|
|
TEILDOKUMENT:
1899
Die "Innere Mission" gründet den "Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschefabrikation".
Der Zweck ist, die sittlichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Berufsgenossinnen auf christlicher Grundlage zu fördern. Der Gewerkverein gewährt seinen Mitgliedern Rechtsschutz, Krankenzuschuß und Wöchnerinnenunterstützung. Mitglied können Frauen und Mädchen (mindestens 14 Jahre alt) werden, die auf der eigenen Stube mit der Nadel oder der Nähmaschine für Geschäfte oder für Meister erwerbstätig und im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind.
Die SPD wiederholt in ihrem neuen Entwurf eines Arbeiterversicherungsgesetzes die Forderung nach paritätischen Arbeitskammern.
In ihrer Broschüre "Sozialreform oder Revolution" prägt Rosa Luxemburg in der Polemik mit E. Bernstein hinsichtlich des gewerkschaftlichen Kampfes in der kapitalistischen Gesellschaft den Begriff der "Sisyphusarbeit", die allerdings unentbehrlich ist, soll der Arbeiter überhaupt zu der ihm nach der jeweiligen Marktlage zufallenden Lohnrate kommen.
Rosa Luxemburg ist der Auffassung, daß nicht Zeiten siegreicher Machtentfaltung, sondern wachsende Schwierigkeiten für die Gewerkschaften bevorstehen.
Der Vorstand des Metallarbeiterverbandes veröffentlicht eine Broschüre "Die Arbeitslosenunterstützung im Deutschen Metallarbeiterverband. Ein Mahnwort an unsere Mitglieder und die es werden wollen".
Danach erhofft sich der Vorstand von dieser Einrichtung nicht nur eine größere Werbewirksamkeit auf Unorganisierte und die Festigung des Verbandes, sondern auch eine "erzieherische und moralische" Wirkung auf die einzelnen Mitglieder, die ihre Beiträge pünktlicher bezahlen und ihre statuarischen Verpflichtungen genauer einhalten würden. Selbst derjenige, der nur aus materiellem Egoismus dem Verband beigetreten sei, nehme dann "bewußt oder unbewußt" durch Versammlungsbesuch oder die Lektüre der Verbandspresse größeren Anteil an der Gewerkschaftsarbeit und entwickele sich zu einem "aufgeklärten und klassenbewußten Arbeiter und brauchbaren Mitglied der Organisation". Da sich der Erwerbslose täglich bei seiner Zahlstelle melden müsse, bleibe er in dauerndem Kontakt mit seinen Kollegen und sei damit vor der "moralischen Versumpfung" bewahrt. Besonders nachdrücklich betont der Vorstand die Schutzfunktion der Arbeitslosenunterstützung bei Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern, die aktive Gewerkschaftsmitglieder in schlechten Geschäftszeiten entließen, ohne daß man eine offene Maßregelung nachweisen könne, die den Betroffenen zum Bezuge der Gemaßregeltenunterstützung berechtige. Diesen Arbeitern biete die Unterstützung eine finanzielle Absicherung ihres Gewerkschaftsengagements.
Die Schuhmacher-Gewerkschaft schlägt dem Verband der deutschen Schuh- und Schäftefabrikanten vor, eine zentrale Lohntarifgemeinschaft zu errichten.
Januar 1899
E. Bernsteins Programmschrift "Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie", aufbauend auf seinen Aufsätzen "Probleme des Sozialismus", wird veröffentlicht; im September erscheint K. Kautskys Antwort "Bernstein und das sozialdemokratische Programm, eine Antikritik".
Nach E. Bernstein hat sich die Voraussage der Erfurter Programms über die wachsende Verelendung der Arbeiterschaft und seine Katastrophenthese nicht bewahrheitet, vielmehr seien gegenläufige Tendenzen bemerkbar. Die Sozialdemokratie dürfe also nicht mit dem naturnotwendigen Zusammenbruch des Kapitalismus rechnen. Sie müsse deshalb ihre radikal-revolutionären Dogmen revidieren und sich auch in ihrer theoretischen Zielsetzung zu dem bekennen, "was sie heute in Wirklichkeit ist: eine demokratisch-sozialistische Reformpartei".
Letztlich geht es um das Problem "Reform oder Revolution". Auch die Gegner E. Bernsteins sind Reformisten. Als Schwerpunkt der Kontroverse erweist sich vielmehr die Vorstellung von der gesetzmäßigen Entwicklung zum Sozialismus über das notwendige Durchgangsstadium einer sozialen Revolution. Für E. Bernstein verbindet sich mit der Vorstellung der Revolution das Element der direkten Aktion und der Gewaltanwendung. In diesem Sinne wird "Revolution" in der Partei jedoch kaum mehr gebraucht. Die SPD handelt vielmehr nach K. Kautskys Wort, daß "die Sozialdemokratie eine revolutionäre, aber keine revolutionmachende Partei" sei, d.h., daß sie die radikale Umgestaltung der Wirtschaftstrukturen durchsetzen will.
Die Thesen E. Bernsteins führen zu langen heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.
9./11. Januar 1899
Auf dem Seemanns-Kongreß in Hamburg wird die Lage bzw. die Ausbeutung der Seeleute an Bord und an Land heftig kritisiert. Nach einer Aufstellung eines Kapitäns kommen auf 100 auf dem Festland tödlich verunglückte Arbeiter 375 Seeleute.
Die Behörden werden aufgefordert, die Lage der Seeleute zu verbessern.
Die Reichsregierung wird ersucht, eine neue Seemannsordnung vorzulegen, da die Ordnung von 1871 längst durch die Entwicklung der modernen Seefahrt überholt ist. Vor allem müssen über die Bemannung der Schiffe, Verpflegung, die Behandlung und die Sicherheit der Seeleute strenge gesetzliche Vorschriften erlassen werden. Die neue Seemannsordnung muß auch ausdrücklich die Sicherstellung des Koalitionsrechts und die Einführung von See-Schöffengerichten enthalten.
Der Kongreß verlangt die Beseitigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler (Heuerbaase) und fordert die Errichtung von gesetzlichen paritätischen Heuerbüros. Der internationale Transportarbeiterverband soll durch die Seeleute unterstützt werden.
12./13. Januar 1899
Die erste Generalversammlung des Seemanns-Verbandes in Hamburg erörtert das Streikreglement und beschließt, daß nur die Mitglieder durch Stimmzettel zu entscheiden haben, ob ein Streik stattfinden soll. Anspruch auf Streikunterstützung haben nur Mitglieder, die zwei Monate dem Verband angehören.
Die Mitgliedschaft des Verbandes bei der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wird aufrecht erhalten.
Mitte Januar 1899
Die Generalkommission veröffentlicht eine Sammlung von Gerichtsurteilen unter dem Titel: Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter in Theorie und Praxis. Denkschrift der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, bearb. im Auftrage derselben von Carl Legien.
Nach Auffassung der Generalkommission enthält diese Schrift "in überreichem Maße Beweismaterial dafür, daß nicht eine Verschärfung der Strafbestimmungen für Streikvergehn, sondern eine Milderung der Strafgesetze dringend geboten ist".
24. Januar 1899
Emma Ihrer und Marie Hofmann gründen in Berlin den "Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse", der sich als ein unpolitischer Verein versteht.
Februar 1899
Nationalliberale und Zentrumsabgeordnete bringen im Reichstag Anträge, eine gemeinsame Institution von Arbeitern und Unternehmern zu schaffen. Diese Institutionen sollen auch als Einigungsämter tätig werden.
3. Februar 1899
Das Schwurgericht Dresden verurteilt neun Arbeiter wegen "Landfriedensbruch" zu insgesamt 53 Jahren Zuchthaus, acht Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust. In Löbtau war es nach einem Richtfest zu einer Schlägerei gekommen, bei der der Sohn des Bauunternehmers schwer verletzt wurde. Das Urteil wird in einem großen Teil der Presse wegen seiner Höhe scharf kritisiert. Von der Sozialdemokratie werden in kurzer Zeit über 100.000 Mark zur Unterstützung der Verurteilten gesammelt.
12./14. Februar 1899
Die Generalversammlung der Werftarbeiter in Lübeck beauftragt den Vorstand, die Generalkommission zu ersuchen, die Vermittlung für einen Zusammenschluß der Werftarbeiter mit den Schiffszimmerern zu übernehmen.
Der Sitz des Verbandes bleibt Bremerhaven.
19./23. Februar 1899
Der Verbandstag des Verbandes der Bau-, Erd- und gewerblichen Hülfsarbeiter in Magdeburg fordert erneut die Aufnahme der Bauarbeiter in die Organisation der Maurer. Ein Streik darf künftig nur in einer Mitgliederversammlung in geheimer Abstimmung mit zwei Drittel Mehrheit beschlossen werden. Jeder Angriffsstreik muß mindestens vier Wochen vorher dem Vorstand gemeldet und von diesem genehmigt werden. Erst nach einer Mitgliedschaft von 16 Wochen wird Streikunterstützung gezahlt. Zur Unterstützung der Streiks wird ein Streikfonds mit obligatorischem Beitrag beschlossen.
Der Vorstand wird beauftragt, Materialien für eine mögliche Gründung von Unterstützungseinrichtungen zu sammeln.
Der Verbandsvorsitzende und der Redakteur werden fest angestellt. Das Fachorgan "Der Arbeiter" erscheint nun regelmäßig wöchentlich.
Während des Verbandstages versucht die Magdeburger Polizei, die gedruckten Vorlagen zu beschlagnahmen, weil auf ihnen die Namen der Drucker und Verleger fehlen. Der Polizei fällt indessen nur ein Exemplar in die Hände.
24. Februar 1899
Die öffentliche Konferenz der Bauarbeiter in Magdeburg beschließt, die Organisation in Agitationsbezirke einzuteilen.
Die Konferenz unterstützt den geplanten Bauarbeiterschutzkongreß, der im Laufe des Jahres in Berlin stattfinden soll.
15. März 1899
In Berlin wird der "Deutsche Arbeitgeberbund für das Baugewerbe" als Dachverband für die bestehenden lokalen baugewerblichen Unternehmervereinigungen gegründet. Als Zweck dieses Verbandes sieht § 2 der Statuten vor: " ... die gemeinsamen Berufsinteressen gegenüber den Arbeitnehmern wahrzunehmen, namentlich auf die Erzielung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie zwischen Arbeitgebern und Behörden hinzuwirken, ferner die Veranlassung zum Ausbruch von Arbeitskämpfen zu prüfen und letztere nach Möglichkeit zu vermeiden, resp. beizulegen."
Auf der Generalversammlung am 10. Oktober 1899 in Karlsruhe sagt der Vorsitzende des Bündnisses jedoch: "Bevor der Arbeitgeberbund nicht siegreich eine große Kraftprobe angestellt habe, werde man nicht zur Ruhe und zum Frieden gelangen; eine solche Kraftprobe müsse angestellt werden, natürlich nicht heute, davon könne keine Rede sein, aber es müsse dahin kommen, daß man die Arbeiter in großen Bezirken, wenn nicht in ganz Deutschland einmal aussperren könne, damit es mit den ungerechten Anforderungen ein Ende nähme. Die Arbeitgeber müssen zeigen, daß der Bund eine Macht sei, und man werde nicht eher zur Ruhe gelangen, bis eine große Schlacht gewonnen. Kampfmittel der organisierten Bauunternehmer sind Streikversicherungsvereine, die Aussperrung der Arbeitnehmer, die einseitig von den Arbeitgebern kontrollierten Arbeitsnachweise, die Einführung von Arbeitsbüchern und die Erstellung von schwarzen Listen."
20./21. März 1899
In Berlin findet ein Bauarbeiterschutzkongreß statt. Zum ersten Male kommen Vertreter der einzelnen Berufe des Baugewerbes zusammen. 314 Delegierte vertreten 16 Berufssparten. Der Kongreß fordert u.a. die staatliche Prüfung aller Bauprojekte, das Submissionswesen möglichst bald zu beseitigen, zumindest die Bauunternehmer zu verpflichten, die ortsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen anzuerkennen, Lehrlinge dürfen nicht länger als vorgeschrieben bei einem Lehrherrn arbeiten.
Zur notwendigen Verbesserung der Unfallverhütung und der sanitären Mißstände im Baugewerbe verabschiedet der Kongreß einen umfangreichen Forderungskatalog.
Schließlich fordert der Kongreß die Bauarbeiter aller Berufe "ganz Deutschlands auf, die Selbsthülfe kräftigst zu gebrauchen: In allen Orten, wo nennenswerthe Bauten ausgeführt werden, müssen Kommissionen, bestehend aus Vertretern möglichst aller Bauberufe, unverzüglich gebildet werden, mit dem ausgesprochenen Zwecke, die Schäden und Mißstände auf den Bauten aufzudecken und wahrheitsgemäß in ihrer ganzen Gräßlichkeit zu schildern".
Mit dem Beschluß: "Die Kommission für Bauarbeiterschutz in Hamburg wird als Zentralkommission anerkannt und bleibt bestehen", schafft der Kongreß eine ständige Organisation für die gemeinsamen Anliegen.
Alle Bauarbeiter werden aufgefordert, die Zentralkommission tatkräftig zu unterstützen.
22./25. März 1899
Auf der Generalversammlung des Verbandes der Maurer und Berufsgenossen in Berlin erklärt der Vorsitzende, daß für eine Verschmelzung mit der Bauarbeiterorganisation keine Gründe vorhanden sind. Die Verschmelzung würde einen Rückschritt in der Organisation bedeuten. Selbstverständlich üben die Maurer Solidarität gegen die Bauarbeiter.
Die Mitglieder sollen sich für die Abschaffung der Akkordarbeit einsetzen.
Die Generalversammlung hält einstimmig eine "Vereinbarung über Lohn- und Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitern und Unternehmern nicht allein mit den Prinzipien der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung für vereinbar, sondern auch für unbedingt notwendig und auch im Interesse sowohl der Unternehmer, wie auch der Arbeiter liegend".
Zur praktischen Durchführung wird festgesetzt: "Den Verbandszahlstellen allerorts wird die Verpflichtung auferlegt, bei Überreichung etwaiger Forderungen und Wünsche an die Unternehmer auch um Unterhandlungen nachzusuchen und, falls am Orte eine Unternehmerorganisation besteht, von dieser zu verlangen, mit den Gesellenorganisationen einen korporativen Arbeitsvertrag von ein- bis höchstens zweijähriger Dauer abzuschließen ..." Begründet wird diese Konzeption mit dem Hinweis darauf, daß zum einen materielle Verbesserungen vertraglich abgesichert werden müßten und daß weiterhin ein "gleichberechtigtes Mitspracherecht bei der Regelung der Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden" müsse.
Eine Tarifgemeinschaft, wie sie die Buchdrucker praktizieren, kann wegen der verschiedenen Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen nicht durchgeführt werden.
Die Delegierten protestieren entschieden gegen die Unterstellung der Unternehmer, die Arbeiter hielten die Verträge nicht ein. Wo bisher Vereinbarungen getroffen wurden, sind sie von den Arbeitern niemals gebrochen worden.
Reiseunterstützung können Mitglieder erhalten, welche ein Jahr dem Verband angehören und mindestens 5 Mark jährlich an den Streikfonds gezahlt haben. Die Zahlstellen haben nun 80% statt bisher 75% der Einnahmen an die Hauptkasse abzuliefern.
Die Aufgaben des Verbandsausschusses werden genauer festgelegt: Er hat die Tätigkeit des Vorstandes zu überwachen, Beschwerden über Beschlüsse des Vorstandes vorbehaltlich der Berufung an den Verbandstag zu erledigen, mit dem Vorstand Ort und Zeit des Verbandstages sowie die Wahlkreiseinteilung festzusetzen und Kartellverträge mit anderen Vereinen abzuschließen.
Die Generalversammlung des Zentralverbandes der Zimmerer und verwandter Berufsgenossen in Berlin beschließt, um Nachteile bei Lohnbewegungen im Verband unter allen Umständen zu vermeiden, werden die Zahlstellen verpflichtet, den Hauptvorstand zu informieren. Sollte in einer Zahlstelle "die genügende Kraft zur Leitung der Lohnbewegung nicht vorhanden sein", so hat der Hauptvorstand ein Mitglied der Agitationskommission, des Ausschusses oder sonst ein vertrauenswürdiges Mitglied mit der Leitung zu betrauen.
Jede Zahlstelle ist verpflichtet, einen örtlichen Fonds zu sammeln, um u.a. daraus die Beiträge für arbeitslose Mitglieder zu bezahlen. Der Hauptvorstand ist berechtigt, zur Unterstützung von Ausständen Extramarken herauszugeben. Er hat auch zu bestimmen, wie viel Marken jedes Mitglied zu kaufen hat.
Der Vorstand hat den Entwurf eines Statuts für eine Arbeitslosenunterstützung auszuarbeiten. Dieser Entwurf hat von dem Grundsatz auszugehen, daß durch die Einführung der Arbeitslosenunterstützung die Position des Verbandes im Lohnkampf gestärkt wird.
Alle Anträge zur Verschmelzung aller Bauarbeiterverbände zu einem Industrieverband werden abgelehnt.
Der Verband hat seine Mitgliederzahl in den letzen drei Jahren von 8.780 auf 21.620 erhöhen können. Die Organisation von Zimmerern stößt trotz dieses Erfolges auf Schwierigkeiten. Von den rund 128.830 existierenden Zimmerern sind nur rund 13% in Großstädten über 100.000, 9,7% in Orten zwischen 20.000 und 100.000, fast 50% in Orten mit unter 2.000 Bewohnern ansässig.
1. April 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Berg- und Hüttenarbeiter in Halle/Saale führt mit einer Erhöhung des Beitrages die Zahlung eines Sterbegeldes ein.
In seinem Geschäftsbericht teilt der Vorstand mit, daß er in allen deutschen Bergwerksgebieten Mitglieder hat.
Ein besonderer Mißstand ist die Einwanderung der vielen Ausländer. Im Ruhrgebiet allein arbeiten 5.000 Ausländer, die 27 verschiedene Sprachen reden, mit Ausnahme der deutschen. Dadurch wird die Sicherheit der Grubenarbeiter gefährdet, da man sich nicht untereinander verständigen kann und die ausländischen Arbeiter die Sicherheitsvorschriften nicht lesen können.
2./3. April 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der in Holzbearbeitungsfabriken und auf Holzplätzen beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen in Hamburg beschließt, am 1. Juli zum Holzarbeiterverband überzutreten.
2./4. April 1899
Der Kongreß der Berg- und Hüttenarbeiter in Halle/Saale kritisiert erneut energisch die mangelhaften Sicherheitsbestimmungen im Bergbau - 1897 registriert das Reichsversicherungsamt 966 tödliche Unfälle im Bergbau - und verlangt wiederum die Beteiligung der Grubenarbeiter an der Grubenkontrolle und die notwendigen sanitären Einrichtungen - saubere Wasch- bzw. Badegelegenheiten (Einzelbrausen), Verbandsstuben, intensive ärztliche Untersuchungen bei neu Einzustellenden, um so die Durchseuchung ganzer Belegschaften durch ansteckende Krankheiten zu verhüten - sowie das Bereitstellen ausreichenden, sauberen Trinkwassers.
Die Akkordarbeit - Ursache vieler Unfälle - soll verboten werden. Unter Tage dürfen nur Arbeiter über 18 Jahre beschäftigt werden.
Der Verbandstag des Verbandes der Konditoren in Apolda lehnt einen festen Streikbeitrag ab. Dem Zentralvorstand wird bei Streiks das Genehmigungsrecht zuerkannt.
Der Verband wird in Kreise eingeteilt, um die Agitation intensiver betreiben zu können.
2./ 5. April 1899
Der Kongreß der Handelshülfsarbeiter in Leipzig einigt sich nicht über die Gründung einer gemeinsamen zentralen Organisation.
Am ersten Tag muß der Kongreß auf preußischem Gebiet in Schkenditz bei Leipzig stattfinden, da die sächsische Behörde die Durchführung des Kongresses am ersten Osterfeiertag nicht gestattete.
3. April 1899
An der Generalversammlung des Verbandes der Lagerhalter in Altenburg nehmen 136 der insgesamt 300 Mitglieder teil. Ein Antrag, in Zukunft die Generalversammlung aus Delegierten zusammenzusetzen, wird abgelehnt.
3./ 6. April 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Lederarbeiter in Halberstadt lehnt zwar die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung ab, beauftragt aber den Vorstand, vor der nächsten Generalversammlung eine Urabstimmung über eine Arbeitslosenunterstützung durchzuführen.
Das Argument, durch die Arbeitslosenunterstützung verliere die Organisation ihren Kampfescharakter, wird in der Diskussion als unzutreffend zurückgewiesen.
4./6. April 1899
Auf dem Kongreß der lokalorganisierten, durch Vertrauensmänner zentralisierten Gewerkschaften in Braunschweig vertreten 29 Delegierte 5.000 Arbeiter aus 13 Berufen in 18 Orten. Der Kongreß beschließt: "In Erwägung, daß nach den Berichten der Delegierten der einzelnen Berufe und Organisationen mit geringen Ausnahmen die systematische Vernichtung der Vertrauensmänner Zentralisationen seitens der in Verbänden organisirten Arbeitern, hauptsächlich aber von den Führern derselben, betrieben wird, erklärt der zweite Kongreß der Vertrauensmänner Zentralisationen, für die Zukunft jede Rücksicht auf ein friedliches Zusammenarbeiten fallen zu lassen und zwar so lange, bis auch unseren Wünschen in genügender Weise Rechnung getragen ist und uns die bisher vorenthaltene Anerkennung zu theil wird."
4./8. April 1899
Die Generalversammlung des deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Halle/Saale beschließt eine Beitragserhöhung und die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung.
Die Mitgliederzahl des Verbandes steigt vom 1. Januar 1897 bis 31. Dezember 1898 von 49.000 auf 75.000, davon sind 1.270 Frauen.
Stärkste Berufsgruppen sind die Schlosser (Maschinenbauer) mit 23.200, die Dreher mit 9.970 und die Former (Eisengießer, Kernmacher) mit 6.320 Mitgliedern. Zu den kleinsten Berufsgruppen zählen die Modelltischler mit 90, die Kupferschmiede mit 100 und die Drahtarbeiter mit 175 Mitgliedern.
Nach dem Statut hat der DMV den Zweck, "die Ehre sowie die materiellen und geistigen Interessen ihrer Mitglieder nach Maßgabe des § 152 der Gewerbeordnung zu wahren und fördern. Dieser Zweck soll, soweit die jeweiligen Kassenverhältnisse es gestatten, erreicht werden durch möglichste Beschränkung der Arbeitszeit, Beseitigung der Sonntagsarbeit, der Überstunden und der Akkordarbeit, unter Zugrundelegung eines Lohnes, welcher für die Befriedigung der Bedürfnisse der Arbeiter und deren Familien ausreichend ist; Gewährung von Reisegeld oder Ortsunterstützung an arbeitslose Mitglieder; Unterstützung der Mitglieder in Notfällen sowie in allen Fällen, in denen eine Unterstützung zur Erreichung des Verbandszweckes notwendig ist; freien Rechtsschutz in gewerblichen Streitigkeiten, in solchen, in welchen die Mitglieder infolge ihrer Verbandstätigkeit verwickelt werden, sowie in solchen, die sich aus Ansprüchen der Mitglieder auf Grund der Versicherungsgesetzgebung ergeben; Pflege der Berufsstatistik; Regelung des Arbeitsnachweises und Herbergswesens; Pflege gemeinnütziger und wissenschaftlicher Vorträge."
Nach zweitägiger Debatte beschließt die Generalversammlung mit 108 gegen 29 Stimmen die Einführung der Arbeitslosenunterstützung ab Juli 1900.
9./11. April 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Bäcker und verwandten Berufsgenossen in München empfiehlt Vorsicht bei Streiks und auf eine Stärkung der Organisation hinzuarbeiten - von 70.000 Bäckern sind ca. 3.000 organisiert. Die Reiseunterstützung wird zentral eingeführt.
Die Generalversammlung protestiert beim Bundesrat gegen geplante Verschlechterungen beim Arbeitsschutz der Bäckereiarbeiter. Die Arbeitsschicht darf für Gehilfen innerhalb von 24 Stunden nicht länger als 12 Stunden betragen.
Der Vorstand soll von den Genossenschafts-, Konsum- oder Vereinsbäckereien fordern: Beim Einstellen von Bäckern, diese nur durch den Verbandsvorstand zu beziehen; da, wo noch eine längere Arbeitszeit in diesen Betrieben gebräuchlich ist, nach Möglichkeit auf die Einführung der Achtstundenschicht hinzuwirken.
Die "Bäckerzeitung" erscheint künftig wöchentlich.
11. April 1899
Die soziale Kommission der Evangelisch-sozialen Konferenz diskutiert auf der Hauptversammlung in Berlin "Die Gewerkschaftsbewegung in christlicher Beleuchtung und auf christlicher Grundlage" und empfiehlt "den Arbeitervereinen dringend zu prüfen, ob es ihnen zweckmäßig erscheint, Fachorganisationen bzw. Gewerkschaften zu bilden".
Die Hauptversammlung behandelt auch die Frauenfrage. A. Stoecker empfiehlt den Arbeiterinnen, sich zur Verbesserung ihrer Lage gleich den Arbeitern zu organisieren. Die Konferenz bildet eine eigene Frauengruppe.
23./25. April 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Schiffszimmerer in Wilhelmsburg b. Hamburg fordert eine Reichskontrolle für den Schiffbau und die Schiffe.
Für eine Arbeitslosenunterstützung soll der Vorstand Material sammeln.
Einen Streik dürfen künftig nur Mitglieder mit zwei Drittel Mehrheit beschließen.
Eine Verschmelzung mit den Werftarbeitern sei noch nicht spruchreif.
3. Mai 1899
Auf einer Konferenz in Berlin wird die Gründung eines deutschen Komitees zur Vorbereitung der Internationalen Arbeiterschutzkonferenz beschlossen. Die bürgerlichen Initiatoren hatten auch führende sozialdemokratische Gewerkschafter eingeladen, darunter C. Legien und Johannes Timm. Die Eingeladenen lehnen ab, da sie offensichtlich der Konferenz nur als Dekoration dienen sollen.
Auch der Beschluß des Komitees, u.a. A. Bebel, C. Legien und G. v. Vollmar als Mitglieder zu kooptieren, wird zurückgewiesen.
8./13. Mai 1899
Auf dem 3. Gewerkschaftskongreß in Frankfurt vertreten 130 Delegierte ca. 500.000 organisierte Arbeiter.
Tagesordnung: Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter; die Arbeitsvermittlung; Tarife und Tarifgemeinschaften im gewerkschaftlichen Kampfe; die Gewerbeinspektion; Arbeitersekretariate; die Stellung der Gewerkschaftskartelle in der Gewerkschaftsorganisation Deutschlands.
C. Legien erklärt: "Es ist kein Zweifel, daß wenn man für die Arbeiter ein Ausnahmegesetz schafft, sie kein Vertrauen zu unserer heutigen Gesetzgebung und Rechtsprechung haben werden, zu denen, die da oben behaupten, die Interessen der Arbeiterschaft wahrnehmen zu wollen.
Gerade wir, die gewerkschaftlich organisirten Arbeiter wünschen nicht, daß es zu dem sogenannten Kladderadatsch kommt und daß wir genöthigt sich, auf den Trümmern der Gesellschaft Einrichtungen zu schaffen, gleichviel ob sie besser oder schlechter sind, wie die jetzigen. Wir wünschen den Zustand der ruhigen Entwickelung. Selbst wenn die Gewerkschaften sozialdemokratisch wären - sie sind es nicht; ihre Mitglieder zum größten Theil, aber nicht die Organisationen, weil sie alle Arbeiter gleichviel welchen Glaubens und welcher politischen Anschauung in ihre Reihen aufnehmen, in dieser Beziehung keine Aufnahmebedingungen stellen.
Hier in den Gewerkschaften wird für den Bestand des Staates viel mehr gewirkt als durch alle Handlungen der Unternehmer. Wir halten diese Arbeiterbewegung für einen eminent staatserhaltenden Faktor, die Unternehmerorganisationen und ihr Thätigkeit dagegen geradezu für einen staatsumstürzenden Faktor.
Wir Gewerkschaftler sind der Meinung, daß eine Lösung der sozialen Frage, daß eine Umgestaltung der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung zu einer besseren Ordnung nur erfolgen kann, wenn der erhaltende Theil der Gesellschaft, wenn die Arbeiterschaft ausreichend genährt, geistig und physisch gesund ist."
Th. Leipart stellt fest, die Generalkommission sei jetzt "allgemein anerkannt", deshalb beginne für sie nun "die Zeit des Ausbaus."
Das Koalitionsrecht - die "Zuchthausvorlage" war angekündigt - bildet eine der wichtigsten Verhandlungsgegenstände. Der Kongreß protestiert gegen jede Einschränkung des Rechts.
Der Kongreß erweitert die Tätigkeit der Generalkommission - sie wird auf 7 Personen erweitert - indem er ihr nun auch die folgenden Aufgaben zuweist: amtliche Publikationen des Reiches, der Einzelstaaten und Gemeinden zu sammeln und nutzbar zu machen, ebenso das in den Berichten zahlreicher sozialpolitischer und gegnerischer Korporationen sich anhäufende, zur Agitation geeignete Material, ferner das "Correspondenzblatt" zu erweitern, so daß dasselbe eine regelmäßige Übersicht über alle Vorgänge in den deutschen wie ausländischen Gewerkschaften, über Streikbewegungen, wichtige Prozesse, Unternehmerverbände usw. sowie amtliche Materialien enthalte, und einen regelmäßigen Jahresbericht als Handbuch mit den wichtigsten Gewerkschaftsstatistiken herauszugeben. Auch soll sie die Gewerkschaften in der Einführung der Arbeitslosenunterstützung durch genügendes statistisches Material unterstützen, die Pflege der internationalen Beziehungen zu den Gewerkschaften anderer Länder sowie die Herausgabe eines Jahrbuches mit allen wichtigen Daten aus dem Gewerkschaftsleben. Ein Antrag, den Gewerkschaftsausschuß wieder aufzuheben, bleibt in der Minderheit.
In den beiden Referaten zur Tarifvertragsfrage werden die unterschiedlichen Auffassungen vertreten. Während die eine - von E. Döblin vorgetragen - die "Anerkennung der Gleichberechtigung der Arbeiter ... bei der Festsetzung der Arbeitsbedingungen" als Ziel der Tarifverträge definiert, betont die zweite die Existenz der "bestehenden Klassenunterschiede" und fordert eine Tarifpolitik, die auf die Wahrung des "für eine erfolgreiche Arbeiterbewegung unentbehrlichen Klassenbewußtseins" gerichtet ist. Der Kongreß stimmt mit 126 gegen 4 Stimmen der ersten Auffassung zu:
"Tarifliche Vereinbarungen, welche die Lohn- und Arbeitsbedingungen für eine bestimmte Zeit regeln, sind als Beweis der Gleichberechtigung der Arbeiter seitens der Unternehmer bei Festsetzung der Arbeitsbedingungen zu erachten und in den Berufen erstrebenwerth, in welchen sowohl eine starke Organisation der Unternehmer, wie auch der Arbeiter vorhanden ist, welche eine Gewähr für Aufrechterhaltung und Durchführung des Vereinbarten bieten. Dauer und Umfang der jeweiligen Vereinbarungen lassen sich nicht schematisiren, sondern hängen von den Eigenarten des betroffenen Berufes ab."
Der Kongreß beschließt: "Die gewerkschaftliche Arbeitsvermittelung ist ein werthvolles Mittel zur Hebung der Lage der Arbeiter und zur Sicherung ihrer wirthschaftlichen Existenz. Der Kongreß hält deshalb nach wie vor an dem grundsätzlichen Standpunkt fest, daß der Arbeitsnachweis den Arbeiterorganisationen gebührt. [...] Der Kongreß erkennt dagegen an, daß es unter den gegenwärtig bestehenden Verhältnissen an manchen Orten für eine Reihe von Berufen von Vortheil sein kann, sich an kommunalen Arbeitsnachweisen zu betheiligen." Die kommunalen Arbeitsnachweise müssen durch eine paritätische Kommission unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden geleitet werden. Die Geschäfte müssen durch aus den Reihen der Arbeiter hervorgegangene Beamte geführt werden. Vertragsmäßige Verpflichtung der Arbeitgeber, die von den Arbeitsämtern angegebenen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erfüllen. Übernahme aller Kosten der Arbeitsämter durch die Gemeinde bzw. Staatskasse.
Der Gewerkschaftskongreß erblickt in den Arbeitersekretariaten einen bedeutsamen Fortschritt der Arbeiterorganisationen und spricht diesen Einrichtungen seine volle Sympathie aus. Gleichwohl warnt der Kongreß vor Überstürzung bei Gründung von Arbeitersekretariaten und empfiehlt den örtlichen Gewerkschaftskartellen, Arbeitersekretariate erst dann zu errichten, wenn die finanzielle Grundlage für diese immerhin kostspieligen Organisationen gesichert erscheint. Der Gewerkschaftskongreß hält es für erforderlich, daß die Arbeitersekretariate engste Fühlung mit den Gewerkschaftsorganisationen unterhalten und darauf in den Arbeitsplänen Rücksicht nehmen." Für Publikationen der Arbeitersekretariate steht das "Correspondenzblatt" zur Verfügung.
Zur Gewerbeinspektion verabschiedet der Kongreß mehrere Beschlüsse, die u.a. Beschwerdekommissionen mit Zuziehung weiblicher Vertrauenspersonen bei den Kartellen, lebhafte Benutzung dieser Kommissionen seitens der Arbeiter und regelmäßigen Verkehr zwischen Gewerkschaften und Gewerbeaufsicht nach württembergischem Muster sowie Reformen der Gewerbeinspektion empfehlen. Die Gewerbeinspektion ist auf Handwerk, sowie Klein- und Hausindustrie, Handel, Transport und Verkehr auszudehnen, in einer Reichsinspektion zu zentralisieren, die Beamten durch Gehülfen und Gehülfinnen aus Arbeiter- und Angestelltenkreisen vermehrt sowie die Beamten im Vollzugsrecht und voller Unabhängigkeit ausgestattet werden.
Für die Spezialzweige werden besondere Resolutionen angenommen.
Wegen der starken Fluktuation innerhalb der Arbeiter und des damit verbundenen häufigen Gewerkschaftswechsels beschließt der Kongreß, daß der Berufswechsel kein Recht zu dem Verlangen gebe, aus der früheren Organisation auszuscheiden; doch müsse das betreffende Mitglied sich den Arbeitsbedingungen der Organisation fügen, in deren Bereich es arbeitet. Der Kongreß verurteilt ferner die Aufnahme von Personen, für die ihrer Beschäftigung nach eine Berufsorganisation besteht, in andere Organisationen, besonders wenn dies unter Hinweis auf niedrige Beiträge geschehe. Bei Differenzen zwischen den Organisationen soll die Generalkommission vermitteln.
Der Kongreß einigt sich, die Aufgaben der Gewerkschaftskartelle, die die gewerkschaftlichen Interessen ihres Ortes vertreten, zu spezifizieren: die Regelung des Arbeitsnachweises und des Herbergswesens, der Statistik, Bibliotheken, Errichtung von Arbeitersekretariaten. "Sie haben die Arbeiterinteressen gegenüber den Behörden: Gewerbeinspektion, Gemeindeverwalter etc., und bei Wahlen zu Gewerbegerichten und Versicherungsanstalten zu wahren. Sie haben weiter im Einverständnis mit den betr. Organisationsleitungen die Agitation unter den Berufen, deren Organisationen aus eigener Kraft dazu nicht im Stande sind, zu unterstützen.
Die Beschlußfassung über Streiks ist ausschließlich Aufgabe der Vorstände der Zentralverbände.
Die Kartelle sind verpflichtet, dem Zentralvorstand der Organisation, die am Orte in einen Streik eintreten will oder sich im Streik befindet, auf Erfordern einen Situationsbericht zu geben. Materielle Unterstützung für Streiks wird seitens des Kartells nur dann gewährt, wenn der Zentralvorstand der im Streik befindlichen Organisation dies beantragt oder seine Zustimmung ertheilt hat. Ueber die Taktik bei Lohnbewegungen und beiauftauchenden Fragen innerhalb ihres Gewerbes entscheidet die betreffende Gewerkschaft selbstständig."
Die Kartelle haben kein Delegationsrecht an die Kongresse.
In die Generalkommission werden gewählt: A. Bringmann (Zimmerer) 114, C. Legien (Drechsler) 113, Röske (Tischler) 103, G. Sabath (Schneider) 87, F. Paeplow (Maurer) 81, W. Stromberg (Tabakarbeiter) 81, W. A. Demuth (Buchdrucker) 80 Stimmen.
Der Kandidat der Metallarbeiter erhält 67 Stimmen.
18. Mai / 29. Juli 1899
Die erste sog. Friedenskonferenz in Den Haag, auf Vorschlag des russischen Zaren Nikolaus II., berät ohne Ergebnis Abrüstungsfragen und die friedliche Beilegung internationaler Konflikte.
21./22. Mai 1899
In Mainz findet der erste Kongreß der christlichen Gewerkschaften statt. 48 Delegierte nehmen daran teil. Sie vertreten ca. 56.000 christliche Gewerkschafter.
Der Kongreß beschließt Leitsätze der Christlichen Gewerkschaften:
"1. Charakter der Gewerkschaften.
Die Gewerkschaften sollen interkonfessionell sein, d.h. Mitglieder beider christlichen Konfessionen umfassen, aber auf dem Boden des Christentums stehen. Die Gewerkschaften sollen weiter unparteiisch sein, d.h. sich keiner bestimmten politischen Partei anschließen.
2. Umfang und Einrichtung der Gewerkschaften.
Es sind thunlichst für die Angehörigen der einzelnen Berufsstände und für geschlossene Industriebezirke Gewerkschaften zu gründen. Diese erstreben die Vereinigung gleichartiger Gewerkschaften behufs besserer Durchführung der vorgesteckten Ziele.
Die Gewerkschaften setzen sich aus Ortsgruppen zusammen. Die Ortsgruppen wählen sich nach Zahl ihrer Mitglieder Delegierte. Die Delegierten aller Ortsgruppen zusammen bilden die Generalversammlung der Gewerkschaften, von welchen die Vorstände zu wählen sind.
3. Aufgaben der Gewerkschaften.
Als solche gelten im allgemeinen die Hebung der leiblichen und geistigen Lage der Berufsgenossen. Es empfiehlt sich aber, im Programm der Gewerkschaft zu den wichtigsten Fragen des Gewerbes eine, den christlichen und nationalökonomischen Prinzipien entsprechende Stellung zu nehmen, als da sind: Lohnfrage, Frage der Arbeitszeit usw.
In Ermangelung genügend gebotener, gesetzlicher Versicherung für Krankheit, Unfälle, Arbeitslosigkeit, Arbeitsnachweis und Invalidität haben die Gewerkschaften durch Schaffung entsprechender Kassen und Institute das Fehlende zu ersetzen.
Eine besondere Aufgabe der Gewerkschaften ist, die Durchführung der zum Schutze von Sittlichkeit, Gesundheit und Leben der Arbeiter erlassenen gesetzlichen und gewerbepolizeilichen Bestimmungen zu überwachen und den Mitgliedern Rechtsschutz zu gewähren. Ferner sollen sie auch Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Arbeitsausschüsse, Gewerbegerichte etc. anstreben.
4. Mittel zur Durchführung der Aufgaben.
Solche sind Erhebungen über die Verhältnisse der Arbeiter bezüglich der einzelnen sozialen und gewerblichen Fragen. Belehrende und bildende Vorträge über die sozialen und gewerblichen Fragen des Berufsstandes. Schaffung eines Vereinsorgans, welches den Mitgliedern unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird.
Von Wichtigkeit ist, bei Erhebungen zahlenmäßiges Material zu sammeln, welches bei Verhandlungen mit den Arbeitgebern, in Beschwerden, Eingaben und Petitionen an die Arbeitgeber, Gewerbeinspektion, Behörden, Handelskammer, Parlamente etc. entsprechend zu verwerten ist.
In Vorträgen sind besonders die sozialpolitischen Versicherungs- und Schutzgesetze zu behandeln, sowie die berechtigten Bestrebungen auf diesen Gebieten zu erörtern; ferner die Lage des Gewerbes und die Bestrebungen der Berufsgenossen in anderen Distrikten und Ländern.
Im Organ soll das ganze Leben und Wirken sowie die Bestrebungen der Gewerkschaft gleichsam verkörpert werden. Die Schriftleitung ist einem praktisch erfahrenen Berufsgenossen zu übertragen, woneben thunlichst sozialpolitisch und nationalökonomisch geschulte Kräfte als Mitarbeiter zu gewinnen sind.
5. Taktik der Gewerkschaften.
Es ist nicht zu vergessen, daß Arbeiter und Unternehmen gemeinsame Interessen haben. Ohne beides, Kapital und Arbeitskraft, keine Produktion.
Darum soll die ganze Wirksamkeit der Gewerkschaften von versöhnlichem Geiste durchweht und getragen sein. Die Forderungen müssen maßvoll sein, aber fest und entschieden vertreten werden.
Der Ausstand darf aber nur als letztes Mittel und wenn Erfolg verheißend angewandt werden."
"Der erste christliche Gewerkschaftskongreß erwählt einen aus einer nord- und süddeutschen Gruppe gebildeten Zentralausschuß. Demselben obliegen folgende Aufgaben:
1. Ausführung der Kongreßbeschlüsse.
2. Agitation zur Gründung christlicher Gewerkvereine. Die Aufwendung der notwendigen Geldmittel wird durch nähere Vereinbarung der einzelnen Gewerkvereine zu regeln sein.
3. Die Wahrung der allgemeinen Interessen der von ihm vertretenen Gewerkvereine, wobei er in besonderen Fällen ein gemeinsames Vorgehen der Arbeiterschaft anzuregen hat.
4. Statistische Erhebungen über die gemeinschaftliche Arbeiterbewegung, sowie über die wirtschaftliche Lage der Arbeiterschaft etc.
5. Herausgabe eines Gewerkschaftsorgans für die Verbände, welche noch kein eigenes Fachorgan besitzen.
6. Um die Fühlung und gemeinschaftliche Thätigkeit unter den einzelnen christlichen Gewerkvereinen eines besonderen Industriebezirkes oder Ortes zu fördern, beschließt der Kongreß, unbeschadet der Zentralorganisation der einzelnen Gewerkschaften, die Fachsektionen oder Ortsgruppen der Industriebezirke mögen sich zu einem Verein Arbeiterschutz zusammenschließen."
Für den Organisationsaufbau der Einzelgewerkschaften werden Grundsätze festgelegt: Danach soll die aus Delegierten der Ortsgruppen gebildete Generalversammlung aus ihrer Mitte die Zentralleitung wählen, die sich aus drei Vorsitzenden, zwei Schriftführern, zwei Kassierern und Beisitzern zusammensetzen sollte. Dabei bleibt es der einzelnen Gewerkschaft überlassen, "ob sie unter Beiziehung von Nichtmitgliedern einen Ehrenrat bilden und wie weit sie die Befugnisse desselben ausgestalten will". Aufgefordert wird dazu, "bei der Wahl von Delegierten, Mitgliedern der Zentralleitung und des Ehrenrates ... beide Konfessionen angemessen zu berücksichtigen".
21./23. Mai 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Glaser in Nienburg a. d. Weser beschließt ein Streikreglement, wonach Angriffsstreiks der Anmeldung beim und der Genehmigung durch den Vorstand bedürfen.
Genehmigte Streiks werden aus der Hauptkasse unterstützt. Streikunterstützung erhalten nur Mitglieder von der 2. Streikwoche an.
Die Generalversammlung des Verbandes der Buchdruckerhülfsarbeiter und -arbeiterinnen in Berlin spricht sich für eigene lokale Arbeitsnachweise aus.
Ab 1. Juli treten der Rechtsschutz, die Gemaßregelten- und die Arbeitslosenunterstützung in Kraft. Der Vertreter der Generalkommission weist darauf hin, daß die vorgesehenen Unterstützungen aus den niedrigen Beiträgen nicht zu leisten sind.
Wenn diese Befürchtung eintritt, sollen die Mitglieder in einer Urabstimmung über eine Beitragserhöhung entscheiden.
21./24. Mai 1899
Die Generalversammlung der Vereinigung der in der Schmiederei beschäftigten Personen in Berlin lehnt einen Anschluß an den Deutschen Metallarbeiterverband ab. Die Arbeitslosenunterstützung wird eingeführt, Streikunterstützung von Streikbeginn an gezahlt.
Die Vereinigung nennt sich nun "Zentralverband aller in der Schmiederei beschäftigten Arbeiter".
21./27. Mai 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Porzellanarbeiter und verwandter Arbeiter in Rudolfstadt beschließt, daß Unorganisierte keine Streikunterstützung erhalten. Bei freiwilliger Arbeitslosigkeit wird keine Arbeitslosenunterstützung bezahlt. Die Delegierten beklagen, daß sich die Arbeitsverhältnisse nicht gebessert haben, an die Mitglieder wird appelliert, vor allem über die Verbandszeitung "Die Ameise" die berechtigten und zeitgemäßen Ansprüche an eine bessere Lebenshaltung zur Geltung zu bringen.
22. Mai 1899
Ein Kongreß der Glasarbeiter in Nienburg a. d. Weser beschließt, daß der jeweilige Redakteur des Zentralorgans die Funktion des nationalen Sekretärs für den Internationalen Bund der Glasarbeiter ausüben soll.
22./25. Mai 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Böttcher in Köln lehnt eine Verschmelzung mit dem Verband der Brauereiarbeiter ab, erklärt aber bei Lohnbewegungen den Brauern gegenüber solidarisch zu sein. Bei Nichteinhaltung des Streikreglements ist eine Streikunterstützung zu verweigern. Die regionalen Agitationskomitees sind aufzulösen. Die Organisierung der Hilfsarbeiter wird abgelehnt, weil gemeinschaftliche Streiks in der Vergangenheit immer an den viel zu hohen Forderungen der Hilfsarbeiter gescheitert seien. Ein Antrag, sich von der Generalkommission zu lösen, wird abgelehnt. Auf der nächsten Generalversammlung sollen die internationalen Beziehungen diskutiert, mit den österreichischen Böttchern ein Gegenseitigkeitsvertrag abgeschlossen werden.
23./25. Mai 1899
Der Kongreß der Töpfer in Velten (Mark) stimmt den Beschlüssen des Bauarbeiterschutzkongresses zu und fordert die organisierten Töpfer auf, bei Beseitigung von Mißständen in den Arbeitsbedingungen, mit den Arbeitern anderer Berufe gemeinsam vorzugehen.
Wegen der Bildung einer selbständigen Organisation der Ziegler soll der Vorstand mit der Generalkommission in Verbindung treten. Die organisierten Ziegler bleiben zunächst im Töpferverband. Aus dem Namen des Verbandes soll jedoch der Hinweis auf die Ziegler gestrichen werden.
"Der Töpfer" erscheint vom 1. Januar 1900 an wöchentlich.
2. Juni 1899
Dem Reichstag wird ein Gesetzentwurf "Zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse" - die sogenannte "Zuchthausvorlage" - vorgelegt. Nach ihm sollen alle Versuche, bei Streiks Arbeitswillige an der Arbeit zu hindern, mit Gefängnis, in einigen Fällen sogar mit Zuchthaus bestraft werden, desgleichen alle Versuche, jemanden durch Drohung oder Zwang zur Teilnahme an Vereinigungen, die eine Einwirkung auf Arbeits- oder Lohnverhältnisse bezwecken, zu bestimmen.
Der Gesetzentwurf gibt das Signal zu einem Protestversammlungssturm, wie ihn Deutschland bis dahin noch nicht gesehen hatte. In Berlin finden schon am 7. Juni 1899 19 Versammlungen mit ca. 70.000 Teilnehmern statt und in Hamburg-Altona ebenfalls 19 Versammlungen mit 20.000 Teilnehmern. Der Reichstag berät vom 19. bis 22. Juni in erster Lesung über den Entwurf, wobei die Regierung von den Vertretern der Mehrheitsparteien scharfe Absagen erhält.
19./24. Juni 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Buchdrucker in Mainz protestiert gegen den "die Gemüter bis aufs Äußerste erbitternden Gesetzentwurf" zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses.
Die Delegierten lehnen die Einsetzung eines Verbandsausschusses als Kontrollkommission für den Verbandsvorstand ebenso ab, wie eine engere Verbindung mit dem Verbande der in Buchdruckereien und verwandten Gewerben beschäftigten Hülfsarbeiter und Arbeiterinnen.
22. Juni / 2. Juli 1899
Mehr als 4.000 Bergarbeiter, vorwiegend unorganisierte polnische Arbeiter, in Herne streiken für eine Lohnerhöhung. Der Ausstand wird durch Gendarmerie- und Militäreinheiten unterdrückt, die von der Schußwaffe Gebrauch machen, einige Arbeiter töten und mehrere verwunden.
24. Juni 1899
Nach einem Arbeitskampf, in dessen Verlauf in Berlin rund 7.800 Maurer ausgesperrt werden, wird der erste große Tarifvertrag für Berlin und seine Randgebiete abgeschlossen. Neben Lohnforderungen werden auch Arbeitsschutzbestimmungen, ein Reglement zur Schlichtung von aus dem Tarifvertrag entstehenden Streitigkeiten anerkannt, das den Arbeitnehmern eine paritätische Beteiligung sichert.
25./28. Juni 1899
Die Generalversammlung des Verbandes der Graveure, Ziseleure und verwandten Berufsgenossen in Leipzig beschließt, daß nach dreijähriger Mitgliedschaft sechs Wochen lang Arbeitslosenunterstützung gezahlt werden soll.
"In Erwägung, daß nur durch planmäßiges Vorgehen in den einzelnen Filialen Erfolg betreffs Erhöhung der Mitgliederzahl, sowie Erziehung der Mitglieder erreicht werden kann, macht es die Generalversammlung den Bevollmächtigten der einzelnen Zahlstellen zur Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß 1. das Vertrauensmännersystem möglichst ausgedehnt wird, 2. gute Bibliotheken angeschafft werden, 3. wissenschaftliche Vorträge den Mitgliedern geboten werden, 4. gemeinschaftlich Volksversammlungen besucht werden, 5. die Mitglieder auch mit dem Kunstgewerbe vertraut zu machen und 6. bei zu arrangierenden Vergnügen die Agitation nicht zu vergessen."
1. Juli 1899
Mit einer Bundesratsverordnung wird die Arbeitszeit in Wassermühlen auf 16, in Dampfmühlen auf 14 Stunden festgesetzt.
Der "Christliche Holzarbeiterverband" wird gegründet.
15. Juli 1899
Nach einer württembergischen Ministerialverfügung kann Eisenbahnarbeitern "auf Ansuchen" ein Urlaub von drei Tagen im Jahr gewährt werden, wenn sie mindestens drei Jahre ununterbrochen im Dienst des Staates gestanden und sich gut geführt haben.
Ähnliche Verfügungen werden in den folgenden Jahren für die Bereiche der acht anderen deutschen Staatseisenbahnverwaltungen erlassen.
In Preußen kann allerdings der Urlaub verweigert werden, wenn "die Leistungen nicht befriedigend" waren oder "die Führung in und außer Dienst zu Tadel" Anlaß gab.
6./8. August 1899
Die internationale Konferenz der Lederarbeiter in Wien fordert, daß in allen Ländern auf die Verkürzung der Arbeitszeit hingearbeitet und zunächst der Zehnstundentag erreicht werden soll.
21./25. August 1899
Der Katholikentag in Krefeld erklärt, es sei "eine dringende Notwendigkeit, Berufsverbände der Arbeiter auf christlicher Grundlage zu gründen und zu fördern".
24. August 1899
Die Berliner Gewerkschaftskommission spaltet sich. 29 Gewerkschaften (lokale und regionale) mit rund 9.860 Mitgliedern treten aus, 59 Gewerkschaften mit rund 55.000 bleiben in der Kommission. Grund der Spaltung sind Meinungsverschiedenheiten über den Abstimmungsmodus, die größeren zentralisierten Gewerkschaften verlangten einen ihrer Stärke entsprechenden größeren Einfluß.
27./31. August 1899
Der Katholikentag in Neiße fordert erneut die Gründung katholischer Arbeitervereine und betont die Notwendigkeit, "insbesondere auch die wirtschaftlichen Interessen des Arbeiterstandes wahrzunehmen und zu diesem Zwecke die auf christlicher Grundlage aufgebaute Gewerkschaftsbewegung zu fördern; die Generalversammlung erkennt in den christlichen Gewerkvereinen nicht einen Ersatz der konfessionellen Arbeitervereine, sondern eine notwendige Ergänzung derselben".
31. August 1899
In Berlin wird der "Zentralverband christlicher Maurer und verwandter Berufe" gegründet. Der Vorstand ist mit Vertretern beider Konfessionen besetzt.
Im Gegensatz zu anderen christlichen Gewerkschaften verlangt der Verband von seinen Mitgliedern keine Erklärung Sozialdemokrat zu sein bzw. einer sozialdemokratischen Organisation anzugehören.
Ab 13. Mai 1900 erscheint das Verbandsorgan "Die Baugewerkschaft".
17./18. September 1899
Der erste Kongreß der Lithographen in Leipzig beschließt, an der bisherigen gemeinsamen Organisation von Lithographen und Steindruckern festzuhalten, nachdem im März ein oppositioneller "Zentralverband der Lithographen" in Leipzig gegründet worden war.
Sektionsbildungen für Lithographen können an allen Orten, wo es gewünscht wird, vorgenommen werden.
Die Delegierten fordern die Bezahlung der gesetzlichen und "aufgezwungenen Feiertage", die Abschaffung der Akkord- und Überzeitarbeit, den achtstündigen Arbeitstag, für fünf Gehilfen nur einen Lehrling auszubilden, helle, gesunde Arbeitsräume und Fabrikordnungen, welche der Ehre und den Interessen der Lithographen nicht zuwiderlaufen.
Herbst 1899
Zentrumsabgeordnete, v. a. F. Hitze und Abgeordnete der Freisinnigen Partei fordern erneut im Reichstag erfolglos die Errichtung von Arbeitskammern und eines Reichsarbeitsamtes.
Oktober 1899
Im Kempen/Niederrhein wird der "Verband christlicher Tabak- und Zigarrenarbeiter" gegründet.
9./17. Oktober 1899
Auf dem SPD-Parteitag in Hannover kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen nach A. Bebels Referat zwischen den "Radikalen" und den "Revisionisten". Nach der von A. Bebel ausgearbeiteten Resolution - sie wird mit großer Mehrheit (216 zu 21 Stimmen) angenommen - gibt die bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft der Partei keine Veranlassung, ihre Grundsätze und -forderungen, ihre Taktik, noch ihren Namen zu ändern, das heißt aus der sozialdemokratischen Partei eine demokratisch-sozialistische Reformpartei zu machen. Die Partei stehe nach wie vor auf dem Boden des Klassenkampfes. Sie weise jeden Versuch entschieden zurück, der darauf hinausgehe, ihre Stellung gegenüber der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung und den bürgerlichen Parteien zu verschleiern oder zu verrücken. E. Bernstein kann an dem Parteitag selbst nicht teilnehmen, da gegen ihn noch ein Haftbefehl wegen seiner Redaktionstätigkeit während des Sozialistengesetzes vorliegt.
In den Parteivorstand werden gewählt: A. Bebel, P. Singer (Vors.); I. Auer, W. Pfannkuch (Sekretäre); A. Gerisch (Kassierer); F. Brühne, F. J. Ehrhardt, A. Kaden, H. Koenen, H. Meister, Th. Metzner, Clara Zetkin (Kontrolleure).
Die Parteimitglieder werden aufgefordert, in tatkräftiger Weise eine in nächster Zeit zu entfaltende Agitation der weiblichen Parteimitglieder für den weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes vor allem für den Einsatz weiblicher Fabrikinspektorinnen und der Rechte der Arbeiterinnen - wie das Koalitionsrecht und das Wahlrecht für Frauen - zu unterstützen.
Der Gründung von Wirtschaftsgenossenschaften steht die Partei neutral gegenüber.
Der Parteitag fordert die deutschen Arbeiter ohne Unterschied ihrer religiösen oder politischen Anschauungen auf, gegen die geplante "Zuchthausvorlage" zu kämpfen.
15. Oktober 1899
In Duisburg wird der "christlich-soziale Metallarbeiterverband" gegründet. Ihm schließen sich die lokalen Organisationen von Düren, Düsseldorf, Köln, Mannheim und Münden an.
November / Dezember 1899
Die SPD-Reichstagsfraktion bringt einen Gesetzentwurf über die Errichtung von paritätischen Arbeitskammern, Arbeitsämtern und eines Reichsarbeitsamtes ein.
Zu den Aufgaben der Arbeitskammern gehören: "Untersuchungen anzustellen über Gehälter, Löhne, Arbeitsart und Arbeitsdauer, Lebensmittel- und Miethpreise; über die Wirkung von Verordnungen und Gesetzen, insbesondere von Handelsverträgen, Zöllen, Steuern und Abgaben; ferner Beschwerden und Mißstände im gewerblichen Leben zur Kenntniß des Reichsarbeitsamts, der Landeszentralbehörden und der gesetzgebenden Körperschaften zu bringen, Anträge an dieselben zu stellen sowie Gutachten abzugeben."
Den Arbeitsämtern sollen u.a. die Leitung und Verwaltung des Arbeitsnachweises übertragen werden.
20. November 1899
In zweiter Lesung wird im Deutschen Reichstag die "Zuchthausvorlage" gegen die Stimmen der Konservativen abgelehnt.
21. November 1899
Die Generalkommission bricht die Verbindung mit dem Leipziger Gewerkschaftskartell ab, nachdem dieses die Vertreter des Buchdruckerverbandes satzungswidrig aus dem örtlichen Kartell ausgeschlossen hatte.
7. Dezember 1899
Der Reichstag nimmt einen Antrag des nationalen liberalen Abgeordneten Bassermann an, der die bestehenden landesgesetzlichen Verbote für Vereine jeder Art miteinander in Verbindung zu treten, aufhebt.
Die Bestimmungen, daß Versammlungen 24 Stunden vorher angemeldet werden müssen, damit sie polizeilich überwacht werden können, und daß die Verbände ihre Statuten und Mitgliederverzeichnisse den Behörden vorzulegen haben, bleiben weiter in Kraft.
27./30. Dezember 1899
Der Verbandstag der Dachdecker in Magdeburg legt fest, daß eine Filiale ein volles Jahr bestanden haben muß, ehe sie in einen Abwehrstreik eintreten darf. Es soll nur dann ein Streik geführt werden, wenn zwei Drittel der Berufsgenossen am Ort organisiert sind. Der Verbandstag schließt sich den Forderungen des Bauarbeiterschutzkongresses an.
Ende 1899
Bis zu diesem Zeitpunkt haben die folgenden Gewerkschaften eine Arbeitlosenunterstützung eingeführt: Buchdrucker (1880), Handschuhmacher, Hutmacher (1886), Glasarbeiter, Glaser, Lederarbeiter, Zigarrensortierer (1890), Bildhauer, Brauer (1891), Porzellanarbeiter (1892), Buchbinder, Former (1894), Konditoren, Graveure, Transportarbeiter (1897), Buchdruckereihilfsarbeiter, Handlungsgehilfen, Schmiede (1898), Lithographen (1899).
Krankenunterstützungen bestehen in folgenden Gewerkschaften: Bildhauer, Böttcher, Buchdrucker, Gastwirtsgehilfen, Hutmacher, Kupferschmiede, Porzellanarbeiter und Tabak-und Zigarrenarbeiter, die neben der gesetzlichen Krankenversicherung, die nur etwa der Hälfte eines durchschnittlichen Tagesverdienstes entsprechen, durch einen Zuschuß aufstocken.
Der Generalkommission sind 55 Zentralverbände mit 580.470 Mitgliedern , davon 19.280 weiblichen, angeschlossen.
Der Metallarbeiterverband hat 85.000 Mitglieder (Organisationsgrad: 16,62%), der Maurerverband 74.534 (24,38%), die Holzarbeiter 62.570 (18,63%). Den höchsten Organisationsgrad haben die Bildhauer mit 68,30%, die Buchdrucker mit 64,28% und die Kupferschmiede mit 45,86%, den niedrigsten die Handlungsgehilfen und Lagerhalter mit zusammen 0,46%, die Gärtner mit 0,53% und die Gastwirtsgehilfen mit 0,69%. Die Verbände gaben rund 24% ihrer Einnahmen für Streikunterstützungen, je rund 8% für Krankenunterstützung und die Verbandsorgane aus.
Die Lokalvereine haben ca. 15.950 Mitglieder. Die 20 Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine zählen 86.780 Mitglieder, davon rund 34.000 im Gewerkverein der Maschinenbau- und Metallarbeiter sowie 16.760 im Gewerkverein der Fabrik- und Handarbeiter.
Die christlichen Gewerkschaften haben zusammen nun rund 112.000 Mitglieder.
Die Generalkommission registriert für 1899 976 Streiks, davon 542 Angriffsstreiks. Von ihnen verlaufen 307 erfolgreich, 138 teilweise erfolgreich, 76 erfolglos und 21 mit unbekanntem Ergebnis.
Von den 430 Abwehrstreiks sind 217 erfolgreich, 66 teilweise erfolgreich, 137 erfolglos und bei 10 ist das Ergebnis unbekannt.
© Friedrich Ebert Stiftung
| technical support | net edition
fes-library | Februar 2000
|