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[Seite der Druckausgabe: 20]

4. Effiziente Bereitstellung von Energie

Neben dem Abbau des Anteils der Braunkohle an der Primärenergieversorgung der DDR würde besonders die Erneuerung des Kraftwerksparks einen großen Schritt in Richtung einer effizienteren Energiebereitstellung bedeuten. Die DDR verfügt gegenwärtig über einen Kraftwerkspark mit einer Gesamtleistung von rund 23 000 Megawatt (MW). Die meisten dieser Kraftwerke werden mit Braunkohle befeuert. Daneben gibt es zur Zeit fünf Kernreaktoren, die - sofern in Betrieb - zusammen 1830 MW Leistung bereitstellen, sowie eine Reihe von kleineren Wasserkraftwerken. Einige wenige Feuerungsanlagen in Kraftwerken werden auch mit Mineralöl und Steinkohle beheizt.

Ein großer Teil der DDR - Kraftwerke arbeitet mit einer veralteten Technik. Während zum Beispiel in den zur Stromerzeugung genutzten Wärmekraftwerken der Bundesrepublik nur sieben Prozent der Dampferzeuger und Turbinen älter als 20 Jahre sind, trifft dies in der DDR für rund 50 Prozent der Dampferzeuger und für 36 Prozent der Turbinen zu. Im Versorgungsgebiet Halle sollen sogar Heizkraftwerke aus den zwanziger Jahren voll in die Energieproduktion einbezogen sein.

Nach Angaben des Vizepräsidenten des Nationalen Komitees der DDR im Weltenergierat ist die Bruttoerzeugung von Elektroenergie pro Kopf der Bevölkerung in der DDR etwa so groß wie in der Bundesrepublik, aber die je Einwohner zur Verfügung stehende Nettoenergie ist wegen der höheren Eigenverluste der Kraftwerke um 5 Prozent niedriger. Der durchschnittliche Wirkungsgrad der Kraftwerke, also das Verhältnis von bereitgestellter elektrischer Leistung zur ursprünglichen Wärmeleistung der befeuerten Öfen, ist entsprechend niedrig. Während ein modernes Braunkohlenkraftwerk heutzutage etwa 36 Prozent der aus der Kohle freigesetzten Wärmeenergie als Elektrizität zur Verfügung stellen kann, liegt der Wirkungsgrad der DDR-Kraftwerke im Durchschnitt bei etwa 26 Prozent. Da die alten Kraftwerke zudem in hohem Maße umweltbelastend arbeiten, ist eine Modernisierung des Kraftwerksparks dringend erforderlich. Mitglieder der Sektion Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung der Technischen Hochschule Zittau haben einen Überblick über sinnvolle Erneuerungsmaßnahmen für die großen Braunkohlenkraftwerke der DDR vorgelegt. Im einzelnen handelt es sich um folgende Kraftwerksblöcke:

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  • 28 Kraftwerksblöcke mit je 100 MW Leistung an den Standorten Lübbenau (10), Vetschau (12), Hagenwerder (2) und Lippendorf (4)

  • 16 Blöcke mit je 210 MW Leistung an den Standorten Thierbach (4) und Boxberg (l 2)

  • 10 Kraftwerksöfen mit je 500 MW Leistung in den Kraftwerken Boxberg (2), Hagenwerder und Jänschwalde (6).

Den Ergebnissen der Zittauer Studie zufolge sollten diese Kraftwerke an ihren Standorten bis in die Jahre 2020 bis 2025 erhalten bleiben und dann schrittweise stillgelegt werden. Mit diesem Nutzungsrahmen kalkuliert man für jeden Kraftwerksblock eine etwa fünfzigjährige Lebensdauer, die damit doppelt so hoch wäre wie sonst üblich. Um diese lange Nutzungsperspektive technisch und wirtschaftlich zu ermöglichen und umweltpolitisch zu verantworten, müssen die Kraftwerke gründlich erneuert werden. Dabei sind vor allem folgende Ziele anzustreben:

  • Einhaltung der Grenzwerte für Staub, Schwefeldioxid und Stickoxide nach Maßgabe der Bestimmungen in der bundesdeutschen TA Luft

  • Erhöhung des Wirkungsgrades und Senkung des elektrischen Eigenverbrauchs der Kraftwerke

  • Sicherung einer hohen Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit.

Zwar hätten, so ein Mitglied der Zittauer Sektion, die Erhöhung des technischen Standards und die Beachtung von Umweltbelangen auch schon in der Vergangenheit Erwähnung gefunden, aber es blieb in der Regel bei der bloßen Bekundung guter Absichten. Die geringfügigen Mittel, die für die Instandhaltung und Erneuerung von Kraftwerken bisher zur Verfügung standen, erlaubten gerade die Erneuerung von Dampferzeuger-Druckteilen. Verbesserungen der Bausubstanz oder der Turbinen waren nicht finanzierbar. Auch das ingenieurtechnische Wissen für die Konstruktion umweltschonenderer Kraftwerke sei im Prinzip vorhanden gewesen, doch die Umsetzung des Wissens scheiterte, weil die Betreiber von Kraftwerken die Umweltmaßnahmen nicht finanzieren konnten und die Anlagenhersteller mit unzureichenden Projektierungs- und Fertigungskapazitäten arbeiten mußten.

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Im einzelnen schlägt die Studie der Zittauer Sektion folgende Maßnahmen für die Erneuerung der bestehenden Anlagen vor:

  • Um die Schwefeldioxid-Emissionen zu senken, erhalten die 100-MW-Blöcke in Lübbenau eine nasse Rauchgasentschwefelung. Die Emissionen von Stickoxiden lassen sich durch eine Erneuerung der Feuerungstechnik verringern. Auch die 210-MW-Blöcke im Kraftwerk Thierbach sollen auf diese Weise umweltverträglicher werden.

  • In die 100-MW-Blöcke in Vetschau und in Hagenwerder sind neue Dampferzeuger einzubauen, die mit einer zirkulierenden Wirbelschichtfeuerung arbeiten.

  • Für die 210-MW-Blöcke des Kraftwerks Boxberg lohnt sich eine Erneuerung nicht. Günstiger ist der Ersatz durch 4 Kraftwerksblöcke mit je 600 MW Leistung, die von der Bundesrepublik geliefert werden sollen. Allerdings müsse man abwägen, ob die Beeinträchtigungen von Landschaft und Umwelt durch die hohen Leistungskonzentrationen, wie sie mit rund 3500 MW im Kraftwerk Boxberg auftreten, der Region weiterhin zuzumuten sind.

  • Die 500-MW-Blöcke sind an allen bisherigen Standorten zu erhalten, müssen aber mit einer Rauchgasentschwefelung nachgerüstet werden.

  • Untersuchungen für die Kraftwerksblöcke in Lippendorf stehen noch aus.

Die Kosten für diese Erneuerungsmaßnahmen liegen nach einer Schätzung aus dem Zittauer Institut bei rund 25 Milliarden Mark. Für die angestrebte Modernisierung des Kraftwerksparks könne man technisch auf die in der Bundesrepublik bewährten Verfahren der Rauchgasentschwefelung und der zirkulierenden Wirbelschichtfeuerung zurückgreifen. Neben der Kraftwerks-Modernisierung sei außerdem der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung sowie der Bau von neuen Kombi-Kraftwerken mit Gas- und Dampfturbine in Angriff zu nehmen.

Eine andere Rekonstruktionsperspektive für die DDR-Kraftwerke wurde in einem Unternehmen des Kraftwerksanlagenbaus der Bundesrepublik entwickelt. Danach genügen die meisten der 100- und 210-MW-Kraftwerksblöcke, die zwischen

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1964 und 1975 in Betrieb genommen wurden, nicht den heutigen technischen Anforderungen. Ihre Wirkungsgrade liegen zwischen 25 und 28 Prozent, sie bieten keine Rückhaltemöglichkeiten für Schwefeldioxid und Stickoxide und auch die Entstaubung entspricht nicht dem modernen Stand der Technik. So emittieren die Kraftwerke dieser Leistungsklasse je Kilowattstunde produzierter Elektroenergie durchschnittlich 10g Staub, 30-50g Schwefeldioxid, 3-4g Stickoxide sowie 1500g Kohlendioxid und liegen damit weit über den heute technisch möglichen Belastungswerten: weniger als 0,25g Staub je produzierter Kilowattstunde Elektroenergie, 0,75g Stickoxide und Schwefeldioxid sowie 1000g Kohlendioxid.

Wollte man die veralteten DDR-Blöcke dem heutigen Stand der Technik angleichen, seien, zur Vermeidung sonst anfallender riesiger Gipsmengen, Verfahren der Rauchgasentschwefelung anzuwenden, die nicht Gips, sondern die Schwefel produzieren. Berücksichtigt man allerdings den Wirkungsgrad der meisten 100-und 210-MW-Blöcke, dann wäre der Ersatz durch Neubauten ohnehin einer Überholung der alten Kraftwerke vorzuziehen. Während die Entschwefelung, Entstickung und Entstaubung der Abgase im Prinzip technisch realisierbar ist, läßt sich der niedrige Wirkungsgrad der Kraftwerke durch Nachrüstung nur geringfügig aufbessern. Mit der Ersatz der alten Blöcke durch neu zu bauende Meiler der Größenklasse 300 und 600 MW würde hingegen moderne Technologie zum Einsatz kommen, die den Wirkungsgrad der Kraftwerke bis zu 40 Prozent heben und die Schadstoffproduktion drastisch verringern könnte. Die aufzubringenden Kosten seien mit den Kosten für die Nachrüstung der alten Kraftwerke und dem dann notwendigen Zukauf von Elektrizität vergleichbar. Als einzigen Nachteil der Ersatzstrategie müsse man in Kauf nehmen, daß für eine Übergangszeit die alten Kraftwerksblöcke weiter in Betrieb zu halten seien. Im Gegensatz zu den kleineren - und älteren - Kraftwerksmeilern könnten die großen 500 MW-Blöcke, aufgrund ihrer besseren technischen Auslegung nach einer umwelttechnischen Überholung weiterbetrieben werden.

Eine Teilmodernisierung des Kraftwerksparks kann schließlich auch die zwischen DDR-Kombinaten und der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG vereinbarten Kooperation bringen, die zunächst die Erkundung von Möglichkeiten zur umwelttechnischen Nachrüstung von Braunkohlenkraftwerken vorsieht. Und schließlich haben die PreussenElektra, Hannover, und das Bayernwerk mit den Energiekombinaten VEB Kombinat Braunkohlenkraftwerke,

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VE Kombinat Kernkraftwerke, VEB Kombinat Verbundnetze Energie und der Intrac Handelsgesellschaft einen Vertrag über den Bau von je einem 500 MW Steinkohlenkraftwerk in Rostock und in Lübeck abgeschlossen. Beide Kraftwerke sollen in Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Der Strom aus dem Kraftwerk Lübeck steht vorübergehend den DDR-Unternehmen zur Verfügung, während die ausgekoppelte Wärme für die Versorgung der Einwohner Lübecks dienen soll. Darüber hinaus erwägen die Bayernwerke den Bau eines Pumpspeicherwerks in Thüringen. Außerdem besteht bei bundesrepublikanischen Anlagenbauern die Bereitschaft, in der DDR ein Kernkraftwerk mit westlicher Technik zu errichten. Darüber hinaus ist der Bau mehrerer kleinerer Kombianlagen mit Kraft-Wärmekopplung zur lokalen und regionalen Energieversorgung zu erwarten, möglicherweise zum Teil auf Erdgasbasis.

Auch einige der bestehenden Kraftwerke ließen sich für die Kraftwärmekopplung nutzen. Nach Berechnungen aus einem Unternehmen des Kraftwerksanlagenbaus aus der Bundesrepublik verfügt die DDR über Fernwärmesysteme mit einer installierten Bruttoleistung von 15 000 thermischen Megawatt. Wenn 50 Prozent dieser Leistung über Kraft-Wärmekopplung abgedeckt werden sollen, braucht man dafür Kraftwerksleistungen von 3000 bis 3750 Megawatt. Dabei ist zugrunde gelegt, daß das Kraftwerk etwa doppelt soviel Energie als Fernwärme wie als Elektrizität zur Verfügung stellt. Bestehende Heizkraftwerke der DDR decken bereits 1800 Megawatt ab, so daß weitere der vorhandenen Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1000 bis 2000 Megawatt für die Auskopplung von Fernwärme heranzuziehen und dafür mit moderner Technik auszustatten sind.

Neben der Nach- und Umrüstung des Kraftwerkparks ist in der DDR vor allem die technische Verbesserung des elektrischen Leitungsnetzes in Angriff zu nehmen. Der Anteil der durch Netzverluste nicht nutzbaren Elektrizität ist in der DDR nahezu doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik.

Eine Gesamtschätzung der Kosten für die Schaffung einer leistungsfähigen Energiewirtschaft der DDR hat, unter Einschluß der Wasserversorgung, das Institut der deutschen Wirtschaft vorgelegt. Um trotz der heute noch unbefriedigenden Datenlage in der DDR eine Kostenabschätzung vornehmen zu können, legt diese Studie das Niveau der Energie- und Wasserversorgung in der Bundesrepublik zugrunde und versucht zu ermitteln, was es kosten würde, der DDR-Bevölkerung einen vergleichbaren Standard wie den Bürgern der

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Bundesrepublik zur Verfügung zu stellen.

Danach bindet der Umweltschutz sowie die Energie- und Wasserversorgung in der Bundesrepublik ein Bruttoanlagevermögen von 676 Milliarden DM, wenn man die heutigen Wiederbeschaffungskosten berücksichtigt. Zwei Drittel dieses Wertes entfallen auf die Elektrizitäts-, Gas-, Fernwärme und Wasserversorgung, ein Drittel auf Umweltschutzanlagen. Unter der Voraussetzung, daß für die Bevölkerung der DDR ein ähnlicher Versorgungsstandard wie für die Einwohner der Bundesrepublik zur Verfügung stehen sollte, müßten in der DDR Anlagen für die Bereiche Energie- und Wärmeversorgung sowie Umweltschutz mit einem Wiederbeschaffungswert von 184 Milliarden DM vorhanden sein. Gegenwärtig ist aber bestenfalls davon auszugehen, daß bei der Energie- und Wasserversorgung etwa ein Drittel, beim Umweltschutz ein Viertel dieses Niveaus erreicht ist.

Um einen mit der Bundesrepublik vergleichbaren Versorgungsstandard aufzubauen, ist daher ein Investitionsbedarf von 128 Milliarden DM anzusetzen. Im einzelnen würden in den nächsten zehn Jahren aufzubringen sein:

  • für die Modernisierung der Elektrizitäts- und Fernwärmeversorgung rund 62 Milliarden DM

  • je 4 Milliarden DM für die Gas- und Ölversorgung

  • 9 Milliarden DM für die Wasserversorgung

  • 49 Milliarden DM für den Bau von Umweltschutzanlagen, davon rund 2 Milliarden DM für die Abfallbeseitigung, eine Milliarde DM für die Lärmbekämpfung und 6 Milliarden DM für die Luftreinhaltung. Die restlichen 40 Milliarden DM sind in den Gewässerschutz zu investieren.

Nach Einschätzungen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft ließen sich, bis auf den Gewässerschutz, der eine öffentliche Aufgabe darstellt, zwei Drittel der notwendigen Investitionen privat und ein Drittel öffentlich finanzieren.

Neben der Modernisierung des Energieangebots stellt auch die Verbesserung der Energienutzung eine reiche und unbedingt auszuschöpfende Quelle für die zukünftige Einsparung von Energie dar. Die energetische Sparwirkung eines

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modernen Kraft- und Heizwerkparks bleibt nur unvollständig ausgeschöpft, wenn auf Verbraucherseite wenig Möglichkeiten und kaum Anreize für einen sparsamen Umgang mit der effizient erzeugten Energie bestehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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