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[Seite der Druckausgabe: 20 / Fortsetzung]

2. Beschäftigungsgesellschaften und -pläne als Instrument der Arbeitsmarktpolitik



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2.1 Entwicklungsgeschichte von Beschäftigungsgesellschaften und -plänen

Den Prototyp dessen, was man inzwischen als Beschäftigungsgesellschaft bezeichnet, bildet das Greater London Enterprise Board (GLEB), das 1983 durch den Londoner Stadtrat ins Leben gerufen wurde. Dieses "Amt für Beschäftigung" konzentrierte seine Aktivitäten auf die Beschäftigungssicherung in konkursgefährdeten Betrieben und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Sein integraler Handlungsansatz führt Technologieentwicklung, strukturelle Investitionstätigkeit und zukunftsträchtige Branchenförderung zusammen. Von Qualifizierung ist hier noch nicht die Rede.

Die Qualifizierung bildet ein wichtiges Element schwedischer und bundesdeutscher Arbeitsmarktpolitik. In Schweden wurde die Arbeitsmarktpolitik seit dem Ende der fünfziger Jahre zielstrebig zu einem Instrument der antizyklischen Beschäftigungspolitik ausgebaut, so daß beim Eintritt der weltwirtschaftlichen Krise in den siebziger Jahren die institutionelle Infrastruktur und die Methodik von Fort- und Umschulungsprogrammen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen voll entwickelt war.

Dieser Denk- und Handlungsansatz wurde in der Bundesrepublik nach der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes 1969 im Rahmen der Überlegungen zu einer vorsorgenden und vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik teilweise nachvollzogen. Umschulung und Fortbildung gerieten immer mehr ins Zentrum der Überlegungen. Die Qualifizierungsoffensive 1987/88 ist darin ein praktischer Beleg.

Parallel dazu wurde seit Ende der 70er Jahre in betrieblichen und kommunalen Zusammenhängen darüber nachgedacht, wie die defensiven und reaktiven Muster des Handlings von Struktur- und Unternehmenskrisen durchbrochen werden könnten. Sozialpolitische Abfederungen konnten zwar individuelle Entlastungen für ausgewählte Gruppen bringen

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(Abfindungen; Frühpensionierungen), aber keine neuen Beschäftigungsperspektiven für die Mehrheit der Betroffenen. Standorte und Regionen sahen sich in der Gefahr, von der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik abgekoppelt zu werden und ins soziale oder ökonomische Abseits zu geraten. Regionale Disparitäten schärften den Blick für das vorhandene Produktionspotential, die regionale Infrastruktur, die am Ort ansässigen betrieblichen Produktionsmöglichkeiten und Qualifikationsstruktur der dort arbeitenden Menschen, also das, was in der gerafften Formel als "endogene Regionalpotentiale" bezeichnet wird. Die Diskussion verlief zunächst getrennt auf der betrieblichen und kommunalen Ebene, führte aber zwangsläufig zu immer mehr Überschneidungen und Verknüpfungen. Betrieblich geht es dabei um die Theorie und Praxis der Beschäftigungspläne, kommunal um die Konzepte und Strategien des 2. Arbeitsmarktes.

Wie der Präsident eines Landesarbeitsamtes sagte, wird unter dem Begriff "Beschäftigungsgesellschaft" ein bunter Strauß arbeitsmarktpolitischer Initiativen gehandelt. Der in diesem Kontext bestehende Begriffswirrwar erfordert jedoch eine Trennschärfe, die zwischen betrieblichen und kommunalen Strategien und Initiativen unterscheidet. Als betriebliches Beispiel kann dabei auf das Unternehmen Grundig verwiesen werden. Anlaß für den Beschäftigungsplan Grundig war ein Sanierungskonzept, das nach der Übernahme der Grundig AG durch den Philips-Konzern vorgelegt wurde und das

  1. massiven Personalabbau

  2. Maßnahmen zur Produkt- und Standortbereinigung

  3. Rationalisierungsvorhaben

umfaßte.

In den Verhandlungen um einen Interessensausgleich setzten Betriebsrat und IG Metall nicht auf die Ausgestaltung eines Sozialplanes, sondern sie forderten etwas Neues: einen Beschäftigungsplan mit folgenden Punkten:

  1. Entwicklung und Aufbau neuer Produktlinien

  2. Förderung humaner Produktions- und Arbeitseinsatzkonzepte

  3. Qualifizierung der Beschäftigten.

Die erfolgreiche Durchsetzung des Beschäftigungsplans mit den Komponenten "Produktdiversifizierung" und "Qualifizierung" konfiguriert auch das Raster für eine arbeitsorientierte Regional- und Strukturpolitik.

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Beispiel für eine kommunale Initiative ist die "Hamburger Arbeit Beschäftigungsgesellschaft". 1981 verabschiedete der Hamburger Senat das arbeitsmarktpolitische Konzept "Zweiter Arbeitsmarkt", das auf eine zeitlich befristete Tätigkeit in einem öffentlich gestützten Arbeitsmarkt zielte. Die HAB, Hamburger Arbeit Beschäftigungsgesellschaft mbH wurde im Jahre 1983 von der Freien und Hansestadt Hamburg gegründet mit dem Auftrag, arbeitsbereiten und arbeitsfähigen Solzialhilfeempfängern, deren alleinige Lebensgrundlage die Sozialhilfe (geworden) ist, durch das Angebot befristeter, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse (wieder) den Anschluß an die Arbeitswelt zu eröffnen.

Durch den Abschluß des Arbeitsvertrages soll die Chance des Bewerbers, in den regulären Arbeitsmarkt zurückzufinden, verbessert werden. Sofern das Ziel des Übergangs in den regulären Arbeitsmarkt nicht erreicht wird, werden zumindest aber Arbeitslosengeld bzw. -hilfeansprüche sowie weitere Rechtsansprüche gemäß Arbeitsförderungsgesetz erworben.

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2.2 Konzeptionelle Kernelemente von Beschäftigungsgesellschaften und -plänen

Faßt man die genannten Erfahrungen zusammen, so lassen sich drei Ebenen auswerten:

  • europäisches Ausland, insbesondere Frankreich, Schweden und Großbritannien;

  • sechs Jahre Praxis mit ca. 30 Beschäftigungsplänen in den Wirtschaftssektoren Bergbau, Stahl, Schiffsbau und Unterhaltungselektronik in den alten Bundesländern

  • Initiativen im Bereich "2. Arbeitsmarkt" in Verbindung mit Beschäftigungsgesellschaften (z.B. Hamburg, Saarland, Berlin etc.) in den alten Bundesländern

Dabei schälen sich folgende Kernpunkte heraus:

  1. Die Erarbeitung von Lösungsansätzen für eine betriebliche Krisensituation geschieht auch unter dem Aspekt ihrer Folgen für den regionalen/kommunalen Wirtschaftsraum (Sektorenentwicklung; Innovationsfähigkeit; Arbeitsmarkt);

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  2. Stabilisierung und Ausschöpfung von Qualifikationspotentialen zielen auf Zeitgewinn zur Realisierung betrieblicher und regionaler Umbauprogramme (Produktionskonversation und -diversifikation);

  3. Qualifizierung in Beschäftigungsplänen kombiniert betriebliche und öffentliche Mittel und konzentriert sich auf die Aufweichung betrieblicher Arbeitsmarktbarrieren zugunsten der Öffnung von Entwicklungskorridoren für die Un- und Angelernten oder andere betrieblich benachteiligte Gruppen (bottom-up-Strategie);

  4. Qualifizierung in betrieblichen Bindungen als Instrument präventiver Personalpolitik erhält den Solidarverband der betrieblichen Zugehörigkeit und macht die individuelle Entscheidung für die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung leichter;

  5. Investitionsentscheidungen - Produktinnovation - Organisationsentwicklung - Personalplanung und Qualifizierung werden als betriebliche Entscheidungskette in ihren Wechselwirkungen gesehen;

  6. Qualifizierung in Beschäftigungsgesellschaften liefert einen Beitrag zur Zielvorstellung, Beschäftigung zu schaffen, anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. In einer öffentlich getragenen Beschäftigungsgesellschaft, die durch Mischfinanzierung (EG-Mittel, Bundesmittel, Strukturfonds, Einnahmen, regionale Mittel, lokale Eigenbeteiligungen etc.) abzusichern ist, können Qualifizierung und Beschäftigung integriert angeboten und organisiert (2. Arbeitsmarkt) und Übergänge zu Betrieben geschaffen werden (1. Arbeitsmarkt);

  7. Betriebliche und lokale Handlungsebene verschränken sich zunehmend in der Perspektive regionaler Entwicklungskonzepte;

  8. Beschäftigungsinitiierung und Qualifizierung werden nicht nur in gegenseitiger Abhängigkeit gesehen, sondern zunehmend praktisch in individuellen Förderungsmaßnahmen miteinander kombiniert; arbeitsorientiertes Lernen und qualifikationsförderliches Arbeiten werden in den Mittelpunkt gerückt.

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2.3 Übertragungsmöglichkeiten von Beschäftigungsgesellschaften und -plänen auf die neuen Bundesländer

Die bisher vorliegenden Ergebnisse bieten jedoch wenig Anlaß zur Euphorie. Die politischen Rahmenbedingungen und eine restriktive Förderpraxis haben die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Potentiale nicht zu ihrer vollen Entfaltung kommen lassen. Die Beschäftigungseffekte im 1. Arbeitsmarkt sind bescheiden, und die überwiegende Zahl der Beschäftigungspläne wurde in der Praxis zu Qualiflzierungsplänen, ohne daß gleichzeitig die betriebliche Konversion vorangetrieben wurde.

Dies wurde auch von einem Vertreter des Landesarbeitsamtes NRW unterstrichen, als er darauf hinwies, "daß Beschäftigungsgesellschaften, was immer dies dann im einzelnen sei, darauf Bedacht nehmen müssen, daß sie nur Versatzstücke, gewissermaßen Prothesen sind, die in bestimmten Situationen einen Beitrag dazu leisten müssen, daß Personalstrukturen verändert, gleichzeitig sozial abgefedert und so angesetzt werden, daß man gleichzeitig Beiträge leistet für einen künftigen Umbau von Produktion und Volkswirtschaft."

Im Bewußtsein dieser Einschränkung sind die Voraussetzungen für die Implementierung von Beschäftigungsgesellschaften in den neuen Bundesländern auf ihre Besonderheiten sorgfältig zu analysieren und die daran formulierten Ziele gegenüber überzogenen Erwartungen zu schützen. Dabei wird es besonders darauf ankommen, den bekannten restriktiven Faktoren, die einer Umsetzung im Wege stehen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Haupthindernis war in den alten Bundesländern nicht die mangelnde soziale Phantasie, sondern die rechtlichen Bestimmungen. Das Arbeitsförderungsgesetz, das vorrangig als Finanzierungsinstrument von den Akteuren angesehen wird, ist in erster Linie ein Instrument der individuellen, einzelfallbezogenen Förderung. Durch das Nadelöhr der Ein-zelfallprüfung müssen alle Initiativen hindurch. Dabei kann es sehr schnell sehr eng werden.

Das am 1. Juli 90 in Kraft getretene AFG der DDR orientiert sich sowohl hinsichtlich des Aufbaus wie der inhaltlichen Ausgestaltung weitgehend an der gültigen Fassung des bundesdeutschen AFG. Einzelne Regelungen stellen eine Fortentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums dar, während andere arbeitsmarktpolitischen Instrumente des bundesdeutschen AFG nicht übernommen werden.

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Die günstigeren Regelungen sind insbesondere darin zu sehen, daß

  • berufliche Weiterbildungsmaßnahmen auch dann gefördert werden können, wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht gelöst wurde (§ 44 AFG);

  • Kurzarbeitergeld im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion unter erleichterten Bedingungen gezahlt und mit Weiterbildungsmaßnahmen kombiniert werden kann (§ 63 AFG);

  • Einarbeitungszuschüsse gezahlt werden können, wenn der Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht ist. Eine "unmittelbare Bedrohung" muß nicht vorliegen (§ 49 AFG);

  • die ABM-Förderung flexibler gehandhabt und ein höherer Zuschuß gewährt werden kann (§ 95 AFG).

Ein weiteres Hindernis, von dem von verschiedenen Seiten aus den Unternehmen berichtet wurde, ist der Reduktionismus der Treuhandanstalt, die sich in ihrem Handeln auf den Horizont betriebswirtschaftlich orientierter Sanierungsprogramme beschränkt und die regional- und beschäftigungspolitische Dimension außer acht läßt. Sanierungskonzepte, die sich bemühen, über den "Tellerrand" der einzelbetrieblichen Gesundung hinwegzusehen, sind aber auf die Einbeziehung der lokalen/kommunalen Peripherie angewiesen. Es sieht ganz danach aus, daß an der Privatisierungsborniertheit der Treuhand manche Struktur- und beschäftigungspolitischen Hoffnungen zerschellen könnten.

Beschäftigungsinitiativen und Beschäftigungsgesellschaften auf lokaler/ regionaler Handlungsebene sind notwendige Beiträge zu einer vorausschauenden, präventiven Beschäftigungs- und Strukturpolitik, hinreichend zur Lösung der gravierenden anstehenden Arbeitsmarktprobleme sind sie keinesfalls. Wie Beschäftigungsgesellschaften in den alten Bundesländern nur ein Hilfsinstrument unter anderen sind, müssen sie auch in den neuen Bundesländern verstanden werden: "Nicht als ein Rezept, das generell gegen Beschäftigungsprobleme verordnet werden darf. Die Rezeptur darf nur nach einer individuellen Diagnose erfolgen, und sie muß richtig dosiert sein." Diese Bemerkung eines Vertreters des Landesarbeitsamtes NRW trifft den Kern der Sache und verlangt abgestimmte und auf die lokalen Problem- und Bedarfslagen zugeschnittene Entscheidungsprozeduren. In der nachfolgenden Checkliste sind zentrale Aspekte für die Umsetzung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften zusammengestellt.

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Checkliste zur Umsetzung von Beschäftigungsgesellschaften

(Gesellschaft zur Information und Beratung örtlicher Beschäftigungsinitiativen und Selbsthilfegruppen gGmbH (G.I.B.), Bottrop)

  1. Mit wem soll die Zusammenarbeit gesucht werden und wie organisiert man diese?

    An den konkreten Überlegungen zur Bildung und bei der Umsetzung der Qualiflzierungs- und Beschäftigungsabteilung bzw. -gesellschaft sollten beteiligt sein:

    • das/die betroffene(n) Unternehmen, die Geschäftsführung und die Personalvertretung;

    • ggf. die jeweiligen Gebietskörperschaften;

    • die Arbeitsverwaltung;

    • Arbeitgeber/Arbeitnehmerorganisationen;

    • Bildungsträger;

    • ggf. externe Berater.

    Einer Stelle/Person im Unternehmen sollte(n) die Überlegungen/Umsetzung federführend und verantwortlich übertragen werden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann dies auch durch ABM-Stellen unterstützt werden (ABM für ABM oder ABM für Förderungsberater). Die Verantwortung bleibt jedoch bei dem beauftragten Mitarbeiter der beauftragten Stelle.

  2. Welche Möglichkeiten müssen untersucht und bewertet werden?

    Welche Unternehmensbereiche mit wie vielen Mitarbeitern können mit Investitionen, Umstrukturierungen und Weiterentwicklungen weiterarbeiten bzw. nicht weitergeführt werden? Welche Kombinationen sind dabei vorstellbar und realistisch?

    Besteht die Möglichkeit, daß wettbewerbsfähige Unternehmensteile verselbständigt werden?

    Wie hoch ist deren Personalbedarf

    • zur Zeit,

    • nach einer Übergangszeit,

    • mit Kurzarbeit (Umfang?/Dauer?)

    Für welche Bereiche gibt es Kaufinteressenten und wie viele Mitarbeiter sind von einer evtl. Übernahme betroffen? Gibt es alternative Angebote zu unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen und personalwirtschaftlichen Bedingungen?

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    Welche Vorstellungen hat die Treuhand zur Zukunft des Betriebes und wie schätzt sie die Chancen ein?

  3. Erweiterung zur Beschäftigungsgesellschaft?

    Soll eine solche Qualifizierungsabteilung/-gesellschaft außer der Qualifizierung auch der Beschäftigung dienen?

    Soll die Beschäftigung alternativ zur Qualifizierung laufen, z.B. als Übergang in den Vorruhestand oder in die Rente, zeitlich nacheinander oder kombiniert (Arbeiten und Lernen)?

    Welcher Art soll die Beschäftigung sein?

    • Arbeiten für das Unternehmen selbst (Finanzierung der Einkommen über Kurzarbeitergeld, ggf. plus Aufstockung). Denkbar ist hier z.B. die Restaurierung und Nutzbarmachung betrieblicher Einrichtungen und Liegenschaften für das Unternehmen, um den Veräußerungs- oder Beleihungswert zu optimieren, aber auch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren.

    • Gemeinnützige Arbeiten, wie z. B. die Aufbereitung und Entsorgung von Flächen für Betriebsansiedlungen bzw. Ansiedlungen Dritter, bauliche und ökologische Sanierungen für eine Erschließung als Gewerbe- und Industriegebiet, Infrastrukturmaßnahmen.

    • Die Finanzierung kann über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erfolgen. Die Kommunen vergeben entsprechende ABM-Aufträge an die Beschäftigungsgesellschaft oder die Beschäftigungsgesellschaft tritt selbst als ABM-Träger auf. Waren die Arbeitnehmer allerdings zuvor bei der Beschäftigungsgesellschaft oder, im Fall einer Qualifizierungsabteilung, beim Unternehmen beschäftigt, scheidet diese Möglichkeit aus, weil sie nicht arbeitslos gemeldet sind. Anders liegt der Fall nach einer zwischenzeitigen Arbeitslosigkeit.

  4. Wie können Qualifikationsbestand, -bedarf und -kosten ermittelt werden?

    Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden und qualifizierte Arbeitnehmer für die wirtschaftliche Umstrukturierung und Entwicklung zu haben, hat Qualifizierung Vorrang vor Entlassungen. Notwendig hierzu ist eine:

    • Strukturanalyse der Beschäftigten,

    • Analyse des Qualifikationsbedarfs,

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    • Erhebung der für Qualifizierung erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung und des Interesses an Teilzeitbeschäftigung.

    1. Welche Beschäftigtenstruktur haben die unterschiedlichen Abteilungen und Standorte? Analysiert werden müssen die Merkmale:

      • Alter,

      • Geschlecht,

      • schulische und berufliche Vorbildung,

      • Ausgangsqualifkationen,

      • früher erworbene, wieder mobilisierbare (Zusatz)Qualifikationen,

      • Sprachen.

      Angestrebt wird ein Weiterbildungsangebot für alle Arbeitnehmer. Ziel ist die Erhaltung der Lernfähigkeit durch die Organisation und das Angebot von Motivationskursen mit Lerntechniken, Informations- und Organisationskunde, Rechts- und Wirtschaftslehre u.a. Hierfür müssen geeignet Anbieter gesucht und deren Leistungen verglichen werden.

    2. Welcher Qualifikationsbedarf und welche Weiterbildungsbereiche ergeben sich hinsichtlich:

      • des weiterbestehenden Unternehmens bzw. der verselbständigten Untemehmensteile,

      • der Kaufinteressenten von Betriebsteilen,

      • konkreter und potentieller Investoren in der Region,

      • anderer Unternehmen in der Region, die investieren wollen,

      • zukunftsorientierter Ausbildungs- und Arbeitsplätze, in Kenntnis der allgemeinen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung (Aktualisierung von Arbeits- bzw. Ausbildungsinhalten),

      • zukünftiger Existenzgründer.

      Reichen die Weiterbildungskapazitäten des Unternehmens/der Region quantitativ und qualitativ aus? Falls nicht, muß der Umfang und der Ort der Aufstockung, der Modernisierung und des Ausbaus überlegt werden.

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      Wie wird die Qualifizierungsinformation und -beratung der Beschäftigten sichergestellt?

    3. Verfügt das Unternehmen selbst über die für eine Schulung erforderlichen Räume, Maschinen und sonstigen Unterrichtsmaterialien sowie Lehrkräfte und Ausbilder?

      Welcher zusätzliche Bedarf besteht an:

      • Räumen (Vorsicht bei zu hohen Verrechnungspreisen bei der Überlassung von Räumen durch das eigene Unternehmen)

      • Ausstattung Ausbildern und Lehrpersonal

      • Material?

      Wer stellt die Infrastruktur sicher?

      Welche Preise sind zu zahlen für Mieten, Energiekosten, Maschinennutzung, Löhne und Gehälter der Ausbilder, Material, Honorare und Reisekosten für Referenten?

      Wie lassen sich die Kosten ermitteln? Wie hoch sind die Kosten vergleichbarer Angebote?

  5. Welche Perspektiven ergeben sich für die Mitarbeiter?

    Wie wird der Lebensunterhalt während der Qualifizierung finanziert?

    • Kurzarbeitergeld,

    • Unterhaltsgeld entsprechend AFG-Regelungen,

    • Aufstockung durch das Unternehmen und/oder die Kommune

    Die Höhe des Einkommens ist wichtig für die Motivation der Beschäftigten, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. (Inhalt, Umfang, Dauer der Maßnahme).

    Wie viele/welche Mitarbeiter sollen/wollen ggf. wann in Vorruhestand gehen?

    Wenn die Qualifizierungsgesellschaft Arbeitgeber der Mitarbeiter wird:

    • soll das Arbeitsverhältnis bei dem bisherigen Unternehmen ruhen oder sollen die Arbeitnehmer gekündigt werden?

    • sollen sie sowohl bei dem bisherigen Unternehmen als auch bei der Qualifizierungsgesellschaft in einem Beschäftigungsverhältnis stehen?

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    • sollen sie mit der Qualifizierungsgesellschaft zeitlich/zweckbestimmt befristete Arbeitsverträge abschließen?

    • sollen sie eine Wiedereinstellungsoption/-zusage für das bisherige Unternehmen erhalten?

    Bei der Nutzung von ABM ist zu bedenken, daß Arbeitslosigkeit Voraussetzung ist. Zugleich ist zur Vermeidung möglicher Sperrzeiten die arbeitgeberseitige Kündigung erforderlich. Eine Beratung mit dem Arbeitsamt ist dabei zweckmäßig.

  6. Welche Kooperationspartner kommen in Betracht und was muß bei der Umsetzung beachtet werden?

    Welche Weiterbildungseinrichtungen/-träger kommen von ihren Räumen, ihrer Ausstattung, ihrem Personal, ihrem Maßnahmeangebot her für die Durchführung der Schulung - ergänzend zu dem Unternehmenspotential für Weiterbildung - in Betracht?

    Welche Weiterbildungskapazitäten der Region können im Verbund genutzt werden? Welche Spezialisierungen sind ggf. notwendig? Wie wird die Kooperation (Einbringen von Räumen/Ausstattung/Personal) zwischen Unternehmen und Weiterbildungsträgern(n) organisiert/geregelt?

    In welcher organisatorischen und rechtlichen Konstruktion soll die Qualifizierung ablaufen?

    • in einer besonderen Betriebsabteilung oder in einer (als GmbH) neu zu gründenden Qualifizierungsgesellschaft?

    • Lassen sich die Anforderungen einer vollen oder teilweisen Produktion mit den Qualifizierungsangeboten abstimmen und planen?

    Wer soll bei einer Qualifizierungsgesellschaft außer dem Personal abbauenden Unternehmen beteiligt sein:

    • andere Unternehmen z.B. kleinere Nachbarbetriebe

    • Gebietskörperschaften

    • Arbeitgeber/Arbeitnehmerorganisationen

    • Träger der beruflichen Weiterbildung?

    Sofern die angesprochenen Gruppen nicht Gesellschafter sind, sollten sie in einem Beirat vertreten sein, der die Arbeitsmarktorientierung der Weiterbildung im Auge behält. Dabei ist auch die Arbeitsfähigkeit (Größe) zu bedenken.

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    Wie sollen zusätzliche Kapazitäten finanziert werden, z.B. über die institutionelle Förderung der Fortbildung und Umschulung durch Arbeitsämter, Kommunen, Land, Bund?

    Wie soll der zeitliche Ablauf der Qualifizierung für Ausbilder und Mitarbeiter sein? Wer qualifiziert die Ausbilder? Wann, wie lange, wo und zu welchen Kosten? Wer übernimmt diese Kosten?

    Wie wird sichergestellt, daß einerseits die Nutzung von betrieblichen Einrichtungen des Unternehmens für die Weiterbildung nicht mögliche Veräußerungen blockiert und andererseits im Fall des Konkurses Qualifizierungsmaßnahmen zu Ende geführt werden (Einsatz eines Qualifizierungsbevollmächtigten in einer Abwicklungsgesellschaft).

    Welche Finanzierungsquellen stehen außer Kurzarbeitergeld und ABM für Beschäftigung zur Verfügung, z.B. Infrastrukturprogramme/EG-Mittel/Wirtschaftsförderungsmittel?

    Wie können die einzelnen Fördertöpfe für sachliche und personelle Ausgaben verbunden werden?

    Soll die Möglichkeit eröffnet werden, Arbeitnehmer der Beschäftigungsgesellschaft an andere Unternehmen zur Abdeckung von Personalspitzen zu überlassen/zu verleihen?

    Welche Partner gibt es dafür? (Erlaubniserteilung beantragen!) Vorsicht bei Kombinationen von Arbeit und Qualifizierung bei Dritten. Hier müssen verbindliche und überprüfbare Einarbeitungs- bzw. Qualifizierungspläne vorliegen!

  7. Generell zu beachten ist darüber hinaus:

    • daß realistische Termine für die Abläufe festgelegt werden,

    • die Überwachung der Terminplanung,

    • daß Revisionsmöglichkeiten für Planungen offengehalten werden,

    • die Beobachtung von Entwicklungen am Markt, der Wettbewerber, der Interessenten (Planungen dürfen nicht Selbstzweck werden),

    • die Grundlegung realistischer Größenordnungen,

    • der Verzicht auf Qualifizierungsangebote für Lernunwillige. Außerdem sollten Beratungsphasen vorgeschaltet und die Angebote wiederholt offeriert werden.

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2.4 Beschäftigungspolitische Initiativen In den fünf neuen Bundesländern



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2.4.1 Bildungs- und Innovationsgesellschaft Jena (BIG)

Das ehemalige Kombinat Carl-Zeiss Jena mit ca. 60.000 Beschäftigten wurde zum 01.07.1990 in mehrere Unternehmen zerlegt. Das größte davon ist die Jenaoptik Carl Zeiss Jena GmbH mit 30.000 Beschäftigten. Zum Jahresende 1990 wurde von der Geschäftsleitung eine Belegschaftsdimensionierung zwischen 20.000 und 23.000 Beschäftigte angestrebt. Das durch eine Unternehmensberatung für den Vorstand erarbeitete Sanierungskonzept sieht für 1993 nur noch 7.000 Beschäftigte im Kernbereich des Unternehmens vor.

In der empfohlenen Strategie finden mittel- und langfristige Perspektiven keinen Platz. Durch die Orientierung auf kurzfristige Liquiditätssicherung (deren Notwendigkeit unbestritten ist) werden mittelfristige Entwicklungschancen, die in ein bis zwei Jahren aktiviert werden und eine langfristige Perspektive des Unternehmens begründen können, negiert. Ansatzpunkte für Entwicklungschancen wären auf der Basis der Erhaltung der sehr hohen Beschäftigtenqualifikation in der Weiterentwicklung vorhandener und der Entwicklung neuer Produkte einschließlich ihrer Implementierung auf dem (Welt-) Markt zu finden. In den einzelnen Geschäftsbereichen des Unternehmens gibt es zahlreiche Produkte, die in weniger als zwei Jahren zur Marktreife entwickelt werden könnten, die aber bei einer ausschließlich an kurzfristiger Liquiditätssicherung orientierten Strategie in einem aussichtsreichen Entwicklungsstadium liquidiert würden.

Die ausschließlich streng betriebswirtschaftlich orientierte Strategie ist auch aus volkswirtschaftlicher Sicht vor dem Hintergrund der internationalen Wettbewerbskonstellation problematisch. Gerade in den Bereichen Feinmechanik und Optik (die zu den Kernbereichen des Produktspektrums von Carl Zeiss in Jena gehören), haben die europäischen Anbieter zunehmend Mühe, sich gegen die amerikanische und v.a. japanische Konkurrenz zu behaupten. Eine Schlüsselrolle bei der Festigung der derzeitigen Marktposition und der damit im Zusammenhang stehenden Arbeitsplätze spielen die Förderungsprogramme für Forschung und Entwicklung und die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten. Qualifiziertes Personal im Bereich der Hochtechnologien ist in Jena in weit überdurchschnittlichem Maß vorhanden. Dieses "Humankapital" nicht gebündelt zusammenzuhalten, wäre aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine Fehl-

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leistung von strategischer Tragweite. Hier setzt das Konzept für die "Bildungs- und Innovationsgesellschaft Jena" (BIG) konstruktiv an, einer gemeinnützigen GmbH, die von der Jenaoptik Carl Zeiss Jena GmbH, weiteren Unternehmen, der Stadt Jena und dem Landkreis getragen wird. Sie greift Grundgedanken der in den alten Bundesländern entwickelten Konzeption der Beschäftigungsgesellschaft auf und entwickelt sie gemäß den spezifisch neuen Anforderungen in Jena weiter. Dieses Konzept wurde von einem Vertreter des Instituts für Medienforschung und Urbanistik (IMU) vorgestellt.

Die Aufgaben lassen sich in zwei Hauptbereiche gliedern, die sich in der Organisationsstruktur als Hauptabteilungen wiederfinden: die Durchführung von Bildungsmaßnahmen und die Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten.

Die Aufgaben der Hauptabteilung Qualifizierung

Die Hauptabteilung Qualifizierung in der Bildungs- und Innovationsgesellschaft Jena hat die Aufgabe, in einem Aus- und Weiterbildungsverbund in der Region Jena eine Moderatorenrolle zu übernehmen, um Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beteiligten Bildungsträgern zu erschließen und den Erfahrungsaustausch zwischen den regionalen Akteuren und Bildungsträgern in anderen Regionen zu fördern.

Mit dem Aufbau neuer Bildungskapazitäten aus den alten Bundesländern entsteht die Gefahr, daß vorhandene Bildungspotentiale ungenutzt bleiben oder abgebaut werden. Es gehört daher zu den Aufgaben der "BIG", die derzeit in der Region Jena verfügbaren beruflichen Bildungskapazitäten zu erhalten, zusammenzufassen bzw. zu vernetzen, und sie als wichtiges Potential zur Gestaltung des strukturellen Wandels nutzbar zu machen. Insbesondere sollen die räumlichen, sachlichen und pädagogischen Potentiale auf die in der Region vorhandenen beruflichen Bildungsbedarfe, die gesondert zu erheben sind, ausgerichtet werden. Das Programm enthält fünf Schwerpunkte:

  1. Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen

    Die "BIG" ist darauf orientiert, berufliche Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen vor allem für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten, darüber hinaus aber für alle Interessierten in der Region zu entwickeln und durchzuführen. Die an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen Beteiligten will sie umfassend beraten, um die Chancen eines erfolgreichen Abschlusses der Maßnahmen zu erhöhen.

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  2. Akquirierung von Beschäftigung

    Die Hauptabteilung Qualifizierung hat auch die Aufgabe, die Nachbetreuung der Teilnehmerinnen an Weiterbildungsmaßnahmen zu übernehmen. Sie nutzt die berufliche Bildungspolitik, um Beschäftigte, die eine Qualifizierungsmaßnahme durchlaufen haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren und durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung den sich herausbildenden Arbeitsmarkt mitzustrukturieren.

  3. Ausbilderqualifizierung

    In der Region Jena gibt es ein großes Potential qualifizierter Ausbilder u.a. im gewerblich-technischen Bereich, die nach kürzeren Anpassungsqualifikationen in der Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden können. Die Hauptabteilung Qualifizierung in der "BIG" spielt eine aktive Rolle bei der Qualifizierung der Ausbilder, um die Weiterbildungsmaßnahmen an dem derzeit höchsten Niveau zu orientieren und spin-off Effekte für die Weiterbildung der Lehrer an den beruflichen Schulen zu erzeugen.

  4. Qualifizierungsberatung

    Mit der Ausgründung von Betrieben und der Ansiedlung neuer Betriebe in der Region entsteht ein großes Bedürfnis nach Beratung in der Frage, wie der Arbeitskräftebedarf zu ermitteln und zu bedienen ist. Die "BIG" berät Betriebe der Region Jena bei der Analyse von Qualifizierungsbedarfen, der Entwicklung von Weiterbildungskonzepten und deren Realisierung. Sie wird aktiv, um Beschäftigte aus den Betrieben der Region Jena für die Teilnahme an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zu gewinnen.

  5. Drittmittelbeschaffung

    Um im Bildungs- und Technologiebereich innovativ sein zu können, sind Drittmittel erforderlich. Derzeit werden vorhandene Förderprogramme nur unzureichend ausgeschöpft. Daher arbeitet die "BIG" daran, Fördermittel aus Programmen des Landes, des Bundes und der Europäischen Gemeinschaft zur Realisierung ihres Satzungszweckes zu akquirieren.

Diese Aufgaben werden in der Hauptabteilung Qualifizierung durch folgende Organisationsbereiche umgesetzt:

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  1. Bereich "Kooperation":

    Er übernimmt die Moderatorenfunktion im regionalen Qualifizierungsverbund und koordiniert das Zusammenwirken der Hauptabteilung mit den anderen Hauptabteilungen sowie die Kontakte zu regionalen Arbeitsmarktakteuren und überregionalen Institutionen und Förderern. Die Abteilung arbeitet an der Beschaffung von Finanzmitteln aus Förderprogrammen des Landes, des Bundes und der Europäischen Gemeinschaft.

  2. Bereich "Regiestelle":

    Die Regiestelle hat die Aufgabe, die Beschäftigten, die an einer Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben, bei der Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt zu unterstützen. Dadurch soll die mit einem Scheitern an dieser Schwelle verbundene Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit minimiert und einer Daueralimentierung durch die Arbeitsverwaltung entgegengewirkt werden. Die "Regiestelle" unterstützt die Arbeitsverwaltung bei ihren Vermittlungsbemühungen, indem sie auf die Betriebe zugeht und ihnen die zur Deckung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs erforderlichen Beschäftigten aus dem Pool der Absolventen von Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen empfiehlt ("Arbeitskräftemarketing"). Sie ist für die Nachbetreuung der Beschäftigten zuständig, die Qualifizierungsmaßnahmen absolviert haben.

  3. Bereich "Public-relations"

    Dieser Bereich hat die Aufgabe, in den Betrieben und der Öffentlichkeit ein "Weiterbildungsklima" zu schaffen. Er informiert über und wirbt für die Teilnahme an den regional angebotenen Maßnahmen und wirkt imagebildend an der Entwicklung eines Stadtbildes mit, das Jena als Stadt der Bildung und Kultur profiliert.

  4. Bereich "Pädagogischer Dienst"

    Der Pädagogische Dienst arbeitet an der (Weiter-) Entwicklung der Curricula und erstellt das Design für Modellversuche im Weiterbildungsbereich. Der Transfer der Versuchsergebnisse in die pädagogische Weiterbildungspraxis gehört zu seinen Aufgaben. Ferner ist er für die interne Mitarbeiterfortbildung zuständig.

  5. Bereich "Beratung"

    Die Organisationseinheit "Bildungsconsult & Beratung" arbeitet personen- und institutionenbezogen und führt Individual- und Gruppenberatungen sowie Seminare zur Information über individuelle Weiterbildungsmöglich-

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    keiten durch. Institutionenbezogen erbringt sie Oualifizierungsconsult-Leistungen u. a. für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) und wirkt als regionaler Bildungspromoter auch in die Betriebe hinein. Die Abteilung ist für den Aufbau eines lokalen, in der Perspektive regionalen "Informations- und Datenbanksystems Weiterbildung" verantwortlich.

  6. Bereich "Qualifizierung"

    Das hier angestrebte Qualifizierungsspektrum reicht von der Vorförderung bis zur Umschulung quer über alle geforderten Berufsbilder und Tätigkeitsfelder.

    Die Hauptabteilung Innovation

    So notwendig Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen als gestaltende Elemente des Strukturwandels sind, sie schaffen außer für das Ausbildungspersonal keine neuen Arbeitsplätze. Daher müssen Perspektiven zum Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen und Existenzgründungen entwickelt werden, die zugleich die Richtung angeben können, in die die Weiterbildung die Beschäftigten qualifizieren sollte. Dazu soll die Hauptabteilung Innovation der "BIG" einen wesentlichen Beitrag leisten.

    Sie arbeitet daran, den Arbeitnehmern durch die Verbindung von Qualifizierung, Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE), Demonstrationsprojekten und Auftragsarbeiten eine Perspektive der Wiedereingliederung in regionsansässige Betriebe zu eröffnen. Sie regt eigenständige Unternehmensaktivitäten und andere sinnvolle Formen der Arbeitsplatzbeschaffung an und entwickelt Möglichkeiten, wie kurzfristig gefährdete, mittelfristig jedoch stabilisierbare Arbeit im Umbauprozeß erhalten werden kann. Dabei werden die Förderungsmöglichkeiten durch Dritte (u. a. der Arbeitsverwaltung) genutzt.

    In Jena ist aufgrund der Carl-Zeiss-Werke ein weit überdurchschnittliches Forschungs- und Entwicklungspotential (personell und sachlich) konzentriert, das die Wachstums- und Entwicklungsbasis für die Region sein kann. Vorsorgende Strukturpolitik hat daher die Aufgabe, dieses Potential zu erhalten, weil eine Brachlegung Abwanderung und Zerschlagung eingearbeiteter wissenschaftlicher Arbeitsstrukturen nach sich ziehen würde. Es gehört zu den Aufgaben der Hauptabteilung Innovation, über ABM und Drittmittel Projektmöglichkeiten zu schaffen, in denen Forschungs- und Entwicklungsgruppen (vorübergehend) ihre Ergebnisse

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    marktfähig machen können, um sich dadurch neue Beschäftigungsperspektiven zu erschließen.

    Die FuE-Kapazitäten Jenas können genutzt werden, um wichtige Bedarfsfelder von Kommunen und Landkreisen wie z.B. die Ver- und Entsorgung, die Altlastenbeseitigung, die Energieversorgung und die Umweltüberwachung zu bearbeiten. Dadurch könnte außerdem die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze im gewerblichen Bereich angestoßen werden.

    Die Abteilung Innovation der "BIG" soll einen Beitrag leisten, um durch Kooperation mit anderen regional ansässigen Betrieben und Interessengemeinschaften den Wachstumsmarkt Umweltschutz durch Verbundprojekte zu erschließen. Ein zügiges Beheben der gravierendsten Umweltbelastungen erweitert die Möglichkeiten zur Gewerbeflächenausweisung und erhöht die Standortqualität Jenas.

    Aus dem Carl-Zeiss-Werk heraus sind bereits einige Unternehmensgründungen konstatierbar. Ihnen und anderen neuanzusiedelnden Klein- und Mittelbetrieben kann die Hauptabteilung Innovation Möglichkeiten zur Produkt- und Technikinnovation und u.U. zur Marktanalyse bieten. Diese Tätigkeit kann als Dienstleistung für Unternehmen ausgebaut und z.B. als Anwenderlabor oder Applikationszentrum betrieben werden.

    Mit der Rekonstruierung der Betriebe und der räumlichen Umstrukturierung in Stadt und Landkreis fallen eine Vielzahl von Arbeitsaufgaben an, die durch ABM bearbeitet werden können. Um die ABM im wünschenswerten Ausmaß ausschöpfen und strukturpolitisch optimal orientieren zu können, ist ihre sorgfältige kurz- und mittelfristige Planung unabdingbar. Die Gestaltung strukturpolitisch wirksamer ABM-Programme ist eine wichtige Aufgabe der Hauptabteilung Innovation der "BIG".

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    2.4.2 Initiativkreis Bitterfeld-Wolfen

    Der Landkreis Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ist durch Branchenkonzentrationen stark monostrukturiert. Von den rd. 75.000 Erwerbstätigen (Dezember 1990) arbeiten über 40.000 in den fünf wirtschaftsdominierenden Industrieunternehmen:

    Chemie AG Bitterfeld-Wolfen

    Filmfabrik Wölfen AG

    [Seite der Druckausgabe: 38]

    Anhaltinisches Braunkohlenwerk in der Vereinigten Braunkohlenwerke AG

    Rohrwerke AG

    Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbau GmbH.

    Im Zuge der Strukturanpassung und betrieblichen Sanierung wird allein für diese fünf Unternehmen mit einem Personalabbau von 20.000 Beschäftigten gerechnet. Zur Illustrierung der Dimension und inneren Logik des Freisetzungsprozesses wurde von einem leitenden Mitarbeiter aus dem Personalwesen dieses Unternehmens die Entwicklung in der Filmfabrik Wölfen AG dargestellt.

    Die Filmfabrik Wolfen AG ist aus dem ehemaligen Fotochemischen Kombinat Wolfen hervorgegangen mit den drei Geschäftsbereichen Film, Chemie und Anlagentechnik. Die Absatzmärkte des Unternehmens lagen beim vorherrschenden Filmgeschäft zu 24 % im Inland und zu 70 % 'm Export (darunter 40 %-Anteil der Sowjetunion). Es existierten keine Vertriebseinrichtungen und Marketingkapazitäten. Die Distribution erfolgte über staatliche Großhandelskontore bzw. Außenhandelsbetriebe.

    Die Sanierungsstrategie umfaßt vier Punkte:

    1. Sanierung des Hauptgeschäfts "Film"

    2. Ausgründung und Bildung eigenständiger Gesellschaften für ausgewählte Produktionsbereiche

    3. Stillegung nicht sanierungsfähiger Geschäftsbereiche

    4. Verkauf von Gebäude und Liegenschaften.

    Zum 30.06.1989 betrug die Beschäftigtenzahl 15.386 Mitarbeiter. Durch die Anwendung der Vorruhestandsregelung, Kündigung der durch Regierungsabkommen beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer (Rückführung), altersbedingtes Ausscheiden (Rentenalter), Unterstützung der Fluktuation von Beschäftigten, Mutterschaftsfreistellungen und Ein-stellungsstop wurde zum 31.12.1990 der Beschäftigtenstand auf 11.150 Personen gedrückt. Diese Reduktion um über 25 % mit Hilfe "weicher" personalpolitischer Eingriffe hat damit ihre Mittel ausgeschöpft. Der nach vorliegenden Schätzungen weitere Personalabbau von 4.000 Beschäftigten bis Mitte 1991 schien nur noch durch Entlassungen im Rahmen eines Sozialplans möglich.

    In dieser Situation kam das Unternehmen zu dem Schluß, daß es wesentlich wichtiger sei, den durch Kündigung Betroffenen Alternativen zur Arbeitslosigkeit aufzuzeigen und anzubieten. Dazu bedurfte es einer

    [Seite der Druckausgabe: 39]

    konzeptionellen Sprengung des einzelbetrieblichen Horizonts und des Blicks auf die arbeitsmarktlichen und beschäftigungspolitischen regionalen Konstellationen. Das Unternehmen erkannte die politische Dimension des Problems und entschloß sich zu einer konzertierten Aktion.

    Das Ergebnis war die Gründung des Initiativkreises Bitterfeld-Wolfen e.V.. Mitglieder dieses Initiativkreises sind die fünf oben genannten Unternehmen mit ihren Vorständen bzw. Geschäftsführern sowie den Betriebsräten, der Landrat mit seinen Dezernenten, die Bezirksleitungen der IG Chemie, IG Metall und IG Bergbau, ein von den Arbeitnehmern der 5 Unternehmen gebildeter Aktionsausschuß "Arbeitsplätze für Bitterfeld-Wolfen" und das Arbeitsamt Halle.

    Als Zweck des Vereins nennt die Satzung:

    (1) Zweck des Vereins ist die Koordinierung und Beförderung der Aktivitäten zur ökonomischen und ökologischen Sanierung und Stabilisierung der Region Bitterfeld-Wolfen.

    (2) Der Verein versteht sich in diesem Sinne als unterstützende und beratende Einrichtung für die bereits entwickelten und noch zu schaffenden regionalen Entwicklungskonzepte zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit.

    (3) Der Vereinszweck soll insbesondere erreicht werden durch:

    • Beratungsangebote, die konzeptionelle und organisatorische Hilfen einschließen;

    • Informationen über bestehende Fördermöglichkeiten;

    • Sammlung, Auswertung und Dokumentation von vergleichbaren Förderinitiativen;

    • Beratung und Weiterbildung im Sinne der satzungsgemäß festgelegten Unterstützung von Initiativen;

    • Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Einrichtungen und Personen, die den Vereinszweck unterstützen wollen;

    • Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen, Tagungen und Symposien, die der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Entwicklung förderlich sind.

    In einem Positionspapier der Aktionsgemeinschaft "Arbeitsplätze für Bitterfeld-Wolfen" wird unter Hinweis auf Sanierungskonzepte in den alten

    [Seite der Druckausgabe: 40]

    Bundesländern (Stahl/Saarland; Kohle-Stahl/Ruhrgebiet) neben privaten unternehmerischen Initiativen die Etablierung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften gefordert. Durch den Initiativkreis ins Gespräch gebracht wird ein Konzept zur regionalen Wirtschaftsförderung für den Landkreis Bitterfeld mit folgenden Elementen:

    • Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Bitterfeld mbH und Vermögensverwaltungs KG

    • Bitterfeld Zentrum für Umweltsanierung und Umwelttechnologie GmbH (BZU);

    • Regionale Strukturentwicklungsgesellschaft mbH.

    Als Beispiel für aktive Arbeitsmarktpolitik ist die letztgenannte Gesellschaft von Interesse. In der zu bildenden Regionalen Strukturentwicklungsgesellschaft mbH, an der sich sowohl die fünf Unternehmen als auch die drei genannten Industriegewerkschaften und der Landkreis als Gesellschafter beteiligen, sollen alle Synergien und alle Aktivitäten der Beteiligten gebündelt werden. Die Trägergesellschaft organisiert

    • Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen bei Koordinierung aller in den Unternehmen und im Kreis vorhandenen Bildungseinrichtungen;

    • die Vorbereitung und die Vergabe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einschließlich ihrer öffentlichen Ausschreibung;

    • Unternehmensgründungen gemeinsam mit dem BZU und einer Auftragssicherung aus den beteiligten Unternehmen, den Kommunen und dem Landkreis;

    • Neuansiedlung von Unternehmen/Investoren durch günstige Bereitstellung von infrastrukturell erschlossenen Immobilien sowie durch Nutzung verfügbarer Ressourcen und Synergien einschließlich vorhandener Dienstleistungen und durch Vermittlung qualifizierter Arbeitnehmer.

    Die Betriebsräte der genannten Unternehmen werden aktiv an dieser Arbeit beteiligt.

    Die Organisation von Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kann in engster Abstimmung mit den Aktivitäten der Ent-

    [Seite der Druckausgabe: 41]

    wicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH erfolgen, die u.a. beinhalten:

    • Aufbau des Kommunikationsnetzes;

    • Ausbau des Straßennetzes;

    • - Rekonstruktion und Ausbau des Wohnungsbestandes und anderer Gebäudesubstanzen;

    • Verbesserung der Ver- und Entsorgung der Kommunen und Ausbau von Dienst- und Versorgungsleistungen (Trinkwasser, Abwasser, Müll, Fernwärme);

    • Rekultivierung des Braunkohletagebaugeländes;

    • Bau einer Gemeinschaftsabwasseraufbereitungsanlage.

    Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die maximal eine 2 - 3jährige Laufzeit haben, werden als eine "Brücke" zwischen dem erforderlichen Personalabbau in den strukturbestimmenden Unternehmen des Kreises und der dauerhaften Arbeitsplatzschaffung durch Neugründung und Ausbau mittelständischer Unternehmen sowie durch Ansiedlung alternativer Industrien gesehen.

    Bei der Durchsetzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sehen sich die Akteure in Bitterfeld mit zum Teil erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. In folgenden drei Problembereichen wurde ein dringender Handlungsbedarf gesehen:

    • Die administrativen und bürokratischen Prozesse, z.B. Anträge auf Fördermittel und die Genehmigungsverfahren, müssen wesentlich vereinfacht und zügiger gestaltet werden.

    • Die Auslegung der Definition von ABM sollte im Interesse der Betriebe wie auch der Kommunen großzügiger gehandhabt werden.

    • Die bestehenden Finanzierungsengpässe in der Anlaufphase geplanter ABM-Projekte müssen beseitigt werden.


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    2.4.3 Beschäftigungsgesellschaft der Stahl- und Walzwerke GmbH Brandenburg

    Die Qualitäts- und Edelstahl Aktiengesellschaft ist aus einem der für die ehemalige DDR typischen Großkombinate der Stahlindustrie entstanden. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung hatte sie 14.000 Mitarbeiter. Größtes Unternehmen darin ist die Stahl- und Walzwerk Brandenburg GmbH mit

    [Seite der Druckausgabe: 42]

    mehr als 8.000 Mitarbeitern in der Stadt Brandenburg. Zur AG gehören sieben selbständige Unternehmen, die ihrerseits eine größere Anzahl von Töchtern haben, wie ein Mitglied des Vorstandes erläuterte.

    Die Standorte sind über die Mitte und den südlichen Teil der fünf neuen Bundesländer verteilt. Aus dieser regionalen Verteilung ergeben sich sehr differenzierte Probleme. Während an einigen Standorten eine relativ schnelle Stabilisierung und ein entsprechendes Wachstum zu erwarten ist, gilt für andere Standorte, daß mit einer längeren Umstellungs- und Anpassungsperiode gerechnet werden muß. Besonders die Anpassung der Unternehmen in den Kohle- und Energieregionen der ehemaligen DDR werden größere Probleme bereiten. Für rd. zwei Drittel der gegenwärtig noch besetzten Arbeitsplätze kann eine gesicherte Zukunft angenommen werden. Darin sind auch neu zu schaffende und in großem Umfang durch die Bildung neuer Geschäftsbereiche und Kooperationen bereits geschaffene Arbeitsplätze enthalten.

    Dem gegenwärtigen Stand des Sanierungskonzeptes entsprechend, sind aber noch ca. ein Drittel der Arbeitsplätze ungenügend gesichert, d.h. die Geschäftsfelder sind in ihrer weiteren perspektivischen Entwicklung noch relativ unsicher bzw. es werden im Endeffekt Freisetzungen nicht zu umgehen sein.

    Diese Gesamteinschätzung trifft auch für die Stahl- und Walzwerke GmbH in der Stadt Brandenburg zu.

    Einigkeit besteht in der Beurteilung der Entwicklung der Region Brandenburg, der Stadt Brandenburg und ihrem Umfeld. Viele Faktoren sprechen für eine schnelle Veränderung der regionalen Bedingungen. Dazu gehört beispielsweise die Verkehrsanbindung der Stadt, die günstige Entfernung zu Berlin und der hohe Freizeitwert der Umgebung ebenso wie die industriellen Traditionen und der bereits vorhandene hohe Anteil mittelständischer Unternehmen. Und aus anderem Blickwinkel gesehen wird auch das verfügbare Potential hochqualifizierter Arbeitskräfte ein wichtiger Faktor für die Entwicklung in der Region werden.

    Die Lösung der sozialen Probleme, und dabei in erster Linie die Sicherung von Arbeitsplätzen, erfordert aus der Sicht des Unternehmens die Verknüpfung seiner Entwicklungsperspektiven mit den regionalen Entwicklungskonzepten.

    Hier besteht noch eine erhebliche Disharmonie, da die regionalen Konzepte nicht den erforderlichen Stand erreicht haben. Relativ verschwom

    [Seite der Druckausgabe: 43]

    mene Aussagen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes sowohl zur Gesamtzahl der benötigten Kräfte als auch deren erforderliche Qualifikation behindern die konkreten Maßnahmen in den Unternehmen.

    Mit der Aussage des Sanierungskonzeptes über die wahrscheinliche Reduzierung des Personals wurden Überlegungen angestellt, wie eine entsprechende Vorbereitung für den Arbeitsmarkt unterstützt werden könnte. Ein Pilotprojekt der Umschulung und Beschäftigung hat vielseitige Unterstützung erfahren.

    Es existiert mittlerweile eine unternehmensinterne Beschäftigungsgesellschaft, die mit Unterstützung des Arbeitsamtes Potsdam, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Brüssel und vieler anderer Partner entstanden ist.

    Gegenwärtig stehen rd. 1.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung und eine Vielzahl von Bildungsmaßnahmen ist angelaufen. Es ist zu erwarten, daß die Wirksamkeit dieser Gesellschaft auch über den ursprünglich geplanten Rahmen hinausgehen wird. In der Folge werden sich die Initiativen sehr eng mit konkreten Projekten der örtlichen Arbeitsverwaltung verbinden müssen.

    Die künftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes in der Region wurden mit dem Arbeitsamt Potsdam eingeschätzt und danach die entsprechenden Ausbildungs- und Umschulungsziele festgelegt. Da keine gesicherten Aussagen zur regionalen Entwicklung vorlagen, hat das Arbeitsamt Erfahrungen aus NRW zur künftigen Struktur des Arbeitsmarktes als Maßstab genommen und sehr großzügig umgesetzt. Eine Anzahl von Bildungsträgern konnte mit den Erfahrungen des Arbeitsamtes ausgewählt und bestätigt werden. Die notwendigen technischen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen für eine effektive Arbeit konnten geschaffen werden. Die soziale Anbindung der Mitarbeiter an den alten Betrieb bleibt erhalten. Bisher wird die Beschäftigungsgesellschaft weder durch Landesmittel noch durch Mittel der Treuhandanstalt gefördert.

    Die Umschulungseinrichtung ist von Beginn an ganz bewußt "Beschäftigungsgesellschaft" genannt worden. Während jedoch die Umschulung und Qualifizierung inzwischen organisatorisch gelöst werden konnte, gilt dies nicht für den Begriff der Beschäftigung für den Übergangszeitraum.

    Die Programme der Unternehmen zur Restrukturierung müssen auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen schnell umgesetzt werden. Der durchzuführende Privatisierungsprozeß ist eng an Entflechtungsmaßnahmen, eine tiefgreifende Modernisierung und eine breit angelegte Rationalisierung gekoppelt. Aus diesen Prozessen ergeben sich schwerwiegende soziale Konsequenzen. Diese sind sowohl durch die unternehmenseige

    [Seite der Druckausgabe: 44]

    nen Programme als auch durch regionale Konzepte abzufangen. Zum Pilotprojekt der Beschäftigungsgesellschaft des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg gehört dringend auch ein regionales Pilotprojekt der Stadt Brandenburg. Es ist unumgänglich, daß über den Arbeitsmarkt ehemaliges Personal des Großbetriebes in neue Beschäftigungen abwandert. Bisher ist aber zu befürchten, daß die Entstehung neuer Arbeitsplätze zu langsam erfolgt und damit soziale Spannungen in der Region gefördert werden könnten.

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    2.4.4 Modelleinrichtungen der Ruhrkohle Berufsbildungsgesellschaft mbH zur beruflichen Aus- und Weiterbildung in Cottbus, Neubrandenburg und Frankfurt/Oder

    Die Ruhrkohle Berufsbildungsgesellschaft mbH (RBG) ist eine 100%ige Tochter der Ruhrkohle AG. Sie führt, wie der Geschäftsführer dieser Einrichtung erläuterte, im Auftrag öffentlicher Stellen zur Entspannung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes und zur Unterstützung des Strukturwandels in den neuen Bundesländern verschiedene Bildungsmaßnahmen über die unternehmenseigene Aus- und Weiterbildung hinaus durch.

    Dazu wurden die Ausbildungswerkstätten und andere geeignete Räume von stillgelegten Zechen übernommen, angemietet oder gepachtet, mit den nötigen Einrichtungen versehen und mit Bildungsmaßnahmen im Auftrag der Arbeitsverwaltungen belegt, d.h. es wurden Einrichtungen genutzt, die wegen Kapazitätsumschichtungen nicht ausgelastet waren und mit verhältnismäßig geringen Mitteln einer neuen Nutzung zugeführt werden konnten.

    Für ein Engagement in den neuen Bundesländern durch Etablierung von Modelleinrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung sprachen aus der Sicht der Ruhrkohle Berufsbildungsgesellschaft die Anfordernisse in den Bereichen:

    • Ordnung der Berufsausbildung;

    • System und Bildungsinhalte der Ausbildungsberufe;

    • Struktur der Ausbildungsordnungen und Prüfungen;

    • Einführung der Selbstverwaltung in der Berufsausbildung.

    Die Modelleinrichtungen sollen den standortspezifischen Branchenschwerpunkten dezentral zuarbeiten und den zukünftigen Beschäftigungsbedarf berücksichtigen. Sie sollen mithelfen, Ziele und Inhalte

    [Seite der Druckausgabe: 45]

    von Bildungsmaßnahmen unter Beachtung regionaler Umstrukturierungserfordernisse zu ermitteln und umzusetzen. Dazu wurde folgendes Vorgehen mit der Arbeitsverwaltung vereinbart:

    a) Ausbildung der Ausbilder

    Vor der Qualifizierung der Beschäftigten hat die Qualifizierung der Ausbilder Vorrang. Es ist jedoch nicht damit geholfen, wenn westdeutsche Ausbilder die Arbeit übernehmen und auf lange Sicht einen so notwendigen Arbeitsplatz für ortsansässige Lehrmeister besetzen. Deshalb wurden vor dem Aufbau und vor der Einrichtung von Ausbildungsstätten Lehrmeister für 5 Wochen in Bildungseinrichtungen der Ruhrkohle AG in Dortmund und Recklinghausen auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. Im Vordergrund standen die Kenntnis und der Umgang sowie die Bedienungsroutine für Lehrmittel auf dem Gebiet der neuen Technologien. Das sind vornehmlich Lehrmitteleinrichtungen in:

    • Hydraulik und Pneumatik;

    • CMC-Technik;

    • Elektronik, Prozeßleittechnik;

    • Datenverarbeitung.

    Dazu kamen Informationen zum Wirtschafts- und Sozialsystem, Berufsbildungssystem "Duale Berufsausbildung", Materialwirtschaft, Kosten, Personalwesen und Mitbestimmung.

    b) Ausbildung von Führungskräften

    In Seminaren, die mittlerweile von über 90 Teilnehmern absolviert wurden, wurden Führungskräften aus der lokalen/regionalen betrieblichen Umgebung die notwendigen Kenntnisse über einen qualifikationsadäquaten Personaleinsatz vermittelt. So soll eine Brücke geschlagen werden zwischen dem Leistungsangebot der Modelleinrichtungen und den betrieblichen personalwirtschaftlichen Bedarfslagen.

    c) Etablierung der Modelleinrichtungen

    In Cottbus hat die RBG zum 01.09.90 in Ausbildungsräumen der ehemaligen Betriebsberufsschule des Braunkohlewerkes Ausbildungseinrichtungen geschaffen, die die Qualifizierung und Umschulung

    [Seite der Druckausgabe:46]

    von zunächst 140 Teilnehmern erlauben. Die Bildungsangebote erstrecken sich auf maschinen-, elektro- und datentechnische Beschäftigungsbereiche und vermitteln vornehmlich Kenntnisse und Fertigkeiten auf den vorgenannten Gebieten "Neue Technologien". Für jeden Fachbereich steht vorübergehend ein Ausbilder aus Westdeutschland bereit, der gemeinsam mit den ortsansässigen Ausbildern die Ausbildungsabschnitte durchführt. Ein reaktivierter, erfahrener Ausbildungsleiter kümmert sich um die administrativen Aufgaben, organisiert die Vorgänge und hält Kontakt mit den zuständigen Stellen, damit in ständiger Absprache der Erfolg der Maßnahmen gewährleistet ist.

    Die Ausbildungsstätte in Cottbus soll auf ca. 300 Ausbildungsplätze erweitert werden. Für Anfang des Jahres ist die Aufnahme von Ausbildungsgängen für Jugendliche in Kooperation mit der IHK bzw. der Handwerkskammer Cottbus vorgesehen. Der Aufbau der Modelleinrichtung in Cottbus soll zum Herbst 1991, dem Einstellungstermin für das neue Ausbildungsjahr, abgeschlossen sein. Noch nicht ganz so weit ist die Einrichtung in Neubrandenburg.

    Diese Ausbildungsstätte wurde am 15.10.90 eröffnet, also 1 1/2 Monate später als in Cottbus, und zählt bislang 180 Teilnehmer. Die Bildungsziele sind entsprechend den landespezifischen Branchenschwerpunkte im Vergleich zur Beschäftigtenverteilung im Raum Cottbus anders gesetzt worden. So kommen zu den metall- und ektrotechnischen Ausbildungsbereichen noch eine Ausbildungsmaßnahme für den Beruf "Holzmechaniker/in" und eine für den Beruf "Gas- und Wasserinstallateur/in bzw. Versorgungstechniker/in" hinzu. Für die Ausbildungsstätte in Neubrandenburg konnten freigewordene Räumlichkeiten der ehemaligen Betriebsausbildung der NAGEMA bezogen werden. Ein Teil der dort beschäftigten Ausbilder konnte übernommen werden.

    Auch für diese Einrichtung wurde die Förderung nach den "Richtlinien zur Förderung der Einrichtung von Institutionen der beruflichen Weiterbildung in der DDR durch Träger mit Hauptsitz in der Bundesrepublik Deutschland vom 7.6.1990" bei der Bundesanstalt beantragt.

    Eine dritte Ausbildungseinrichtung befindet sich im Arbeitsamtsbezirk Frankfurt/Oder in Fürstenwalde im Aufbau.

    In geeigneten Räumlichkeiten der Pneumant AG finden seit dem 15.11.90 Qualifizierungsmaßnahmen statt. Zunächst erprobt wird mit 20 - 40 Teilnehmern ein Qualifizierungsprogramm "Wirtschaft und Technik", das

    [Seite der Druckausgabe: 47]

    über betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, neue Techniken und zugehörige Fachsprachen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt.

    d) Bildungsberatung

    Zum Tätigkeitsbereich der RBG zählt auch die Beratung ostdeutscher Unternehmen beim Aufbau eines Bildungsmanagements. Bildungsberatung soll helfen, den Unternehmen die Bildungsmanagementkenntnisse zu geben, die für die Etablierung interner Bildungskapazitäten notwendig sind. Dazu gehören Methoden der Bildungsplanung, Ermittlung des qualitativen und quantitativen Eigenbedarfs in der Nachwuchsausbildung und Konzepte für Weiterbildungsinitiativen.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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