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2. Vermeidung und Verwertung statt wegwerfen und verbrennen - Strategien der Abfallwirtschaft heute und in Zukunft

Abfallentsorgung hatte bisher vor allem die Aufgabe, fortzuschaffen, was niemand mehr haben wollte. Da mit der Müllabfuhr die Reste aus Produktion und Konsum nur den Gesichtskreis des letzten Nutzers verlassen, führt diese nachsorgende Abfallwirtschaft lediglich zu einer anderen Verteilung und Zusammensetzung der einmal in den Wirtschaftskreislauf gebrachten Stoffe. Zu einem kleinen Teil gehen sie - wieder aufbereitet - in die Produktion, die weitaus größeren Mengen verteilen sich in der Umwelt: auf Kippen, auf mehr oder weniger gesicherten Deponien über und unter Tage sowie, stofflich umgesetzt von den Öfen der Verbrennungsanlagen, als Abgase in der Luft sowie als Filterstaub und als Schlacke im Sondermüll - und manchmal auch auf Gehwegen und Sportplätzen.

Die mit dem rapiden industriellen Wachstum und dem ausufernden Wohlstandskonsum von Massenprodukten anfallenden Abfallberge einerseits sowie erhöhte Ansprüche der Menschen in den modernen Industriegesellschaften an die Qualität ihrer Umwelt andererseits setzen dieser linearen Kopplung von Produktion und Wegwerfen nunmehr Grenzen. Deponien quellen über, neue Standorte sind politisch kaum durchsetzbar, ebensowenig die Schaffung neuer Kapazitäten für die Müllverbrennung. Selbst die Verwertung des Mülls verlagert mitunter nur die Umweltbelastungen. Ob Kleidung, bunt bedrucktes Verpackungsmaterial, Kraftfahrzeuge oder Haushaltsgeräte: die modernen Konsumprodukte stellen Gemische aus einer Vielzahl höchst unterschiedlicher chemischer Stoffe und Verbindungen dar, die vor allem im Hinblick auf Gebrauchs- und Repräsentationswerte der jeweiligen Ware kombiniert wurden. Und so entstehen Dioxine beim Verbrennen plastikhaltigen Materials, giftige Cadmium-Verbindungen kommen mit Farbstoffen und ausgedienten Schrauben auf Deponien, Chrom mit weggeworfenen Haken und Ösen. Und nicht zuletzt erschwert der Trend zur Miniaturisierung eine Wiedergewinnung der eingesetzten Rohstoffe, denn in High-Tech-Produkten ballen sich auf kleinstem Raum die unterschiedlichsten, kaum oder nur mit großem Aufwand voneinander zu trennenden Materialien.

Wenn man heute nicht schwerwiegende Umwelt- und Entsorgungsprobleme für die nächsten Jahre auftürmen will, dann darf die Abfallwirtschaft nicht erst mit der nachsorgenden Produktbeseitigung beginnen. Vielmehr muß

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eine vorsorgende Produktverantwortung bereits bei der Planung und Entwicklung neuer Produkte und Fertigungstechniken ansetzen.

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a) Das traditionelle Konzept: abholen, deponieren, verbrennen

Die von den privat und öffentlich betriebenen Müllabfuhren als Abfall von den Haushalten abtransportierten Materialien wie Glas, Kunststoffe, Textilien, Metalle, Pappen, Papier, Speisereste machen den Hausmüll zum Träger einer kaum überschaubaren Fülle chemischer Verbindungen. Dieses Stoffgemisch Hausmüll wird bisher vor allem verbrannt oder deponiert. Nahezu der gesamte Siedlungsabfall in den neuen Ländern und die meisten kommunalen Abfälle aus den alten Ländern türmen sich auf Deponien;

Sondermüll wird in speziellen oberirdischen oder unterirdischen Deponien eingelagert.

Die Deponierung des Mülls beansprucht Flächen, verändert das Landschaftsbild und belastet durch Sickerwasser und Deponiegase Wasser und Luft. Anwohner fühlen sich vom Deponiebetrieb, von den Anlieferungen des Mülls und nicht zuletzt von angelockten Tieren belästigt.

Mit technischen Maßnahmen lassen sich die von Mülldeponien ausgehenden Belastungen und Gefährdungen für Mensch und Umwelt einschränken. So verringert die aktive Entgasung von Deponien die Luftbelastung; Basisabdichtungen, die entweder aus einer mineralischen Dichtung oder aus einer Kombination von mineralischer Dichtung und Dichtungsbahnen aus Kunststoff bestehen, verhindern, daß schadstoffhaltiges Sickerwasser in das Erdreich und in das Grundwasser eindringt. Das Sickerwasser kann an der Deponiebasis gesammelt und der Abwasserreinigung zugeführt werden. Aufgefangenes Gas läßt sich zu Brennstoff für die Wärme- und Elektrizitätserzeugung aufbereiten.

Auf Sondermülldeponien verhindern zusätzlich Oberflächenabdichtungen das Eindringen von Regenwasser, so daß Sickerwassermengen niedrig gehalten werden können. Mit einer chemisch-physikalischen Vorbehandlung und der Verbrennung des Sondermülls läßt sich vor der Endlagerung der Gehalt an organischen Schadstoffen senken. Und schließlich hilft die regelmäßige Kontrolle des Deponiekörpers und die Dokumentation der eingelagerten Abfälle, unkontrollierten Reaktionen vorzubeugen.

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Die Verbrennung von Abfällen reduziert nicht nur das Müllvolumen; sie trägt vor allem dazu bei, die kaum überschaubare Fülle der im Abfall vorhandenen organischen Verbindungen abzubauen, die anorganischen Stoffe in eine abscheidbare Form zu bringen, ablagerungsfähige Reste zu erhalten und die im Abfall enthaltene Wärmeenergie zu nutzen. Entstaubungsanlagen und die Abscheidung von Gasen wie Chlorwasserstoff, Fluorwasserstoff, Schwefeldioxid gehören heute ebenso zum Stand der Technik in der Hausmüllverbrennung wie die thermische Verwertung der Verbrennungswärme, zum Beispiel für die Bereitstellung von Fernwärme oder zur Elektrizitätserzeugung. Auch für besonders überwachungsbedürftige Abfälle stellt die Verbrennung derzeit die einzige großtechnisch verfügbare Methode dar, um eine Vielzahl von Abfällen mit vertretbaren Kosten zu beseitigen.

Moderne Verbrennungstechnik ermöglicht es, die Emissionen aus den Müllverbrennungsanlagen weiter zu reduzieren und die anfallende Wärmeenergie wirksamer zu nutzen. So trägt zum Beispiel die Pyrolyse, eine thermische Zersetzung organischer Substanzen unter Sauerstoffabschluß bei Temperaturen um 500 Grad Celsius, zur Entstehung eines Gases bei, das sich als Brennmaterial zur Dampferzeugung in Kesseln oder zum Betrieb von Gasmotoren nutzen läßt. Nach Ablauf des Probebetriebs wurde eine erste Pyrolyseanlage in der Bundesrepublik im Juli 1987 vom Landkreis Günzburg in Betrieb genommen. Eine andere Technik, die Rotierende Wirbelschichttechnologie, nutzt die hohe Wärmeleitfähigkeit von Sand, um in einer von Luft durchströmten Wirbelschicht aus Myriaden von Sandkörnern Müll schnell und gleichmäßig zu verfeuern. Diese Technologie ermöglicht eine Verbrennung von über 99 Prozent der im Abfall vorhandenen brennbaren Stoffe und senkt somit die anfallenden Reststoffe gegenüber der konventionellen Feuerung in den Müllverbrennungsanlagen. Außerdem wird die im Müll vorhandene Energie wirksamer genutzt. Durch Zugabe von Kalk und Kalkstein in den Feuerraum sowie durch nachgeschaltete Gasreinigung lassen sich saure Gase, Schwermetalle und Stäube abscheiden. Und das gleichförmige Temperaturniveau bei der Verbrennung sorgt dafür, daß weniger Stickoxide als in herkömmlichen Anlagen entstehen.

Trotz dieser technischen Fortschritte können Müllverbrennung und Deponierung nicht auf Dauer Umweltverträglichkeit garantieren. Um ein Austreten der gesundheitsschädlichen oder gar krebserzeugenden Gase wie Benzol oder Vinylchlorid zu vermeiden und der Gefahr von Grundwasservergiftungen

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vorzubeugen, sind bei Deponien regelmäßige Kontrollen nicht nur während des Betriebes, sondern auch noch lange nach der Stillegung notwendig. Allerdings erlauben die bisherigen Erfahrungen noch keine zuverlässigen Aussagen über die Beständigkeit von Sicherungsmaßnahmen wie Basisabdichtung, Gasfassung und Sickerwasserableitung in den als Endlager konzipierten Deponien.

Auch die Verbrennung kann kein zukunftsweisendes Konzept für die Müllentsorgung sein. In den alten Bundesländern schaffen die 47 Anlagen für die Hausmüllverbrennung nur die thermische Zersetzung von Abfällen von rund 34 Prozent der dort lebenden Menschen. Wollte man die Kapazitäten für die Verbrennung so ausbauen, daß der Müll von der Hälfte der Bevölkerung verfeuert werden könnte, wären 20 bis 30 neue Anlagen zu errichten. Unterstellt man pro Kopf der Bevölkerung ein ähnliches Hausmüllaufkommen in den neuen Ländern, wo die Verbrennung von Hausmüll bisher eine Nebenrolle spielte, müßten dort mindestens ebenso viele Müllverbrennungsanlagen gebaut werden. Dieser Zubau würde kaum von der Bevölkerung akzeptiert, zudem wäre er mit weiteren Umweltrisiken verbunden. Weil die bei der Abfallverbrennung anfallenden Filterstäube Schwermetalle und giftige organische Stoffe enthalten, muß Filterstaub als Sondermüll deponiert werden. Außerdem können sich bei der Verbrennung des Stoffgemisches Hausmüll organische Schadstoffe bilden, zum Beispiel Dioxine und andere giftige chlorierte Kohlenwasserstoffverbindungen, deren Art, Zusammensetzung und Wirkung auf Mensch und Umwelt nicht immer bekannt sind. Und auch die potentiell krebserregenden Stäube wie Arsen-, Chrom-, Cadmium- und Nickelpartikel lassen sich nicht vollständig aus den Emissionen der Müllverbrennungsanlagen abscheiden. Moderne Umwelttechnologien mögen die Luft weniger mit diesen Giftstoffen belasten als alte Anlagen, vermeiden lassen sich die Emissionen aber nicht. Hinzu kommt, daß jede Müllverbrennungsanlage zur Freisetzung des Treibhausgases Kohlendioxid beiträgt. Und nicht zuletzt: Weil die Anlagen teuer sind, muß sich eine auf Verbrennung und Deponierung ausgerichtete Abfallentsorgung um Auslastung ihrer Kapazitäten bemühen. Die so geförderte zentralisierte Abfallentsorgung könnte sich eines Tages als krisenanfällig erweisen: Wenn Erdöl wieder einmal knapp und teuer wird, gibt es für den lebenswichtigen Treibstoff sicherlich sinnvollere Anwendungen als den Transport von Müll.

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Gewiß ist weiterhin daran zu arbeiten, mit Fortschritten in der Verbrennungs- und Reinigungstechnik sowie mit Maßnahmen zur Sicherung von Deponien die Schadstoffbelastungen der Umwelt aus Entsorgungsanlagen zu reduzieren, denn es wird immer Restmüll geben, den man am besten verbrennt und/oder deponiert. Aber in Zukunft gebührt der Vermeidung und Verwertung Vorrang, nicht nur, um die Müllmengen zu reduzieren, sondern auch, um die Umweltbelastungen je Tonne noch zu verbrennenden oder zu deponierenden Mülls zu senken. Diese spezifischen Belastungen hängen nicht nur von der Qualität nachgeschalteter Rückhaltetechnologien ab, sondern auch von der Zusammensetzung des Mülls.

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b) Hoffnungsträger mit begrenzter Wirksamkeit: die stoffliche Wiederverwertung

Im Prinzip ist die Idee richtig: was der eine nicht mehr benötigt, kann für den anderen begehrter Rohstoff sein und muß deshalb nicht auf den Müllberg oder in den Verbrennungsofen. Und tatsächlich lassen sich in der Industrie dort, wo große Massenströme und gut sortierte Stoffe anfallen, hohe Wiederverwertungs-Quoten erzielen. So werden zum Beispiel die Rückstände eines gemischten Hüttenwerkes heute zu 90 Prozent wiederverwendet. Inner- und zwischenbetriebliches Recycling sorgen für Verwertungsraten bei Blei von über 50 Prozent und bei Aluminium und Kupfer von 40 Prozent. Hersteller von Kunststoffenstern greifen auf Altstoffe für die Neuproduktion zurück. Und auch in der chemischen Industrie ist die Verwertung von Anfallprodukten verbreitet, zum Beispiel, wenn Dünnsäure aus der Titandioxidproduktion zu Schwefelsäure aufgearbeitet wird.

Schwieriger gestaltet sich heute noch die Verwertung des Hausmülls. Zwar enthält dieser Abfall mit einem Anteil von rund 5,4 Gewichtsprozent Kunststoffen, 9,2 Prozent Glas, rund
3 Gewichtsprozenten Metall, 12 Prozent Papier und einem hohen Anteil von Küchenabfällen brauchbare Mengen an wiederverwendbaren Materialien. Aber eine Verwertung dieser Stoffe zu marktwirtschaftlich vetretbaren Kosten setzt voraus, daß man die Materialien möglichst sortenrein erfaßt. Die bisher mit den drei in der Bundesrepublik arbeitenden Sortieranlagen gewonnenen Erfahrungen zeigen, daß sich Glas- und Kunststoffabfälle nur mit großem Aufwand in einer für die Verwertung ausreichenden Produktqualität aussondern lassen. Zuviel verschiedene Kunststoffarten sind im Müll vermischt, zudem sind die Kunststoffe häufig

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sehr verschmutzt. Auch der aus dem Hausmüll aussortierte Eisenmetallschrott läßt sich noch nicht gut verwerten, denn er gehört zu den niedrigsten Qualitätsstufen der Schrotte.

Die getrennte Sammlung verwertbarer Reststoffe aus dem Hausmüll erleichtert zwar die Wiederverwertung, ist aber noch keine Garantie für die Absetzbarkeit der gewonnenen Stoffe auf dem Markt. So kommt zwar über die Hälfte des in den Verkehr gebrachten Behälterglases wieder für die Glasproduktion zurück. Da aber etwa zwei Drittel der gesammelten Altglasmengen unsortiert sind, liegt der Anteil von Altglas bei der Weißglashertellung nur bei 20 Prozent. Hinzu kommt, daß zum Beispiel keramische Zusätze im Glas oft einen höheren Schmelzwert als das Glas haben, was die Wiederverwertung erschwert. Und auf dem Altpapiersektor wird heute mehr Material gesammelt als auf einheimischen Märkten abzusetzen ist. Zwar liegt der Altpapieranteil bei der Herstellung von Verpackungsmaterial bei rund 90 Prozent, bei Zeitungsdruckpapier sind es noch 60 Prozent. Aber Hygienepapiere bestehen nur zu etwa 43 Prozent aus Altpapier, feines graphisches Papier sogar nur zu 5 Prozent. Sicherlich läßt sich in Zukunft mehr Altpapier einsetzen, zum Beispiel wenn das noch verbreitete Vorurteil überwunden wird, es handele sich bei Altpapierprodukten um minderwertige Ware, aber zur Zeit bleiben Händler in manchen Regionen der Bundesrepublik auf ihren Altpapierbergen sitzen und beziehen von den Kommunen Zuschüsse für die Lagerung des Papiers. Zum Teil wird Altpapier auch exportiert, zum Beispiel nach Frankreich und Italien, wo es - subventioniert aus den in der Bundesrepublik gezahlten Müllgebühren - die Märkte für das einheimische Altpapier noch solange ruiniert, wie die EG diese Subventionen duldet. Und schließlich kommt es auch vor, daß das mit zusätzlichem Aufwand an Energie, Zeit und Geld gesammelte Altpapier doch dort landet, wo es über die Hausmülltonne billiger hingekommen wäre: auf der Deponie oder in der Müllverbrennungsanlage.

Solange für die getrennt gesammelten Wertstoffe keine verläßlichen Abnehmermärkte bestehen, auf denen sich Altstoffe zu gut kalkulierbaren Preisen und in überschaubaren Mengen absetzen lassen, besteht die Gefahr, daß die Getrenntsammlung von Wertstoffen Energie vergeudet und die Umwelt unnötig belastet: die nicht verkaufbarcn, aber mit großem Transport- und Arbeitsaufwand gesammelten Stoffe landen dann auf der Deponie oder in der Verbrennungsanlage. Einer um langfristige Umweltentlastung bemühten Ab-

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fallwirtschaft ist nicht gedient, wenn einzelne spekulative Sammlungs- und Verwertungsaktionen große Mengen an Materialien zusammenbringen, diese keinen Abnehmer finden und deshalb verbrannt oder deponiert werden. Damit nährt man lediglich Mißtrauen in der Bevölkerung.

Schließlich trägt die Wiederverwertung auch nicht so eindeutig zur Umweltentlastung bei, wie vielfach angenommen. Erstens benötigen Verwertung und Transport der Materialien Energie, deren Bereitstellung und Nutzung Luft und Wasser belasten. Und zweitens kann die Verwertung von Altstoffen auch zu einer Feinverteilung der in den Stoffen enthaltenen Chemikalien führen. So ist zum Beispiel buntes Altpapier oft Träger schadstoffhaltiger Farben. Der Kunststoff PVC wird, je nach Verwendungszweck, mit Stabilisatoren, Pigmenten, Flammenschutzmitteln, Lichtschutzmitteln und Weichmachern versetzt. Diese Zusätze, die dem Kunststoff sehr spezifische Eigenschaften geben, verteilen sich durch die Verwertung auf unterschiedliche Gebrauchsgegenstände. Und auch die Wiederverwertung von Textilien begünstigt die Feinverteilung von Chemikalien in der Umwelt. Der Textilindustrie stehen heute über 8500 Textilzusätze zur Verfügung, mit denen sich Tragekomfort, Pflegeleichtigkeit, Hygiene und Haltbarkeit der Waren verbessern lassen. Wenn ausgediente Kleidungsstücke wieder als Rohstoffe verwertet werden, kommen auch diese Chemikalien wieder in Umlauf, statt - zum großen Teil - in der Stoffsenke Deponie und Verbrennung zu verbleiben.

Schließlich muß eine auf Verwertung ausgerichtete Abfallwirtschaft auf die Bereitschaft der Bürger zur Getrenntsammlung von Müll setzen. Diese Bereitschaft wird zwar oft bekundet und angenommen, ist aber keine verläßlich einplanbare Bedingung für den Aufbau einer zuverlässigen Abfallentsorgung. Selbst wenn guter Wille und Tatkraft vorhanden sind, weiß der einzelne Bürger oft nicht, welches Produkt mit welchen Schadstoffen belastet ist, da diese nicht immer deutlich genug und verwechslungssicher benannt werden. Verwertung von Altstoffen mag daher einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Müllvolumens und auch zur Rohstoffschonung leisten. Aber ob die Verwertung langfristig erfolgreich betrieben werden kann, hängt letztlich von der stofflichen Zusammensetzung und von der Konstruktion der in den Verkehr gebrachten Produkte ab, und das heißt, von einer um Abfallvermeidung bemühten Produktplanung.

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c) Das wirksamste Konzept: die Vermeidung von Abfällen

Der wirksamste Weg zum Abbau der Müllberge wäre die Einschränkung von Konsum und Produktion. Allerdings ist in einer auf Wachstum orientieren Ökonomie und angesichts des Konsumstrebens in breiten Kreisen der Bevölkerung eine auf Sparsamkeit und Konsumverzicht setzende Vermeidungsstrategie mit großen Risiken behaftet. Man kann zwar versuchen, durch Aufklärung und Erziehung Einfluß auf Lebensstile, und damit auf das zukünftige Konsumverhalten zu nehmen, aber der Erfolg von langfristig anzulegenden Programmen der Massenerziehung und der Bewußtseinsbildung ist als abfallwirtschaftliche Rahmenbedingung kaum zu kalkulieren, schon gar nicht zu unterstellen.

Verläßlicher als der Ertrag von Appellen an die Einsicht der Bevölkerung und als Erziehungsmaßnahmen zur Änderung von Bedürfnissen, Werten, Konsum- und Handlungsgewohnheiten sowie Lebensstilen dürfte es sein, Produkte so zu planen, zu entwerfen, zu produzieren und in den Verkehr zu bringen, daß sowohl bei der Produktion als auch bei der Entsorgung möglichst wenig Abfall anfällt. Mit anderen Worten: Gefragt ist die auf Müllvermeidung angelegte Produktlinie.

Daß umsichtige Planung der Abfallvermeidung dienen könnte, zeigt sich am Beispiel des Personenkraftwagens. Von den rund 2 Millionen Kraftfahrzeugen, die heute jährlich in den alten Ländern stillgelegt werden, landen rund 95 Prozent in inländischen Schrottbetrieben. Da Personenkraftwagen im Durchschnitt rund einhundert Kilogramm Kunststoffe enthalten, ließen sich aus den ausrangierten Fahrzeugen große Mengen Kunststoffe wiedergewinnen - wenn bereits bei der Produktion der Autos die Auswahl der Stoffe sowie die Montage so geplant würde, daß die Kunststoffteile leicht ausbaubar und homogen zu sammeln wären. Zwar ist die Anzahl der Verwendungszyklen durch Materialveränderung und -beanspruchung begrenzt, doch unter Beachtung unterschiedlicher Qualitätsanforderungen für die Materialien der verschiedenen Bauteile kann ein und derselbe Kunststoff mehrere Fahrzeuggenerationen durchlaufen. So muß zum Beispiel die Qualität des Kunststoffes für Armaturenverkleidungen nicht so hoch sein wie die Güte von Werkstoffen für Stoßfänger.

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Bisher bestimmen jedoch vor allem die Gebrauchswerteigenschaften wie Gewichtsreduktion, Fahrsicherheit, Vereinfachung der Wartung, Korrosionsschutz und Design den Einsatz der Kunststoffe, die zum Teil als Verbundmaterialien in verschiedenen chemischen Zusammensetzungen und schwer ausbaubar im Auto Verwendung finden. Daher wandern die Kunststoffe vorwiegend in den Shreddermüll, dessen Leichtfraktion in der Regel auf Deponien lagert.

Um diese Materialvergeudung und Umweltbelastung einzuschränken, hat sich die Autoindustrie auf Kennzeichnungsrichtlinien für die verwendeten Kunststoffe geeinigt. Auch Betriebe der Großchemie bemühen sich um eine abfallvermeidende Produktentwicklung. Mit der Gründung der "Entwicklungsgesellschaft Wiederverwertung von Kunststoffen" stellen sie Kapazität für die Beratung in logistischen und technologischen Fragen der Wiederverwertung bereit und unterstützen Forschungsprojekte, die sich mit der Verwertung von Altkunststoffen aus Autos, Kühlgeräten und aus Produkten der Unterhaltungsindustrie befassen.

Auch mit einer Erhöhung der Lebensdauer und der Reparaturfreudigkeit ihrer Produkte sowie mit Rücknahmegarantien könnte die Industrie die Entlastung der Umwelt vom Müll unterstützen. Und schließlich würde die Umstellung vom Verkauf auf den Verleih von Maschinen und Geräten das Abfallaufkommen verringern. Der Benutzer von Maschinen und Geräten ist in der Regel nicht an dem Besitz, sondern an dem Gebrauchswert dieser Güter interessiert. Wenn Hersteller in Zukunft ihre Produkte ausleihen statt verkaufen, könnten komplementäre Interessen zum Nutzen der Umwelt befriedigt werden: Der Nutzer muß sich nicht darum sorgen, wo er ausgediente Geräte und Maschinen läßt. Und der Produzent sichert sich seine Rohstoffquelle, indem er so plant, daß er die Materialien aus den zurückgenommenen Produkten umfassend wiederverwenden kann.

Da die Abfallvermeidung als wirksamste Strategie zur Reduzierung der Müllberge eine Änderung des Konsumverhaltens in breiten Kreisen der Bevölkerung, auf jeden Fall aber eine Veränderung der Produktionsplanung voraussetzt, wird diese Strategie erst nach Übergangsfristen greifen. Zudem muß sie von Maßnahmen der Verwertung sowie zur Sicherung ausreichender Deponie- und Verbrennungskapazitäten begleitet werden. Niemand kann sich heute darauf verlassen, daß die Vermeidungsstrategie in überschaubaren Zeit-

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räumen das Müllaufkommen ausreichend entlasten wird. Zuviele zwar optimistisch einschätzbare, aber nicht verläßlich kalkulierbare Faktoren wie Bewußtseinsentwicklung, Lebenspläne und Bedürfnisse in der Bevölkerung, aber auch Erfindungsgeist und Innovationsverhalten unter den Produzenten spielen eine Rolle. Hinzu kommt, daß auch bei einer auf Vermeidung- und Verwertung ausgerichteten Entsorgung Restmüllmengen anfallen, sei es, weil Materialien nicht beliebig häufig in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden können, sei es, weil die Wiederverwertung sowie viele Umweltschutzmaßnahmen mit Abfallproduktion verbunden sind. Müllvermeidung und -verwertung mögen daher der Abfallwirtschaft ihren Königsweg weisen, doch es müssen auch genügend Kapazitäten für eine als umweltverträglich anzusehende Beseitigung des Restmülls zur Verfügung stehen.

Allerdings stabilisieren die Orientierung von Produzenten und Verbrauchern an gewohnten Handlungsmustern, Bequemlichkeit, unzureichende Berücksichtigung abfallwirtschaftlicher Inhalte in der früheren Ausbildung von Technikern und die unter Kosten-Nutzen-Kalkülen vorzunehmende Produktionsplanung heute noch die gewohnte Praxis: Müll wegwerfen, einsammeln, deponieren oder verbrennen. Daher muß der Gesetzgeber durch Schaffung und Nutzung geeigneter Instrumente versuchen, der Müllvermeidung und -verwertung die angestrebte Vorrangstellung zu sichern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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