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1. Lage und Perspektiven des Osthandels der neuen Bundesländern



[Seite der Druckausgabe: 1]

1.1 Entwicklung der Exporte und Importe

Der Handel der Bundesrepublik Deutschland mit den mittel- und osteuropäischen Ländern und den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion steht schon seit geraumer Zeit vor einer Zerreißprobe. Insbesondere Firmen der neuen Bundesländer, die in der Vergangenheit in hohem Maße auf Exporte in die Länder des früheren RGW ausgerichtet waren, haben mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, seitdem am 1.1.1991 das Regime des Transfer-Rubels abgeschafft wurde und Weltmarktbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Exportprodukte bestimmen. Der Handel mit der früheren Sowjetunion droht seit der Zeit nahezu zum Erliegen zu kommen, der mit den kleineren mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEs) verharrt auf sehr niedrigem Niveau.

Dabei ist das Gesamtvolumen der Ostexporte gemessen am Außenhandel der Bundesrepublik insgesamt außerordentlich gering. Die Bundesrepublik Deutschland verkaufte 1990 an die mittel- und osteuropäischen Länder mit ca. 380 Millionen Einwohnern wertmäßig ebensoviel Güter wie an die Niederlande mit ihren ca. 15 Millionen Einwohnern. Der gesamte Export nach Ungarn, Polen und in die CSFR mit 65 Millionen Einwohnern erreichte kaum das Niveau unserer Exporte nach Dänemark mit ca. 5 Millionen Einwohnern. Die Relationen zeigen dramatisch den Rückstand in der Einbettung der osteuropäischen Länder in die internationale Arbeitsteilung, aber auch das enorme Potential, das es für die Exportwirtschaft in Osteuropa auszuschöpfen gilt.

Allerdings spielt der Osthandel im Export der ostdeutschen Bundesländer nach wie vor eine dominierende Rolle. Circa 80 % der Ausfuhren ostdeutscher Unternehmen gingen 1990 in die ehemaligen RGW-Länder, nur 13% in die westlichen Industrieländer und 6 % in die Entwicklungsländer. In 1991 hat sich das Gewicht der Ausfuhren in die ehemaligen Staatshandelsländer zwar auf ca. 67 % reduziert, dies aber weniger als Folge aktiver Umstrukturierungsbemühungen der Unternehmen, sondern vielmehr, weil die Bestellungen aus diesen Ländern drastisch zurückgingen. Ganz anders das Bild in den westlichen Bundesländern: nur 4 % der Exporte wurden 1990 mit den Ländern des ehemaligen RGW (ohne die ehemalige DDR) abgewickelt, 85 % mit westlichen Industrieländern und ca. 10 % mit Entwicklungsländern.

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Die aktuelle Entwicklung im Osthandel der neuen Bundesländer ist besorgniserregend. Bei der Zustandsbeschreibung empfiehlt es sich, zwischen dem Handel mit der ehemaligen Sowjetunion und dem mit den übrigen mittel- und osteuropäischen Ländern zu unterscheiden. 1991 hat es nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) erhebliche Einbrüche bei den Ausfuhren in die ehemalige Sowjetunion gegeben. Es kam zu einer Halbierung der Exporte von 17,8 Mrd. DM auf ca. 9 Mrd. DM. Für 1992 wird mit einer Stagnation auf diesem Niveau gerechnet. Daß der Export in die frühere UdSSR nicht völlig zum Erliegen kam, war vor allem der Tatsache zu verdanken, daß die Bundesregierung einen Sonderbürgschaftsrahmen bei der Exportversicherung für Ausfuhren ostdeutscher Betriebe bereitstellte.

Beim Handel mit den kleineren osteuropäischen Ländern muß man sogar von einer noch katastrophaleren Entwicklung sprechen. Die Ausfuhren gingen von 12,7 Mrd. DM in 1990 auf 3 Mrd. DM in 1991 zurück, was einem Rückgang von 76 % entspricht. Für 1992 wird mit einem leichten Anstieg der Exporte auf ca. 3,5 Mrd. DM (plus 17%) gerechnet. Besonders betroffen von diesem Rückgang waren Bulgarien, die CSFR, Rumänien und Ungarn, Polen in geringerem Maße.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Importen. 1990 bezogen die Unternehmen in den neuen Bundesländern noch Güter im Wert von 9,1 Mrd. DM aus der ehemaligen Sowjetunion; 1991 gingen die Wareneinfuhren auf 6,2 Mrd. DM zurück (- 32 %), für 1992 wird mit einer Zunahme der Einfuhren auf 7,5 Mrd. DM (+ 21 %) gerechnet.

Auch bei den Importen schnitten die kleineren mittel- und osteuropäischen Staaten ungünstiger ab. Die Einfuhren nahmen von 6,3 Mrd. DM in 1990 auf 2,1 Mrd. DM in 1991 ab (- 66 %). Für 1992 wird eine leichte Besserung (+ 300 Mio.) erwartet.

Die Dramatik der Entwicklung und gleichzeitig die Notwendigkeit zu wirtschaftspolitischem Gegensteuern wird auch daran deutlich, daß der Anteil des Außenhandels der neuen Bundesländer am gesamten Außenhandelsvolumen der Bundesrepublik bei den Exporten von 6 % in 1989 auf unter 3 % in 1991 gesunken ist und bei den Importen von 7,5 % in 1989 auf 2 % in 1991. Auch das früher bedeutende Gewicht Ostdeutschlands am gesamtdeutschen Ost-

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handel (1989 und 1990 noch ca. 50 %) reduzierte sich in 1991 auf unter 30 %. Die alten Bundesländer haben also in 1991 auf den osteuropäischen Märkten durch z.T. beachtliche Zuwachsraten aufgeholt.

Trotz der insgesamt negativen Tendenzen blieb der Handelsbilanzsaldo der neuen Bundesländer positiv, reduzierte sich allerdings von 15,3 Mrd. DM in 1990 auf 5,6 Mrd. DM in 1991; dieses insbesondere im Osthandel, wo der Außenhandelssaldo von 15,1 Mrd. DM in 1990 auf 3,7 Mrd. DM in 1991 zurückging (da die Importe stärker zurückgingen als die Exporte, wurde eine Passivierung der Handelsbilanz vermieden).

Bei der Interpretation der Zahlen ist allerdings zu bedenken, daß mit fortschreitender wirtschaftlicher Integration der alten und der neuen Bundesländer eine getrennte Erfassung des ostdeutschen und westdeutschen Außenhandels immer weniger Sinn macht. So erreichen eine Reihe von Importgütern aus Ungarn oder der CSFR auf eingefahrenen Handelswegen über die alten Bundesländer ihren Weg in die neuen Bundesländer, ohne daß sich das in den Importzahlen der neuen Bundesländer niederschlägt. Umgekehrt finden Zulieferungen aus den neuen Bundesländern an Firmen in den alten Bundesländern ihre endgültige Bestimmung in Endprodukten für den Export in die ehemalige Sowjetunion oder nach Polen. Auch hier wird die Exportbilanz Ostdeutschlands statistisch nicht tangiert.

Insgesamt bleibt es dabei, daß Osteuropa und besonders die ehemalige Sowjetunion der wichtigste Außenhandelsmarkt für die neuen Bundesländer ist und es auch wohl in naher Zukunft bleiben wird.
Ca. zwei Drittel aller Exporte und Importe gehen in diese Region bzw. kommen aus dieser Region (allein die Hälfte davon in und aus der ehemaligen UdSSR).

Die Struktur des Außenhandels der neuen Bundesländer unterscheidet sich von der der alten Bundesrepublik. Ca. die Hälfte des Ausfuhrvolumens Ostdeutschlands besteht aus Maschinenbauerzeugnissen und - zu einem geringeren Teil - dem Fahrzeugbau. Den Export der alten Bundesrepublik führt der Straßenfahrzeugbau an. Chemische Erzeugnisse haben in Ost- wie in Westdeutschland in etwa das gleiche Gewicht, wobei aus Ostdeutschland primär Düngemittel und medizinische und pharmazeutische Produkte exportiert werden, aus dem Westen hingegen vor allem organische chemische Erzeugnisse

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und Kunststoffe. Eisen- und Stahlprodukte sowie Textilien nehmen in der ost- wie in der westdeutschen Exportstruktur in etwa den gleichen Rang ein.

In der Einfuhrstruktur spiegelt sich die Abhängigkeit der früheren DDR von Erdöl- und Erdgaslieferungen aus der ehemaligen Sowjetunion wider. Jede vierte für Importe zur Verfügung stehende Mark wurde dafür ausgegeben. Daneben nahmen Importe von Maschinenbauprodukten einen hohen Rang ein.

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1.2 Traditionelle Verflechtungen und Abhängigkeiten

Nach neueren Befragungen ostdeutscher Unternehmer durch das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), Berlin, werden Produkte des Waggonbaus, des Landmaschinenbaus, des Anlagenbaus und der Pharmazie als besonders wettbewerbsfähig im Osthandel eingestuft. Diese Produktpalette spiegelt nach wie vor in hohem Maße die Exportstruktur der Ex-DDR wider. Die Umorientierung ostdeutscher Unternehmen auf westliche Exportmärkte läuft zumeist nur zäh an. Dafür ist einerseits sicherlich verantwortlich, daß es bisher noch nicht gelungen ist, wettbewerbsfähige, westlichen Standards genügende Produkte herzustellen und schlagkräftige Vertriebsorganisationen aufzubauen. Andererseits ist es für diese Unternehmen auch nicht unbedingt einsichtig, alte Abhängigkeiten abzubauen, wo doch viele der früheren Partner im RGW, und hier ganz besonders die frühere UdSSR, wegen der dort gepflegten strengen Arbeitsteilung auf traditionelle Lieferungen aus den neuen Bundesländern angewiesen sind.

So waren beispielsweise 1990 in der Sowjetunion bei kaltgewälztem Stahl und Blechen mehr als 12 % des gesamten Verbrauchs Importe, bei Autobatterien 13% und bei Kleinmotoren für Haushaltsgeräte 16%. Die für die Deviseneinnahmen so wichtige Öl- und Gasindustrie führte mehr als 20 % der Bohreinrichtungen aus dem Ausland ein. Auch bei Kunststoffen, Maschinen und Einrichtungen und bei Konsumgütern wurden hohe Importquoten (20 bis 25 %) ausgewiesen. Von Autarkie der sowjetischen Wirtschaft kann keine Rede sein.

Es entwickelte sich im Osthandel der ehemaligen DDR eine Exportstruktur, die beispielsweise bei Eisenbahnwaggons sowie im Bagger- und Kranbau mit

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einem Exportvolumen von 80% am Umsatz, bei Fischereifahrzeugen von 70%, bei Werkzeugmaschinen sowie in der Elektrotechnik von 50 bis 60% Spitzenexportwerte erreichte. Hinter dieser Struktur stehen so bekannte Betriebe der Investitionsgüterindustrie wie z.B. die Deutsche Waggonbau AG, die Personen-, Güter- und Kühlwaggons herstellt, der Schiffbauer Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG/Rostock, der Elektro- und Anlagenbauer Elpro AG/Berlin, die Sket Maschinen- und Anlagenbau AG/Magdeburg (Produktion von Walzwerkausrüstungen), die Takraf AG/Leipzig (Anlagenbau), die SKL AG/Magdeburg (Motoren- und Systemtechnik), die Weimar-Werk GmbH/Weimar (Land- und Baumaschinen), die Kühlautomat Berlin GmbH (Kältemaschinen) sowie die Nagema AG/Dresden (Nahrungsmittel-, Fleischverarbeitungs- und Getränkemaschinen), um nur einige zu nennen. Ebenso orientieren sich die chemische, Textil- und Konsumgüterindustrie wie auch einige Bereiche der mittelständischen Industrie noch stark nach Osten. Zwar wurden die Ostexportquoten zum Teil erheblich reduziert, das geschah aber - wie bereits erwähnt - weniger auf der Basis einer gezielten Strategie zur Erschließung neuer Märkte im Westen, als vielmehr deswegen, weil getätigte Vertragsabschlüsse zum Beispiel mit der früheren Sowjetunion unsicher wurden bzw. neue Abschlüsse nicht zustande kamen.

Nach dem Übergang zur Abrechnung des Außenhandels in konvertiblen Währungen zum 1.1.1991 kam es zu dramatischen Verwerfungen im Osthandel. Der Handel zwischen den alten RGW-Partnern kam weitgehend zum Erliegen. Die ehemalige Sowjetunion reduzierte ihre Importe von ca. 70 Mrd. Rubel in 1990 auf nur 23 Mrd. Rubel in 1991
(-67%). Wegen Devisenmangels nicht verfügbare, aber gleichwohl dringend benötigte Importe ließen die ohnehin begrenzten Exportchancen dieser Länder auf den devisenbringenden Westmärkten noch weiter sinken. Eine tiefgreifende Rezession in allen ehemaligen RGW-Ländern mit Rückgängen des Bruttosozialprodukts in 1991 von 20 % in Bulgarien, 13 % in der Sowjetunion bis hin zu 7 % in Ungarn, und schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion mit großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Instabilitäten taten ein übriges, um die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte der Länder zu verschärfen.

Vor diesem Hintergrund - riesiger Importbedarf in den mittel- und osteuropäischen Ländern, ausreichend vorhandene Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte in den neuen Bundesländern zur Bedienung dieses Bedarfs, fehlende

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Möglichkeiten der Finanzierung dieses Handels - gilt es nach neuen Wegen zu suchen bzw. alte Wege zu reaktivieren, um die für die Wirtschaft und die Beschäftigung in Ostdeutschland so lebenswichtigen Exporte wieder in Gang zu bringen.

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1.3 Osthandel und Beschäftigung

Arbeitsmarktpolitisch von hohem Interesse ist in der Diskussion um die Förderung der Ostexporte die Frage, welche Beschäftigungseinbußen die Unternehmen aus den neuen Bundesländern durch den Rückgang bzw. den Zusammenbruch des Handels mit den mittel- und osteuropäischen Ländern und der ehemaligen Sowjetunion hinnehmen mußten. Ganz exakt lassen sich die Beschäftigungswirkungen des Osthandels nicht beziffern. Geht man davon aus, daß die Exportquote in der Industrie der ehemaligen DDR, also der Anteil der Exporte am industriellen Gesamtprodukt, ca. 24 % betrug, und nimmt man weiter an, daß der Anteil der für den Export Tätigen an allen Beschäftigten nicht sehr von der Exportquote abweicht, so kommt man auf eine Größenordnung von 700 bis 800.000 direkt Beschäftigten. Bei dieser Kalkulation wird vorausgesetzt, daß es keine allzu großen Produktivitätsunterschiede zwischen den im Export Tätigen und den übrigen Beschäftigten gab. Dazu kam noch einmal dieselbe Anzahl Beschäftigter in Zulieferbetrieben. Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) betrug die Quote der Ausfuhren in das sozialistische Wirtschaftsgebiet am Gesamtexport der Industrie
ca. 14 %, was einer vom Export in den Osten direkt und indirekt abhängigen Beschäftigtenzahl in der Industrie von ca. 900.000 entsprach.

Der größte Teil davon war im Maschinen-, Schiffs- und Fahrzeugbau beschäftigt mit z.T. erheblichen regionalen Konzentrationen beispielsweise an der mecklenburgischen Ostseeküste, in Dessau und Ammendorf sowie in Magdeburg.

Von welchen Arbeitsplatzverlusten muß man nun angesichts des Einbruchs im Osthandel ausgehen? Nach Untersuchungen des DIW ist bis Ende 1990 die Exportquote der Industrie der neuen Bundesländer von vormals 25 % auf ca. 19% gesunken. Nimmt man wieder an, daß ca. 60% dieses Rückgangs auf den Osthandel entfällt und berücksichtigt auch die indirekt vom Osthandel

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abhängigen Beschäftigten, so muß man wohl von Arbeitsplatzrückgängen in der Größenordnung von ca. 200 bis 300.000 Beschäftigten allein in der Industrie ausgehen. In 1991 dürfte die Zahl der Freisetzungen noch einmal scharf angestiegen sein.

Würde der Markt der ehemaligen Sowjetunion aus den befürchteten und inzwischen eingetretenen politischen, sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten des Landes heraus ganz wegbrechen, so ist nach Angaben des DIW mit dem Verlust von ca. 600.000 Arbeitsplätzen mit unterschiedlicher räumlicher Konzentration zu rechnen. Dazu ist es in 1991 noch nicht gekommen, die Perspektiven für 1992 haben sich aber verschlechtert. Angesichts fehlender Ersatzarbeitsplätze stehen viele Regionen in den neuen Bundesländern vor einer Beschäftigungskatastrophe, deren Folgen auch auf mittlere und längerfristige Sicht nur schwer zu beheben sein werden, und die sich in sozialen Spannungen und Abwanderungen entladen kann.

Diese Dimensionen machen deutlich, daß für 1992 dringender arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf besteht. Es geht um

  • Hilfen für Exportunternehmen in Ostdeutschland zur Modernisierung und Umstrukturierung auf weltmarktfähige Produkte und Dienste mit westlichen Standards,

  • Hilfen zur Erleichterung und Sicherung der Finanzierung des Osthandels, um die Auftragslage zu stabilisieren und weiterzuentwickeln und

  • Hilfen zur Erhöhung der Aufnahmefähigkeit der Länder des ehemaligen RGW für Produkte aus den neuen Bundesländern.


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1.4 Kampf um alte und neue Märkte - Umstrukturierungsbemühungen ostdeutscher Exportunternehmen

Eine herausragende Rolle im Ostgeschäft, vor allem im Handel mit der früheren Sowjetunion, spielte in der alten DDR die Deutsche Waggonbau AG (DWA) in Berlin. Das Unternehmen, das u.a. Reisezugwagen, Kühlfahrzeuge und Spezialgüterwagen herstellt, beschäftigte noch 1990 in seinen Werken ca.

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25.000 Arbeitnehmer. Zur Zeit hat das Unternehmen nur noch 12.000 Beschäftigte, hinzu kommt noch einmal etwa die gleiche Zahl Beschäftigter in Zulieferbetrieben. In Halle und Dessau produzierten die Waggonbaubetriebe ganz überwiegend (mehr als 80 %) für den sowjetischen Markt, auf dem sie schon beinahe eine Monopolstellung erreichten.

Die Handelsbeziehungen zur ehemaligen Sowjetunion sind für die DWA traditionsreich und außerordentlich eng: Zu DDR-Zeiten meldete das Unternehmen ständig neue Superlative im Export in die ehemalige Sowjetunion. Insgesamt wurden ca. 33.000 Weitstreckenpersonenwagen und ca. 43.000 Kühlfahrzeuge und Güterwagen geliefert. Man entwickelte ein Know-how für den sowjetischen Markt, das Maßstäbe setzte. 1991 lieferte das Werk 1.022 Reisezugwagen und 1.400 Kühlfahrzeuge an die sowjetischen Eisenbahnen aus, für 1992 sind Steigerungsraten vorgesehen.

Drei Ursachen sind für diese Entwicklung verantwortlich. Zum einen ist die Deutsche Waggonbau AG nach wie vor Nutznießer des hohen Grades an Spezialisierung im ehemaligen RGW. Niemand sonst in den osteuropäischen Ländern baut derartige Eisenbahnwaggons. Zum anderen scheint die ehemalige UdSSR für Waggons unbegrenzt aufnahmefähig. Die ehemals sowjetischen Eisenbahnen sind das Rückgrat der Wirtschaft. Ca. 55 % aller Transporte der ehemaligen Sowjetunion werden von den Eisenbahnen übernommen, 40 % sind Rohrleitungstransporte und nur 5 % werden auf Straßen bzw. im Luftverkehr abgewickelt. Schließlich sicherte die Bundesregierung über Verträge mit der ehemaligen Sowjetunion und durch das Angebot günstiger Finanzierungsbedingungen (Hermes-Sonderkonditionen) für 1991 das Auftragspolster des Unternehmens ab. Die Deutsche Waggonbau AG profitierte von diesem Paket mit ca. 1,3 Mrd. DM. Für 1992 wurde ein weiterer Vertrag mit einem Auftragspaket von ca. 1,4 Mrd. DM abgeschlossen, auch für 1993 liegen bereits Exportverträge über ca. 1,6 Mrd. DM vor.

Eine wesentliche Rolle für die Gesundung der Deutschen Waggonbau AG wie auch der ostdeutschen Exportwirtschaft insgesamt spielt die Frage, ob es ihr gelingt, sich aus der durch den ehemaligen RGW aufgezwungenen einseitigen Orientierung auf die früheren Partner in Osteuropa zu lösen, die zu intensiven Handelsverflechtungen zu lockern und mehr Marktanteile auf den westlichen Märkten zu erringen.

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Als großes Hemmnis für eine erfolgreiche Umstrukturierung auf Westmärkte erweist sich die überkommene Arbeitsteilung im ehemaligen RGW. An dieser einstmals zentralstaatlich festgelegten Importstruktur orientiert sich die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) nach wie vor. Die Unternehmen in Ostdeutschland spürten bisher jedenfalls zu wenig Anreize, ihre Produktpalette auf neue Angebote umzustellen. Es gibt allerdings schon seit einiger Zeit konkrete Hinweise darauf, daß sich die GUS-Republiken mehr und mehr von der fast ausschließlich auf Investitionsgüter ausgerichteten zentralen Importpolitik abwenden und beispielsweise mehr Produkte aus dem Konsumgüterbereich bei den Einfuhren Berücksichtigung finden. Dieser Prozeß wird sich verstärken. Die neuen Signale aufzunehmen und alternative Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu entwickeln, um im Wettbewerb mitzuhalten, ist eine Chance für die ostdeutschen Exporteure, die sie ergreifen sollten.

Den meisten ostdeutschen Unternehmen ist klar, daß die extrem hohen Exportquoten im Osten nicht zu halten sein werden. Der Prozeß der Reduktion hat schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer eingesetzt, sich massiv nach der Beseitigung des Regimes des Transfer-Rubels fortgesetzt und dürfte angesichts der politischen und wirtschaftlichen Instabilitäten in der ehemaligen Sowjetunion noch lange nicht zum Ende gekommen sein. Einige Experten befürchten sogar, daß der Export in diese Regionen völlig zum Erliegen kommen wird; die augenblicklichen Turbulenzen in den ehemals sowjetischen Republiken lassen diese These zumindest nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen.

Gleichzeitig bekunden die ostdeutschen Unternehmen der Exportwirtschaft auch, daß sie sich auf Westniveau einstellen wollen. Inwieweit sie dazu auch kurzfristig in der Lage sein werden, ist eine andere Frage. Die Bundesregierung ging bisher von einer schnellen Umstellung aus. Sie hat der ostdeutschen Exportwirtschaft in 1991 zwar noch eine Galgenfrist in Form der bereits erwähnten großzügigen Kreditsonderkonditionen deutscher Banken, die der Bund durch Hermesbürgschaften absichert, gegeben, aber gleichzeitig angekündigt, Ende 1991 diese Sonderbehandlung ostdeutscher Unternehmen auslaufen zu lassen.

Die Treuhand als Noch-Eignerin vieler großer Exportfirmen und die ostdeutschen Unternehmen selber sind in dieser Frage wesentlich skeptischer, z.T.

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auch widersprüchlich. So forderte der Vizepräsident der Treuhandanstalt, Hero Brahms, in einem Interview mit der SZ am 9.9.1991 eine Fortführung der Hermes-Sonderkonditionen für Exportkredite über den 31.12.1991 hinaus. "Die Ostexporte sind für viele Unternehmen nach wie vor lebenswichtig. Eine kurzfristige Umstellung auf andere Märkte im Westen ist völlig unrealistisch". Brahms geht davon aus, daß die Umstrukturierungs- und Sanierungsbemühungen in den betreffenden Unternehmen noch Jahre dauern werden. Anderer Meinung ist zu Jahresbeginn 1992 die Präsidentin der Treuhandanstalt, Birgit Breuel, die eine "Abkehr von der Denkwelt der Hermes-Bürgschaften" fordert und zu neuen Formen der Zusammenarbeit mit den GUS-Staaten wie auch zu einer schnelleren Umstellung auf Westmärkte auffordert.

Die ostdeutschen Exportunternehmen jedenfalls sehen auf mittlere Sicht keinen gleichwertigen Ersatz für die Exporte nach Osteuropa und speziell in die ehemalige Sowjetunion. Sie bezeichnen die geforderte rasche Umstellung auf Westmärkte als weitgehend illusorisch und fordern mehr Zeit zur Umstrukturierung. Einige Umstellungserfolge sind auch schon zu registrieren, dennoch klagt die Treuhand, daß noch zu viele Unternehmenskonzepte, die ihr jetzt zur Prüfung vorliegen, einseitig auf eine vom Staat durch Hermes-Bürgschaften unterstützte Stabilisierung und Ausweitung des Geschäfts mit den ehemaligen sowjetischen Republiken setzen, und damit auf Gedeih und Verderb von deren weiterem Schicksal abhängig sind. Die Beendigung des Hermes-Sonderprogramms 1991 macht viele dieser Sanierungskonzepte weitgehend zu Makulatur.

Auch die Deutsche Waggonbau AG setzt bis in die weite Zukunft hinein auf den Ostmarkt GUS. Trotz einiger Bemühungen, mit neuen Produkten des Fahrzeugbaus im Westen Fuß zu fassen, versucht man doch als Hauptstrategie, die traditionsreichen Bindungen im Waggonbau zur ehemaligen Sowjetunion bzw. den Folgerepubliken zu sichern und soweit möglich auszubauen.

Angesichts des immer enger werdenden finanziellen Rahmens staatlicher Exportförderung intensiviert die Deutsche Waggonbau AG wie auch eine Reihe anderer Unternehmen alle Anstrengungen, die darauf ausgerichtet sind, die Zahlungsprobleme ihrer östlichen Handelspartner zu umgehen und ihren Devisenbedarf für Importe zu reduzieren. So denkt man daran, verstärkt Vor-

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materialien, Bauteile und Baugruppen bei Herstellern in der GUS einzukaufen. Das würde auch gleichzeitig die Herstellungskosten im Waggonbau senken und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöhen. Weiterhin ist daran gedacht, mit dem Moskauer Waggonbauwerk Twer ein Joint Venture einzugehen mit dem Ziel, rollendes Material in der ehemaligen Sowjetunion zu entwickeln und herzustellen. Auch dies ein Beitrag zur Verringerung der GUS-Importe.

Alle diese Aktivitäten sind insoweit sehr sinnvoll, als sie in den GUS-Republiken einen positiven Wachstums- und Modernisierungseffekt haben und die internationale Zahlungsfähigkeit der GUS-Handelspartner fördern.

Weiterhin beabsichtigt das Unternehmen, neue und bessere Produkte für den Nahverkehr zu produzieren. Aktivitäten außerhalb der überkommenen Produktionspalette sind bis jetzt nicht geplant, obwohl angesichts des hohen Spezialisierungsgrades des Unternehmens eine deutliche Diversifizierung dringend erforderlich wäre.

Wie sehr die Exportunternehmen in den neuen Bundesländern auch langfristig auf den Ostmarkt setzen, kann daran abgelesen werden, daß sie nach den bereits zitierten neueren Umfragen Forschungskooperationen mit Unternehmen in der ehemaligen Sowjetunion eine große Bedeutung beimessen. 75 % der vom IAW befragten Unternehmer halten derartige Kooperationen für wichtig, einige haben auch selber bereits entsprechende Verträge abgeschlossen.

Als vorläufiges Fazit bleibt festzustellen, daß die alleinige Orientierung der ostdeutschen Exportunternehmen auf osteuropäische Märkte, vor allem auf die ehemalige Sowjetunion, und die Pflege alter Lieferbeziehungen nach vorgegebenem Spezialisierungsmuster im ehemaligen RGW sich bei den augenblicklichen politischen und wirtschaftlichen Instabilitäten dort als außerordentlich riskant und über kurz oder lang verhängnisvoll auswirken dürfte. Es sind alle Anstrengungen der Unternehmen darauf zu richten, ein höheres Maß an Diversifizierung und an Westorientierung in der Produktions- und Exportstruktur zu erreichen und darüber hinaus neue Wege der technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den GUS-Republiken einzuschlagen, die für beide Partner Wachstums- und beschäftigungsfördernd sind.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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