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1916

Januar 1916

Die Monatszeitschrift "Deutsche Arbeit", die die Bestrebungen der christlich-nationalen Arbeitnehmer unterstützen will, erscheint zum ersten Mal.

Die erste Ausgabe der "Gewerkschaftlichen Frauenzeitung" erscheint. Redakteurin ist Gertrud Hanna. Die Vertreter der Verbandsvorstände hatten nach einem Antrag des Metallarbeiterverbandes auf ihrer Sitzung vom 5.-7. Juli 1915 die Gründung einer Frauenzeitschrift empfohlen, da die "Gleichheit" für gewerkschaftliche Zwecke völlig ungeeignet sei. Demgegenüber sei ein Frauenblatt, das für einfache Arbeiterinnen verständlich sei und sich nicht in verstiegenen Theorien und hochtrabenden Stilübungen ergehe, notwendig und nicht länger aufzuschieben.

1. Januar 1916

In seinem "Rückblick auf das 1915" schreibt das "Correspondenzblatt": "Die Friedensinterpellation der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag, wie auch ihre Beantwortung durch den Reichskanzler haben keinerlei Zweifel daran gelassen, daß nicht Deutschland an der Verzögerung des Friedens die Schuld trägt. Im Gegenteil sind es die uns befehdenden alliierten Mächte, die sich an den Gedanken des Friedens jetzt noch nicht gewöhnen können, sondern einen solchen erst hinter der Verwirklichung von Kriegszielen suchen, die nichts Geringeres als die Zerschmetterung und Aufteilung Deutschlands erstreben. ...
Wenn es der Produktion so überraschend schnell gelang, sich auf den Kriegsfuß einzustellen, so ist dieses günstige Ergebnis zum nicht geringsten Teil der großen Einigkeit zwischen Industrie, Gewerbe, Angestellten- und Arbeiterschaft geschuldet. ... Außerordentliche Kriegsgewinne in den Rüstungsindustrien rechtfertigen auch für die Arbeiterschaft Lohnzuschläge und die wachsende Teuerung macht das Streben nach Teuerungszulagen für die auf knappen Lohn angewiesenen Arbeiter begreiflich."
Zur finanziellen Lage heißt es im "Correspondenzblatt": "Der Krieg macht immer nur wenige reicher und viele ärmer, und auch im gegenwärtigen Kriege sind Besitzverschiebungen eingetreten. Gewisse Kreise haben sich enorm bereichert und weite Volksschichten sind verarmt. ...
Schon im Mai vorigen Jahres forderten wir eine Umsteuerung unserer Finanzwirtschaft, die rechtzeitig für Deckung der Kriegsanleihen in Steuern, die den Besitz belasten, vor allem aber durch Verstaatlichung gewinnbringender Erwerbsquellen sorgt. Neben der Vermögenszuwachs- und der Erbschaftssteuer, deren Ertrag vervielfacht werden müßte, sollten die Kriegsgewinne kräftig herangezogen werden, und das Reich sollte die großen Erdschätze in Metallen, Kohlen, Salzen und Quellen, die Wasserkräfte und Elektrizitätserzeugung verstaatlichen und die Rüstungsindustrien der privaten Ausbeutung entziehen."

Oppositionelle Sozialdemokraten um Rosa Luxemburg und K. Liebknecht beschließen, sich den Namen "Gruppe Internationale" zu geben und ein Mitteilungsblatt "Politische Briefe" herauszugeben, das mit dem Namen "Spartacus" unterzeichnet wird. Die beschlossenen Leitsätze werden als eine Anwendung des Erfurter Programms auf die gegenwärtigen Probleme des internationalen Sozialismus bezeichnet.

In einer Dienstordnung der preußisch-hessischen Staatsbahnen wird das Verbot der Mitgliedschaft in sozialdemokratischen Vereinen und das Lesen sozialdemokratischer Zeitungen aufgehoben.
Gleichzeitig wird festgelegt, daß Arbeiter Vereinen oder Verbänden, die die Arbeitseinstellung als zulässiges Kampfmittel erachten oder unterstützen, nicht angehören darf.
Auch außerhalb des Dienstes hat der Arbeiter sich achtbar und ehrenhaft zu führen und von der Teilnahme an ordnungsfeindlichen Bestrebungen, Vereinen und Versammlungen fernzuhalten.

7./9. Januar 1916

Der SPD-Parteiausschuß berät die Vorgänge in der Reichstagsfraktion. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten wird mit 29 gegen 11 Stimmen gutgeheißen, da die Gegner noch keinerlei Geneigtheit zum Frieden zeigten.

11./18. Januar 1916

Der Reichstag diskutiert ausführlich die Ernährungsfragen. Die Abgeordneten der SPD wenden sich gegen die anhaltende Lebensmittelteuerung und sprechen sich für eine zweckmäßige Organisation der Verteilung der Nahrungsmittel aus. Die sozialdemokratischen Forderungen, den Belagerungszustand, die Pressezensur und das Verbot der Erörterung der Kriegsziele aufzuheben, lehnt die Mehrheit des Reichstages ab.

12. Januar 1916

K. Liebknecht wird aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion mit 60 gegen 25 Stimmen ausgeschlossen.

13. Januar 1916

In der Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages wird eine Reform des preußischen Wahlrechts nach dem Kriege angekündigt.

15. Januar 1916

In einem Artikel "Zersetzungsbestrebungen der deutschen Sozialdemokratie" schreibt das "Correspondenzblatt": "Die Politik des 4. August 1914 entspricht den vitalsten Gewerkschaftsinteressen; sie sichert die Fernhaltung jeder feindlichen Invasion, sie schützt uns vor der Zerstückelung deutschen Gebietes und vor der Vernichtung blühender deutscher Wirtschaftszweige, sie schützt uns vor dem Schicksal eines unglücklichen Kriegsabschlusses, der uns auf Jahrzehnte hinaus mit Kriegsentschädigungen belasten würde. Diese Politik sichert uns sowohl die heimischen Industrie- und Rohstoffgebiete, als auch die Zufuhr der für unsere Produktion benötigten Rohstoffe und die Ausfuhr und den Absatz unserer Erzeugnisse in andere Länder. Sie macht die strategischen und wirtschaftlichen Niederwerfungsgelüste unserer Gegner zunichte und gewährleistet der deutschen Arbeit die freie Entwickelung und den freien Weltmarkt. ... Die Gewerkschaften müssen an dieser Politik des 4. August 1914 unter allen Umständen festhalten und können nicht eindringlich genug vor den Bestrebungen warnen, diese Politik der jetzigen Fraktion zu durchkreuzen.
Nicht weniger sind die Gewerkschaften aber auch an der Einheit der sozialdemokratischen Arbeiterpartei interessiert, nicht allein, weil diese Partei seither die politische Interessenvertretung der Arbeiterklasse war und demgemäß auch die gewerkschaftlichen Forderungen zu vertreten hatte, sondern weil die Spaltung der Partei unter Umständen auch zu gefährlichen Zersplitterungsbestrebungen in den Gewerkschaften Anlaß und Nahrung geben könnte."

14./15. Februar 1916

Die Generalversammlung des Verbandes der Maler in Berlin stimmt der Verlängerung des Tarifvertrages zu, kritisiert aber die vereinbarten niedrigen Teuerungszulagen. Die Haltung der Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion wird gebilligt. Die Delegierten wünschen, daß der Parteistreit nicht in die Gewerkschaften getragen wird.

März 1916

Die drei gewerkschaftlichen Dachverbände, die polnische Berufsvereinigung, die Gesellschaft für soziale Reform, der ständige Ausschuß zur Förderung der Arbeiterinneninteressen, das Büro für Sozialpolitik und die Auskunftsstelle für Heimarbeitreform appellieren an den Bundesrat, Ausführungsverordnungen zu erlassen, damit die im Hausarbeitsgesetz vorgesehenen Fachausschüsse beschleunigt ihre Tätigkeit beginnen können. Abgeändert werden soll die Ausführungsbestimmung vom 18. Juni 1914, die einengende Bestimmungen über die Zulassung nicht dem Gewerbe angehörender Personen - vor allem von Arbeitersekretären - als Vertreter der Hausarbeiter enthält.
Am 2. April wird in einer amtlichen Veröffentlichung mitgeteilt, daß der Bundesrat die bisher gegen die Zulassung von Arbeiter- und Gewerkschaftssekretären geltend gemachten Bedenken fallen gelassen habe.

24. März 1916

Die Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion stimmt einem neuen Kriegskredit zu. Für die Fraktionsminderheit erklärt H. Haase, da die Regierung auf ihrem alten Wege beharre und von einer Neuorientierung nicht die Rede sei, könne sie diesem Etat nicht zustimmen. Darauf wird die Minderheit unter Führung von H. Haase aus der Fraktion ausgeschlossen. Sie schließt sich zur "Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft" zusammen.

25. März 1916

H. Haase legt sein Amt als Parteivorsitzender nieder.

27. März 1916

Auf einer von der Generalkommission einberufenen Konferenz von Vertretern der Verbände der Kupferschmiede, Maler, Maschinisten, Metallarbeiter, Sattler und Transportarbeiter wird über die Gründung eines selbständigen Eisenbahnerverbandes beraten.
Die bayerische und die preussische Regierung hatten bis dahin ihr Verbot der Mitgliedschaft von Eisenbahnern, in Vereinen und Verbänden, die Streiks als zulässiges Kampfmittel ansehen, trotz gewerkschaftlicher Interventionen nicht aufgehoben.
Die Konferenzteilnehmer stimmen für einen selbständigen Verband.

29. März 1916

Auf einer Sitzung des SPD-Parteiausschusses wird die Gründung einer zweiten sozialdemokratischen Reichstagsfraktion als unvereinbar mit den Grundsätzen des Organisationsstatuts bezeichnet. Wer für solche Sonderorganisationen wirke oder in ihnen Mitglied werde, stelle sich außerhalb der Gesamtpartei.
SPD-Parteivorstand und Parteiausschuß rufen die Mitglieder auf, die Einheit der Partei zu wahren.

30. März 1916

Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft richtet an die Parteimitglieder die dringende Aufforderung, sich im Rahmen des Organisationsstatuts weiter zu betätigen und die durch die Zugehörigkeit zur Partei gegebenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft betrachteten sich weiter als Vertreter der Partei.

April 1916

Die drei zentralen Gewerkschaftsbünde, die Polnische Berufsvereinigung und das Büro für Sozialpolitik stellen in einer Eingabe an die Landeszentralbehörden fest, daß sie an ihrer gemeinsamen Forderung einer reichsgesetzlichen Regelung des Arbeitsnachweises festhalten. Sie legen Wert darauf, daß keine die später durchzusetzende reichsgesetzliche Regelung erschwerende tiefgreifende einzelstaatliche Ungleichheit auf diesem Gebiet geschaffen wird. "Die Landescentralbehörden der einzelnen Bundesstaaten sollen unverzüglich dahin wirken, daß ein gemeindlicher Arbeitsnachweis für alle gewerbereichen Orte, zumindest in den Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern, errichtet wird. Die Landescentralbehörden können nach Anhörung von Vertretern der Gemeinde, der Arbeitgeber und der Arbeiter von Fall zu Fall einen gemeindlich unterstützten Arbeitsnachweis als ausreichend erklären, falls dieser paritätisch verwaltet wird."

5. April 1916

F. Ebert erklärt im Reichstag, solange die feindlichen Mächte auf ihren Zerschmetterungsplänen beharrten und keinen Frieden schließen wollten, so lange werde die SPD mit unserem Volk zur Verteidigung unseres Landes zusammenstehen. "Uns Sozialdemokraten ist es nicht leicht geworden, mit der Verteidigung unseres Landes auch das herrschende System zu schützen. Wir waren unzufrieden mit den wirtschaftlichen und politischen Zuständen im Reich. An unserer Stellungnahme ist durch den Krieg nichts geändert worden."
Ph. Scheidemann verlangt am 6. April eine Reform des Vereinsrechtes und der Landtage, vor allem der von Preußen und Mecklenburg, sowie das Koalitionsrecht auch für die Landarbeiter.

22. April 1916

Der preussische Eisenbahnminister erklärt, daß er bei der geplanten Gründung einer Eisenbahnergewerkschaft auf einen satzungsgemäßen Streikverzicht bestehen müsse. Die Generalkommission sagt daraufhin zu, daß die Absicht auf Ausübung des Streikrechts seitens der Eisenbahnergewerkschaft nicht bestehe.

24./30. April 1916

In Kienthal in der Schweiz kommen zur 2. Zimmerwalder Konferenz 43 Teilnehmer aus neun Ländern zusammen. Die Mehrheit der Teilnehmer ist nicht bereit, mit den Mitgliedern der eigenen Partei und der Internationale zu brechen, die den Kriegskrediten zustimmen. Annexionen und Kriegsentschädigungen werden verworfen.

29. April 1916

Paul Umbreit schreibt im "Correspondenzblatt": "Was besagt die Politik des 4. August? Sie ist die Politik der gemeinsamen Landesverteidigung ohne Unterschied von Religion, Klasse oder Partei. Sie ist eine Politik der organisatorischen Hebung und Stärkung der Widerstandskraft unseres Volkes gegen die Niederringung Deutschlands mit anderen Mitteln als durch die Ueberlegenheit der Waffen. Sie ist in Summa die Politik deutscher Selbsterhaltung! ...
In den deutschen Gewerkschaften haben wir allezeit wertvolle Organisationen erblickt, die der Arbeiterschaft den Aufstieg zu höherer sozialer Kultur ermöglichen. Es hieße sie mit allen ihren wirtschaftlichen, sozialen und sozialpolitischen Errungenschaften preisgegeben, wenn wir das Vaterland seinen Feinden überließen, denn diese würden unbekümmert um die großen Ziele der Gewerkschaften, ihnen wirtschaftlich und rechtlich den Lebensfaden abschneiden. ...
Mit dem deutschen Lande, seiner Unverletzlichkeit durch fremde Eroberung, verteidigen wir die materiellen Grundlagen seines Volkes, die deutsche Volkswirtschaft und deren geistigen Ueberbau, die deutsche Kultur, in der wir leben und unsere Kinder erziehen, in der deutschen Wirtschaft, die Gewerkschaften und alles, was diese für die deutsche Arbeiterschaft errungen haben. Mit ihrer ganzen Existenz, mit ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind unsere Gewerkschaften in der deutschen Volkswirtschaft verankert. Es hieße sie von diesem Boden trennen, sie von den Wurzeln ihrer Kraft losreißen, wollten wir das Vaterland in diesen Stunden, Tagen und Jahren der Gefahr im Stiche lassen.
Diese Gefahr wird durch die längere Dauer des Krieges nicht vermindert, sondern ins Ungemessene erhöht. ... Dem Unterliegenden droht heute und bei längerer Fortdauer des Krieges mehr denn je die Rache der Sieger. Gebietsabtretungen, ungeheure Kriegsentschädigungen, die auf Jahrzehnte hinaus selbst ein blühendes Reich zugrunde richten können, Bedingungen, die Produktion und Handel schädigen, werden ihm auferlegt werden. ... Deshalb erheischt unser Lebensinteresse ein unverbrüchliches Festhalten an der Politik des 4. August 1914, bis auch die Gegner zu einem Frieden bereit sind, der uns die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. ...
So ist die Politik des 4. August 1914, die Politik deutscher Selbsterhaltung, auch heute noch die einzig richtige für unser Volk. Sie ist zugleich die Politik der Selbsterhaltung der gesamten deutschen Arbeiterbewegung, der politischen wie auch der gewerkschaftlichen, denn in jeder anderen Politik wäre sie rettungslos verloren gewesen. Nur in der Rettung des ganzen Volkes kann sie ihre Daseinsberechtigung behaupten. ...
Die Politik des 4. August 1914 ist die Voraussetzung für die Zukunft der Gewerkschaften, für die Verwirklichung ihrer großen Ziele und Ideale, denn nicht von außen her kommt uns die Befreiung vom ökonomischen Lohnjoch, sondern wir müssen dereinst die Kraft haben, uns selbst zu befreien."

Mai 1916

In einer Flugschrift erläutert die Generalkommission ihre Haltung zur gewerkschaftlichen Kriegspolitik:
"Die deutschen Gewerkschaften haben, seitdem der Weltkrieg zur Tatsache geworden war, sich gleichfalls durch ihre Maßnahmen zur Förderung der inneren Kriegsfürsorge und der Wirtschaftsgesundung auf den Boden der Landesverteidigung gestellt und gemeinsam mit dem Vorstand der sozialdemokratischen Partei in zahlreichen Fällen Schritte zur Linderung der Not und zur Erleichterung des Schicksals der Kriegsopfer unternommen. Sie haben dann, als in der sozialdemokratischen Fraktion sich Absonderungen von jener damals einmütigen Haltung bemerkbar machten, auf einer Vorständekonferenz vom 5. bis 7. Juli 1915 noch ausdrücklich ihre Zustimmung zur Politik des 4. August 1914 durch einen Beschluß bekräftigt ...
Der Streit um die Fraktionsspaltung muß selbstverständlich im Schoße der Partei ausgetragen werden; die Gewerkschaften werden durch ihn nur mittelbar berührt, soweit die parlamentarische Vertretung gewerkschaftlicher Arbeiterinteressen in Betracht kommt. Dafür kann es nur die Reichstagsfraktion der Partei geben, mit der sie durch das Mannheimer Abkommen seit dem Jahre 1906 in engerem Zusammenwirken stehen, und deren Satzungen kennen nur eine sozialdemokratische Reichstagsfraktion. Der Streit um die Politik des 4. August 1914 berührt aber ganz wesentliche Interessen der Gewerkschaften.
Was besagt die Politik des 4. August? Sie ist die Politik der gemeinsamen Landesverteidigung ohne Unterschied von Religion, Klasse oder Partei. Sie ist eine Politik der organisatorischen Hebung und Stärkung der Widerstandskraft unseres Volkes gegen die Überlegenheit der Waffen. Sie ist in Summa die Politik deutscher Selbsterhaltung! ...
Die Politik des 4. August 1914 ist der Gesamtausdruck des jahrzehntelangen Wirkens der deutschen Gewerkschaften, deren ganze Vergangenheit ein einziger Kampf für den Aufstieg der Arbeiterklasse zur Teilnahme an den Errungenschaften einer höheren Kultur war. In ihr verteidigt die deutsche Gewerkschaftsbewegung sich selbst, ihre Existenz, ihre Gegenwart.
Die Politik des 4. August 1914 ist die Voraussetzung für die Zukunft der Gewerkschaften, für die Verwirklichung ihrer großen Ziele und Ideale, denn nicht von außen her kommt uns die Befreiung vom ökonomischen Lohnjoch, sondern wir müssen dereinst die Kraft haben, uns selbst zu befreien. Das Volk, das vor dem Zarismus und seinen Verbündeten die Selbsterhaltung preisgibt, hat in der Zukunft des Sozialismus seinen entscheidenden Einfluß verloren."

Die Kleinhandelspreise wichtiger Lebensmittel (pro kg) sind gegenüber dem gleichen Monat des letzten Vorkriegsjahres wie folgt angestiegen:

Mai 1913 Mai 1916
Erbsen 39,4 Pf 104,5 Pf
Bohnen 45,1 Pf 112,9 Pf
Kartoffeln 7,6 Pf 13,4 Pf
Butter 269,6 Pf 532,1 Pf
Roggenbrot 29,0 Pf 39,2 Pf
Buchweizengrieß 54,3 Pf 118,4 Pf
Weizengrieß 48,7 Pf 92,6 Pf
Gerstengraupen 42,7 Pf 102,7 Pf

Anfang Mai 1916

Der Deutsche Tabakarbeiterverband, der Zentralverband christlicher Tabakarbeiter und der Gewerkverein der Zigarren- und Tabakarbeiter (H.-D.) richten an den Reichstag eine gemeinsame Eingabe mit der Bitte, der geplanten neuen Tabaksteuererhöhung nicht zuzustimmen.

1. Mai 1916

K. Liebknecht demonstriert auf dem Potsdamer Platz in Berlin gegen den Krieg und wird darauf verhaftet.
Die Spartakusgruppe hatte zu einer 1.-Mai-Demonstration aufgerufen unter dem Motto: "Brot! Freiheit! Frieden!", an der mehrere tausend Menschen teilnehmen.

8. Mai 1916

Der Buchbinderverband und die Buchbindereibesitzer einigen sich darauf, den bestehenden Tarifvertrag bis zum Kriegsende zu verlängern. Den Arbeiterinnen und Arbeitern werden Teuerungszulagen gewährt.

13. Mai 1916

Der Staatssekretär des Innern und Stellvertreter des Reichskanzlers v. Delbrück tritt zurück. Nachfolger wird der bisherige Staatssekretär des Reichsschatzamtes - damit zuständig für die Reichsfinanzpolitik - Karl Helfferich.

15. Mai 1916

Eine Reichskonferenz des Bauarbeiterverbandes in Berlin stimmt der Verlängerung der bestehenden Tarifverträge bis 31. März 1917 zu. Sie verlängern sich unverändert um ein weiteres Jahr, wenn am 31. Dezember 1916 mit einer der feindlichen europäischen Großmächte der Friede noch nicht geschlossen ist.
Die Bauarbeiter erhalten nun Teuerungszulagen.

23. Mai 1916

Ein "Kriegsernährungsamt" wird gebildet. Als Vertreter des "Kriegsausschusses für Konsumenteninteressen" wird Unterstaatssekretär der sozialdemokratische Genossenschaftspolitiker August Müller. A. Müller ist der erste Sozialdemokrat, der in eine oberste Reichsbehörde delegiert wird.

27. Mai 1916

Die drei Gewerkschaften der Schuhmacher einigen sich mit den Schuhunternehmern, alle Kriegsteilnehmer, die früher in der Schuhfabrikation beschäftigt waren, nach ihrer Rückkehr wieder einzustellen, wenn möglich, an ihren alten Arbeitsplätzen.

30. Mai 1916

Der Reichstag lehnt gegen die sozialdemokratischen Stimmen die Aufhebung des Belagerungszustandes ab.

4. Juni 1916

Die Jahresversammlung des Kriegsausschusses für Konsumenteninteressen in Leipzig - ihm gehören die Gewerkschaften aller Richtungen, die Verbände der katholischen und evangelischen Arbeitervereine, die Organisationen der Angestellten und eine große Anzahl von Beamtenvereinen an - fordert, "daß die öffentlichen Maßnahmen zur gerechten und vernünftigen Verteilung der Nahrungsmittel zwischen Nord und Süd, Stadt und Land, zwischen Arm und Reich, Arbeitenden und Nichtarbeitenden, gemäß den Richtlinien seines Wirtschaftsplanes mit der den Kriegsverhältnissen entsprechenden Entschlossenheit durchgeführt und die Lebensbedarfspreise, zumal von der neuen Ernte an, mit der Kaufkraft der Massen und den Gestehungskosten in Einklang gebracht werden". Sie ist der Überzeugung, "daß unsere Vorräte bei willensstarker, planmäßiger Bewirtschaftung durchaus zureichen, um die Aushungerungsabsichten der Feinde zuschanden zu machen".

5. Juni 1916

Der Reichstag nimmt - auch mit den Stimmen der SPD - eine Novelle zum Reichsvereinsgesetz an, nach der die Vorschriften über politische Vereine und deren Versammlungen "auf Vereine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht aus dem Grunde anzuwenden" sind, "weil diese Vereine auf solche Angelegenheiten der Sozialpolitik oder Wirtschaftspolitik einzuwirken bezwecken, die mit der Erlangung oder Erhaltung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mit der Wahrung oder Förderung wirtschaftlicher oder gewerblicher Zwecke zugunsten ihrer Mitglieder oder mit allgemeinen beruflichen Fragen im Zusammenhange stehen".
Damit wird auch 16- und 17jährigen Jugendlichen die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften zugestanden, sofern sich diese von der Behandlung allgemeiner politischer Fragen fernhalten.
In der gleichen Sitzung stimmt die SPD der Kriegsgewinnsteuer zu, während die Erhöhung verschiedener indirekter Steuern, wie die Erhöhung der Post- und Telegrafengebühren, der Tabaksteuer von ihr abgelehnt wird.
In der Begründung für diese Novelle werden zur Sozialpolitik u.a. gerechnet Fragen des Koalitionsrechts, die öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Stellung der Berufsvereine, das Einigungswesen, das Tarifvertragswesen, die Lohnregelung, der Arbeiterschutz, die Arbeiterversicherung, der Kinderschutz, der Heimarbeiterschutz und die Hausarbeit, die Volksernährung, die Volksgesundheit, die Volksbildung, das Wohnungswesen, die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte und ähnliche Einrichtungen. Fragen der Wirtschaftspolitik seien u.a. die Lebensmittelversorgung, Preisbildung, Zölle, Steuern. Auch Teile des bürgerlichen Rechts wie Arbeits- und Dienstverträge und des Strafrechts wie Nötigung, Bedrohung und Erpressungen im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen können nun von den Gewerkschaften behandelt werden. Als rein politische Fragen werden die auswärtige Politik sowie Verfassungs- und Wahlrechtsprobleme bezeichnet.
Die Freistellung der Gewerkschaften vom Begriff des politischen Vereins erstreckt sich nicht auf "rein politische Angelegenheiten". Die Gewerkschaften werden mit dieser Novelle von der Pflicht entbunden, Verzeichnisse ihrer Vorstandsmitglieder und ihre Satzungen bei den Polizeibehörden einzureichen.

7. Juni 1916

Die Reichstagsfraktionen der SPD und der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft lehnen den Etat ab. Die SPD-Fraktion stimmt indessen für den Nachtrag zum Reichshaushalt, in dem Kriegskredite gefordert werden.

12. Juni 1916

Die Altersgrenze wird in der Invalidenversicherung auf das 65. Lebensjahr herabgesetzt.

12./17. Juni 1916

Der Verbandstag der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine in Berlin begrüßt rückhaltlos das offene Bekenntnis des Reichskanzlers am 5. Juni im Reichstag zur Gleichberechtigung "aller Volksgenossen" und zu einer freiheitlichen Gestaltung der inneren Verhältnisse des Vaterlandes.
"Die Gewerkvereine werden ihr äußerstes daran setzen, den Erklärungen des Reichskanzlers gegen alle Widersacher zum Erfolge zu verhelfen, da nur durch die Verwirklichung dieser Erklärungen eine dauernde Sicherung der großen Erfolge des Krieges gewährleistet werden kann. Dem Volke dürfen wirtschaftliche, soziale und politische Rechte, für die es sich längst als reif erwiesen hat, nicht vorenthalten werden, wenn schwere Erschütterungen vermieden werden sollen."
Die Delegierten vertreten den Standpunkt, daß mit dem Eintritt geregelter Verhältnisse der übermäßigen Verwendung weiblicher Arbeitskräfte die notwendigen Schranken gesetzt werden müssen. Schon jetzt soll begonnen werden, an Stelle einer unbegrenzten Arbeitszeit eine gesetzlich geregelte Arbeitszeit für Arbeiterinnen festzusetzen.
Die Delegierten verlangen die rasche Einsetzung der im Hausarbeitsgesetz von 1911 vorgesehenen Fachausschüsse und deren Umwandlung in Lohnämter.
Der Verbandstag fordert ein Reichsarbeitsrecht, das genügend Rechtsgarantien für Staatsarbeiter für deren Verzicht auf das Streikrecht enthalten muß, um deren Wünsche geltend machen zu können und "mit allem Nachdruck den wirksamen und zweckdienlichen Ausbau aller bestehenden sozialen Einigungseinrichtungen mit einem Reichseinigungsamt an der Spitze und die Einführung des Verhandlungszwanges, ohne daß eine Einschränkung des Streikrechts erfolgen darf."
Das Kriegsernährungsamt wird u.a. dringend ersucht, für eine gleichmäßige Verteilung der Lebensmittel zu sorgen und den Lebensmittelwucher abzuschaffen.
Der Verbandstag erwartet von der Reichsregierung, daß die kommenden finanziellen Lasten gerecht verteilt werden nach dem Grundsatz: Schonung der Minderbemittelten und prozentual steigende Heranziehung der Bemittelten. Die Vermögens- und Erbschaftssteuer ist auszubauen.
Reichsregierung und Bundesstaaten werden aufgefordert, der nach dem Krieg zu befürchtende Wohnungsnot durch Mietsteigerungen mit der Unterstützung und Förderung der auf Selbsthilfe beruhenden Baugenossenschaften und durch Wohnungsinspektionen zu begegnen. Kriegsinvaliden ist das Wahlrecht auch dann zu gewähren, wenn sie aus öffentlichen Mitteln Unterstützungen erhalten.
Der Verbandstag spricht "die Erwartung aus, daß in der Kriegsverletztenfürsorge, soweit sie die Arbeiter betrifft, deren Organisationen die weitgehendste Mitwirkung eingeräumt wird. Andererseits muß aber auch von den Arbeitern in den Betrieben erwartet werden, daß sie sich der Pflichten gegenüber ihren kriegsbeschädigten Mitarbeitern bewußt sind, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen und alles aufbieten, um ihnen das Fortkommen zu erleichtern".
Als Nachfolger von Goldschmidt wird G. Hartmann mit 36 gegen 4 Stimmen zum Vorsitzenden des Verbandes gewählt.

14. Juni 1916

Der Bundesrat beschließt folgende Verordnung: "Die Landescentralbehörden oder die von ihnen bezeichneten Behörden können Gemeinden oder Gemeindeverbände verpflichten, öffentliche unparteiische Arbeitsnachweise zu errichten und auszubauen, sowie zu den Kosten solcher von anderen Gemeinden oder Gemeindeverbänden errichteten Arbeitsnachweise beizutragen; sie können Anordnungen über die Einrichtung und den Betrieb solcher Arbeitsnachweise treffen."

15./16. Juni 1916

Die Vertreter der Verbandsvorstände stellen auf ihrer Konferenz in Berlin in einer Resolution fest, daß "die strikte Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems in der Produktion und im Warenhandel [...] während des Krieges zu einer steigenden Schädigung der ärmeren Volksschichten in der Nahrungsmittelversorgung geführt" hat.
"Die fortgesetzten Preissteigerungen haben sich bis zum Unerträglichen gestaltet. Die Unterdrückung dieses Treibens ist leider nicht mit der nötigen Entschiedenheit betrieben, die meisten von der Regierung getroffenen Maßnahmen müssen direkt als verfehlt bezeichnet werden."
Zur Beseitigung der Mißstände fordern die Gewerkschafter u.a.:
eine "geregelte Preisfestsetzung für Produzenten, Groß- und Kleinhandel für das ganze Reich, Preise, die auch für die Minderbemittelten erschwinglich sind;
die Beschlagnahme und öffentliche Verteilung der in nicht genügenden Mengen verfügbaren Lebensmittel; ...
den Vertrieb der wichtigsten Nahrungsmittel durch gemeinnützige Gesellschaften und Gemeinden, Einrichtungen für Massenspeisung.
Die Gewerkschaften erwarten, daß die gerügten Mängel in der Lebensmittelversorgung beseitigt werden, das Kriegsernährungsamt rücksichtslos mit dem bisherigen System bricht und den Grundsatz voll zur Geltung bringt, daß die Wohlfahrt des Volkes der leitende Gesichtspunkt in der Lebensmittelversorgung sein muß, demgegenüber alle einseitigen Interessen der Produzenten und Händler schweigen müssen."
Die Konferenz begrüßt die Novelle zum Reichsvereinsgesetz und billigt das Verhalten der SPD-Reichstagsfraktion.

19./22. Juni 1916

Der Verbandstag der Schuhmacher in Stuttgart diskutiert über den Streit in der SPD. Der Verbandsvorsitzende und Reichstagsabgeordnete J. Simon stellt zunächst fest, daß das wirtschaftliche Ergebnis des Krieges sein wird, auf der einen Seite riesige Gewinne und Konzentration des Kapitals und auf der anderen Verarmung, was eine Verschärfung der Gegensätze und Steigerung des Klassenkampfes zur Folge haben wird. An eine Neuorientierung im vielfach erwarteten Sinne kann J. Simon nicht glauben. Darum bedauert er den entstandenen Streit, der geeignet sei, die Kraft der Arbeiterklasse zu schwächen. Auf dem Verbandstage könne aber nicht untersucht werden, durch wessen Schuld der Parteistreit entstanden; und ebensowenig die grundsätzliche Frage, die dem Streit zugrunde liege. Die Gewerkschaften dürfen sich in diesen Streit nicht hineinmischen und dürfen durch ihre Organe auch nicht hineingezogen werden. Bedauerlich sei es, daß die Generalkommission und das "Correspondenzblatt" die erforderliche Neutralität nicht gewahrt haben. Diese Organe und die Vorständekonferenz vom Juli 1915 haben einseitig für die Fraktionsmehrheit Stellung genommen und dadurch werde der Parteistreit in die Gewerkschaften getragen. Die Gewerkschaften können der Partei nicht die Richtung vorschreiben, ebenso dürfe die Partei nicht die Handlungen der Gewerkschaften bestimmen. Deshalb bleibe als einziger Weg, daß die Gewerkschaft sich von diesem Streit fernhalte und jeder Parteigenosse in seiner Parteiorganisation seine Ansicht zum Ausdruck bringe.
Nach ausführlicher Diskussion nimmt der Verbandstag einstimmig eine Resolution an, nach der er "in der Stärke und Geschlossenheit der Gewerkschaftsbewegung nicht bloß des eigenen Berufs, sondern auch der aller klassenbewußten Arbeiter Deutschlands eine wichtige Voraussetzung für die Ueberwindung der nach dem Kriege die Arbeiterbewegung bedrohenden wirtschaftlichen machtpolitischen Gefahren" sieht. "Der Verbandstag betont deshalb, daß niemals mehr als jetzt die Einheit der Gewerkschaftsbewegung ein hohes Gut sei, das zu gefährden oder in Frage zu stellen mit aller Macht und Vorsicht vermieden werden soll.
Der Verbandstag verhehlt sich nicht, daß die tiefen Meinungsverschiedenheiten in der politischen Arbeiterbewegung auch auf die Mitglieder unserer und der anderen Gewerkschaftsorganisationen wie auch auf ihre leitenden Männer einwirken mußten. Aber die Kämpfe sollen auf dem Boden der politischen Organisation ausgefochten werden. ...
Die vor dem Kriege stets betonte Neutralität der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung in politischer Beziehung darf heute nicht gering gewertet oder gar beiseite geschoben werden, wo der Streit in der politischen Arbeiterbewegung zerstörend hinüberzugreifen droht auf die gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen.
Der Verbandstag fordert alle Organe der Gewerkschaften auf, im Rahmen der Gewerkschaftsbewegung unbedingte Neutralität zu halten in dem politischen Streite, der die Arbeiterbewegung zerklüftet. Er beauftragt den Verbandsvorstand, bei der Generalkommission ... zu beantragen, daß die Frage 'Fernhaltung des Parteistreits von den Centralverbänden' auf die Tagesordnung der nächsten Vorständekonferenz gesetzt wird...
Der Verbandstag verlangt von dem Vorstand die Fortsetzung seiner bisherigen neutralen Haltung in allen Streitigkeiten der sozialdemokratischen Partei, um so diesen Streit von unserer Organisation fernzuhalten."

Sommer 1916

Ein von F. Thimme herausgegebener Sammelband "Vom inneren Frieden des deutschen Volkes" erscheint. Die 40 Autoren, darunter auch Gewerkschafter, versuchen in ihren Beiträgen die bestehenden politischen, wirtschaftlich-sozialen und nationalen Gegensätze zu mildern, um den Burgfrieden auch nach Kriegsende aufrechtzuerhalten.

28. Juni 1916

Das Kommandanturgericht Berlin verurteilt K. Liebknecht wegen versuchten Kriegsverrats, erschwerten Ungehorsams und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu zwei Jahren, sechs Monaten und drei Tagen Zuchthaus und Entfernung aus dem Heere.
Am 10. Juli wird Rosa Luxemburg in "Schutzhaft" genommen, die bis zum 8. November 1918 dauert.

1. Juli 1916

Nachdem die Centralverbände der Kupferschmiede, Maler, Maschinisten, Metallarbeiter, Sattler und Transportarbeiter unter Mitwirkung der Generalkommission beschlossen hatten, ohne Preisgabe ihres Grundsatzes hinsichtlich der Berufs- bzw. Industrieorganisation und ohne gegen den Beschluß des Münchener Kongresses, betreffend die Organisierung der in staatlichen oder kommunalen Betrieben beschäftigten Arbeiter, zu verstoßen, freiwillig auf die Organisierung der Eisenbahner zu verzichten, wird in Berlin der "Deutsche Eisenbahnerverband" gegründet. Ihm können sich Arbeiter, Angestellte und Handwerker der staatlichen und privaten Eisenbahnbetriebe, einschließlich der Nebenbetriebe anschließen.
Der Verband bezweckt "die wirtschaftliche und soziale Interessenvertretung seiner Mitglieder. Insbesondere ist das Bestreben des Verbandes gerichtet auf Erreichung möglichst günstiger Lohn- und Dienstverhältnisse, möglichste Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, sowie Ausdehnung der Ruhepausen und des Erholungsurlaubs, Ausgestaltung der Arbeiterausschüsse zu selbständigen Vertretungskörperschaften, Errichtung von obligatorischen Schiedsinstanzen auf paritätischer Grundlage für die Entscheidung der aus dem Arbeits- oder Dienstvertrag sich ergebenden Streitfälle, Veranstaltung von Versammlungen und Vorträgen zur Förderung der Bildung und des Wissens und zur Erörterung beruflicher und sozialer Angelegenheiten der Mitglieder, Unterstützung der Mitglieder und Gewährung von Rechtsschutz, Förderung des Pflichtbewußtseins, des solidarischen Geistes und des geselligen Verkehrs unter den Mitgliedern, ..."
In der Satzung werden auch die besonderen Pflichten der staatlichen Verkehrsanstalten berücksichtigt. Die Organisierung von Mitgliedern innerhalb der Staatsbahnen wird von den Behörden erst erlaubt, nachdem der Verband gemeinsam mit der Generalkommission erklärt, Streiks zur Durchsetzung von Forderungen nicht durchzuführen, ohne auf das Streikrecht zu verzichten.
Die Reichssektion der Eisenbahner des Deutschen Transportarbeiterverbandes löst sich am 1. Juli auf, ihre Mitglieder treten zum Deutschen Eisenbahnerverband über. In gleicher Weise werden die Vorstände der beteiligten Organisationen ihre im Eisenbahndienst beschäftigten Mitglieder veranlassen, ab 1. Juli 1916 ihren Uebertritt zum Deutschen Eisenbahnerverband zu bewirken. Das Organ der Reichssektion des Transportarbeiterverbandes, der "Weckruf", erscheint vom 8. Juli ab als Organ des Deutschen Eisenbahnerverbandes.

3. Juli 1916

Der Lederarbeiterverband und der Unternehmerverband gründen eine Arbeitsgemeinschaft, die die Wiedereinstellung der Kriegsteilnehmer und die Unterbringung der Kriegsbeschädigten in sozialer Weise regeln soll.

5. Juli 1916

In Leeds findet eine internationale Gewerkschaftskonferenz statt, an der Vertreter aus vier Ländern der Alliierten teilnehmen. Die Teilnehmer beschließen, in Paris ein Büro zu eröffnen. Die französischen Gewerkschaften werden beauftragt, eine weitere Konferenz der Gewerkschaften der alliierten Länder vorzubereiten.
Am 2. August protestiert der Vertreter der niederländischen Gewerkschaftszentrale - auch im Namen anderer Gewerkschaften aus neutralen Ländern - auf der Konferenz der sozialistischen Parteien der neutralen Länder in Den Haag gegen diesen Spaltungsversuch.

19. Juli 1916

Generalkommission und SPD-Parteivorstand fassen in einer Eingabe an den Reichskanzler ihre Wünsche auf einigen Gebieten der Ernährung zusammen und kritisieren vor allem die unzulänglichen Maßnahmen gegen die Teuerung.
Am 10. August erklärt Reichskanzler v. Bethmann Hollweg in seiner Antwort seine Übereinstimmung mit dem Wunsch, die vorhandenen Lebensmittel möglichst gleichmäßig und gerecht zu verteilen und deren Preise noch während des Krieges auf ein erträgliches Maß herabzudrücken, nur seien die Preistreibereien und Spekulationen auf dem Lebensmittelmarkt nicht vollständig zu unterbinden.

20./21. Juli 1916

Der SPD-Parteiausschuß wendet sich energisch gegen die mangelhafte Organisation der Volksernährung. Die Rücksichtnahme auf die großen landwirtschaftlichen Besitzer beherrschte die Organisation de Volksernährung in einem Maße, daß die Erhaltung der Arbeitskraft des konsumierenden Volkes und die Ernährung des Volksnachwuchses aufs gefahrvollste bedrohe.
Gegen die Forderung der Eroberungspolitiker, die den Widerstand der gegen Deutschland Krieg führenden Nationen noch mehr herausforderten und die Gefahr einer Kriegsführung bis zur völligen Erschöpfung steigerten, wird schärfstens protestiert. Die Sozialdemokratie halte an der prinzipiellen Verwerfung aller Annexionen sowie jeder politischen und wirtschaftlichen Vergewaltigung eines Volkes von irgendeiner Seite fest, denn diese würden nur weitere Kriege in der Zukunft zur Folge haben.

25. Juli 1916

Generalkommission und SPD-Parteivorstand warnen die "Arbeiter und Arbeiterinnen" in einem gemeinsamen Aufruf "vor dem Treiben der im Dunkel der Anonymität wirkenden Protest- und Generalstreikapostel".
"Die Einleitung von Lohnbewegungen und Streiks ist Aufgabe der zuständigen Gewerkschaftsorganisationen; sie tun zurzeit alles, um den berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder Nachdruck zu verleihen.
In der Lebensmittelversorgung bestehen außerordentliche Schwierigkeiten; wir haben nicht unterlassen, mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln die hier auftretenden Mißstände zu bekämpfen. Unausgesetzt sind wir bemüht gewesen, die Leistungen der Fürsorge für die Arbeitslosen, die Kriegerfrauen, die Witwen und Invaliden zu verbessern.
Ablehnen müssen wir indes, Mittel in Anwendung zu bringen, denen von vornherein jeder Erfolg versagt ist. Deshalb haben wir auch sofort nach der Verkündigung des Kriegszustandes vor unüberlegtem Handeln gewarnt unter ausdrücklichem Hinweis auf die im Kriege geltenden Strafbestimmungen. Diese Warnung erneuern wir heute, wo mehr denn je kaltes Blut und ruhige Besonnenheit am Platze ist. ...
Unsere wichtigste Aufgabe ist aber die baldige Herbeiführung des Friedens. Dieser großen Pflicht sind sich die berufenen Körperschaften der Arbeiterbewegung bewußt und sind unermüdlich bestrebt, sie zu erfüllen.
Arbeiter, steht treu zu Euren Organisationen und weist alle Zersplitterungsversuche zurück!"

29. Juli 1916

In einem Artikel "An der Wende des zweiten Kriegsjahres" heißt es im "Correspondenzblatt":
"Wir haben das Vertrauen zu unseren Fronten in Ost und West, daß sie dichthalten und die Heimat vor den Kriegsgreueln schützen. Und wir sind uns bewußt, daß wir unseren Brüdern im feldgrauen Waffenrock heißen Dank schulden für die Einsetzung ihres Lebens, dafür, daß wir uns heute, nach zwei Jahren des Weltkrieges, noch frei und sicher bewegen können und nicht gleich anderen Völkern unter der harten Kriegsnot zusammengebrochen sind. Wir danken es ihnen dadurch, daß wir ihnen ihre harte Pflicht erleichtern und erträglicher machen, daß wir uns ihrer daheimgebliebenen Familien in liebevoller Fürsorge annehmen, ...
Auch wir Daheimgebliebenen haben Pflichten zu erfüllen... Wir haben uns am Anfange des Krieges gelobt, einmütig auszuharren, bis unsere Truppen siegreich zurückkehren. Noch ist der Krieg nicht beendet, aber von der großen Einigkeit ist nicht viel geblieben. Das Wort vom Burgfrieden ist schon beinahe verpönt. Man streitet sich über das Durchhalten oder um die Friedenspflicht, man rauft sich um die Kriegs- oder Friedensziele, man klagt sich gegenseitig des Eigennutzes an. ... Man zankt sich über alles und ist nur darin einig, daß es nicht so ist, wie es sein sollte. ... Und doch sollte heute die Einmütigkeit notwendiger sein als am Anfange des Krieges... Heute noch wie vor zwei Jahren ist dieser Krieg für uns im wesentlichen ein Verteidigungskrieg... Deshalb ist der Burgfrieden heute noch das gleiche Zwangsgebot wie vor zwei Jahren und er sollte von allen als oberste Pflicht anerkannt und auch befolgt werden.
Wir haben ferner die Pflicht, vereint die Kriegspläne der Gegner, die Deutschlands Waffenerfolge durch wirtschaftlichen Druck und Lebensmittelblockade illusorisch machen wollen, zu vereiteln. ... Die Gewerkschaften haben ein Lebensinteresse an einer starken Arbeiterpartei, die auch ihre Forderungen zur Geltung bringt. Sie werden getreu den Mannheimer Beschlüssen dem Parteivorstand zur Seite stehen und alles unterstützen, um die Partei aus dem gefährlichen Strudel der Leidenschaften herauszubringen. Sie könnten nur mit größtem Bedauern zugeben, daß die Partei sich durch Zersplitterung jedes politischen Einflusses beraubt."

August 1916

Im Verlauf dieses Monats finden in zahlreichen Städten Demonstrationen gegen die Lebensmittelknappheit und den Krieg statt.

Anfang August 1916

Einem Aufruf des Kriegsernährungsamtes "An die Verteidiger des Vaterlandes in der Heimat" schließen sich neben den wichtigsten Wirtschaftsverbänden auch die zentralen Gewerkschaftsbünde an.
Das Kriegsernährungsamt wird alles daran setzen, daß die Nahrungsmittel gerecht und gleichmäßig verteilt werden und daß die Preise nicht über die durch die Kriegsverhältnisse gebotenen Grenzen hinausgehen.

11. August 1916

Der SPD-Parteivorstand fordert zu einer Unterschriftensammlung für eine Petition auf, die sich gegen die Propaganda der Annexionisten wendet. Die Petition wird, versehen mit 899.149 Unterschriften am 16. Dezember dem Reichskanzler zugestellt.

22./25. August 1916

Während einer Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge in Köln findet eine Konferenz aller Gewerkschaftsrichtungen statt, die eine reichsgesetzliche Regelung der Kriegsbeschädigtenfürsorge verlangen. Nicht nur bei den allgemeinen Aufgaben, sondern vor allem bei der Berufsberatung und Arbeitsbeschaffung sind auch Vertreter der Arbeiter- und Angestelltenorganisationen gleichberechtigt zu beteiligen.
Es ist dringend notwendig, daß die Fürsorge ihre Tätigkeit auch auf die ohne Versorgung entlassenen Kriegsbeschädigten ausdehnt. Die weitere Schaffung von Arbeitsgemeinschaften ist überall und für alle Berufe als wirksame Unterstützung der Kriegsbeschädigtenfürsorge anzustreben.
Die Vertreter aller Gewerkschaftsbünde weisen alle Versuche zurück, die Werkvereine bei der Vertretung von Arbeiterinteressen den Gewerkschaften gleichzustellen. Die Konferenz erkennt die Werkvereine nicht als unabhängige Vertretungen von Arbeiterinteressen an und lehnt eine Zusammenarbeit mit ihnen ab.

Ende August 1916

Generalfeldmarschall v. Hindenburg wird Generalstabschef, General Ludendorff zum Ersten Generalquartiermeister ernannt. Die neue Oberste Heeresleitung (OHL) erläßt als kriegswirtschaftliche Direktive das sog. Hindenburg-Programm, das auf einer Denkschrift des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute vom 23. August beruht. Das Programm sieht vor, durch verstärkte Ausbeutung in den Betrieben Menschen für die Front freizubekommen und eine Erhöhung der Rüstungsproduktion im Interesse des "Siegfriedens" in die Wege zu leiten. In zunehmendem Maße wird die OHL zur entscheidenden politischen Macht in Deutschland.

11./14. September 1916

Der Verbandstag der Schneider, Schneiderinnen und Wäschearbeiter in Berlin beschließt den Tarifvertrag zu kündigen, da die Arbeitgeber sich weigern, eine Teuerungszulage zu zahlen. Der Bundesrat wird dringend ersucht, durch Verordnungen jene Bestimmungen des Hausarbeitsgesetzes, die noch keine Gesetzeskraft haben, schnellstens in Kraft treten zu lassen.
Zum Schutze von Leben und Gesundheit der Hausgewerbetreibenden fordert der Verbandstag, daß auch die Unfall-, Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung auf dieselben ausgedehnt wird.

18. September 1916

A. v. Elm, geboren am 24. September 1857 in Hamburg, Zigarrensortierer und seit 1885 Vorsitzender des Verbandes, 1890-1896 Mitglied der Generalkommission, 1892 Gründer der Tabakarbeitergenossenschaft, 1898 der Konsumgenossenschaft "Produktion" in Hamburg, 1. Direktor der "Volksfürsorge", einer der Pioniere der Genossenschaftsbewegung, 1894-1907 MdR, in Hamburg gestorben.

Generalkommission und Parteivorstand wenden sich im "Correspondenzblatt" gegen Flugblätter, in denen die Opposition die Vorstandspolitik fortgesetzt herabwürdige. Das müsse die Arbeiterorganisation zerrütten.

Herbst 1916

Auf Anregung des Kriegsministeriums werden in regionalen Militärbereichen in Deutschland paritätische Schlichtungskommissionen eingerichtet, deren Vorsitz der zuständige Gewerbeaufsichtsbeamte oder ein Mitglied des Magistrats übernimmt.

Es bestehen für das Reichsgebiet 13 Arbeitsgemeinschaften der Gewerkschaften mit den Unternehmerverbänden

Im Geschäftsbericht des "Deutschen Braunkohlenindustrievereins" für 1915/1916 heißt es:
"In Arbeitgeberkreisen blickt man mit gewisser Besorgnis auf die überreiche Anerkennung des vaterländischen Verhaltens der gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen und ihrer Führer im Kriege, die ihnen von fast allen bürgerlichen Parteien und im besonderen auch von Vertretern der Staats- und Reichsregierung bekundet worden ist. Die Befürchtung ist nicht unbegründet, daß dadurch das Kraftbewußtsein der gewerkschaftlichen Arbeiterverbände und ihrer Führer außerordentlich erstarken wird und bereits liegen Erfahrungen dafür vor, daß dieses Kraftbewußtsein zu immer maßloseren Wünschen der Organisationen auf sozialpolitischem Gebiet und damit zu einer starken Beunruhigung unseres wirtschaftlichen Lebens führen wird.
Als sicher kann man wohl annehmen, daß die vom Bundesrat und Reichstag im Frühjahr 1916 angenommene Novelle zum Reichsvereinsgesetz zur Erstarkung der Gewerkschaften beitragen wird."
Dazu schreibt die "Deutsche Arbeitgeber-Zeitung":
"Diesen Bemerkungen, die tatsächlich mitten aus der Praxis kommen, wird man die größte Bedeutung beizumessen haben. Es ist richtig, daß die Befürchtungen, von denen der Bericht spricht, zum Teil bereits in Erfüllung gegangen sind. Das Auftreten der Gewerkschaften beweist, daß sie durchaus gewillt sind, aus der für sie günstigen Sachlage ein möglichst reiches Kapital zu schlagen. Nicht allein auf politischem Gebiet soll die "Neuorientierung" fast ausschließlich unter dem Gesichtswinkel gewerkschaftlicher Interessen erfolgen, nein, vor allem soll das gewerbliche Leben vollständig unter die Aufsicht der Gewerkschaftsführer gestellt werden."
"Es ist sehr angebracht, daß hier einmal ohne alle sentimentale Rücksicht ... wieder das kraftvolle und treffende Wort von dem 'Herrn-im-Hause-Standpunkt' erhoben worden ist. Soll die Industrie das leisten, was von ihr zukünftig in noch viel höherem Grade verlangt werden wird, so muß ihr unter allen Umständen eine starke Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit gewährleistet bleiben. Diese Forderung gilt ebenso für das handelspolitische wie für das sozialpolitische Gebiet."

21./23. September 1916

In Berlin tritt die sozialdemokratische Reichskonferenz zusammen, an der außer dem Parteivorstand, dem Parteiausschuß, der Kontrollkommission und den Reichstagsmitgliedern beider Fraktionen 307 Delegierte teilnehmen. Ph. Scheidemann rechtfertigt die Politik der Partei seit dem 4. August 1914. Das Manifest "Zur Friedensfrage" wird mit 251 gegen 5 Stimmen bei 15 Enthaltungen angenommen. In ihm wird die Pflicht der Landesverteidigung anerkannt. Noch immer ist dieser Krieg ein Verteidigungskrieg. Die Sozialdemokratie weist alle gegen Deutschland und seine Verbündeten gerichteten Vernichtungs- und Eroberungsziele zurück. Sie verwirft aber auch alle Forderungen, die dem Krieg den Charakter eines deutschen Eroberungskrieges geben wollen. Von der deutschen Regierung fordert sie, daß sie unausgesetzt bemüht ist, dem Krieg ein Ende zu machen und dem Volk den langersehnten Frieden wiederzugeben. Die Oppositionsgruppen lehnen die Beteiligung an den Abstimmungen ab, nachdem in namentlicher Abstimmung mit 276 gegen 169 Stimmen ein Antrag der Opposition abgelehnt worden war, daß die Reichskonferenz zu sachlicher Beschlußfassung nicht berechtigt sei. Ein Antrag, die Kreditbewilligung gutzuheißen und die Abspaltung der Arbeitsgemeinschaft zu mißbilligen, wird mit 219 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen angenommen. Die anwesenden Reichstagsabgeordneten nehmen an der Abstimmung nicht teil.
Die Konferenz spricht sich gegen die Handhabung des Belagerungszustandes und der Zensur aus. Die Konferenz bedauert die Verurteilung K. Liebknechts und die gegen ihn ausgesprochene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Weiterhin nimmt die Konferenz unter anderem Anträge auf Herabsetzung der Höchstpreise und gemeinnützige Verteilung der Lebensmittel, auf Erhöhung der Kriegsunterstützung, auf fortschreitende Demokratisierung der Verfassung und Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung an.
F. Ebert mahnt in seiner Schlußrede zur Einigkeit. Die Differenzen seien nicht so groß, um die Einigkeit unmöglich zu machen.

23. September 1916

Zum ersten Mal wird im "Correspondenzblatt" von J. Sassenbach die "Frage der Sommerferien!" behandelt:
"Sommerferien gelten bei Beamten und Lehrern für selbstverständlich, bei Kaufleuten und Angestellten sind sie die Regel, bei Arbeitern zeigen sich erst Ansätze dazu. Im allgemeinen steht man auf dem Standpunkte, daß die Arbeiter keine Ferien brauchen. ...
Dank der Tätigkeit der Gewerkschaften, nicht etwa der Einsicht der Unternehmer, ist die tägliche Arbeitszeit in den letzten Jahren zurückgegangen, dabei weiß aber jeder Sachverständige, daß in dieser kurzen Arbeitszeit mehr Arbeitskraft verbraucht wird als früher in der längeren Arbeitszeit. In der heutigen Zeit von einem langsamen Tempo der Arbeit zu sprechen, geht wirklich nicht an, weder bei der Handarbeit noch bei Maschinenarbeit. Zweifellos stehen heute der Mehrzahl der Arbeiter mehr freie Tagesstunden zur Verfügung als früher, aber die Arbeitsbefreiung von einigen Stunden am Tage ist im wesentlichen nur eine körperliche Entlastung; die tägliche Gebundenheit an die Arbeit bleibt bestehen und für geistige und seelische Erholung, und diese ist ebenso wichtig wie die körperliche Ausspannung, bleibt nur der Sonntag bestehen und die kirchlichen Feiertage. ...
Außer einer weiteren Verkürzung der täglichen Arbeitszeit [stehen] zwei Wege [zur Erholung] zur Verfügung: der freie Sonnabendnachmittag und Sommerferien. ... Verschiedene Gewerkschaften haben bereits begonnen, sich damit [mit dem freien Samstagnachmittag] zu beschäftigen. Dagegen möchte ich anregen, daß die Gewerkschaften sich mehr als bisher mit der Frage der Einführung von Sommerferien beschäftigen, sei es in der Presse oder auf Generalversammlungen, und daß sie die Gewährung von Ferien zu einem Teil ihrer Forderungen machen."

22. Oktober 1916

Eine Reichskonferenz des Verbandes der Dachdecker in Frankfurt a. Main fordert die Mitglieder auf, "überall, wo es die Verhältnisse zulassen, statt der Kriegs- und Teuerungszulagen, tarifliche Lohnerhöhungen vorzuziehen. Die sogenannten Kriegszulagen sind nur ein Aushilfsmittel, sie können den Wert und die Wirkung der wirklichen Lohnerhöhungen mit tariflicher Festlegung nicht ersetzen, wirken zudem auf die Dauer sehr wenig im Sinne gewerkschaftlicher Erziehung."
Die Konferenz beschließt, einen Zentralarbeitsnachweis zu gründen.

26. Oktober 1916

Der Reichstag beschäftigt sich mit einer stärkeren Heranziehung der Volksvertretung bei der Behandlung auswärtiger Fragen. Der Haushaltsausschuß soll auch in der tagungsfreien Zeit einberufen werden können.

27. Oktober 1916

Bei der Bewilligung von neuen Kriegskrediten sagt F. Ebert, daß die vornehmste Aufgabe sei, die Widerstandskraft unseres Volkes, das Gewaltiges leiste, zu stärken. Deshalb fordere die SPD bessere Regelung der Nahrungsmittelversorgung. Nötig seien die Herabsetzung der Lebensmittelpreise, besserer Arbeitsschutz, die Verbesserung der Familienfürsorge. Die Regierung dürfe nichts versäumen, um zu einem baldigen Frieden zu gelangen, der die Lebensinteressen der anderen Völker achte und das Unheil weiterer Kriege verhüte. Die Kredite werden gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft angenommen.

1. November 1916

Zur Durchführung des "Hindenburg-Programms" wird ein Kriegsamt gegründet. Das Kriegsamt faßt alle kriegswichtigen staatlichen Wirtschaftsorgane unter Leitung des Generalleutnants Groener zusammen. Über ein Netz von "Kriegsamtsstellen" und "Kriegsamtsnebenstellen" dirigiert das Kriegsamt die gesamte deutsche Wirtschaft, die Wirtschaft der besetzten Gebiete und z.T. auch die der deutschen Bündnispartner.

8. November 1916

Nach langen Verhandlungen wird für die Holzindustrie ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen, der die sehr unterschiedlichen Vertragslöhne stärker vereinheitlicht und erhöht. Zusätzlich vereinbaren die Tarifpartner für alle Lohnklassen Teuerungszuschläge.

20./22. November 1916

Die Konferenz der Vertreter der Verbandsvorstände in Berlin "ist sich nach wie vor völlig einig in der wiederholt festgestellten Auffassung, daß die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstage zum Krieg allein den Interessen der Gewerkschaften entsprochen hat und noch entspricht. Sie lehnt die gegen die Generalkommission und gegen die Gewerkschaftspresse gerichteten Angriffe und Vorwürfe als durchaus unbegründet ab und geht zur Tagesordnung über."
Die Konferenz diskutiert den Gesetzentwurf zur Einführung eines Vaterländischen Hilfsdienstes und macht die Zustimmung der Generalkommission und ihrer Gewerkschaften u.a. davon abhängig, daß die rechtlichen und wirtschaftlichen Arbeiterinteressen nicht geschädigt werden dürfen. Die Lohnfrage müsse durch paritätische Ausschüsse geregelt, das Koalitionsrecht bedingungslos anerkannt werden.
Die Vertreter erörtern auch die Arbeiterforderungen, die bei einer nach dem Kriege zu erwartenden Verstaatlichung größerer Zweige der Privatwirtschaft zugunsten des Finanzbedarfs von Reich und Bundesstaaten zu erheben sind.

30. November 1916

Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberorganisationen des Malergewerbes vereinbaren Richtlinien, zu deren Durchführung sie sich verpflichten. Dazu gehören u.a. die Sicherung und Ausbildung eines körperlich leistungsfähigen gewerblichen Nachwuchses durch die Pflege einer planmäßigen Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung durch städtische oder gemeinnützige Einrichtungen und den Ausbau einer geregelten Arbeitsvermittlung durch die Förderung unparteiisch tätiger Nachweise, die unter dem notwendigen Einfluß der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände stehen.

2. Dezember 1916

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst an. Danach ist jeder männliche Deutsche vom 17. bis zum 60. Lebensjahr zum Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet "Als vaterländischer Hilfsdienst gilt außer dem Dienste bei Behörden und behördlichen Einrichtungen insbesondere die Arbeit in der Kriegsindustrie, in der Land[- und Forst]wirtschaft, in der Krankenpflege und in kriegswirtschaftlichen Organisationen jeder Art sowie in sonstigen [Berufen und] Betrieben, die für Zwecke der Kriegführung oder der Volksversorgung unmittelbar oder mittelbar von Bedeutung sind. Die Leitung des vaterländischen Hilfsdienstes liegt dem beim Preußischen Kriegsministerium errichteten Kriegsamt ob."
In allen für den vaterländischen Hilfsdienst tätigen Betrieben mit mehr als 50 Arbeitern wird die Einsetzung eines Arbeiterausschusses obligatorisch. "Dem Arbeiterausschusse liegt ob, das gute Einvernehmen innerhalb der Arbeiterschaft des Betriebes und zwischen der Arbeiterschaft und dem Arbeitgeber zu fördern. Er hat Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf die Betriebseinrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebs und seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu bringen und sich darüber zu äußern." Die Mitglieder werden in geheimer, direkter Wahl nach dem Verhältniswahlsystem von den volljährigen Betriebsangehörigen gewählt. In Betrieben mit weniger als 50 Arbeitern oder landwirtschaftlichen Betrieben können die Arbeiter ihre Forderungen einer Schlichtungsstelle unterbreiten, die aus je drei Arbeitgebern und -nehmern und einem vom Kriegsamt berufenen Vorsitzenden besteht. Damit ist den landwirtschaftlichen Arbeitern eine rechtlich geordnete Interessenvertretung eingeräumt. Die Einschränkung der Freizügigkeit der Arbeiter wird insofern korrigiert, als beim Nachweis besserer anderweitiger Arbeitsbedingungen die Arbeitsstelle gewechselt werden kann. Den im Hilfsdienst beschäftigten Personen darf die Ausübung des ihnen gesetzlich zustehenden Vereins- und Versammlungsrechts nicht beschränkt werden.
Das Kriegsamt wird zur Leitung des mit der Regelung der Arbeiterfrage betrauten Ressorts einen Gewerkschaftsvorsitzenden berufen. Diese Funktion übernimmt der Vorsitzende des Metallarbeiterverbandes A. Schlicke.

8. Dezember 1916

In einem Aufruf "An die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten Deutschlands!" erläutert die Generalkommission das Hilfsdienstgesetz: "Das Gesetz hat durch Einführung der Arbeitspflicht den festen Boden für die Organisation der Arbeit im Dienste der Nation geschaffen. Aber das Werk kann nicht durch Zwangsarbeit gelingen, sondern muß der Erfolg freiwilliger Mitarbeit des ganzen Volkes aus eigener Ueberzeugung und freudiger Hingabe sein. Namentlich bedarf es für die Arbeiter und Angestellten nicht des Arbeitszwanges, denn ein jeder von ihnen ist von Jugend an in Arbeit aufgewachsen und in Pflichtbewußtsein geschult und wünscht nichts sehnlicher als ausreichende Beschäftigung."
Die Errichtung von Betriebsausschüssen sind ganz erhebliche Verbesserungen des geltenden Rechtszustandes, die ohne die energische Tätigkeit aller Gewerkschaftsgruppen nicht erreicht worden wären. Das Vereins- und Versammlungsrecht für alle im vaterländischen Hilfsdienst beschäftigten Personen ist durch das Gesetz selbst geschützt und darf in keiner Weise beschränkt werden.
"In dem Existenzkampf, den Deutschland um sein Bestehen und seine Zukunft führt, hat sich die Wahrheit glänzend durchgerungen, daß die Arbeiterklasse der bedeutsamste Teil des Volksganzen ist und ohne deren Opfersinn der geregelte Aufbau der Kriegswirtschaft nicht möglich wäre, der für die Selbstbehauptung unseres Volkes in diesem Kriege von entscheidender Bedeutung ist. Aber ohne ihre feste Organisation hätte die Arbeiterschaft auch diese Anerkennung nicht erreicht, und diese Organisation muß nach Beendigung des Krieges dafür sorgen, daß die Wiedergeburt Deutschlands im Zeichen der politischen Gleichberechtigung, der Anerkennung der Arbeiterorganisationen und der Sozialpolitik erfolgt."

11. Dezember 1916

Mit einer Verordnung des Bundesrates wird in allen offenen Verkaufsstellen der 7-Uhr-Ladenschluß - samstags 8 Uhr - eingeführt, um Brennstoff und Beleuchtung zu sparen. Gaststätten, Kinos und Theater müssen um 10 Uhr schließen.
Nach dieser Verordnung erneuert der Verband der Friseurgehilfen seine Forderung nach einem einheitlichen Geschäftsschluß; der Centralverband der Handlungsgehilfen bekämpft die für Nahrungsmittelgeschäfte und den späteren Sonnabendschluß gewährten Ausnahmen. Der Verband der Bäcker verlangt, das 1915 eingeführte Verbot der Nachtarbeit auch über den Krieg hinaus durch Gesetz zu sichern.

12. Dezember 1916

In Berlin erklärten sich Vertreter sämtlicher Gewerkschaften Deutschlands, der Angestellten- und kaufmännischen Organisationen in ihrer ersten gemeinsamen Konferenz zur Mitarbeit an dem neuen Kriegshilfsdienstgesetz bereit. Die Vertreter erklären, an der Durchführung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst nach Kräften mitarbeiten zu wollen. Die Konferenz beschließt einstimmig: "Die durch die Organisation der Arbeiter und Angestellten vertretenen Volksschichten sind bereit, einig und geschlossen alle Kraft in den Dienst unseres Landes zu stellen, damit die Vernichtungspläne der Gegner Deutschlands erfolglos bleiben.
Von der Reichsregierung und dem Kriegsamt erwarten die Versammelten weitgehende Förderung der berechtigten Bestrebungen der Arbeiter und Angestellten auf Erlangung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen, sowie die Sicherung des Koalitionsrechts. Sie fordern eine schärfere Bekämpfung des Lebensmittelwuchers und eine bessere Verteilung der vorhandenen Lebensmittel, damit die arbeitende Bevölkerung die an sie gestellten Anforderungen erfüllen kann."
Auf dieser Tagung sprechen auch der Staatssekretär des Innern K. v. Helfferich und der Chef des Kriegsamtes General Wilhelm Groener. Damit werden die Gewerkschaften zum ersten Mal von der Regierung als Vertreter der Arbeitnehmer anerkannt. Der Reichskanzler wünscht der Versammlung schriftlich "den besten Erfolg". Es ist gleichzeitig das erste Mal, daß Vertreter aller Gruppen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten gemeinsam über eine alle Arbeitnehmer interessierende Frage beraten.

Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg teilt dem Reichstag mit, daß der Kaiser zu Friedensverhandlungen bereit sei. In einer gemeinsamen Antwortnote der Ententemächte wird der Vorschlag Wilhelms II. am 30. Dezember abgelehnt. Der "Vorwärts" schreibt dazu "... das deutsche Volk wird sich nicht darüber täuschen lassen, daß hinter der Ablehnung des Friedensvorschlages die Hoffnung steht, Deutschland dennoch schließlich niederwerfen zu können. Diese Absicht auch ferner zu vereiteln, liegt im Interesse des ganzen Volkes."

Winter 1916 / 1917

In Deutschland verschlechtert sich die Lebensmittelversorgung - erster Hungerwinter (Steckrübenwinter) - nach einer schlechten Ernte und durch die Blockade. In mehreren Städten Deutschlands kommt es deshalb wie schon im Jahr 1916 zwischen Januar und April erneut zu Unruhen, Demonstrationen und Streiks.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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