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TEILDOKUMENT:


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Vorbemerkungen

Ein leistungsfähiges Verkehrssystem ist für den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern eine unverzichtbare Voraussetzung: Einerseits führen Investitionen in die Sanierung und in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zur Schaffung neuer und Sicherung vorhandener Arbeitsplätze. Andererseits machen attraktive Verkehrsverbindungen den Ostteil Deutschlands für Investoren erst interessant.

Zur Zeit ist diese Voraussetzung in den Beitrittsländern aber noch nicht erfüllt. Das gesamte Verkehrssystem ist im Osten vier Jahrzehnte lang vernachlässigt worden und befindet sich zur Zeit in einem desolaten Zustand. Dies gilt auch für den Bereich des Stadtverkehrs, in dem in den kommenden Jahren noch mit weiter wachsenden Problemen zu rechnen ist. Ausschlaggebend hierfür wird die mit Sicherheit noch zunehmende Verkehrsdichte im Individualverkehr sein. Bereits vor der Wiedervereinigung hatte sich der Modal-Split nach den Ermittlungen der TU Dresden in der ehemaligen DDR deutlich zu Lasten des öffentlichen Verkehrs verschoben. Diese Entwicklung hat sich nach der Öffnung der Grenzen, mit der sich die Verfügbarkeit von Pkw sprunghaft erhöhte, zusätzlich beschleunigt.

Damit droht die Gefahr, daß auch in den neuen Bundesländern die Lebens- und Umweltqualität im Zuge der wachsenden Motorisierung immer mehr beeinträchtigt wird, und zwar

  • durch den ständig zunehmenden Verkehrslärm,

  • durch den vermehrten Abgasausstoß der Autos, der vor allem in Großstädten und Ballungsräumen erheblich zur Schadstoffbelastung der Luft beiträgt, sowie

  • durch die wachsende Diskrepanz zwischen zunehmenden Fahrzeugbeständen und Verkehrsleistungen einerseits und dem kaum noch ausweitbaren Straßenraum für den fließenden und den ruhenden Verkehr andererseits, wor-

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    aus sich immer stärkere Verdichtungen des Verkehrs - oft bis zum Stillstand - ergeben.

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) kann in den neuen Bundesländern kurzfristig nicht als Retter in der Not auftreten, denn er befindet sich seit längerer Zeit in einer prekären Situation. Auch die Verkehrsbetriebe leiden schon seit vielen Jahren unter den Folgen der wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der DDR; diese spiegeln sich

  • im Arbeitskräftemangel sowohl im Fahrdienst als auch in der Instandhaltung

  • in der unzureichenden Beschaffung neuer Fahrzeuge in der mangelhaften Ersatzteilversorgung in überalterten Werkstätten

  • in qualitativ schlechten und überlasteten Verkehrsanlagen sowie

  • in Treibstoffkontingentierungen auch für Omnibusse.

Nach dem Beitritt der Ostländer hat sich die Situation in einigen dieser Teilbereiche zwar entspannt, aber die Aufarbeitung der jahrzehntelangen Versäumnisse und die umweltgerechten Anpassungen an das erwartete starke Verkehrswachstum werden sich noch über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Hinzu kommen neue Probleme. Seit Januar 1991 hat sich die Lage im Sektor des ÖPNV dramatisch verschärft. Viele Nahverkehrsbetriebe stehen vor dem finanziellen Kollaps, weil zwischen Treuhandanstalt, neuen Bundesländern und kommunalen Gebietskörperschaften die Zuständigkeiten für den ÖPNV umstritten sind. Dies löste in einigen Verkehrsbetrieben die Ankündigung von Linieneinstellungen und Kurzarbeit aus.

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Bereits diese kurzen Hinweise machen deutlich, daß sich der Stadtverkehr im Ostteil Deutschlands in einer schwierigen Lage befindet, in der er sich zunehmend zu einer Wachstumsbremse der Wirtschaft und zum Ärgernis der Bürger zu entwickeln droht. In einer solchen Situation besteht ein akuter Bedarf an Konzepten, die einen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme in Aussicht stellen. Mit entsprechenden Handlungsstrategien setzte sich eine Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung auseinander, an der Verkehrspolitiker aus Bund, Ländern und Gemeinden, Vertreter von öffentlichen Verkehrsbetrieben, Automobilfirmen, Fachverbänden und Gewerkschaften sowie Städteplaner und Wissenschaftler - überwiegend aus dem Gebiet der ehemaligen DDR - teilnahmen. Dabei wurden zwar auch die möglichen Risiken erörtert, die die künftige Entwicklung der Verkehrsverhältnisse in den ostdeutschen Gemeinden birgt. In erster Linie ging es aber darum, die Chancen für eine Neuorientierung der kommunalen Verkehrspolitik aufzuzeigen, die sich bei Nutzung der verfügbaren Instrumente der Stadtplanung und Verkehrstechnik, der Verkehrslenkung und -beeinflussung sowie bei einer sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Autoverkehr und ÖPNV ergeben.

In der vorliegenden Broschüre werden die Referate und Diskussionsbeiträge des Expertengesprächs thematisch gegliedert zusammengefaßt. Einleitend werden verkehrspolitische Leitlinien entwickelt, die als Rahmenbedingungen bei der Sanierung der ostdeutschen Verkehrsinfrastruktur zu beachten sind. Die folgende Darstellung von Konzepten für einen umweltfreundlichen Stadtverkehr befaßt sich aus west- und aus ostdeutscher Sicht zunächst generell mit dem Handlungsbedarf und den Lösungsansätzen und zeigt dann anschließend die praktische Umsetzung der allgemeinen Planungsgrundsätze in jeweils einer Großstadt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit den Perspektiven des Individualverkehrs. Hierbei werden auf der einen Seite aus den bisherigen Entwicklungsetappen Planungskriterien abgeleitet, die in den neuen Bundesländern auf dem Weg zu stadtverträgli-

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chen ökologisch vernünftigen Verkehrsabläufen berücksichtigt werden sollten. Auf der anderen Seite werden am Beispiel München Ansätze für die Integration des Autoverkehrs in ein kooperatives Verkehrsmanagement aufgezeigt. Ein weiterer Themenschwerpunkt beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen, die für den ÖPNV bei der Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme bestehen; in diesem Zusammenhang wird besonders auf die speziellen Angebotsdefizite ostdeutscher Verkehrsbetriebe sowie auf die Bausteine eines schnell und effektiv durchsetzbaren Modernisierungsprogramms eingegangen. Ergänzend wird für den Raum Berlin ein arbeitsteiliges Verkehrskonzept vorgestellt, das zur Integration der über Jahrzehnte geteilten Stadt beitragen kann. Die Broschüre schließt mit einer Zusammenstellung wichtiger Systemelemente, die beim Auf- und Ausbau eines leistungsfähigen Stadtverkehrs in den neuen Bundesländern beachtet werden sollten; hierdurch kann gewährleistet werden, daß die Fehler vermieden werden, die bei der Entwicklung der Motorisierung in Westdeutschland begangen wurden.

Das Tagungssekretariat führten Barbara Becker und Doris Faßbender. Für die Konzeption der Fachkonferenz war Diplom- Volkswirt Karl-Hans Weinler von der Abteilung Wirtschaftspolitik des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich, der auch die Redaktion des Veranstaltungsberichtes besorgte.

Bonn, April 1991Dr. Jochem Langkau


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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