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1. Der "Wohnungsmarkt" in den neuen Bundesländern

Der Zusammenbruch der ehemaligen DDR und die Wiedervereinigung haben zu einem fundamentalen Wandel der Lebensumstände aller Bevölkerungsgruppen in den fünf neuen Bundesländern geführt. Neben den drastischen Veränderungen in der Arbeitswelt, die sich für viele Arbeitnehmer zunächst in Form von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit niederschlagen, werden die persönlichen Lebensverhältnisse der Bürger in Ostdeutschland auch durch die Veränderungen im Bereich des Wohnens berührt. Denn vor dem Hintergrund einer gescheiterten Wohnungspolitik der SED-Regierung, die gleichzeitig das Kernstück der Sozialpolitik in der ehemaligen DDR war, stehen Mieter, Vermieter, Wohnungsunternehmen und staatliche Instanzen heute vor der "Jahrhundertaufgabe" einer Neugestaltung des Wohnungs"marktes", die gleichzeitig zu einer sozialverträglichen und wirtschaftlichen Nutzung und Instandhaltung der vorhandenen Bausubstanz führen und darüber hinaus den privaten Wohnungs- und Mietwohnungsneubau fördern soll.

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1.1 Sozio-ökonomische Ausgangssituation

Das ökonomische Grundproblem der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern besteht in der Diskrepanz zwischen den zur Zeit erhobenen Grundmieten, ca. 1,05 bis 2,55 DM/qm, und den notwendigen, kostendeckenden Mieten, die je nach Instandsetzungsbedarf der Wohnungen zwischen 5,- und 12,-DM/qm liegen dürften. Die staatlichen Subventionen für die Wohnungswirtschaft, die bisher etwa 75% der Mietkosten deckten und so Mieten auf dem Niveau der dreißiger Jahre ermöglichten, sind zum 1.1.1991 weggefallen. Angesichts des aus sozialen Gründen begrenzten Mieterhöhungsspielraumes, des enormen Modernisierungs- und Instandsetzungsbedarfes, fehlender Neubauwohnungen und der bisher auf etwa 50 Mrd. DM veranschlagten Defizite und Altschulden der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, ergibt sich daraus für die Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland heute ein erheblicher Subventionsbedarf, der nur durch Mittel der öffentlichen Hand gedeckt werden kann.

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Seit dem 3.10.1990 gilt das bundesdeutsche Miet- und Kündigungsrecht auch in den neuen Bundesländern; entsprechende Vereinbarungen im Einigungsvertrag sehen aber vor, daß die Erhöhung der Grundmieten nur in einem vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen möglich ist. Zum 1.10.1991 wurden dementsprechend die Grundmieten um durchschnittlich l,- DM/qm erhöht, wobei sich in der Praxis durch einzelne Zu- und Abschläge ein Mieterhöhungsspielraum von 0,70 bis 1,30 DM/qm ergab. Aus Sicht der Wohnungsunternehmen und der privaten Vermieter war diese Mieterhöhung ein Schritt "in die richtige Richtung" - an der grundsätzlichen Problematik hat sich aber kaum etwas geändert.

Die Disparitäten auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt werden besonders bei einem Vergleich mit westdeutschen Miet-Einkommensrelationen deutlich:

Während zu DDR-Zeiten ein Mieter etwa 4-10% seines Einkommens für Wohnungsmiete und Nebenkosten aufwenden mußte, so beträgt in Westdeutschland allein der Anteil der Grundmiete am Nettoeinkommen durchschnittlich mehr als 25%. Dennoch bleibt der Spielraum für Mieterhöhungen bzw. für die Einführung kostendeckender Mieten aus sozialen Gründen eng begrenzt, solange Löhne und Gehälter unterhalb des westdeutschen Niveaus bleiben und ganze Bevölkerungsgruppen durch den Prozeß der wirtschaftlichen Umstrukturierung von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bedroht sind.

Verschärft werden die Probleme auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt noch durch den zum Teil desolaten Zustand der Gebäude und die überproportional hohen Betriebskosten. Insbesondere zur Senkung der "warmen" Betriebskosten - der Heizenergieverbrauch liegt im Osten um 15-30% höher als im Westen - sind umfangreiche Investitionen im Bereich der Energieversorgung und der effizienten Energienutzung (Fenster, Wärmedämmung, Dächer, Fassaden, Heizungssysteme etc.) notwendig. Insgesamt, so schätzt der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, haben die meisten ostdeutschen Wohnungen ein Ausstattungsniveau, das dem der sechziger Jahre in Westdeutschland entspricht. Die Gesamtkosten für die Sanierung und Modernisierung des ostdeutschen Wohnungsbestandes werden auf 500 Mrd. DM geschätzt.

Schließlich hat die Wohnungsbaupolitik in der ehemaligen DDR seit Anfang der siebziger Jahre dazu geführt, daß Häuser und ganze Trabantenstädte mit industriell vorgefertigten Bauteilen ("Plattenbauweise") entstanden sind. Neben der

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unzureichenden Bausubstanz und den gravierenden Ausstattungsmängeln dieser Wohnungen, die schon heute einen erheblichen Sanierungsbedarf aufweisen, hatte die einseitige Präferierung dieser Bauweise auch erhebliche infrastrukturelle und soziale Folgen und führte insbesondere auch zu einer Vernachlässigung und teilweise zum Verfall der bisherigen (Alt)Stadtkerne. Heute sind etwa 10% aller Wohnungen in Ostdeutschland wegen Baufälligkeit nicht mehr bewohnbar. "Von den 250.000 Wohnungen in Leipzig, von denen 41% aus der Zeit vor 1918 stammen, können nach dem Urteil einheimischer Experten inzwischen 70.000 nicht mehr gerettet werden, wenn nicht sehr schnell Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden". [ Fn 1: Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: Forum Deutsche Einheit, Aktuelle Kurzinformation Nr. 1/91: "Wohnungsnot und Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern".]

Kennzeichnend für den Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern ist somit eine Kumulation ökonomischer und sozialer Probleme, die ohne eine aktive und damit kostenintensive Wohnungspolitik des Staates kaum zu lösen sind. Aber auch staatliche Subventionen werden allein nicht zu einer raschen Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse führen; vielmehr müssen auch die Rahmenbedingungen für private Investitionen im Wohnungsbau und für die Privatisierung vorhandener Mietwohnungen verbessert werden. Denn nur durch staatliche Aktivitäten und private Initiativen der Mieter und anderer Investoren kann sich in Ostdeutschland ein einigermaßen ausgeglichener Wohnungsmarkt entwickeln.

Im folgenden werden die wichtigsten Daten und Zahlen zur Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland dargestellt, die überwiegend auf Angaben des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft (GdW) basieren, der im September 1991 erstmals umfassendes Zahlenmaterial vorgelegt hat. [ Fn 2: Vgl. Wohnungswirtschaftliche Informationen - Mitteilungen für die gesamte Wohnungswirtschaft Nr. 37 vom 12.9.1991.]

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1.2 Grunddaten zur Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern

In den neuen Bundesländern und Berlin-Ost gibt es insgesamt etwa
7 Mio. Wohnungen. Gegliedert nach Eigentumsverhältnissen entfallen auf:

  • private Eigentümer/Vermieter42%,
  • kommunale Wohnungsunternehmen 32%,
  • Genossenschaften 16%;
  • für 10% der Wohnungen werden entweder Rückübertragungsansprüche Dritter geltend gemacht oder die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt.

Damit befinden sich heute schon mehr als zwei Drittel aller Wohnungen in privatem oder genossenschaftlichem Eigentum oder werden darin überführt. Die restlichen, etwa Wohnungen, sind Eigentum von kommunalen Wohnungsunternehmen, sofern eine entsprechende Übertragung von den Gemeinden schon stattgefunden hat.

Von den Wohnungsgenossenschaften mit insgesamt mehr als einer Million Mitgliedern waren bis September 1991 allerdings erst ca. 50 ins Genossenschaftsregister eingetragen. Darüber hinaus sind 90% der Genossenschaften (noch) nicht Eigentümer von Grund und Boden, auf dem die Wohnungen errichtet sind. Die Übertragung der Grundstücke von den Gemeinden sichert aber erst die Kreditfähigkeit der Unternehmen und damit den notwendigen Zugang zum Kapitalmarkt und wäre ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die Privatisierung des ostdeutschen Wohnungs- und Grundeigentums.

Die Miete für eine durchschnittliche Wohnung setzt sich aus folgenden Positionen zusammen:

  • Grundmiete ca. 2,- DM/qm,
  • "kalte" Betriebskosten ca. 1,30 DM/qm,
  • Heizungs- und Warmwasserkosten ca. 3,— DM/qm.

Während ab 1.10.1991 die "kalten" Betriebskosten - Wasser, Abwasser, Müllabfuhr, Grundsteuer, Hausmeister etc. - vollständig auf die Mieter umgelegt werden können, gilt für die Umlage von Heizungs- und Warmwasserkosten eine umlagefähige Obergrenze von 3,- DM/qm. Da bei etwa einem Drittel der

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Wohnungen diese Obergrenze überschritten wird, erwirtschaften die Wohnungsunternehmen allein bei dieser Position einen monatlichen Fehlbetrag von etwa 27,5 Mio. DM. Insgesamt ergibt sich für die ostdeutschen Wohnungen ein Verhältnis der Grundmieten zu den Nebenkosten von 1/3 zu 2/3; in Westdeutschland ist dieses Verhältnis umgekehrt.

Von den in der GdW-Untersuchung erfaßten drei Mio. Wohnungen sind 48% mit einer Sammelheizung ausgerüstet, in der Regel also an ein Fernwärmesystem angeschlossen. Die restlichen 52% haben Einzel- oder Ofenfeuerung. In 26% der Wohnungen ist kein Bad und keine Dusche installiert. Während die westdeutschen Wohnungsunternehmen pro Jahr und Wohnung durchschnittlich 1.700 DM für Maßnahmen zur Instandsetzung oder Instandhaltung investieren, konnten in Ostdeutschland, bei wesentlich höherem Bedarf, lediglich ca. 530 DM je Wohnung aufgewendet werden.

Angesichts der wirtschaftlichen Situation der Wohnungsunternehmen und des enormen Instandsetzungsbedarfes bleibt der Wohnungsneubau notwendigerweise unterentwickelt: in den neuen Bundesländern planten die Unternehmen 1991 nur etwa 14.000 Wohnungen in eigener Bauherrschaft neu zu errichten.

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1.3 Wohnungswirtschaft zwischen Markt und Sozialer Frage

Die genannten Daten machen deutlich, daß die Wohnungspolitik in den neuen Bundesländern für lange Zeit eine sozialpolitische Gestaltungsaufgabe ersten Ranges bleibt. Denn die zur Sanierung und Instandsetzung notwendigen Aufwendungen können aufgrund des Einkommensgefälles zwischen West- und Ostdeutschland nur ansatzweise auf die Mieten umgelegt werden. Dementsprechend trägt die Bundesregierung mit der weitgehenden Mietpreisbindung der Einkommenssituation der ostdeutschen Bevölkerung Rechnung. Die dadurch entstehende Differenz zwischen Bewirtschaftungs-, Kapital- und Betriebskosten einerseits und der verkraftbaren Miete andererseits können aber weder die Wohnungsunternehmen noch die privaten Vermieter tragen, will man einen weiteren Verfall der Wohnungen und des gesamten Wohnungsmarktes vermeiden. Eine unternehmerische Wohnungswirtschaft, die die besondere soziale Situation der Mieter zu berücksichtigen hat, kann daher ohne staatliche För

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derung kaum auskommen. Eine soziale Wohnungswirtschaft ist auf die Subventionen des Staates angewiesen, die die finanzielle Kluft zwischen Kapitalrentabilität und sozialer Sicherheit überbrücken können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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