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1. Braunkohlenwirtschaft - die Energieversorgung in der DDR heute

Die Energieversorgung der DDR stützt sich bisher vor allem auf die Nutzung einheimischer Braunkohlenvorkommen. So deckt die DDR ihren Bedarf an Primärenergieträgern, die wie Kohle, Erdgas, Kernenergie, Mineralöl und Wasserkraft am Anfang jeder Energieumsetzung stehen, zu rund siebzig Prozent mit eigener Braunkohle. Mineralöl, vor allem aus der Sowjetunion eingeführt, sowie Erdgas waren 1988 zu jeweils 9 bzw. 11 Prozent an der Sicherung des benötigten Bedarfs an Primärenergie beteiligt. Die übrigen zehn Prozent stellt die Energiewirtschaft durch den Einsatz von Kernenergie, Steinkohle und sonstige Energieträger, zum Beispiel Wasserkraft, bereit.

Ein Vergleich mit der Deckung des Primärenergiebedarfs in der Bundesrepublik unterstreicht den ungewöhnlich hohen Anteil des Energieträgers Braunkohle in der Energiebilanz der DDR. Die Bundesrepublik stützt sich bei ihrer Primärenergie-Versorgung vor allem auf das Mineralöl, das etwa 40 Prozent des Bedarfs deckt. Braunkohle, mit einem Anteil von acht Prozent im Jahre 1988, nimmt hinter der Steinkohle (rund 19 Prozent), dem Erdgas (16 Prozent) und der Kernenergie (12 Prozent) einen eher untergeordneten Rang ein.

Auch zur Bereitstellung von Elektroenergie greift man in der DDR im wesentlichen auf die Verfeuerung von Braunkohle zurück. Über achtzig Prozent der erzeugten Elektroenergie stammen aus Kraftwerken, die mit Braunkohle befeuert werden. Und schließlich ist Braunkohle, vor allem veredelt als Braunkohlenkoks- und -brikett, das am häufigsten verwendete Heizmaterial der Industrie, des Gewerbes, der kommunalen Einrichtungen und nicht zuletzt auch der Privathaushalte. So sind in der DDR zum Beispiel noch 60 Prozent der Wohnungen mit Einzelofen-Heizungen ausgestattet, die Kohle verbrennen. Neben geringen Mengen Steinkohle kommen dabei vor allem das aus Braunkohle produzierte Brikett sowie Braunkohlenkoks zum Einsatz.

Um die riesigen Mengen der benötigten Braunkohle zur Verfügung zu stellen, fördern die Tagebaue in der DDR jährlich über 300 Millionen Tonnen dieses fossilen Energieträgers. Der Braunkohlenabbau konzentriert sich vor allem im westelbischen Revier um Halle und Leipzig sowie im Lausitzer Revier um Senftenberg und Cottbus. Mit ihrer Förderleistung, die etwa ein knappes Drittel der weltweit im Jahr gewonnenen Braunkohlenmengen erreicht, liegt die DDR an

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der Spitze aller Braunkohlenproduzenten.

Einen Spitzenplatz nimmt die DDR derzeit auch beim Energieverbrauch ein, wenn man ihn in bezug zur Bevölkerungszahl und zur Wirtschaftsleistung setzt. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 7,8 Tonnen Steinkohleeinheiten liegt der Primärenergieverbrauch je Einwohner in der DDR um rund zwanzig Prozent höher als in der Bundesrepublik. Lediglich Kanada und die USA leisten sich einen noch größeren Energieumsatz als die Bevölkerung zwischen Oder und Elbe.

Allerdings, so betonen Energieexperten aus der DDR heute, wäre es falsch, diesen hohen Pro-Kopf-Verbrauch der DDR als Merkmal für ein zufriedenstellendes Niveau der Energieversorgung zu verstehen. Eine veraltete und energieaufwendige Produktionstechnologie, ein geringer Wirkungsgrad der Kraftwerke, hohe Netzverluste, mangelnde Sparanreize sowie das Übergewicht der energetisch minderwertigen Braunkohle haben dazu geführt, daß der Energieverbrauch übermäßig hoch ist, wenn man Qualität und Umfang der produzierten Waren und Dienstleistungen sowie das Konsumniveau der Bevölkerung berücksichtigt. Nach einer vorsichtigen Schätzung aus der Sektion Betriebswirtschaft der Technischen Hochschule Zittau ist die wirtschaftliche Produktivität je Einwohner in der Bundesrepublik mindestens doppelt so groß wie in der DDR. Hinzu kommt, daß die Deckung des Energiebedarfs in der DDR mit enormen Umweltbelastungen verbunden ist. So verunreinigen die Kraftwerke, die Industrieanlagen, der private Hausbrand und der Verkehr in der DDR die Luft mit jährlich über 5 Millionen Tonnen Schwefeldioxid, das vor allem bei der Verbrennung der schwefelhaltigen Braunkohle freigesetzt wird. In der bevölkerungsreicheren und wirtschaftlich weitaus produktiveren Bundesrepublik wird nur noch ein Viertel bis ein Fünftel dieser Schwefeldioxidmengen an die Luft abgegeben. Angesichts des weltweit drohenden Treibhauseffekts fällt zunehmend auch ins Gewicht, daß bei der Braunkohlenverbrennung je bereitgestellter Energieeinheit mehr von dem vermutlichen Treibhaus-Gas Kohlendioxid freigesetzt wird als bei der Verbrennung jedes anderen fossilen Brennstoffs. Und schließlich bringt der extensive Braunkohlenabbau enorme Eingriffe in ökologische Systeme sowie in gewachsene Siedlungsstrukturen mit sich.

Nicht zuletzt wegen dieser Umwelteffekte ist in der DDR ein Umbau der bisherigen Energieversorgung dringend geboten. Zwar herrscht heute noch

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Ungewißheit darüber wie sich der Primärenergieverbrauch der DDR in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. So rechnet zum Beispiel das Institut der deutschen Wirtschaft damit, daß nach Schaffung der Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein jährliches sechs- bis achtprozentiges Wirtschaftswachstum den Primärenergiebedarf auf dem Gebiet der DDR von derzeit 130 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (t SKE) bis 1995 auf 145 bis 150 Millionen t SKE ansteigen läßt. Dabei ist unterstellt, daß für ein Prozent Wirtschaftswachstum ein halbes Prozent Wachstum beim Energieverbrauch erforderlich ist. Dagegen hofft der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke, daß es gelingt, den Energiebedarf im nächsten Jahrzehnt nicht ansteigen zu lassen. Unstrittig ist jedoch, daß der zu erwartende wirtschaftliche Aufschwung, die Rationalisierung in der Produktion, die zunehmende Bedeutung der Veredelungsindustrie, die Ausweitung der Dienstleistungen, ein verbesserter Umweltschutz und nicht zuletzt die Erhöhung des Wohnkomforts und des Konsumniveaus der Bevölkerung einen Anstieg des Elektroenergiebedarfs mit sich bringen wird.

Ohne eine effiziente und ausreichende Deckung dieses Energiebedarfs lassen sich weder die Wachstumspotentiale der kommenden Jahre ausschöpfen noch ein effizienter Umweltschutz in der DDR finanzieren. Energieexperten der DDR sehen sogar die Gefahr, daß es ohne eine zuverlässige und kostengünstige Bereitstellung von Energie in Zukunft auch zu Abwanderungen der Wirtschaft aus dem Gebiet der DDR kommen könnte. Verläßlichkeit, Wirtschaftlichkeit und zunehmend auch Umweltverträglichkeit sind daher Gütekriterien, nach denen sich die Umgestaltung der Energieversorgung in der DDR richten muß. Dabei kommt, nach Auffassung von Vertretern der SPD der DDR, der Energiepolitik vor allem die Aufgabe zu, Akzente zu setzen

  • bei der Beurteilung der zukünftigen Rolle von Braunkohle, Kernenergie und regenerativen Energieträgern
  • für die Entwicklung effizienter Strategien der Energieeinsparung
  • für die Durchsetzung und Sicherung eines wirksamen Umweltschutzes.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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