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TEILDOKUMENT:




1892

Der Brauerverband schließt den ersten betrieblichen Tarifvertrag ab. Doch bis 1898 sind erst in 21 Betrieben die Arbeitsverhältnisse tarifvertraglich geregelt.

Der "Allgemeine Deutsche Weißgerberbund" nennt sich in "Verband der Lederarbeiter Deutschlands" um.

Der seit 1878 bestehende "Verband der Glasergesellschaft" mit Sitz in Frankfurt a. Main nennt sich um in "Zentralverband der Glaser und verwandten Berufsgenossen Deutschlands".

Der "Verband aller in der Kürschnerbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" wird gegründet. Er besteht bis 1896.

Der "Verband der Maschinisten und Heizer sowie Berufsgruppen Deutschlands" wird gegründet.

Der "Allgemeine Unterstützungsverein der Töpfer und Berufsgenossen" wird gegründet.

Noch immer spielt bei den gelernten Arbeitern der Klein- und Mittelindustrie die "Walze" eine wichtige Rolle. Für den Metallarbeiterverband ist die Reiseunterstützung der größte Ausgabenposten in der Bilanz des Verbandes.

Auf der Generalversammlung der Präsides der katholischen Arbeitervereine in Mainz wird der Antrag des Generalsekretärs F. Hitze angenommen: "Die Generalversammlung der Präsides empfiehlt die Bildung von (Fach-) Berufsabteilungen in den katholischen Arbeitervereinen zum Zwecke einer wirksamern Förderung der speziellen Berufsinteressen durch Anregungen und Einrichtungen."
Auf dieser Grundlage arbeitet Hitze "Leitsätze für Fachabteilungen" aus. Sie gehen von der Annahme aus, daß die Arbeiter das Recht haben, sich zur Wahrung ihrer beruflichen Belange zusammenzuschließen, daß aber die bestehenden Berufsvereine eine "bedrohliche Gefahr" für christliche Arbeiter darstellen. Darum sollen "christliche Gewerkvereine" gegründet oder die Arbeiter so geschult werden, "daß sie den sozialdemokratischen resp. liberalen Einfluß zu paralysieren vermögen".
Welche der beiden Möglichkeiten man auch wählt, als "der beste und sicherste Weg" dorthin erscheint dem Verfasser die Bildung von Fachabteilungen in den bestehenden Arbeitervereinen.
In die neuen Organisationen dürfen nur Mitglieder der Arbeitervereine aufgenommen werden. Die Berufsabteilungen sollen die Fachbildung fördern, in der sozialen Gesetzgebung unterweisen und die Arbeiterverhältnisse untersuchen. "Gewiß kann und soll auch das letzte Mittel zur Erreichung berechtigter Wünsche und Forderungen - der Streik - den Arbeitern nicht beschränkt werden, aber schon die lokale und konfessionelle Beschränkung der Organisation wird die selbständige Aufnahme und Durchführung eines solchen kaum möglich erscheinen lassen."

Die "Historisch-politischen Blätter" führen die Erfolge sozialdemokratischer Arbeitervertreter bei den Gewerbegerichtswahlen in der Rheinprovinz auf die größere Gleichgültigkeit der christlichen und die bessere Organisation der sozialistischen Arbeiterschaft zurück.
Die "Blätter" stellen fest: "Die Unzulänglichkeit der Arbeitervereine für eine derartige Aktion hat sich ... klar herausgestellt. Die gewerkschaftliche Organisation fungiert bei allen das Interesse der Arbeiter berührenden Fragen ganz vorzüglich."
Deshalb fordern sie: "Man gründe katholische oder christlich-soziale Gewerkschaften, wenigstens gewerkschaftliche Abteilungen innerhalb der großen Arbeitervereine!"
Die neuen Gründungen haben "nachdrücklich die berechtigten Forderungen der Arbeiter geltend zu machen". Die Interessenvertretungen christlicher Arbeiter dürfen jedoch keine maßlosen, utopischen Postulate vorbringen, vielmehr müssen sie bereit sein, "gewissenhaft zu prüfen, was nach Lage der Verhältnisse zu fordern und erreichbar ist".

Januar 1892

Die Reichstagsfraktion der SPD bringt eine Reihe von Anträgen zur Änderung des Unfallversicherungsgesetzes ein. Die Rente soll nicht nur zwei Drittel des Durchschnittslohnes betragen, sondern diesem gleich sein; sie soll vom Tage des Unfalls an, nicht erst nach Ablauf von 13 Wochen, gezahlt werden; der Begriff des Betriebsunfalls soll erweitert, das Gesetz auf alle Arbeiter ausgedehnt werden.

1. Januar 1892

Der "Verband der Porzellan- und verwandten Arbeiter" wird gegründet.

4. Januar 1892

Das "Sozialpolitische Centralblatt", herausgegeben von Heinrich Braun, erscheint zum ersten Mal. Bekannte Wissenschaftler gehören zu seinen Mitarbeitern.

21. Januar 1892

Nach dem verlorenen Streik der Buchdrucker spricht sich A. Bebel sehr pessimistisch über die Zukunft der Gewerkschaften aus. Angesichts der verstärkten Organisation der Unternehmer und der zu Konzentration und zunehmend schärferen Krisen drängenden Entwicklung des kapitalistischen Systems gehen die Aussichten der Arbeiter bei Lohnkämpfen zurück, und damit verlören die Gewerkschaften ihre wesentliche Existenzgrundlage.

13. Februar 1892

Das "Correspondenzblatt" schreibt über die Verkürzung der Arbeitszeit: "Die theure menschliche Arbeit ist durch die Maschine ersetzt. Ein solcher Ersatz kann nur als ein Segen für die Menschheit betrachtet werden. Dieser Ersatz der menschlichen Arbeitskraft wird aber zum Fluch für die am meisten Betheiligten, für die Arbeiter selbst, wenn dadurch jenes Heer der Arbeitslosen geschaffen wird, welches unbedingt dazu dienen muß, die allgemeine Lebenshaltung der Arbeiterklasse zu verschlechtern. Wenn mit diesem Ersatz der Arbeitsleistung des Menschen durch die Maschine nicht gleichzeitig eine Entlastung der thätigen Arbeiter eintritt, so kann man nicht davon sprechen, daß die Anwendung der Maschine in der Industrie der Arbeiterklasse zum Segen gereicht. Aufgabe dieser ist es nun, ihrerseits eine Regelung in diesem Verhältnis herbeizuführen um mit der höheren industriellen Leistungsfähigkeit eines Volkes nicht gleichzeitig dessen Ruin, sondern dessen größeren Wohlstand herbeizuführen. Nicht etwa Vergrößerung des Nationalvermögens, das in den Händen einzelner Kapitalisten sich befindet, sondern Erhöhung des Einkommens jedes Einzelnen und größere Entlastung bei der Ausübung der Arbeit, das ist unter Volkswohlstand zu verstehen. Die Erfahrung hat wohl gelehrt, daß das Kapital bei der erfolgten Verkürzung der Arbeitszeit eine Verbesserung der technischen Einrichtung eintreten läßt und so wiederum den Überschuß an Arbeitskräften erzeugt. Diese Thatsache ist aber unter keinen Umständen ein Grund, diesen Kampf um den Normalarbeitstag überhaupt zu unterlassen."

Anfang / Frühjahr 1892

Der Verband der Maler einigt sich auf seinem Verbandstag nicht, sich der Generalkommission anzuschließen.

1. März 1892

W. Bock erklärt in einem Vortrag über "Die Gewerkschaften und ihre Bedeutung für die Arbeiterklasse": "Die Erfahrung hat gelehrt, daß die gewerkschaftliche Bewegung das Rückgrat der politischen bildet. Die Arbeiter sollen weder das eine noch das andere aus dem Auge verlieren. Um für den politischen Kampf reif zu sein, muß man Erfahrungen im gewerkschaftlichen Leben gesammelt haben."

2./4. März 1892

Die Generalversammlung der Tapezierer in Berlin lehnt eine Verschmelzung mit dem "Allgemeinen deutschen Sattlerverein" ab.

14./18. März 1892

Auf dem ersten Gewerkschaftskongreß in Halberstadt vertreten 208 Delegierte 303.519 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter Deutschlands. Von 65 Gewerkschaftsorganisationen sind 57 (272.389 Mitglieder) durch 172 Delegierte vertreten. Die übrigen 36 Delegierten sind Abgesandte von lokalen Organisationen verschiedenen Charakters mit 31.130 Mitgliedern. Nicht beschickt wird der Kongreß durch die Organisationen der Dachdecker, Ziegler, selbständigen Barbiere, Bürstenmacher, Glaser, Stellmacher, Graveure und Konditoren. Die Tagesordnung besteht im wesentlichen aus zwei Punkten "Bericht über die Tätigkeit der Generalkommission" und "Die Organisationsfrage".
Der Kongreß befaßt sich nur mit dem Bericht der Generalkommission und der Organisationsfrage. In seiner Eröffnungsrede erklärt C. Legien, daß die Gewerkschaftsorganisationen nicht die Lösung der sozialen Frage herbeiführen würden, daß sie zur Zeit aber wesentlich die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse unterstützen können. "Gleich den Pionieren haben die Gewerkschaften den Boden zu ebnen für eine höhere geistige Auffassung und durch Erringung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen die Arbeiterklasse vor Verelendung und Versumpfung zu bewahren, um so die Massen der Arbeiter zu befähigen, die geschichtliche Aufgabe, welche dem Arbeiterstand zufällt, lösen zu können." Schon beim Bericht der Generalkommission treten Gegensätze scharf hervor; namentlich Berliner Vertreter greifen die Kommission scharf an. Noch schärfer sind die Debatten über die Organisationsfrage. Hier stehen sich vier Richtungen gegenüber. Die Generalkommission empfiehlt die Grundzüge der von der vorhergehenden Vorständekonferenz beschlossenen Organisation, doch mit der Abänderung, daß zunächst Kartellverträge zwischen berufsverwandten Zentralvereinen die künftigen Unionen anbahnen sollen. Die Metallarbeiter fordern Industrieverbände und einen Gewerkschaftsrat mit einem Exekutionsausschuß anstatt der Generalkommission. Wo Industrieverbände noch nicht bestehen, sollen Kartellverträge dieselben herbeiführen. Die Holzarbeiter verlangen nur eine Annäherung der berufsverwandten Zentralvereine durch Kartellverträge und überlassen die Frage, ob Union oder Industrieverband, der künftigen Entwickelung. Die Kartellverträge sollen im wesentlichen die den Unionen zugedachten Aufgaben, aber auch den Übertritt von einer Organisation in die andere ohne Beitrittsgeld regeln.
Die Verbände werden zur Ansammlung ausreichender Streikfonds und entsprechender Festsetzung der Beiträge verpflichtet. Die Vertreter der lokalorganisierten Berufe sprechen ihr Mißtrauen gegen den Entwurf der Generalkommission aus und verlangen die Aufklärung des "klassenbewußten Proletariats" nicht einseitig wie es in den Zentralverbänden geschehe, sondern sowohl nach politischer wie nach wirtschaftlicher Richtung hin.
Der Kongreß empfiehlt, die Kartellverträge dahin abzuschließen, daß die verwandten Berufe bei Streiks und Aussperrungen sich gegenseitig finanziell unterstützen, ihre auf der Reise befindlichen Mitglieder gegenseitig unterstützen, die Agitation möglichst gleichmäßig und auf gemeinschaftliche Kosten betreiben, statistische Erhebungen gemeinsam veranstalten, Herbergen und Arbeitsnachweise zentralisieren, ein gemeinsames Organ schaffen, den Übertritt von einer Organisation in die andere bei Ortswechsel ohne Beitrittsgeld und weitere Formalitäten herbeizuführen.
Da sich die Mitglieder in den Betrieben nicht gewerkschaftlich organisieren konnten, sollte jeder Zentralverein lokale Zahlstellen gründen. Wo das nicht möglich war, wurde den Arbeitern empfohlen, dem Zentralverband als Einzelmitglied beizutreten und die Verbindung zur Organisation durch ein Vertrauensmännersystem zu wahren.
Die Resolution der Lokalorganisierten wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Darauf ziehen die Metallarbeiter ihre Resolution zugunsten derjenigen der Holzarbeiter zurück, worauf diese mit 148 gegen 37 Stimmen bei 11 Enthaltung und 12 Abwesenden angenommen wird.
Die Resolution der Holzarbeiter erklärt "die Zentralorganisation als Grundlage der Gewerkschaftsorganisation". Zur Annäherung der Zentralisation verwandter Berufe sieht sie den Abschluß von Kartellverträgen vor. Die weitere Entwicklung der Organisationen soll dann entscheiden, "ob die späte Vereinigung der Branchenorganisationen zu Unionen oder Industrieverbänden stattzufinden hat". Die Holzarbeiter erwarten, "daß in all denjenigen Berufsgruppen, wo die Verhältnisse den Industrieverband zulassen dieser vorzuziehen ist, daß jedoch in all denjenigen Berufsgruppen, wo infolge der großen Verschiedenheit der Verhältnisse die Vereinigung in einen Industrieverband nicht durchführbar ist, durch Bildung von Unionen diese Möglichkeit herbeigeführt werden soll".
Der Sprecher der Holzarbeiter, C. Kloß, führt ausdrücklich an, daß die Kompromiß-Resolution dazu angetan ist, "den Weg für die Errichtung von Industrieverbänden zu ebnen". Nach der Abstimmung verlassen 12 Vertreter von Lokalorganisationen bzw. Vertrauensmännerzentralisationen unter Abgabe einer Protesterklärung den Kongreß.
Der Kongreß beauftragt nun die Generalkommission mit den Aufgaben, die deren Entwurf für sie vorgesehen hat. Die Generalkommission hat also folgende Aufgaben:
die Agitation in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter noch nicht organisiert sind, zu betreiben; die von den einzelnen Zentralisationen angenommenen Statistiken zu einer einheitlichen für die gesamte Arbeiterschaft zu gestalten und evtl. zusammenzustellen; statistische Aufzeichnungen für sämtliche Streiks zu führen und periodisch zu veröffentlichen; ein Blatt herauszugeben und den Vorständen der Zentralvereine in genügender Zahl zur Versendung an deren Zahlstellen zuzusenden, das die Verbindung sämtlicher Gewerkschaften mit zu unterhalten, die nötige Bekanntmachung zu veröffentlichen und soweit geboten, deren rechtzeitige Bekanntmachung in der Tagespresse herbeizuführen hat und neu: internationale Verbindungen anzuknüpfen und zu unterhalten.
Die Aufgabe einen zentralen Streikunterstützungsfonds aufzubauen, wird der Generalkommission entzogen. Auch nach diesem Beschluß wird die Generalkommission sehr häufig um Streikunterstützung - oft als Darlehen - gebeten. Die Generalkommission muß diese Bitten aufgrund dieses Beschlusses ablehnen.
Ein Delegierter bezeichnet den Charakter der Generalkommission als "eines moralischen Zusammenhaltes der Gewerkschaften". Denn die Aufgaben der Generalkommission sind mehr koordinierende als führende Tätigkeiten.
Von besonderen Organisationen für Arbeitnehmerinnen soll abgesehen werden; den Gewerkschaften wird empfohlen, ihre Statuten so zu ändern, daß sie Frauen als gleichberechtigte Mitglieder aufnehmen können. Zu dieser Zeit sind 4.355 Frauen Gewerkschaftsmitglieder, das sind 1,8% Ihre Zahl steigt bis 1895 auf 6.6697 (2,6%) Mitglieder. Dieser Beschluß bedeutet für die weitere organisatorische Entwicklung einen Fortschritt. Doch bis 1933 bieten die Gewerkschaften ein buntes Bild der Organisationen.
Der Sitz der Generalkommission wird Hamburg. Mitglieder derselben werden diesmal nur Hamburger Vertreter. Neben C. Legien, A. v. Elm, A. Dammann werden neu der Hamburger Funktionär des UVBD Wilhelm Adolf Demuth, der Vorsitzende der Allg. Kranken- und Sterbekasse der Metallarbeiter Carl Deisinger, die Vorsitzende des Zentralvereins der Fabrik- und Handarbeiterinnen, Wilhelmine Kähler, und der Vorsitzende des Zentralverbandes der deutschen Werftarbeiter, Carl Fehmerling, gewählt.
Die Kandidaten mit den nächsthöheren Stimmenzahlen - der Hamburger Funktionär des Schneiderverbandes Gustav Sabath, der Vorsitzende des Zimmererverbandes Fritz Schrader und der Hamburger Funktionär des Bäckerverbands Ernst Kretschmar - werden zu "Ersatzmännern" bestimmt. C. Fehmerling legt bald - nach seinem Gewerkschaftsaustritt - seine Funktion nieder. Nachfolger wird Gustav Sabath. Emma Ihrer erhält nicht die notwendige Stimmenzahl.
Die eigentliche Kernfrage, wie weit nämlich die Zusammenarbeit der berufsverwandten Zentralverbände institutionalisiert werden soll und zu welchen Verbandsformen man schließlich gelangen will, läßt der Halberstädter Gewerkschaftskongreß in der Schwebe.
Eine Resolution der Tabakarbeiter wird gegen nur eine Stimmen angenommen. Unter Berufung auf die wachsende industrielle Reservearmee heißt es, daß "der Streik als Mittel zur Erreichung besserer Arbeitsbedingungen immer mehr an Wert verliert" und daher in einzelnen Branchen "anstelle des Streiks zur Einführung einer Kontroll-Schutzmarke" geschritten worden sei. Die Schutzmarke wird "überall da, wo sie sich mit Erfolg anwenden läßt, als berechtigtes Kampfmittel auf wirtschaftlichem Gebiet" anerkannt und verpflichtet "die organisierte Arbeiterschaft Deutschlands, diesem System die volle Unterstützung angedeihen zu lassen".
Den einzelnen Gewerkschaften wird es "zur Pflicht gemacht", in ihren Statuten die Forderungen der möglichsten Beseitigung der Akkordarbeit aufzunehmen. Der Kongreß geht von der Voraussetzung aus, daß mit der Beseitigung der Akkordarbeit 1. ein gleicher nach Ortsbedürfnissen festgelegter Lohn für verschiedene Arbeiter bei gleicher Arbeitszeit möglich wäre; 2. die Heimarbeit fallen muß; 3. die Einführung eines eng begrenzten Arbeitstages und damit verbunden 4. eines Minimallohns möglich wäre.
Der Kongreß ist der Ansicht, daß, wenn auch die gänzliche Beseitigung der Akkordarbeit im Augenblick nicht durchzuführen ist, es trotzdem das Bestreben sein muß, die Anschauungen nach dieser Richtung hin zu klären.

16. März 1892

Während des Kongresses finden 11 Spezialkongresse der Delegierten berufsverwandter Organisationen statt. Die Metallarbeiter sprechen sich mit 19 gegen 14 Stimmen gegen die Anerkennung der Berufsorganisationen aus.
Die Verbände der Werftarbeiter und der Hafenarbeiter erklären Industrieverbände für diesen Industriezweig als durchführbar, "und zwar aus dem Grunde, weil in unserer Industrie das Kapital mehr denn je konzentriert ist".
Mit vier gegen zwei Stimmen bei einer Stimmenthaltung beschließen die Textilarbeiter, sich im Prinzip "der in der Nürnberger Resolution ausgesprochenen Organisationsform anzuschließen".
Auf dem Spezialkongreß der Bekleidungs- und Lederindustrie sind die Organisationen der Schuhmacher, Hutmacher, Kürschner, Sattler und der Plätterinnen vertreten. Die Delegierten stimmen für die Resolution der Generalkommission.
Die Delegierten der Holzarbeiter sprechen sich teils für die Nürnberger Resolution aus, teils halten sie die Bildung von Industrieverbänden noch für verfrüht.
Auf dem Spezialkongreß der nichtgewerblichen Arbeiter sind der Verband der Fabrik-, Land- und gewerblichen Hilfsarbeiter Deutschlands, der Verband der Fabrikarbeiterinnen, der Zentralverein der Gärtner und der Verband der Gasarbeiter vertreten. Die Delegierten nehmen gegen eine Stimme die Resolution der Generalkommission an. Während des Spezialkongresses wird vereinbart, die Fabrikarbeiterinnen in den Verband de Fabrikarbeiter aufzunehmen.
Die Bergarbeiter entscheiden sich für die Organisationsvorlage der Generalkommission.
Für die Resolution der Generalkommission und damit gegen die Bildung von Industrieverbänden stimmen vor allem die Spezialkongresse der Bauarbeiter, der graphischen, keramischen sowie der Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Gegen die weitreichenden Vorschläge der Metallarbeiter wenden sich die Vertreter jener Berufe, die fast ausschließlich ihre Grundlage im Handwerk oder in Klein- und Mittelbetrieben haben.
Der Spezialkongreß des graphischen Gewerbes spricht sich gegen Industrieverbände und für die Resolution der Generalkommission aus. In einer Resolution verpflichten sich die Delegierten jedoch, "in ihrer Organisation dahin zu wirken, daß als erster Schritt eines engeren Zusammenwirkens ein gleichmäßiger Beitrag an eine gemeinsame Kasse zu entrichten ist".
Im Anschluß an den Gewerkschaftskongreß verhandeln Vertreter der Verbände der Lebens- und Genußmittelindustrie - Bäcker, Brauer, Fleischer, Gastwirtsgehilfen, Müller - ergebnislos über die Gründung einer Union. Sie beschließen lediglich, sich gegenseitig bei der Organisationsarbeit und bei Streiks zu unterstützen, die Herbergen und Arbeitsnachweise sollen möglichst örtlich zusammengelegt werden.

19. März 1892

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der SPD die Regierungsvorlage zur Krankenversicherung an. Damit wird das bestehende Hilfskassensystem weiter eingeengt. Die von der SPD eingebrachten Änderungsanträge - Ausdehnung der Versicherungspflicht auf die ländlichen und forstwirtschaftlichen Arbeiter, die Dienstboten in Stadt und Land, die Seeleute, die im Kommunaldienst Angestellten und die in der Hausindustrie Beschäftigten, sowie die Verlängerung der Versicherungspflicht von 13 Wochen auf ein Jahr - werden abgelehnt.

Frühjahr 1892

Unmittelbar nach dem Halberstädter Kongreß ermöglichen u.a. die folgenden Zentralverbände durch Änderung ihrer Statuten die Aufnahme der Arbeiterinnen: die Buchbinder, die Drechsler, die Gold- und Silberarbeiter, die Formstecher, die Textilarbeiter, die Bürsten- und Pinselmacher sowie die Konditoren.

1. April 1892

Seit dem 1. Oktober 1891 werden in Preußen 99 Streiks mit 7.787 Streikenden registriert. Von diesen Streiks verlaufen 15% erfolgreich, 14% erzielen Teilerfolge, 71% enden erfolglos.

4. April 1892

C. Legien schreibt im "Correspondenzblatt": "Wenn wir fortfahren wollen, auch für die Gewerkschaften nur in die Zukunft zu blicken und uns nicht mit dem augenblicklich Möglichen begnügen und auf dem Erreichten weiterbauen wollen, dann dürfte die Zeit über die Organisation hinwegrauschen, ohne daß sie jemals dazukäme, auch nur annähernd ihren Zweck zu erfüllen."

6. April 1892

"Schon längst", schreibt Clara Zetkin, "war in den Kreisen der gewerkschaftlich gruppierten Arbeiter die Notwendigkeit einer Einigung, eines einheitlichen, planvollen, zielbewußten Vorgehens erkannt worden. Der Umstand, daß in einzelnen Industrien verschiedene Formen der Organisation nebeneinander bestanden, die oft ohne Fühlung, ohne Einverständnis miteinander handelten, ja oft sich gegenseitig bekämpften oder befehdeten, führte zu einer verhängnisvollen Schwächung und Zersplitterung der proletarischen Streitkräfte, welche auf wirtschaftlichem Gebiete gegen die kapitalistische Übermacht kämpften. Abhilfe zu schaffen, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter Deutschlands zu einer geschlossen marschierenden, geschlossen kämpfenden und schlagenden Macht zusammenzufassen, ward um so dringlicher, als sich das Kapital täglich mehr konzentrierte."

9. Mai 1892

Die Generalkommission unterbreitet den Gewerkschaften im "Correspondenzblatt" das Muster eines Kartellvertrages für die Berufsorganisationen der Industriegruppen.
Die gemeinsame Regelung soll sich auf die Unterstützung bei Streiks, auf Reiseunterstützung, Herbergen und Arbeitsnachweise, auf Agitation, auf die Statistik, auf die Verschmelzung der Fachorgane, auf die Aufnahme von Mitgliedern verwandter Berufsorganisationen, auf die Kongresse der Industriegruppe und auf den Verkehr der Verwaltungen untereinander erstrecken. Für die Streikunterstützung soll die Gründung eines festen Streikfonds der Kartellgruppe erstrebt werden, aus dem solche Ausstände zu unterstützen seien, an denen mehr als ein Prozent der Mitglieder der betroffenen Organisation beteiligt seien. Die Reiseunterstützung soll für alle kartellierten Organisationen an einer Stelle ausgezahlt werden; ebenso seien Herbergen und Arbeitsnachweis am gleichen Orte zu vereinigen. Die gemeinsame Agitation soll vor allem die größeren Touren umfassen, deren Kosten von den Kartellorganisationen nach ihrer Mitgliederzahl zu tragen sind. Für die gemeinsame Statistik werden Erhebungen über die wirtschaftliche Lage der Arbeiter ins Auge gefaßt. Das Fachorgan soll für die Kartellverbände gemeinsam sein und den einzelnen Organisationen für ihre Angelegenheiten ein entsprechender Raum zur Verfügung stehen. Das Führen von Einzelmitgliedern an Orten ohne eigene Verwaltungsstelle soll unstatthaft sein. Gemeinsame Industriegruppenkongresse sollen mindestens alle zwei Jahre stattfinden. - Dieser Satzungsentwurf bleibt ohne Auswirkung, da keine Industriegruppe den Schritt zu einem solchen Kartellverhältnis unternommen hat. Nur in wenigen Fällen, in denen es tatsächlich zu Kartellverträgen kommt, erstreckt sich diese auf die gemeinsame Regelung einzelner Fragen.

23./26. Mai 1892

Auf dem Töpferkongreß in Berlin wird ein Antrag, entsprechend der Beschlüsse des Halberstädter Gewerkschaftskongresses, einen "Zentralverband der Töpfer Deutschlands" zu konstituieren, mit 31 gegen 24 Stimmen abgelehnt. Für einen Vermittlungsantrag, nach dem wenigstens die Wanderunterstützung zentralisiert werden soll, wird eine Kommission eingesetzt. Diese empfiehlt dem Kongreß die Gründung eines "Zentralwanderunterstützungsvereins", der sich ganz auf die Aufgaben der Wanderunterstützung und Arbeitsvermittlung beschränken soll. Daneben sollen örtliche Fachvereine sowie "Vertrauensmänner" zur Sammlung von Streikunterstützungsgeldern bestehen bleiben. Gegen nur eine Stimme nimmt der Kongreß diesen Vorschlag an. Bei den Statutenberatungen gelingt es den Anhängern des Zentralverbandes, entgegen den Absichten der Kongreßmehrheit, ihre Konzeption einer zentralen gewerkschaftlichen Kampforganisation durchzusetzen. So wird am 1. Juli 1892 nicht ein Wanderunterstützungsverein, sondern ein "Allgemeiner Unterstützungsverein der Töpfer und Berufsgenossen Deutschlands" gegründet, der wie andere gewerkschaftliche Fachorganisationen die "allseitige Vertretung der Interessen seiner Mitglieder" und die "Erzielung möglichst günstiger Arbeitsbedingungen" als seinen "Zweck" bezeichnet. Als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks werden neben der Wanderunterstützung noch die Unterstützung gemaßregelter und sich in besonderer Not befindlicher Kollegen genannt. In den Bestimmungen über die Lokalorganisationen wird zwar zunächst die Form des Zusammenschlusses den Kollegen an den einzelnen Orten überlassen, dann jedoch die Vereinsfiliale als Normalfall herausgestellt. Der Einfluß der "Zentralisten" wird darüber hinaus durch die Verwirklichung des Kongreßbeschlusses, ein eigenes Fachorgan mit dem Titel "Der Töpfer" - Organ zur Vertretung der Interessen der Ofensetzer, der Arbeiter in der Tonwarenindustrie und den verwandten Berufszweigen - einzuführen, gesteigert. Es erscheint bis 1923.
Die Berliner Töpfer erkennen die Beschlüsse des Kongresses und der Statutenkommission nicht an und bilden Ende Juni 1893 eine "Geschäftskommission der Töpfer Deutschlands."

6./12. Juni 1892

Die Generalversammlung des Unterstützungsvereins der Tabakarbeiter in Halberstadt lehnt mit großer Mehrheit eine Arbeitslosenunterstützung ab und stellt fest, daß eine Arbeitszeitverkürzung das beste Mittel ist, der immer weiter um sich greifenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

6./13. Juni 1892

Der elfte Verbandstag des Verbandes der Gewerkvereine in Mannheim beschäftigt sich hauptsächlich mit der staatlichen Arbeiterschutzgesetzgebung. Gegen die Auffassung von M. Hirsch, Staatshilfe möglichst abzulehnen, wird heftig opponiert. Der Verbandstag stimmt schließlich einem Kompromiß zu. Als wichtigste Aufgabe der Generalvereine wird erklärt, bei der Durchführung der Arbeiterschutzgesetze durch Anzeige bei den Gewerbeaufsichtsbeamten mitzuwirken, außerdem die staatlichen Faktoren dahin zu beeinflussen, daß die gesetzlichen Befugnisse zur Beschränkung der Arbeitszeit in gesundheitsschädlichen Gewerben zur Geltung gebracht werden, und endlich für eine Fortbildung des Gesetzes in der Richtung eines wirklichen Arbeiterschutzes tätig zu sein. Doch auch nach dem Verbandstag hört die Kritik an der antistaatlichen Haltung des Vorstandes nicht auf. Insbesondere in den Gewerkvereinen in Düsseldorf stößt die Kritik auf Resonanz, so daß es bald zu ernsthaften Differenzen zwischen dieser "Düsseldorfer Richtung" - Einführung zeitgemäßer Reformen - und dem Zentralrat kommt.
Gegen die Feier des 1. Mai wird energisch Stellung genommen. Der Verbandstag erblickt in der gesetzlichen Anerkennung der Berufsvereine eine Förderung der gerechten Arbeiterinteressen und ein Mittel zur Sicherung des sozialen Friedens. Der Verbandstag hofft, daß der deutsche Reichstag den Gesetzentwurf betr. eingetragene Berufsvereine als geeignete Grundlage für die gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Gewerkvereine in der neuen Session alsbald annehmen wird und daß auch die verbündeten Regierungen demselben ihre Zustimmung nicht versagen werden.

7./10. Juni 1892

Der internationale Bergarbeiterkongreß in London beschließt "einstimmig die Gründung einer Internationalen Bergarbeiter-Föderation".

12./14. Juni 1892

Die Generalversammlungen des Verbandes der Hafenarbeiter und des Verbandes der Werftarbeiter diskutieren die Verschmelzung zu einem Industrieverband für die am Schiffbau und in der Schiffahrt beschäftigten Arbeiter.

24. Juni 1892

Das preußische Abgeordnetenhaus verabschiedet die Novelle zum preußischen Berggesetz. Danach wird den Bergbauunternehmern der Erlaß von Arbeitsordnungen zur Pflicht gemacht, der Bergarbeiterschaft bei der Entwicklung von Arbeitsordnungen ein Mitwirkungsrecht eingeräumt und ihr die Bildung von Arbeiterausschüssen zugestanden, das Recht der Bergwerksunternehmer, Konventionalstrafen zu verhängen, eingeschränkt, die staatliche Aufsicht im Bergbau verstärkt und bestimmt, daß diese sich auch auf "die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebes" erstrecken soll, und daß für solche Betriebe, in welchen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, die Oberbergämter Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorschreiben und die zur Durchführung dieser Vorschriften erforderlichen Anordnungen erlassen können.
Bei der Konzeption dieser Novelle hat der preußische Handelsminister von Berlepsch vor allem die amtliche Denkschrift über die Arbeiter- und Betriebsverhältnisse im preußischen Kohlenbergbau, deren Untersuchung nach dem Bergarbeiterstreik von 1889 durch die Regierung angeordnet worden war, wie auch die neuen Bestimmungen der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 berücksichtigt.

27. Juni 1892

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht eine Übersicht über den Organisationsgrad bei einer Reihe von Berufen. Danach sind organisiert bei den:

Glacéhandschuhmachern

76,7 %

Weißgerbern

67 %

Bildhauern

59 %

Buchdruckern

53 %

Kupferschmieden

37 %

Zigarrensortierern

32,5 %

Stukkateuren

31 %

Formenstechern

27,5 %

Bergleuten (Sachsen)

26 %

Lithographen

23 %

Hutmachern und Kürschnern

20 %

Glasern

20 %

Böttchern

19 %

Töpfern

18 %

Schiffszimmerern und Werftarbeitern

18 %

Steinsetzern

17 %

Korbmachern

14 %

Vergoldern

11 %

Goldarbeitern

11 %

Buchbindern

10,5 %

Tischlern

10,3 %



Die höchsten Beiträge zahlen die Buchdrucker, die Hutmacher, die Glacéhandschuhmacher und die Porzellanarbeiter.

28. Juni / 2. Juli 1892

Eine außerordentliche Generalversammlung des Buchdrucker-Unterstützungsvereins in Stuttgart zieht aus dem verlorenen Streik die Konsequenzen. Die Zentralorganisation wird in einen gewerkschaftlichen Verband zurückverwandelt und nennt sich nun "Verband der Deutschen Buchdrucker".
Alle bestehenden Kassen werden aufgelöst und die Unterstützungen künftig direkt aus der Verbandskasse gezahlt. Gleichzeitig wird der Rechtsanspruch der Mitglieder auf Unterstützungsleistungen abgeschafft.
Die Generalversammlung spricht sich gegen ein Gewerkschaftskartell der graphischen Berufe aus. Sie entscheiden sich nur für eine gemeinsame Kasse, zu der je Mitglied und Woche ein Betrag abgeführt werden soll. Erst 1919 schließen sich die Verbände der Buchdrucker, der Buchbinder, der graphischen Hilfsarbeiter und der Lithographen zum Graphischen Block zusammen.

Mitte 1892

Die Zahl der Arbeitslosen erreicht mit ca. 6% in der herrschenden Wirtschaftskrise einen Höhepunkt.
In weiten Teilen Deutschlands wird das öffentliche Leben zudem durch die Choleragefahr und - wie in Hamburg - durch die Seuche gelähmt.

Der Vorstand des Textilarbeiterverbandes läßt seine Mitglieder darüber abstimmen, sich von der Generalkommission zu trennen. Das wird von der Mehrheit abgelehnt.

Juli 1892

Der Verbandstag des Verbandes der Brauer in Braunschweig empfiehlt eine engere Zusammenarbeit mit den Verbänden der Lebensmittelbranchen, hält aber die Gründung einer Union noch nicht für ratsam.

Auf einer Delegiertenkonferenz des Glasarbeiterverbandstages in Stralau bei Berlin gibt der Vorstand nach erfolglosen Streiks und Verfolgungen durch die Unternehmer einen ziemlich negativen Bericht über den Verband.

1. Juli 1892

Der "Verband der Schlosser und Maschinenbauer" schließt sich dem "Deutschen Metallarbeiterverband" an.

2. Juli 1892

Die "Deutsche Metallarbeiterzeitung" schreibt: "Nicht Reform, sondern gesellschaftliche Revolution, nicht Ausgleich, sondern Umwälzung. Nach diesem großen Ziel geht die Reise! Der Achtstundentag, Minimallöhne, hier und da Gewerbeaufsicht, Arbeitsordnungseinführung und -verbesserung, Arbeiterkammern und Arbeitsämter, alles, alles sind Etappen, Stationen, vor deren jeder sich ein weiterer herzerquickender Blick in die sozialistische Zukunft eröffnet - aber auch nur das!"

4. Juli 1892

In ihrem Bericht im "Correspondenzblatt" über das Jahr 1891 gibt die Generalkommission eine Übersicht über die finanzielle Situation der Gewerkschaften. Danach geben die Organisationen etwa ein Drittel für ihre Verbandsorgane und für die Reiseunterstützung etwa ein Viertel aus. Für die Streikunterstützung bleibt, wenn die Verwaltungs- und Agitationskosten, die Ausgaben für den Rechtsschutz abgezogen werden, nur ein Bruchteil der Gesamteinnahmen übrig. Die Generalkommission hat sich deshalb ständig für eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit der Gewerkschaften - vor allem bei Arbeitskämpfen - zu verbessern.

11. Juli 1892

Die Generalkommission schreibt im "Correspondenzblatt":
"... man glaubte in leitenden Parteikreisen, die Kluft, welche die heutige Gesellschaft von der sozialistischen noch trennt, durch die politische Aktion überbrücken oder überspringen zu können. Man legte nicht genügend Gewicht darauf, daß der Gang der gesellschaftlichen Entwicklung ein überaus langsamer ist, und übersah es, die Einrichtungen zu schaffen, welche den Arbeiter zu jenem fortgesetzten Opfermut und der unbeugsamen Konsequenz erziehen, wie sie nur der ununterbrochene gemeinsame Kampf um die notwendigsten Lebensbedingungen zu erzeugen vermag. Man hielt diese Einrichtungen, die Gewerkschaftsorganisationen, für reaktionär und behauptete, daß die Arbeiter in den Organisationen versimpeln und versumpfen ... noch heute sehen wir, wie intelligente Parteianhänger, die leitende Stellungen in der politischen Bewegung haben, die Gewerkschaften nur als ein notwendiges Übel betrachten, als ein ungeartetes Kind...".

31. Juli 1892

Die Generalversammlung des Verbandes der Bergarbeiter in Bochum ändert den Organisationsnamen in "Verband deutscher Berg- und Hüttenarbeiter".

1./3. August 1892

Der "Verband der Fabrik-, Land- und sonstigen gewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands" nennt sich auf seinem 1. Verbandstag in Braunschweig um in: "Verband der Fabrik-, Land-, Hülfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands". Zuvor hat sich der "Verband der Fabrik- und Handarbeiterinnen" aufgelöst und seinen Mitgliedern den Übertritt in den Verband der Fabrikarbeiter empfohlen.
Die Delegierten wollen einstimmig an der Generalkommission festhalten, "um die Stärkung der Organisationen herbeizuführen".
August Brey wird als Vorsitzender bestätigt. A. Brey erklärt: "Die vorhandenen Vereinigungen der gelernten Arbeiter hätten inzwischen ihre Statuten geändert, um die Aufnahme der ungelernten Arbeiter zu ermöglichen, trotzdem sei das von uns zu beackernde Feld noch ein großes. Die Großproduktion habe Industrien geschaffen, in welchen nur nichtgelernte Arbeiter beschäftigt würden. In Gummifabriken, chemischen Fabriken, welche sich mit der Herstellung künstlichen Düngers, Farben usw. befassen, Zündholzfabriken, Lumpensortierungs- und -verarbeitungsfabriken sind unsere Kollegen bei schlechter Nahrung beschäftigt ... Unsere Arbeiten sind bestimmt, einen neuen Agitationsplan zu finden, um jene Proletarier gewinnen zu können."
Die Delegierten beschließen mit Mehrheit, ein eigenes Verbandsorgan herauszugeben. Seit 1. Oktober 1892 erscheint "Der Proletarier". Der Verbandsvorsitzende wird gleichzeitig verantwortlicher Redakteur. In den ersten Jahren wird die Verbandsarbeit durch finanzielle Engpässe, verschiedene "Agitation" und geringe Resonanz in den angesprochenen Arbeiterkreisen geprägt. Die Gemaßregeltenunterstützung ist die einzig nennenswerte Leistung, für die der Verband finanzielle Mittel in begrenztem Umfang zur Verfügung stellen kann.
Den Mitgliedern wird künftig Rechtsschutz "in allen gewerblichen Streitigkeiten" gewährt. Da der Fabrikarbeiterverband "die verschiedensten Kategorien von Arbeitern umfaßt und schon eine Union im engeren Rahmen darstellt", lehnt der Verbandstag den Abschluß von Kartellverträgen ab.

15. August 1892

Nach einer Umfrage, an der sich 27 der 65 Gewerkschaften beteiligen, haben diese 1890 und 1891 226 Streiks durchgeführt, an denen 38.536 Personen beteiligt waren und die insgesamt 1.348 Wochen gedauert haben.
Von den Streikkosten in Höhe von 2.094.922 Mark wurden 1.215.025 M von den Verbänden, 326.376 M durch freiwillige Beiträge der Mitglieder, 89.209 M durch Spenden anderer Gewerkschaften, 91.415 M durch Sammellisten und 126.125 M durch Spenden aus dem Ausland getragen.
Von den 226 Streiks waren 79 Abwehrstreiks - 36 wegen Lohnreduzierung, 10 wegen Arbeitszeitverlängerungen -, von denen 13 erfolgreich, 30 teilweise erfolgreich verliefen.
Die 147 Angriffsstreiks wurden hauptsächlich wegen Verkürzung der Arbeitszeit (117) geführt. 54 der 147 Streiks waren erfolgreich, 59 teilweise erfolgreich.

Der "Zentralverband der Stukkateure, Gipser und verwandten Berufsgenossen" wird gegründet.

15./20. August 1892

Der Verbandstag des Zentralverbandes der Maurer in Kassel beschließt ein Streikreglement, nachdem Streiks zur Erringung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen der Genehmigung des Vorstandes bedürfen. Jede Arbeitseinstellung ist drei Monate vorher zu melden mit Angaben, in welchem Umfang Arbeit vorhanden ist, welche Lohn- und Arbeitsbedingungen bisher üblich waren und welche gefordert werden. Für den Streik ist eine Streikkommission einzusetzen, die u.a. eine Liste aller Streikenden mit Kinderzahl aufzustellen hat, mit der eine tägliche Kontrolle der Streikenden erfolgen kann. Jeder Streikende ist verpflichtet, sich der Kommission zur Kontrolle auf den Bahnhöfen und Bauten zur Verfügung stellen. Streikunterstützung wird nicht gezahlt, wenn sich die Streikenden nicht an das Reglement halten.

25./28. August 1892

Auf einem internationalen Kongreß beschließen die Buchdrucker auf Anregung von E. Döblins, eine internationale Zentralstelle zu schaffen, die 1893 als "Internationales Buchdrucker-Sekretariat" seine Tätigkeit aufnimmt.
Die Delegierten stimmen mit Mehrheit einer Regelung zu, daß jeder Reisende, wenn er Mitglied einer Buchdruckergewerkschaft ist, unabhängig von seiner Nationalität Unterstützung erhält.

26./29. August 1892

Der Schneiderkongreß in Magdeburg lehnt eine Beibehaltung des Vertrauensmännersystems ab. Zwar behält der Kongreß bzw. die Kontrollkommission einige Befugnisse, doch der organisatorische Dualismus bei den Schneidern wird im wesentlichen beseitigt.
Der Streik- und Agitationsfonds wird einer zu wählenden Kommission zur gemeinsamen Verwaltung mit dem Vorstand übertragen.
Der Kongreß spricht sich für die Anbahnung von Industrieverbänden aus. Die Satzung wird erweitert, indem nun die Belehrung der Mitglieder auch auf die Behandlung aller in das Gewerbe eingreifenden Tagesfragen erweitert wird. Das Statut erhält ein Streikreglement.
Der "Deutsche Schneiderverband" bleibt organisatorisch auf die Maß- und Konfektionsschneiderei für Damen- und Herrenoberbekleidung beschränkt. Die meistens in Heimarbeit tätigen ungelernten Wäschenäherinnen sind schwer organisierbar. Sie schließen sich Anfang des 20. Jahrhunderts zum "Verband aller Arbeiter und Arbeiterinnen der Wäsche- und Krawattenbranche Deutschlands" zusammen, treten aber 1907 mit ca. 3.500 Mitgliedern der Schneiderorganisation bei, die daraufhin den Namen "Verband der Schneider, Schneiderinnen und Wäschearbeiter Deutschlands" annimmt.
Selbständig bleiben die Organisationen der Handschuhmacher, der Hutmacher und der Kürschner. Die Posamentierer schließen sich 1893 dem Textilarbeiterverband an.

28./31. August 1892

In Brüssel tagt ein internationaler Handschuhmacher-Kongreß, auf dem 19 Delegierte aus neun Ländern anwesend sind. Sie vertreten 4.000 organisierte Handschuhmacher. Der Kongreß beschließt, den "Allgemeinen Bund der Handschuhmacher" zu gründen. Sitz des Sekretariats wird Brüssel.
Vor allem bei Abwehrstreiks sollen sich die Organisationen gegenseitig unterstützen. Eine Arbeitsvermittlung soll nur gegenüber Gewerkschaftsmitgliedern praktiziert werden.

4./8. September 1892

Die Tabakarbeiter halten in Amsterdam einen internationalen Kongreß ab, auf dem Delegierte aus fünf Ländern anwesend sind. Der Kongreß fordert das Verbot der Arbeit von Kindern unter 14 Jahren in der Tabakindustrie und die von Gewerkschaften kontrollierte Lehrlingsausbildung in staatlichen Fachschulen.
Die deutschen Delegierten stimmen gegen die letzte Forderung, da es den deutschen Gewerkschaften unter den bestehenden Vereinsgesetzen nicht möglich ist, für die Durchführung dieser Forderung einzutreten. Das Letztere gilt auch für die beschlossene internationale Reiseunterstützungskasse.

11. September 1892

In Berlin findet eine gemeinsame Konferenz der Handelsangestellten und der Handelshilfsarbeiter statt. Eine gemeinsame Agitationskommission wird eingesetzt.
Als Organisationsform wählt sie die lose Zentralisation durch Vertrauensmänner.
Bis zum Januar 1893 betreibt die Kommission die Agitation gemeinsam mit den Handlungsgehilfen. Doch der "Kastengeist" unter den Handelsangestellten verhindert ein gemeinsames Arbeiten.
Die Agitationskommission gibt eine eigene Zeitschrift "Das Correspondenzblatt" heraus.

19. September 1892

Im "Sozialpolitischen Centralblatt" schreibt C. Legien: "Die gewerkschaftlichen Organisationen sind gleichsam als eine Schule der Arbeiter zu betrachten und jede Stärkung der Organisation muß diese erzieherische Wirksamkeit erhöhen. Der Lohnkampf aber erzeugt und stärkt die Eigenschaften, welche dem Arbeiter eigen sein müssen, um ihn zu befähigen, eine Umgestaltung des heutigen Produktionsprozesses herbeiführen zu können. So werden die Gewerkschaftsorganisationen, die anscheinend nur zu dem Zwecke gebildet worden sind, um dem Arbeiter bessere Existenzbedingungen zu verschaffen, gleichzeitig zu einer Schule und Bildungsstätte des Proletariats. Wird durch die in Halberstadt erfolgte Verständigung die Leistungsfähigkeit der Gewerkschaften gehoben, so ist dies gleichbedeutend mit der Hebung der sittlichen Auffassung der Arbeiterklasse."

20./30. September 1892

In Mönchengladbach wird der erste "Praktisch-soziale Kursus" durchgeführt. Brüll referiert über "Gewerkvereine" und stellt u.a. fest: "Daß die Gewerkschaftsbewegung als prinzipiell berechtigt und auch als zeitgemäß erkannt wird, braucht nicht mehr eigens hervorgehoben zu werden; es erscheint in diesen Kreisen als eine Selbstverständlichkeit. Fraglich ist die Gestaltung innerhalb der gegebenen Situation." In einem Ausblick auf die Zukunft stellt der Referent fest, daß die Gewerkvereine Kampforganisationen bleiben müssen, "bis die Arbeiter dem Kapital und dem Staate gegenüber ihre wirtschaftliche Freiheit und Gleichberechtigung errungen haben".

Herbst 1892

In verschiedenen Städten beschließen die Gewerkschaften nach Aufforderung der Generalkommission, die bestehende Arbeitslosigkeit statistisch festzustellen.

Die Differenzen zwischen der sozialdemokratischen und der Gewerkschaftspresse werden noch verschärft als der "Vorwärts" von den "weichen Kehrrichthaufen der Gewerkschaftsduselei" schreibt.

25. September 1892

Auf einer Konferenz der Gesellenvereinspräsides in Köln wird beschlossen, eine Kommission einzusetzen, um zu prüfen, ob innerhalb oder außerhalb der katholischen Gesellenvereine eine zentrale Gewerkschaftsorganisation oder ob lokale Fachorganisationen zu schaffen sind.

26. September 1892

Das "Correspondenzblatt" teilt mit, daß die Generalkommission der Gewerkschaften der "Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen", die eine statistische Erhebung über die Zahl der in Deutschland vorhandenen Arbeitsnachweisstellen durchführt, Materialien zur Verfügung gestellt hat. Dabei wird betont, daß man den Arbeitsnachweis als eines der besten Kampfmittel der Gewerkschaften betrachtet, aber gleichzeitig bedauert, daß in vielen Organisationen vor allem bei den Mitgliedern nicht genügend Wert auf den Arbeitsnachweis gelegt wird. Vielfach ist es bei diesen Unverstand, daß sie die sich ihnen im Arbeitsnachweis bietende Gelegenheit, mit den Arbeitgebern vereinbarte Arbeitsbedingung aufrecht zu erhalten, nicht ausnutzen.
"Die Arbeitsvermittelung soll aber ausschließlich in den Händen der Arbeitnehmer liegen, weil sie Verkäufer der Arbeitskraft sind. Wo Vereinbarungen mit den Arbeitgebern getroffen sind, und die Letzteren es wünschen, wird es ja angebracht sein, ihnen eine Art Kontrolle über den Arbeitsnachweis zu gestatten, damit sie sicher sind, daß keiner der Arbeitgeber benachtheiligt wird. [...] Die Leitung der Vermittelung der Arbeit selbst soll aber unter allen Umständen von denen erfolgen, die nach der Natur der Sachlage hierzu berechtigt sind.
Ebenso verhält es sich mit den von den Behörden für einzelne Städte eingerichteten Arbeitsnachweisen. Auch diese werden für die Arbeiter nur von Bedeutung sein, wenn sie selbst die Leitung in Händen haben."

Oktober 1892

Die beiden Organisationen der Porzellanarbeiter beschließen ihre Vereinigung. Der neue Verband führt eine Kranken- und Streikunterstützung ein. "Die Ameise" wird Verbandsorgan.

1. Oktober 1892

Seit 1. April 1892 werden in Preußen 99 Streiks mit 7.878 Streikenden registriert. Von diesen Streiks verlaufen 15% erfolgreich, 17% erzielen Teilerfolge, 64% enden erfolglos.

16. Oktober 1892

Der "Vorwärts" berichtet über eine in Berlin - wahrscheinlich aus Anlaß der letzten Cholera-Epidemie in Deutschland - gegründeten "Arbeiter-Sanitätskommission". Sie führt zunächst in eigener Regie Sanitätskontrollen durch und untersucht viele Probleme aus dem Lebensbereich der Arbeiterschaft - z.B. Hygiene am Arbeitsplatz, Schlafstellenwesen etc. Diese Kontrollen werden später richtungsweisend für die Wohnungs- und Gewerbeinspektion. Die Mitglieder des ASK treffen sich regelmäßig und werden in allgemeiner Hygiene geschult sowie über Fragebogen und Vorgehen bei Kontrollen unterrichtet. Für den Initiator dieser Kommission Karl Zadek ist die Gesundheit des Arbeiters Hauptbedingung seiner Arbeitsfähigkeit und damit die Grundlage seines Kapitals; d.h. die Gesundheit des Arbeiters ist seine Lebensgrundlage. Für K. Zadek ist die Gesundheit daher ein Rechtsgut, das vor jeder Ausbeutung zu schützen ist.
1893 bringt die sozialdemokratische Fraktion im Berliner Gemeindeparlament den Antrag ein, im Etatentwurf die Errichtung eines städtischen Gesundheitsamtes vorzusehen. Seine Hauptsache soll die dauernde Überwachung des Wohnungswesens, der Schlafstellen, des Herbergswesens und der Werkstätten etc. sein. Nachdem der Rat über diesen Antrag zur Tagesordnung übergeht, kommt es in den folgenden Jahren doch zur Einrichtung eines Untersuchungsamtes.
Die sozialdemokratische Fraktion in Berlin setzt eine Reorganisation des Rettungs- und Krankentransportwesens durch, das schließlich in die Aufsicht der Kommune übernommen wird. Außerdem bemühen sich die sozialdemokratischen Abgeordneten um die Aufsicht über die Brot- und Fleischversorgung, die Errichtung und Organisation städtischer Krankenanstalten einschließlich etwa der Heranbildung des Pflegepersonals und einer Reform des ärztlichen Dienstes, die Einführung der unentgeltlichen Desinfektion, die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose.

14./21. November 1892

Der SPD-Parteitag in Berlin erachtet die Arbeitsruhe für die würdigste Form der Maifeier, beschließt jedoch die Art der Manifestation nicht generell, sondern jährlich festzulegen. Er erklärt sich für 1893 gegen die Arbeitsruhe am 1. Mai. Die Verschiebung jeglicher Maikundgebung auf den ersten Maisonntag wird mit Mehrheit zurückgewiesen.
Der Parteitag nimmt zu einigen gewerkschaftlichen Fragen Stellung ("Boykott, Kontrollmarke, Produktivgenossenschaften" als Folge von Arbeitskämpfen), lehnt indessen eine Ergänzung der vom Referenten, I. Auer, zu dem genannten Punkt beantragten Resolution ab. In dieser Ergänzung wird erneut die Pflicht eines jeden Parteimitglieds betont, "der für seinen Beruf am Orte bestehenden Gewerkschaftsorganisation anzugehören und sich deren Beschlüssen zu fügen, soweit sie den gewerkschaftlichen Boden nicht verlassen und keine Verletzung der Parteigrundsätze enthalten. Der Parteitag befürchte nicht, daß die gewerkschaftliche Zentralorganisation dazu führen könnte, der Partei Kämpfer und Mittel zu entziehen; er erkenne vielmehr an, daß auch in diesen Gewerkschaften die für den Klassenkampf notwendige Erziehung des Proletariats erfolge." Die Ablehnung dieses Antrages wird mit der Erklärung begründet, daß man bereits auf dem Parteitag zu Halle zu dieser Frage Stellung genommen habe.
Die Partei "kann die Gründung von Genossenschaften nur da gutheißen, wo sie die soziale Existenzermöglichung von im politischen ...Kampf gemaßregelten Genossen bezwecken..." Parteigenossen müssen die Unterstützung davon abhängig machen, daß genügend Mittel für eine gesunde finanzielle Grundlage zur Verfügung stehen und Garantien für geschäftskundige Leitung und Verwaltung gegeben sind.
"Im Übrigen haben die Parteigenossen ... den Glauben zu bekämpfen, daß Genossenschaften im Stand seien, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu beeinflussen, die Klassenlage der Arbeiter zu heben, den politischen und gewerkschaftlichen Klassenkampf der Arbeiter zu beseitigen oder auch nur zu mildern.
Der Boykott ist ... eine Waffe, die nur unter der aktiven Theilnahme der großen, heute noch nicht organisirten Massen wirksam in Anwendung gebracht werden kann. Der Boykott kann daher mit Aussicht auf Erfolg nur in den Fällen in Vorschlag gebracht werden, wo es sich um Fragen handelt, an denen weite Arbeiterkreise mit tiefgehendem Interesse betheiligt sind, insbesondere auch um Zurückweisung von Bestrebungen, welche eine politische Schädigung der Arbeiterklasse bezwecken.[...]
Die Kontroll- oder Schutzmarke hat den Zweck, dem Käufer einer Ware zu zeigen, daß bei deren Herstellung die jeweiligen Forderungen der betreffenden Gewerkschaftsorganisation in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitsbedingung erfüllt werden.[...]
Nur... als eine der Waffen im gewerkschaftlichen Kampfe, kann die Kontroll- oder Schutzmarke die Unterstützung der Parteigenossen beanspruchen. [...] Die Parteigenossen haben gegen die Kontrollmarke sich in allen Fällen zu erklären, wo ihrer Einführung der Gedanke zu Grunde liegt, mittelst derselben den gewerkschaftlichen Kampf überflüssig zumachen..."
Mit dem Staatssozialismus habe die Partei nichts gemein. Soweit er sich mit der Sozialreform oder Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen beschäftige, sei er ein System der Halbheiten, das seine Entstehung der Furcht vor der Sozialdemokratie verdanke und bezwecke, durch kleine Konzessionen die Arbeiterklasse der Sozialdemokratie zu entfremden.
Den Antisemitismus bekämpfe die Sozialdemokratie als eine gegen die natürliche Entwicklung der Gesellschaft gerichtete Erscheinung.

Ende November 1892

In München werden zur Förderung der wirtschaftlichen Interessen "Fachsektionen" der Bauhandwerker, Holzarbeiter und Metallarbeiter für die Mitglieder der katholischen Arbeitervereine geschaffen. Diese Fachsektionen schließen sich am 16. November 1896 zum "Verein Arbeiterschutz" zusammen.
Nach den Gründungen der christlichen Gewerkschaften löst sich der Verein 1901 auf.

5./9. Dezember 1892

Die Generalversammlung der Schuhmacher in Frankfurt a. Main erkennt im Prinzip Industrieverbände an, ist aber der Auffassung, daß bis zur Verwirklichung noch große Hindernisse bestehen.
Die Organisation wird noch ständig von Drangsalierungen und Verfolgungen durch die Behörden begleitet. In München wird die Zahlstelle der Schuhmacher als "politischer Verein" aufgelöst, in Arnstadt wegen "Sittlichkeitsverletzung", die der Landrat darin sieht, daß der Organisation neben den männlichen auch weibliche Mitglieder angehören. Das Ministerium hebt diesen Beschluß erfreulicherweise wieder auf. Zahlreiche Schuhmacher - wie auch Gewerkschafter in den anderen Verbänden - werden ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit wegen in der Folgezeit zu Gefängnis- oder Geldstrafen verurteilt.

28. Dezember 1892 / Mitte Januar 1893

Über 25.000 Saarbergarbeiter der Staatsgruben streiken gegen die Einführung einer neuen Arbeitsordnung. Einfluß auf die Streikenden hat der Rechtsschutzverein, der sich von den christlichen Sozialpolitikern ab- und zur Sozialdemokratie hinwendet. Am 10. Januar 1893 erklärt die staatliche Bergwerksverwaltung 500 agitatorisch tätige Mitglieder des Rechtsschutzvereins als dauernd entlassen und bedroht weitere 2.000-3.000 Streikende mit Aussperrung. Trotz eines Versammlungsbeschlusses vom 15. Januar, den Streik fortzusetzen, endet er unter dem Eindruck der drohenden Aussperrung Mitte Januar erfolglos. 2.457 Bergarbeiter, meist Mitglieder des Rechtsschutzvereins, werden dauernd oder vorübergehend ausgesperrt.

Ende 1892

Nach Angaben der Polizei gibt es 76 Gewerkschaften mit 4.468 Zweigvereinen und rund 310.000 Mitgliedern. Die Gewerkschaften geben 64 Zeitungen mit 260.000 Exemplaren heraus.
Die der Generalkommission angeschlossenen 57 Gewerkschaften haben rund 245.000 Mitglieder. Die stärksten Verbände sind die der Metallarbeiter (26.000 Mitglieder) der Bergarbeiter des Saarreviers (22.400) , der Tischler (18.1000) und der Buchdrucker (16.000); die kleinsten Verbände sind der Plätterinnen (100), der Seiler (270), der Posamentierer (154) und der Zentralverein der Frauen und Mädchen (200).
Die Statistik ist unvollständig, da mehrere Verbände der Generalkommission keine Angaben machen.
Die größten Ausgabeposten der Gewerkschaften sind die Reiseunterstützungen, die Arbeitslosenunterstützungen und die Publikationen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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