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3. Die Zurückdrängung der Braunkohle durch andere Energieträger - Bedingungen, Chancen und Grenzen

Nach Auffassung eines leitenden Beamten aus dem Bundesministerium für Wirtschaft stellt eine Primärenergieversorgung, die sich zu je einem Drittel auf die Energieträger Kohle, Mineralöl sowie zusammengenommen Kernenergie, Gas und sonstige Energieträger stützt, eine gute Basis dar, um eine stabile und sichere Deckung des Energiebedarfs einer Volkswirtschaft zu gewährleisten. Von dieser Aufteilung der Energieträger ist die DDR heute allerdings weit entfernt. Die Verminderung des Braunkohlenanteils an der Energieversorgung zugunsten anderer Energieträger wie Erdgas, Mineralöl, Kernenergie, Steinkohle und, in einer langfristigeren Perspektive, regenerativer Energien erfordert allerdings eine sorgfältige Abwägung der Nutzungsbedingungen und -chancen, aber auch der Nachteile dieser möglichen Alternativen in der Zukunft.

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a) Erdgas

Der Anteil des Erdgases an der Primärenergieversorgung der DDR wird nach Auffassung des Bundesverbandes der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, Bonn, in Zukunft aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen ansteigen müssen. Dabei kann die Erdgaswirtschaft der Bundesrepublik, in der seit Beginn der 60er Jahre Erdgas genutzt wird, Hilfestellung auf der Basis einer soliden Erfahrungsgrundlage bieten. Mit einem Versorgungsanteil von rund 17 Prozent an der Deckung des Primärenergiebedarfs nimmt Erdgas heute die dritte Stelle unter den Primärenergieträgem der Bundesrepublik ein.

Unter ökologischen Gesichtspunkten ist die Versorgung der DDR mit Erdgas günstig, denn Erdgas kann von allen Brennstoffen am umweltverträglichsten eingesetzt werden. So sieht zum Beispiel das Bundes-Immissionsschutzgesetz mit seinen Bestimmungen, wie Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft), Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, für die Erdgasverbrennung strengere Grenzwerte bei der Schadstoff-Freisetzung vor als bei anderen fossilen Energieträgem. Außerdem lassen sich mit Erdgas die Umweltanforderungen in der Regel am kostengünstigsten erfüllen. Hinzu kommt, daß die Erdgasverbrennung pro erzeugter Energieeinheit geringere Kohlendioxid-Emissionen freisetzt als die Verfeuerung anderer fossiler Energieträger. Zudem bietet die Erdgaswirtschaft heute eine Reihe von Einspar-

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techniken an, wie Blockheizkraftwerke, Gasturbinen, Gaswärmepumpen und Brennwertkessel, die zum Beispiel beim privaten Hausbrand auch die Wärme des Abgases nutzen. Diese ausgereiften und am Markt erprobten Technologien können kurzfristig für eine Modernisierung der Energieversorgung in der DDR bereitgestellt werden. Nach Darstellung des Bundesverbandes der deutschen Gas-und Wasserwirtschaft reduziert der Austausch eines alten heizölbefeuerten Kessels durch einen Erdgaskessel die ursprünglich freigesetzte Kohlendioxidmenge um etwa 45 Prozent. Kommt ein moderner Brennwertkessel zum Einsatz, dann wird die ursprüngliche Kohlendioxidmenge sogar mehr als halbiert.

Außer bei der dezentralen Wohnraumbeheizung ist Erdgas auch in zentralen Heizsystemen, wie zum Beispiel Blockheizkraftwerken, vorteilhaft einzusetzen, vor allem dann, wenn elektrischer Strom und Wärme im Kopplungsprozeß genutzt werden können, wie bei der Energieversorgung von Hallenbädern, Krankenhäusern, Kaufhäusern, Verwaltungsgebäuden und Kasernen sowie von Industriebetrieben wie Molkereien, Brennereien und Schlachthöfen. Schließlich zeigt die Tatsache, daß 60 Prozent der heutigen Neubauten in der Bundesrepublik erdgasbeheizt sind, die Wettbewerbsfähigkeit dieses Energieträgers.

Ein weiterer Vorzug der Erdgasnutzung liegt aus heutiger Perspektive in der Versorgungssicherheit, die dieser Energieträger bietet. Die weltweiten Erdgasreserven reichen noch etwa 150 Jahre. Ein Anschluß der DDR an das westeuropäische Erdgasverbundnetz würde die zuverlässige Versorgung mit diesem Energieträger gewährleisten. So kann die Bundesrepublik mehr als ein Viertel ihres Erdgasbedarfs aus eigenen Quellen befriedigen, der Rest wird, vertraglich langfristig abgesichert, aus verschiedenen Ländern eingeführt. Dabei decken die Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden und Dänemark 42 Prozent des Erdgasbedarfs, die Sowjetunion steuert 30 Prozent bei.

Die versorgungstechnischen sowie ökologischen Vorzüge des Erdgases lassen vermuten, daß die Bedeutung dieses Energieträgers für die DDR in Zukunft wächst. Nach einer Vereinbarung der Ruhrgas AG mit dem VEB Verbundnetz Gas sollen ab 1993 jährlich 2 Milliarden Kubikmeter Erdgas an die DDR geliefert werden. Allerdings ist nach Auffassung von Energieexperten der DDR zu bedenken, daß die Bevölkerung der DDR möglicherweise nicht genügend finanzkräftig ist, um sich an der Umrüstung ihrer Energieversorgung auf Erdgas nennenswert zu beteiligen und die im Prinzip vorhandenen Vorzüge dieses

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Energieträgers voll auszuschöpfen.

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b) Mineralöl

So wie die Gaswirtschaft der Bundesrepublik, so ist im Prinzip auch die Mineralölindustrie bereit, an der Verbesserung der Energieversorgung zwischen Oder und Elbe mitzuwirken. Als vorrangige Aufgabe sieht der Mineralölwirtschaftsverband, Hamburg, dabei die flächendeckende Versorgung der DDR mit bleifreiem Benzin und die Verbreitung des Heizöls als Alternative zur Braunkohle an. Um diese Ziele zu erreichen, ist das Tankstellennetz zu erneuern und zu vergrößern, ein leistungsfähiger Heizölhandel aufzubauen, der Raffineriepark zu modernisieren und die logistische Infrastruktur mit Lägern, Pipelines und Tankwagen zu erneuern. Die dafür notwendigen Investitionen in Milliardenhöhe werden Arbeitsplätze schaffen und besonders der Entwicklung der Bauwirtschaft und des Handwerks in der DDR Auftrieb geben. Den Unternehmen der DDR bietet die Mineralölindustrie der Bundesrepublik Kooperationen an, insbesonders beim Aufbau der Vertriebssysteme für die Kraftstoff-, Schmierstoff- und Heizölversorgung. Für den neu aufzubauenden Heizölhandel kann der Kohlehandel in der DDR als Basis dienen. Allerdings ist zuvor das Lagernetz zu modernisieren, damit es sicherer und umweltschonender wird. Da die Mineralölindustrie der Bundesrepublik davon ausgeht, daß die in der Bundesrepublik einzuhaltenden Umweltnormen nach einer Übergangsfrist auch in der DDR gelten werden, beabsichtigt sie, sich bei Investitionen in der DDR an den Umweltstandards der Bundesrepublik zu orientieren.

Zur Befriedigung des in Zukunft wachsenden Kraftstoffbedarfs benötigt man in der DDR ein Tankstellennetz aus rund 3000 Stationen. Dieser Standard ist durch Modernisierung "überlebensfähiger" Tankstellen sowie durch Bau neuer Stationen zu erreichen. Um die zügige Durchsetzung bleifreien Benzins in der DDR zu fördern, sollte das verbleite Benzin aus dem Markt genommen und bleifreies Benzin steuerlich begünstigt werden. Damit würde auch ein Impuls für eine rasche Einführung des Abgaskatalysators und damit für eine wirksame Senkung der Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr gesetzt.

Weil die Verbrennung leichten Heizöls erheblich geringere Schadstoffmengen freisetzt als eine energetisch vergleichbare Menge an Braunkohlenprodukten, sollte die heute noch sehr untergeordnete Rolle des Heizöls für die Deckung des Wärmebedarfs der DDR ausgeweitet werden. Nach Angaben des Mineralölwirt-

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schaftsverbands sinken bei Umstellung von Braunkohle auf leichtes Heizöl die spezifischen Schadstoffbelastungen beim Kohlenmonoxid und beim Schwefeldioxid um die Hälfte, bei Stickoxiden auf 40 Prozent und beim Staub auf 20 Prozent. Zudem hat leichtes Heizöl den Vorzug, daß die angestrebte Verminderung der Braunkohlenverwendung rasch und wirtschaftlich zu erreichen ist, denn die Versorgung mit leichtem Heizöl macht keinen aufwendigen und kapitalintensiven Auf- und Ausbau eines Leitungssystems erforderlich. Heizöl läßt sich für die Einzelofen- und Mehrraumofenbeheizung verwenden, bestehende kohlebefeuerte Zentralheizungsanlagen kann man für die Verwendung leichten Heizöls umrüsten. Zudem ermöglichen Ölheizungen eine stufenweise Modernisierung, was immer auch Einsparungen beim Energiebedarf mit sich bringt.

Auch in den Bereichen Kraftwerke und Industrie bietet die Verwendung von Mineralölprodukten anstelle der Braunkohle ökologische Vorteile. Da der Schwefelgehalt von Heizöl niedriger ist als der von Braunkohle, ließen sich die Schwefelemissionen aus Großfeuerungsanlagen senken, wenn man dort Braunkohle zum Teil durch schweres Heizöl ersetzen würde. Nicht zuletzt gehen vom Aufbau eines Heizölmarkts Wettbewerbsimpulse für die Energiewirtschaft aus, da die Verbraucher des nicht leitungsgebundenen Energieträgers Heizöl zwischen mehreren Lieferanten wählen können.

Um die notwendige Flexibilität der Rohölversorgung zu sichern, ist eine Anbindung des Pipeline-Netzes der DDR an Seehäfen und/ oder an das westeuropäische Pipeline-Netz in Erwägung zu ziehen. Weil die Elbe eine wachsende Rolle als Binnenwasserstraße spielen wird, sollte sie, ähnlich wie der Rhein, schiffbar gemacht werden.

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c) Kernenergie

Inwieweit die Kernenergie bei der Reduzierung des Braunkohlenanteils an der zukünftigen Energieversorgung der DDR eine bedeutende Rolle spielen wird, ist gegenwärtig schwer vorauszusehen. So hat sich die SPD der DDR in den Koalitionsverhandlungen zur Bildung der jetzigen DDR-Regierung zunächst für einen mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen und dies mit Sicherheitserwägungen, aber auch mit dem heute noch niedrigen Anteil der Kernenergie an der Energieversorgung der DDR begründet. Die CDU strebte bei

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den Verhandlungen dagegen an, den Anteil der Kernenergie an der Elektroenergieversorgung, ähnlich wie in der Bundesrepublik, auf rund ein Drittel zu erhöhen, und die DSU engagierte sich sogar für "französische Verhältnisse" mit einem 70prozentigen Anteil der Kernenergie an der Elektrizitätserzeugung in der DDR.

Vor dem Hintergrund dieser Positionen haben die jetzigen Koalitionsparteien den Kompromiß gefunden, über den Weiterbetrieb bestehender und über die Inbetriebnahme der im Bau befindlichen Kernreaktoren zu entscheiden, wenn eine deutsch-deutsche Expertenkommission darüber geurteilt hat, ob diese Atommeiler sicherheitstechnisch so nachgerüstet werden können, daß sie den Sicherheitsstandard bundesrepublikanischer Kernkraftwerke zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten erreichen. Entscheidungen über die Planung und den Bau neuer Kernkraftwerke auf dem Boden der DDR sind erst einer gesamtdeutschen Regierung zugedacht. Nach Einschätzungen aus der DDR-SPD kann diese Koalitionsvereinbarung die Stillegung weiterer Reaktoren im Kernkraftwerk Lubmin und den Baustopp für das Kernkraftwerk Stendal sowie für die noch nicht in Betrieb befindlichen Reaktoren im Kernkraftwerk Lubmin bedeuten.

Eine andere Einschätzung über die zukünftige Rolle der Kernenergie in der DDR vertritt die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke. Von dieser Seite wird betont, daß sich in einigen Ländern der Welt, nicht zuletzt aufgrund des drohenden Treibhauseffekts, eine Neubewertung der Kernenergie abzeichnen würde. Auch nach Auffassung einiger Energiewissenschaftler der DDR wird man auf eine Nutzung der Kernenergie vorerst nicht verzichten können. Zwar sei die Kernenergie nicht als einzige Alternative zur Braunkohle zu betrachten, doch könne sie die notwendigen Leistungszugänge sichern und dazu beitragen, die Kohlendioxid-Emissionen zu verringern. Diese Auffassung wird von dem Repräsentanten eines führenden Unternehmens der Kraftwerkstechnik aus der Bundesrepublik unterstützt, der darauf hinweist, daß in den USA einige Umweltvereinigungen empfohlen haben, über die Rolle der Kernenergie zur Bekämpfung des Treibhauseffekts neu nachzudenken. Nicht zuletzt gebe es auch in der Bundesrepublik aus dem Lager kernenergiekritischer Umweltschützer Stimmen, die eine Neubewertung der Kernenergie für notwendig halten. Immerhin würde die Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik jährlich Emissionen von 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Gerade dann, wenn man berücksichtigt, daß die technischen Innovationen zur rationelleren Bereitstellung und Nutzung von Energie in der Regel einen Anstieg des

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Elektrizitätsbedarfs mit sich bringen, müsse man in den kommenden Jahren mit einen Aufschwung der Kernenergie rechnen.

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d) Steinkohle

Nach Auffassung der IG Bergbau und Energie könnte aufgrund des gut ausgebauten Fernwärmenetzes der DDR auch die Steinkohle eine Rolle beim Umbau der Energieversorgung in der DDR spielen. Ein Viertel aller Wohnungen der DDR werden bereits mit Fernwärme beliefert, die vorwiegend aus braunkohlenbefeuerten Kesseln stammt. Eine Umstellung dieser Feuerungsanlagen auf Steinkohle sei mit vertretbarem Aufwand möglich. Diese Umrüstung auf hochwertige Steinkohle, zum Beispiel Anthrazit, sei bei der Fernwärme-Erzeugung auch dann gegenüber Gas und Heizöl wirtschaftlich, wenn man den Brennstoff zum bundesrepublikanischen Preisniveau beziehen müßte.

Gegenüber Mineralöl und Gas bietet Steinkohle zudem eine größere Versorgungssicherheit. So haben die Ölpreissteigerungen in den Jahren 1973 und 1974 von 80 DM auf 200 DM je Tonne Ölimport frei bundesdeutsche Grenze sowie in den Jahren 1978 und 1979 von 200 DM auf 600 DM bis 650 DM zu erheblichen Versorgungsstörungen geführt. Obwohl die Marktsignale heute gegenläufig sind, sei damit zu rechnen, daß die Macht der OPEC-Länder in Zukunft wächst. Da zwei Drittel der Ölreserven der Welt sich auf den Nahen Osten konzentrieren und die Sowjetunion ihre derzeit hohen Ölförderungen möglicherweise nicht aufrechterhalten kann, muß man die Vorteile des Öls gegen seine Versorgungsrisiken abwägen. Das gilt im Prinzip auch für das Erdgas, denn ein Drittel der Weltgasreserven lagern im Nahen Osten, ein weiteres Drittel in Sibirien. Wenn man befürchtet, daß der friedliche Welthandel nicht immer freundlich bleibt, kann man Engpässe beim Bezug der Energieträger Mineralöl und Erdgas auf Dauer nicht ausschließen. Auch der Ausbau der Kernenergie biete keine zuverlässige Perspektive, denn für die Abwägung von Chancen und Risiken der Kernenergienutzung könne man keine absoluten Maßstäbe zugrunde legen, sondern müsse sich auch an der Stimmung in der Bevölkerung orientieren.

Nach Expertenmeinung aus dem Bundesministerium für Wirtschaft ist jedoch kaum damit zu rechnen, daß der bundesrepublikanische Steinkohlebergbau seine Überkapazitäten mit Hilfe von Lieferungen in die DDR nennenswert abbauen kann. Zwar mag die Nutzung westdeutscher Steinkohle noch preiswerter sein als der Braunkohleneinsatz, aber Braunkohle wird sicherlich nicht von der

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westdeutschen Steinkohle, sondern eher von der rund zwei Drittel billigeren Importkohle zurückgedrängt. In jedem Fall sei es politisch kaum zu rechtfertigen, Finanzmittel zur Subventionierung der teuren westdeutschen Steinkohle für die DDR aufzubringen, wenn diese Mittel an anderer Stelle für Rationalisierungen mit einem größeren Energieeffekt genutzt werden könnten. Außerdem ließe sich die für die DDR notwendige Subvention bundesdeutscher Steinkohle kaum bei der EG-Kommission durchsetzen. Und schließlich könne die DDR aus den Erfahrungen der Bundesrepublik lernen. Man habe in der Bundesrepublik in den siebziger Jahren eine Strukturanpassung beim Abbau der Steinkohle aufgrund von Forderungen der EG-Kommission gestoppt und die Steinkohleförderung wieder nach oben gefahren. Damit wurden 4 bis 5 Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr zusätzlich gewonnen, was zwar kurzfristig rund 10 000 Arbeitsplätze gesichert hat, aber jetzt den strukturpolitisch notwendigen Kapazitätsabbau bei der Steinkohle erschwere.

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e) Kurzfristige Stromlieferungen und langfristig wirksame Weichenstellungen

Neben dem mittelfristigen Ausbau der Rolle anderer Energieträger läßt sich ein Teil des Energiebedarfs der DDR kurzfristig auch durch Stromlieferungen aus der Bundesrepublik decken. Bisher arbeitet das bundesrepublikanische Kohlekraftwerk Offleben, im Osten Niedersachsens, für die DDR. Dafür mußte das Kraftwerk allerdings aus dem Elektroverbundsystem Westeuropas abgekoppelt werden. Das westeuropäische Verbundsystem, dem die Bundesrepublik angehört, und das osteuropäische System, in das die DDR eingebunden ist, arbeiten zwar beide mit einer Stromfrequenz von 50 Hertz, aber beide Systeme lassen unterschiedliche Frequenzschwankungen zu. Während im westlichen Netz ein Schwankungsbereich von maximal 0,1 Hertz zu verkraften ist - eine höhere Schwankung würden weder die Mikroelektronik der Industrie noch die sensiblen Regelungsysteme der Kraftwerke aushalten - schwankt die Stromfrequenz des östlichen Netzes zwischen 49,5 und 50,5 Hertz. Um Strom auf der Höchstspannungsebene von 380 Kilovolt in das Netz der DDR einspeisen zu können, müssen Kraftwerke aus dem bundesdeutschen Netz entweder, wie das Kraftwerk Offleben, abgekoppelt oder über eine Gleichstromkurzkupplung an das DDR-Netz angeschlossen werden. Eine solche rund 200 Millionen DM teure Gleichstromkurzkupplung formt den Wechselstrom aus dem westeuropäischen Netz zunächst in Gleichstrom um, dieser Gleichstrom wird dann wieder in Wechselstrom für das osteuropäische Netz gewandelt.

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Eine Vereinbarung zwischen der PreussenElektra, Hannover, und dem Ex- und Importkombinat der DDR sieht den Bau einer derartigen Gleichstromkurzkupplung bei Magdeburg vor. Zwei weitere Kupplungen planen die Bayernwerke von Bayern und von Hessen nach Thüringen, eine mittelbare Kupplung befindet sich unter der Regie der Bayernwerke im Bau. Über diese voraussichtlich 1992 fertiggestellte Kupplung soll die Tschechoslowakei Strom beziehen, der, über das RGW-Verbundnetz, auch der DDR zugute kommen würde.

Während Elektrizität aus dem Westen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden kann, um Versorgungsengpässe in der DDR zu überbrücken, ist die Verwendung regenerativer Energieträger zur Zurückdrängung der Braunkohle ein Zukunftsobjekt, für das allerdings in der Gegenwart energie- und forschungspolitische Weichen zu stellen sind. Zu den erneuerbaren Energieträgern gehören die Sonnenenergie, die Bewegungsenergie von Wind und Wasser sowie die im Erdinnern gespeicherte Wärmeenergie. Außerdem rechnet man auch die Nutzung des Biogases zu den "weichen" Strategien der Energieversorgung. Die heutige Anwendung regenerativer Energieträger in der DDR beschränkt sich in erster Linie auf rund 200 kleine Wasserkraftwerke, die zusammen eine Leistung von etwa 170 Megawatt aufweisen. In geringem Umfang finden auch Sonnenkollektoren sowie Wärmepumpen Anwendung, so daß die relativ niedrigen Außentemperaturen sowie die Wärmeenergie des oberen Erdreichs und von Gewässern für die Beheizung von Gebäuden nutzbar ist. Und schließlich kommt auch die Windenergie, vor allem für den Betrieb von Pumpanlagen in der Landwirtschaft, zum Einsatz.

Ob der heute noch sehr kleine Anteil regenerativer Energieträger an der Primärenergieversorgung der DDR bis zum Jahre 2000 auf einige Prozent angehoben werden kann, ist in erster Linie abhängig von Investitionen in Forschung und Entwicklung. Politische Willensbekundungen dafür sind von den Koalitionsparteien abgegeben worden, eine Finanzierung ist aber zur Zeit nicht abzusehen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es angesichts der heutigen Versorgungslage in der DDR nicht darum gehen kann, einen einzelnen Energieträger als einzige Alternative zur Braunkohle aufzubauen. Vielmehr müssen Vor- und Nachteile aller im Prinzip zur Verfügung stehenden Energieträger sorgfältig geprüft werden. Dabei ist auch zu bedenken, daß die Weltvorräte an fossilen Energieträgem begrenzt sind. Über die Reichweite der

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heute bekannten Vorkommen sowie über Nutzungsmöglichkeiten der heute noch nicht wirtschaftlich zu erschließenden Ressourcen mag man sich streiten, doch gewiß ist, daß die Vorräte endlich sind. Und schließlich setzt jede Verbrennung fossiler Energieträger Kohlendioxid frei und erhöht damit das Risiko eines zusätzlichen Treibhauseffekts. Unbestreitbar ist daher, daß Anstrengungen nötig sind, um eine der wichtigsten energiewirtschaftlichen Ressourcen für die Zukunft zu mobilisieren: die effiziente Bereitstellung und rationelle Nutzung von Energie.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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