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4. Qualifikation der Arbeitskräfte

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4.1. Anforderungen aus der Sicht der Industrie

Hermann Cordes, Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte GmbH, eröffnete seinen Vortrag mit einem Blick zurück auf die Entwicklung der Stahlindustrie in den letzten 30 Jahren. In diesem Zeitraum habe es gravierende Veränderungen gegeben, was die Qualifikation der Arbeitskräfte betreffe, und zwar nicht nur in der Stahlindustrie. Er bezeichnete diese Veränderungen als so gravierend, daß sie wohl nur vergleichbar seien mit dem, was zu Beginn der Industrialisierung auf die damals arbeitenden Menschen zugekommen sei.

Wenn in der Vergangenheit sehr deutlich unterstrichen der Satz gegolten habe: "Auf der Basis dessen, was Du in Deiner beruflichen Erstausbildung vermittelt bekommst, kannst Du Dein gesamtes Berufsleben gestalten", so sei dies heute absolut nicht mehr zutreffend. Heute könne man zunächst einmal als eine erste große Überschrift bezüglich der Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte den Satz: "Nichts ist so beständig wie der Wandel" festschreiben. Diese gelte ganz konkret bei der Betrachtung der Entwicklung in der Stahlbranche und in seinem Unternehmen, wo sich die Anforderungen an die Qualität der gewerblichen Arbeitnehmer rasant verändert hätten.

Der Facharbeiterbedarf seines Unternehmens zeige diese Veränderung sehr deutlich. Vor 30 Jahren habe der Anteil der Facharbeiter an den gewerblichen Arbeitnehmern etwa 20 vH betragen, und ihre Aufgabe habe sich im wesentlichen auf den Bereich Instandhaltung und Reparatur konzentriert. Die übrigen 80 vH der Mitarbeiter hätten damals entweder eine industrieferne oder gar keine berufliche Erstausbildung vorweisen können und seien in oft jahrelangen Anlemprozessen für ihre jeweilige, sehr eng ausgelegte Tätigkeit ausgebildet worden.

Diese Anteile hätten sich, berichtete Cordes, heute genau umgekehrt, im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmer würden 80 vH Facharbeiter beschäftigt. Diese müßten zunehmend flexibler und universeller einsetzbar sein. Es gebe in fast keinem Bereich mehr einen schmalen Tunnel, in dem sich die Arbeitnehmer mit ihrer Ausbildung bewegen und erfolgreich tätig sein könnten. Daraus könne man eine zweite Überschrift ableiten: "Wir fordern heute und für die Zukunft universell einsetzbare Mitarbeiter."

Mitarbeiter in seinem Unternehmen müßten nicht für eine bestimmte, sondern für eine Vielzahl von Tätigkeiten qualifiziert sein. Verantwortlich dafür sei die Technisierung und Rationalisierung, die mit Riesenschritten voranschreite. Die technischen Anlagen würden sich auch weiterhin sehr rasch gravierend verändern, und das gelte sicherlich nicht nur für ein voll integriertes Hüttenwerk, das man ja in Georgsmarienhütte zur Zeit noch habe. Das gestern Erlernte reiche damit heute und erst recht morgen nicht mehr aus. Es könne heute gar keine klare Trennung mehr

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zwischen Produzieren, Warten, Überwachen und Reparieren geben. Man müsse zunehmend von seinen Mitarbeitern die Fähigkeit fordern, alles dies ausfüllen zu können. Daraus entstünden zwangsläufig zusätzliche Anforderungen an die Qualifikation, führte Cordes aus.

In seinem Unternehmen arbeite man mit der methodischen Arbeitsunterweisung, mit dem Hilfsmittel der Personalentwicklungsplanung, um auch mit enger Personalbesetzung auf den einzelnen Schichten einen technisch gesicherten Produktionsablauf gewährleisten zu können. Aufgrund von Fehlquoten, verursacht durch Urlaub, Krankheit und Unfallgeschehen, komme es dazu, daß nicht jeder Mitarbeiter täglich an seinem Arbeitsplatz erscheine. Daher müßten die Mitarbeiter flexibel einsetzbar sein. Es müsse gewährleistet sein, daß Top-Positionen, die die Arbeitsabläufe einer Schichtmannschaft entscheiden, immer besetzt werden könnten. Die Mitarbeiter der Georgsmarienhütte müßten demnach neben der Qualifikation für ihren Stammarbeitsplatz so ausgebildet, geschult und weitergebildet sein, daß sie auch in angrenzenden Arbeitsbereichen vollwertig einsetzbar seien.

Für den Industriebereich seines Unternehmens hätten sich daher die Berufsbilder in den letzten Jahren gravierend geändert. Die früheren Berufe Maschinenschlosser, Elektriker und "Hüttenfacharbeiter", der vor etwa 20 Jahren als erster Ausbildungsberuf die früheren angelernten Tätigkeiten ablösen sollte, seien übergegangen in Berufsbilder, die in weitaus höherem Maße den Anforderungen gerecht würden, die die heutige Arbeitswelt stelle. Folgende Berufsbilder bezeichnete Cordes als für seine Branche ganz besonders wichtig:

  • Industriemechaniker (Fachrichtung Betriebstechnik),
  • Industriemechaniker (Fachrichtung Produktionstechnik),
  • Energieelektroniker,
  • Verfahrensmechaniker,
  • Zerspanungsmechaniker (verschiedene Fachrichtungen) und
  • Teilezurichter.

Junge Leute mit einer solchen Grundausbildung würden das Rüstzeug mitbringen, auch bei sich zeitlich sehr rasch ändernden Anforderungen im betrieblichen Alltag "ihren Mann zu stehen". Sie müßten allerdings darüber hinaus bereit sein, durch Weiterbildungsmaßnahmen, oftmals auch durch Umschulungsmaßnahmen, sich immer wieder auf den neuesten Stand der Technik ausbilden zu lassen.

Um zu verdeutlichen, daß seine Ausführungen keine leeren Worte seien, betonte Cordes, daß sein Unternehmen in den letzten drei Jahren trotz der allgemein bekannten angespannten Situation die Notwendigkeit gesehen habe, die Mitarbeiter weiterzubilden. Es sei statistisch ermittelt worden, daß in fast jedem dieser Jahre 50 vH der gesamten Belegschaft davon betroffen waren. In jedem Jahr hätten also die Hälfte der Belegschaftsmitglieder zusätzliche Kenntnisse erwerben müssen. Schwerpunkte bei diesen Weiterbildungsmaßnahmen sind nach Cordes Kurzlehrgänge, die sich beschäftigen mit:

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  • Hüttenwerkstechnik,
  • Steuerungstechnik,
  • Qualitätssicherung,
  • Ökologie (z.B. Effizienzsteigerung des Energieeinsatzes),
  • Entsorgungsproblematik,
  • Datenverarbeitung (z.B. DV-gestützte Prozeßsteuerung).

Als dritte Überschrift leitete Cordes dann aus seinen Ausführungen die Aussage ab: "Zukünftig wird sich in der beruflichen Erstausbildung die Ausbildung zum umfassender einsetzbaren Mitarbeiter fortsetzen". Man spräche in diesem Zusammenhang häufig von der Ausbildung zum Generalisten. Darüber hinaus müsse diese Überschrift aber auch beinhalten: "Gefragt sind zukünftig Facharbeiter, die gelernt haben, sich bei Bedarf stets neu zu spezialisieren."

Ein weiterer Schwerpunkt, der sich bei den Anforderungen an die zukünftige Qualifikation der Arbeitskräfte seines Unternehmens herauskristallisiere, laute: "Wir müssen die sogenannten Schlüsselqualifikationen fördern", d.h. wir müssen unsere Mitarbeiter gezielt aus- und weiterbilden in:

  • Kommunikationsfähigkeit,
  • Kreativität und
  • Verantwortungsbereitschaft.

Cordes kam anschließend noch einmal zurück auf seine Bemerkung: "Unser zukünftiger Mitarbeiter muß genereller einsetzbar sein". Er sei davon überzeugt, daß die Schnittstellenbereiche zwischen den heute noch getrennten Berufsfeldern im Elektro- und Metallbereich und der Hüttentechnik sich enorm vergrößern würden. Zukünftige Mitarbeiter benötigten neben ihrem fachspezifischen Wissen vermehrt Schnittstellenqualifikationen. Man müsse allgemein erkennen, daß es ein sehr starkes Miteinander zwischen Produktion und Instandhaltung gebe. Das gemeinsame Ziel bei diesen Aufgaben liege in der Gewährleistung des optimalen Produktionsprozesses durch die Sicherstellung der optimalen Funktionsweise der Anlagen zur Umsetzung der Qualitätsanforderungen der Kunden.

Konkret bedeute das für den Industriebereich seines Unternehmens, daß alle Mitarbeiter bereit und in der Lage sein müßten, kooperativ miteinander an die Bewältigung der Aufgaben heranzugehen. Verfahrensmechaniker, Industriemechaniker und Energieelektroniker müßten zukünftig selbständig miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten können. Von ihnen werde verlangt, daß sie die Wechselwirkungen zwischen Qualitätsanforderung, Technik und Arbeitsorganisation kennen. Das Unternehmen müsse erwarten, daß sie nicht nur vorgegebene Schritte zur Gestaltung von Arbeit und Technik umsetzen können, sondern daß sie auch in der Lage seien, hierzu Verbesserungsvorschläge einzubringen.

Er sei davon überzeugt, so Cordes, daß sein Unternehmen mit solchen Mitarbeitern auch am Standort Deutschland seine Zukunft gestalten könne. Man stelle sich damit

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hohe Aufgaben. Um die Voraussetzungen bei den Mitarbeitern zu erreichen, werde man immer wieder gemeinsam auch mit dem Fachpersonal für Aus- und Weiterbildung hinzulernen müssen. Daher laute seine vierte und letzte Überschrift: "Die richtige und erforderliche zukünftige Qualifikation unserer Mitarbeiter wird nur dann erreicht, wenn sich unser Personal für Aus- und Weiterbildung selbst immer wieder durch Weiterbildung auf den neuesten Stand bringt, wenn wir alle miteinander frühzeitig die künftig notwendigen Qualifikationen erkennen. "

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4.2. Der Standpunkt der berufsbildenden Schulen

Johannes Brockmeyer, Leiter der Berufsbildenden Schulen des Landkreises Osnabrück, referierte anschließend zum Thema "Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte aus der Sicht der Berufsbildenden Schulen".

Brockmeyer stellte zunächst seine Einrichtung vor, die mit zur Zeit etwa 4.500 Schülerinnen und Schülern zu den größten berufsbildenden Schulen im Land Niedersachsen zähle. Etwa 140 Lehrkräfte würden hier in den drei Berufsfeldern Metalltechnik, Elektrotechnik und Naturwissenschaften sowie einigen nicht zugeordneten Berufen wie Augenoptiker und Goldschmied unterrichten. Von den 4.500 Schülern befänden sich ca. 3.500 in einer beruflichen Erstausbildung, in Ausbildungsverhältnissen des Handwerks und der Industrie. Durch die Größe der Schule ergebe sich die Möglichkeit einer starken Spezialisierung und der Bildung jahrgangsweise gegliederter Fachklassen. Beinahe sämtliche handwerklichen und industriellen Metall- und Elektroberufe würden ausgebildet.

Neben der Teilzeitberufsschule gebe es etwa 1.000 Schüler in Vollzeitbildungsgängen, fuhr Brockmeyer fort. Neben dem freiwilligen Berufsgrundbildungsjahr führe die Schule eine fünfzügige Fachoberschule und ein Fachgymnasium-Technik mit den Klassen 11 bis 13. Ferner würden etwa 650 Schülerinnen und Schüler in der zweijährigen Fachschule-Technik auf die Staatliche Prüfung zum Techniker vorbereitet. Auch hier führe die Größe der Schule zur Möglichkeit der Differenzierung hinsichtlich der Fachrichtungen und Schwerpunkte. So biete man in der Fachrichtung Maschinenbautechnik die Schwerpunkte:

  • Konstruktionstechnik,
  • Betriebstechnik und
  • Automatisierungstechnik

an, in der Fachrichtung Elektrotechnik die Schwerpunkte:

  • Datenverarbeitungstechnik,
  • Energietechnik und
  • Prozeßautomatisierung.

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Bei der Technikerausbildung, die in Tages- und in Abendform angeboten werde, bestehe ab dem nächsten Schuljahr eine weitere Qualifikationsmöglichkeit hinsichtlich der Umweltschutztechnik und der Qualitätssicherung.

Weiterhin sei den Berufsbildenden Schulen ein Technisches Aus- und Weiterbildungszentrum (TAW) angeschlossen. Es basiere auf einem Vertrag zwischen dem Landkreis Osnabrück und der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland und könne als Motor der technischen Entwicklung in den Vollzeitschulformen und der beruflichen Erstausbildung bezeichnet werden, so Brockmeyer. In Abendkursen und an Samstagen erfolge ein breites Angebot an Weiterbildungs- und Anpassungsfortbildungslehrgängen. Als Dozenten seien hier Lehrkräfte der Schule und Fachkräfte der regionalen Industrie tätig.

Durch eine gemeinsame Nutzung könne die hochmoderne Ausstattung der Berufsbildenden Schulen und des Technischen Aus- und Weiterbildungszentrum effektiv genutzt werden, führte Brockmeyer aus. Die Ausstattung bestehe u.a. aus:

  • CNC-Drehmaschine,
  • CNC-Fräsmaschine,
  • CNC/CAD/CAM-Software,
  • Laborplätze Qualitätssicherung,
  • Pneumatik/Hydraulik,
  • Robotik,
  • SPS-Technik,
  • Mikrocomputertechnik,
  • Stromrichtertechnik,
  • moderne Antriebstechnik und
  • Telekommunikationstechnik.

Nach diesem Uberblick über die Bildungsgänge und die Ausstattung seiner Institution ging Brockmeyer auf ihren Bildungsauftrag ein. Dieser laute nach dem Niedersächsischem Schulgesetz wie folgt: "Die berufsbildende Schule vermittelt unter Einschluß einer breiten beruflichen Grundbildung eine fachliche und allgemeine Bildung unter Berücksichtigung der Berufsausbildung und Berufsausübung. Darüber hinaus kann die Berufsschule Aufgaben der beruflichen Fortbildung und beruflichen Umschulung übernehmen."

Dieser Bildungsauftrag sei umfassend und intendiere bewußt nicht eine Qualifikation für die berufliche Tätigkeit in einem bestimmten Betrieb oder Industriezweig, erläuterte Brochmeyer. Die berufsbildende Schule stelle somit keine Betriebsberufsschule dar, sondern habe zum Ziel, den jungen Menschen das notwendige Fachwissen und das methodische Instrumentarium zu vermitteln und damit Fachkräfte heranzubilden, die in einem bestimmten Berufsfeld vielseitig einsetzbar seien und berufliche Mobilität besäßen. Weiterhin umfasse der Bildungsauftrag zusätzlich die Vermittlung gesellschaftspolitischer Inhalte, ethischer,

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kultureller und religiöser Werte und weiterer extrafunktionaler Qualifikationen, die den jungen Menschen befähigten, sich im Berufsleben zu behaupten.

Die Veränderungen der Arbeitswelt wie lean production und neue Formen der Arbeitsorganisation stellten, so Brockmeyer weiter, besondere Anforderungen an die Beschäftigten in den hochtechnisierten Produktionsanlagen der Industrie sowie in den sich stetig verändernden Tätigkeitsfeldern auch handwerklicher Erwerbsarbeit.

Nach den Verordnungen über die Berufsausbildung in den handwerklichen und industriellen Elektro- und Metallberufen würden in der beruflichen Ausbildung neue Schlüsselqualifikationen angestrebt, berichtete Brockmeyer: Der Auszubildende solle zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt werden, die insbesondere selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren einschließe. Diese veränderten Anforderungen an die Qualifikationsstruktur des "neuen" Facharbeiters bzw. Gesellen würden damit zwangsläufig zur zentralen Leitlinie der didaktischen, aber auch methodischen Uberlegungen im Hinblick auf die Umsetzung der neuen Rahmenlehrpläne im dualen Ausbildungssystem.

Die Vermittlung einer beruflichen Handlungskompetenz stelle in der Berufspädagogik das oberste Ziel einer Berufsausbildung dar. Als Elemente dieser Handlungskompetenz nannte Brockmeyer:

  • Fachkompetenz,
  • Methodenkompetenz,
  • Sozialkompetenz und
  • Lernkompetenz.

Der Berufpädagoge Bader definiere berufliche Handlungskompetenz wie folgt: "Berufliche Handlungskompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen, in beruflichen Situationen sach- und fachgerecht, persönlich durchdacht und in gesellschaftlicher Verantwortung zu handeln, d.h. anstehende Probleme zielorientiert auf der Basis angeeigneter Handlungsschemata selbständig zu lösen, die gefundenen Lösungen zu bewerten und das Repertoire seiner Handlungsschemata weiter zu entwickeln." [Fn 1: Bader, R.: Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der Berufsschule, Dortmund 1990.]

Auch nach dem Verständnis der Wirtschaft solle Berufsausbildung künftig mehr sein als die Vorbereitung auf ein mehr oder weniger exakt beschriebenes Repertoire handwerklich-manueller Fertigkeiten, führte Brockmeyer weiter aus. Das Ziel betrieblicher Berufsausbildung solle sich nunmehr auch darauf erstrecken, die Persönlichkeit des Jugendlichen zu entwickeln und zu fördern. Insofern werde der von ihm eingangs formulierte Bildungsauftrag der Schule konkret. Streng berufsfachliche Qualifikationen sollten durch berufsübergreifende Qualifikationen ergänzt und zu einer höheren Qualität geführt werden.

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Anschließend diskutierte Brockmeyer die Konsequenzen aus den veränderten Qualifikationsanforderungen für die Lehrtätigkeit in der schulischen Berufsausbildung. Bei einer Analyse der tradierten Lehrmethoden in der Berufsschule werde offensichtlich, daß mit ihnen der formulierte Lehrauftrag nicht erfüllt werden könne. Vor dem Hintergrund zunehmender Stoffülle und dem damit verbundenen permanenten Zeitmangel sei die Schüleraktivität zurückgedrängt worden und eine lehrerzentrierte, lehrgangsorientierte "Beschulung des Auszubildenden" in den Vordergrund gelangt. Wenngleich in der heutigen Berufsschule sicherlich die Stoffvermittlung keinen Vorlesungscharakter habe, sondern die fragend-entwickelnde Methodik Priorität besitze, so würde auch diese Form der Unterrichtsgestaltung den neuen Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte der Wirtschaft nicht gerecht.

Es müsse daher die Frage gestellt werden, wie denn die Vermittlung von "Schlüsselqualifikationen" erfolgen könne, ohne daß die zweifellos notwendige Vermittlung von Fachkompetenz vernachlässigt werde. Seines Erachtens müßten dazu im Unterricht Konzeptionen Anwendung finden, die bei allem Stoffdruck wieder grundsätzlich die Schüleraktivität anregen und intensivieren, wie zum Beispiel:

  • Experimentalunterricht als eine Methode des handlungsorientierten Unterrichts,
  • projektorientierte Unterrichtsgestaltung,
  • fächerübergreifender Unterricht,

nicht jedoch der Frontalunterricht. Der didaktische Wert von Schülerexperimenten sei grundsätzlich unbestritten, ein handlungsorientierter Unterricht in gewerblichtechnischen Berufen bedinge allerdings das Vorhandensein einer modernsten Ausstattung, die den betrieblichen Anforderungen und der Berufsrealität entspreche. Insofern müßten hier nach Möglichkeit Versuchsgeräte und Einrichtungen mit Industriestandard und größtmöglichem Praxisbezug Anwendung finden.

Die Umsetzung der Neuordnung der Metall- und Elektroberufe im schulischen Bereich der dualen Ausbildung sei jedoch prozeßartig zu verstehen. Tradierte Ausbildungsmethoden könnten nur schrittweise zurückgedrängt werden und durch projekt- und handlungsorientiertes Unterrichten abgelöst werden. Wie er bereits ausgeführt habe, bedinge dieser Ansatz jedoch eine hochinnovative Ausstattung, die kontinuierlich den Anforderungen der betrieblichen Praxis anzupassen sei. Die enormen finanziellen Anstrengungen, die dabei die Schulträger gerade im gewerblich-technischen Bereich auf sich nehmen müßten, halte er für sinnvoll. Solche Ausgaben stellten Investitionen für die Region dar, deren Ertrag bekanntermaßen erst mittel- bzw. langfristig wirksam werde.

Neben der materiellen Ausstattung berufsbildender Schulen sei selbstverständlich -genau wie in den Betrieben - eine adäquate personelle Besetzung von besonderer Relevanz. Gerade in den Berufsfeldern Metall- und Elektrotechnik bestehe zur Zeit noch ein erheblicher Lehrernachwuchsmangel. Es würden junge Lehrkräfte benötigt, die ihrerseits über die genannten Schlüsselqualifikationen verfügten, die sie vermitteln sollten, und die deshalb nach Möglichkeit selbst eine betriebliche Ausbildung

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durchlaufen hätten. In diesem Zusammenhang sei die Wiedereröffnung der Fachseminare Metall- und Elektrotechnik im Studienseminar für das Gewerbelehramt in Osnabrück ermutigend. Zugleich sei eine kontinuierliche Lehrerfortbildung zwingend notwendig. Auch hierbei sollte aus seiner Sicht eine Zusammenarbeit mit Ausbildungsbetrieben erfolgen, damit die Berücksichtigung des Praxisbezugs und des Technikstandards zur Leitlinie der technischen Ausbildung von Lehrkräften werde.

Zusammenfassend könne man feststellen, daß geänderte Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte einer systematischen Anpassung der schulischen Curricula, aber auch einer Veränderung der Methoden der Stoffvermittlung bedürften. Die Lehrkräfte der berufsbildenden Schulen hätten sich dieser großen Herausforderung gestellt, und das Land Niedersachsen habe im Rahmen der Neuordnung der Berufe eine Lehrerausbildungsoffensive in regionalen Computerzentren gestartet. Diese sei durch ein Modell schulinterner Lehrerfortbildungskurse abgelöst worden, die zunächst das Ziel hatten, Berufpädagogen mit den neuen Technologien vertraut zu machen. Wenngleich die technische Entwicklung fortschreite, so dürften die didaktischen Problemen z.B. in der Mikrocomputertechnik, der CNC- und CAD-Technik, nicht mehr im Vordergrund stehen. Der zweite Schritt sei jedoch die Anpassung der methodischen Ausgestaltung des Unterrichts. So wie in den Betrieben seien die Methoden der Stoffvermittlung auch in den berufsbildenden Schulen nur prozeßartig veränderbar.

Sorge bereite den berufsbildenden Schulen, so Brockmeyer, die auseinandergehende Schere der an die Schüler gestellten Anforderungen auf der einen und des sinkenden Leistungsniveaus der Ausbildungsanfänger auf der anderen Seite. In der Folge gebe es eine erhebliche Anzahl von Ausbildungsabbrechern und hohe Durchfallquoten, z.B. in den Handwerksberufen. In diesem Zusammenhang biete die Einführung des zweiten Berufsschultages die Chance, Defizite durch Förderunterricht abzufangen sowie Übungs- und Vertiefungsphasen zu intensivieren.

Zugleich habe die Schulgesetznovelle einen weiteren Schritt zur Anerkennung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung vollzogen. Die von ihm eingangs genannten Möglichkeiten zur Erlangung weiterer schulischer Abschlüsse im Rahmen der Erstausbildung stellten einen weiteren Beitrag zur Umsetzung der Durchlässigkeit des gesamten Bildungswesens dar.

Es sei mehrfach ausgeführt worden, daß ein lebenslanges Lernen der Arbeitskräfte notwendig sei, um die Mobilität in einer sich verändernden Erwerbsarbeit zu erhalten. In diesem Zusammenhang komme den Umschulungs- und Weiterbildungseinrichtungen gerade in der industriell geprägten Region Osnabrück eine besondere Bedeutung zu. Die Berufsbildenden Schulen des Landkreises Osnabrück böten in diesem Zusammenhang eine Fülle von Weiterbildungsmöglichkeiten und würden auch weiterhin ihr Bildungsangebot den veränderten Anforderungsprofilen der regionalen Wirtschaft anpassen. Im Rahmen des Technischen Aus- und Weiterbildungszentrums würden gegenwärtig z.B. durch

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Kursangebote in den Bereichen Umweltschutztechnik und Qualitätssicherung die Angebote den veränderten Anforderungen angepaßt. Insofern messe man den intensiven Kontakten mit der regionalen Industrie eine ganz besondere Bedeutung bei.

Mit seinen abschließenden Worten forderte Brockmeyer die Anwesenden dazu auf, darüber nachzudenken, wie bei knapper werdenden Finanzmitteln Ausstattungen der verschiedenen Lernorte gemeinsam im Sinne einer hochqualifizierten Berufsausbildung der Fachkräfte genutzt werden könnten. Er sei der Überzeugung, daß in dieser Hinsicht die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Partnern des dualen Ausbildungssystems bei weitem nicht ausgeschöpft seien. Das duale Ausbildungssystem Deutschlands sei weltweit anerkannt, es komme in den nächsten Jahren darauf an, dieses System zu stabilisieren und weiter zu entwickeln.

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4.3. Diskussionsbeiträge

Eine Frage zum Thema Elitebildung richtete im Verlauf der sich anschließenden Diskussion Frau Dr. Lange-Quassowski insbesondere an Herrn Cordes. Sie habe Probleme, die von Cordes und Brockmeyer geforderte Qualifikation der Arbeitskräfte, die breit sein müßte, die nicht nur Fachkompetenz, sondern auch soziale Kompetenz und ständige Lernkompetenz beinhalten müßte, in Einklang zu bringen mit der aktuellen bildungspolitischen Diskussion, in der davon gesprochen werde, man müsse wieder mehr Eliten haben und die Schulzeit verkürzen.

Cordes antwortete hierauf, daß man seines Erachtens bei der Erstausbildung wie auch bei der Aus- und Weiterbildung im gewerblich-technischen Bereich kein Schulsystem verfolgen sollte, das Eliten bildet. Er plädierte für einen soliden, breiten Sockel an Grundschul-, Hauptschul- und auch noch Realschulausbildung, mit der junge Leute zu ihnen kommen sollten, um dann ohne Probleme in eine Ausbildung hineinfinden zu können.

Mehrere Diskussionsbeiträge betrafen den zweiten Berufsschultag. Zunächst berichtete Herr Czekalla, man habe festgestellt, daß die vom Arbeitsamt angebotenen ausbildungsbegleitenden Hilfen verstärkt notwendig seien. Er fragte Brockmeyer, ob die in seinem Vortrag vertretene Ansicht, die Berufsschule könne mit dem zweiten Berufsbildungstag auch diese Aufgabe erledigen, nicht zu optimistisch sei. Brockmeyer beantwortete diese Frage mit einem eindeutigen Nein. Der zweite Berufsschultag biete eine hervorragende Möglichkeit, durch die erweitete Stundentafel gerade leistungsschwächeren Jugendlichen entgegenzukommen. Im Rahmen von Förderunterricht und Unterricht im Wahlpflichtbereich könne eine individuelle Betreuung in Kleingruppen erfolgen, so daß hier sehr gute Möglichkeiten bestünden, den Bereich, der bisher durch die ausbildungsbegleitenden Hilfen abgedeckt worden sei, mit aufzufangen.

Hartmut Riemann von der IG Metall bezeichnete es als erfreulich, daß Brockmeyer so klar für den zweiten Berufsschultag Position bezogen habe, denn die Qualität der

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Berufsausbildung sei nicht in allen Betrieben einheitlich. In der Georgsmarienhütte gebe es sicherlich eine erstklassige Ausbildung, aber in anderen Betrieben sei das nicht so, und insbesondere im Handwerk gebe es noch ziemlich viele schwarze Schafe. Es bestehe daher ein starkes Gefälle bei der Umsetzung der angesprochenen Neuordnung der Metall- und Elektroberufe, so daß viele der genannten neuen Betätigungsfelder in den Betrieben kaum umgesetzt worden seien.

In mehreren Diskussionsbeiträgen wurde betont, daß der Stellenwert der beruflichen Bildung erhöht werden müsse, um ihre Attraktivität für Jugendliche zu erhöhen. Riemann sah hier auch eine Aufgabe der Tarifpartner. Das von Herrn Brockmeyer angedeutete Modell entspreche oft nicht der betrieblichen Wirklichkeit. Wenn heute ein Jugendlicher z.B. Industriemechaniker oder Werkzeugmechaniker lerne, sei er mit etwa 21 Jahren ausgelernt und schon mit vielleicht 27 Jahren als gewerblicher Arbeitnehmer am Ende seiner Karriere, weil alle Plätze innerhalb des Unternehmens besetzt seien.

Cordes antwortete hierauf, das solche Perspektiven natürlich problematisch seien. Wenn man sich aber wie z.B. in Georgsmarienhütte in einem schrumpfenden Unternehmen bewege, müsse es eine Abrede sein, daß die jungen Leute Geduld hätten, bis sie in Top-Positionen im Produktionsablauf hineinkämen.

In einem Appell an die regionale Wirtschaft nannte Riemann Zahlen über die Aussichten auf eine Übernahme nach der Lehre in der Metall- und Elektroindustrie, die im Januar nach den Abschlußprüfungen erhoben worden seien. Von knapp 250 Jugendlichen seien 32 nach der Berufsausbildung unbefristet und gut 60 befristet übernommen worden. Man wisse jetzt, daß von letzteren noch einmal 20 unbefristet übernommen würden. Unter dem Strich würden also 50 von 250 Jugendlichen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen, und der Rest gehe in die Arbeitslosigkeit. Solche Fakten stellten wahrhaftig keinen Anreiz für eine Berufsausbildung dar. Hierüber müsse man diskutieren, sonst habe sich das hochgelobte duale System selbst erledigt.

Cordes bezeichnete daraufhin die Übernahme als etwas, was man natürlich einem jungen Menschen als Perspektive anbieten müsse. Man müsse auch in einem Unternehmen mit schrumpfender Belegschaft Wert darauf legen, gut ausgebildetes Personal nach der Lehre zu übernehmen, sonst schaffe man sich eine ungesunde Alterspyramide. In Georgsmarienhütte seinen in den letzten 25 Jahren fast 5.000 Arbeitsplätze abgebaut worden, man habe aber trotzdem in dieser Zeit insgesamt nur an drei Terminen nicht übernommen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

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