damit eine optimale Koordinierung auf örtlicher, regionaler, nationaler und europäischer Ebene sowie auch im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erfolgen kann.

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Weiterhin postuliert die Charta in Artikel 21 das auf regionaler Ebene, die am besten zur Durchsetzung einer regionalen Raumordnungspolitik geeignet sei, die Koordination innerhalb der regionalen Behörden selbst sowie zwischen ihnen und den lokalen bzw. nationalen wie auch zwischen den Regionen benachbarter Länder von großer Bedeutung sei. Schließlich ist auf den Anhang der Charta hinzuweisen, der als besonderes Ziel für Grenzräume formuliert: "Grenzräume erfordern mehr als alle anderen Regionen eine Politik der Koordination zwischen den Staaten. Das Ziel einer derartigen Politik muß es sein, die Grenzen zu öffnen, grenzüberschreitende Konsultationen und Zusammenarbeit einzurichten und eine gemeinsame Nutzung von Infrastruktureinrichtungen zu erreichen. Die Staaten sollten direkte Kontakte zwischen den betroffenen Regionen und Orten gemäß dem europäischen Rahmenabkommen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Staaten ermöglichen, um damit zunehmend enge Kontakte zwischen den betroffenen Bevölkerungsgruppen zu fördern.

In Grenzräumen dürfen Vorhaben mit negativen Auswirkungen auf die Umweltverhältnisse der Nachbarstaaten nur mit der ausdrücklichen Zustimmung dieser Staaten durchgeführt werden".

Ebenso wie beim "Rahmenübereinkommen" besteht die Problematik der Europäischen Raumordnungscharta - als inzwischen weitgehend akzeptierter europäischer Leitlinie zur Raumentwicklung - in der Notwendigkeit ihrer jeweils spezifischen nationalen Umsetzung.

Die nachfolgenden Fachkonferenzen der Europäischen Raumordnungsminister bezogen die Fragen grenzüberschreitender Zusammenarbeit - in unterschiedlicher Betonung - ebenfalls in ihre Erörterungen ein. Hervorzuheben ist besonders die 7. Konferenz in Den Haag 1985, die zu einem großen Teil der Grenzregionenproblematik gewidmet war.

Als generelles Fazit zu den Bemühungen des Europarates zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist festzuhalten, daß der Europarat auf allen Ebenen und in allen seinen Gliederungen eine Vielzahl von Initiativen entfaltet hat, die die Richtung des Prozesses der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den letzten 20 Jahren maßgeblich geprägt haben. Dennoch hat der Europarat gegenüber der Europäischen Gemeinschaft an Bedeutung eingebüßt:

Im Gegensatz zur Kommission der EG, deren Rechtsetzung national verbindlich umgesetzt werden muß und die über erhebliche finanzielle Maßnahmenmöglichkeiten verfügt, sind die Instrumente des Europarates, die als Empfehlungen im wesentlichen auf ihre Überzeugungskraft angewiesen sind, mit erheblich größeren Schwierigkeiten in praktische Politik umzusetzen.

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1.4 Zur Rolle der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit



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1.4.1 Über den Wandel des Problembewußtseins an den Binnen- und Außengrenzen

Spezifische Probleme grenznaher Regionen oder von Grenzregionen wurden durch die Europäische Gemeinschaft erst relativ spät erkannt und noch später -als förderungswürdig - anerkannt.

Erst im Zusammenhang mit dem Erfolg der Regionalpolitik in den 70er Jahren und vor allem mit den Überlegungen zum Europäischen Binnenmarkt sowie durch die Einheitliche Europäische Akte von 1987 wurde der EG-Kommission bewußt, daß mit der Intensivierung der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedsstaaten für bestimmte Grenz- und Randregionen neben neuen Chancen auch neue Risiken auftreten würden. Der EG wurde dabei auch deutlich, daß bei der Abwägung von Chancen und Risiken sehr sorgfältig zwischen Regionen an Binnen- und Regionen an Außengrenzen unterschieden werden muß.

Während in den Binnengrenzgebieten zwar erhebliche strukturelle Wandlungen durch den liberalisierten Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr des Binnenmarktes zu erwarten sind, dürfte der Saldo insgesamt jedoch recht positiv sein.

Anders stellt sich die Situation für die Gebiete an den Außengrenzen der Gemeinschaft dar. Sollte sich die wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der EG durch den Binnenmarkt zum Zentrum der Gemeinschaft hin konzentrieren, würde das die Gebiete an den Außengrenzen in eine Randlage rücken, die mit relativen Wohlfahrtsverlusten verbunden sein könnte.

Aber auch in den Binnengrenzbereichen birgt der einheitliche europäische Markt Gefahren: Bestimmte grenzbezogene Dienstleistungsbereiche wie etwa der Zoll-und Personenkontrolldienst oder das Grenzspeditionsgewerbe werden abgebaut werden und damit zu Belastungen für die jeweiligen Arbeitsmärkte führen.

Die Kommission hat diese drohenden Gefahren und die Problematik der Grenzregionen in den 80er Jahren allgemein erkannt und - ausgehend vom "Dritten periodischen Bericht der Kommission über die sozio-ökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft" - zusammen mit dem Europäischen Parlament und nach Beratung mit der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen das spezielle Förderprogramm für Grenzregionen INTERREG in Form einer Gemeinschaftsinitiative entwickelt.

Durch INTERREG soll die Integration der EG-internen Grenzgebiete in den Binnenmarkt erleichtert sowie die Lage der EG-Grenzgebiete an den Außengrenzen der Gemeinschaft verbessert werden (siehe dazu unten, Abschnitt IV). Die INTERREG-Förderung bezieht sich allerdings nur - und dies wird mit großem

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Bedauern immer wieder von der AGEG herausgestellt - auf die Teile der Grenzregionen an den EG-Außengrenzen, die innerhalb des EG-Raumes liegen.

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1.4.2 Grenzüberschreitende Entwicklungs- und Handlungskonzepte

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften regte im Rahmen ihrer Regionalpolitik bereits Mitte der 70er Jahre die Erarbeitung sog. "Grenzüberschreitender Regionalentwicklungsprogramme" (damals "Aktionsprogramme" genannt) an. Im Jahre 1979 legten die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande das erste Programm für den Ems-Dollart-Raum vor. Dieses Programm genügte aber nicht den inhaltlichen Vorschriften der EG. Neue, den Vorschriften entsprechende Programme für weitere Grenzräume zwischen Deutschland und den Niederlanden sowie Deutschland und Belgien bzw. Deutschland, Frankreich und Luxemburg folgten in den 80er Jahren.

Die EG legte den Mitgliedstaaten nahe, die Programme nach einem von ihr vorgegebenen einheitlichen Schema aufzubauen: Aus einer grenzüberschreitenden sozialwirtschaftlichen Analyse sollten gemeinsame Entwicklungsziele definiert und zu deren Umsetzung gemeinsame Entwicklungsprojekte durchgeführt werden. Entsprechende Vorschriften enthalten auch die Leitlinien zur Durchführung der EG-Regionalpolitik nach 1989. Die Erstellung der Programme konnte von der EG bezuschußt werden, Regelfördersätze existierten jedoch nicht.

Verstärkte Bedeutung haben grenzüberschreitende Programme - seit 1989 "Grenzüberschreitende Entwicklungs- und Handlungskonzepte" genannt - durch die Gemeinschaftsinitiative INTERREG als Grundlage für Fördermaßnahmen der Gemeinschaft erlangt - und zwar für alle Grenzgebiete der EG, gleich ob sie an Binnen- oder Außengrenzen liegen.

Im Rahmen von INTERREG sind die nationalen Behörden aufgefordert, der Kommission Programm- und Projektvorschläge vorzulegen, wobei die Kommission jenen Vorschlägen eine Priorität zumessen kann, die in Zusammenarbeit mit den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften entwickelt wurden. Grenzüberschreitende Entwicklungs- und Handlungskonzepte stellen die ideale Grundlage zur Erarbeitung solcher Programm- und Projektvorschläge dar.

Darüber hinaus wird INTERREG II, über das gegenwärtig verhandelt wird und das voraussichtlich eine Laufzeit von 1994 bis 1997 haben wird, die Förderung aller EG-Grenzregionen, sei es an Binnen- oder Außengrenzen voraussichtlich unabdingbar vom Vorliegen regionaler Entwicklungs- und Handlungskonzepte abhängig machen. Die EG-Kommission hat bereits für die Programmperiode 1989 bis 1993 über eine Richtlinie den Aufbau der Konzepte verbindlich vorgegeben, sofern sie zuschußfähig sein sollen. Folgende Methode ist danach anzuwenden:

Zunächst sind in einer Strukturanalyse der Ist-Zustand der Region, bestehende grenzüberschreitende Beziehungen und laufende Entwicklungsaktivitäten wie etwa aktuelle Förderprogramme, arbeitsmarktpolitische Vorhaben oder Infra-

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strukturprojekte von regionaler Bedeutung zu beschreiben. Eine Stärken- und Schwächenanalyse der Region schließt diesen Teil ab. Auf die Bestandsanalyse baut ein Katalog von Entwicklungszielen für das Programmgebiet auf. Dieser Teil sollte ebenfalls die Erarbeitung einer grenzüberschreitenden räumlichen Leitvision für die Region enthalten.

Das Entwicklungs- und Handlungskonzept schließt ab mit einer Übersicht über einzelne Entwicklungsaktivitäten und -projekte, die aus den Entwicklungszielen abgeleitet sind. Diese sollten mit Hinweisen auf ihre Realisierungsmöglichkeiten (Zuständigkeiten, Finanzierungsbedarf -und Modalitäten, Realisierungszeitraum) versehen werden.

Die Erstellung eines grenzüberschreitenden Entwicklungskonzeptes kostet gegenwärtig ca. 300.000,-- bis 500.000,-- DM, wobei die EG in der Regel einen Zuschuß von 50 % gibt, aber im Idealfall fast vollständig mitfinanzieren kann. Die Studie muß allerdings den Vorgaben der EG genügen. Regionen, die erstmalig ein solches Konzept für ihren Raum erarbeiten wollen, sollten sich daher - insbesondere bezüglich methodischer Fragen - von der AGEG beraten und die Erarbeitung von erfahrenen Instituten durchführen lassen.

Interessierte Regionen sollten sobald als möglich mit der Erarbeitung derartiger Entwicklungs- und Handlungskonzepte beginnen, auch Regionen aus dem Grenzbereich neue deutsche Länder / Polen / CSFR, deren Konzepte wahrscheinlich nahezu vollständig aus der sog. technischen Hilfe (Direktive 3575/90; Volumen: 3 Mrd. Ecu) finanziert werden können. Dabei ist jedoch zu beachten, daß Konzepte der Grenzregionen im Bereich der neuen deutschen Länder, Polens und der CSFR sich formal nur auf den EG-Binnenteil der Region erstrecken dürfen, wenn ihre Förderfähigkeiten nicht verloren gehen soll.

Andererseits können und sollten auch diese Programme bei der Definition von Entwicklungszielen und Maßnahmenvorschlägen den Bezug zu den Nachbarräumen auf der Außenseite der EG-Grenze deutlich erkennen lassen und möglichst gemeinsam mit dem Regionsteil auf der anderen Seite der EG-Außengrenze aufgestellt werden. Damit würde ebenfalls den Partnern im Nachbarland geholfen.

Es hat sich an den westlichen Grenzen ohnehin seit vielen Jahren erwiesen, daß grenzüberschreitende Entwicklungs- und Handlungskonzepte auch dann von großem Nutzen für die Region sind, wenn sie nicht unmittelbar mit finanziellen Förderaktivitäten verbunden sind.

Die Stärken- und Schwächenanalyse des Gebietes erlaubt der Region beispielsweise eine sehr viel exaktere eigene Standortbestimmung als es zuvor möglich war; und durch die inhaltliche Diskussion zu Zielen, Maßnahmen und Projekten wird in hohem Maße ein regionaler Konsens über die zukünftig wünschbare Entwicklung des Gebietes hergestellt, die sich häufig genug auch durch Konzentration eigener Haushaltsmittel auf entsprechende Schwachstellen und deren Beseitigung verbessern läßt.

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1.4.3 EUROPA 2000 - Perspektiven der künftigen Raumordnung der Gemeinschaft

Mit dem Dokument EUROPA 2000, erschienen 1991, hat sich die EG-Kommission erstmals intensiv in die Diskussion um die europäische Dimension der Raumordnung eingeschaltet. Gleichwohl betont sie, damit weder einen europäischen Leitplan vorgelegt zu haben, noch raumordnerische Planungskompetenzen an sich ziehen zu wollen. Dennoch wird EUROPA 2000 seine Wirkung auf die Politik der Mitgliedstaaten nicht verfehlen, allein schon aufgrund seines systematischen Zusammenhanges zum EG-Förderinstrumentarium.

In Ergänzung zu früheren einschlägigen Kommissionspublikationen hat EUROPA 2000 der Problematik der Grenzstädte und -regionen erstmals ausführlichen Raum gewidmet. Die Benachteiligungen von Grenzregionen durch deren nationale Randlagen werden klar erkannt und die besondere Problematik jener Gebiete, die gemeinsame Grenzen mit Drittstaaten haben, diskutiert. EUROPA 2000 stellt insofern einen erheblichen Fortschritt der inhaltlichen Politik der EG gegenüber Grenzräumen dar.

Die Studie macht für die Regionen an den Binnengrenzen für die nächsten 10 Jahre auf erhebliche Entwicklungsspielräume aufmerksam. Eingebunden in den Binnenmarkt und somit in eine zentrale europäische Standortposition gerückt, wird die Geschwindigkeit des positiven Strukturwandels vor allem davon abhängen, daß und wie

  • die wirtschaftliche Integration der Gemeinschaft als Ganzes planmäßig voranschreitet;
  • die Infrastrukturnetze an den (ehemaligen) Grenzen miteinander verknüpft werden (Abbau von missing links);
  • Rechts- und Verwaltungsvorschriften einander angeglichen werden.

Gerade dem letzten Punkt weist die Kommission besondere Bedeutung zu. So prangert sie "... eine überholte Verwaltungspraxis auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, derzufolge die Zusammenarbeit zwischen Regionen und Städten auf Gemeinschaftsebene immer noch eher als internationale und nicht als interregionale Angelegenheit betrachtet wird, was selbst bei vergleichsweise unbedeutenden Formen der grenzüberschreitenden Kooperation die Arbeitsabläufe erschwere (an)".

Als Ergebnis kommt die Kommission zu dem Schluß, daß es "... eventuell erforderlich (sei), die Einführung eines spezifischen Gemeinschaftsrahmens in Betracht zu ziehen, um die Einrichtung grenzüberschreitender Strukturen auf lokaler und regionaler Ebene zu erleichtern ...". Unklarer stellt sich für die Kommission das zukünftige Bild an den Außengrenzen dar.

Die absehbaren Mitgliedschaften Österreichs und Schwedens und Finnlands in der Europäischen Gemeinschaft lassen für die dortigen Grenzräume zu Italien und

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Deutschland bzw. Dänemark und Schweden weniger gravierende Probleme - eher positive Entwicklungsspielräume - erwarten.

Probleme sind eher an den Grenzen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern und im Süden der Gemeinschaft absehbar. Fehlende grenzüberschreitende Infrastruktur, vorhandene und zunehmende Umweltverschmutzung über die Grenze hinweg, vor allem aber ein nur schwer abschätzbarer Zuwanderungsdruck sind hier vor allem zu nennen.

Die Kommission betont, daß die Verbesserung der Lebensbedingungen an den Außengrenzen an der Lösung dieser Fragen ansetzen muß. Gleichzeitig weist sie jedoch darauf hin, daß ihr Mandat zur grenzüberschreitenden Hilfe in Form integrierter Konzepte in diesen Regionen häufig oder gar nicht vorhanden sei.

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1.4.4 Bewertung grundsätzlicher Entwicklungsspielräume von Außengrenzgebieten im Vergleich zu Binnengrenzgebieten

Der wesentliche Vorteil von Binnengrenzgebieten liegt in ihrer EG-Förderfähigkeit. Insofern sind die Entwicklungsspielräume dieser Regionen größer und viele Anstöße zu verbesserter Kooperation leichter in Gang zu setzen.

Bisher sind alle Versuche gescheitert, die Fördermodalitäten zwischen den Binnen- und Außengrenzregionen anzugleichen, obwohl der Europäischen Gemeinschaft die Problematik durchaus bewußt ist.

Als Lösungen ließen sich Sonderprogramme für Drittländer, die an EG-Staaten angrenzen oder die Erweiterung der EG selbst vorstellen. Mittel für Sonderprogramme dürften jedoch nur in begrenztem Umfang verfügbar zu machen sein, wobei die finanziellen Verpflichtungen der Gemeinschaft gegenüber ihren südlichen Randgebieten - Portugals oder Griechenlands und Spaniens - eine besondere Rolle spielen. Diese Gebiete weisen nicht nur auf ihre eigenen spezifischen Entwicklungsrückstände hin, sondern auf die bei ihnen ebenfalls vorhandene Außengrenzproblematik, etwa in Gestalt der nordafrikanischen Staaten. Darüber hinaus ist, wie am Beispiel des PHARE-Programms für Polen gezeigt werden konnte, noch nicht sicher, ob diese Sonderprogramme für die Gebiete an den EG-Außengrenzen eingesetzt werden.

Die Gemeinschaft zu erweitern, hieße zunächst nur, die Problematik nach außen zu verschieben. Außerdem ist in der gegenwärtigen Situation mittelfristig (innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre) eine Erweiterung der EG - mit Ausnahme Österreichs, Schwedens und Finnlands - politisch nicht durchsetzbar.

Ein konkreter Ansatz zur Verbesserung der Situation der Gebiete an den Außengrenzen ist jedoch durch die Maastrichter Verhandlungen in Form der Einfügung des Art. 198 a in den EG-Vertrag erreicht worden. Danach sollen zur Beseitigung von Engpässen in transnationalen und europäischen Verkehrsnetzen auch an den Außengrenzen Gemeinschaftsmittel in begrenztem Umfang zur Verfügung gestellt

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werden. Mit diesen Mitteln wären Infrastrukturinvestitionen diesseits und jenseits der jeweiligen EG-Außengrenze zu finanzieren, um Entwicklungs- und Infrastrukturengpässe ab 1993 abzubauen.

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1.5 Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG)

Im Jahr 1971 beschlossen zehn Grenzregionen nach vielen Jahren eigener grenzüberschreitender Tätigkeit eine "Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen" (AGEG) zu gründen. Die Arbeitsgemeinschaft setzte sich insbesondere zum Ziel, vertiefende Analysen zu Problemen der Grenzregionen durchzuführen, die grenzüberschreitende Kommunikation zu verbessern sowie einen gründlichen Erfahrungsaustausch über die Möglichkeiten grenzüberschreitender Zusammenarbeit herbeizuführen. Darüber hinaus wurde angestrebt, durch Empfehlungen an die zuständigen nationalen und internationalen Institutionen zu einer Politik beizutragen, die darauf angelegt war, die traditionellen Entwicklungsrückstände der Grenzregionen abzubauen.

Im Jahre 1977 verabschiedete die AGEG eine Satzung. Sie definierte die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft darin wie folgt:

  • Erfahrungen unter den Grenzregionen auszutauschen mit dem Ziel, aus der Vielfalt der grenzüberschreitenden Probleme die gemeinsamen Interessen zu formulieren und zu koordinieren;
  • bei der Lösung spezifischer Probleme der Grenzregionen mitzuwirken und besondere Aktivitäten zu unterstützen;
  • gemeinsame Aktionen der Grenzregionen vorzubereiten und durchzuführen;
  • Gesamtinteressen der Grenzregionen gegenüber nationalen und internationalen Behörden, Organen und Institutionen zu vertreten.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurden ein Parlamentarischer Beirat und ein Fachbeirat gebildet. Während ersterer als "politisches Forum" der Grenzregionen allen Abgeordneten offensteht, die sich mit Fragen grenzüberschreitender Zusammenarbeit beschäftigen und das Ziel hat, die Arbeit der AGEG auf allen parlamentarischen Ebenen zu fördern, soll der Fachbeirat wissenschaftliche Lösungsansätze zur Grenzregionenproblematik erarbeiten.

Die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen sah und sieht es als eine ihrer Hauptaufgaben an, auf die Umsetzung der Ergebnisse der Konferenzen der Grenzregionen und der Europäischen Raumordnungsministerkonferenzen hinzuwirken, soweit diese für die Grenzregionen von Belang sind.

1981 hat die AGEG die wichtigsten Grundsätze und Ziele ihrer Politik in der "Europäischen Charta der Grenz- und grenzüberschreitenden Regionen" niedergelegt.

Grundsätzlich forderte sie in der Charta die Beseitigung aller nicht notwendigen Behinderungen an den Grenzen, ein "Europa ohne Schlagbäume".

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Die ersten Vereinbarungen zum Abbau von Grenzkontrollen - schon vor den Überlegungen zum europäischen Binnenmarkt - wie beispielsweise die Europaspuren an den Grenzübergangsstellen zwischen Deutschland und Frankreich, die einen beschleunigten Grenzübertritt ermöglichten, können auch als Erfolg der Forderungen der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen gewertet werden.

Gegenwärtig betreut die AGEG das von der Europäischen Gemeinschaft geförderte und für die Grenzregionen außerordentlich bedeutsame Projekt "LACE" (Linkage Assistance And Cooperation For The European Border Regions), das den Informationsfluß und die Vernetzung zwischen den Grenzregionen in Europa fördern soll (siehe unten) und sich insbesondere den in Entstehung begriffenen Grenzregionen an den Binnen- und Außengrenzen der Ziel-1-Gebiete der EG-Regionalpolitik (vgl. Kapitel 4.1.1) sowie der an den Grenzen zu Mittel- und Osteuropa liegenden Regionen annimmt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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