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1. Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit: ein "Evergreen" der umweltpolitischen Diskussion

Bei der Kontroverse zum Thema "Umweltpolitik und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Bundesrepublik" handelt es sich gleichsam um einen Evergreen der umweltpolitischen Diskussion. Denn diese Diskussion reicht praktisch zurück bis zur Verabschiedung des ersten umfassenden Umweltschutzprogramms in der Bundesrepublik und findet immer wieder von neuem statt. Gleichwohl hat diese Diskussion mittlerweile mehrere Entwicklungsphasen durchlaufen, in denen die Folgen der Umweltpolitik für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unterschiedlich bewertet wurden:

  • In einer ersten Phase Anfang der 70er Jahre, als für die Bundesrepublik eine systematische und umfassende Umweltpolitik entwickelt wurde, fanden die potentiellen Wettbewerbseffekte des neuen Umweltschutzprogramms der Bundesregierung noch kaum Beachtung [Fn. 1: Vgl. Umweltprogramm der Bundesregierung, in: Anhang zu den Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung, BT-Drs. Vl/2710, S.7 ff.] Es herrschte Hochkonjunktur und in den USA, vor allem aber in Japan wurden teilweise noch strengere Umweltschutzgesetze erlassen, so daß kaum Wettbewerbsnachteile gegenüber den Hauptkonkurrenten befürchtet wurden.

  • Mit der ersten Ölkrise und anhaltender Rezession kam der Umbruch. In dieser zweiten Phase der Umweltpolitik wurde von industrieller Seite darauf hingewiesen, daß die erforderlichen Umweltschutzmaßnahmen bei den Betroffenen zu Kostensteigerungen führten und angesichts der ohnehin schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation die Existenz oder zumindest die internationale Wettbewerbsposition der belasteten Wirtschaftszweige und Unternehmen negativ beeinflussen. [Fn. 2: Vgl. u.a. W. Genzer, Durch Umweltschutz mehr Arbeitsplätze?, in: Handelsblatt vom 17.4.1978.]

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    Daraufhin setzte sich die Bundesregierung 1975 im Anschluß an die Klausurtagung "Umweltschutz" auf Schloß Gymnich zum Ziel, daß insgesamt gesehen die umweltschutzinduzierten Belastungen der deutschen Wirtschaft diejenigen anderer hochindustrialisierter Staaten nicht überschreiten sollten. [Fn. 3: Vgl. Bundesregierung, Thesen zu "Umweltpolitik und Wirtschaft", anläßlich der Klausurtagung "Umweltschutz" auf Schloß Gymnich am 3. Juli 1975, in: Umwelt Nr. 42, 25. Juli 1975, S. 1 f.] Bisher noch ungleiche Normen und Standards sollten international harmonisiert werden, um Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft zu vermeiden.

  • In einer dritten Phase, die ungefähr Anfang der 80er Jahre begann, setzte sich im Unternehmerlager eine ausgewogenere Sichtweise durch. Zwar gab es noch immer warnende Stimmen aus der Wirtschaft (etwa seitens der Energiekonzerne, der Eisen- und Stahlindustrie, den NE-Metallhütten und der Automobilbranche) [Fn. 4: Vgl. F. Schoser, Umweltpolitik mit geänderten Vorzeichen, in: Wirtschaftsdienst, 61. Jg. (1981), S.371 ff.] [ Fn. 5: Vgl. hierzu u.a. J. Krings, Lebensqualität trotz Wirtschaft - Forderungen des Regionalpolitikers an Produktion und Produkte, in: Blick durch die Wirtschaft, Nr. 244 vom 21.12.1981; C. Schneider, Waldbesitzer bitten den Staat zur Kasse, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 35 vom 12./13.2.1983 sowie o.V., Der Schatten des Waldsterbens auch über Bayerns Sägern, in: Holz-Zentralblatt, 109. Jg (1983), Nr. 127 vom 24.10.1983.] , doch wurden diese durch die immer zahlreicher werdenden Hinweise auf die positiven ökonomischen Effekte des Umweltschutzes relativiert. So meldeten sich immer mehr diejenigen Wirtschaftsgruppen zu Worte, die ihre Existenz am Standort Bundesrepublik durch die Folgen unterlassenen oder nicht ausreichenden Umweltschutzes zunehmend gefährdet sahen, wie z.B. die Fremdenverkehrs- und die Forstwirtschaft in bezug auf das drohende Waldsterben.3 Daneben rückte die Umweltschutzindustrie als Wachs-

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    tumsmarkt mit großen Exportchancen in den Vordergrund des Interesses. [Fn. 6: Vgl. hierzu u.a. H. Voelzkow, Organisierte Wirtschaftsinteressen in der Umweltpolitik - Untersuchung über ordnungspolitische Optionen einer Reorganisation des Verbandwesens, Bielefeld 1985; 0. Stolbrink, Grußwort des Vorsitzenden des Präsidiums der ENVITEC zur Eröffnung der ENVITEC '86, in: Babcock-Presseinformation 5/85 vom 14.2.1986 sowie R. Eickeler, K.H. Voss, Im Vergleich zu Japan und USA ist die deutsche Umwelttechnik Weltspitze, in: Handelsblatt vom 18.2.1986.] Mit dem zunehmenden Umweltbewußtsein der Verbraucher stiegen auch die Marktchancen für umweltfreundliche Produkte. Zudem erkannten immer mehr Unternehmer die Kostenvorteile beim Einsatz integrierter Umwelttechnik und durch Einsparung von umweltbelastenden Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen.

  • In der gegenwärtigen vierten Phase - seit Anfang der 90er Jahre - vollzieht sich wieder eine Akzentverschiebung hin zu den nachteiligen Wettbewerbsfolgen der deutschen Umweltpolitik für den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik. Mit Blick auf die bevorstehende Vollendung des EG-Binnenmarktes und die damit erwartete Intensivierung des Wettbewerbs wird vor einer weiteren Vorreiterrolle der Bundesrepublik bei Umweltauflagen gewarnt. Die übrigen Staaten müßten auf das gleiche Niveau eingeschworen werden, wenn nicht bedrohliche Wettbewerbsnachteile für die deutschen Industriestandorte entstehen sollten.

  • Umweltschutzanforderungen gewinnen bei Überlegungen der Industrie zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Standort Bundesrepublik wieder zunehmende Bedeutung, seit sich - wechselkursbedingt - die preisliche Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie in ihren Spezialisierungsbereichen (z.B. Straßenfahrzeugbau, Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik) gegenüber den Hauptkonkurrenten aus den USA und Japan sowie deren Töchtern und Kooperationspartnern in Ostasien verschlechtert haben. Angesichts hoher Löhne und Steuern und hoher Umweltschutzkosten zeigt sich die Industrie vor allem durch die novellierten und geplanten Umweltabgaben (u.a. CO2-Abgabe, Ab-

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    fallabgabe, Abwasserabgabe) beunruhigt und sieht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. [Fn. 7: Vgl. VCI, Anzeige zum Thema "Chemie im Dialog: Standort Deutschland", in: FAZ vom 19.2.1992.]

  • Bei allen Bekenntnissen zu einer ökologischen Modernisierung in den neuen Bundesländern wird gleichzeitig vor überzogenen Umweltschutzanforderungen gewarnt. Nur bei Abstrichen beim Umweltschutz und bei der Altlastensanierung seien wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern möglich.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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