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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 19] 5. Die Standorte Eine allgemeingültige Beantwortung der Fragestellung nach den Standorten der benötigten und neu zu bauenden Wohnungen sollte vermieden werden, da Stadt- und Siedlungsstrukturen zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen. So lassen sich Ballungsräume wie das Ruhrgebiet mit Regionen solitärer Kernstädte wie München im Standortgefüge nur bedingt vergleichen. Bei aller Überformung durch ähnliche Prozesse und Politiken bleibt jede Stadt und jede Region stets ein spezifisches räumliches Individuum mit eigenem Bodenpreisgefüge, spezifischen Engpässen und Reserven. Es gibt kein einfaches Rezept für die Lösung der Standort- und Mengenfrage; Antworten müssen in der lokalen und regionalen Realität gesucht und gegeben werden! Die Standortfrage wird damit zu einem lokal- und regionalspezifischen Suchprozeß, bei dem stadtstrukturelle Entwicklungs- und Reparaturkonzepte zu beachten sind. 5.1 In den Städten Bis Anfang der 70er Jahre konzentrierte sich die Wohnungsversorgung sozial- bzw. einkommensschwächerer Haushalte und die der sogenannten gehobenen Nachfrage auf ganz verschiedene Standorte. Die Nachfrage der Bessergestellten war weitestgehend auf den Neubau von Einfamilienhäusern in der Peripherie bzw. im Umland ausgerichtet; die jährlich 250.000 bis 300.000 neu errichteten Eigentumsmaßnahmen der 50er und 60er Jahre belegen das. In den Städten wurden dagegen überwiegend Sozialmietwohnungen gebaut. Heutzutage ist das nicht mehr so. Außerhalb der Stadt gelegene Einfamilienhäuser verlieren zunehmend durch das tägliche Chaos im Berufsverkehr und die restriktiven Maßnahmen der Städte gegen den Individualverkehr an Attraktivität. Umgekehrt erleben die Städte zur Zeit eine Renaissance als Wohnungsstandort für gehobene Ansprüche infolge durchgeführter städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen. Wohnumfeldverbesserungen, Förderung der Modernisierung im Wohnungsbestand sowie attraktiver Bildungs-, Kultur- und Dienstleistungsangebote. Viele 1- und 2-Personen-Haushalte und einkommensstärkere Haushalte in mittleren Jahren mit Kindern in der Berufsausbildung empfinden es heutzutage wieder angenehm, in den Städten zu leben und zu wohnen. Mieten von 15 bis 20 DM/qm, die inzwischen in vielen Ballungsräumen als Regelsatz bei Neuvermietung genannt werden, sind nicht nur ein [Seite der Druckausgabe: 20] Indikator für ein unzureichendes Angebot, sondern kennzeichnen auch die Standortpräferenz und zugleich den Druck der gehobenen Nachfrage auf die Mietwohnungsmärkte. Vielleicht hätten ohne die Bereitschaft einkommensstärkerer Haushalte, für das Leben und Wohnen in der Stadt so viel Geld auszugeben, die Mieten nicht auf das derzeitige Niveau steigen können; Haushalte, die diese hohen Mieten zahlen (können), haben oft auch die Möglichkeit, im Umland billigere Mietwohnungen zu finden. Daß sie sich für die teurere Wohnung in der Stadt entscheiden, zeigt offensichtlich, daß ihnen das Leben und Wohnen in der Stadt mit ihren vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten mehr wert ist. Durch einen Mietpreisstop läßt sich diese zahlungskräftige Nachfrage nicht aufhalten. Gegebenenfalls würde die Auswahl der Mieter mit anderen Regelungsinstrumenten - wie den aus Österreich bekannten hohen Abstandszahlungen für wertlose Einrichtungsgegenstände - erfolgen. Die heute festzustellende sozio-kulturelle Präferenz städtischen Lebens und Wohnens hat auch einen finanziellen Grund: Das Einfamilienhaus ist für viele zu teuer geworden, Objekte von 1 Mio. DM an aufwärts (im Süden der BRD) oder auch ab 500.000 DM (im Norden) sind für viele unerschwinglich. Selbst für einkommensstarke Haushalte ist eine komfortable Wohnung in der Stadt oft preiswerter als der Erwerb eines Einfamilienhauses. Zudem wird die Präferenz von Standorten außerhalb der Stadt durch die wachsenden Verkehrsprobleme beeinträchtigt: Pendeln kostet zunehmend Zeit und Geld. Die notwendigen Neubaumittel sollten von Städten und Gemeinden im Hinblick auf die Zukunft so eingesetzt werden, daß zugleich bestehende stadtstrukturelle Probleme mit gelöst werden. Verstärkungen der bereits jetzt kaum noch zu bewältigenden Verkehrsprobleme und weitere Zersiedlungen drohen, wenn der Wohnungsbau in neuen, bisher nicht erschlossenen Gebieten am Stadtrand gefördert wird, weil hier eine rasche Linderung der Wohnungsnot möglich erscheint. Deshalb sollte der heutige Handlungsdruck als Chance genutzt werden, gezielt unter Einsatz des Planungsrechts und weicher Verfahren der Kooperation und Hilfestellung bereits erschlossene und versorgte, bisher aber ungenutzte Flächen für Bebauungen in der Stadt zu aktivieren. Im folgenden werden typologisch und stadtstrukturell geeignete Bereiche zur Ausschöpfung offener und versteckter Reserven für zusätzlichen Wohnungsbau erörtert. Dabei sind viele mögliche Ansatzpunkte zu beachten, denen nachzugehen sich lohnt. [Seite der Druckausgabe: 21]
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Flächen für Wohnungsneubau können frei werdende Bahnanlagen, Güter- und Verschiebebahnhöfe sein. [Seite der Druckausgabe: 25] Zusammenfassend wird festgestellt, daß viele Bereiche auf Baumöglichkeiten hin überprüft werden müssen statt nach einer allgemein gültigen Patentlösung zu suchen, und daß es in und um Städte und Gemeinden vielfältige Flächenpotentiale für zusätzlichen Wohnungsbau gibt, die - auch wenn sie nicht die große Menge des festgestellten Neubau-Bedarfs decken können und in manchen Fällen wegen rechtlicher, administrativer und finanzieller Hindernisse nicht schnell zu aktivieren sind - aufgegriffen werden sollten. Das Umland von Städten und in Ballungsgebieten sollte seine häufig zurückhaltende Baulandpolitik revidieren. Zur Verhinderung der Zunahme des Pkw-Verkehrs liegt es nahe, die am schon vorhandenen Netz des öffentlichen Nahverkehrs liegenden Gebiete - insbesondere dort, wo größere Knoten und wichtige Linien sind - auf mögliche Wohnungsbauflächenpotentiale hin zu überprüfen. Wichtiger als die Diskussion der Standorte ist der Energieeinsatz, den Städte und Regionen aufbringen können und wollen, um aktivierbares Baulandpotential in siedlungsstrukturell sinnvollen Bereichen zu untersuchen; hier arbeiten die Verwaltungen vieler Städte zu langsam. Von Bedeutung ist ferner, die rechtlichen Grundlagen für einen schnelleren Zugriff der Gemeinden auf die Grundstücke zu verbessern (gegebenenfalls durch vorzeitige Besitzeinweisung, durch Grundstückstauschprogramme und durch bessere Beratung und Hilfe der Grundstückseigentümer, denen eine Bebauung in eigener Regie nicht möglich ist), und Personalengpässe zu lösen oder organisatorische Lösungen zu finden, mit denen schnell kurz- und mittelfristig wirksame Lösungen in Schritten und für alle genannten Bereiche erarbeitet werden. Dabei ist zu gewährleisten, daß auch qualitativ Vernünftiges entsteht und nicht neue Planungsruinen, über die in 30 Jahren wiederum Städtebauberichte über das Elend in den Siedlungen geschrieben werden. Die gesamte Problematik darf nicht auf das Gebiet der alten Bundesländer beschränkt gesehen werden. In den neuen Bundesländern existiert ein großer quantitativer und qualitativer Nachholbedarf an Wohnraum. In den Städten sind zum Teil auch große Flächenpotentiale in der verfallenden Altbausubstanz und in den oft sehr weiträumig aufgebauten Stadtkernen aktivierbar. [Seite der Druckausgabe: 26] 5.2 In weniger dicht besiedelten Gebieten Die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt ähnelt derjenigen nach dem Zweiten Weltkrieg insoweit, als für die alten Bundesländer im letzten Jahr ein Zuwanderungsüberschuß von etwa 1 Mio. Menschen - auf die weitestgehend ähnliche sozio-ökonomische Kriterien zutreffen wie auf die Zuwanderer der 50er Jahre - festgestellt wird; für dieses Jahr wird der Zustrom gleich hoch eingeschätzt. Und auch zukünftig werden viele Menschen - Aussiedler aus Osteuropa, Asylanten sowie Arbeitslose aus den neuen Bundesländern und den südeuropäischen EG-Ländern - in die BRD kommen. Außerdem gilt es - wie nach dem Krieg -, in den neuen Bundesländern Millionen von Wohnungen zu reparieren oder zu erneuern. Unbestritten ist, daß der aus diesen Entwicklungen auch, aber nicht ausschließlich resultierende Neubau-Bedarf mit einem bestimmten Qualitätsmaßstab sich nicht allein in den Städten oder Ballungsräumen erfüllen läßt, wenn man das seit den 50er Jahren gültige sozialstaatliche Qualitätsniveau beibehalten will. Ob mit dem prognostizierten Bedarf von 530.000 bis zum Jahr 2000 p. a. neu zu bauenden Wohnungen effektiv zu rechnen ist, hängt wesentlich von dem politisch definierten Qualitätsanspruch ab. Dementsprechend ist bei der Frage nach dem Wohnungsbedarf primär zu entscheiden, ob die Bundesrepublik Deutschland ihren sozialstaatlichen Auftrag, wie sie ihn in der Nachkriegszeit formuliert und praktiziert hat, aufrechterhalten oder aufgeben wird, nämlich jedem relativ schnell eine Wohnung von erheblicher städtebaulicher und sozialer Qualität sozusagen politisch anzubieten bzw. zu garantieren. Entscheidet man sich politisch dafür, daß Wohnungen, die den in den 50er Jahren begründeten und dann weiterentwickelten Qualitätsanforderungen sozialstaatlich genügen, gebraucht und zusätzlich in großer Zahl gebaut werden müssen, stellen sich handlungspolitische Fragen, nämlich inwieweit Wohnungspolitik
[Seite der Druckausgabe: 27] sogar ein Instrument ausgleichender europäischer Sozialpolitik wird. Das bedeutet im einzelnen: Wird der sozialstaatliche Auftrag, der auch die Zusicherung einer bestimmten Wohnungsgröße impliziert, aufrechterhalten, muß aufgrund der Raumentwicklung in den alten Bundesländern während der vergangenen 40 Jahre geprüft werden, inwieweit der allergrößte Teil der zusätzlichen Wohnungsnachfrage in weniger dicht besiedelten Gebieten oder sogar im ländlichen Raum gebaut werden kann. Auch viele Siedlungen der Nachkriegszeit sind bewußt kaum in den Großstädten gebaut worden, sondern vielmehr dort, wo mit dem Wohnungsbau auch wirtschaftliche Entwicklungspole etabliert wurden. Soll der Qualitätsmaßstab auf dem Wohnungsmarkt beibehalten werden, dann kann der sich abzeichnende Wohnungsbedarf nicht in den Ballungszentren realisiert werden; hier wäre die erwartete Nachfrage allenfalls mit Hilfe anderer Instrumente - wie Wohnungsteilung, Überbelegungen - erfüllbar. Deshalb muß die heutige BRD, die sich in ihrer Wirtschaftsstruktur zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft hin entwickelt, eine Raumordnungspolitik machen, die zu einer stärkeren Nutzung von Bauland in bisher weniger dicht besiedelten Gebieten führt. Dort könnte insbesondere der Wirtschaftsstandort des EDV- und Informationssektors dezentrales Wohnen favorisieren, zudem das Pendeln in die Zentren vermindern. Strukturpolitische Planungen und Entscheidungen müßten allerdings dem seit Jahren - auch bei Industrie und Gewerbe - offensichtlichen Trend des Zurück in die Städte, wo das größere Arbeitskräftepotential und die größte Kaufkraft ist, entgegenwirken. Zahlen aus Nordrhein-Westfalen stützen die Erwartung einer gegenläufigen Entwicklung: Dort haben fast alle Kreise eine unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und gleichzeitig einen relativ großen Bevölkerungszuwachs, ganz im Gegensatz zu den Großstädten, die alle überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und trotz Zuwanderung nur einen geringen Bevölkerungszuwachs haben. Offensichtlich gibt es dort Prozesse, die bereits die Suche nach dem Wohnen außerhalb der Zentren stärken. Diese Entwicklungstendenzen gilt es raumordnungspolitisch zu unterstützen. Dabei kann die Förderung des dezentralen Wohnungsbaus wirtschaftliche Aktivitäten nach sich ziehen, die früher außerhalb der Ballungszentren nicht zu finden waren. Dies erscheint besonders im Bereich der informationsgestützten Dienstleistungen möglich, die in der deutschen Volkswirtschaft kontinuierlich an Bedeutung gewinnen. [Seite der Druckausgabe: 28] Die Frage, ob sich analog der Nachkriegszeit heute und zukünftig Zuwandernde durch gezielten Wohnungsbau in dünner besiedelte Regionen lenken und ansiedeln lassen oder ob von der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung, der Arbeitsplatzentwicklung, des Dienstleistungsangebots nach wie vor primär die Ballungszentren begünstigt werden, fand keine abschließende Beantwortung. Allerdings werden die Gestaltungsspielräume der öffentlichen Hand eher skeptisch beurteilt, weil die Raumordnung in erster Linie von der Wirtschaft bestimmt wird und dem Staat im wesentlichen die Aufgabe nachträglicher Korrekturen bleibt. Aber wenn es nicht gelingt, den immensen Neubau-Bedarf auch bzw. vor allem auf weniger dicht besiedelte Gebiete auszurichten, wird er sich nicht mit dem bislang üblichen Qualitätsstandard realisieren lassen. Dann müssen in den Städten Qualitätseinbußen bei der Wohnungsversorgung hingenommen werden. Von den neuen Bundesländern ist bekannt, daß sie wesentlich weniger dicht besiedelt sind als die alten, und daß dort - mit Ausnahme des Großraums Berlin und in etwa auch Leipzig/Halle - keine Ballungszentren existieren. Es gibt dort ganz andere Chancen für eine ausgleichende Raumordnungspolitik. Wohnungspolitik kann hier als Instrument sowohl der Raumordnungspolitik als auch der ausgleichenden Wirtschaftsstrukturpolitik zwischen den Bundesländern dienen. Bedingung für das Erreichen des sozialstaatlichen Qualitätsanspruchs ist dabei, daß in den neuen Bundesländern mindestens das in der Alternativprognose des DIW genannte Neubauvolumen von 120.000 Einheiten p. a. erreicht wird. In die Diskussion über den zukünftigen Wohnungsbedarfs sind schließlich auch weitergehende Überlegungen einzubeziehen, nämlich inwieweit bundesrepublikanische Wohnungspolitik ausgleichende europäische Sozialpolitik sein muß und den östlich benachbarten Staaten bei deren Wohnungsversorgung hilft. Wohnungspolitik muß sich heute - unter Beachtung von Finanzierungsaspekten - auch der Frage stellen: Kann Wohnungsbau östlich von Elbe und östlich von Oder mit ein Instrument sein, die Ost/West-Spannungen weiter abzubauen? So wurde beispielsweise der Rückzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland gekoppelt mit Absprachen über Wohnungsbaumaßnahmen. Ein anderer Beitrag zur Bekämpfung des gesamteuropäischen Wohnungsmangels könnte darin bestehen, daß finanzielle Mittel zum Ausbau der zahlreichen in osteuropäischen Ländern vorhandenen Datschen zur Verfügung gestellt werden. Auch derartige Aspekte sind bei der heutigen Bedarfsdiskussion zu beachten. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001 |