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TEILDOKUMENT:




1917

1. Januar 1917

Zwischen dem Lederarbeiterverband und dem Verband der Lederhandschuhfabrikanten tritt eine Vereinbarung in Kraft, deren Zweck in der Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Unternehmer und Arbeiter der Lederhandschuhindustrie besteht.

6. Januar 1917

Das "Correspondenzblatt" schreibt in seinem "Rückblick auf das Jahr 1916":
"Doch ist die Lage für die Angehörigen der Mittelmächte nicht schlimmer geworden, denn die Fronten in Westen und Osten haben sich bewährt, die Massenangriffe der Gegner haben sich in ungeheuren Opfern verblutet, und der lang vorbereitete Ueberfall Rumäniens auf Oesterreich-Ungarn hat zu raschem Zusammenbruch und Unschädlichmachung dieses zehnten Gegners geführt. ... Damit steht das große Friedenssehnen nicht im Widerspruch, das die Besten aller Völker von Tag zu Tag immer mächtiger erfaßt und dem Deutschland durch sein Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 Ausdruck gab. Nicht Kriegsmüdigkeit im Sinne der Unfähigkeit zu längerem Widerstand sprach daraus, sondern das Bewußtsein der Unbesiegbarkeit, gepaart mit der Erkenntnis, daß es genug sei der gegenseitigen Vernichtung und daß eine längere Dauer des Krieges an diesem Stand der Dinge nichts ändern könne. Es offenbarte zugleich, daß Deutschland in Wahrheit nur für die Verteidigung seiner Grenzen zu den Waffen gegriffen hat und sich noch heute in der Abwehr befindet, daß die Vertreter annexionistischer Kriegsziele im gegnerischen Lager stehen. Wäre es ihnen lediglich um die Räumung besetzter Gebiete zu tun, so brauchten sie den Friedensverhandlungen nicht auszuweichen. Aber ihre Kriegsziele sind auf die Eroberung fremder Gebietsteile gerichtet, und da ihre Waffen hierfür seither nicht erfolgreich waren, so wollen sie den Krieg fortsetzen bis zur Erschöpfung. Erschöpfen wollen sie das deutsche Volk und seine Verbündeten, das aber dank seiner hochentwickelten Kriegswirtschaft diesen Angriffen widerstanden hat und auch ferner widerstehen wird."

16. Januar 1917

Die Generalkommission und die Vorstände von fünf Gewerkschaften versichern dem Reichskanzler, daß sie nach der Ablehnung des deutschen Friedensangebots vom 12. Dezember 1916 seitens der Entente noch fester hinter der Regierung stehen und alle Kräfte "in dem Kampf um die Existenz des Landes" einsetzen werden.

18. Januar 1917

Der Parteiausschuß beschließt die organisatorische Trennung der sozialdemokratischen Mehrheit von der Minderheit mit 29 gegen 10 Stimmen.

1. Februar 1917

Deutschland eröffnet den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Alle Schiffe in einem vom deutschen Admiralstab festgelegten Seegebiet um England und Frankreich sind durch warnungslose Torpedierung bedroht. Die Regierung der USA antwortet am 3. Februar mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und der Androhung der Kriegserklärung an Deutschland.

14. Februar 1917

Im preußischen Abgeordnetenhaus wird die Reform des Wahlrechts während des Krieges abgelehnt. Der konservative Sprecher erklärt, die Konservativen würden an einer Reform nach dem Kriege mitarbeiten, vorausgesetzt, daß der Grundsatz "Wahlrecht nach Leistung" Berücksichtigung finde.

16./22. Februar 1917

In Bergwerken und Metallbetrieben des Ruhrgebietes kommt es zu Streiks.

21. Februar 1917

Die Generalkommission, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften, der Verband der Gewerkvereine, die Polnische Berufsvereinigung, die Arbeitsgemeinschaft für das einheitliche Angestelltenrecht und die Arbeitsgemeinschaft der technischen Verbände protestieren in Eingaben an den Reichskanzler und das Kriegsernährungsamt gegen die völlig unbefriedigende Regelung der Ernährungsverhältnisse während der Kriegszeit. Sie erkennen die Ursachen nicht nur in der Knappheit der Lebensmittel, sondern auch im Mangel einer strengen Durchführung gerechter Verteilung der vorhandenen Vorräte.

23. Februar 1917

Die Fraktion der Mehrheitssozialdemokraten stimmt der Vorlage für Kriegskredite zu. F. Ebert erklärt, "solange die Eroberungsziele der Feinde bestehen und Deutschland niedergeschmettert werden soll" bekunde die deutsche Sozialdemokratie erneut ihre feste Entschlossenheit auszuhalten bis zur Erreichung eines die Lebensinteressen des deutschen Volkes sichernden Friedens.

März 1917

Die Vorstände des Verbandes Deutscher Buchbindereibesitzer und des Deutschen Buchbinderverbandes, vereinbaren die Fürsorge für die Unterbringung der kriegsbeschädigten Berufsgenossen im bisherigen Beruf und wenn möglich auch im gleichen Betrieb.
Der Arbeitsgemeinschaft ist außerdem die Aufgabe gestellt, alle geeignet erscheinenden Schritte zur Beschaffung ausgiebiger Arbeitsgelegenheit zur allgemeinen Hebung des Berufes zu unternehmen.

10. März 1917

In Rußland bricht die Revolution aus. Das zaristische Regime wird beseitigt, der Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zunächst fortgesetzt.

16. März 1917

Die Generalkommission, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften und der Verband der Gewerkvereine richten eine gemeinsame Eingabe an den Reichskanzler zur Monopolgesetzgebung, in der sie auf die bedeutsamen sozialen Seiten der Monopolfragen aufmerksam machen.
Die Verbände erheben keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Einführung von Monopolen, denn sie können dazu beitragen, den Arbeitsmarkt stabiler zu gestalten, sie warnen aber davor, nur rein fiskalische und privatwirtschaftliche Interessen bei der gesetzlichen Monopolisierung unter Ausschaltung des sozialen Ausgleichs durchzusetzen. Ihre Zustimmung zu einer gesetzlichen Einführung von Monopolen machen die Zentralverbände von der Berücksichtigung von Mindestforderungen abhängig, zu denen u.a. gehören, daß Arbeitnehmer in Monopolbetrieben gleiche Rechte wie in Privatbetrieben erhalten, die Sozialversicherung für Monopole nicht außer Kraft gesetzt wird, in die Monopolverwaltungen sind Vertreter der Arbeitnehmer durch gesetzliche Arbeitervertretungen zu wählen, einem Reichsarbeits- oder Reichswirtschaftsamt sind alle Monopolfragen und die Kontrolle der Monopole zu übertragen, die Arbeitsvermittlung darf nur durch öffentlich-rechtliche paritätische Arbeitsnachweise erfolgen. Die Lohn- und Arbeitsbedingungen sind nur durch Vereinbarungen mit den zuständigen Gewerkschaften zu regeln.

20./22. März 1917

Die Vertreter der Verbandsvorstände erklären auf ihrer Konferenz in Berlin, "daß die von dem preußischen Landwirtschaftsminister in den Sitzungen des Preußischen Landtags vom 7., 8. und 15. März 1917 gegen die Eingaben der Gewerkschaften erhobenen Angriffe die Berechtigung ihrer Forderungen in der Ernährungsfrage nicht erschüttern können. Am allerwenigsten können sie sich zu der Auffassung bekehren, daß die einseitige Politik des Landwirtschaftsministers zugunsten der Produzenten den Interessen der Verbraucher entspräche.
Die Gewerkschaftsvorstände halten ihre Beschwerden und Forderungen mit Entschiedenheit aufrecht und erheben nochmals ihre warnende Stimme. Die Arbeiterschaft muß von den verantwortlichen Stellen im Reiche wirklich durchgreifende und schnelle Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensmittelversorgung dringend verlangen."
Die Gewerkschaftsvertreter empfehlen der Generalkommission und den einzelnen Gewerkschaften den Beitritt zur Gesellschaft für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; die Entscheidung über den Beitritt zum Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur soll noch zurückgestellt werden.

29. oder 30. März 1917

Die sozialdemokratische und die nationalliberale Reichstagsfraktion beantragen die Einsetzung eines Ausschusses zur Vorbereitung von Reformen zur politischen Neuordnung im Deutschen Reich (Verfassungsausschuß). Der Reichstag stimmt zu.

1. April 1917

Die Brotrationen werden auf 170 g pro Tag und die Kartoffelrationen auf 2.500 g pro Woche gekürzt. Für Erwachsene gibt es daneben pro Woche 80 g Butter, 250 g Fleisch, 180 g Zucker und ein halbes Ei.

3. April 1917

Alle Gewerkschaftszentralen wenden sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die beabsichtigte Gründung von eigenen Organisationen der Kriegsbeschädigten.

6. April 1917

Die Vereinigten Staaten erklären Deutschland den Krieg.

6./8. April 1917

In Gotha wird auf einer Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition die "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)" gegründet.
Mit einer Gegenstimme wird ein von K. Kautsky verfaßtes Manifest verabschiedet, das die Arbeiter auffordert, sich auf Kämpfe gegen Teuerung und Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit vorzubereiten. Es verlangt eine Amnestie für politische Gefangene, die Aufhebung der Zensur, unbeschränktes Vereins-, Versammlungs- und Koalitionsrecht, Aufhebung der Ausnahmegesetze gegen Landarbeiter, Staatsarbeiter und Gesinde, Arbeitsschutz und Achtstundentag, sowie das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht. Die Revolution in Rußland wird begrüßt.
Die Grundlinien der neuen Partei sind: Die USPD stehe in grundsätzlicher Opposition zum herrschenden Regierungssystem, zur Kriegspolitik der Reichsregierung und zu der vom SPD-Parteivorstand im Regierungsfahrwasser geführten Politik.
Der USPD schließen sich erhebliche Teile der Mitglieder in den Bezirken Groß-Berlin, Leipzig, Frankfurt a.M., Ostpreußen, Niederrhein, Braunschweig, Halle, Erfurt und Groß-Thüringen an. "Die Leipziger Volkszeitung" gilt als Hauptorgan der USPD.

16./23. April 1917

In Berlin treten 319 Betriebe mit 300.000 Arbeitern in den Streik gegen die mangelhafte Lebensmittelversorgung und aus Protest gegen die Verhaftung des Leiters der Dreherbranche im Metallarbeiterverband, R. Müller. Der Streik wird von den revolutionären Obleuten, oppositionellen Gewerkschaftsfunktionären, deren Kern die Metallarbeiter bilden, gegen den Willen der Gewerkschaften organisiert. Bereits am zweiten Tag beschließt die Vertreterkonferenz der Gewerkschaften, die Arbeit wieder aufzunehmen, nachdem die Regierungs- und Militärbehörden zusätzliche Lebensmittelrationen versprochen und die Zusage gegeben haben, daß niemand wegen der Teilnahme am Streik zum Militärdienst eingezogen werde. In Berlin wird vereinbart, daß Vertreter der Arbeiter künftig bei der Verteilung der Nahrungsmittel mitwirken sollen. Ein Teil der Betriebe streikt weiter und wird daraufhin unter militärische Leitung gestellt.
Ende März hatten bereits in Kiel 26.000 Arbeiter einen zweitägigen Proteststreik durchgeführt, und Mitte April streiken in Leipzig mehr als 30.000 Arbeiter, die zahlreiche politische Forderungen, darunter die Bildung eines Arbeiterrates, erheben. Diese Streiks werden von den Gewerkschaften nicht unterstützt.

19. April 1917

Der Bundesrat stimmt dem Reichstagsbeschluß zu, den § 12 des Reichsvereinsgesetzes, den sog. Sprachenparagraphen, zu streichen.
Nach § 12 durfte in öffentlichen Versammlungen nur die deutsche Sprache gebraucht werden.

Vertreter der sozialdemokratischen, christlichen und der Hirsch-Dunckerschen Tabakarbeiterorganisationen treffen in Frankfurt a. Main zusammen, um über die gegenwärtigen Lohnverhältnisse und die durch die Rohtabaksteuer verursachten Produktionseinschränkungen zu sprechen. Die Konferenz verlangt wesentliche Lohnerhöhungen und sieht in der weiteren Einschränkung des Rohtabakverbrauchs eine schwere Schädigung der bodenständigen Tabakarbeiter.

20. April 1917

Der Vorstand der christlichen Gewerkschaften veröffentlicht einen Aufruf, in dem er sich hinter die Politik der Regierung stellt und sich gegen jede Arbeitsniederlegung wendet.

21. April 1917

Das "Correspondenzblatt" schreibt "Zur gegenwärtigen Situation":
"Dieser Unterseebootskrieg hat uns die offizielle Feindschaft der Vereinigten Staaten Nordamerikas, sowie Chinas, Kubas und Brasiliens zugezogen. Von diesen neuen Gegnern ist nur der erstere imstande, einen wirklichen Einfluß auf den Krieg auszuüben. Die Vereinigten Staaten haben dies schon seit Kriegsbeginn durch ihre Finanzhilfe und ihre Waffenlieferungen für die Ententemächte in so umfangreichem Maße getan, daß ihre direkte Teilnahme am Krieg nur dem Eintritt eines bisher stillen Sozius in die Firma als öffentlicher Teilhaber gleichkommt. Aber sie können als solcher größere Geld- und Machtmittel zur Verfügung stellen, den Krieg dadurch verlängern und eine gewichtige Stimme beim künftigen Friedenskongreß beanspruchen. Auf das letztere scheint es ihnen wesentlich anzukommen; sie hatten schon zuviel ins Geschäft gesteckt, um dessen Ausgang nur von außen her mitanzusehen. Zum Glück hängt die Dauer des Krieges ebensowenig von ihnen wie von England allein ab, so daß wir die Hoffnung, ihn in diesem Jahre beenden zu können, nicht aufzugeben brauchen."

23. April 1917

Die Generalkommission stellt an die Zentralvorstände in einem Rundschreiben zu den Streiks fest:
"Der Versuch der Arbeitsgemeinschaft, eine große Streikbewegung auf politischer Grundlage ins Leben zu rufen, ist zunächst gescheitert. Arbeitsgemeinschaft und Spartakusgruppe betreiben indessen eine intensive Agitation und versuchen fortgesetzt, neue Ausstände für politische Forderungen hervorzurufen. Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß eine solche Taktik weder den Interessen der deutschen Arbeiter noch denen des deutschen Volkes dient. Der Friede, den zu erreichen die deutsche Reichsregierung sich fortgesetzt die größte Mühe gibt, wird nicht herbeigeführt, wenn im feindlichen Ausland der Eindruck erweckt wird, daß Deutschland, von inneren Wirren erschüttert, vor dem Zusammenbruch stehe.
Deutschland ist nicht Rußland. Die Revolutionsspielereien der Arbeitsgemeinschaft und Spartakusgruppe gefährden lediglich die deutsche Arbeiterbewegung, insbesondere unsere gewerkschaftlichen Organisationen, und die Verteidigungskraft des Landes. Es ist uns bisher gelungen, die maßgebenden Stellen davon abzuhalten, scharfe Maßregeln zu ergreifen. Gelingt es der Arbeitsgemeinschaft weiterhin, wilde politische Streiks zu entfesseln, dann werden solche Maßnahmen allerdings unausbleiblich sein. Die Lahmlegung jeder gewerkschaftlichen Tätigkeit und eine schwere Schädigung unserer gewerkschaftlichen Organisationen sind die Folge, ohne daß auf der andern Seite politische Erfolge nach den Wünschen der Arbeitsgemeinschaft zu erzielen sein würden. Es ist vielmehr zu befürchten, daß die Reaktionäre die Oberhand bekommen und die in sicherer Aussicht stehenden politischen Reformen gefährdet werden.
Die gewerkschaftlichen Organisationen haben also das größte Interesse daran, der Agitation der Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusgruppe entschiedensten Widerstand entgegenzustellen. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß jene Kreise die gewerkschaftlichen- und Betriebsversammlungen zur Agitation für ihre Ziele benutzen. Die gewerkschaftlichen Veranstaltungen müssen lediglich gewerkschaftlichen Zwecken dienen."

25. April 1917

Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg verfügt in einem Erlaß, daß künftig jeder Streik in kriegswichtigen Betrieben, jede Aufforderung und jeder Versuch dazu und die Absicht, Streikbrecher von der Arbeit abzuhalten, als Vorschubleistung für eine feindliche Macht oder als Schädigung der Kriegsmacht des Deutschen Reiches angesehen werden.

26. April 1917

Nachdem Generalfeldmarschall P. v. Hindenburg jede noch so unbedeutend erscheinende Arbeitseinstellung als eine unverantwortliche Schwächung der Verteidigungskraft verurteilt hatte, antworten die Vorstände aller Gewerkschaftsbünde, daß Arbeitseinstellungen in der gegenwärtigen Stunde zu vermeiden sind. Erhaltung und Sicherheit des Reiches stünden an erster Stelle. Nach allen Kundgebungen der Gegner Deutschlands unterliege es keinem Zweifel, daß nicht eine Verminderung, sondern nur eine Erhöhung der Widerstandskraft Deutschlands einen baldigen Frieden bringen könne. Die Vorstände weisen aber darauf hin, daß die mangelhafte Ernährungslage, unzureichende Entlohnung, unnötige Härten bei der Durchführung des Hilfsdienstgesetzes und die alten Methoden der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitern zu einer Mißstimmung in der arbeitenden Bevölkerung geführt haben.

28. April 1917

Die Generalkommission und der SPD-Parteivorstand sprechen sich gegen jede Arbeitsruhe am 1. Mai aus, nachdem die "Gruppe Internationale" zu einem Kampftag für Frieden, Freiheit und Brot aufgerufen hatte.

Mai 1917

In mehreren deutschen Staaten erklären sich die Regierungen zur Änderung der Verfassung und der Landtagswahlrechte bereit, so in Bremen, Lübeck, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Mecklenburg-Schwerin und Sachsen.

8. Juni 1917

Eine internationale gewerkschaftliche Konferenz in Stockholm, auf der neun Länder (Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Niederlande, Norwegen, Oesterreich, Schweden, Ungarn) vertreten sind, erachtet die Sicherung der Arbeiterrechte, des Arbeiterschutzes und der Arbeitersicherung als eine der wichtigsten Bestimmungen eines Friedensvertrages.
Da diese Fragen die Arbeiterklasse der ganzen Welt auf das stärkste berühren, hält es die Konferenz nicht für zweckmäßig, jetzt in eine endgültige Beratung einzutreten. Sie beschließt daher die Einberufung einer neuen Konferenz zum 17. September in die Schweiz, so daß den Gewerkschaften aller Länder die Teilnahme ermöglicht ist.

9. Juni 1917

Für die Militärschuhmacher wird von allen drei Schuhmacherverbänden ein Tarifvertrag abgeschlossen, der die wöchentliche Arbeitszeit auf 54 Stunden und einen Mindestlohn festlegt. Die Bezahlung der Furnituren durch die Arbeiter wird beseitigt.

12. Juni 1917

Die nach Stockholm zu einer Besprechung über eine Friedenskonferenz der Sozialistischen Internationale entsandte Delegation der SPD legt ihre Auffassungen in einer umfangreichen Denkschrift "Die deutsche Sozialdemokratie und der Frieden" nieder. Danach strebt die SPD einen Frieden der Verständigung ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen sowie dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen an.

24./27. Juni 1917

Eine außerordentliche Generalversammlung des Textilarbeiterverbandes in Augsburg hält eine wesentliche Erhöhung der Einkommen der Textilarbeiter und -arbeiterinnen im Arbeiter- wie im Gemeininteresse für unbedingt erforderlich.
Die Textilarbeiter verlangen eine Beteiligung von Vertretern ihrer Gewerkschaften an den Umstellungen der Kriegs- in die Friedenswirtschaft - der Übergangswirtschaft.

27./30. Juni 1917

Die Generalversammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes in Köln lehnt nach harten Auseinandersetzungen mit 73 gegen 44 Stimmen die Anträge ab, das Verhalten der Gewerkschaftsvertreter im Reichstag zu mißbilligen, gegen die Festlegung der Gewerkschaften auf die Politik des 4. August zu protestieren und eine Beitragssperre gegen die Generalkommission durchzuführen.
Die Delegierten erheben dagegen mit 64 gegen 53 Stimmen Einspruch gegen das Bestreben, die Streitigkeiten der politischen Arbeiterbewegungen in die Gewerkschaften hineinzutragen und halten nach wie vor an der bisherigen Auffassung über den Zweck des gewerkschaftlichen Kampfes an sich und seiner Anwendung fest. "Die Generalversammlung warnt die Verbandsmitglieder vor der gekennzeichneten Agitationsweise, vor den ihr zugemuteten Massenbewegungen für politische Zwecke sowie vor allem im Widerspruch mit der bisherigen Taktik und Verbandssatzungen stehenden Arbeitsniederlegungen. Sie fordert die Verbandsmitglieder auf, sich solchen die Einigkeit und Geschlossenheit unserer Mitglieder gefährdenden Treibereien zu widersetzen. ...
Die Hemmnisse in der Ausübung des Koalitionsrechts durch § 153 der Gewerbeordnung und die Anwendung des Erpressungs- und Nötigungsparagraphen auf die gewerblichen Lohnkämpfe müssen durch Neuordnung des Koalitionsrechts beseitigt werden. Die Generalversammlung erwartet von den Vertretern der Arbeiterschaft im Reichstage eine entschiedene Vertretung der Arbeiterforderungen im Sinne der Ausgestaltung aller die Rechte der Arbeiterschaft berührenden Gesetze. In sozialpolitischer Hinsicht fordert sie den wirksamen Ausbau des Arbeiterschutzes, eine durchgreifende Umgestaltung der Arbeiterversicherung, die Schaffung eines klaren und einheitlichen Arbeiterrechts, die Regelung der Arbeitsnachweisfrage, Einführung der Reichsarbeitslosenversicherung und Förderung des gewerblichen Schlichtungswesens.
Aus dieser Erkenntnis heraus betrachtet die Generalversammlung die vom Internationalen Gewerkschaftsbund aufgestellten Arbeiterforderungen für einen künftigen Frieden als geeignete Grundlage für seine baldige Herbeiführung. Eine eifrige Wirksamkeit aller Arbeiterschaften im Sinne dieser Forderungen dient der Annäherung der verschiedenen Länder und damit einem dauernden Frieden."

30. Juni 1917

Die Generalkommission, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften, der Verband der Gewerkvereine, die Polnische Berufsvereinigung, die Arbeitsgemeinschaft für einheitliches Angestelltenrecht und die Arbeitsgemeinschaft der technischen Verbände übermitteln dem Reichstag und dem Bundesrat ihre umfangreichen Forderungen für den Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft. Sie verlangen die Beteiligung von Gewerkschaftern am Reichskommissariat für Übergangswirtschaft, das am 3. August 1916 gegründet wurde.

8. Juli 1917

Die Vertreter einer Konferenz der Land-, Forst- und Waldarbeitergewerkschaften aller drei weltanschaulichen Richtungen in Berlin erklären erneut, "daß sie mit allen Kräften dazu beitragen wollen, die landwirtschaftliche Produktion zu fördern. Sie erwarten aber, daß zukünftig bei den zu erlassenden Bestimmungen vorher die Vertreter der organisierten Landarbeiterschaft gehört werden. ...
Die ... versammelten Vertreter ... erwarten, daß bei der Neuordnung des Arbeiterrechts auch die Rechtsverhältnisse der in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Arbeiter und Arbeiterinnen gebührend berücksichtigt werden und bei dieser Neuregelung der ländlichen Arbeiterschaft die volle Gleichberechtigung gewährt wird. Daß bei dieser Neuregelung des Arbeiterrechts das Landarbeiterrecht den besonderen Verhältnissen in der Land- und Forstwirtschaft angepaßt wird, ist selbstverständlich. ...
Sämtliche ... Verbote und Strafbestimmungen bezüglich der Arbeitseinstellung, des Vertragsbruches und des Ungehorsams des Gesindes, einschließlich der Vorschriften, betreffend die polizeiliche Zurückführung eines Dienstpflichtigen" sind aufzuheben.

11. Juli 1917

Wilhelm II. fordert, daß der Gesetzentwurf zur Änderung des preußischen Wahlrechts das gleiche Wahlrecht enthalten müsse.

13. Juli 1917

Th. v. Bethmann Hollweg wird gestürzt. Sein Nachfolger wird G. Michaelis.

19. Juli 1917

Bei der Beratung neuer Kriegskredite bringen die Reichstagsfraktionen des Zentrums, der Fortschrittlichen Volkspartei und der Sozialdemokraten eine Resolution ein. - M. Erzberger hatte am 6. Juli im Hauptausschuß eine Friedenskundgebung des Reichstages vorgeschlagen, die sich ausdrücklich auf das Wort aus der Thronrede vom 4. August 1914 bezieht: "Uns treibt nicht Eroberungssucht". In der Kundgebung sollte bekundet werden, daß der Reichstag einen Frieden der Verständigung und dauernden Aussöhnung der Völker anstrebe. Mit einem solchen Frieden seien alle erzwungenen Gebietsabtretungen, politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar. Nachdem Reichskanzler G. Michaelis diese berühmte Friedensresolution akzeptiert hat mit der entwertenden Bemerkung, "wie ich sie auffasse", wird sie gegen die Stimmen der Konservativen und der Nationalliberalen und bei Stimmenthaltung der Unabhängigen Sozialdemokraten, die eine eigene Resolution eingebracht hatten, angenommen.
Vertreter der Fraktionen, die für die Friedensresolution stimmten, arbeiten künftig im "Interfraktionellen Ausschuß" zusammen. Die sozialdemokratische Fraktion stimmt den Kriegskrediten "im Sinne der Resolution" zu.

24./26. Juli 1917

Einstimmig beschließt die Konferenz der Vertreter der Verbandsvorstände in Berlin folgende Zustimmung zur Friedenskundgebung des Deutschen Reichstages:
"Die Gewerkschaften Deutschlands begrüßen es mit großer Freude, daß der Reichstag durch seinen Beschluß vom 19. Juli sich im Namen des Deutschen Volkes für einen Verständigungsfrieden erklärt hat.
In der Gesamtheit der Arbeiterbewegung, deren Interesse die Gewerkschaften vertreten, findet der Wille zur schnellen Beendigung des Krieges durch Verständigung der Völker nicht nur einmütige Zustimmung; die Arbeiter Deutschlands sind auch bereit und entschlossen, mehr noch wie schon seither ihre Kräfte für die baldige Erreichung dieses Zieles einzusetzen."
Die Vertreter stimmen dem Ausschluß des Deutschen Eisenbahnerverbandes und des Allgemeinen Deutschen Chorsänger- und Ballettverbandes an die Generalkommissionen zu. Mit Mehrheit beschließen die Vertreter den Beitritt der Generalkommission in den Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur, der bestrebt ist, auch der ärmeren Bevölkerung künstlerische Darbietungen, insbesondere die besten Theater, zugänglich zu machen.
Die Konferenz lehnt einen Antrag des Vorstandes des Handlungsgehilfen-Verbandes ab, in den Fragen, in denen die Generalkommission zusammen mit der politischen Arbeiterbewegung handelt, beide sozialdemokratische Parteien hinzuzuziehen.

2. August 1917

Ca. 400 Matrosen verlassen trotz Verbotes ein Linienschiff in Kiel und halten in der Stadt eine Protestversammlung gegen den Krieg ab. Hauptsprecher ist der Matrose A. Köbis. Die Matrosen nehmen Verbindung mit Vertretern der beiden sozialdemokratischen Parteien auf.

4. August 1917

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht einen Artikel "Drei Jahre Weltkrieg":
"Drei volle Jahre tobt nunmehr der gewaltigste und blutigste Krieg, den die Welt je erlebte. Ungeheure Werte der geistigen wie der materiellen Kultur wurden durch ihn vernichtet. Elend und Trauer zogen in Millionen Familien aller Länder ein. Aber trotz aller Leiden, welche die Kriegsfurie der Welt auferlegt, sind die Aussichten auf eine baldige Beendigung des blutigen Ringens immer noch gering. Die ungeheuren Gegensätze der kapitalistischen Wirtschaftsordnung fanden auch durch den dreijährigen Weltkrieg keine Überbrückung, der vielmehr bewiesen hat, daß die Lösung solcher Gegensätze auf militärischem Wege kaum mehr möglich ist.
Die Erkenntnis dieser Tatsache hat sich, darüber kann kein Zweifel mehr bestehen, in Deutschland zuerst durchgesetzt und sie ist hier in hervorragendem Maße der sozialistischen Arbeiterbewegung zu verdanken, die seit Kriegsbeginn wie vor dem Kriege unermüdlich ihren Kampf gegen die imperialistischen Kräfte des Kapitalismus fortführte. Die deutsche Arbeiterklasse hat in diesem Kriege ihrer Pflicht gemäß zu ihrem Vaterlande gehalten und mit den Angehörigen der anderen Volksklassen Blut und Leben für ihr Land hingegeben. Aber sie hat zu gleicher Zeit ihre Forderung mit größter Entschlossenheit verfochten, daß der Krieg zur Verteidigung Deutschlands zu führen ist und nicht zur Unterjochung anderer Völker. Dieser Gedanke wurzelt heute im deutschen Volke tiefer denn je und die deutsche Regierung hat während der Kriegsjahre wiederholt ihm Rechnung getragen. ...
Das dritte Kriegsjahr hat nun freilich ernstere Bemühungen um den Frieden auch bei den anderen Kriegführenden gezeitigt. Den Freiheitskämpfern in Rußland kommt das Verdienst zu, den Stein ins Rollen gebracht zu haben. ...
Wir treten in das vierte Kriegsjahr mit dem vollen Bewußtsein ein, daß es unserem Volke, insbesondere der Arbeiterklasse, neue und schwere Opfer auferlegen wird. Und wir werden, wie zuvor, stets darauf bedacht sein, alle Bestrebungen nach einem ehrenvollen Frieden zu unterstützen, der kein Volk vergewaltigt."

25. August 1917

Im Prozeß gegen die aufrührerischen Matrosen werden fünf zum Tode, vier zu je 10-15 Jahren Zuchthaus und fünfzig Matrosen zu insgesamt 400 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Ende August 1917

Ein freier Ausschuß aus Vertretern der Parteien und des Reichstages wird gebildet, zunächst um die Antwort auf die päpstliche Friedensnote zu beraten. Seine Zuständigkeitsgrenzen sollen später näher festgelegt werden.

2. September 1917

Die deutsche Vaterlands-Partei wird gegründet. Die Partei erstrebt den sogenannten "Siegfrieden" mit umfassenden Annexionen. Sie führt eine überaus heftige Propaganda gegen alle Vertreter des Verständigungsfriedens.

5. September 1917

Die Matrosen A. Köbis und M. Reichpietsch werden hingerichtet.

15. September 1917

Mit den Steinsetzern beschließt die sechste Gewerkschaft aus Protest gegen die Politik der Generalkommission ihren Austritt aus dem Leipziger Gewerkschaftskartell. Nach den Streiks in der Munitionsindustrie im April hatten bereits die lokalen Vertretungen der Metallarbeiter, der Asphalteure und Pappdecker, der Handlungsgehilfen, der Kupferschmiede und der Schneider ihren Austritt beschlossen.

Herbst 1917

Die "Arbeitsgemeinschaft für das einheitliche Angestelltenrecht" bildet ein festeres Kartell und nennt sich nun "Arbeitsgemeinschaft für Angestelltenverbände" (AfA). Im Mittelpunkt des Aktionsprogramms steht die gemeinsame Vertretung der ihr angeschlossenen Verbände auf der Grundlage eines "reinen und einheitlichen Arbeitnehmer-Standpunktes".
Am 1. Januar 1918 gehören der Arbeitsgemeinschaft folgende Verbände an:
der Allgemeine Verband der Deutschen Bankbeamten,
die Allgemeine Vereinigung Deutscher Buchhandlungsgehilfen,
der Bund der technisch-industriellen Beamten,
der Deutsche Chorsänger-Verband,
der Deutsche Polier-Bund,
der Deutsche Steiger-Verband,
der Deutsche Zuschneider-Verband,
die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen,
die Internationale Artisten-Loge,
der Verband technischer Schiffsoffiziere,
der Verband der Kunstgewerbezeichner,
der Verband der Bureauangestellten,
der Werkmeisterverband für das Buchbindergewerbe und
der Centralverband der Handlungsgehilfen.

1./4. Oktober 1917

Eine internationale Gewerkschaftskonferenz in Bern, auf der zehn Nationen - Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Niederlande, Norwegen, Oesterreich, Schweden, Schweiz, Ungarn und Vertreter der tschechoslowakischen Gewerkschaften ohne Stimmrecht - vertreten sind, nimmt gewerkschaftliche Forderungen zum Friedensvertrag an, die Gemeingut der internationalen Gesetzgebung werden sollen: zum Koalitionsrecht, zum Freizügigkeitsrecht, zur Arbeitsvermittlung, zum Arbeiterschutz, zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsaufsicht, zur Arbeitszeit, zur Hygiene und Unfallversicherung, zur Heimindustrie, zum Kinderschutz zum Seemannsrecht und -schutz.
Die Konferenz verlangt von den Regierungen, daß zu den Feststellungen des sozialpolitischen Teils der Friedensbedingungen auch Gewerkschaftsvertreter hinzuzuziehen sind.
Die Konferenz vertagt die Frage der Sitzverlegung des IGB. Um die internationalen Verbindungen aufrechtzuerhalten, bestätigt die Konferenz die nach Kriegsausbruch eingerichtete Zweigstelle in Amsterdam.
"Die internationale Konferenz bedauert sehr, daß es den Vertretern der französischen Gewerkschaften durch ihre Regierung unmöglich gemacht wurde, in Bern zu erscheinen.
Sie nimmt Kenntnis vom Schreiben der britischen Gewerkschaftscentrale, durch welche diese das Fernbleiben ihrer Vertreter begründet. ...
Die Konferenz betrachtet sich nicht als kompetent über die Frage der Mitschuld der Völker und ihrer Regierungen am Kriege und dessen Begleiterscheinungen zu urteilen und geht deshalb über das Schreiben der britischen Gewerkschaftscentrale zur Tagesordnung über, indem sie dem heißen Wunsche Ausdruck gibt, es möchten in allen Ländern Führer und Massen des organisierten Proletariats mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auf einen baldigen Friedensschluß hinwirken."
G. Bauer weist entschieden die britische Forderung zurück, nicht mit deutschen Gewerkschaftern zusammenzutreffen. Er weist darauf hin, wie wenig gerade die Engländer berechtigt sind, in moralischer Entrüstung wegen brutaler Kriegführung zu machen, die in Indien, im Burenkriege mit der größten Bestialität vorgingen und jetzt zuletzt im Weltkriege die Aushungerung der deutschen Frauen, Kinder und Greise in brutalster Weise betreiben, wobei sie auch gegen die Neutralen eine völkerrechtswidrige Kriegführung belieben. G. Bauer wendet sich dagegen, daß derartige Vorwürfe innerhalb der Arbeiterbewegung erhoben werden.

12. Oktober 1917

Nachdem Vertreter der christlichen Gewerkschaften und der Gewerkvereine bereits der Obersten Heeresleitung Bedenken gegen Verordnungen von Militärbehörden vorgetragen hatten, die die gewerkschaftliche Arbeit beschränken, tun dies auch C. Legien und G. Bauer für die Generalkommission in einem Gespräch mit General E. v. Ludendorff.
Die Befürchtungen der Reichs- und Militärbehörden vor einem Generalstreik hatte zu einer starken Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts für die Gewerkschaften geführt.

14./20. Oktober 1917

Auf dem Parteitag der SPD in Würzburg teilt F. Ebert mit, daß nach den Feststellungen der letzten Wochen von 38 Bezirksorganisationen mit 357 Wahlkreisen sechs Bezirke und 38 Wahlkreise sich der USPD angeschlossen haben.
Der Parteitag billigt mit 265 gegen 14 Stimmen die Politik der Reichstagsfraktion seit dem 4. August 1914 und stellt sich auf den Boden der "Friedensresolution" des Reichstages vom 19. Juli 1917. Die Reichsleitung hat die Pflicht, jeder amtlichen Beeinflussung zugunsten der Annexionspolitik entgegenzutreten. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zeit sei es, den Parteistreit beizulegen.
Die parlamentarischen Vertreter der Partei werden verpflichtet, einheitlich und geschlossen in den Parlamenten aufzutreten. Alle Bestrebungen auf Herstellung der Parteieinheit müßten die Forderung auf Anerkennung des Mehrheitsprinzips in sich schließen.
Der Parteitag verlangt die sofortige Verwirklichung der Sehnsucht des deutschen Volkes nach Demokratie. Die unverzügliche Durchführung des gleichen Wahlrechts in Preußen und die entscheidende Mitwirkung des Reichstages bei allen großen Fragen der Zeit seien Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes. Bei der Lösung der Aufgaben in Staat und Gemeinde müssen die Frauen ein Mitbestimmungsrecht erhalten.
Die Reichsregierung soll eine Amnestie aller wegen politischer Vergehen inhaftierter und verurteilter Personen erlassen.
Zur Linderung des Kriegselends müßten die im Krieg erworbenen Reichtümer herangezogen werden.
Die Partei soll sich mit der Lage der Staats- und Gemeindebeamten beschäftigen.
"Die ausreichende Versorgung des deutschen Volkes mit den notwendigsten Nahrungsmitteln ist für die Erhaltung seiner Widerstandskraft unerläßlich. Der Parteitag billigt daher die Forderungen zur Sicherstellung der Volksernährung, die der Parteivorstand gemeinsam mit der Generalkommission der Gewerkschaften und die Reichstagsfraktion ... an die Regierung gerichtet haben. ...
Die von der Regierung betriebene Politik der Halbheit und Verspätung, die den kapitalistischen Gewinninteressen weitgehend Rechnung trägt, hat ... dazu beigetragen, daß sich auf dem Lebensmittelmarkt Zustände herausgebildet haben, die es den Erzeugern und Händlern ermöglichen, sich in unerhörtem Maße zu bereichern, während die minderbemittelte Bevölkerung bitterste Not leidet."
Zu Vorsitzenden der Partei werden F. Ebert (311) und Ph. Scheidemann (312) gewählt.
Mit der Generalkommission soll eine Verständigung über die Mitarbeit der Gewerkschaften im Zentralbildungsausschuß herbeigeführt werden.

28./30. Oktober 1917

Der Deutsche Arbeiterkongreß in Berlin fordert "die Vertretung der Arbeiter und Angestellten im Beirat für Uebergangswirtschaft ..., paritätisch geleitete [gesetzliche] Arbeitsnachweise mit einer Reichscentrale, für die vom Heeresdienst Entlassenen und durch Umstellung der Wirtschaft arbeitslos Gewordenen Arbeitslosenunterstützung bzw. Fortzahlung der staatlichen Gebührnisse, Arbeitskammern und Schlichtungsorgane mit Einbeziehung der Staatsarbeiter, gesetzlichen Arbeiterschutz für die weiblichen und jugendlichen Arbeiter während des Krieges, Durchführung des Heimarbeitsgesetzes und Unterstellung der Kriegsbeschädigtenrenten unter das Rechtsverfahren der Reichsversicherung." Das Koalitionsrecht müsse von allen hemmenden Fesseln befreit und der § 153 der Gewerbeordnung aufgehoben werden.

1. November 1917

Rücktritt des Reichskanzlers Michaelis. An seiner Stelle wird der bayerische Staatsminister Graf v. Hertling ernannt. Die Mehrheitsparteien machen ihre Zustimmung zu seiner Ernennung von der Erfüllung einer Reihe von Forderungen abhängig, unter anderem: der Einbringung der preußischen Wahlrechtsfrage und der Vorlage eines Arbeitskammergesetzes.

7. November 1917

In St. Petersburg übernehmen die Bolschewisten unter W. I. Lenin die Macht. - Russische Oktoberrevolution.

22./24. November 1917

Die Vertreter der Vorstände der in der Generalkommission vereinigten Gewerkschaften beschließen ein "Sozialpolitisches Arbeitsprogramm", in dem sie u.a. fordern: die Errichtung eines Reichsarbeitsministeriums; paritätisch besetzte Arbeitskammern; das uneingeschränkte Koalitionsrecht für alle Arbeitnehmer; die gesetzliche Anerkennung der Tarifverträge; die Einführung des Achtstundentages; die Einrichtung öffentlicher Arbeitsnachweise; die Errichtung eines paritätischen Reichseinigungsamtes zur Schlichtung von Arbeitskämpfen; ein einheitliches Arbeitsrecht; paritätische Arbeitsgerichte; eine reichseinheitliche Regelung des Arbeitsschutzes; gesetzliche Regelung eines Reichswohnungsgesetzes; die Sozialisierung des Kohlenbergbaues und -großhandels, des Kalibergbaus und der Aufbereitung der Kalilsalze, der Gewinnung und Fernübertragung elektrischer Kraft und des Getreidehandels; langfristige Handelsverträge; ein System der Meistbegünstigung; allmähliche Herabsetzung der Zölle; den Abbau der indirekten Steuern auf Artikel des Massenverbrauchs; ein internationales Schiedsgericht für Wirtschaftsstreitigkeiten; reichsgesetzliche Regelungen des Gesundheitswesens; Verstaatlichung des Ärztewesens und der Apotheken; Vereinheitlichung der gesamten Arbeiter- und Angestelltenversicherung auf der Basis der Dreiteilung der Beiträge zwischen Versicherten, Unternehmern und Reich, und auf paritätischer Verwaltung und Rechtsprechung sowie eine vom Reich getragene Arbeitslosenversicherung; internationale Verträge zur ausgleichenden Regelung der Arbeitsgesetzgebung in allen Ländern; reichsgesetzliche Regelung des Schulwesens auf der Einheitlichkeit und Weltlichkeit der Schule und Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel; Errichtung von Schul- und Volksbibliotheken; staatliche Förderung der Bühnenkultur und die Schaffung von Kulturkammern.
In seiner Begründung erklärt P. Umbreit dieses Programm als eine von der Regierung selbst anerkannte Schuldverpflichtung gegenüber der deutschen Arbeiterschaft. Es handele sich aber nicht um die Belohnung der Arbeiterschaft für ihre Haltung im Kriege, sondern um die von der Regierung und Öffentlichkeit selbst zugestandene Anerkennung der hohen Bedeutung der Arbeiterklasse für das gesamte Volks- und Wirtschaftsleben und um den Ausdruck der Gleichberechtigung der Arbeiter mit den übrigen Gesellschaftsklassen.
Anfang 1918 übermittelt die Generalkommission ihr Programm den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches und der Bundesstaaten.

3. Dezember 1917

Alle Gewerkschaftsbünde übermitteln dem Reichstag einen gemeinsamen Entwurf für ein Arbeitskammergesetz. Da die Gewerkschaften auf der Forderung von Arbeiterkammern, die übrigen Gruppen auf der von Arbeitskammern bestehen, schlagen die Gewerkschaften als Kompromiß paritätische Kammern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor, "den Arbeitnehmerabteilungen indes das Recht zustehen soll, zwecks eigener Interessenvertretung für sich allein zusammenzutreten, Anträge zu stellen, Eingaben zu machen, Gutachten abzugeben und Erhebungen zu veranstalten. Die Kammern sollen territorial aufgebaut werden, aber auch besondere Berufsabteilungen für die Land- und Forstwirtschaft, sowie für kaufmännische und technische Angestellte erhalten und neben dem Recht der Antragstellung, Begutachtung und Erhebung auch allgemein wirtschaftliche und soziale Wohlfahrts-, sowie Verwaltungsaufgaben erhalten. Im besonderen sollen sie bei der Regelung des gewerblichen Schulwesens und Lehrlingswesens mitwirken, den Abschluß von Tarifverträgen sowie von Fachausschüssen für die Hausindustrie fördern, deren Tätigkeit bei der Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen unterstützen und den von diesen festgestellten Lohnsätzen durch Beschluß unabdingbare Kraft verleihen. Sie sollen ferner Einigungsämter und Schlichtungsstellen errichten und die Mitglieder des Einigungsamts aus ihrer Mitte wählen. Der Entwurf regelt zugleich die obligatorische Einsetzung von Arbeiter- und Angestelltenausschüssen für alle Betriebe mit mindestens 20 Personen, deren Wahl und Aufgaben, sowie die Wahl der Beisitzer der Schlichtungsstellen und die Aufgaben der Einigungsämter."

Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Deutschland, seinen Verbündeten und Rußland in Brest-Litowsk. Am 5. Dezember wird eine 10tägige Waffenruhe, am 15. Dezember ein 28tägiger Waffenstillstand abgeschlossen.

5. Dezember 1917

Die preussische Regierung bringt im Landtag Vorlagen zur Reform des preussischen Dreiklassenwahlrechts ein.

17./20. Dezember 1917

Der Verbandstag des Fabrikarbeiterverbandes in Hannover lehnt gegen 6 Stimmen einen Antrag ab, wegen der Haltung der Generalkommission während "des Rüstungsarbeiterstreiks und gegenüber den Regierungskörperschaften und Kapitalisten" keine Beiträge mehr an sie zu zahlen.

22. Dezember 1917

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht einen Aufruf des am 4. Dezember gegründeten "Volksbundes für Freiheit und Vaterland", der ein Gegengewicht gegen die Vaterlandspartei bilden soll und dem alle gewerkschaftlichen Spitzenverbände angehören: "Nur ein Volk, in dem für die freie und verantwortungsfreudige Mitarbeit aller Schichten und Stände am Staatswesen Raum geschaffen wird, ist machtvoll nach außen. Innerer Neuaufbau und äußere Kraftentfaltung der Nation sind nicht zu trennen. ...
Vor allem rechnen wir dazu: klare Einheit zwischen Reichsleitung und Volksvertretung.
Im einzelnen bedürfen wir erstens
angesichts des heute noch nicht gebrochenen Vernichtungswillens unserer Feinde einer äußersten Zusammenfassung unserer Kräfte, bis jener Vernichtungswille gebrochen ist;
zweitens
der sofortigen innerpolitischen Neuordnung, eines freiheitlichen Ausbaues unserer staatlichen Einrichtungen durch gemeinsame Arbeit aller Volkskreise, um so die Kraft des Volkes zu stärken, die Freudigkeit zu steigern, einer reformwilligen Regierung die Stütze eines festen Volkswillens zu geben...;
drittens
einer klaren, von Volk und Regierung getragenen Außenpolitik, die einen dauernden Frieden anstrebt, Rohstoffbezug und Handelsabsatz sichert und Dasein, Ehre und Entwickelungsfreiheit der Völker auf den Boden der Sittlichkeit und des Rechtes stellt."


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