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[Seite der Druckausgabe: 8 / Fortsetzung]


2. Der Bedarf

Seit 1989 nimmt die Wohnungsbautätigkeit wieder zu. Für 1990 wird mit der Fertigstellung von ca. 300.000 Wohnungen gerechnet. Trotzdem existiert ein gravierender Fehlbestand: Der Deutsche Mieterbund (DMB) schätzt, daß in der gesamten Bundesrepublik 2,5 Mio. Wohnungen fehlen, davon allein 1 Mio. in den neuen Bundesländern. Um diese Lücke mittelfristig zu schließen und den Neubedarf zu decken, müßten jährlich ca. 600.000 neue Wohnungen gebaut werden.

Zu etwas günstigeren Ergebnissen kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seiner Bedarfsprognose vom 18.10.1990. Hiernach beträgt der notwendige jährliche Neubau-Bedarf bis zum Jahr 2000

  • für die alten Bundesländer 450.000 WE,

  • für die neuen Bundesländer 80.000 WE,

d. h. bis zum Jahr 2000 müssen insgesamt 5,3 Mio. neue Wohnungen gebaut werden. Der bisherige Orientierungswert für den Wohnungsneubau von 1 Mio. WE in 3 Jahren kann nach Auffassung des DIW deshalb künftig nicht mehr gelten.

Eine wichtige Ursache für diesen Wohnungsbedarf ist die Bevölkerungsentwicklung, für die zwei sich überlagernde Tendenzen - eine bekannte

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und eine neue - gelten: In den alten Bundesländern trifft die in den 70er Jahren prognostizierte Entwicklung weitestgehend zu, nämlich ein leichter Rückgang der Geburten in Relation zu den Sterbefällen, mit gleichzeitiger Neigung, durch Haushaltsverkleinerungen zu höherer Qualitätsanforderung an die Wohnungsversorgung zu kommen.

Diese Tendenz wird nun dadurch überlagert, daß in einem Mitte der 80er Jahre noch nicht absehbarem Ausmaß in kurzer Zeit Menschen aus anderen Teilen Europas in die BRD ziehen. Die potentielle Einwohnerentwicklung in den alten Bundesländern schätzt das DIW ausgehend von den Volkszählungsdaten von
1987 mit61,1 Mio. Einwohner,
nennt für 199063,5 Mio.,
für 1995 bereits65,3 Mio.
und für das Jahr 200065,7 Mio. Einwohner.

Hinzuzurechnen sind seit der Wiedervereinigung die Bevölkerungszahlen der fünf neuen Bundesländer und Ost-Berlins:
Bis zur Öffnung der Mauer hatte die DDR16,7 Mio. Einwohner,
zur Zeit sind es16,0 Mio.
Das DIW schätzt für 199515,0 Mio.,
für das Jahr 200014,5 Mio. Einwohner.

Es wird also während der kommenden 10 Jahre mit einer Abwanderung aus den neuen in die alten Bundesländer von 1,5 Mio. Menschen gerechnet.

Dementgegen geht eine Alternativ-Schätzung des DIW zur potentiellen Einwohnerentwicklung davon aus, daß sich die Abwanderungsquote aus den neuen in die alten Bundesländer nur halb so hoch belaufen wird und demzufolge in den alten Bundesländern weniger, 410.000 statt 450.000, und in den neuen Bundesländern mehr, 120.000 statt 80.000 WE jährlich gebaut werden müssen. In der Summe werden jedoch auch bei dieser Prognose jährlich 530.000 zusätzliche WE benötigt.

Bei dieser rein quantitativen Wohnungsbedarfsprognose, die Wohnung gleich Wohnung setzt, bleiben jedoch qualitative Aspekte unberücksichtigt. Dies gilt u. a. für den Wunsch nach größeren Wohnflächen, der als "wohlstandsbedingte Nachfrage" eine wichtige Ursache für zusätzlichen Wohnungsbedarf in den alten Bundesländern bildet. Hier ist die pro-Kopf-Wohnfläche in den vergangenen 20 Jahren jährlich um 0,5 qm gestiegen. Dieser statistische Durchschnittswert sagt aber nichts über die reale Verteilung des Zuwachses und der konkreten Verbesserungen der Woh

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nungssituation innerhalb der verschiedenen sozialen bzw. Einkommensgruppen aus.

Allgemein wird die Bedarfsprognose des DIW als realistisch, in bezug auf Zuwanderung sogar als Untergrenze dessen, was benötigt wird, angesehen, wobei nochmals darauf hinzuweisen ist, daß es sich hier ausschließlich um Neubau, nicht um Bestandssicherung und nicht um den enormen Sanierungsbedarf vor allem in den neuen Bundesländern, der zum Teil durch Neubau kompensiert werden muß, handelt. Dabei sollte versucht werden, mit Hilfe der Raumordnungspolitik den Zuwanderungsdruck in den alten Bundesländern und damit zugleich die Wohnungsnachfrage abzubremsen.

Aufgrund des festgestellten Neubau-Bedarfs von jährlich 530.000 Wohnungen im gesamten Bundesgebiet und der realen Wohnungsnot unterer Einkommensgruppen, zu denen auch die Einwohner der neuen und Zuwanderer in die alten Bundesländer zählen, gewinnt der sozialstaatliche Auftrag im Wohnungsmarkt, der sich mit der Wohlstandsentwicklung in Westdeutschland erübrigt hatte, wieder verstärkt an Gewicht: Zu Beginn seiner Geschichte hatte der Staat BRD einen "politischen" Wohnungsbedarf definiert, durch den jedem Einwohner und jedem Zuwandernden relativ schnell ein Mindestmaß an Wohnqualität unter sozialen Kriterien garantiert wurde; zur Erfüllung dieses Anspruchs wurde staatlicherseits ein breites Instrumentarium entwickelt (sozialer Wohnungsbau, I. und II. Wohnungsbauförderungsgesetz).

Wie kann der immense Bedarf finanziert und wo realisiert werden unter Einbezug qualitativer Aspekte?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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