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2. Die Mängel der Gegenwart als Gestaltungsaufgaben für die Zukunft

Mit einer Reihe kurzfristig greifender Maßnahmen hat die Regierung der DDR im Verlauf des Frühjahres 1990 versucht, besonders energieaufwendige und extrem umweltbelastende Produktionen in der chemischen und metallurgischen Industrie einzuschränken. Nach einem Überblick aus dem Institut der deutschen Wirtschaft gehören zu diesen Regelungen die Reduzierung der Kaliproduktion in Buna auf ein Drittel, die Stillegung verschiedener Schwelereien bis Ende 1991, die Verringerung der Aluminiumproduktion und die teilweise Einstellung der Farbenproduktion in Bitterfeld. Damit ist allerdings nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einer wirtschaftlich tragbaren und umweltpolitisch akzeptierbaren Energieversorgung getan, die nach Auffassung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke die Lösung folgender Aufgaben dringlich macht:

  • Erhöhung der Effizienz der Energiebereitstellung und -nutzung
  • Verringerung der Umweltbelastungen
  • Deckung eines zunehmenden Bedarfs an Elektroenergie.

Die Erfüllung dieser Aufgaben erfordert eine erhebliche Verringerung des Anteils der Braunkohle an der Energieversorgung der DDR, denn Braunkohle ist ein energetisch minderwertiger Energierohstoff, der einer rationellen Energiewirtschaft natürliche und technische Grenzen setzt. So enthält Rohbraunkohle etwa 50 bis 60 Prozent Wasser. Der Energiegehalt einer Tonne Rohbraunkohle ist daher im Durchschnitt rund drei- bis viermal niedriger als der Energiegehalt einer Tonne Steinkohle und sogar etwa fünfmal kleiner als der Energiegehalt einer Tonne Rohöl. Aufgrund dieses niedrigen Energiegehalts sind täglich riesige Mengen an Braunkohle zu den großen Feuerungsanlagen der Kraftwerke und Industriebetriebe zu transportieren. Allein die Befeuerung des Großkraftwerks Boxberg macht die Anlieferung von 100 000 Tonnen Rohbraunkohle pro Tag notwendig. Insgesamt binden die Braunkohlentransporte für die Befeuerung der Kraftwerke heute rund 30 Prozent der Transportkapazität der Deutschen Reichsbahn. Außerdem fällt ein riesiger Ascheberg an, der nach der Verbrennung der Braunkohle von den Feuerungsanlagen der Kraftwerke und großen Industrieöfen wieder fortgeschafft werden muß. Nach Angaben des Umweltministeriums der DDR waren zum Beispiel 1989 18,5 Millionen Tonnen Braunkohlenasche zu transportieren. Zudem kann Braunkohle aufgrund des hohen Wassergehalts im Winter gefrieren, so daß bei länger anhaltendem Frost Baggerschaufeln,

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Förderbänder und Transportwaggons eisfrei geschlagen werden müssen. Um ein Erstarren der Kohle beim Transport zu verhindern, muß man Waggons beheizen. Festgefrorene Braunkohlen-Ladungen taut man zum Teil in Wärmehallen ab, damit die Kohle entladen und verfeuert werden kann.

Hinzu kommt, daß der geringe Heizwert der Braunkohle nur eine direkte Verfeuerung der Rohbraunkohle in großen, leistungsfähigen Feuerungsanlagen der Industrie und der Kraftwerke erlaubt. Um Braunkohle auch in den Öfen der Privatnutzer, kleineren Heizwerke, kommunalen Einrichtungen, landwirtschaftlichen Betriebe und gewerblichen Kleinverbraucher verfeuern zu können, muß sie zunächst zu Brikett veredelt werden. In einem - energieaufwendigen - Trockenvorgang sinkt der Wasseranteil der Rohbraunkohle dabei auf rund 10 Prozent. Bisher enstehen in den Brikettfabriken der DDR aus etwa 100 Millionen Tonnen Rohbraunkohle pro Jahr rund 50 Millionen Tonnen Brikett. Mit einem etwa doppelt so hohen Heizwert wie Rohbraunkohle kann dieses Brikett auch zur Befeuerung kleiner Anlagen in Haushalt und Gewerbe dienen. Für den privaten Endverbraucher ist diese, in der DDR noch dominierende Form der Wohnraumbeheizung, allerdings mit erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität verbunden: Transport, Lagerung und Verbrennung der Briketts bringen eine hohe Staubbelastung mit sich, und während der Heizperiode verursacht die Befeuerung der Öfen und die Beseitigung der Asche tägliche Mühen.

Auch in der Industrie führt die Braunkohlennutzung zu hohen Nebenkosten. Der große Ballastgehalt der Kohle, vor allem Sand, Ton, Schwefelkies und andere Mineralien, läßt Feuerungsanlagen rasch verschleißen, greift die Vorrichtungen für die Bekohlung und Entaschung der Öfen an und behindert die Rauchgasentstaubung, so daß es in Folge von Störungen bei den Feuerungsanlagen immer wieder zu Produktionseinbußen kommt. Und schließlich wird der Abbau der Braunkohle immer aufwendiger. Gegenwärtig sind je Tonne geförderter Kohle etwa 4,6 Kubikmeter Abraum zu bewegen, doch man rechnet heute damit, daß die zu beseitigenden Abraummengen je Fördertonne Rohbraunkohle bis zum Jahre 2000 um über ein Viertel zunehmen. Außerdem nimmt die Mächtigkeit der neu aufzuschließenden Kohleflöze in Zukunft ab, so daß in immer kürzeren Zeiten immer mehr Neuaufschlüsse notwendig werden.

Mit anderen Worten: Die heute bekannten, wirtschaftlich gewinnbaren Rohbraun-

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kohlenvorräte der DDR würden bei der gegenwärtigen Abbaurate zwar noch etwa sechzig Jahre lang reichen, doch die Braunkohle erweist sich zunehmend als ein kostspieliger Energieträger, dessen Anteil an der Energieversorgung, im Interesse einer rationellen Energiebereitstellung und -nutzung, dringend zurückgedrängt werden muß. Nach einer Schätzung von DDR-Experten würde allein die Angleichung der Primärenergiestruktur der DDR an die Struktur der Bundesrepublik die Höhe des Pro-Kopf-Verbrauchs an Primärenergie in der DDR auf das Niveau der Bundesrepublik absinken lassen.

Auch die Berücksichtigung der mittel- und langfristigen Umweltauswirkungen der Braunkohlenverfeuerung unterstreicht die Notwendigkeit, den Anteil der Braunkohle an der Energieversorgung zu vermindern. Zwar sind die Emissionen von Staub, Schwefeldioxid und Stickoxiden heutzutage im Prinzip technisch auf ein erträgliches Maß zu reduzieren - aber für die Zurückhaltung von Kohlendioxid gibt es heute noch kein großtechnisch anwendungsreifes und wirtschaftlich kalkulierbares Verfahren.

Aufgrund ihres Kohlenstoffgehalts setzen alle fossilen Energieträger, Erdgas, Mineralöl, Steinkohle und Braunkohle, bei der Verbrennung Kohlendioxid frei, das Gas, dessen Anreicherung in der Erdatmosphäre als eine der Hauptursachen für den drohenden zusätzlichen Treibhauseffekt gilt. Energieexperten der bundes-republikanischen SPD betonen daher, daß sich die zukünftige Energieversorgung der DDR nicht nur in bezug auf die eigenen Ressourcen und Interessen zu bewähren hat. Vielmehr muß die Energiewirtschaft zunehmend einer gesamtdeutsch, ja im Grunde genommen einer europäisch und letztlich global abzustimmenden Strategie für die wirksame Verminderung der Kohlendioxideinträge in die Erdatmosphäre Rechnung tragen. Auch wenn bis heute die letzten Zusammenhänge zwischen Kohlendioxidemissionen, Anreicherung des Gases in der Lufthülle und Rückwirkungen auf das Klima noch nicht geklärt sind, herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß für den drohenden zusätzlichen Treibhauseffekt vor allem die Emissionen von Kohlendioxid aus den Schloten, Schornsteinen und Auspufftöpfen verantwortlich sind. Angesichts der unabsehbaren Folgen einer zukünftigen Klimakatastrophe dürften Politiker nicht die letzte wissenschaftliche Beweisführung abwarten, denn bis endgültige, unwiderrufliche Gewißheit herrsche, könnte die Klimakatastrophe bereits unaufhaltsam ihren Lauf nehmen.

Nimmt man zudem Expertenprognosen ernst, nach denen sich die

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Erdbevölkerung in den nächsten fünfzig Jahren annähernd verdoppeln wird, und unterstellt man in den weniger entwickelten Ländern ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens drei Prozent, dann wäre, unter sonst gleichbleibenden Bedingungen, der weltweite Energieverbrauch in fünfzig Jahren doppelt so groß wie heute. Da nach Einschätzung der 1988 stattgefundenen Weltklimakonferenz eine drastische Reduzierung des Einsatzes fossiler Energieträger notwendig ist, um den Temperaturanstieg im weltweiten Durchschnitt auf maximal 2 Grad C zu begrenzen, kommt vor allem auf die Industrieländer in Zukunft eine erhebliche Anstrengung zur Reduzierung ihrer Kohlendioxid-Emissionen zu. Einige Klimaexperten halten es daher für notwendig, den Einsatz der fossilen Energieträger, die heute mehr als 80 Prozent der Energieversorgung der Welt sichern, bis zum Jahre 2005 um ein Fünftel, bis zum Jahre 2050 sogar um die Hälfte zu senken. Da die Industrieländer bisher den größten Teil der Kohlendioxid-Emissionen verursacht haben, wird ihr Anteil am notwendigen Rückgang des Einsatzes fossiler Energieträger überdurchschnittlich hoch sein müssen. So diskutiert die Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages zum Beispiel darüber, wie in der Bundesrepublik die Freisetzung von Kohlendioxid bis zum Jahre 2005 um 30 Prozent und bis zum Jahre 2050 um 80 Prozent gesenkt werden könnte.

Diese, auch für eine zukünftige gesamtdeutsche Energiepolitik zu beachtenden Einsparungen unterstreichen ebenfalls die Dringlichkeit für die DDR, eine energiepolitische Strategie einzuschlagen, die von der einseitigen Orientierung auf die Braunkohle wegführt. Pro bereitgestellter Energieeinheit enstehen bei der Verbrennung der Rohbraunkohle mehr als doppelt soviel Kohlendioxid-Emissionen wie bei der Verbrennung von Erdgas, rund ein Drittel mehr als beim Erdöl und immerhin noch knapp 20 Prozent mehr als beim Einsatz von Steinkohle.

Allerdings reicht allein die Zurückdrängung der Braunkohle in der zukünftigen Energiebilanz der DDR nicht aus, um den Anforderungen einer effizienten und umweltverträglichen Energiewirtschaft Genüge zu tun, denn auch andere Energieträger bergen Risiken: Kohlendioxid wird auch bei der Verbrennung von Gas, Steinkohle und Mineralöl frei, und die Sicherheitsrisiken der Kernkraft werden heute von einem großen Teil der Menschen als unzulässig hoch bewertet. Daher ist mittel- und langfristig nicht nur eine Veränderung des Anteils verschiedener Energieträger an der Wärme-, Kraft- und Stromversorgung auf dem

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Gebiet der DDR, sondern eine Einsparung beim Energieverbrauch durchzusetzen. Dazu ist es zum einen erforderlich, die zentrale Lenkung der Energiewirtschaft durch einen Wettbewerb zwischen Verbundunternehmen sowie regionalen und kommunalen Energieversorgungs-unternehmen (EVU) zu ersetzen. Zum anderen müssen die Endverbraucher von Energie Sparanreize erhalten, was zunächst den Abbau der Subventionen für Energieträger erfordert. Die bereits erwähnte Enquete-Kommission hält es zum Beispiel für unvermeidlich, daß zur Sicherung der notwendigen Einsparungen das Preisniveau für Energie in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2005 zu verdoppeln ist. Auch von solchen Entwicklungen sind Preissignale für Energieträger in der DDR zu erwarten, wo bisher der private Energieverbraucher weniger für Strom, Kohle und Fernwärme zahlen muß, als die Bereitstellung der von ihm benötigen Energie gekostet hat.

Im folgenden soll zunächst dargestellt werden, welche Möglichkeiten im Prinzip bestehen, den Anteil der Braunkohle an der Energieversorgung der DDR zurückzudrängen und somit die Energiewirtschaft auf ein breiteres, und das heißt langfristig auf ein wirtschaftlicheres und zuverlässigeres Fundament zu stellen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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