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4. Mieten und Mieterschutz in den neuen Bundesländern

Neben der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz ist die Unsicherheit im Bereich des Wohnens das wohl drängendste Problem für die Menschen in den neuen Bundesländern, und auch für Westdeutschland ist abzusehen, daß steigende Mieten und Wohnraumknappheit nicht nur in den Ballungsgebieten besonders die Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen belasten werden. Für die neuen Bundesländer läßt sich aber eine Häufung von Problemen feststellen, die mit der Situation in den alten Ländern nicht zu vergleichen ist:

  1. Zur Zeit fehlen, so die Schätzungen des Deutschen Mieterbundes, in den neuen Bundesländern etwa l Mio. Wohnungen.

  2. Der Abbau der Ausstattungsdefizite und damit der enorme Modernisierungs- und Instandsetzungsbedarf wird auch die Mieter zusätzlich belasten.

  3. Um auch nur annähernd gleichartige Lebens- und Wohnverhältnisse herzustellen, ist ein großer Nachholbedarf abzudecken, da zum Beispiel die durchschnittliche Wohnungsgröße pro Mieter in Ostdeutschland mit 26 qm um fast ein Drittel niedriger liegt als in den alten Bundesländern.

  4. Aufgrund einer ungünstigen Einkommensschichtung können in Ostdeutschland auf absehbare Zeit keine kostendeckenden Mieten erhoben werden. Während zum Beispiel in Westdeutschland nur etwa 17 % der Haushaltseinkommen unter 2.000 DM liegen, sind es in Ostdeutschland fast 45%.

Der Mieterschutz in den neuen Bundesländern ist für die Mieter etwas vollständig Neues. Bisher war "das Wohnen" für die Bürger der ehemaligen DDR nur ein relativ kleines Problem, abgesehen von den oft langen Wartezeiten bei der Zuweisung einer Wohnung und den Ausstattungsmängeln. Im Gegensatz zu Westdeutschland aber waren Kündigungen oder Mieterhöhungen für die Bürger der ehemaligen DDR kaum ein Problem. Die Notwendigkeit eines Mieterschutzes im westlichen Sinne war somit nicht gegeben.

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Die Mieter in Ostdeutschland sind heute mit einer ihnen vollkommen neuen sozialen Situation und einem zum Teil völlig fremden Mietrecht konfrontiert, so daß dem Mieterschutz und flankierenden sozialen Maßnahmen zur Unterstützung der Mieter hier eine noch größere Bedeutung zukommt als in Westdeutschland.

Heute basiert der Mieterschutz in Ostdeutschland auf den einschlägigen Vorschriften im BGB und aller dazugehörenden Verordnungen und darüber hinaus auch auf einzelnen mietrechtlichen Schutzvorschriften des Einigungsvertrages, insbesondere im Hinblick auf die Mietpreisbindung. Der Mieterschutz wird aber auch bei notwendigen Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen wirksam, wenn dies zu sozialen Härten führt.

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4.1 Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen

Mit den Mieterhöhungserklärungen zum 1.10.1991, die zum Teil erhebliche Formfehler aufwiesen, wurden, so der Deutsche Mieterbund, in einzelnen Fällen auch unberechtigte Forderungen nach Modernisierungsumlagen erhoben. Bei geplanten Modernisierungsmaßnahmen müssen aber bestimmte Anforderungen eingehalten werden, die zum Teil von den privaten Vermietern und auch den Wohnungsunternehmen nicht immer beachtet werden, zum Beispiel im Hinblick auf die Ankündigung und die An und den Umfang der Maßnahmen sowie die daraus resultierenden Mieterhöhungen. Darüber hinaus haben einzelne Vermieter die Mieterhöhungen zum Anlaß genommen, in den Wohnungen vorhandene Einrichtungsgegenstände (Einbauküchen, Herde, Heizgeräte etc.) auf die Mieter zu übertragen, ohne darüber zu informieren, daß dann zum Beispiel auch die Kosten für den Einbau neuer Heizgeräte und Herde im Rahmen von Instandsetzungsmaßnahmen von den Mietern übernommen werden müssen (Instandsetzungspflicht).

Darüber hinaus finden sich im Bereich geplanter Sanierungsmaßnahmen heute in den neuen Bundesländern verstärkt Versuche von Vermietern, die entsprechenden Wohnungen und Häuser "leerzuziehen", das heißt die Mieter mit teilweise unlauteren Mitteln zur Kündigung zu veranlassen, um nach abgeschlossener Sanierung entsprechend höhere Mieten bei Neuverträgen durchzusetzen.

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Besonders das rüde Auftreten einzelner westdeutscher Vermieter und Versuche, Häuser und Wohnungen "kaputt zu sanieren" und Mieter zu verdrängen, hat zu einem teilweise angespannten Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern geführt. Eine positive "Prozeßverhinderungsstatistik" weist demgegenüber aber auch darauf hin, daß Mieter, Mieterbund und Vermieter zu kooperativen Lösungen bereit sind.

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4.2 Mietminderungen

Ein viel diskutiertes Thema in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft ist die Frage möglicher Mietminderungen aufgrund gravierender Ausstattungsmängel der Wohnungen. Auch der Deutsche Mieterbund geht davon aus, daß hier ein genereller Vergleich mit westdeutschen Verhältnissen nur eingeschränkt möglich ist und daß eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Mietminderung in jedem Einzelfall geprüft werden muß. Weder die kursierenden Mietminderungstabellen noch eine undifferenzierte Übernahme der einschlägigen westdeutschen Rechtsprechung - Mietminderungsrecht ist in erster Linie Richterrecht - kann den ostdeutschen Verhältnissen und den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Vermieter und Wohnungsunternehmen gerecht werden.

Während für den Bereich der "neuen Mängel", also bei Einschränkungen der Wohnqualität, die zum Beispiel aktuell erst durch Veränderungen in den Häusern oder im Wohnumfeld entstanden sind, danach eine Mietminderung unter Verweis auf westdeutsche Regelungen sicher angemessen ist, ist bei "alten Mängeln", die insbesondere den schlechten Zustand der Wohnungen und des Wohnumfeldes betreffen und die schon seit Jahren bekannt sind, demgegenüber, so der Deutsche Mieterbund, auch die finanzielle "Opfergrenze" des Vermieters zu berücksichtigen. Denn massenhafte Mietminderungen unter Berufung auf westdeutsches Recht würden nicht nur eine Prozeßlawine auslösen, sondern die wirtschaftliche Situation der Vermieter und damit die Möglichkeiten zur raschen Sanierung weiter einschränken. Insbesondere wenn die bisherigen Mieten und auch die Mieterhöhungen ohne Beanstandungen gezahlt wurden, können Mietminderungsansprüche aufgrund alter Mängel wohl nicht mehr erhoben werden. Der Deutsche Mieterbund geht davon aus, daß es für diese Problematik zukünftig eine gesonderte Rechtsprechung geben wird und fordert

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Mieter und Vermieter insgesamt zu kooperativen und moderaten Lösungen auf, um die Situation der Wohnungswirtschaft nicht noch durch langwierige und kostspielige Prozesse weiter zu verschlechtern.

Auch die Wohnungsunternehmen, die zunehmend mit Mietminderungsbegehren konfrontiert sind, betonen, daß die bundesdeutsche Rechtsprechung nicht zum Maßstab für entsprechende Forderungen der Mieter gemacht werden kann. Zum Beispiel hat die GeWo Suhl bislang etwa 400 Mängelanzeigen entgegengenommen, die von einer eigens eingesetzten Arbeitsgruppe bewertet werden. Insbesondere aber bei bautypischen Altlasten, zum Beispiel gravierenden Mängeln bei der Plattenbauweise, die den Mietern schon vor Vertragsabschluß bekannt waren, ist der Vergleich mit dem qualitativen Standard der alten Bundesländer, so die ostdeutsche Wohnungswirtschaft, kein Maßstab für die Rechtsprechung. Ähnliches gilt für diejenigen Mängel, die bisher aufgrund fehlender finanzieller und bautechnischer Kapazitäten noch nicht behoben werden konnten.

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4.3. Eigenbedarf und Einliegerwohnungen

Anfang 1993 stellt sich für den Deutschen Mieterbund ein weiteres wichtiges Problem des Mieterschutzes. Denn bis dahin sollen die besonderen Regelungen des Einigungsvertrages zum Schutz vor Eigenbedarfskündigungen und im Bereich der Einliegerwohnungen auslaufen. Schon heute gehen viele Mieter auf ungerechtfertigte Eigenbedarfskündigungen und Mieterhöhungen ein. Darüber hinaus gibt es in Ostdeutschland etwa 500.000 Einliegerwohnungen, für die gemäß dem westdeutschen Recht ab 1993 eingeschränkte Mieterschutzbestimmungen gelten; die Mieter dieser Wohnungen sind verstärkt von Mieterhöhungen bzw. Kündigungen bedroht. Selbst wenn nur der kleinere Teil dieser Mietverhältnisse unter Hinweis auf Eigenbedarf gekündigt wird, stellt sich die Frage, wo diese Mieter angesichts fehlenden Wohnraums untergebracht werden sollen. Der Deutsche Mieterbund fordert daher eine Verlängerung der besonderen Mieterschutzbestimmungen des Einigungsvertrages um vier bis fünf Jahre, bis entsprechende Ersatzwohnungen neu erstellt sind. Die zu erwartende Zahl der Neubauwohnungen bis Ende 1992 kann nicht einmal ansatzweise diesen Ersatzbedarf decken.

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4.4 Wohngeld

Seit dem 1.10.1991 gilt in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin ein neues Wohngeldgesetz, das in einigen Punkten vom Wohngeldgesetz in Westdeutschland abweicht. Als staatlicher Zuschuß zu den Wohnkosten soll das Wohngeld denjenigen Personen und Familien zukommen, die aufgrund eines unzureichenden Einkommens nicht in der Lage sind, eine angemessene Wohnung zu unterhalten. Die zum gleichen Datum erfolgten Mieterhöhungen sind aber dennoch an die Grenze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vieler Mieter herangegangen, zum Teil sogar darüber hinaus. Denn ca. 10% der Mieter in den neuen Bundesländern müssen heute trotz Wohngeldberechtigung noch immer mehr als 30% ihres Einkommens für die Mieten und Nebenkosten aufwenden. Angesichts des geringen Einkommens, nicht nur im Vergleich zu Westdeutschland, sondern auch in absoluten Größen gemessen, bestehen auf absehbare Zeit keine zusätzlichen Mieterhöhungsspielräume: Etwa jeder sechste Haushalt in den neuen Bundesländern verfügt über ein Einkommen von weniger als 1.000 DM und mehr als ein Viertel der Haushalte verfügt über 1.000 bis 2.000 DM. Darüber hinaus verhindert das Wohngeld nicht, daß insbesondere die Haushalte mit niedrigen Einkommen Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, mit all den negativen psychologischen Begleiterscheinungen, die damit verbunden sind.

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4.5 Mieter und Vermieter

Einer der Kernpunkte des Mieterschutzes in Ostdeutschland ist für den Deutschen Mieterbund das Verhältnis von Mietern und Vermietern im allgemeinen. Zum 1.10.1991 wurden zum Beispiel von kommunalen Wohnungsunternehmen "Mieterhöhungsbescheide" statt "Mieterhöhungserklärungen" an die Mieter verschickt und Mietminderungen wurden vom Mieter "beantragt" statt "durchgeführt". Hinter diesen Bezeichnungen verbirgt sich für den Deutschen Mieterbund ein überkommenes obrigkeitsstaatliches Denken auf seiten von Vermietern und Mietern, das den privatrechtlichen Charakter des Mietverhältnisses überlagert und insbesondere die Bereitschaft der Mieter, sich über die bestehenden mietrechtlichen Bestimmungen zu informieren und ihre Rechte auch einzuklagen, beeinträchtigt. Information und Beratung der Mieter ist damit eine wichtige Voraussetzung für den Mieterschutz und eine Aufgabe, der sich auch die kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften nicht entziehen können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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