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4. Im Wettbewerb mit dem Heizöl – die Rolle der Kommunen beim Aufbau einer flächendeckenden Erdgasversorgung


Auf dem Gebiet der neuen Länder wird seit 1973 im Raum Salzwedel, nordöstlich von Wolfsburg, Erdgas gefördert. Zudem bezieht Ostdeutschland, wie zuvor auch die DDR, rund 8 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE) Erdgas pro Jahr aus der ehemaligen Sowjetunion. Das Gas gelangt an der tschechisch-sächsischen Grenze bei Sayda in das ostdeutsche Netz. Allerdings hat das in Salzwedel geförderte Erdgas einen hohen Stickstoffgehalt und damit im Vergleich zum importierten Gas einen um zwei Drittel niedrigeren Brennwert. Außerdem geht die seit Jahren rückläufige Eigenförderung, die 1990 noch 3 Millionen Tonnen SKE betrug, weiter zurück.

Hauptverbraucher des Erdgases in Ostdeutschland ist heute noch die Industrie, die 1990 rund 37 Prozent des Erdgasbedarfs beanspruchte. Weitere Verwendungsbereiche sind Kraft- und Heizwerke (18 Prozent) sowie sonstige Anwendungen wie die Stadtgaserzeugung und der nichtenergetische Verbrauch ( 38 Prozent). Nur 7 Prozent des Erdgases gehen direkt an die Haushalte und Kleinverbraucher. Von dieser Gruppe wird zur Zeit vor allem Stadtgas bezogen. So verbrauchen Haushalte und Gewerbe rund 60 Prozent der pro Jahr bereitgestellten Stadtgasmengen von etwa 3 Millionen Tonnen SKE. Dagegen stellen in den alten Bundesländern Haushalte und Kleinverbraucher mit einem Anteil von 41 Prozent am Erdgasbedarf die Hauptanwender dieses Energieträgers dar, vor der Industrie (31 Prozent), Kraftwerken (15 Prozent) und sonstigen Verbrauchern (13 Prozent).

Umweltpolitische Erwägungen, aber auch Bemühungen um die Diversifizierung der Primärenergieträger sowie die Belebung des Wettbewerbs auf dem Wärmemarkt machen den Ausbau der Erdgasnutzung in den neuen Ländern wünschenswert. Der Energieträger Erdgas kann als Naturprodukt ohne Umwandlungsverluste direkt zum Endverbraucher geleitet werden. Moderne Verbrauchsgeräte, wie zum Beispiel Brennwertkessel, arbeiten mit einem hohen Wirkungsgrad, ebenso gasbefeuerte Blockheizwerke, Gasturbinen und Gaswärmepumpen. Zudem ist die Kohlendioxid-Freisetzung pro Kilowattstunde Brennstoffeinsatz beim Erdgas niedriger als bei anderen fossilen Energieträgern. Wie sich am Beispiel der alten Bundesländer zeigt, läßt sich beim Erdgas außerdem eine hohe Versorgungssicherheit erzielen. So kam zum Beispiel im Jahre 1990 das im alten Bundesgebiet eingesetzte Erdgas zu 24 Prozent aus eigener Produktion. Insgesamt, einschließlich der Eigenerzeugung, stammten 68 Prozent aus westeuropäischen Quellen, 32 Prozent aus der UdSSR.

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Die Vorzüge des Erdgases haben im alten Bundesgebiet immer mehr Verbraucher bewogen, ihren Wärmebedarf mit diesem Energieträger zu decken. Seit Anfang der siebziger Jahre haben sich in den alten Bundesländern rund 300 000 Haushalte pro Jahr für Erdgasheizungen entschieden, so daß mittlerweile rund jede dritte Wohnung mit Gas beheizt wird.

Eine ähnliche Entwicklung in den neuen Ländern setzt allerdings die Schaffung eines leistungsfähigen Erdgasnetzes voraus. Zur Zeit gibt es dort drei Leitungssysteme für die Gaswirtschaft. Das bei Sayda ankommende Gas aus der früheren Sowjetunion wird über großdimensionierte Leitungen in die industriellen Ballungsräume Halle, Leipzig, Berlin und Frankfurt geliefert, über ein Netz von insgesamt rund 1700 km Länge. Dort nutzen es fast ausschließlich große Industrieunternehmen sowie Kraftwerke; kleinere Mengen dienen der Versorgung Ost-Berlins und der Stadtgas-Erzeugung. Eine Flächenversorgung von Haushalten, Handel und Gewerbe gibt es bisher nicht. Das um Salzwedel geförderte Erdgas wird über Leitungen von rund 1350 km Länge vor allem Heizwerken zugeführt, in kleineren Mengen auch Kraftwerken sowie zu einem Drittel Anlagen zur Stadtgas-Erzeugung und der Industrie. Und schließlich erfolgt die Verteilung des vornehmlich der Versorgung von Haushalten und kleinen Gewerbebetrieben dienenden Stadtgases über Stadtgasfernleitungen von rund 5100 km Länge.

Anders als die in der Elektrizitätsversorgung engagierten Verbundunternehmen stellt sich die Gaswirtschaft zügig auf eine Kooperation mit den Gemeinden beim Aufbau der kommunalen Gasversorgung ein und ist offenbar auch bereit, auf Mehrheitsbeteiligungen an gemeinsamen Unternehmen zu verzichten. Nicht zuletzt dürfte der Wettbewerb mit dem Heizöl diese Kooperationsbereitschaft der westdeutschen Gaswirtschaft mit den Städten und Kommunen gefördert haben. Die hohen Stadtgaspreise veranlassen viele Verbraucher, bei der Deckung ihres Wärmebedarfs auf die kurzfristig zur Verfügung stehende Alternative Heizöl umzusteigen. Wenn entsprechende Investitionen, zum Beispiel für die Anschaffung von Heizanlagen und Tanks getätigt worden sind, dauert es nach heutigen Erfahrungen rund 15 Jahre, eher der Anbieter von Erdgas wieder eine Chance hat, seinen Energieträger bei dem Endverbraucher zu verkaufen. Ohnehin wächst der Mineralölabsatz in den neuen Bundesländern stark an. Während zum Beispiel 1990 in den alten Bundesländern der Anteil des Erdgases an der Primärenergiebedarfsdeckung bei rund 17 Prozent lag, erreicht der Anteil in den neuen Ländern kaum 9 Prozent, eine Größenordnung, die nach vorläufigen Schätzungen auch für die ersten neun Monate des Jahres 1991 zutrifft. In diesem Zeitraum hat sich nach Angaben eines Direktors der Ruhrgas AG der Bedarf

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an Primärenergie gegenüber dem Vergleichszeitraum 1990 in den neuen Ländern zwar um 26 Prozent verringert, der Erdgasabsatz ist um fast ein Fünftel gefallen. Aber der Mineralölabsatz ist um 8 Prozent gewachsen. Damit erreicht der Anteil des Mineralöls an der Primärenergieversorgung in den ersten neun Monaten des Jahres 1991 22,9 Prozent, gegenüber 16 Prozent 1990 und 13,9 Prozent im Jahre 1989.

Der zügigen Erweiterung des Erdgasumsatzes wirken nach Auffassung des leitenden Angestellten der Ruhrgas AG zur Zeit noch die Beschränkung auf nur eine Importquelle, die rückläufige Förderung der eigenen Erdgasproduktion und die noch laufende Stadtgasproduktion entgegen sowie das Fehlen eines zusammenhängenden flächendeckenden Netzes für Haushalt, Gewerbe und andere Kleinverbraucher. Um dieses Netz zu schaffen, würden nach heutigen Schätzungen in diesem Jahrzehnt Investitionen von insgesamt rund 20 Milliarden DM benötigt. Beim Aufbau einer leistungsfähigen Erdgasversorgung könne man sich an der in den westlichen Bundesländern praktizierten Arbeitsteilung orientieren, mit einer Ferngasstufe, die für die Erdgasbeschaffung und für die überregionale Gasversorgung zuständig ist, und regional und örtlich verteilenden Unternehmen. Wenn sich in den neuen Ländern mittel- bis langfristig eine ähnliche Struktur in der Erdgaswirtschaft wie in den alten Ländern herausbilde, würden dort zum Ende des Jahrzehnts rund 20 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten Erdgas pro Jahr verbraucht werden, mehr als doppelt soviel wie heute.

Eine Schlüsselrolle beim Aufbau des Versorgungsnetzes komme, so der Direktor der Ruhrgas AG, den Kommunen und kommunalen Unternehmen zu. Ohne Modernisierung und Ausbau der Niederdruck- und Mitteldrucknetze, ohne erfolgreiches Marketing beim Endverbraucher, ohne Umstellung der Geräte von Stadtgas auf Erdgas und ohne Aufbau effizienter örtlicher Unternehmensorganisationen würde das Erdgas im Wettbewerb mit dem Heizöl weiter Terrain in den neuen Ländern verlieren. Als Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Gasunternehmen und Kommunen könne der Aufbau der Erdgasversorgung für Dresden angesehen werden.

Das Stadtgebiet mit seinen über 500 000 Einwohnern wird derzeit jährlich mit rund 200 Millionen Kubikmetern Stadtgas versorgt. Etwa 180 000 Kleinabnehmer und mehr als 160 Großabnehmer nutzen diesen Energieträger. Ferner bekommen 80 000 Endverbraucher Fernwärme, die vor allem auf Braunkohlenbasis erzeugt wird. Die Kraft- und Heizwerkskapazität liegt in Dresden bei 1060 MW.

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Neben dem Mitteldrucknetz für Stadtgas mit einer Länge von 107 km gibt es ein Niederdrucknetz als unmittelbares Verteilungsnetz für die Endabnehmer von 1300 km Länge sowie Hausanschlußleitungen von rund 300 km Länge. Während das Mitteldrucknetz aus Stahl besteht, ist das Niederdrucknetz überwiegend aus Gußleitungen gefertigt. Rund 25 Prozent der Niederdruckleitungen und der Hausleitungen sind vor 1900 gebaut worden, etwa die Hälfte der Leitungen zwischen 1900 und 1945. Insgesamt sind rund 50 Prozent der Leitungen älter als 60 Jahre; sie haben damit ihre vorgesehene Nutzungsdauer überschritten. Für die vor allem am Niederdrucknetz und an den Hausanschlußleitungen vorzunehmenden Sanierungen müssen pro laufendem Meter Kosten von etwa 300 DM veranschlagt werden.

Im Dezember 1990 gründete die Stadt Dresden die Technischen Werke Dresden GmbH als Holding, unter der die drei Sparten Gasversorgung, Wasserver- und Entsorgung sowie Stromversorgung tätig sind. Die Holding befindet sich zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt, an den Spartengesellschaften sollen westliche Partner beteiligt werden.

Ein Abkommen zwischen der Stadt Dresden und der Ruhrgas AG vom Dezember 1990 sieht die Gründung einer GmbH durch die Technischen Werke Dresden und der Ruhrgas AG für die Gasversorgung im Bereich der Stadt Dresden vor. Am Stammkapital der Gesellschaft Dresden Gas sind die Technischen Werke mit 51 Prozent und die Ruhrgas AG mit 49 Prozent beteiligt. Da die Ruhrgas AG berechtigt ist, einen Teil ihres Geschäftsanteils auf andere in der Gasversorgung tätige Unternehmen zu übertragen, werden am Stammkapital der Dresden Gas neben den Technischen Werken die Ruhrgas AG und die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke Köln AG mit jeweils 19,5 Prozent und die Energieversorgung Schwaben mit 10 Prozent beteiligt sein. Die Technischen Werke Dresden bringen das Gasnetz sowie die übrigen Gasanlagen Dresdens als Sacheinlage ein, die anderen Gesellschafter nehmen eine entsprechende Erhöhung ihrer Stammeinlagen in bar vor, so daß die Anteilsverhältnisse erhalten bleiben.

Bereits im Dezember 1990 wurden die Arbeiten zur Umstellungsplanung von Stadtgas auf Erdgas aufgenommen sowie Marktanalysen, vor allem für den Industriesektor, durchgeführt, mit der Beratung für Haushalte, Gewerbe und Industrie begonnen und die Vorbereitungen für die Installation einer EDV-Anlage eingeleitet Für die nötige Sanierung von Altlasten, die mehrere Zigmillionen DM kosten wird, hat die Treuhandanstalt eine Kostenbeteiligung von bis zu 90 Prozent in Aussicht gestellt.

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Nachdem im Juni 1991 aus der Energieversorgung Sachsen-Ost, Nachfolgerin des ehemaligen Bezirks-Energiekombinats, die Gasversorgung für die Stadt Dresden GmbH abgespaltet wurde, haben im Juli 1991 die Technischen Werke Dresden GmbH und die Treuhandanstalt einen Kaufvertrag über die Gasversorgung für die Stadt Dresden GmbH abgeschlossen, wonach der Kaufpreisanspruch der Treuhandanstalt wie folgt erfüllt wird: 49 Prozent des Kaufpreises erlöschen durch Abtretung des Anteils der Stadt Dresden an der regionalen Gasgesellschaft an die Treuhandanstalt, 51 Prozent des Kaufpreisanspruchs werden von der Stadt bezahlt. Sofern Restitutionsansprüche bestehen, werden diese gegen die 51 Prozent aufgerechnet. Bis zur Klärung der Restitutionsansprüche bleibt der gesamte Kaufpreis gestundet.

Wenn die Stadtverordnetenversammlung Ende des Jahres in Dresden dem Gesellschaftsvertrag über die Gründung der Dresden Gas und dem Konsortialvertrag zustimmt, werden die Gesellschaft gegründet und Geschäftsführer und Aufsichtsrat bestellt. Zur Zeit ist die Umstellung von 30 000 Kunden von Stadt- auf Erdgas im Jahre 1992 in Vorbereitung. Die Verbundnetz Gas AG baut mit einem Investitionsvolumen von rund 50 Millionen DM aus dem Raum Freiberg eine rund 38 km lange Erdgasleitung bis an die Stadt Dresden, die Ende des Jahres fertiggestellt sein soll. Es ist zu erwarten, daß in Dresden die Umstellung auf Erdgas bis zum Jahre 1995 abgeschlossen sein wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002

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