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1891

90er Jahre

Ab 1891 wird in der katholischen Publizistik lebhaft aber sehr kontrovers über die Notwendigkeit christlicher Gewerkschaften diskutiert.

1891

In Deutschland beginnt eine Wirtschaftskrise, die bis 1893 dauert. Die Arbeitslosigkeit steigt schätzungsweise auf 6%.
Dadurch stagniert die weitere organisatorische Entwicklung der Gewerkschaften oder ist z.T. sogar rückläufig in dieser Zeit.

Bei der Neukonstituierung des Allgemeinen Brauerverbandes wird für reisende Mitglieder eine Unterstützung in Form von Kilometergeld gewährt.
1896 wird eine Erwerbslosenunterstützung eingeführt. Ob jemand am Ort arbeitslos wird, sich auf die Reise begibt oder durch Krankheit erwerbslos wird - für alle diese Fälle gelten die gleichen Leistungen.
1898 wird eine Umzugsunterstützung im Statut verankert. Sie gilt zunächst für Streikende und Gemaßregelte.

Die Zeitschrift "Arbeiterfreund" veröffentlicht den "Entwurf zu einem Statut für katholische Fachvereine". Obwohl auf die Verfolgung materieller Interessen abgestellt, sollen die geplanten Fachvereine die geistige Ausbildung der Arbeiter, die Anbahnung eines christlichen Verhältnisses zum Arbeitgeber, die genossenschaftliche Gestaltung des Gewerbes, die Unterstützung hilfsbedürftiger Mitglieder und Beratung in beruflichen Rechtsstreitfragen als Aufgaben übernehmen. Die Mitgliedschaft ist auf Katholiken beschränkt.

Eine einflußreiche Rolle spielt bei der Diskussion um soziale Reformen und soziale Politik die seit 1891 erscheinende "Soziale Praxis", die sowohl von Regierungsstellen, in städtischen und staatlichen Verwaltungsbüros, in bürgerlichen und sozialdemokratischen Redaktionsstuben wie in Gewerkschaftszentralen gelesen und ausgewertet wird. Sie schlägt "selbst in Zeiten der Stagnation der sozialen Gesetzgebung eine stetige Brücke zur sozialdemokratischen Arbeiterschaft".

Auf dem ersten Verbandstag der Sattler wird Johann Sassenbach zum Vorsitzenden gewählt.
1892 wird zum ersten Mal eine Frau Mitglied des Verbandes.

Die Generalversammlung der Handschuhmacher nimmt ein "Reglement für die Redaktion" der Verbandszeitung an. Die ersten beiden Forderungen lauten: "1. Der 'Handschuhmacher' soll die Tendenz eines reinen Gewerkschaftsorgans behalten, dabei dennoch der modernen Arbeiterbewegung in jeder Hinsicht Rechnung tragen. 2. Da unsere Kollegen vielfach die Arbeiterbewegung, die Natur und das Wesen des Kapitals noch nicht richtig erfaßt haben, hat die Redaktion für Aufklärung hauptsächlich nach dieser Seite zu sorgen."

Der "Zentralverein der deutschen Former sowie aller in Eisen- und Metallgießereien beschäftigten Arbeiter" wird gegründet. Er nennt sich seit 1897 "Zentralverband der Former und Berufsgenossen".

In Berlin wird die halbstaatliche "Zentralstelle für Wohlfahrts-Einrichtungen" gegründet, deren Schwerpunkt das Arbeiterwohnungswesen, vor allem der Ausbau der Spar- und Bauvereine ist.
Seit 1900 gilt ein Interesse "der Jugendpflege, später auch dem Lehrlingswesen und der Berufserziehung des gewerblichen Nachwuchses".

Der "Verband aller in der Textilindustrie beschäftigen Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" wird als Nachfolgeorganisation der 1887 aufgelösten "Gewerkschaft der Manufakturarbeiter" gegründet.
Dieser Industrieverband kann trotz konjunktureller Schwankungen bis zur Jahrhundertwende seinen Mitgliederbestand ständig erhöhen. Der Organisationsgrad bleibt jedoch außerhalb der Färbereien, besonders in der Baumwoll- und Leinenindustrie, sehr gering. Die Frauen- und die Heimarbeit sowie der landwirtschaftliche Nebenerwerb vieler Arbeiter und die Verlagerung der Fortbildungsstätten in Kleinstädte und Dörfer zur Streckung der Lohnkosten sind organisationserschwerend.

Anfang 1891

In Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Halberstadt, Halle, Hanau, Herford, Leipzig, Lüneburg, Mannheim, Minden, Stuttgart bestehen bereits örtliche Gewerkschaftskartelle. Sie bezwecken vor allem örtliche Regelungen bei der Durchführung von Lohnkämpfen, die notwendigen Gelder zu sammeln und die Lohnkämpfe und die Verwendung der gesammelten Gelder zu kontrollieren.
Sie befassen sich vor allem mit der schwierigen Frage der zugänglichen Versammlungslokale, mit örtlichen Angelegenheiten aller Gewerkschaften (Herbergen, Referentenvermittlung, Unterstützung schwacher Organisationen bei der Agitation). Die örtlichen Kartelle wenden sich bald auch dem örtlichen Arbeitsnachweis und vor allem dessen Verwaltung zu.
Die Arbeitslosenzählungen, die seit 1892 systematisch begonnen werden, fallen hauptsächlich den Kartellen zu. Dazu kommen die Organisation der Beisitzerwahlen für die Gewerbegerichte und zunächst die gewerberechtliche Auskunftserteilung.
Im Laufe der kommenden Jahre richten die Ortskartelle an vielen Orten eigene Bibliotheken ein.

1. Januar 1891

Der "Verband der Hafenarbeiter und verwandte Berufsgenossen Deutschlands" wird gegründet.

Die erste Ausgabe des neuen Zentralorgans der SPD "Vorwärts" erscheint in Berlin. Redakteur ist W. Liebknecht.
Der "Vorwärts" wird auch für die sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsbewegung ein wichtiges Informationsorgan.

10. Januar 1891

Die erste Nummer von "Die Arbeiterin" - Zeitschrift für die Interessen der Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes - kommt heraus. Redakteurin ist Emma Ihrer.
Sie erscheint bis 19. Dezember 1891 und ist eine Vorläuferin von "Die Gleichheit".

12. Januar 1891

W. Liebknecht eröffnet die vor allem von den Gewerkschaften geförderte Arbeiterbildungsschule in Berlin.

20. Januar 1891

Die erste Ausgabe des "Correspondenzblattes der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" erscheint - zunächst unregelmäßig, dann wöchentlich in Berlin.
Die Generalkommission richtet in diesem Heft einen Appell "An die Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands":
"Nochmals sieht die Kommission sich veranlaßt, eine Aufforderung zur weiteren Einsendung von Geldern zur Unterstützung der auf das Pflaster geworfenen Arbeiter ergehen zu lassen.
Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß die organisierten deutschen Arbeiter in der kurzen Spanne Zeit, welche seit der Gewerkschaftskonferenz verflossen ist, enorme Summen für den besagten Zweck geopfert haben."
Das "Correnspondenzblatt" soll die Fachorgane der einzelnen Gewerkschaften nicht ablösen. Es erscheint zunächst in einer Auflage von 400 Exemplaren und wird nur den Gewerkschaftsverwaltungen und den Reaktionen der Gewerkschaftszeitungen zugesandt. Mit dem "Correspondenzblatt" besitzt die Generalkommission ein wichtiges Instrument, um ihre Ansichten in den heftig diskutierten Streitfragen um die Organisationsform der sozialdemokratischen Gewerkschaften - Zentralverbände oder Lokalorganisationen bzw. Berufs- oder Industrieverbände - zur Geltung zu bringen. Sie benutzt es vor allem, um die "lokalistisch" orientierten Organisationen aus der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung hinauszudrängen, wobei sie sich der Unterstützung der Vorstände der Zentralverbände gewiß sein kann.
Das "Correnspondenzblatt" will sich mit den gemeinsamen Problemen aller Gewerkschaftsorganisationen beschäftigen und erhält damit zunehmend Bedeutung für eine Koordinierung der Gewerkschaftsarbeit. Als Sprachrohr der Generalkommission ist es auch frei von berufsegoistischen Tendenzen, die in den Zeitungen der Einzelverbände immer wieder anklingen.

4. Februar 1891

Die Reichstagsfraktion der SPD fordert die deutschen Arbeiter auf, die Maifeier am ersten Sonntag im Mai zu begehen. Es soll ein Tag genommen werden, der der gesamten Arbeiterschaft die Beteiligung an den Kundgebungen ermöglicht. Dieser Aufruf wird in einem Teil der Partei heftig kritisiert.

7. Februar 1891

Angesichts der schlechten finanziellen Situation veröffentlicht die Generalkommission einen Aufruf "An die Mitglieder der Gewerkschaften":
"Während des Sozialistengesetzes erklärten sämtliche Vertreter der Gewerkschaften, daß diese im Wesentlichen als Vorschule der politischen Bewegung und als Stützpunkt für dieselbe zu gelten haben. Auch heute steht außer allem Zweifel, daß gerade die Gewerkschaften mit ihren Lohnkämpfen es sind, welche den indifferenten Arbeiter zum Klassenbewußtsein und somit zur politischen Erkenntnis und Thätigkeit bringen.
Nach Ablauf des Sozialistengesetzes aber dürfte es angebracht erscheinen, darauf aufmerksam zu machen, daß zwischen der Aufgabe der politischen Bewegung und derjenigen der Gewerkschaften bei der heute bestehenden Vereinsgesetzgebung ein wesentlicher Unterschied besteht. Sicher ist, daß wir, wenn ein volles Vereinigungsrecht in Deutschland vorhanden wäre, entschieden dafür sorgen würden, daß in den gewerkschaftlichen Organisationen gleichzeitig die politischen Fragen zur Erörterung kommen. Der Unterschied zwischen der politischen Thätigkeit, wie die Arbeiterpartei sie entwickelt, und der Aufgabe der Gewerkschaften liegt darin, daß die erstere eine Umgestaltung der gegenwärtigen Gesellschaftsorganisation anstrebt, während die letztere in ihren Bestrebungen, weil die Gesetze uns hierin Grenzen ziehen, auf dem Boden der heutigen bürgerlichen Gesellschaft steht.
Während also die erstere darauf hinausgeht, abgesehen von den Vortheilen, welche den Arbeitern durch die Arbeiterschutzgesetzgebung, welche die Partei anstrebt, geboten werden, in späterer Zeit durch die Umgestaltung der Produktionsweise allen Mitgliedern der Gesellschaft ein sorgenfreies Dasein zu verschaffen, suchen die letzteren (Gewerkschaften) auf dem Boden des heutigen Klassenstaates die Lage der Arbeiter zu verbessern. Nun liegt einem klar vor Augen, daß die besitzende Klasse, und im besonderen Falle das kapitalträchtige Unternehmerthum, noch eine nicht zu unterschätzende Macht bildet und liegt andererseits mit dieser Erkenntnis die Verpflichtung vor, daß wir, wenn wir überhaupt Vortheile haben wollen, die Macht unserer Organisationen so stärken, daß sie dem Unternehmerthum gewachsen sind. Dies dürfte, wenn wir bedenken, daß die große Zahl der organisirten Arbeiter ohne Rücksicht auf das Gewerbe stets solidarisch zusammensteht, während in allen Kämpfen es sich nur um die Unternehmer eines bestimmten Gewerbes handelt, sicher nicht schwer sein.
Die wirthschaftlichen Kämpfe gestalten sich immer mehr zu einer Machtfrage. Die Macht des Unternehmerthums wächst mit der Vergrößerung des Kapitals und tritt besonders während der wirthschaftlichen Krisen zu Tage. Die Macht des Arbeiters liegt in der Organisation. Diese muß er so gestalten, daß sie eine möglichst große Zahl der Berufsgenossen umfaßt, und dann muß versucht werden, die einzelnen Berufsorganisationen zu einem festen Ganzen zu verbinden. Schon die gewaltige Zahl der zu einer Organisation verschmolzenen Arbeiter wird dem Unternehmerthum Respekt einflößen; dann aber bedeutet die Zahl der Mitglieder auch die finanzielle Leistungsfähigkeit, weil jeder einzelne seinen Beitrag in eine Kasse zahlt. Demnach liegt unsere Macht in der Größe unserer Organisation.
Wir dürfen uns aber durchaus nicht verhehlen, daß wir von einer solchen die Macht besitzenden Organisation noch entfernt sind, entfernter aber sind wir noch von der wahren Bethätigung des Solidaritätsgefühls und der Opferfreudigkeit, wie sie unseren noch so mächtigen Gegnern gegenüber absolut erforderlich ist.
Es genügt nicht, pomphafte Aufrufe zu erlassen und an die Solidarität der Genossen zu appelliren, sondern wir müssen uns daran gewöhnen, regelmäßig mehr zu leisten. Deswegen möchten wir allen Gewerkschaften empfehlen, höhere Beiträge zu erheben.
Dasselbe muß auch bei der Unterstützung der Streiks eingeführt werden. Jeder verloren gegangene Kampf verschlechtert die Arbeitsverhältnisse und stärkt die Macht des Unternehmerthums nicht nur in dem in Frage kommenden Gewerbe, sondern im Großen und Ganzen. Deswegen muß darnach hingestrebt werden, daß die Beitragsleistungen in den einzelenen Gewerkschaften höhere werden, sowie die Leistungen an Ertragsteuern bei Streiks nicht so minimal wie bisher bleiben."

14. März 1891

Die Generalkommission schließt sich der Empfehlung der SPD-Reichstagsfraktion an, den 1. Mai auf den 3. Mai - einen Sonntag - zu verlegen.
Die Generalkommission unterstützt einen Beschluß der Stuttgarter Gewerkschaften, daß alle Arbeiter ein Drittel oder ein Viertel ihres Arbeitsverdienstes am 1. Mai für einen zentralen Fonds für künftige Kämpfe um eine Arbeitszeitverkürzung spenden. Zur Kontrolle für die Sammlung werden Spendenmarken ausgegeben.

18. März 1891

Aus Anlaß des Jahrestages der Pariser Kommune veröffentlicht W. Liebknecht im Namen des Vorstandes der Partei eine Adresse an den Nationalrat der französischen Arbeiterpartei, in der hervorgehoben wird, daß der Weltfrieden jetzt in der Hand des französischen und deutschen Volkes liege.

Frühjahr 1891

Das preußische Kammergericht stellt fest, daß auch die Forderungen für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen sozialpolitischer Natur sind. Das müsse nach dem preußischen Vereinsgesetz zur Auflösung sämtlicher bestehender gewerkschaftlicher Zentralorganisationen führen, da die Verbindung politischer Vereine verboten sei.

28./30. März 1891

Auf dem Verbandstag der Buchbinder in Augsburg wird beschlossen, die Arbeiterinnen in den Verband aufzunehmen, allerdings rechnet man noch mit besonderen Frauenabteilungen innerhalb und selbständigen Arbeiterinnenorganisationen außerhalb des Verbandes.

30. März 1891

Auf der Generalversammlung der Drechsler in Halle/Saale wird Theodor Leipart zum Nachfolger C. Legiens gewählt.

7. April 1891

Der sozialdemokratische Abgeordnete Emanuel Wurm legt im Reichstag bei der Debatte über die Verbesserung des Arbeiterschutzes besonderen Wert darauf, die Mißstände in den Fabriken darzustellen, das "Schlachtfeld der Industrie" koste mehr Opfer als die Kriege. Er verlangt schärfere Verordnungen für einzelne Produktionszweige und setzt vor allem auf technischen Arbeitsschutz, wie verstärkte Ventilation und Absaugung.

8./11. April 1891

Der "Verband der Bauhilfsarbeiter und verwandter Berufsgenossen" wird in Hannover gegründet. Die Bauhilfsarbeiter erweisen sich als schwer organisierbar, da dieser Wirtschaftsbereich sehr konjunkturabhängig und häufig unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, der leichten Gewinnung von Streikbrechern und dem starken Anteil fremdnationaler Arbeitskräfte sowie der scharfen Konkurrenz, der sich um die Hilfsarbeiter aller Wirtschaftszweige bemühenden Fabrikarbeiterverbandes zu leiden hat, dem es aber nicht gelingt, bei den Bauhilfsarbeitern wesentliche Organisationserfolge zu erzielen.
Bei seiner Gründung hat der Verband rund 2.500 Mitglieder. Wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise stagniert der Verband mehrere Jahre.

11. April 1891

Die Generalkommission schlägt die Bildung eines Maifonds vor. "Wenn wir den wirtschaftlichen Kampf einmal als berechtigt anerkennen, dann müssen wir uns sagen, daß derselbe dann auch so geführt werden muß, daß er sichtbare Erfolge für die Arbeiterklasse und ein schärferes Zurückdrängen der Macht der Arbeitgeber zeitigt. Immer wieder aufs neue müssen wir daher wiederholen, daß die nächste Zeit das Hauptaugenmerk auf die Ansammlung größerer Fonds gerichtet sein muß."
Weil "genügende Mittel" für die Kämpfe des Proletariats "das erste Erfordernis" seien, ruft die Generalkommission unter Bezugnahme auf den Beschluß der sozialdemokratischen Parteileitung zur Maifeier dazu auf, am 1. Mai 1891 zu arbeiten und ein Drittel oder ein Viertel des verdienten Tageslohnes "zur Anlegung eines allgemeinen Fonds zu ferneren Kämpfen" an die Generalkommission abzuführen.
Die Sammlung für die Maifonds erbringt bis zum 1. Oktober 1891 die Summe von 64.776,16 Mark. Dieses Geld kann die Generalkommission jedoch nicht als Grundstock für den vorgesehenen Streikfonds anlegen, sondern muß es zur teilweisen Abdeckung eines 105.000-Mark-Darlehens verwenden, das sie zur Unterstützung der Hamburger Tabakarbeiter aufgenommen hatte. Die Absicht, mit Hilfe eines Streikfonds die Position der Generalkommission gegen die Einzelgewerkschaften zu stärken, schlägt fehl.

16. April 1891

Der Reichstag diskutiert bei den Beratungen über die Arbeitsschutz-Vorlage den Antrag der Sozialdemokraten, einen Maximal-Arbeitstag von zunächst zehn, ab 1898 acht Stunden gesetzlich zu verankern.

18. April 1891

Das "Correspondenzblatt" berichtet, daß jeder Unternehmer dem Fabrikantenverband der Metallbranche mitzuteilen hatte, wenn ein Arbeiter wegen politischer oder gewerkschaftlicher Aktivitäten entlassen wurde. Der Verband sandte Listen der entlassenen Arbeiter an alle Mitglieder. Nachdem dies als ungesetzlich kritisiert worden war, soll nun bei jeder Anstellung die Zentralstelle gefragt werden, ob der Einzustellende mit zu den "in Verruf" erklärten Arbeitern gehört.

25. April 1891

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht einen Organisationsplan der Generalkommission.
Der Entwurf soll "in allgemeinen Zügen klarstellen, in welchem Rahmen sich in der Zukunft die Gewerkschaftsorganisation bewegen müßte, wenn sie den wirtschaftlichen Kampf mit dem unter den heutigen Verhältnissen möglichen Erfolge aufnehmen will". Dazu sei notwendig, "ein einheitliches, planmäßiges Vorgehen der unter den bestehenden Gesetzen in Deutschland möglichen Arbeiterorganisationen herbeizuführen, sowie zur Erreichung ihrer Zwecke, insbesondere bei Streiks und Aussperrungen, eine gegenseitige wirksame Unterstützung zu garantieren".
Der Entwurf erklärt die Zentralverbände der einzelenen Berufe zur organisatorischen Grundlage der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Die Zentralverbände haben die Aufgabe, "unter Ausschluß aller politischen und religiösen Fragen die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder allseitig zu wahren". Als Mittel zu diesem Zweck nennt die Generalkommission: Regelung der Arbeitsverhältnisse und Beseitigung von Mißständen an den einzelnen Werkstellen bzw. Arbeitsplätzen wie im ganzen Gewerke; Verbreitung von Bildung unter den Mitgliedern; Errichten von Herbergen und Arbeitsnachweisen; Pflege der Berufsstatistik; Unterstützung bei Arbeitseinstellungen, welche durch die Organisation auf Grund ihrer statuarischen Bestimmungen beschlossen werden; Reiseunterstützung und Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten, soweit die Kassenverhältnisse es gestatten.
Die verwandten Berufsverbände sollen sich auf der Ebene der Industriezweige sämtlicher dabei in Betracht kommender Berufsorganisationen zu Unionen zusammenfügen. Ihr Aufgabenbereich umfaßt: Planmäßige und auf gemeinschaftliche Kosten zu betreibende Agitation; Herausgabe eines gemeinschaftlichen Presseorgans, "welches so eingerichtet sein muß, daß den Interessen sämtlicher dabei beteiligten Zentralvereine Rechnung getragen wird"; Unterstützung solcher Streiks, die "innerhalb der zur betreffenden Gruppe gehörenden Industriezweige notwendig werden", von einem einzelnen Zentralverein jedoch nicht wirksam geführt werden können und von der Union gutgeheißen werden; Förderung und Veröffentlichung der Berufsstatistik; Zentralisierung der Herbergen, Arbeitsnachweise und Reiseunterstützungs-Zahlstellen in den einzelnen Städten. Für die Verbindung der einzelnen Unionen untereinander und für die "Besorgung derjenigen Angelegenheiten, an denen alle Gewerkschaften gleichmäßig interessiert sind, keine aber sich zu deren Regelung eignet", soll die Generalkommission als zentrale Körperschaft der deutschen Gewerkschaftsbewegung verantwortlich sein. Sie soll sich aus sieben von den allgemeinen Gewerkschaftskongressen zu wählenden Mitgliedern sowie aus je einem Vertreter der Unionen zusammensetzen. Der Generalkommission obliegt: die Agitation in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter noch nicht organisiert sind; die Herausgabe einer Zeitung zur Verbindung sämtlicher Gewerkschaften; die Zusammenstellung der Unionsstatistiken zu einer einheitlichen für die gesamte Arbeiterschaft; statistische Aufzeichnungen über sämtliche Streiks zu führen und periodisch zu veröffentlichen; Streikunterstützung an einzelne Gewerkschaften oder Unionen aus einem zu schaffenden Generalfonds zu gewähren in bestimmten und dringenden Fällen und unter Zustimmung der Mehrzahl der Unionen.
Um diesen Organisationsplan zu verwirklichen, bezeichnet die Generalkommission einen festen Wochenbeitrag als erforderlich, von dem die Berufsverbände 10 Prozent an die Unionen und diese davon 20 Prozent an die Generalkommission abführen sollen.
Prinzipiell wichtig sind zwei Vorschläge: Erstens die allmähliche Überwindung der engen Berufsgrenzen durch die Bildung von Unionen der "verwandten" Organisationen, die Entwicklungsrichtungen auf Industrieverbände frei geben. Zweitens ist die Zusammenfügung der Einzelorganisationen zur gesamtnationalen Gewerkschaftsbewegung statuarisch verankert. Durch die Einbeziehung der Unionsvertreter hätte die Generalkommission, deren Aufgabenkreis genau fixiert wird, eine breitere Basis gewonnen und ihr Gewicht gegenüber den Einzelgewerkschaften wesentlich vergrößert.
Dieser Organisationsplan facht eine lebhafte innergewerkschaftliche Diskussion an, die schließlich zur Einberufung einer Konferenz führt, um eine Vorklärung der auf dem geplanten Kongreß zu behandelnden Probleme zu erreichen.
Dieser Organisationsplan stößt auf zum Teil heftigen Widerstand bei den Lokalisten und bei Verbänden, die die Schaffung von Industrieverbänden erwarten, andere sind gegen die teilweise Aufgabe ihrer Selbständigkeit, die Verschmelzung der Gewerkschaftsblätter zu einer zentralen Zeitung oder gegen eine gemeinsame Streikunterstützung. Die Gewerkschaften einigen sich, den Organisationsplan auf einer Vorkonferenz zur beraten und den für 1891 geplanten Kongreß auf 1892 zu vertagen.

26. April / 5. Mai 1891

Rund 20.000 Ruhrbergarbeiter streiken für die Achtstundenschicht, das Verbot von Überschichten, 25-40 Prozent Lohnerhöhung, für die Wiedereinstellung von Gemaßregelten und die Anerkennung der Arbeiterausschüsse. Angesichts der mangelnden Einmütigkeit der Ruhrbergarbeiter und der Wirtschaftskrise hat die sozialdemokratische Presse vor dem Streik gewarnt. Dennoch beschließen 274 Delegierte aus 166 Schächten am 26. April in Bochum den allgemeinen Streik. Gegen die Streikenden wird Militär eingesetzt. 2.000 Streikende werden gemaßregelt.

Mai 1891

In Berlin wird der "Verband der Porzellanmaler und verwandten Berufsgenossen Deutschlands" gegründet, der auch Hilfsarbeitern und Ungelernten offensteht. Sitz wird Altwasser.
Der Verband schließt sich der Generalkommission an.

3. Mai 1891

Die Feiern zum 1. Mai finden an einem Sonntag statt, um den Unternehmern keinen Vorwand für Aussperrungen zu liefern, zumal in der Zeit einer wirtschaftlichen Krise.

8. Mai 1891

Der Reichstag verabschiedet gegen die Stimmen der Sozialdemokraten eine Novelle zur Reichsgewerbeordnung. Sie sieht einen konkreteren Arbeiterschutz als bisher vor. Doch mit der Formulierung, daß die Schutzmaßnahmen von der "Natur des Betriebes abhängig zu machen seien", bleiben den Unternehmern viele Möglichkeiten, die Bestimmungen zu umgehen.
Das Gesetz legt fest: Sonn- und Feiertagsruhe in Industrie und Bauwesen; Arbeiter können an Sonn- und Feiertagen nicht zur Arbeit verpflichtet werden; die "den Arbeitern zu gewährende Ruhe" soll für jeden Sonn- und Feiertag mindestens 24 Stunden, für aufeinanderfolgende Sonn- und Feiertage 36, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden betragen. Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als fünf Stunden beschäftigt werden. An bestimmten Tagen z.B. vor Weihnachten kann die Arbeitszeit verlängert werden (§ 105 a + b). Trotz einer Reihe von Ausnahmeregeln wird damit der erste Durchbruch zur gesetzlichen Anerkennung einer Ruhepause für Arbeiter anerkannt, wenn diese Bestimmungen auch erst 1895 bzw. 1901 in Kraft treten.
Die Novelle enthält erneut das Verbot des Trucksystems, Werkzeuge müssen den Arbeitern zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt werden. Besonders wichtig sind die Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter "gegen Gefahr für Leib und Leben", soweit es "die Natur des Betriebes gestattet". Insbesondere ist für genügend Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betriebe entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen - ebenso sind Vorschriften gegen "gemeingefährliche Berührungen" mit den Maschinen und Fabrikbrände herzustellen. Nach der Novelle ist Kinderarbeit unter 13 Jahren in Fabriken verboten, die Arbeitszeit für Kinder über 13 Jahren wird auf sechs Stunden und Jugendliche unter 16 Jahren auf zehn Stunden täglich beschränkt. Nachtarbeit wird für diese Gruppen zwischen 20.30 Uhr und 5.30 Uhr verboten. Die Höchstarbeitszeit für Frauen wird auf 11 Stunden festgesetzt, die Nachtarbeit für Frauen verboten, ebenso die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen nach 17.30 Uhr.
Fabrikordnungen müssen, Arbeiterausschüsse können eingeführt werden. Die Vertreter der Ausschüsse können zu Fragen der Arbeitsordnung gehört werden.
Dieses Gesetz stellt den ersten bedeutenden Schritt zum gesetzlichen Arbeiterschutz in Deutschland dar. Es bleibt jedoch weit hinter den Wünschen und Forderungen der Arbeiter - Maximalarbeitstag, wirksame Kontroll- und Strafbestimmungen gegen Unternehmer - und dem Minimal-Arbeiterschutz-Programm des Internationalen Arbeiterkongresses in Paris (1889) zurück.

8./15. Mai 1891

Auf dem Kongreß der Maurer in Gotha wird nach langen Auseinandersetzungen der "Zentralverband der Maurer Deutschlands und verwandter Berufsgenossen" gegründet. Damit beginnt die Überwindung der bei den Maurern besonders starken Zersplitterung in Lokalorganisationen. Mitte 1892 zählt der Verband in 150 Zahlstellen 12.000 Mitglieder.
Der Verband hat zum Zweck die allseitige Vertretung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder, mit Ausschluß aller politischen Fragen; er dient zur Erzielung möglichst günstiger Arbeitsbedingungen. Dieser Zweck soll erreicht werden durch "Pflege der Solidarität und des geselligen Verkehrs der Mitglieder in den Zahlstellen durch Abhalten regelmäßiger Mitgliederversammlungen und Veranstaltungen von Vorträgen; Regelung des Arbeitsmarktes, insbesondere auch des Arbeitsnachweises und des Herbergswesens; Pflege der Berufsstatistik; Gewährung von unentgeltlichem Rechtsschutz in gewerblichen und solchen Streitigkeiten, in welche die Mitglieder infolge ihrer Verbandstätigkeit geraten".
Mitglieder und Nichtmitglieder, die infolge ihrer Tätigkeit für den Verband arbeitslos werden, können Unterstützungen erhalten.
Sitz des Verbandes wird Hamburg. Der Grundstein bleibt Verbandsorgan.

15. Mai 1891

Papst Leo XIII erläßt die Enzyklika "Rerum novarum"; sie ist bis heute die grundlegende Stellungnahme der katholischen Kirche zur sozialen Frage. Papst Leo XIII. bestätigt die Teilung der Gesellschaft in zwei Klassen, die Verelendung der Besitzlosen und die Zuspitzung der sozialen Konflikte; den Sozialismus aber lehnt er strikt als Irrlehre und Irrweg ab. Der Auffassung des Sozialismus, daß eine Lösung der sozialen Konflikte nur durch die Aufhebung der kapitalistischen Eigentumsordnung und durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel möglich sei, stellt der Papst die Gewißheit entgegen, daß das Recht zum Besitz von privatem Eigentum ein dem Menschen von Natur aus zukommendes Recht sei.
Von diesem zentralen Satz leitet Leo XIII. seine Forderungen nach einer Reform der sozialen Zustände ab: Die sozialen Verhältnisse im allgemeinen und die Lohnverhältnisse des Arbeiters im besonderen müssen so gestaltet sein, daß der Erwerb von Eigentum möglich ist und daß besonders das kleine Eigentum geschützt wird. Diese Aufgaben werden dem Staat zugewiesen. Die natürliche Ordnung der Gesellschaft bedeutet nach päpstlicher Auffassung keine "Gleichmachung von hoch und niedrig, von arm und reich", vielmehr erfordert "das gesellschaftliche Dasein eine Verschiedenheit von Kräften und eine gewisse Mannigfaltigkeit von Leistungen. So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen".
Aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit ergeben sich für beide Verpflichtungen, für die Arbeiter u.a. "vollständig und treu die Arbeitsleistung zu verrichten" (sofern sie auf einem gerechten Vertrag beruht), "in der Wahrung ihrer Interessen sich der Gewalttätigkeit zu enthalten und in keinem Falle Auflehnung zu stiften"; die Arbeitgeber dagegen dürfen die Arbeiter "nicht wie Sklaven" behandeln, müssen deren persönliche Würde wahren: "dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vorenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel schreit". Grundsätzlich anerkennt also der Papst die kapitalistische Sozial- und Wirtschaftsordnung, er fordert nicht eine Reform des Systems, wohl aber eine der Gesinnungen: nur durch sie können die bestehende unerträgliche Klassentrennung und die scharf verurteilten Auswüchse der kapitalistischen Produktionsmethoden überwunden werden. Diese Reform der Gesinnungen aber ist die Aufgabe der Kirche. Aber nicht nur die Kirche, der Staat und die Besitzenden müssen für die Lösung der sozialen Frage Sorge tragen, sondern auch die Arbeiter selbst: sie werden vom Papst aufgefordert, sich zur Vertretung und Durchsetzung ihrer Rechte in christlichen Arbeitervereinen zusammenzuschließen; auch der Streik wird nicht generell ausgeschlossen.

23. Mai 1891

Im ersten Artikel "Zur Organisationsfrage" schreibt die Generalkommission im "Correnspondenzblatt":
"Die Gewerkvereine schließen die Politik aus der Organisation aus, weil sie glauben, sie tauge nicht für den Arbeiter, weil sie der Meinung sind, unsere politischen Einrichtungen sind die besten, welche es giebt. Unsererseits wird die Politik aus der Organisation ausgeschlossen, weil wir unter den beschränkenden Vereinsgesetzen keine wirthschaftlichen Kampfesorganisationen (Zentralisation) errichten können, wenn wir politisch thätig sein wollen. Was den Gewerkvereinen Zweck ist, ist uns Mittel. Wir wissen ganz genau, daß eine endgültige Besserung in der Lage der Arbeiterklasse , daß die Beseitigung der Lohnarbeit, die Erringung des vollen Ertrages der Arbeit nur auf politischem Wege erzielt werden können. Andererseits aber muß die Masse der Arbeiter für diese Idee gewonnen werden durch den wirthschaftlichen Kampf in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft, denn der Kampf um die Lebenshaltung gegen die Uebergriffe der Unternehmer, gegen den Mißbrauch ihrer ökonomische Machtstellung, ist es, welcher dem Arbeiter, der noch nicht genügend für die politischen Thätigkeit gewonnen ist, einen Einblick giebt in die Mißstände unserer heutigen Produktion, ihm zeigt, wie wenig er von den besitzenden Klassen zu erwarten hat und wie viel er für sich erreichen kann, wenn er seine eigene Macht durch den Anschluß an seine Leidensgefährten erhöht.
Da dieser wirthschaftliche Kampf in der heutigen Produktionsweise aber nur durch die Zentralisation der Gewerkschaften mit Erfolg geführt werden kann, diese Zentralisation uns aber bei gleichzeitiger politischer Thätigkeit im Rahmen des Vereins durch die Vereinsgesetzgebung nicht gestattet ist, so müssen wir die Politik aus unseren Organisationen ausschließen. Und wir werden sie mit aller Schärfe ausschließen, weil wir die Ehre haben, von der Staatsanwaltschaft etwas genauer angesehen werden, als die Gewerkvereine.
Wir aber werden uns bemühen, der deutschen Arbeiterschaft klar zu stellen, daß wir nicht auf dem Standpunkt stehen, zu glauben, daß durch die Gewerkschaft Alles erreicht werden kann, was zu erreichen ist, sondern daß die Gewerkschaftsorganisation im heutigen Sinne durch die Verhältnisse geboten ist, daß sie aber nichts weiter ist als eine Etappe in dem allgemeinen Emanzipationskampfe des Proletariats."
Dieser und weitere Artikel zu diesem Thema werden als eine der ersten Broschüren der Generalkommission unter dem Titel: "Die Organisationsfrage. Ein Beitrag zur Entwickelung der deutschen Gewerkschafts-Bewegung" veröffentlicht.

28./29. Mai 1891

Der "Evangelisch-Soziale Kongreß" findet in Berlin statt. Er wird zu einer Plattform für eine große Zahl aufgeschlossener Theologen und Laien. Sozialkirchliche, sozialethische und sozialpolitische Referate intensivieren den regen Gedankenaustausch, der bei aller Verschiedenheit im einzelnen einem einheitlichen Ziel zustrebt, nämlich die "sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums ... für das heutige Wirtschaftsleben fruchtbarer und wirksamer zu machen als bisher.

29./30. Mai 1891

Auf dem ersten deutschen Textilarbeiter und -arbeiterinnenkongreß in Pößneck/Thüringen wird der "Verband aller in der Textilindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" gegründet. Sein Zweck ist, möglichst günstige Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erzielen. Die Erörterung politscher und religiöser Fragen ist ausgeschlossen. Zur Förderung des Verbandszwecks dienen u.a. eine geregelte, der modernen Technik entsprechende verkürzte Arbeitszeit; die Abschaffung der Sonn- und Feiertagsarbeit sowie der Überstunden, die Anstrebung gleicher Löhne für gleiche Leistungen. Den Mitgliedern soll Reiseunterstützung und Rechtsschutz gewährt werden.
Verbandsorgan wird der "Textilarbeiter".

1. Juni 1891

Mit der Novelle zur Gewerbeordnung werden bestehende Arbeitsschutzbestimmungen verschärft. Das Mindestalter für nichtschulpflichtige Kinder in gewerblichen Betrieben wird auf 13 Jahre festgelegt; 14jährige Jugendliche dürfen höchstens 6 Stunden und 16jährige maximal 10 Stunden täglich arbeiten. Nachtarbeit wird für diese Jugendliche zwischen 20 Uhr 30 und 5 Uhr 30 verboten. Für Frauen wird die Höchstarbeitszeit auf 11 Stunden bei Verbot der Nachtarbeit und einem Beschäftigungsverbot an Vorabenden von Sonn- und Feiertagen nach 17 Uhr 30 festgesetzt. Die Bestimmungen über die Sonntagsarbeit für alle Beschäftigten werden präzisiert.
Der betriebliche Unfallschutz wird ausgeweitet:
"§ 120 a: Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Geräthschaften so einzurichten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet.
Insbesondere ist für genügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betriebe entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase, sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen.
Ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinentheilen oder gegen andere in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebes liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabrikbränden erwachsen können, erforderlich sind.
Endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebes erforderlich sind.
§ 120 b: Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, diejenigen Einrichtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter im Betriebe zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern.
Insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebes zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebes ohnehin gesichert ist."
Die Unternehmen müssen Arbeitsordnungen einführen. Bereits bestehende oder noch zu bildende Arbeiterausschüsse können zu Fragen der Arbeitsordnung gehört werden.
Als Arbeitsausschüsse gelten auch die Vorstände der Betriebskrankenkassen, die Knappschaftsältesten.

1./6. Juni 1891

Auf dem Metallarbeiterkongreß in Frankfurt a. Main wird ein von M. Segitz und seinen Mitarbeitern ausgearbeiteter Statutenentwurf für eine "Metallarbeiter-Union" beraten, der alle "in der Metallindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen" beitreten sollen. Von 128 Delegierten des Kongresses, die 112 gemischte, 23 Former-, 17 Klempner-, 15 Schlosser- und 33 verschiedene andere Fachorganisationen aus etwa 120 Orten vertreten, entscheiden sich 101 für einen solchen Industrieverband, während sich 20 dagegen aussprechen.
Dieser Verband erhält den Namen "Allgemeiner deutscher Metallarbeiterverband". Sitz wird Stuttgart. Hauptbefürworter für einen sofortigen Anschluß der Mechaniker ist Alexander Schlicke, der seit 1890 "Vertrauensmann" der Mechaniker ist.
Einige Branchenorganisationen - die Schmiede und die Former - bleiben selbständig. Die Former bis 1901, die Schmiede bis 1912.
Aber auch einige lokale gemischte Branchenorganisationen vor allem in Berlin schließen sich dem DMV erst 1897 an.
Mit der Gründung einer Industriegewerkschaft gehen die Metallarbeiter beispielgebend der gesamten deutschen Gewerkschaftsbewegung voran.
Ende 1891 hat der DMV 18.000 Mitglieder in 180 Verwaltungsstellen.

1. Juni und 6. Juli 1891

Georg von Vollmar fordert in Reden im Münchener "Eldorado", "Über die nächsten Aufgaben der Sozialdemokratie", die Partei solle den Weg der Verhandlung betreten und auf der Grundlage der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung Verbesserungen wirtschaftlicher und sozialer Art herbeiführen. Die SPD soll auch mit progressiven Kräften außerhalb ihrer Reihen zusammenarbeiten: "Dem guten Willen die offene Hand, dem schlechten die Faust!" Als Aktionsprogramm schlägt er vor: Die Weiterführung des Arbeiterschutzes, die Erringung eines wirklichen Vereinsrechts, Beseitigung der Lebensmittelzölle. G. von Vollmars Reden führen zu heftigen Auseinandersetzungen in der Partei über die richtige Taktik.

5. Juni 1891

In Berlin finden Volksversammlungen gegen den Brotwucher mit rund 40.000 Teilnehmern unter der Losung "Gegen die Getreidezölle - für billiges Brot" statt. Sie sind der Auftakt für 400 Protestversammlungen in ganz Deutschland. Ursachen der Lebensmittelverteuerung sind die schlechten Getreideernten in der Welt, die sich verstärkende Agrarkrise und die Zölle. Die Brotpreise steigen von 1888 bis Oktober 1891 um rund 70 Prozent.

23./26. Juni 1891

Die Generalversammlung des "Unterstützungsvereins der Deutschen Buchdrucker" in Berlin begrüßt zwar die Bildung einer losen Verbindung für alle zur Sozialdemokratie tendierenden Fachorganisationen, hält jedoch einen festen Anschluß an die Generalkommission wegen der vorhandenen Rechtslage - der Vereinsgesetze - nicht für tunlich.
Die Generalversammlung berät auch die Bildung einer Industriegewerkschaft für alle graphischen Berufe. Ein entsprechender Vorschlag der letzten Generalversammlung der Buchbinder wird abgelehnt. Dies geschieht jedoch nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern wegen der, im Vergleich zum UVDB, finanziellen Schwäche des "Unterstützungsverbandes der Buchbinder", die es diesem nach eigenem Zugeständnis nicht erlaubt, an einem aktiven Arbeitskampf zur Erlangung des Neunstundentages teilzunehmen.
Die Generalversammlung macht einstimmig die Beibehaltung des Tarifvertrages von der Einführung der neunstündigen Arbeitszeit und der Anerkennung der "Stettiner Resolution" abhängig und beschließt, für einen möglichen Streik einen Extrabeitrag zu erheben. Dem Vorstand wird die Ermächtigung erteilt, für den Fall einer ablehnenden Haltung der Prinzipale die "geeigneten Maßnahmen" zu ergreifen, d.h. eine Streikbewegung einzuleiten. Im November 1891 beginnt der bislang größte deutsche Buchdruckerstreik.

24./26. Juni 1891

Der Bäckerkongreß in Altenburg beauftragt den Vorstand, auf dem Bundesrat erneut eine Denkschrift für die geforderte zwölfstündige Arbeitszeit einzureichen.

27. Juni 1891

Nach dem ersten im "Correspondenzblatt" veröffentlichten Adressenverzeichnis haben 25 der 57 Zentralorganisationen ihren Sitz in Hamburg, 10 in Berlin, 3 in Stuttgart und je 2 in Altenburg, Bremen, Hannover und Nürnberg. Zweifellos ein Zeichen für die unterschiedliche Handhabung der 26 bestehenden deutschen Vereinsgesetze.

Mitte 1891

"Der Volksverein" - die Zeitschrift des "Volksvereins für das katholische Deutschland" - erscheint zum ersten Mal.
Die Zeitschrift wird ergänzt durch eine "Social-Korrespondenz", die allen katholischen politischen Zeitungen zum freien Abdruck umsonst zur Verfügung gestellt wird.

19. Juli 1891

Die oppositionellen Lokalorganisationen der Maurer gründen eine "freie Zentralisation der Gewerksgenossen" - auch "Freie Vereinigung der deutschen Maurer" genannt. An allen Orten sollen in öffentlichen Versammlungen Vertrauensmänner gewählt werden, der in Halle/Saale soll die Funktion eines Geschäftsleiters übernehmen. 1895 gibt es noch 73 lokale Maurervereinigungen, von denen etwa 20 mit 1.600 Mitgliedern der "Freien Vereinigung" angeschlossen sind.

15. August 1891

Zur Zeit bestehen 51 Gewerkschaftsblätter in Deutschland. Davon entfallen auf die Bauarbeiter acht, die Metallarbeiter sechs, die Holzarbeiter ebenfalls sechs.
Bei vielen Gewerkschaftszeitungen ist aus finanziellen Gründen der Verbandsvorsitzende gleichzeitig Redakteur. Der Vorschlag der Generalkommission, zumindest kleinere Fachorgane als Beilagen zum Zentralorgan herauszugeben, findet wenig Resonanz.

16./22. August 1891

Der 2. Internationale Arbeiterkongreß in Brüssel stimmt mit Mehrheit der Resolution der deutschen Delegation zu, die die Notwendigkeit betont, gewerkschaftliche Massenorganisationen zu schaffen, um für das Koalitionsrecht der Arbeiter zu kämpfen und die internationale Solidarität durch gegenseitige moralische und materielle Unterstützung zu stärken.
Der Kongreß bestätigt den Beschluß von Paris (1889) über die Arbeitsgesetzgebung. "In Erwägung, daß die Stück- und Akkordarbeit immer mehr in der Groß- und Kleinindustrie sich einbürgert, daß diese Form der Lohnzahlung die Ausbeutung der Arbeiterkräfte und damit die Armut und das Elend der Arbeiter immer mehr vergrößert und den Arbeiter immer mehr zur Maschine macht, daß durch die Konkurrenz, die unter diesem System die Arbeiter sich gegenseitig machen, dasselbe dazu dient, daß bei der Berechnung der Stück- und Akkordlöhne Leistungen der besten Arbeiter zur Grundlage der Berechnung genommen werden; in Erwägung endlich, daß dieses System eine beständige Ursache zu Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern und zwischen den Arbeitern selbst wird und namentlich auch in der Hausindustrie sich stetig verallgemeinert, ist der Kongreß der Ansicht, daß dieses fluchwürdige System intensivster Ausbeutung eine notwendige Folge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist und erst mit der Beseitigung derselben aufhören wird; daß es aber nichtsdestoweniger Pflicht der Arbeiterorganisationen aller Länder ist, mit allen ihnen zu Gebote stehenden und ihnen gutdünkenden Mitteln für die möglichste Beseitigung desselben zu wirken."
Der 1. Mai ist ein gemeinsamer Festtag der Arbeiter aller Länder, an denen die Arbeiter die Gemeinsamkeit ihrer Forderungen und ihre Solidarität bekunden sollen. Dieser Festtag soll ein Ruhetag sein, so weit das durch die Zustände in den einzelnen Ländern nicht unmöglich gemacht wird.
Die Delegierten unterstützen die Forderung nach Gleichstellung der Frauen auf politischem und zivilrechtlichem Gebiet.
Die Arbeiter werden aufgefordert, die sozialistische Partei als die einzig wirkliche Friedenspartei zu unterstützen und überall gegen den Militarismus zu protestieren. Ein Antrag von anarchistischer Seite, im Falle eines Krieges einen Generalstreik auszurufen, wird abgelehnt.

Während des Internationalen Sozialistenkongresses wird das "Internationale Sekretariat der Holzarbeiter" mit Sitz in Brüssel, seit 1893 in Stuttgart, gegründet, das jedoch zunächst wenig Unterstützung findet.

September 1891

Seit Oktober 1890 mußte die Generalkommission 31 Streiks mit 6.600 Streikenden unterstützen. Die Gelder dafür mußten zum Teil durch Anleihen aufgebracht werden. Dies wie die in der Wirtschaftskrise meist ungünstig verlaufenden Streiks führen zu einer sehr pessimistischen Beurteilung der Möglichkeiten einer zentralen Streikunterstützung. Das führt in den kommenden Jahren zu einer völligen Meinungsänderung über die zunächst wichtigste Aufgabe der Generalkommission.

5. September 1891

Die Generalkommission bezeichnet Arbeitsnachweise als eines der wichtigsten gewerkschaftlichen Kampfmittel. Sie spricht sich für gemeinsame lokale berufsübergreifende Nachweise aus, bei denen auch die Auszahlung der Reiseunterstützung liegen solle.

7./8. September 1891

Auf der Konferenz der Zentralvorstände der Gewerkschaftsverbände in Halberstadt sind 39 Gewerkschaften durch 42 stimmberechtigte Delegierte vertreten, 38 Vertreter von Zentralvorständen, 1 Vertreter der Töpfer sowie Vertreter der Leipziger, Dresdener und Chemnitzer Gewerkschaften. Die Tagesordnung lautet: Bericht der Generalkommission; Stellungnahme der Zentralvereine zur Generalkommission; Einberufung des Gewerkschaftskongresses; Organisation der deutschen Gewerkschaften resp. der Organisationsentwurf der Generalkommission.
Der Organisationsplan der Generalkommission findet, trotz zahlreicher Kritik, eine überraschend große Zustimmung. Außer dem Metallarbeiterverband - er fordert größere Zentralverbände verwandter Berufe statt Unionen und einen Generalrat anstelle der Generalkommission - lehnen ihn nur die kleineren Zentralorganisationen der Maler und Sattler sowie die "lose" Zentralisation der Töpfer - die einzige auf der Konferenz repräsentierte "lokalistisch" orientierte Gewerkschaftsorganisation - ab. Auch E. Döblin hält an seiner Ablehnung fest.
Die Generalkommission erhält ein festes finanzielles Fundament: Mit 35 gegen 1 Stimme (bei 6 Enthaltungen) wird beschlossen, daß künftig jede Zentralorganisation pro Mitglied und Quartal 3 Pfennige an die Generalkommission abliefern soll - auf der Berliner Konferenz war es den einzelnen Gewerkschaftsverbänden überlassen worden, je nach ihrer Mitgliederzahl die Generalkommission finanziell zu unterstützen. Die Buchdrucker sprechen sich gegen einen festen Beitrag aus. Sie schlagen Sammlungen zur Unterstützung der Generalversammlung aus. Schließlich wird ihr Terminvorschlag für den geplanten Gewerkschaftskongreß, Anfang März 1892, von der Konferenz mit großer Mehrheit gebilligt.
Indes wird der Entwurf schließlich mit einigen Änderungen, die sich u.a. auf die Aufnahme der Gemaßregeltenunterstützung, auf die Regelung des Preßwesens durch die Unionen und auf die Zusammensetzung der Generalkommission beziehen, angenommen.
Die führenden deutschen Gewerkschaftsfunktionäre bestätigen die Generalkommission als zentrales Organ der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Zugleich grenzen sie Aufgaben und Befugnisse der Generalkommission genauer ab. Danach ist die Generalkommission nur noch verpflichtet, Abwehrkämpfe um das Koalitionsrecht zu unterstützen, nachdem der Vorstand der betreffenden Gewerkschaft genau geprüft hat, ob ein solcher Ausstand Aussicht auf Erfolg bietet. Während der ersten 14 Tage soll die entsprechende Gewerkschaft die Unterstützung der Streikenden selbst tragen. Erst nach Ablauf dieser Karenzzeit ist die Generalkommission berechtigt, einen Zuschuß "nach den vorhandenen Mitteln, jedoch nur bis zur Höhe von 6 Mark pro Kopf und Woche" zur Unterstützung der Streikenden zu leisten. Ausdrücklich wird beschlossen, daß die Generalkommission Anleihen "nur unter Zustimmung der Mehrheit der Gewerkschaftsvorstände" aufnehmen dürfe.
Schließlich beschließt die Konferenz auf Vorschlag der Generalkommission, den allgemeinen Kongreß der Gewerkschaften für März 1892 einzuberufen.

15. September 1891

Der "Verband der Mechaniker und verwandter Berufsgenossen" schließt sich dem "Deutschen Metallarbeiterverband" an. Am 1. Juli 1892 folgt der "Verband der Schlosser und Maschinenbauer".

Die Generalversammlung der Präsides der katholischen Arbeitervereine sieht von einem Verband der Vereine ab, um die Gefahr der polizeilichen Auflösung von vornherein auszuschließen. Deswegen aber soll wenigstens ein Verband der Präsides geschaffen werden; denn - so begründet F. Hitze die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses - "die heutige Zeit drängt nach Massenorganisation; Zahlen sind es, die vor allem Eindruck machen".

24./26. September 1891

Der "Zentralverband deutscher Brauer" beschließt auf seiner Generalversammlung, alle in Brauereien und Brauniederlassungen sowie Mälzereien beschäftigten Arbeiter zu organisieren, unabhängig von ihrer jeweiligen Tätigkeit. Ab 1893 werden auch ungelernte Arbeiter aufgenommen. Um den Ungelernten den Eintritt in die Organisation zu erleichtern, und auch, um den an einigen Orten bestehenden Organisationen der Brauereihilfsarbeiter den Übertritt zum Zentralverband zu erleichtern, wird die Einteilung in Fachgruppen vorgenommen. Der Verband führt eine Streik- und Gemaßregeltenunterstützung ein. Zur Unterstützung des Vorsitzenden wird eine zentrale Agitationskommission gebildet.

26. September 1891

Nach der ersten zweifellos unvollständigen Statistik der Generalkommission, die Ende 1890 erstellt wurde, gibt es 53 Verbände mit 227.733 Mitgliedern und 5 Vertrauensmännersysteme (Bauarbeitsleute, Maurer, Metallarbeiter, Stukkateure, Töpfer) mit 73.467 Mitgliedern. Während die kleinsten Verbände der selbständigen Barbiere (240 Mitglieder), der Seiler (281) und die Fabrikarbeiterinnen (300) zählten, stehen an der Spitze die westfälischen Bergleute mit 58.000, die Maurer mit 33.447, die Metallarbeiter mit 33.214, die Tischler mit 17.600 und die Buchdrucker mit 17.500 Mitgliedern.

Oktober 1891

Der Zentralrat des Verbandes der Gewerkvereine beschäftigt sich mit der Bodenbesitzfrage und verkennt nicht, wie es in einer Entschließung heißt, "daß die deutschen Bodenbesitzverhältnisse vielfach verbesserungsbedürftig sind, und daß deshalb auch die Förderung aller auf die Beseitigung der vorliegenden Mängel gerichteten durchführbaren Bestrebungen empfehlenswert ist". Eine Verstaatlichung von Grund und Boden lehnen die Gewerkvereine aber ab.

Die Generalversammlung des Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereins der Porzellan- und Glasarbeiter beschließt seinen Austritt aus dem Verband der Gewerkvereine.

1. Oktober 1891

Die auf der Halberstädter Konferenz beschlossene Beitragszahlung an die Generalkommission tritt in Kraft.

Der Zentralverband der Konditoren, Leb- und Pfefferküchler wird gegründet.

9. Oktober 1891

Die katholische "Kölnische Volkszeitung" schreibt, nur noch auf dem Wege der Gewerkschaften könne an eine gründliche Lösung der sozialen Frage gedacht werden. "Die Arbeiter sind sich ihres Rechts bewußt, und man wird sie nicht zur Ruhe bringen, bis ihnen ihr Recht ganz und voll geworden ist."
Es sei nun von entscheidender Bedeutung, wie die neue Bewegung sich entwickele, friedlich oder revolutionär. Deshalb müsse man "eine auf christlich-monarchischer Grundlage beruhende Organisation der Gewerkschaften" anbahnen; denn "unter christlicher, aber nicht engherziger Führung" könnten die Gewerkschaften ein festes Bollwerk der Ordnung und des zeitgemäßen Fortschritts werden.

12. Oktober 1891

Die süddeutschen katholischen Arbeitervereine schließen sich zum "Verband der katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands" zusammen.
Die Arbeitervereine bauen ein beachtliches Unterstützungswesen - u.a. Krankengeldzuschuß- und Sterbekassen - auf.
Die Vereine stehen ausnahmslos unter geistlicher Führung; ihre Aufgaben bestehen in der kirchlich-religiösen Betreuung, in der Abwehr des Sozialismus, vor allem aber in der "Standeserziehung" ihrer Mitglieder: "Von der Klasse zum Stand" solle die Arbeiterschaft erzogen werden. Besondere Fach- oder Berufsabteilungen innerhalb der katholischen Arbeitervereine sollen die speziellen Berufsinteressen vertreten (Einrichtung von Arbeitsnachweisen, Rechtsberatung, Fachunterricht). Die Arbeitervereine übernehmen also weder gewerkschaftliche noch politische Aufgaben: "Politische Bestrebungen sind ausgeschlossen."
Publikationsorgan ist seit 1898 die "Westdeutsche Arbeiterzeitung".

14./20. Oktober 1891

Der Parteitag der SPD in Erfurt berät vor allem ein neues Programm. Die Kritik richtet sich gegen G. von Vollmar und die Angriffe der oppositionellen "Jungen", die vor allem mit außerparlamentarischen Parolen gegen die "Führer" polemisieren. Die Berliner Gruppe der "Jungen", wird aus der Partei ausgeschlossen. Gegen G. von Vollmar nimmt der Parteitag eine von A. Bebel vorgelegte Resolution an, daß kein Grund vorliege, die Taktik der Partei zu ändern.
Der Parteitag verabschiedet ein neues Programm, das sogenannte "Erfurter Programm": "Die ökonomische Entwicklung ... trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden ... Immer größer wird die Zahl der Proletarier ... immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat ... Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln ... in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebluteten Klassen zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde.
Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.
Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei ...
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft ... für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller, ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung ..."
Im praktischen Teil fordert die SPD vor allem die Erweiterung der politischen Rechte u.a. direkte Gesetzgebung durch das Volk, Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit, Gleichberechtigung der Frau, Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; Weltlichkeit und Unentgeltlichkeit der Schulen; Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung, einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel; stufenweise steigende Einkommens- und Vermögenssteuer; Erbschaftssteuer; Abschaffung der indirekten Steuern und eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung. Dazu gehören u.a.: die Festsetzung des Achtstundentages, das "Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter vierzehn Jahren", das "Verbot des Trucksystems", die Stärkung der Gewerbeaufsicht, die "rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern", die "Sicherstellung des Koalitionsrechts" und die "Übernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung".
Die Reichstagsfraktion soll wie bisher die prinzipiellen Forderungen der Sozialdemokratie gegenüber den bürgerlichen Parteien und dem Klassenstaat rücksichtslos vertreten, ebenso aber auch die auf dem Boden der heutigen Gesellschaft möglichen Reformen erstreben, ohne über die Bedeutung dieser positiven gesetzgeberischen Tätigkeit für die Klassenlage der Arbeiter in politischer wie ökonomischer Hinsicht Illusionen zu wecken.
Der Parteitag empfiehlt "allen Parteigenossen die kräftige Unterstützung der gewerkschaftlichen Bestrebungen". In einer weiteren Resolution ersucht er "die Parteigenossen allerorts, den bestehenden gewerkschaftlichen Organisationen sich anzuschließen und, wo solche nicht vorhanden sind, sie ins Leben zu rufen". Die Delegierten erklären den 1. Mai zum dauernden Feiertag der Arbeiter. Der Parteitag protestiert "gegen die erneuten Versuche der Regierungen und der Unternehmerklasse, den in Deutschland vorhandenen Rest des Koalitionsrechts durch die reaktionären Bestimmungen in der Novelle zur Gewerbeordnung vollends zu vernichten".
Trotz dieser einstimmigen Haltung ist bei einigen Delegierten eine skeptische Auffassung über die Notwendigkeit von Gewerkschaften vorhanden.

31. Oktober 1891

Das "Correspondenzblatt" spricht sich für gemeinsame Organisationen der gelernten und ungelernten Arbeiter aus. Eine Ausnahme soll nur dort gemacht werden, wo in den Berufsorganisationen so hohe Beiträge gezahlt werden, daß Hilfsarbeiter wegen ihres geringen Lohnes diese nicht bezahlen können.

7. November 1891 / 16. Januar 1892

Rund 9.000 Buchdrucker, fast ein Drittel der gesamten Arbeiterschaft des Gewerbes, streiken in 118 Orten um die Einführung des neunstündigen Arbeitstages und um mehr Lohn. Der Streik geht verloren. Die Unternehmer können zahlreiche Arbeitswillige heranziehen und werden von der gesamten Unternehmerschaft unterstützt, die grundsätzlich den Neunstundentag verhindern wollen. Die Streikkosten belaufen sich auf 2,5 Millionen Mark, die weitgehend durch Spenden aufgebracht werden, da die Polizei die Streikkasse beschlagnahmt hat. Die Polizei verbietet zudem, Extrabeiträge zu erheben sowie Streikunterstützung aus Vereinsmitteln zu zahlen. Dabei ist die Buchdruckergewerkschaft zu dieser Zeit die organisatorisch und finanziell stärkste Gewerkschaft. Der Streik führt zur zeitweiligen Auflösung der Tarifgemeinschaft, zu heftigen inneren Auseinandersetzungen und zu einer Radikalisierung der Buchdrucker. Gerade dieser Streik trägt auch zu einem Pessimismus gegenüber der Gewerkschaftsarbeit bei, der auch in einem Teil der sozialdemokratischen Presse vertreten wird. Die politische Situation wird durch die infolge von Mißernten herrschende Lebensmittelnot verstärkt. In dieser Zeit befestigt sich auch bei führenden Sozialdemokraten die Auffassung, daß Gewerkschaften außerstande sind, die Lage der Arbeiter mit Erfolg zu verbessern, daß das Hauptgewicht auf die politische Agitation der Arbeiterklasse gelegt werden muß.

8. November 1891

Die auf dem Parteitag der SPD in Erfurt ausgeschlossenen oppositionellen Parteimitglieder gründen den "Verein Unabhängiger Sozialisten". Dieser verwirft alle Kompromisse mit den herrschenden Klassen. Er sieht im "Gewerkschaftlich-sozialistischen Klassenkampf" ein Mittel zur Beschleunigung des Untergangs des Kleinbürger- und Kleinbauerntums.

23. November 1891

Wilhelm II. fordert bei einer Rekrutenvereidigung in Potsdam: "Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, daß ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen ..., aber auch dann müßt ihr meine Befehle ohne Murren befolgen."

20. Dezember 1891

An die Adresse des Volksvereins richtet die "Kölnische Volkszeitung" die Frage, was geschehen könne, "um dem sozialdemokratischen Einfluß in den Gewerkvereinen ein Gegengewicht zu bieten"; denn - so lautet die zugrunde liegende Ansicht - "das beste Mittel, der an sich berechtigten Gewerkschaftsbewegung ihren sozialdemokratischen Charakter zu nehmen, ist eben, daß die nichtsozialdemokratischen Arbeiter an derselben sich beteiligen".
Bei der Ausführung dieses Vorhabens ist man indes nicht sonderlich aktiv. Solange die Gewerkschaftsbewegung zu stagnieren scheint, fürchtet man auch nicht ihre starke sozialdemokratische Prägung.

Eine Versammlung der Nürnberger Gewerkschafter beschließt, den Gewerkschaftskongreß zu ersuchen, den von der Generalkommission ausgearbeiteten Organisationsentwurf abzulehnen und den Arbeitern zu empfehlen, sich nicht nach Berufen, sondern nach Industrien zu organisieren. Die Grundlage der einzelnen Organisationen soll die Zentralvereinigung einer bestimmten Industriegruppe von Arbeitern nebst Hilfsarbeitern bilden, in der Weise, daß z.B. alle Metallarbeiter, Holzarbeiter, Bauhandwerker etc. je eine einzige in Sektionen gegliederte unter einer Leitung stehende Organisation bilden. Bei der Wahl der Zentralverwaltung soll darauf Rücksicht genommen werden, daß womöglich alle der Organisation angehörigen Berufe in dieser Körperschaft Vertretung finden. Zur Wahrung der Interessen der Mitglieder ernennt jede Organisation eine Zeitung als Publikationsorgan, deren Redakteur auf der Generalversammlung nach demselben Modus gewählt wird wie der Zentralvorstand.

28. Dezember 1891

Die erste Probenummer von "Die Gleichheit" erscheint. Sie wird als Fortsetzung der "Arbeiterin" angesehen und beginnt deshalb im 2. Jahrgang. Redakteurin wird Clara Zetkin. Im Programmartikel heißt es: "'Die Gleichheit' tritt für die völlige gesellschaftliche Befreiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Gesellschaft möglich ist."

Ende 1891

Nach der Statistik der Generalkommission, die nicht alle existierenden Verbände umfaßt, da einige Verbände zu spät ihre Unterlagen eingesandt haben, sind 61 Verbände und 4 durch ein Vertrauensmännersystem zentralisierte Organisationen (Graveure, Musikinstrumentenmacher, Stukkateure und Töpfer) der Generalkommission angeschlossen. Von 3.079.698 im Gewerbe beschäftigten Arbeitern sind in den 65 Verbänden 176.664 organisiert. Das sind 5,73 Prozent. Die kleinsten Organisationen sind die der Plätterinnen mit 100, die der Ziegler mit 250, die der selbständigen Barbiere mit 370 Mitgliedern, die größten sind die der Metallarbeiter mit 23.158, die Buchdrucker mit 17.000 und die Tischler mit 16.600 Mitgliedern.
Den höchsten Organisationsgrad haben die Glacéhandschuhmacher mit 76,7, die Weißgerber mit 67, die Bildhauer mit 59 und die Buchdrucker mit 53 Prozent, den niedrigsten die Ziegler mit 0,2, die Textilarbeiter mit 0,7 und die Bäcker mit 1,1 Prozent.

Zum ersten Mal seit 1871 trennt sich eine größere Berufsorganisation - fast 4.000 Mitglieder in 80 Ortsvereinen -, der "Gewerkverein der Porzellanarbeiter", vom Verband der Gewerkvereine und schließt sich mit einer kleinen, sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaft zum "Verband der Porzellan- und verwandter Arbeiter" zusammen. Der bisherige Generalrat des Gewerkvereins begründet diesen Austritt aus dem Verband mit dessen Stellung zur Lohn- und Streikfrage, seinen zu geringen Bemühungen um eine Arbeiterschutzgesetzgebung sowie seiner negativen Haltung zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.

Vor allem von führenden katholischen, evangelischen und kommunalen Vertretern wird in Verbindung mit dem Ministerium für öffentliche Arbeiten die "Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen" ins Leben gerufen. Neben der Herausgabe ihrer Zeitschrift "Concordia" und einer Schriftenreihe fördert sie Einrichtungen der Fabrikwohlfahrt, die Errichtung einer Auskunftsstelle, die Durchführung von Informations- und Instruktionskursen und schafft vor allem den "Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege".

Die Generalkommission ruft den Gewerkschaftskongreß zum 14. März ein, um "Normen für das Zusammenwirken dieser Organisationen" aufzustellen.
Die zentralen Organisationen sollen Delegierte nach deren Mitgliederzahl entsenden. Lokalorganisationen können gemeinsame Delegierte wählen.
Für die Generalkommission ist von Bedeutung, daß möglichst alle Gegenden des Landes durch Vertreter der verschiedenen Berufe auf dem Kongreß anwesend sind, damit "ein Bild über die vorhandene Meinung gegeben wird".

Nach allerdings unvollständigen Unterlagen der Generalkommission beteiligen sich nur noch rund 3.000 Arbeiter an Streiks gegenüber noch rund 39.000 in den Jahren 1890/91.
Der Anteil der von den Verbandskassen erbrachten Streikkosten an den Gesamtkosten der Streiks liegt bei 34%.


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