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2. Umweltschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Standortentscheidungen: einige Grundaussagen

Angesichts der wiederholt kontroversen Diskussion des Einflusses der Umweltpolitik auf Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität, stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Wirkungszusammenhängen. Ihre Beantwortung sollte nicht dem Standpunkt und subjektiven Ermessen einzelner Interessengruppen überlassen bleiben, sondern anhand nachvollziehbarer Argumente und Fakten diskutiert werden.

So berechtigt die Frage nach den möglichen bzw. tatsächlichen Wettbewerbs- und Standortwirkungen von Umweltschutzmaßnahmen auch sein mag, eine eindeutige und endgültige Antwort darauf vermag die empirische Wirtschaftsforschung nicht zu geben. Die konkret mögliche Antwort kann immer nur auf bestimmte umweltpolitische und gesamtwirtschaftliche Gegebenheiten bezogen und dementsprechend nicht beliebig verallgemeinert werden. Das heißt: die konkreten Wettbewerbs- und Standortwirkungen des Umweltschutzes werden in jeder Volkswirtschaft und in jeder Phase der Umweltpolitik und der Konjunktur höchst unterschiedlich ausfallen.

Gleichwohl sind in diesem Zusammenhang einige Grundaussagen zu beachten, deren Nichtbeachtung häufig zu Fehlinterpretationen führt.

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2.1 Umweltschutz und Wettbewerb: grundlegende Zusammenhänge

Staatliche Umweltpolitik - soweit sie nach dem Verursacherprinzip betrieben wird - führt über eine Verteuerung des Produktionsfaktors "Umwelt" zu einzel- und branchenwirtschaftlichen Kostenniveau- und -strukturveränderungen. Sie bewirkt damit tendenziell eine Aufhebung derjenigen nichtleistungsbezogenen Wettbewerbsvorteile, die umweltbelastende Unternehmen und Branchen zuvor gegenüber

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über ihren weniger umweltbelastenden Konkurrenten besaßen. Obgleich durch umweltschutzinduzierte Verschiebungen der Kostenrelationen zunächst die wettbewerblichen Ausgangsbedingungen auf einzelnen Märkten verändert werden, führen Kostenunterschiede - bezogen auf die produzierten oder verkauften Leistungseinheiten - nicht zwangsläufig und sofort zu inter- oder intrasektoralen Wettbewerbsverschiebungen oder zu internationalen Wettbewerbsverzerrungen. Spürbare Wettbewerbsnachteile sind in der Regel für die betroffenen Unternehmen erst dann zu erwarten, wenn sie im Vergleich zur in- und/oder ausländischen Konkurrenz

  • signifikant und nachhaltig höhere Kostensteigerungen hinnehmen müssen und gleichzeitig über weniger staatliche Subventionen verfügen können,

  • die Kostensteigerungen nicht im gleichen Maße auf die Preise überwälzen können,

  • keinen Erfolg mit anderen wettbewerbspolitischen Anpassungen erzielen,

  • eine bereits erheblich geringere Rentabilität aufweisen.

Ohne an dieser Stelle auf die einzelnen Bedingungen und Möglichkeiten der Überwälzung von umweltschutzinduzierten Kostensteigerungen auf die Preise näher einzugehen - hierzu sei auf die entsprechenden Aussagen der Preistheorie und Steuerüberwälzungstheorie verwiesen -, kann im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß nicht alle Unternehmen ihre Kostensteigerungen im gleichen Umfang in den Preisen weitergeben können. Je nach Marktsituation, Preiselastizität der Nachfrage, Existenz etwaiger Substitutionsprodukte oder ausländischer Konkurrenz und nicht zuletzt individueller Marktmacht ist der Spielraum für eine vollständige Kostenüberwälzung mehr oder weniger eingeschränkt; es entscheiden vielmehr die geringsten oder die durchschnittlichen Kostenerhöhungen der miteinander konkurrierenden Unternehmen.

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Auch wenn zumindest längerfristig eine Überwälzbarkeit der durchschnittlichen umweltschutzinduzierten Kostensteigerungen unterstellt werden kann, ergeben sich ceteris paribus Wettbewerbsvorteile für diejenigen Unternehmen, die keine oder nur unterdurchschnittliche Mehraufwendungen verzeichnen, und umgekehrt Wettbewerbsnachteile für jene Unternehmen, bei denen überdurchschnittliche Kostensteigerungen je produzierter Einheit größtenteils zu Lasten der Absatzchancen und Gewinne gehen. Die Verschlechterung der Wettbewerbssituation bei letzteren Unternehmen kann sich u.a. niederschlagen in:

  • Absatzverlusten, wenn der Marktanteil von in- und/oder ausländischen Konkurrenten und/oder umweltfreundlicheren Substitutionsprodukten zunimmt,

  • Gewinnminderungen, die durch Absatzverluste verursacht werden,

  • Produktions-, Beschäftigungs- und Investitionsrückgängen als Folge verminderter Absatz- und Gewinnaussichten bis zum Extrem der Betriebsstillegung und/oder

  • Verlagerungen der Produktion innerhalb des Inlands oder ins Ausland.

Tendenziell ist mit folgenden Wettbewerbs- und Struktureffekten zu rechnen:

(1) Die staatliche Umweltpolitik kann intersektorale Wettbewerbsverschiebungen und Struktureffekte zu Lasten von Branchen und Unternehmen auslösen, deren Produkte mit solchen Substitutionsgütern in Konkurrenz stehen, deren Produktion und/oder Verwendung geringere Umweltbelastungen und mithin geringere Umweltschutzkosten mit sich bringen. Ebenso werden möglicherweise intersektorale Strukturefffekte dort ausgelöst, wo die ausländische Konkurrenz mit geringeren Kostenbelastungen auf den Markt tritt und ihren Anteil am Inlands- und Weltmarkt nachhaltig steigern kann.

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(2) Die staatliche Umweltpolitik kann zu intrasektoralen Wettbewerbsverschiebungen zu Lasten von Unternehmen führen, die längerfristig überdurchschnittliche Kostensteigerungen zu Lasten des Absatzes und/oder der Gewinne hinnehmen müssen. Betroffen sind vermutlich in erster Linie Unternehmen,

  • deren Verfahrens- und Produktionstechniken im Vergleich zum Stand der Technik überaltert und zu emissionsintensiv sind,

  • die bestehende Produktionsanlagen nachträglich und nur unter erheblichen finanziellen Anstrengungen an die Umweltschutzerfordernisse anpassen müssen,

  • deren Gewinn- und Rentabilitätssituation schon in der Ausgangssituation unter dem Branchendurchschnitt lag.

Es handelt sich dabei vornehmlich um sogenannte Grenzanbieter (mit älteren, weniger produktiven und technologisch rückständigen Produktionsanlagen), die bereits aufgrund anderer Wettbewerbsfaktoren gefährdet sind.

(3) Die Umweltpolitik führt unter Umständen zu einer Beschleunigung der Unternehmenskonzentration in der Industrie, sofern sie die Errichtung größerer Produktionsanlagen mit geringeren Umweltschutzkosten je Produktions- und Schadstoffeinheit und mithin die Stillegung kleinerer, vergleichsweise emissionsintensiver Produktionsanlagen anregt. Betroffen sind mittlere und kleine Betriebe, für die keine technisch und wirtschaftlich leistungsfähigen Umweltschutzanlagen zur Verfügung stehen und die bei der außerbetrieblichen Entsorgung steigenden Gebühren, Abgaben und sonstigen Entgelten ausgesetzt sind.

(4) Die staatliche Umweltpolitik führt zu einer übermäßigen Belastung von neuen Produktionsanlagen bestehender Betriebe bzw. neuer Unternehmen, wenn in bestimmten Regionen einer nur noch geringen Regenerationskapazität der Umweltmedien durch entsprechend aufwendigere Umweltschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen ist. Betroffen sind vor allem Unternehmen, bei deren Produktion

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ein mehr oder weniger enger Verbund mit bereits vorhandenen Produktionsstätten besteht.

(5) Die umweltbedingte Erhöhung der betrieblichen Kosten kann im Einzelfall durch vorausschauende Anpassungsreaktionen vollständig kompensiert bzw. überkompensiert werden, wenn es einem Unternehmen z.B. gelingt, dem gesellschaftlichen Umwertungsprozeß und den damit verbundenen qualitativen Änderungen der Nachfrage durch "Pionierleistungen" schneller als seine Konkurrenten Rechnung zu tragen [Fn. 8: Vgl. zum folgenden J. Jarre, Ökonomische Interdependenzen zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, in: ZfU, 1. Jg. (1978), S. 76.] Durch aktives Wettbewerbsverhalten, sei es durch Dämpfung der umweltschutzinduzierten Kostensteigerung oder durch Veränderung des Marktverhaltens können gegenüber der Konkurrenz Pioniergewinne realisiert werden.

(6) Ferner ist zu berücksichtigen, daß durch umweltpolitische Maßnahmen und Erfordernisse nicht nur die allgemeine Ausgangssituation auf bestimmten Märkten verschlechtert wird, sondern daß auf der anderen Seite regelmäßig neue Märkte und Produktionsmöglichkeiten geschaffen werden, die verschiedene Novitätenprozesse induzieren und den anpassungsbreiten und -fähigen Unternehmen zahlreiche Ausweichmöglichkeiten und neue Marktchancen eröffnen können. Hier ist auf die Wettbewerbsvorteile für die Anbieter umweltfreundlicher Produkte und von Umweltschutzgütern und -dienstleistungen zu verweisen, die bei international vorauseilender Umweltpolitik einen Technologie- und Know-how-Vorsprung gegenüber der ausländischen Konkurrenz erzielen.

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2.2 Umweltschutz und Standortqualität

Die Bestimmung der Standortqualität eines Landes und der Motive für Standortentscheidungen zählt zu den schwierigsten Aufgaben der empirischen Wirtschaftsforschung. Dafür gibt es mehrere Gründe:

(1) Die Qualität eines Standortes hängt von einer Vielzahl von Kriterien, Faktoren bzw. Einflußgrößen ab (vgl. Abb. 1).

(2) Standortbewertungen und der Einfluß bestimmter Standortkriterien hängen von der Art der Investitionsprojekte ab. Dabei ist im wesentlichen zu unterscheiden zwischen Projekten, die primär

  • der Sicherung bzw. Erweiterung der Absatzbasis

  • der Ausnutzung von Kostenvorteilen z.B. in Bezug auf Löhne, Tansportkosten, Energiekosten, Umweltschutzkosten usw.

oder/und

  • der Verbesserung der Akzeptanz. dienen sollen.

(3) Schwächen bei einzelnen Kriterien sind im Vergleich zu Stärken in anderen Bereichen zu bewerten.

(4) Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Einflußgrößen sind zu beachten. So lösen beispielsweise Veränderungen bei einem Standortfaktor Gegenreaktionen bei anderen Einflußgrößen aus (z.B. Wechselkursanpassungen).

(5) Ferner hängt das Ergebnis der Standortbewertung auch vom internationalen Umfeld der betrachteten Region ab. Da das Umfeld sich im Zeitablauf verändert, bedeutet dies, daß die Standortqualität nicht eindeutig zu bestimmen ist. Sie hängt von der Einschätzung des zukünftigen Umfelds ab.

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Standortkriterien bzw. -faktorenBild vergrößern

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(6) Aus der Abhängigkeit von zukünfigen Veränderungen folgt zugleich, daß auch die Fähigkeit, sich an (unvorhergesehene) Umfeldveränderungen anzupassen, ein wesentliches Element der Standortqualität darstellt.

(7) In der gegenwärtigen geopolitischen Umbruchsituation weisen Einschätzungen zur Standortsituation eine hohe Irrtumswahrscheinlichkeit auf.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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