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Werner, August (1863 - )

Geboren am 20. Februar 1863 in Storkow als Sohn eines Arbeiters, protestantisch. Erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Müllers in der Nähe seiner Geburtsstadt. Siedelte in den frühen achtziger Jahre nach Berlin über. Arbeitete zunächst in verschiedenen Konditoreien als Hausdiener, später als Handelshilfsarbeiter in mehreren, großen Kaufhäusern. Seit 1886 Mitglied des im Juli 1886 gegründeten "Unterstützungsbundes der Hausdiener Berlins", einer Lokalorganisation, die sich der modernen Arbeiterbewegung verpflichtet fühlte. Zum 1. Januar 1892 fusionierte der "Unterstützungsbund der Hausdiener Berlins" mit dem "Zentralverein der Haus- und Geschäftsdiener" zum "Verband der Geschäftsdiener, Packer und Berufsgenossen". Auf der 1. Generalversammlung am 29. Januar 1892 zum Revisor gewählt. Am 2. Februar 1892 von seinen Berufskollegen in die Preßkommission der "Einigkeit. Organ für die Gesamtinteressen der Haus- und Geschäftsdiener, Portiers sowie deren Berufsgenossen" entsandt. Ein Blatt, das von 1889 bis September 1892 mit wechselnden Untertiteln den gewerkschaftlich orientierten Handelshilfsarbeitern eine Stimme gab. Seit 1896 Obmann der Schiedskommission des Verbandes.

Im Berliner Kampf der "Zentralisten" und "Lokalisten" stellte sich Werner von Anfang an auf die Seite der Anhänger der gewerkschaftlichen Zentralisation der organisierten Handelshilfs-, Transport- und Verkehrsarbeiter. Mitglied im "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter", der auf einem Berufskongreß vom 25. bis 27. Dezember 1896 in Altenburg aus der Taufe gehoben wurde und am 1. Januar 1897 in Berlin seine Tätigkeit aufnahm. Werners spezifische Interessen galten der Sicherung der Berufskollegen im Krankheitsfalle und der Pflege eines funktionstüchtigen Arbeitsnachweises in der Reichshauptstadt. Seit 1897 Vorstandsmitglied der "Ortskrankenkasse der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker"; einer der größten Ortskrankenkassen im Deutschen Reich. Von [1899] bis 1902 Vorsitzender seiner Ortskrankenkasse. Blieb der Krankenkasse und den Nachfolgeorganisationen (Allgemeine Ortskrankenkasse der Stadt Berlin) als Revisor bis weit in die Weimarer Republik hinein verbunden. Werners Einfluß in Berlin beruhte im wesentlichen auf seinem guten Ruf als Interessenvertreter in den Selbstverwaltungsorganen der Handelshilfsarbeiter. Im Januar 1899 vom Zentralvorstand zum hauptamtlichen Kassierer für die Ortsgruppe Berlin ernannt, trat das Amt am 19. Februar 1899 an. 1900 vereinigten sich die "Zentralisten" und "Lokalisten" zu einer gemeinsamen Gewerkschaftsorganisation; auf der Berliner Vereinigungsversammlung als Schriftführer in den Berliner Vorstand gewählt.

Als besoldeter Funktionär der Berliner Ortsverwaltung künftig für den Aufbau des verbandseigenen Arbeitsnachweises zuständig. Die Arbeitsnachweise der Lokalorganisationen bildeten seit den achtziger Jahren das organisatorische Rückgrat der Verbände in den Handelsmetropolen. Werner professionalisierte den Arbeitsnachweis, schuf Aufenthaltsräume und setzte früh das Telephon ein. 1900 meldeten sich 1.806 Kollegen als stellungslos, 1.029 konnten in neue Stellungen vermittelt werden. Die große Akzeptanz der gewerkschaftseigenen Arbeitsvermittlung durch die Berliner Unternehmer verhinderte die Einführung von Arbeitgebernachweisen mit allen drakonischen Konsequenzen (schwarze Listen etc.). Teilnehmer auf allen Verbandstagen von 1901 bis 1928. Im Januar 1902 zum 1. Bevollmächtigten der freigewerkschaftlichen Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Berlins gewählt; binnen eines Jahres straffte Werner die Ortsverwaltung in einen "engen" und "erweiterten" Vorstand, wobei der erweiterte Vorstand weiterhin Entscheidungsbefugnis über agitatorische Fragen und geplante Lohnbewegungen behielt. Nach seiner Wahl stand Werner an der Spitze einer Organisation, die in einer der größten Dienstleistungsmetropolen Europas vom ungeheueren Aufschwung des Gewerbes und dem Anschwellen der Mitgliederzahlen profitierte (1906: 36.046 Mitglieder). Die gewerkschaftliche Entwicklung im kaiserlichen Berlin hatte weitgehend Vorbildcharakter und strahlte auf das Reich aus. 1903 gelang es, die ersten tariflichen Regelungen in Berliner Warenhäusern herbeizuführen und die Arbeitszeit auf 10 Stunden täglich festzuschreiben.

1904 streikten die Müll- und Mehlkutscher erfolgreich: von den ersten, tariflichen Regelungen profitierten die Rollkutscher und Speditionsarbeiter. Mit Hilfe seiner Mitarbeiter gelang es August Werner, die Berliner Verwaltungsstelle zu einer mustergültigen Interessenvertretung auszubauen. Basis der Organisation bildeten 1.200 Funktionäre (Bezirksführer), die alle 14 Tage die Beiträge kassierten und das Verbandsorgan ("Courier") verteilten. Ins nationale Rampenlicht geriet August Werner mit seiner Organisation durch den Lohnstreik von 141 Transportarbeitern, Kohlenträgern und Kutschern, aus dem einer der größten Polizeiskandale im Wilhelminischen Deutschland ("Moabiter Unruhen") erwuchs. Die Kündigung des Tarifvertrages der Kohleträger (Forderung: 50 Pfennig statt 43 Pfennig Stundenlohn) und die geforderte Anhebung des Wochenlohns der Kutscher (von 30 Mark auf 33 Mark) in einer Berliner Kohlehandlung eskalierte im September 1910 zu gewaltigen, bewaffneten, staatlichen Streikbrecheraktionen, die die Hauptstadt erschütterten. Zu Beginn des Jahres 1912 gelang es August Werner persönlich, in der Kohlenbranche - diesmal weniger spektakulär - allgemeinverbindliche Tarifverträge abzuschließen. Damit glückte der Gewerkschaft in einem rückständigen Bereich die übefällige "Modernisierung" der Arbeitsbeziehungen. Gewerkschaftspolitisch stand August Werners Name für den Konzentrationsprozeß in Berlin: 1902 schloß sich der bestehende Lokalverein der Mineralwasserarbeiter an, im gleichen Jahr der "klassenbewußte" Verein der Leitergerüstbauer. 1906 fand der gewerkschaftliche Konzentrationsprozeß mit dem Anschluß zweier traditionsreicher Vereine ("Verein der Berliner Hausdiener" und "Verein Berliner Droschkenkutscher") seinen Abschluß. Von 1905 bis 1906 vertrat August Werner Arbeitnehmerinteressen als Ausschußmitglied der Landesversicherungsanstalt. 1907 vergebliche Kandidatur für den Ausschuß der Berliner Gewerkschaftskommission. Am 19. Oktober 1909 endgültig in die Exekutive der Berliner Gewerkschaftskommission gewählt. Um dem Anschluß weiterer Berufsgruppen und dem Zustrom neuer Mitglieder Herr zu werden, gründeten in Berlin die Verantwortlichen im Zentralverband 4 eigene Sektionen (mit eigenen Sektionsleitungen), ohne daß eine geregelte Kassierung und die Verteilung des Verbandsorgans gewährleistet blieb. August Werner drängte im Verbandsvorstand nachdrücklich auf eine organisatorische Reform der Berliner Strukturen. Die 5. Generalversammlung des "Zentralverbandes der Handels-, Transport-, Verkehrsarbeiter und -Arbeiterinnen Deutschlands" vom 20. bis 25. Mai 1907 im Gewerkschaftshaus zu Berlin trug seinen Reformvorstellungen weitgehend Rechnung. Unter Werners Vorsitz beschloß der Verbandstag, die Verwaltungsstellen Berlins und Umgebung aus dem Gau 3 (Provinz Brandenburg) auszugliedern. Sie bildeten künftig einen besonderen Gau unter der Bezeichnung Bezirk Groß-Berlin. Als Bezirksleiter wurde August Werner vom Zentralvorstand bestimmt. Als neuer Bezirksleiter stand Werner seitdem im Solde des Zentralvorstandes.

Politisch unterstützte der Sozialdemokrat Werner 1908 die großen Massendemonstrationen zugunsten des gleichen Wahlrechts ("Wir brauchen hier keine große Reden halten. Der Wahlrechtskampf ist eingeleitet und wir müssen denselben durchhalten.") Innerhalb der Sozialdemokratie neigte der Handelshilfsarbeiter zum gemäßigten "rechten" Flügel der Partei. Am 16. Juni 1910 zum Berliner Vorsitzenden der "Fakultativen Rechtsschutz- und Haftpflicht-Unterstützung" (Fakulta) gewählt. 1910, nach dem Anschluß der freigewerkschaftlichen Hafenarbeiter und Seeleute an den "Deutschen Transportarbeiter-Verband" (Verbandsname ab 1907), stand Werner in Berlin einem modernen Industrieverband vor: 308 Berliner Hafenarbeiter schlossen sich seiner Organisation an. Delegierter auf dem 8. Kongreß der "Internationalen Transportarbeiter-Föderation" (ITF) vom 26. bis 30. August 1913 in London. Wandte sich gegen eine Resolution des niederländischen Seemannsbundes zur Ausrufung des Massenstreiks bei Kriegsbeginn und verwies auf den Beschluß der Sozialistischen Internationale 1907 in Stuttgart, der alle Mittel zur Kriegsvermeidung guthieß. August Werner sollte eigentlich bereits auf dem 9. Verbandstag vom 7. bis 13. Juni 1914 in Köln die Kassengeschäfte des Verbandes übernehmen; der langjährige Kassierer Carl Kaßler bekam indes noch ein weiteres Mandat für das Kassiereramt. Am 19. September 1915 teilte der Verbandsvorsitzende Oswald Schumann auf der Konferenz der Orts- und Gauvorsitzenden eine Veränderung im Verbandsvorstand mit: Ausschuß und Vorstand hatten August Werner zwischenzeitlich in den Verbandsvorstand kooptiert, um interimistisch die Kassengeschäfte zu übernehmen. Der Beschluß blieb allerdings Makulatur, weil der Berliner Gauvorsitzende beide Ämter nicht gleichzeitig ausfüllen konnte. Im vorletzten Kriegsjahr überführte Werner den gewerkschaftseigenen Arbeitsnachweis in den Aufgabenbereich der Stadt Berlin (1. April 1917). Mit der Errichtung eines paritätischen, kommunalen Arbeitsnachweises erfüllte sich - wenn auch unter dem Diktat des Krieges - eine alte gewerkschaftliche Forderung.

Während des Weltkrieges unterstützte Werner vorbehaltlos die Kriegspolitik der freien Gewerkschaften. Auf der sich mehrere Wochen hinziehenden Generalversammlung im April und Mai 1919 von der Mehrheit der ehemaligen Kriegsopposition im Verband nicht mehr zum Bezirksvorsitzenden gewählt. Eine Entscheidung, die vom Verbandsvorstand aus juristischen Gründen nicht akzeptiert wurde, da Werner als Angestellter des Gesamtverbandes nicht der örtlichen Generalversammlung unterstand. Eine Beschwerde der neuen Leitung beim Verbandsausschuß, auf einer Versammlung am 6. Juni 1919 von der Mehrheit der USPD- und KPD-Anhänger beschlossen, blieb erfolglos. Das höchste, gewerkschaftliche Kontrollgremium stellte sich auf die Seite des Verbandsvorstandes. Die Beschwerdekommission auf dem 10. Verbandstag vom 22. bis 27. Juni 1919 in Stuttgart stützte ebenfalls uneingeschränkt die Position der Verbandsspitze, wobei die innergewerkschaftliche Opposition stets Werners Integrität bestätigte ("Werner hat [...] immer seinen Mann gestanden"). Auf dem Stuttgarter Verbandstag als Hauptkassierer in den Vorstand gewählt. Das neue Amt übte der ehemalige Berliner Vorsitzende nicht lange aus, zu groß waren die Verwaltungsaufgaben in der anschwellenden Organisation. An Werners Stelle verwaltete Richard Nürnberg Ende 1919 die Hauptkasse. Der Interimskassierer widmete sich seit 1920 restlos der inneren Organisation. Die Verabschiedung des nationalen Arbeitsnachweisgesetzes brachte im Berliner Arbeitsnachweiswesen einschneidende Veränderungen. An der Spitze der Arbeitsverwaltung stand künftig das Landesarbeitsamt. Seit 1922 fungierte Werner als Mitglied des Verwaltungsausschusses in seinem ureigenen Metier. Vom 1. Januar 1926 bis zum 31. Dezember 1929 Wiederwahl als einer von 10 Arbeitnehmervertretern in das Aufsichtsgremium. Vorsitzender des Kassenprüfungsauschusses des Landesarbeitsamts. Nach der Novemberrevolution Beisitzer am Gewerbegericht. Seit dem 30. Juni 1920 als Arbeitnehmervertreter des Handels Mitglied des vorläufigen Reichswirtschaftsrat.

Innerverbandlich stemmte sich Werner mit Macht dagegen, tarifpolitisch den errungenen Achtstundentag in Frage zu stellen, für ihn die zentrale Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung. ("Tarife, die den Achtstundentag nicht respektieren, kann die Organisation unter keinen Umständen akzeptieren. Das gilt auch für Transport- und Verkehrsbetriebe.") Auf dem 11. Verbandstag vom 3. bis 8. September 1922 in Berlin zum 3. Vorsitzenden des Verbandes gewählt (ab 1923: "Deutscher Verkehrsbund"). Der 3. Verbandstag des "Zentralverbandes der Hausangestellten Deutschlands" vom 10. bis 11. Februar 1923 besiegelte mit 22 : 3 Delegiertenstimmen das Ende der kleinen Gewerkschaft. In Absprache mit der Spitze des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes übernahm der "Deutsche Verkehrsbund" die verschuldete Organisation, der man ein hohes Maß an Autonomie zustand. Seit dem 1. März 1923 fungierte Werner als neuer Reichsgruppenleiter der Sparte, die gleichermaßen die Interessen der Angestellten der Wach- und Schließgesellschaften, der Privatwächter, Fahrstuhlführer und Hausmeister, Hausreinigerinnen, Wasch- und Reinemachefrauen in Büro- und Privathäusern vertrat. Der Mantel der neugeschaffenen Fachgruppe umhüllte auch den 1919 beigetretenen teilautonomen "Deutschen Portierverband". (Im Mai 1924 25.533 Mitglieder in 88 Orten.) Seit dem 3. Mai 1924 verantwortlicher Redakteur der wiederbelebten "Hausangestellten-Zeitung". Als Fachgruppenleiter arbeitete Werner mit den "klassischen", gewerkschaftlichen Mitteln in einer nur schwer zu organisierenden Berufsgruppe: statistische Erhebungen über Arbeitszeit und Arbeitslöhne, Gesetzentwürfe über die Beschäftigung in der Hauswirtschaft in enger Kooperation mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Petitionen an den Reichstag. Werner wurde als eingesetzter Fachgruppenleiter (kein Wahlamt) nach der 1. Reichskonferenz vom 28. bis 29. Juni 1925 und der 2. Reichskonferenz am 11. März 1928 von der Verbandsleitung jeweils bestätigt. Erfolge konnte er durch Gewinnung des "Verbandes der Portiers Dresden", des "Verbandes der Hausmeister und Portiers Leipzig" und des alten "Berliner Portiersverbandes" verzeichnen.

Wiederwahl als stellvertretender Vorsitzender auf dem 12. Bundestag vom 16. bis 21. August 1925 in München. Engagierte sich auf ADGB-Ebene bei den Beratungen für ein neues Berufsausbildungsgesetz. 1928 stellte sich Werner nicht mehr zur Wahl. Trat am 1. Oktober 1929 auf eigenem Wunsch - von der Verbandsspitze hoch geehrt - in den Ruhestand, behielt jedoch seine übrigen Ehrenämter. Sprach sich 1930 als Revisor der Allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin dagegen aus, die Lasten auf den Rücken der Versicherten abzuwälzen. August Werner lebte 1933 als Rentner in Berlin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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