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1905

Durch die Beendigung des russisch-japanischen Krieges noch verstärkt, herrscht in Deutschland Hochkonjunktur. Gleichzeitig erreichen die Aussperrungen ihren bisherigen Höchststand.

Die "Deutsche Arbeitgeber-Zeitung" erkennt die Gewerkschaften und ihre Verhandlungsfähigkeit an, gibt aber damit nicht die Haltung der Vertreter vor allem der Großindustrie wieder.

Mit ihrer Sammlung von Tarifverträgen "Gewerbliche Friedensdokumente" löst Franziska Imle eine lebhafte Diskussion darüber aus, ob es sich bei Tarifverträgen um Friedensdokumente oder um Waffenstillstandsverträge handelt. Bald darauf beginnt das statistische Reichsamt mit seinen umfangreichen Veröffentlichungen, und nun gehen auch die auf tariflichen Gebiete führenden Gewerkschaften dazu über, ihre Verträge in zum Teil umfangreichen Publikationen der Öffentlichkeit zu unterbreiten.

Ein Teil des 1896 gegründeten Werftarbeiter-Verbandes schließt sich dem Deutschen Metallarbeiterverband an.

Der Verband der Maurer stellt Richtlinien über den Inhalt künftig abzuschließender Tarifverträge auf, die für alle lokalen Zweigstellen und Bezirksverwaltungen verbindlich sein sollen; u.a. wird darin bestimmt, welche Bereiche tarifvertraglich geregelt werden sollten. Genauer vorgeschrieben wird die festzusetzende tarifliche Arbeitszeit (maximal 10 Stunden), die Laufzeit der Tarifverträge (zwei, maximal drei Jahre) und die vertragliche Behandlung der Maifeier (kein tarifvertragliches Verbot der Maifeier). Der Verbandsvorstand verfolgt mit dieser Aktion nicht die Absicht, einen zentralen Tarifabschluß für das ganze Reichsgebiet vorzubereiten; die Richtlinien sollen lediglich der Praxis vieler Ortsgruppen entgegenwirken, unkontrolliert "unter allen Umständen" und ohne genaue taktische Überlegungen Tarifverträge abzuschließen.
1906 bestehen erst drei größere Bezirkstarifverträge im Maingau, in Rheinland-Westfalen und in Oberschlesien.

Bei heftigen Kämpfen um die Verbesserung der schlechten Situation der Bekleidungsarbeiterschaft wird der Vorsitzende des christlichen Schneiderverbandes nach einer Aussperrung von den Unternehmern gemaßregelt. Das führt zu seiner hauptamtlichen Anstellung.

Nachdem seit 1900 in der Brauereiindustrie und dem Transportgewerbe Urlaub vereinbart wurde, wird nun auch Arbeitern in den öffentlichen Betrieben von Staat und Gemeinden Urlaub häufiger gewährt.

In Deutschland gibt es mehr als 385 industrielle Kartelle, darunter mindestens 132 regionale Ziegeleikartelle, 19 Kartelle der Kohlen-, 62 der Eisen-, 46 der chemischen, 31 der Textil- und 2 der Elektroindustrie.
Sie unterliegen keiner Beschränkung oder Aufsicht. 1897 hatte das Reichsgericht, daß § 1 der Gewerbeordnung mit der Garantie der Gewerbefreiheit kein Kartellverbot verknüpft.

Der Anteil der gegen Krankheit gesetzlich Versicherten an der Reichsbevölkerung beträgt 18,4%. Diese Zahl muß sicher erhöht werden, da die Kassen auch nicht versicherungspflichtige Familienangehörige versichern können.
Die Zahl der Versicherungsfälle beträgt 40% der Versicherten.
In der Unfallversicherung werden 6,7 Verletzte auf 1.000 Versicherte gezählt.
Fast 9.000 Versicherte werden in diesem Jahr bei Unfällen getötet, d.h. 7,6% aller Unfälle verlaufen tödlich.

Die Binnenwanderung - die "größte Massenbewegung" der deutschen Geschichte - erreicht einen Höhepunkt.
Von der Gesamtbevölkerung wohnen 48 Prozent nicht mehr an ihrem Geburtsort. Jeder zweite hat also in mehr oder weniger großer Reichweite an dieser Binnenwanderung - hauptsächlich von Ost nach West und vom Land in die Stadt - teilgenommen.
Im Ruhrgebiet beträgt z.B. der Anteil der Zuwanderer an der Gesamtbevölkerung zu dieser Zeit ca. 50 Prozent. Hamborn hatte 1890 etwas über 4.000, 1910 aber schon über 100.000 Einwohner.

Der "Verein für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik" wird gegründet. Sein Schwerpunkt liegt bei der Beratung für soziale Hygiene in der Kommunalpolitik.

1. Januar 1905

"Die arbeitende Jugend", Organ des Vereins der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Berlins, erscheint zum ersten Mal.

Der "Verband der Schirmmacher Deutschlands" beginnt seine Tätigkeit. Sitz ist Düsseldorf.

Die "Mitteilungen des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften" erscheint nun unter dem Titel "Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften". Das "Christliche Gewerkschaftsblatt" stellt sein Erscheinen ein.

Die "Deutsche Gärtner-Vereinigung" schließt sich dem "Allgemeinen Deutschen Gärtnerverein" an.

17. Januar / 9. Februar 1905

Im Ruhrgebiet beginnt ein umfangreicher Streik der Bergarbeiter, nachdem alle Versuche der Bergarbeiterverbände, durch Verhandlungen einen Arbeitskampf zu vermeiden, gescheitert waren. Zum ersten Mal wird ein Streik von allen Bergarbeiterverbänden gemeinsam geführt.
Er wendet sich gegen das Verhalten der Zechengesellschaften und des Kohlensyndikates, die Arbeitszeit wieder zu verlängern und des Nichtanrechnens unzureichend geladener Hunte auf den Lohn.
Am 19. Januar beteiligen sich rund 80% - über 200.000 Bergleute - am Streik. Am 9. Februar muß der Streik trotz zahlreicher Unterstützungen aus dem In- und Ausland aus finanziellen Gründen abgebrochen werden.
Die preußische Regierung setzt eine Untersuchungskommission ein, um gemeinsam mit den Gewerkschaftsvertretern die Beschwerden der Bergleute zu prüfen, und sichert die baldige Vorlage eines neuen Berggesetzes zu.
Über die Führung und den Abbruch des Streiks kommt es zu lebhaften Diskussionen.
Die preußische Regierung legt immerhin bald nach Streikende eine Novelle zum preußischen Berggesetz vor.

22. Januar 1905

Mit dem Niederwerfen einer Arbeiterdemonstration in St. Petersburg beginnt die erste russische Revolution.

26. Januar 1905

Der Ausschuß des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften wählt Mathias Schiffer, Vorsitzender des christlichen Textilarbeiterverbandes, als Nachfolger von A. Brust zum Vorsitzenden des Gesamtverbandes.

Februar 1905

Die SPD-Reichstagsfraktion verlangt die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfes über die Einführung eines Reichsarbeitsamtes, von Arbeitsämtern, Arbeitskammern und Einigungsämtern sowie eines Arbeitszeitgesetzes über eine tägliche 8stündige Arbeitszeit und den freien Samstagnachmittag. Ferner sollen Arbeitsschutz für Arbeiter in Betrieben mit hohen Vergiftungsgefahren und im Baugewerbe gesetzlich erweitert werden.
Ferner sollen Arbeitgeber, die die Ausübung des Koalitionsrechts behindern oder untersagen, bestraft werden.

5. Februar 1905

F. W. Fritzsche, geboren 25. März 1825 in Leipzig, Zigarrenarbeiter, in Philadelphia gestorben. 1865 Gründer und Vorsitzender des "Allgemeinen deutschen Zigarrenarbeitervereins", in 1868 rief er gemeinsam mit J. B. von Schweitzer den Arbeiterkongreß nach Berlin ein, 1868 bis 1871 Mitglied des Norddeutschen Reichstages, 1877 bis 1881 MdR, im November 1878 aus Berlin ausgewiesen, 1881 nach den USA ausgewandert.

18. Februar 1905

Das "Correspondenzblatt" schreibt zu der zum Teil heftigen Kritik am Abbruch des Bergarbeiterstreiks, daß die Steikenden unleugbare Erfolge erzielt haben. Sie haben die Notwendigkeit eines gesetzlichen Bergarbeiterschutzes nachgewiesen. Und sie haben den rücksichtslosen Herrenstandpunkt der Arbeitgeber in seiner ganzen abschreckenden Widerlichkeit an den Pranger gestellt. Die gewerkschaftliche Organisation, die das Grubenkapital nicht anerkennen will, die die Kapitalistenpresse als Organisation des gewaltsamen Umsturzes denunzierte, hat sich in demselben Moment als Hort der Gesetzlichkeit und öffentlichen Sicherheit erwiesen, in dem der Bergbauliche Verein an die Waffengewalt appellierte, um einen Bürgerkrieg anzufachen. Sie war vom ersten bis zum letzten Augenblicke des Kampfes ernstlich um den Frieden und die öffentliche Wohlfahrt bemüht, die von der Organisation der Zechenherren zurückgewiesen, verhöhnt und mit Füßen getreten wurden. Die entrechteten, verfolgten, von Staatsanwalt und Polizei regalierten Gewerkschaften, deren Koalitionsrecht jeder Willkür preisgegeben, deren zivilrechtliche Lage jeglichen Schutzes entbehrt, haben sich aufs Neue als Organe der allgemeinen Wohlfahrt, als staatserhaltend im wirklichen Sinne bewährt, während der Umsturz, der Terrorismus und die Mißachtung des Gemeinwohls auf Seiten der Koalition der Zechenherren wahre Orgien feierten.
Auch die Frage des politischen Massenstreiks wird durch den Bergarbeiterstreik in neue Bedeutung gerückt, insofern sich schon an diesem bescheidensten Beispiel eines solchen zeigt, welche ungeheueren Opfer ein allgemeiner Massenstreik erfordern würde und wie wenig die gesamte Organisation der Arbeiterklasse solchen Anforderungen gewachsen ist.

März / April 1905

In Weißenfels streiken mehr als 2.000 Schuhmacher erfolglos für den Abschluß eines Jahres-Tarifvertrages vor allem auch die Beseitigung bzw. Stellung der Furnituren zum Selbstkostenpreis. Am Streik beteiligt sich auch der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein der Schuhmacher.
Immerhin befürwortet kurz darauf der Vorstand der Schuhfabrikanten eine Schiedskommission, die Streitfälle vor Kampfhandlungen untersuchen soll.

2. März 1905

Der bayerische Ministerpräsident weist die Fabrikinspektoren an, auf den Abschluß von Tarifverträgen hinzuwirken, da sich diese als "eines der erfolgreichsten Mittel zur Besserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse und zur Herbeiführung des so erwünschten guten Einvernehmens zwischen Unternehmern und Arbeitern erwiesen hätten". Die Arbeitgeberverbände protestieren energisch gegen diesen Erlaß. Der Ministerpräsident versichert daraufhin den Industriellen, die Regierung werde keinen Druck auf die Unternehmer ausüben und die Gewerbeinspektoren würden ihre Vermittlung nur anbieten, wenn auf beiden Seiten "Geneigtheit" bestehe.

14. März 1905

Die Generalversammlung der Vereinigung der Maler, Lackierer usw. in Hamburg beschließt, die Organisation in Bezirke einzuteilen und dafür besoldete Bezirksleiter einzustellen.

31. März 1905

Die erste Marokkokrise beginnt mit der Landung Wilhelms II. in Tanger (Marokko). Er fordert für Deutschland die gleichen Konzessionen zur Ausbeutung Marokkos wie Frankreich.

April 1905

An dem Verbandstag des christlichen Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen nimmt der Reichsinnenminister v. Posadowsky teil. Die Generalversammlung sieht in speziellen Vorschriften über die gewerbliche Nutzung von Wohnräumen zwar nicht die entscheidende Maßregel gegen das Elend der Heimarbeit, aber einen im Interesse der Heimarbeiterfamilien dringend nötigen hygienischen Eingriff.

3./5. April 1905

Der Verbandstag der Bäcker und Berufsgenossen in Hamburg beschließt, daß künftig auch Frauen und Lehrlinge Mitglied werden können.
Die Generalkommission soll den Boykott als Waffe im gewerkschaftlichen Kampf größere Bedeutung schenken als bisher und dieses Thema auf dem nächsten Gewerkschaftskongreß diskutieren.

3./8. April 1905

Der Verbandstag des Verbandes der Bau-, Erd- und gewerblichen Hülfsarbeiter in Deutschland ändert den Namen der Gewerkschaft in "Verband der baugewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands". In das Streikreglement wird nun aufgenommen: Ein Streik gilt als aufgehoben, wenn sich in geheimer Abstimmung 1/3 der Abstimmenden dafür erklärt hat. Mit dem Fabrikarbeiterverband soll ein Abkommen über die jeweiligen Organisationsbereiche geschlossen werden.
Ein Antrag, gegen die zunehmende Frauenarbeit im Baugewerbe intensiver zu agitieren, wird dem Vorstand überwiesen.
Im Geschäftsbericht wird positiv vermerkt, daß die Zusammenarbeit mit den anderen Organisationen des Baugewerbes sich bedeutend gebessert hat, ganz besonders bei Lohnbewegungen.

9./15. April 1905

Der Verbandstag des Centralverbandes der Maurer in Braunschweig "macht es den Mitgliedern zur moralischen Pflicht, soweit es ohne Schädigung ihrer wirtschaftlichen Interessen möglich ist, den 1. Mai durch Arbeitsruhe zu feiern. Als Schädigung wirtschaftlicher Interessen ist die Einbuße des Arbeitslohnes für den Feiertag nicht anzusehen. Mittel der Hauptkasse dürfen zur Durchführung der Maifeier und zur Unterstützung Gemaßregelter und Ausgesperrter nicht verwendet werden."
Der Vorsitzende des Maurerverbandes Th. Bömelburg rechnet mit dem Abschluß von Tarifverträgen, nachdem sich Arbeitgeber auch dafür ausgesprochen haben. Die Verträge sollten jedoch Bestimmungen enthalten über: Dauer der täglichen Arbeitszeit während längerer und kürzerer Tagesdauer; Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeiten; Beginn und Ende der Frühstücks-, Mittags- und Vesperpause; Arbeitslohn für die Tagesstunden und höhere Bezahlung für Überstunden-, Nacht-, Sonntags-, Feuerungs-, Wasser- und Überlandarbeiten usw.; Zeit der Lohnzahlung; Kündigung; sanitäre Einrichtungen (Baubuden, Aborte); Einsetzung einer paritätischen Kommission der Arbeiter und Unternehmer, die Differenzen zu untersuchen und zu schlichten hat.
Ferner wird gefordert: eine feste Umgrenzung des Vertragsgebietes und Beschränkung der Vertragsdauer in der Regel auf 2 Jahre, dreijährige Dauer nur bei gleichzeitiger Sicherung einer Lohnerhöhung und einer mindestens einstündigen Arbeitszeitverkürzung. Als unstatthaft bezeichnet sie den Abschluß von Verträgen mit Bestimmungen über längere als 10stündige Arbeitszeiten, beliebige Zulassung von Über-, Nacht- und Sonntagsarbeit, Verbot der Agitation auf Arbeitsplätzen, Verbot der Maifeier, Festsetzung von Leistungsklauseln, Anerkennung unparitätischer Arbeitsnachweise und einseitige Auflösung des Vertrages. Streiks irgendwelcher Art, die auf einen Vertragsbruch der Arbeiter zurückzuführen sind, werden aus Verbandsmitteln nicht unterstützt.
"In Anbetracht der großen wirtschaftlichen und hygienischen Schäden, die der Alkoholgenuß für die Menschheit im allgemeinen und für die Arbeiter im besonderen bildet, verpflichtet der Verbandstag die Kollegen, das Verbandsorgan und die agitatorisch tätigen Kollegen auf die Gefahren des Alkoholgenusses hinzuweisen."
In seinem Rechenschaftsbericht erklärt Th. Bömelburg, er halte eine Verschmelzung mit den Stukkateuren für richtig, aber sie scheitere am Widerstand der Stukkateure.

10./15. April 1905

Die Generalversammlung des Zentralverbandes der Zimmerer in Dresden lehnt zwar einen Zusammenschluß der Gewerkschaften des Baugewerbes als nicht zeitgemäß ab, erklärt aber, daß der Verband nach wie vor auf dem Boden der Kartellverträge mit den verwandten Berufsgenossen steht.
Nach lebhafter Diskussion wird die Einführung der Arbeitslosenversicherung beschlossen.

17./20. April 1905

Der Verbandstag des Seemannsverbandes in Hamburg protestiert dagegen, daß auf deutschen, vom Reich subventionierten Schiffen Chinesen als Lohndrücker angestellt und dadurch die deutschen Seeleute, die Steuerzahler sind, von der Arbeit auf diesen Schiffen immer mehr verdrängt werden. Der Vorstand wird beauftragt, bei der Reichsregierung dahin vorstellig zu werden, daß die Verwendung von farbiger Mannschaft auf subventionierten Schiffen verboten wird. Eine zentrale Krankenunterstützung wird abgelehnt, lokale freiwillige Krankenzuschußkassen werden aber zugelassen. Der Verband führt eine Gemaßregeltenunterstützung ein.
Der Verbandstag stimmt dem Kartellvertrag mit den Zentralverbänden der Eisenbahner, Transport- und Verkehrsarbeiter, Maschinisten und Heizer zu und sieht in ihm eine Grundlage für einen später zu schaffenden Industrieverband.

21./26. April 1905

Die Generalversammlung des Senefelder-Bundes und die des Verbandes der Lithographen und Steindrucker in Berlin beschließen die Verschmelzung der beiden Organisationen zum Deutschen Senefelder-Bund.
Der Bund bezweckt die Vertretung der gewerblichen, sowie die Förderung der geistigen und materiellen Interessen seiner Mitglieder. Der Bund besteht aus folgenden drei Kassen: der Gewerkschaftskasse mit Reise-und Arbeitlosen-Unterstützung; der Kranken-Unterstützungs- und Sterbekasse sowie der Invaliden- und Witwenkasse.
Da der Klage einiger Mitglieder des ehemaligen Senefelder-Bundes gegen die Verschmelzung vor einem Gericht stattgegeben wird, kann der neue Bund noch nicht tätig werden.
Der Sitz des Bundes wird Berlin.

22./27. April 1905

Die Generalversammlung des Vereins der Cigarrensortierer in Leipzig ändert den Vereinsnamen in "Verband der Cigarrensortierer und Kistenkleber Deutschlands".
Sie hält ein allgemeines Verbot der Haus- und Sonntagsarbeit für die Mitglieder der Organisation durch die Gewerkschaft zur Zeit noch nicht für durchführbar; dieselbe erwartet jedoch von den Kollegen, daß sie aus eigenem Antrieb im Interesse der Arbeitslosen Haus- und Sonntagsarbeit möglichst vermeiden.
"Die Generalversammlung erkennt als erstrebenswertes Ziel der Tabakarbeiterbewegung die Vereinigung sämmtlicher Gruppen der Tabakindustrie in einem die berechtigten Interessen aller wahrenden Industrieverbande. Die Generalversammlung ist jedoch der Ansicht, daß die Vorbedingungen zur Zeit noch nicht gegeben sind, eine solche Vereinigung ohne Schädigung des Organisationsverhältnisses der Sortierer herbeizuführen. Sie gibt der Hoffnung Raum, daß die jetzt auch im Tabakarbeiterverband eingeführte Arbeitslosenunterstützung sich bewähren und derselbe im stande sein wird, auf der jetzigen Basis zum weiteren Ausbau seiner Verbandseinrichtungen zu schreiten und infolgedessen die zur Zeit noch zu großen Unterschiede zwischen beiden Organisationen mehr und mehr ausgeglichen werden.
Die Generalversammlung beauftragt den Vorstand, zur Herbeiführung eines wirksamen Zusammenarbeitens beider Organisationen mit dem Vorstande des Tabakarbeiterverbandes in Verhandlungen zu treten.
Die Generalversammlung erhebt energischen Protest gegen jede Mehrbelastung der Tabakindustrie durch Steuern und Zölle, weil die Wirkung derselben auf die im Gewerbe beschäftigte große Zahl von Arbeitern und Arbeiterinnen eine weitere Verschlechterung ihrer ohnehin schon recht traurigen Lohn- und Arbeitsverhältnisse bringen würde; namentlich im Interesse ihrer im Gewerbe tätigen alten Kollegen, die bei einer durch die Mehrbelastung des Tabaks eintretenden Geschäftskrisis in erster Linie durch Arbeitslosigkeit betroffen und infolge ihrer geschwächten Gesundheit in keinem anderen Berufe sich ernähren könnten."
A. v. Elm wird wieder zum Vorsitzenden gewählt.

23./27. April 1905

Die Generalversammlung des Verbandes der Glasarbeiter und -arbeiterinnen in Jena will den Kampf gegen die Sonntagsarbeit in der Glasindustrie verstärken.
Das Zwischenmeistersystem wird als schädlich gekennzeichnet, mit den Fabrikanten sollen direkte Arbeitsverträge angestrebt werden. Für Nord- und für Süddeutschland sollen "besoldete Gaubeamte" angestellt werden. Für Abwehrstreiks bedarf es des Beschlusses einer Zweidrittelmehrheit.

24./28. April 1905

Die 12. Generalversammlung des Verbandes der Lederarbeiter in Dresden beschließt, für zwei Gaue besoldete Gauleiter anzustellen. Von nun an können auch Arbeiterinnen aufgenommen werden, deshalb der neue Name "Verband aller in der Lederindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands". Soweit möglich, sollen Tarifverträge abgeschlossen werden.
Wegen der Verschmelzung der für die Lederindustrie in Frage kommenden Verbände zu einem Industrieverband soll sich der Verband mit den betroffenen Verbänden in Verbindung setzen.

5. Mai 1905

Der "Centralverband Deutscher Industrieller" betrachtet - in einer Resolution seiner Delegiertenversammlung - "den Abschluß von Tarifverträgen zwischen den Arbeitgeberorganisationen und den Organisationen der Arbeiter als der deutschen Industrie und ihrer gedeihlichen Fortentwicklung durchaus gefährlich. Die Tarifverträge nehmen dem einzelnen Arbeitgeber die für die sachgemäße Fortführung jeden Unternehmens notwendigen Freiheit der Entschließung über die Verwendung seiner Arbeiter und der Lohnfestsetzung, und sie zwingen die einzelnen Arbeiter unter die Herrschaft der Arbeiterorganisationen. Die Tarifverträge sind nach Überzeugung des Centralverbandes Deutscher Industrieller ... darüber hinaus schwere Hindernisse des technischen und organisatorischen Fortschritts der deutschen Industrie. Aus diesen Gründen bedauert der Centralverband Deutscher Industrieller insbesondere auch die Entschließung der Königl. Bayerischen Staatsregierung vom 2. März 1905, die den Abschluß von Tarifverträgen als eine der vornehmsten Aufgaben der Gewerbeaufsichtsbeamten bezeichnet".

7./12. Mai 1905

Die Generalversammlung des Centralverbandes der Töpfer und Berufsgenossen in München spricht sich dafür aus, daß Orte mit guten Tarifen, aus Solidaritätsgefühl und aus Selbsterhaltungspflicht und um der grassierenden Lehrlingszüchterei entgegenzuwirken, in nächster Zeit nach Möglichkeit auf Forderungen verzichten, um mit aller Macht die Hebung der schlechtergestellten Orte fördern zu können. Dem Vorstand werden bei Streiks größere Rechte eingeräumt. Er muß Angriffsstreiks zustimmen. Die Einführung einer Arbeitslosen- und Erwerbslosenunterstützung wird abgelehnt.

9./14. Mai 1905

Die Generalversammlung des Centralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter in Frankfurt a. Main bedauert, daß die Verhandlung über einen Tarifvertrag mit dem Verband deutscher Genossenschaften gescheitert sind und beauftragt den Vorstand neue Gespräche zu führen, dabei ist die Anerkennung des gewerkschaftlichen Arbeitsnachweises zu fordern.
Die Delegierten stimmen einem Kartellvertrag mit dem Hafenarbeiter- und dem Seemannsverband zu.
Neu eingeführt werden Staffelbeiträge nach Lohnklassen.

11./15. Mai 1905

Die Generalversammlung des deutschen Werftarbeiterverbandes in Kiel beschließt, die Verschmelzungsfrage auf dem nächsten Kongreß zu behandeln.
Sitz des Verbandes wird Bremerhaven.

14. / 16. Mai 1905

Die Generalversammlung des Centralverbandes der Schiffszimmerer in Rathenow beschließt, über die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung die Mitglieder in einer Urabstimmung entscheiden zu lassen.

21. Mai 1905

Die erste Hauptversammlung der "Unterstützungsvereinigung der in der modernen Arbeiterbewegung tätigen Angestellten" in Berlin erhöht in einigen Fällen die Karenzzeiten, um die finanziellen Grundlagen der Vereinigung zu stärken.
Der Vereinigung gehören mehr als 900 Angestellte der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung sowie beruflichen Zentralkrankenkassen der Arbeiter an.

21. Mai / 5. Juli 1905

25.000 Maschinenbauarbeiter in Augsburg, München und Nürnberg streiken und werden ausgesperrt. Der Kampf wird für Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhung und Anerkennung des Koalitionsrechtes durch die Unternehmer geführt und endet mit einem Erfolg für die Arbeiter.

22./27. Mai 1905

Auf dem 5. Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands in Köln vertreten 208 Delegierte rund 1,2 Millionen - darunter 70.000 weibliche - Organisierte in 64 Zentralverbänden. Tagesordnung: Die Stellung der Gewerkschaften zum Generalstreik (Th. Bömelburg); die Gewerkschaften und die Maifeier (R. Schmidt); Gewerkschaften und Genossenschaften (A. v. Elm); die gesetzliche Vertretung der Arbeiterschaft in Arbeitskammern oder Arbeiterkammern (P. Umbreit und O. Hue).
Über die Art der Maifeier werden Verhandlungen zwischen dem Vorstand der sozialdemokratischen Partei und der Generalkommission gewünscht. Über die vorliegenden Anträge, unter anderem die Maifeier auf den Abend des 1. Mai zu legen, sind die Meinungen geteilt; es wird nicht abgestimmt. Die Entscheidung wird den Parteitagen und den internationalen Kongressen überlassen.
Im Mittelpunkt der Beratungen steht das Massenstreikproblem, nachdem in Belgien und Schweden durch Massenstreiks das allgemeine Wahlrecht erkämpft worden war.
Th. Bömelburg, der Vorsitzende des Maurerverbandes, lehnt in seinem Referat den politischen Massenstreik als Kampfmittel der Gewerkschaften ab und fordert, selbst die Diskussion in der Gewerkschaftsbewegung zu beenden: "Ungeheuere Opfer hat es gekostet, um den augenblicklichen Stand der Organisation zu erreichen, um aber unsere Organisation auszubauen, brauchen wir in der Arbeiterbewegung Ruhe."
Der Kongreß hält gegen 7 Stimmen alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen, für verwerflich. Er empfiehlt der organisierten Arbeiterschaft, solchen Versuchen energisch entgegenzutreten. Th. Bömelburg erklärt, für die deutschen Gewerkschaften sei es im Augenblick viel wichtiger, die Organisation weiter auszubauen.
Die Aufgaben der Gewerkschaftskartelle, die die gemeinsamen gewerkschaftlichen Interessen ihres Ortes zu vertreten haben, werden festgelegt. Die selbständige Anwendung der gewerkschaftlichen Kampfmittel (Streik, Boykott) wird ihnen entzogen. Für Heimarbeiter wird die Einbeziehung in die Sozialversicherung gefordert.
Der Kongreß lehnt erneut einen gemeinsamen Streikfonds ab, weil ein Streik im allgemeinen nicht Sache der Allgemeinheit, sondern der betreffenden Organisation sei und diese deshalb auch die Mittel durch entsprechende Mitgliedsbeiträge zu beschaffen habe. In außerordentlichen Fällen bei unerwartet großen Streiks oder Aussperrungen wird die Generalkommission ermächtigt, auf Antrag der betroffenen Gewerkschaft unter Zustimmung der anderen Zentralvorstände finanzielle Mittel auch durch Sammlungen zu beschaffen. Die Gewährung solcher Hilfe wird an ein Mitbestimmungsrecht der Generalkommission über die Leitung des Kampfes und alle taktischen Maßnahmen bis zu seiner Beendigung geknüpft, der Generalkommission die Entscheidung über die Verwendung der Gelder übertragen und die Kontrolle darüber der Vorständekonferenz vorbehalten.
Die Gewerkschaften erblicken in der Organisation des Konsums durch Genossenschaften ein Mittel zur Erhöhung der Lebenshaltung und der genossenschaftlichen Erziehung des Volkes und empfehlen, daß die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen die Genossenschaftsbewegung in Deutschland auf das tatkräftigste unterstützen. Die Genossenschaften sollen die gewerkschaftlichen Arbeitsnachweise nutzen und die gewerkschaftlichen Tarife und Forderungen anerkennen. Differenzen sollen eventuell durch Schiedsgerichte beseitigt werden. Zur Debatte steht auch die gesetzliche Vertretung der Arbeiterschaft in Arbeitskammern oder Arbeiterkammern. Die Mehrheit der Delegierten entscheidet sich für das Letztere.
Die Agitation unter den Arbeiterinnen soll von den Gewerkschaften mit mehr Energie und Ausdauer betrieben werden.
Der Bundesrat soll die Alters- und Invalidenunterstützung auf die Heimarbeiter ausdehnen und die Gärtnereiangestellten unter die Gewerbeordnung stellen. Die Generalkommission soll im Sinn der Beschlüsse des Heimarbeiterschutz-Kongresses wirken. Nach Bedarf soll ein weiterer Kongreß einberufen werden.
Der Kampf für die Beseitigung des Kost- und Logiszwanges soll verstärkt fortgesetzt werden.
Die Generalkommission und die Zentralvorstände sollen neue Richtlinien für die Regelung von Grenzstreitigkeiten ausarbeiten.
Die Generalkommission wird beauftragt, der Frage von gewerkschaftlichen Unterrichtskursen näher zu treten.
Als Mitglieder der Generalkommission werden die 1902 gewählten bestätigt. Die Kommission wird um O. Schumann und A. Drunsel erweitert.
Nach diesem Kongreß kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern über das Problem des politischen Massenstreiks und über das Verhältnis von Partei und Gewerkschaften.

29./30. Mai 1905

In Berlin tagt zum ersten Mal eine Konferenz der Arbeitersekretariate, die sich vor allem mit den Fragen einer einheitlichen Gestaltung der Statistik der Sekretariate befaßt.

10./13. Juni 1905

Der Verbandstag des Verbandes der Buch- und Steindruckerei-Hilfsarbeiter und -arbeiterinnen in Halle/Saale stimmt im Prinzip dem Abschluß von Tarifgemeinschaften unter der Voraussetzung zu, daß nicht einzelne Hilfsarbeitergruppen davon ausgeschlossen und die Arbeitsnachweise des Verbandes durch paritätische ausgeschaltet werden, in Anbetracht der vorhandenen Verhältnisse aber, besonders in Berlin und Leipzig, die den Abschluß eines Tarifs hindern, an der bisher bewährten Taktik festhält und von den organisierten Buchdruckern und Steindruckern erwartet, daß sie den Hilfsarbeitern in ihrem Bestreben, die Löhne zu verbessern, nicht hinderlich werden. Der Verbandstag der Buchdrucker soll Klarheit darüber schaffen, ob der Buchdruckertarif einen organisierten Buchdrucker verpflichtet, mit Streikbrechern zu arbeiten oder solche anzulernen, und eventuell ein festes Gegenseitigkeitsverhältnis mit dem Hilfsarbeiterverband bei beabsichtigten Lohnbewegungen herbeizuführen.

10./15. Juni 1905

Die Generalversammlung des Verbandes der Bergarbeiter in Berlin billigt gegen 2 Stimmen die Taktik der Verbandsleitung beim letzten Streik.
Die Bergarbeiter verschärfen das Streikreglement, in dem keine Streiks mehr ohne Zustimmung des Vorstandes begonnen werden dürfen. Auch Forderungen an Werksleitungen bedürfen dieser Zustimmung
Die Delegierten protestieren gegen die völlig unzureichende preußische Berggesetznovelle. Sie hoffen, daß das Herrenhaus das Gesetz ablehnt.

11./17. Juni 1905

Die Generalversammlung des Verbandes der Porzellanarbeiter und -arbeiterinnen in Berlin stimmt der Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung zu.
Für Thüringen soll versuchsweise ein Gauleiter angestellt werden.

12./17. Juni 1905

Die Generalversammlung des Metallarbeiterverbandes in Leipzig erklärt: "Das Prämien-Lohnsystem ist eines der raffiniertesten Mittel zur Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Es setzt den Unternehmer in den Stand, den Arbeiter unter dem Schein höherer Bezahlung anzuspornen, anhaltend seine Kräfte bis zur äußersten Erschöpfung anzustrengen ohne Rücksicht darauf, daß er sich dadurch früh ruiniert. Ferner entfesselt es alle selbstsüchtigen Leidenschaften, führt dadurch zu schwerer moralischer Schädigung der Arbeiterschaft und beeinträchtigt den Einfluß der Organisation auf die Besserung der Arbeitsverhältnisse.
Aus diesen Gründen liegt es nicht im Interesse der Arbeiter, der Weiterverbreitung dieses Systems Vorschub zu leisten, zumal die Erfahrungen gezeigt haben, daß es von den Unternehmern in der Hauptsache auch dazu benutzt wird, einen Maßstab zu gewinnen zur weiteren Herabsetzung der Akkordpreise oder zur Erhöhung des Arbeitspensums bei Lohnarbeit.
Die Generalversammlung erklärt sich deswegen grundsätzlich gegen das Prämien-Lohnsystem, hält es jedoch nicht für angebracht, den Verband auf eine in allen Fällen zu befolgende Taktik festzulegen, will diese vielmehr in jedem einzelnen Fall den maßgebenden Verbandsinstanzen zur Entscheidung überlassen."
Verwaltungen mit über 3.000 Mitgliedern haben vor größeren Streiks eine Verständigung mit dem Hauptvorstand herbeizuführen.
Der Verband gewährt Hinterbliebenen ein Sterbegeld.
Die Generalversammlung beschließt mit 94 gegen 64 Stimmen: "In allen Betrieben, wo dreifünftel der dort beschäftigten Arbeiter vollberechtigte Mitglieder des D.M.V: sind, sind dieselben verpflichtet durch geheime Abstimmung einen Beschluß über die Arbeitsruhe am 1. Mai herbeizuführen. Entscheidet sich die Majorität für Arbeitsruhe, so hat sich die Minorität diesem Beschluß zu fügen. Der Ortsverwaltung ist spätestens 10 Tage vor dem 1. Mai von dem Beschluß Kenntnis zu geben.
Eine Beschlußfassung über die Arbeitsruhe am 1. Mai darf nur in Betriebsversammlungen erfolgen.
Aussperrung, Maßregelung und Entlassung wegen der Arbeitsruhe am 1. Mai dürfen mit Forderungen unsererseits nicht beantwortet werden.
Bei Aussperrung, Maßregelung und Entlassung wegen der Arbeitsruhe am 1. Mai tritt für die Betroffenen, soweit sie vollberechtigte Mitglieder sind, die Maßregelungsunterstützung auf die Dauer von längstens 13 Wochen in Kraft, die vom 2. Mai ab gezahlt wird.

13./17. Juni 1905

Der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein der Schuhmacher und Lederarbeiter hält seinen Delegiertentag in Posen ab. Der Gewerkverein hat rund 5.700 Mitglieder.
Den Ortsvereinen wird empfohlen beim Abschluß von Tarifverträgen möglichst selbständig vorzugehen. Der Gewerkverein bedauert die grundsätzliche Abneigung der Schuhfabrikanten gegen Tarifverträge.

13./20. Juni 1905

Die Generalversammlung des Gewerkvereins der Maschinenbauer und Metallarbeiter in Chemnitz beschließt, daß für Streiks die vorherige Zustimmung des Generalrates erforderlich ist. Bei gemeinsamen Lohnverhandlungen und Streiks mit anderen Organisationen beansprucht der Gewerkverein das Recht der Mitberatung. Im Falle der Nichtanerkennung behält er sich selbständige Verhandlung mit dem Unternehmer vor.
Künftig können auch Frauen Mitglied des Gewerkvereins werden. Für die Organisation werden 12 Beamte angestellt.
Dem Anschluß des Gewerkvereins der Klempner und Metallarbeiter wird zugestimmt, der Ausschuß von A. Erkelenz aufgehoben.

19./26. Juni 1905

Die Generalversammlung des Verbandes der Buchdrucker in Dresden erklärt es als selbstverständliche Pflicht der Mitglieder, die Bestrebungen der Hülfsarbeiter zur Hebung ihrer Lage zu unterstützen. Ein aktives Eintreten der Mitglieder zur Unterstützung der Forderungen der Hülfsarbeiter kann jedoch nur nach vorheriger Zustimmung des Verbandsvorstandes erfolgen.

23./24. Juni 1905

Die vierte internationale Konferenz der Sekretäre der gewerkschaftlichen Landeszentralen in Amsterdam erklärt: "Aufgabe der Konferenz ist, zu beraten über den engeren Zusammenschluß der Gewerkschaften aller Länder, über einheitlich zu führende Gewerkschaftsstatistiken, über gegenseitige Unterstützung in den wirtschaftlichen Kämpfen und über alle unmittelbar mit der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterschaft im Zusammenhang stehende Fragen.
Ausgeschlossen von der Beratung sind alle theoretischen Fragen und solche, welche die Tendenzen und die Taktik der gewerkschaftlichen Bewegung in den einzelnen Ländern betreffen.
Ueber die Zusammensetzung der Konferenz wurde folgendes beschlossen:
Die Sekretäre der dem Internationalen Sekretariat angeschlossenen Landescentralen, respektive die von den gewerkschaftlichen Landescentralen ernannten oder von den angeschlossenen Gewerkschaften gewählten Delegierten treten alle zwei Jahre zu einer Konferenz zusammen."
Die Niederländer schlagen vor, die internationale Konferenz wolle überlegen, ob es möglich ist, eine internationale Korrespondenzsprache einzuführen.
Der Antrag wird mit großer Mehrheit abgelehnt, da man ihn für undurchführbar hält.
Die Konferenz beschließt auf Vorschlag der Dänen, durch das Internationale Sekretariat der gewerkschaftlichen Landescentralen im Jahre 1906 eine Untersuchung über die Länge der Arbeitszeit in den verschiedenen Ländern vorzunehmen.

25. Juni 1905

Max Hirsch, geboren 30. Dezember 1832 in Halberstadt, Kaufmann, Mitbegründer der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, 1869-1893 MdR, Dt. Fortschrittspartei bzw. Freisinnige Partei, in Hamburg gestorben.

Ende Juni / Anfang Juli 1905

Der Genossenschaftstag in Stuttgart beschließt, eine Unterstützungskasse für die genossenschaftlichen Arbeiter und Angestellten zu gründen, die ähnlich strukturiert ist wie die für Gewerkschaftsangestellte. Der Vorstand wird beauftragt, mit dem Vorstand des Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiterverbandes nun Tarifverhandlungen aufzunehmen. Der Genossenschaftstag genehmigt den mit dem Centralverband der Handlungsgehülfen vereinbarten Tarifvertrag, der u.a. festlegt:
Für die Ladenangestellten: Achtuhrladenschluß.
Für die Kontor- und Lagerangestellten: achtstündiger Arbeitstag.
Für sämtliche Angestellte: Arbeitsruhe an Sonn- und Festtagen; jährlich eine Woche Ferien unter Fortzahlung des Gehalts. Anstellung und Besoldung sämtlicher Angestellten durch den Verein. Im Falle militärischer Übungen, Fortzahlung des Gehalts bis zu sechs Wochen.
Die Entlassung eines Angestellten kann nur unter folgenden Voraussetzungen erfolgen:
a) bei beabsichtigter Verminderung des Personals, wobei zunächst die zuletzt angestellten Personen der in Betracht kommenden Kategorien zu entlassen sind;
b) bei Erkrankung von mehr als dreimonatiger Dauer;
c) bei sonstiger persönlicher Unbrauchbarkeit.
Falls bei Differenzen zwischen kaufmännischen Angestellten und Verwaltung Erstere die Hinzuziehung der Vertrauensperson der Gewerkschaft wünschen, so ist diese seitens der Verwaltung als die vollberechtigte Vertretung für die Interessen der Angestellten anzuerkennen und demgemäß mit ihr zu verhandeln.
Bei Bedarf an kaufmännischen Arbeitskräften sind diese durch den Arbeitsnachweis des Handlungsgehülfenverbandes am Orte evtl. durch den Centralarbeitsnachweis dieser Organisation zu beziehen.
Der Zentralverband deutscher Konsumvereine hat 885 Vereine mit etwa 720.000 Mitgliedern und 9.600 beschäftigten Personen.

Mitte 1905

Zu diesem Zeitpunkt werden 1.585 Tarifverträge für 46.272 Betriebe und 481.910 Personen registriert.

Juli 1905

Adolph von Elm, Vorsitzender des Verbands der Tabaksortierer, schreibt in den "Sozialdemokratischen Monatsheften": "Ich muß ganz entschieden bestreiten, daß sich die Gewerkschaften in ihren Statuten oder in programmatischen Erklärungen jemals auf das Endziel der Sozialdemokratie, die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktivmitteln in gesellschaftliches Eigentum, festgelegt hätten. Die Gewerkschaften sind Organisationen zu dem ausgesprochenen Zweck, auf dem Boden des heutigen Gegenwartsstaates für die Arbeiterklasse die größtmöglichen Vorteile zu erringen; die Fragen einer zukünftigen Gesellschaftsordnung zu erörtern, haben alle Gewerkschaften bisher abgelehnt; auf das sozialdemokratische Programm verpflichtet keine Gewerkschaft neu eintretende Mitglieder."

1. Juli 1905

Der internationale Textilarbeiterkongreß in Mailand bestätigt die Beschlüsse früherer Kongresse und beschließt, ein Komitee mit je 2 Vertretern aus jedem Land zu bilden, das gemeinsam mit dem Sekretär arbeiten soll.

9. Juli 1905

In Konstanz wollen Sozialdemokraten aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz an einer großen Friedensdemonstration für Völkerverbrüderung teilnehmen. Den ausländischen Gästen wird indessen verboten zu reden. So spricht nur A. Bebel in Konstanz. Bebel verurteilt die Marokkopolitik der deutschen Regierung und geißelt das Redeverbot der badischen Regierung für die ausländischen Sozialdemokraten. Nach seiner Rede ziehen die Teilnehmer (8-10.000) ins schweizerische Kreuzlingen, wo die übrigen Redner sprechen.

18.000 Berliner protestieren für den Frieden. Sie verurteilen das Redeverbot der Regierung für den französischen Sozialisten Jean Jaurès für diese Kundgebung und sprechen den russischen Revolutionären ihre Sympathie aus.

14. Juli 1905

Mit einer Novellierung des preußischen Berggesetzes von 1865 werden nur einige der Konfliktpunkte im bergbaulichen Arbeiterverhältnis geregelt: die Begrenzung der Gesamtschichtdauer einschließlich Ein- und Ausfahrt von 8,5 Stunden, das Verbot der Überschaften vor Orten mit 28° Celsius, die Abschaffung des "Wagennullens" sowie die obligatorische Einführung ständiger Arbeiterausschüsse in Betrieben mit mindestens 100 Mann Belegschaft, die darauf hinzuwirken haben, daß das gute Einvernehmen innerhalb der Belegschaft und zwischen Belegschaft und dem Arbeitgeberverhalten bleibt oder wiederhergestellt wird. Sie verwalten die Unterstützungskasse mit; sie können sich vor Erlaß einer Arbeitsordnung dazu äußern. Wegen ihrer geringen Kompetenzen werden die Arbeiterausschüsse zunächst vom Bergarbeiterverband abgelehnt. Mit Erfolg ruft er zur Wahlenthaltung bei den ersten Wahlen für die Ausschüsse auf. Die Gewerkschaften kritisieren vor allem, daß mit dieser Novellierung eine reichsgesetzliche Regelung vorläufig nicht verwirklicht werden wird.

16./18. Juli 1905

Die Generalversammlung des Lagerhalterverbandes in Hamburg begrüßt den Beschluß des Stuttgarter Genossenschaftstages, eine Unterstützungskasse für alle Angestellten und Arbeiter der Genossenschaften ins Leben zu rufen, als die Erfüllung einer sozialen Pflicht.
Es wird noch einmal festgelegt, daß die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft im Verband ein Arbeitsverhältnis in einer Genossenschaft ist.

20./22. Juli 1905

Die Generalversammlung des Gärtnervereins in Hamburg beschließt, das Organisationsgebiet in Agitationsgebiete einzuteilen.
Bei allen Lohnbewegungen ist den Anordnungen des Hauptvorstandes Folge zu leisten.
Der Hauptvorstand wird beauftragt, seine Bemühungen um die Klärung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse im Gärtnergewerbe und für die Abschaffung des Kost- und Logissystems fortzusetzen.
Den "Verbandsbeamten" wird ein 14tägiger Urlaub im Jahr gewährt.

4. August / Oktober 1905

In Halberstadt treten die Handschuhmacher in den Streik. In diesem Ort arbeiten ca. 16% der Mitglieder des Verbands. Der Streik ist teilweise erfolgreich.

7./9. August 1905

Die Generalversammlung des Verbandes der Formstecher und deren Hilfsarbeiter in Köln beschließt die Bildung einer Tarifkommission. In der letzten Geschäftsperiode ist es gelungen, einen zentralen zweijährigen Tarif mit 35 der 67 in der Branche tätigen Firmen abzuschließen. Neben der Regelung von Minimallöhnen setzt der Vertrag eine vierjährige Lehrzeit fest - zum Übrigen richten sich die Löhne nach den Leistungen - und regelt die Lehrlingszahl im Verhältnis zu der der Gehülfen. Überstunden bis zu zwei pro Tag sind ohne Aufschlag zu leisten, doch ist solche nur in den Werkstätten gestattet. Die Heimarbeit ist verboten, die Arbeitszeit ist 10 Stunden einschließlich Früh- und Nachmittagspause, sowie 8 Stunden an den Vorabenden der hohen Feste. Weitere Bestimmungen betreffen die Beschaffenheit der Werkstätten sowie die Einführung eines paritätischen Arbeitsnachweises.

7./11. August 1905

Der internationale Bergarbeiterkongreß in Lüttich stimmt der Errichtung eines von den Deutschen schon lange geforderten internationalen Sekretariats zu.
Der Kongreß verlangt die Regelung aller internationalen Streitfragen auf schiedsrichterlichem Wege und drückt den russischen Arbeitern in ihrem Kampf für die Arbeiterfreiheit seine wärmste Sympathie aus und wünscht ihnen vollständigen Erfolg.

13./14. August 1905

Die Konferenz der Gewerkschaften in Elsaß-Lothringen in Mülhausen beschließt, zur Förderung der Gewerkschaftsbewegung eine Centralkommission der Gewerkschaften Elsaß-Lothringen zu bilden. Da sich die kommunalen Arbeitsnachweise immer mehr ausbreiten, haben die Gewerkschaften darauf zu achten, daß ihnen eine Vertretung in den Aufsichtsgremien gewährt wird. Für alle Arbeitsnachweise soll ein einheitlicher Streikparagraph angestrebt werden, nach dem bei Streiks und Aussperrungen die Vermittlung für die betreffenden Betriebe zu ruhen hat.

22./24. August 1905

Der Verbandstag der Friseurgehülfen in Leipzig fordert den Vorstand auf, eine Petition an den Bundesrat und Reichstag einzureichen, worin eine Regelung der Arbeitszeit, der Sonntagsruhe (Zwölfuhrladenschluß) und des Beschäftigungsverbotes für Gehülfen und Lehrlinge an den drei zweiten Feiertagen gefordert wird. Das Streikreglement wird dahin abgeändert, daß der Vorstand mindestens zwei Monate vor Aufstellung der Forderungen von der beabsichtigten Lohnbewegung in Kenntnis zu setzen ist, und daß letzterer sofort nach Einreichung der Forderungen an die Arbeitgeber das örtliche Gewerkschaftskartell verständigen soll.

27. August 1905

Die erste Konferenz des Centralverbandes der Asphalteure - er wurde am 1. März 1904 gegründet und ging aus der "Freien Vereinigung der Asphalteure Berlins" hervor - in Berlin beschließt, daß bei Angriffsstreiks erst vom dritten Tag an Streikunterstützung gezahlt wird.
Beiträge werden nur von März bis November gezahlt.

27./30. August 1905

Der Verbandstag des Verbandes der Verwaltungsbeamten der Krankenkassen und Berufsgenossenschaften in Breslau beschließt den Anschluß an die Generalkommission. Der Vorstand wird ermächtigt, mit den auf gleichen wirtschaftlichem Boden stehenden Verbänden von Bureauangestellten und verwandten Berufen ein kartellartiges Verhältnis anzustreben unter Wahrung der ganzen Selbständigkeit des Verbandes.
Der Sitz des Verbandes wird nach Berlin verlegt.

Ende August 1905

Eine vom Berliner lokalistischen Gewerkschaftskartell der "Freien Vereinigung" einberufene Versammlung verwirft den Marxismus und den politischen Klassenkampf und proklamiert als Erbe desselben den Anarcho-Sozialismus und den wirtschaftlich-psychologischen Klassenkampf. Eine Resolution bezeichnet den Generalstreik als einziges Mittel zum Sturze des Kapitalismus.

September 1905

Auf der Tagung des "Vereins für Sozialpolitik" legt L. v. Brentano Leitsätze zum Arbeitsverhältnis in den Riesenbetrieben vor, in denen er auch für diese den Abschluß von kollektiven Arbeitsverträgen und den gesetzlichen Schutz für die Koalitionsfreiheit verlangt.

3./4. September 1905

Die Generalversammlung des Centralvereins der Bureau-Angestellten in Berlin erklärt, daß es dringend notwendig ist, die Bureau-Angestellten aller Branchen in eine einheitliche auf gewerkschaftlichem Boden stehende Kampforganisation zu vereinigen. Der Vorstand wird beauftragt dafür aktiv zu werden. Ein dauernder kartellartiger Zusammenschluß kann aber nur mit solchen Berufsorganisationen in Frage kommen, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen.
Der Centralverein unterstützt das von anderen Organisationen des Berufs ausgehende Verlangen nach Einführung staatlicher Pensionskassen für die Privatbeamten.
Die Generalversammlung beschließt die Einführung einer Krankenunterstützung, eines Sterbegeldes, der Notfallunterstützung sowie den Ausbau der Arbeitslosenunterstützung. Die gesetzliche Regelung der Berufsverhältnisse wird mit gefordert.
Die durch den Wettbewerb der Frau hervorgebrachten schädigenden, die Bezahlung der Männerarbeit herabdrückenden Wirkungen sind einzig und allein durch Erziehung und Organisierung der weiblichen Angestellten zu bewußten Mitkämpferinnen um bessere Existenzbedingungen zu beseitigen. Die Generalversammlung fordert darum alle weiblichen Bureauangestellten auf, sich dem einzigen ihnen offen stehenden Berufsvereine, dem Centralverein der Bureauangestellten Deutschland anzuschließen.

3./5. September 1905

Der Verbandstag der Fleischer und Berufsgenossen in Leipzig fordert von der Reichsregierung die Aufhebung der Grenzsperre, damit die ungeheuer große Fleischnot beseitigt wird, durch die tausende Fleischergesellen und Fleischermeister existenzlos geworden sind und noch werden und tausenden Familien der Fleischgenuß entzogen ist. Die Behauptung, daß durch ausländisches Vieh Krankheiten eingeschleppt werden, ist als ein Gaukelspiel der Agrarier zu betrachten, denn es ist sehr wohl die Möglichkeit geboten, krankheitsverdächtiges Vieh an der Grenze zurückzuweisen oder sofort abschlachten zu lassen. Gegen die systematische Lehrlingszüchterei soll der Verband verstärkt vorgehen.

17./23. September 1905

Der SPD-Parteitag in Jena nimmt nach einem ausführlichen Referat, in dem der Kölner Gewerkschaftsbeschluß kritisiert und der anarchische Generalstreik ablehnt wird und nach anschließender Diskussion mit 287 gegen 14 Stimmen, bei 2 Enthaltungen, eine Resolution A. Bebels an, daß es Pflicht der gesamten Arbeiterklasse sei, namentlich im Falle eines Anschlages auf das Reichstagswahl- und Koalitisonsrecht jedes geeignet erscheinde Mittel zur Abwehr nachdrücklich anzuwenden. Wenn das Wahlrecht verloren gehe, dann sei es auch mit dem Koalitionsrecht-, Vereins- und Versammlungsrecht vorbei, deshalb müßten sich auch die Gewerkschafter auf die Abwehr einrichten. Als eines der wirksamsten Kampfmittel, um ein solches politisches Verbrechen abzuwehren oder um sich ein gewichtiges Grundrecht für die Befreiung der Arbeiterklasse zu erobern, betrachtet der Parteitag gegebenenfalls die umfassendste Anwendung der Massenarbeitseinstellung.
Vergebens versuchen die anwesenden Gewerkschaftsführer, den auf die Anwendung des Massenstreiks bezüglichen Absatz aus der Resolution Bebels zu beseitigen, um eine Übereinstimmung mit dem Kölner Beschluß herbeizuführen, vergebens weisen sie nach, daß die Berufe, die bei einem Massenstreik die entscheidende Rolle auszuüben hätten, am schwächsten organisiert, ja der gewerkschaftlichen Organisation direkt entzogen seien, und daß die Propagierung des Massenstreiks als das große Kampfmittel die notwendige Kleinarbeit der Gewerkschaften schädige. Man könne und dürfe sich auch nicht im voraus auf ein gewisses Kampfmittel festlegen.
Jeder Parteigenosse ist nun verpflichtet, einer Gewerkschaft beizutreten und die Ziele und Zwecke der Gewerkschaften zu unterstützen.
Die Reichstagsfraktion wird beauftragt, Gesetzentwürfe für Handelshilfsarbeiter einzubringen.
Die Fraktion soll künftig statt für paritätische Arbeitskammern für Arbeiterkammern eintreten.
Einstimmig wird nach langen Diskussionen die bisherige Auffassung der Partei zum 1. Mai bekräftigt, daß die Arbeitsniederlegung die würdigste Form der Maifeier ist. Der Parteitag brandmarkt das Fleischeinfuhrverbot und die dadurch ausgelöste Fleischverteuerung.
Der Parteitag spricht den Sozialisten und Arbeitern Rußlands seine tiefste Sympathie und Bewunderung aus.
Die Vertreter der deutschen Sozialdemokratie erklären, daß sie die Versuche, zwischen dem englischen und deutschen Volke Unruhe zu stiften und die beiden Völker, die mit in der vordersten Reihe der Kulturnationen stehen, zu einem Krieg zu erheben, auf das entschiedenste als gewissenlos und verbrecherisch verurteilen, sie erklären, daß die deutsche Sozialdemokratie entschlossen ist, mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften den Ausbruch eines Krieges zwischen den beiden Völkern zu verhindern.
In seinem Vorstandsbericht bemerkt H. Molkenbuhr: "Daß nun unsere Gewerkschaften sich immer mehr im Sinne der trade-unions entwickeln, liegt nicht an der Bosheit einiger Gewerkschaftsführer, sondern es ist in der Natur der Sache begründet ... Die Gewerkschaften sind die Streitkörper, die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft Verbesserungen der Lage der Arbeiter erkämpfen sollen; sie stehen mit ihrem ganzen Wesen auf dem Boden der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung."
In der Presse beginnt bald nach dem Parteitag eine lebhafte Diskussion über die richtige Auslegung der Massenstreikresolution.

19. September / 15. Oktober 1905

In der Berliner Elektroindustrie streiken 750 Schraubendreher und Lagerarbeiter der AEG und von Siemens & Halske für eine Lohnerhöhung und die Regelung der Akkordarbeit. Als Antwort sperren die beiden Firmen rund 35.000 Arbeiter aus. Daraufhin treten die Werkzeugmacher, Elektromonteure u.a. sowie die Arbeiter der Glühlampenwerke, die Heizer und Maschinisten der Berliner Elektrizitätswerke in den Solidaritätsstreik. Insgesamt stehen rund 40.000 Mitglieder der sozialdemokratischen Gewerkschaften, der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und der christlichen Gewerkschaften gemeinsam im Kampf. Die staatlichen Behörden unterstützen die Elektrokonzerne durch Einsatz von Feuerwehrleuten, Eisenbahnern und Militär zu Streikbrecherdiensten. Die Polizei verhaftet Streikposten. Als die Unternehmer mit der weiteren Aussperrung von 20.000 Arbeitern drohen wird der Streik abgebrochen.
Die Streikenden erreichen geringe Lohnverbesserungen und zum Teil die Anerkennung eines Minimallohnes. Nicht durchsetzen können sie indessen ihre prinzipielle Forderung nach einer kollektiven Regelung der Löhne.

1. Oktober 1905

Bei der Generalkommission nimmt ein Arbeiterinnen-Sekretariat unter Leitung von Ida Altman seine Tätigkeit auf.
Dieses Sekretariat soll dazu beitragen, "die Massen der Arbeiterinnen aufzurütteln und zum Verständnis ihrer Klassenlage zu bringen" und "immer mehr die im Arbeitsleben stehenden Frauen und Mädchen den für sie zuständigen Gewerkschaften zuzuführen".
Zugleich arbeitet das Arbeiterinnen-Sekretariat an der "Weiterbildung der in ihren Organisationen und in der allgemeinen Agitation tätigen Gewerkschaftsgenossinnen".

Der "Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften" gibt die 14tägig erscheinende "Italiano in Germania" heraus.

2./7. Oktober 1905

Die Generalversammlung des Tabakarbeiterverbandes in Leipzig beauftragt den Vorstand, mit dem Sortiererverband über eine Vereinigung beider Verbände zu verhandeln. Der Vorstand wird ermächtigt, eine Gaueinteilung vorzunehmen und besoldete Gauleiter anzustellen. Die Generalversammlung verlangt das gesetzliche Verbot der Hausindustrie und protestiert gegen die geplante Erhöhung der Tabaksteuer, überhaupt gegen jede Mehrbelastung des Tabaks, die die Ausbreitung der Hausindustrie fördert, die Herabdrückung der Löhne begünstigt, den Konsum an Tabakfabrikaten einschränkt und darum Arbeitslosigkeit, Not und Elend für die Tabakarbeiter zur Folge haben muß.
Anstelle des zurückgetretenen H. Meister wird Deischmann zum Vorsitzenden gewählt.

5. Oktober 1905

Der Ausschuß der evangelischen Arbeitervereine beschließt in Eisenach:
"Die Förderung der nationalen Gewerkschaftssache ist Ehrenpflicht der evangelischen Arbeitervereine. Wir lehnen es grundsätzlich und unbeugsam ab, den Beitritt unserer Mitglieder zu solchen Gewerkschaftsorganisationen zu empfehlen, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen. Wir lassen den einzelnen Verbänden und Vereinen Freiheit, ihre Mitglieder entweder den christlichen, oder auch andern, von der Sozialdemokratie nicht abhängigen und der Pflege der christlich-nationalen Ideen Freiheit lassenden Organisationen zuzuführen."
Trotz dieser Erklärung ist die Haltung der evangelischen Arbeitervereine gegenüber den verschiedenen Gewerkschaftsrichtungen sehr unterschiedlich. Eine Mitgliedschaft im "Reichsverband gegen die Sozialdemokratie" lehnt der Gesamtverband ab.
Der Verband hat mehrfach Verkürzungen der Frauenarbeit auf zehn Stunden, die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren und die gesetzliche Regelung der Heimarbeit gefordert, hat sich auch mit der Arbeitslosenversicherung und der Wohnungsfrage eingehend beschäftigt und ist in einer Denkschrift für die Schaffung von Arbeitskammern eingetreten. Die wirtschaftlichen Leistungen beschränken sich auf die in den meisten Vereinen bestehenden Unterstützungs- und Sterbekassen.

9./10. Oktober 1905

Eine außerordentliche Generalversammlung des Deutschen Werftarbeiterverbandes in Bremerhaven beschließt die Auflösung des Verbandes und empfiehlt den in der Holzbranche tätigen Mitgliedern, sich dem Holzarbeiterverband, den übrigen sich dem Metallarbeiterverband anzuschließen.

14. Oktober 1905

In den MAN-Werken in Augsburg wird der wirtschaftsfriedliche "Arbeiterverein vom Werk Augsburg" gegründet, der drei Jahre später - Ende 1908 - über 77% der Belegschaft erfaßt.
Die Mitglieder sollen eine Krankenzusatzunterstützung, finanzielle Hilfe bei Bedürftigkeit und "Würdigkeit", zinsfreie Darlehen und Altersprämien erhalten.
Die Mitglieder dürfen nicht Sozialdemokrat sein und keinen anderen Arbeiterorganisationen angehören.

20. Oktober / 28. November 1905

Rund 1.000 Textil- und Färbereiarbeiter in Gera, Glauchau, Meerane u.a. Orten streiken wegen Forderung höherer Löhne. Darauf werden 35.000 Textilarbeiter vier Wochen ausgesperrt. Der Kampf wird vom Vorstand des Textilarbeiterverbandes abgebrochen, ohne daß Ergebnisse erzielt werden.

16. November 1905

Das Dresdener Oberlandesgericht bestätigt das "selbstverständliche Recht" der Arbeitgeber, "sich ihnen genehme Personen als Arbeiter in ihren Fabrikräumen auszuwählen".
1909 sieht dieses Gericht in der Forderung einen koalitionsfeindlichen Revers zu unterschreiben, keinen unzulässigen Zwang.

18. November 1905

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht mehrere "schwarze Listen" des "Gesamtverbandes deutscher Metallindustrieller".

28. November 1905

In der Thronrede zur Eröffnung der Reichstagssession heißt es: "Gegenwärtig wird Ihre Mitwirkung erbeten, um den gewerblichen Verufsvereinen den Erwerb der Rechtsfähigkeit zu erleichtern und die Möglichkeit freier Betätigung ihrer wirtschaftlichen Interessen innerhalb der durch das gemeine Wohl gegebenen Grenzen zu gewährleisten."

8. Dezember 1905

Der SPD-Parteivorstand lehnt einen Massenstreik als zu Zeit undurchführbar ab.

27. Dezember 1905

Der Verbandstag des Verbandes der Dachdecker und Berufsgenossen in Braunschweig beschließt Normen für den Abschluß von Tarifverträgen.
Die Beiträge sind jetzt das ganze Jahr unter Beibehaltung der bisherigen Beitragshöhe zu zahlen.

31. Dezember 1905 / 1./2. Januar 1906

Der 1. Verbandstag des "Verbandes der Schirmmacher in Frankfurt a. Main hält die Einführung eines Minimaltarifs für ganz Deutschland für zweckmäßig. Der Verband gewährt Rechtsschutz und Reiseunterstützung; Streik-, Aussperrungs- und Maßregelungsunterstützung nach Maßgabe der Kassenlage.
Der Vorstand soll den Anschluß an die Generalkommission beantragen.

Ende 1905

Der Generalkommission sind 64 Gewerkschaften mit rund 1.345.000 Mitgliedern, davon 74.400 weiblichen, angeschlossen.
Die größten Verbände sind die der Metallarbeiter mit 233.320 Mitgliedern, die der Maurer mit 155.900, die der Bergarbeiter mit 124.980, die der Holzarbeiter mit 119.930 und die der Textilarbeiter mit 66.960 Mitgliedern.
Die kleinsten Verbände sind die der Schirrmacher mit 330 Mitgliedern, die der Notenstecher mit 430, die der Blumenarbeiter mit 480, die der Formstecher mit 520 und die der Asphalteure mit 570 Mitgliedern.
Der größte Ausgabeposten sind die Streikunterstützungen mit rund 30%, die Arbeitslosenunterstützungen und die Krankenunterstützungen mit je rund 7%.
Für die Zeitungen werden rund 5% der Einnahmen verwendet.
Es bestehen 67 Arbeitersekretariate.

Im Bereich der Generalkommission bestehen 480 Gewerkschaftskartelle. Es werden 26 Gewerkschaftshäuser unterhalten; eine zentrale Herberge haben 44 und eine Herberge beim Gastwirt untersteht in 227 Orten der Kontrolle des Kartells. Ein Zentralarbeitsnachweis wird in vier Kartellen unterhalten. Eine gemeinsame Bibliothek ist in 252 Orten vorhanden.

Dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften sind 18 Gewerkschaften mit 192.000 Mitgliedern, davon 12.000 weiblichen angeschlossen.
Die größten Verbände sind die der Bergarbeiter mit rund 71.500, die der Textilarbeiter mit rund 24.740 und die der Bauhandwerker mit rund 20.680 Mitgliedern.
Die kleinsten Organisationen sind die der Krankenpfleger mit rund 370, die der Bäcker mit 380 und die der Fleischer mit 500 Mitgliedern.
7 unabhängige christliche Gewerkschaften haben rund 77.000 Mitglieder.
Die größten Gewerkvereine sind die der Maschinen- und Metallarbeiter mit rund 49.520, die der Fabrik- und Handarbeiter mit rund 19.600 und die der Kaufleute mit rund 14.610 Mitgliedern.
Die kleinsten Verbände sind die der Reepschläger mit 47, die der Kellner mit 60 und die der Brauer mit 210 Mitgliedern.
Die größten Ausgaben bei den christlichen Gewerkschaften und den Gewerkvereinen sind die Streikunterstützungen mit 40% bzw. 25%.
Unabhängige Berufsvereine haben rund 67.700 Mitglieder.

Die Generalkommission registriert für das Jahr 1905 2.202 Streiks mit rund 380.000 Beteiligten.
Von den 1.366 Angriffsstreiks enden 663 erfolgreich, 338 teilweise erfolgreich, 232 erfolglos. Bei 18 Streiks ist das Ergebnis unbekannt.
Von den 837 Abwehrstreiks enden 450 erfolgreich, 11 teilweise erfolgreich, 223 erfolglos.
Von allen Streiks enden also nahezu 50% erfolgreich, 23% teilweise erfolgreich.
Bei 40 Streiks ist das Ergebnis unbekannt.
1905 werden 401 Aussperrungen bekannt, von denen rund 150.000 Arbeitnehmer betroffen sind. 99 der Aussperrungen enden erfolgreich, 144 teilweise erfolgreich für die Arbeitnehmer.
Für die Unterstützung der Ausgesperrten müssen die Gewerkschaften rund 15% ihrer Ausgaben aufwenden.
Rund die Hälfte der gewerkschaftlichen Forderungen wurden ohne Arbeitskampf erreicht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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