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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 7]


1. Die Wohnungsnot-Situation

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben sich auf dem Wohnungsmarkt Phasen ausreichenden Wohnungsangebots und erheblichen Unterangebots abgelöst. Für das vergangene Jahrzehnt gilt, daß noch Mitte der 80er Jahre ein quantitatives Überangebot auf regionalen Teilmärkten vorhanden war und die Wohnungswirtschaft eine Sättigung des Wohnungsmarktes konstatierte - das Jahr 1988 ist der Tiefpunkt in der Nachkriegswohnungsbauentwicklung -, wohingegen es heute wieder eine quantitative, jedoch auch qualitative neue Wohnungsnot gibt, die die unterschiedlichen sozialen Bevölkerungsgruppen sehr verschieden trifft. Auch die regionale Disparität in der Wohnungsversorgung nimmt weiter zu.

Die Ursachen der heutigen Wohnungsnot-Situation liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite des Wohnungsmarktes und haben neben der quantitativen auch eine gewichtige qualitative Dimension:

  • der stetige Rückgang der Neubautätigkeit in den 80er Jahren und demzufolge ein angestauter Bedarf,

  • die starke Zunahme von Haushalten, u. a. durch Heranwachsen Jugendlicher aus geburtenstarken Jahrgängen, längere Lebensdauer, Zuzug von deutschen Aus- und Übersiedlern sowie zusätzliche Wohnungssuchende aus anderen Staaten,

  • die Wünsche nach Vergrößerung der Wohnungsfläche, die sogenannte wohlstandsbedingte Wohnungsnachfrage, die auf den Wohnungsmärkten intensiv mit der Versorgung sozial- bzw. einkommensschwacher Haushalte konkurriert,

  • die verstärkt einsetzende Marktorientierung und die dementsprechend politische und finanzielle Schwächung regulativer Elemente - Stagnation im sozialen Mietwohnungsbau, massiver Bindungsauslauf im bestehenden sozialen Wohnungsbau und Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit - haben die Verschärfung der sozialen Ungleichheiten im Wohnbereich und weitere Ghettobildungen an den Stadträndern, in Containern, in Hotels und anderen Notunterkünften forciert.

[Seite der Druckausgabe: 8]

Qualitativer Wohnungsnotstand besteht aufgrund ökologischer Anforderungen an den Wohnungsbau, nicht bedürfnisgerechter Raumorganisation der Wohnungen und insbesondere auch aufgrund neuer, schichtenübergreifender Lebens- und Wohnbedürfnisse mit demzufolge anderen Wohnformen, resultierend aus gravierenden strukturellen Veränderungen in Familien- und Haushaltsformen während vergangener Jahrzehnte, ohne daß Wohnungsbaupolitik und Wohnungsmarkt darauf entsprechend reagiert hätten.

Sollen die Fehlplanungen von gestern nicht wiederholt, die Bauruinen, Sanierungsvorhaben und sozialen Probleme von morgen vermieden werden, müssen die qualitativen Anforderungen an neues bzw. anderes Wohnen mit berücksichtigt werden. Aufgrund des prognostizierten immensen Neubau-Bedarfs besteht auch die Chance einer neuen Schwerpunktsetzung in der Geschichte der Wohnungspolitik, die sich zukünftig als effizienter - finanziell und sozial - erweisen könnte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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