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1895

Die wirtschaftliche Depression, die 1873 eingesetzt hatte und nur von schwachen Auftriebsphasen unterbrochen worden war, dauert bis in die Mitte der 90er Jahre an; erst ab 1895 zeichnet sich ein wirtschaftlicher Aufschwung ab, der, abgesehen von den kurzfristigen Zwischenkrisen 1901/02 und 1907/08, bis 1912/13 anhält. Vor allem die Schwerindustrie - schon durch die Schutzzollpolitik begünstigt - kann ihre Produktion erheblich ausbauen. Dazu trägt die Rüstungsindustrie wesentlich bei. Hatte im Jahr 1890 die Eisenproduktion Englands mit ca. 8 Millionen Tonnen die des Deutschen Reiches (4,1 Millionen Tonnen) um fast 100 Prozent überstiegen, so zieht bis zum Jahre 1910 die deutsche Produktion mit etwa 14 Millionen Tonnen an der englischen (gut 10 Millionen Tonnen) vorbei. Der Anstieg der deutschen Stahlproduktion, die von 2,1 Millionen Tonnen im Jahre 1890 auf 13,1 Millionen Tonnen (1910) anwächst, während die englische Stahlherstellung im selben Zeitraum nur von 3,6 auf 6,4 Millionen Tonnen gesteigert wird, ist noch beeindruckender. In diesem Zeitraum erhalten auch durch Erfindungen und die Entwicklung technischer Verfahren die elektrotechnische und die chemische Industrie neben dem Maschinenbau Weltgeltung.
Die Industrialisierung zeigt sich auch am Konzentrationsprozeß. Die Zahl und Bedeutung der Kartelle wächst deutlich. Um 1897 gründen die Hütten das Rheinisch-Westfälische Roheisen-Syndikat. Die Elektroindustrie wird von den Branchen-Riesen AEG und Siemens und die chemische Industrie von vier bis fünf Großkonzernen beherrscht. Fünf Großbanken - darunter die Deutsche Bank und die Dresdner Bank - verfügen über fast 50% der Bankeinlagen; nicht nur als Kreditgeber, sondern auch als Aktienbesitzer üben die Banken enormen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung aus.

In der Industrie steigt seit 1882 der Anteil der Erwerbstätigen von 35,1 auf 39,1% - von 4 auf 5,9 Millionen Arbeiter; in Handel und Verkehr von 10 auf 11,5% - von 720.000 auf 1,2 Millionen. In diesem Zeitraum wächst auch die Zahl der Angestellten beachtlich an. Sie beträgt 1895 3,2%.
Zwischen 1882 und 1895 werden jährlich fast 140.000 neue industrielle, aber nur 7.700 neue handwerkliche Arbeitsplätze geschaffen. Trotzdem stellt das Kleingewerbe mit 92,7% noch den Löwenanteil alle Betriebe.
Betriebe mit bis zu fünf Erwerbstätigen umfaßten 1882 in Industrie und Handwerk noch knapp 60 Prozent aller Beschäftigten, 1895 aber nur noch 41,8%; die mittleren Betriebe mit 6 bis 50 Beschäftigten nehmen dagegen von 17,4% auf 24,7% und die Großbetriebe mit über 50 Beschäftigten von 22,8% auf 33,5% zu.
"Riesenbetriebe" - so in dieser Zeit genannt - mit über 1.000 Beschäftigten erhöhen ihren Anteil von 1,9% auf 3,3%.
Die Gewerkschaften gewinnen in den großen Betrieben noch kaum Boden. Nicht nur wegen der besonders ausgeprägten autoritären - Herr im Hause - antigewerkschaftlichen Einstellung der Unternehmer, sondern auch wegen der geringen Resonanz gewerkschaftlicher Ziele bei dem großen Anteil ungelernter und angelernter Arbeitskräfte, die zudem leichter auf dem Arbeitsmarkt austauschbar sind. Die Fluktuation unter ihnen ist besonders hoch.
Der Facharbeiter und der Handwerker bleiben die organisatorische gewerkschaftliche Basis.
Die Arbeiter der neu entstandenen Industriezweige - Chemie, Elektroindustrie - sind noch kaum, wegen ihres hohen Anteils un- und angelernter Arbeiter, gewerkschaftlich organisiert.
Auch der Sektor Handel und Verkehr ist gewerkschaftlich noch weit unterdurchschnittlich organisiert. Die vier zu diesem Wirtschaftsbereich gehörenden Gewerkschaften der Hafenarbeiter, Handelshilfsarbeiter, Gastwirts- und Handlungsgehilfen haben von 828.404 beschäftigten Arbeitern nur 9.178 (1,1%) organisiert. Weiterhin stehen fast 1,8 Millionen Beschäftigte in häuslichen Diensten - vor allem Dienstmädchen - aber auch die Beamten und Arbeiter des Staates praktisch völlig außerhalb der gewerkschaftlichen Bewegung. Für Postbeamte und Polizisten hätte ein Eintreten für gewerkschaftliche Bestrebungen die sichere Entlassung bedeutet.

Bei den Schuhmachern zeichnet sich als Ergebnis der industriellen Entwicklung eine Veränderung innerhalb der Mitgliederschaft ab. Nachdem lange Zeit die Schuhmachergehilfen und Kleinmeister den Verband beherrschten, kann allmählich auch in den Fabriken Einfluß gewonnen werden. Anfang des Jahrhunderts stellen die Fabrikarbeiter bereits die Mehrzahl der Mitglieder.
Eine ähnliche Entwicklung findet bei den Schneidern statt durch die wachsende Bedeutung der Konfektionsschneiderei und des damit verbundenen Vordringens des Fabriksystems. Der unterschiedliche Grad der beruflichen Qualifikation, der hohe Anteil der Heimarbeiterinnen und -arbeiter, vor allem das Überwiegen der Frauenarbeit erschweren ganz außerordentlich die Organisationsarbeit.

Die Generalkommission gibt wieder ein Flugblatt für die vom Ausland kommenden Arbeiter heraus. Von 48 örtlichen Gewerkschaftskartellen lagen Bestellungen vor. Insgesamt werden 32.000 Flugblätter in polnischer, 15.000 in tschechischer und 21.000 in italienischer Sprache gedruckt. Vom Gewerkschaftskartell in Stuttgart werden für die bei dem Bahnbau beschäftigten italienischen Arbeiter Versammlungen einberufen und "ein der italienischen Sprache mächtiger Referent zu diesen gestellt".

Zum ersten Male werden in einer Interpellation des Zentrums im Reichstag die Einführung von Arbeiterkammern verlangt.

In Stuttgart wird das erste Gewerkschaftshaus gepachtet.

Nach einer Verständigung zwischen den Gewerkschaften des Baugewerbes werden in Dresden und Hamburg Bauarbeiterschutzkommissionen eingesetzt. Sie sollen die sanitären Mißstände im Baugewerbe bekämpfen, Erhebungen durchführen und Materialien für die gesetzgebenden Institutionen sammeln.

In diesem Jahr lösen sich der "Verband der Kürschner" und der "Zentralverein der Plätterinnen" sowie der "Verband der Schlachter" wegen einer zu geringen Mitgliederzahl auf. Der "Verband der Formstecher" schließt sich dem "Verband der Lithographen" und der "Verband der Korbmacher" dem "Holzarbeiterverband" an.

Anfang 1895

Die Generalkommission beginnt eine intensive Werbung zur Organisierung der Arbeiterinnen, mit dem Erfolg, daß sich von 1894 bis 1896 die Zahl der weiblichen Gewerkschaftsmitglieder mehr als verdoppelt (von 5.251 auf 12.265).

6. Januar 1895

Die "Holzarbeiterzeitung" beklagt die "unglaubliche Resignation" der Verbandsangehörigen und deren Interesselosigkeit an der Gewerkschaftsbewegung. Es sei "geradezu beschämend", wenn eine Anzahl von Versammlungen ausfallen müßte, "weil nur die Verwaltung, aber keine Mitglieder anwesend waren".

2. Februar 1895

Das Amtsgericht in Zwickau löst den Verband der sächsischen Berg- und Hüttenarbeiter "wegen Erörterung politischer Angelegenheiten und sozialdemokratischer Betätigung" auf.
Am gleichen Tag löst die Polizei auch die Zahlstelle des Holzarbeiterverbandes in Leipzig auf.
Da gleiche geschieht am 6. Februar mit der Zahlstelle des Metallarbeiterverbandes in Leipzig.

3. Februar 1895

Die "Holzarbeiter-Zeitung" warnt vor der Einführung einer Arbeitslosenunterstützung, da diese nur mit einer drastischen Beitragserhöhung möglich sei. Als Folge befürchtet man das "Ausscheiden und Fernbleiben" der schlechter bezahlten Hilfsarbeiter, was dazu führe, daß der Verband nur noch die "Elite der Kollegenschaft" erfasse. Diese Zweiteilung der Holzarbeiterschaft in eine gewerkschaftlich organisierte "Klassenaristokratie" und in ein unorganisiertes "Streikbrechertum" bedeute das Ende der Industriegewerkschaft, die doch als Einheitsorganisation der ungelernten und der hochqualifizierten Arbeiter der Holzbranche konzipiert worden sei.

4. Februar 1895

Die Generalkommission faßt noch einmal die Aufgabe der Gewerkschaftskongresse zusammen, um "einer weiteren Legendenbildung über die Absichten der Generalkommission vorzubeugen...
Die Gewerkschaftskongresse haben ... die Aufgabe, alle Bestrebungen zu fördern, welche die gewerkschaftlich organisirten Arbeiter sich in ihren Berufsorganisationen zum Ziel gesetzt haben. Der größte Theil dieser Bestrebungen kann nur durch das gemeinsame Zusammenwirken aller Arbeiter erreicht werden. Der gemeinsame Wirkungskreis, der auf den Gewerkschaftskongressen festgestellt werden muß, hätte unseres Erachtens noch folgende Punkte zu umfassen: ... Hierzu gehört die Erziehung der Mitglieder zur Zahlung höherer Beiträge. ...
Zur erfolgreichen Durchführung größerer Kämpfe ... halten wir für nothwendig die Schaffung eines von sämmtlichen Mitgliedern der Organisationen gespeisten Kampffonds... .
Als Mittel zum Zweck betrachten wir: ... Die Arbeiter müssen dauernd an die Organisation gefesselt werden. ... Die Herbergen müssen den wandernden Arbeitern heimisch gemacht werden. ... Die Herbergen müssen den Reisenden die Möglichkeit bieten, sich weiter zu bilden. Die Arbeiterblätter müssen in den Herbergen ausliegen, Bücher belehrenden und unterhaltenden Inhalts müssen zur Verfügung stehen. Dies Letztere ist besonders Aufgabe der örtlichen Gewerkschaftskartelle...
Veranstaltungen statistischer Erhebungen über Stärke und Leistungen der Organisationen, sowie über die wirthschaftliche Lage der gewerblichen Arbeiter...
Koalitionsfreiheit und Arbeiterschutz stehen im engsten Zusammenhang mit der materiellen Lage des Arbeiters. Ohne Koalitionsfreiheit keine Erringung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen, ohne dieselbe keine ihrem wirklichen Zweck entsprechende zentralistische Organisation, ohne dieselbe kein nachhaltiger Einfluß auf die Arbeiterschutzgesetzgebung, ohne Koalitionsfreiheit keine ausreichende Organisation der weiblichen Arbeiter.
... Die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit für alle Arbeiter männlichen und weiblichen Geschlechts... Die Verkürzung der Arbeitszeit steigert den Lohn des Arbeiters, schafft demselben Zeit zur körperlichen und geistigen Erholung, verlängert in Gemeinschaft mit der sanitären Einrichtung der Arbeitsräume seine Lebensdauer, die Arbeitskraft des Arbeiters wird dadurch für ihn nutzbringender.
Arbeiterschutzgesetze ... können nur wirksam von diesen selbst kontrolirt werden, deshalb weiterer Ausbau des Fabrikinspektorats und Wahl der Fabrikinspektoren aus den Reihen der Arbeiter. Bis zur Erreichung dieses Zieles halten wir für dringend erforderlich die Errichtung von Zentralstellen für die Beschwerden der Arbeiter über mangelhafte Ausführung der Arbeiterschutzgesetze.
... Kongresse politischer Parteien können wohl im Allgemeinen Stellung zu diesen Forderungen nehmen, ihre praktische Propagirung muß Aufgabe der Gewerkschaften sein."

5./6. Februar 1895

In Berlin verlangen Sozialdemokratinnen auf vier Volksversammlungen die Einführung des gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für Frauen. Kurz vorher hatten Frauen in Berlin die Abschaffung der Gesindeordnung gefordert. Wegen dieser Veranstaltungen wird die Frauenagitationskommission verboten und die Kommissionsmitglieder werden zu Geldstrafen verurteilt.

15. Februar 1895

Eine öffentliche Versammlung in Berlin beschließt, den "Zentralverein der Bureauangestellten Deutschlands" zu gründen.
Der Zentralverein schließt sich der Generalkommission an. Zentralorgan wird die von der Berliner Lokalorganisation seit 1. April 1894 herausgegebene Zeitschrift "Der Bureauangestellte".
Die Organisation hat jahrelang vor allem mit finanziellen, aber auch organisatorischen Problemen zu kämpfen.
Grundübel in diesem Beruf ist die "Lehrlingszüchterei", aber vor allem, daß die beruflichen Verhältnisse in diesem Beruf nicht gesetzlich geregelt sind. Die Büroangestellten unterstehen weder der Gewerbeordnung, noch dem Handelsgesetz - wie die Handlungsgehilfen - noch der Gewerbeordnung.

18./19. Februar 1895

Die Generalversammlung des Verbandes der Bäcker in Berlin beschließt ein neues Statut, nachdem alle Anträge auf Auflösung des Verbandes abgelehnt worden waren.
Sitz des Verbandes wird Hamburg, neues Verbandsorgan ab 6. April die "Deutsche Bäcker-Zeitung".

20./21. Februar 1895

Der Bäckerkongreß in Berlin richtet an den Bundesrat das Ersuchen, den Zwölfstundentag im Bäckergewerbe gesetzlich zu verankern.
Nachdem über die Ausbeutung von arbeitslosen Bäckern durch private Vermittler, sog. "Vampire", berichtet wird, fordert der Kongreß, den Arbeitsnachweis in die Hände der Arbeiter zu legen, da diese "für den Verkauf ihrer Arbeitskraft selbst Sorge zu tragen haben".

26. Februar 1895

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht eine Zusammenstellung von Gerichtsurteilen zum preußischen Vereinsgesetz, die der Präsident des Regierungsbezirkes Breslau in einem Zirkular den Landräten übermittelt, um diesen bzw. den Polizeibehörden Handhabungen zu geben, stärker gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften vorgehen zu können.

6./7. März 1895

Die Generalversammlung der Tapezierer in Hamburg lehnt erneut eine Verschmelzung mit den Sattlern und den Holzarbeitern ab. Der Beschluß, die Gewerkschaft aufzulösen und Lokalvereine zu gründen, erhält keine Mehrheit.
Nur die "Sattler-Zeitung" wird als gemeinsames Verbandsorgan bestimmt. Sie führt allerdings schon seit 1892 den Namen "Sattler- und Tapezierer-Zeitung". Die Zeitung wird in den 90er Jahren auch vorübergehend offizielles Vereinsorgan der österreichischen und schweizerischen Bruderorganisationen.

24./28. März 1895

Die Generalversammlung des Unterstützungsvereins der Kupferschmiede in Braunschweig lehnt die Aufnahme der Hilfsarbeiter des Kupferschmiedegewerbes ab. Sie erklärt sich aber "im Prinzip für die Aufnahme der Hülfsarbeiter in den Verein, sieht jedoch aus praktischen Gründen davon ab und empfiehlt den Kollegen, allerorts für Organisirung der Hülfsarbeiter Sorge zu tragen".

Anfang April 1895

Der Vorstand und Ausschuß des "Unterstützungsvereins deutscher Tabakarbeiter" teilen mit, daß sie die Zahlung der Beiträge an die Generalkommission wegen der "claren Stellungnahme und Handlungsweise" in der letzten Zeit einstellen. Die Generalversammlung der Tabakarbeiter hatte im Juli 1894 beschlossen, die Beiträge weiter zu zahlen.

1. April 1895

Die Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Sonntagsruhe in der Industrie treten durch eine Kaiserliche Verordnung in Kraft.
Die Durchführung wird durch zahlreiche Ausnahmebestimmungen für rund 80 Industriegruppen umgangen.

8./11. April 1895

Die Generalversammlung des "Verbandes deutscher Zimmerer und verwandter Berufsgenossen" in Stettin beschließt, vorläufig von der Gründung eines Industrieverbandes Abstand zu nehmen, da die Organisation noch nicht so ausgebaut ist, daß die überwiegende Mehrzahl der Zimmerer dem Verband angehört.
Den Lokalverbänden wird aber empfohlen, diesen Punkt im Auge zu behalten. Der Verband führt künftig den Namen "Verband der Zimmerleute Deutschlands".

14./15. April 1895

Die Generalversammlung des Verbandes der Formstecher, Drucker, Hilfsarbeiter und verwandter Berufsgenossen in Hildesheim beschließt, eine Verschmelzung der Verbände der Formstecher und der Lithographen bald durchzuführen.
Die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung wird abgelehnt.

14./19. April 1895

Die Generalversammlung des Deutschen Holzarbeiterverbandes in Erfurt überträgt die Leitung von Streiks dem Verbandsvorstand. Die Streiks sollen nicht aus der Verbandskasse, sondern durch freiwillige Beiträge in einen Streikfonds, unterstützt werden.
Rechtsschutz soll auch bei Streitigkeiten gewährt werden, die aus dem Krankenversicherungsverhältnis entstehen. Mitglieder können einen Zuschuß zu den Umzugskosten erhalten. Der Kongreß lehnt zwar gegen eine Stimme die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung ab, verwirft sie aber nicht grundsätzlich. Der Vorstand wird aufgefordert, statistisches Material zu sammeln, aus dem ein Überblick über die Anforderungen einer Arbeitslosenkasse gewonnen werden könne.

15./19. April 1895

Die Generalversammlung des deutschen Metallarbeiterverbandes in Magdeburg beschließt die Aufnahme des "Deutschen Gold- und Silberarbeiterverbandes". Nachdem der Verband zeitweilig seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Generalkommission wegen mangelnder finanzieller Mittel nicht erfüllen konnte, wird der Vorstand beauftragt, vom 1. Oktober ab wieder die regelmäßigen Beiträge abzuführen und die rückständigen Beträge an die Generalkommission zu zahlen, sobald es die finanzielle Lage des Verbandes gestattet.
Den größten Betrag bei den Ausgaben erfordert die Reiseunterstützung. Sie wird deshalb gekürzt.
Zum Vorsitzenden des DMV wird Alexander Schlicke gewählt, der den Verband bis 1919 leitet.
In der Metallindustrie ist der Unterschied zwischen Großunternehmern (Hütten- und Walzwerke, Maschinenbau), einer großen Zahl mittlerer - besonders der Metallverarbeitung - und einer Vielzahl kleiner - zum großen Teil Handwerksbetriebe - außerordentlich groß. Die durchschnittliche Beschäftigungszahl beträgt in der metallverarbeitenden Industrie vier Arbeiter.

16./18. April 1895

Der Kongreß der Maurer in Halberstadt erklärt, daß die deutsche Reichsregierung und der Reichstag verpflichtet sind, im Interesse der baugewerblichen Arbeiter eine Ausgestaltung des Unfallversicherungswesens durchzuführen, vor allem die Einführung der obligatorischen gesetzlichen Unfallverhütung und dazu die regelmäßige Überwachung und Kontrolle sämtlicher Baubetriebe.
Der Kongreß spricht sich für eine gesetzliche Lohnsicherung bei unseriösen Bauunternehmen aus.
Die Delegierten sind für einen speziellen Gewerkschaftskongreß, auf dem Fragen des Koalitionsrechtes und des Arbeitsschutzes beraten werden sollen.
Zum Generalbevollmächtigten wird Theodor Bömelburg gewählt.
Im Baugewerbe werden knapp 200.000 Unternehmen mit mehr als eine Million Arbeiter gezählt. Auf einen Betrieb entfallen durchschnittlich fünf Arbeiter. 282.000 Arbeiter sind in Kleinbetrieben (fünf und weniger Arbeiter) und 414.000 Arbeiter in Mittelbetrieben (sechs bis fünfzig Arbeiter) beschäftigt. Demzufolge kommt der größte Teil der gewerkschaftlich organisierten Bauarbeiter aus kleineren und mittleren Betrieben.

Pfingsten 1895

Der Verbandstag des Verbandes der Müller in Halberstadt lehnt die Erhöhung der Beiträge und damit die Einführung der Arbeitslosenunterstützung wegen der schlechten Konjunktur ab.

Mai 1895

Die Reichstagsfraktion der SPD verlangt die volle Versammlungs- und Vereinsfreiheit.

9./11. Mai 1895

Der Verbandstag des Zentralverbandes deutscher Brauer in Berlin beschließt, eine Stundung der Beiträge bei der Generalkommission zu beantragen.
Trotz der Gründung eines gegnerischen Verbandes der Brauergehilfen stieg die Mitgliederzahl des Zentralverbandes in den letzten zwei Jahren um rund 2.000.

11. Mai 1895

Der Reichstag lehnt mit den Stimmen der Sozialdemokraten, der Volkspartei und der beiden freisinnigen Parteien nach einer intensiven Protestbewegung die "Umsturzvorlage" ab.

2./3. Juni 1895

Die Generalversammlung des Vereins der Lithographen, Steindrucker und Berufsgenossen in Nürnberg beschließt, die 1890 gegründete Organisation der Formenstecher mit dem Verein der Lithographen zu verschmelzen, und betont dabei, daß außer den Formenstechern und Druckern auch Lichtdrucker, Photographen, Zinographen, Xylographen, Kupferdrucker, Notendrucker usw. aufzunehmen seien. Die Formstecher trennen sich 1896 wieder vom Verein und gründen erneut eine eigene Organisation. Mit 21 gegen 4 Stimmen wird beschlossen, auch Arbeiterinnen aufzunehmen und den Verein künftig "Verein für graphische Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" zu nennen.

2./4. Juni 1895

Der Kongreß der Steinarbeiter in Breslau beschließt, das Vertrauensmännersystem beizubehalten. In einer Denkschrift soll der Bundesrat über die miserablen Arbeitsbedingungen der Steinarbeiter informiert werden und einen Maximalarbeitstag vorschreiben.
Ein Antrag, die Beiträge an die Generalkommission von jetzt ab regelmäßig zu bezahlen, wird gegen 5 Stimmen abgelehnt. Als Grund für die Ablehnung wird angeführt, daß die gegen die Generalkommission sich bemerkbar machende Opposition zunächst eine Entscheidung auf dem Gewerkschaftskongreß notwendig mache. Die Delegierten sollen über den Ausgang des Kongresses berichten und dann soll durch Urabstimmung beschlossen werden, ob die Beiträge zu zahlen sind.

Die Generalversammlung der Bereinigung aller in der Schmiederei beschäftigten Personen in Hamburg ist zwar im Prinzip für eine Arbeitslosenunterstützung, sieht aber von der Einführung aus finanziellen Gründen ab.

3./4. Juni 1895

Auf der Generalversammlung des Zentralvereins der Bildhauer in Nürnberg erklärt der Zentralvorstand, daß er Kartellverträge mit den Holzarbeiterverbänden ablehne, da die Verschiedenartigkeit der Einrichtungen solche Verträge nicht zweckmäßig erscheinen lasse.
Die Beiträge an die Generalkommission sollen bis zum nächsten Kongreß bezahlt werden, die Weiterzahlung dann von den Kongreßbeschlüssen abhängig gemacht werden.
Der Zentralverein hat fast 3.000 Mitglieder, davon rund 2.000 Holzbildhauer.

Der Verbandstag der Steinsetzer (Pflasterer) und Berufsgenossen in Halle/Saale beschließt, erst den nächsten Gewerkschaftskongreß abzuwarten, um dann über einen Anschluß an die Generalkommission zu entscheiden. Die Mehrheit der Delegierten spricht sich für die Beibehaltung des vom Vorstand eingerichteten Zentralarbeitsnachweises aus.

3./7. Juni 1895

Der internationale Bergarbeiterkongreß in Paris fordert den gesetzlichen Achtstundentag - Ein- und Ausfahrt einbegriffen - für Bergarbeiter innerhalb und außerhalb der Gruben. Die Bergarbeiter fordern eine gesetzliche Unfall-Haftpflicht für Unternehmer.

3./9. Juni 1895

Im Mittelpunkt des zwölften Verbandstages der Gewerkvereine in Danzig steht die Frage, was die Gewerkvereine tun können, um die Lohn- und Arbeitsverhältnisse zu verbessern. M. Hirsch selbst spricht zu diesem Thema, denn "immer dränge sich den Gewerkvereinsmitgliedern das Gefühl auf, es müsse nach der Richtung mehr geschehen, dazu komme das fortwährende Drängen der radikalen Organisationen".
Nach langer Diskussion werden folgende von M. Hirsch aufgestellt Leitsätze angenommen:
"I. Gute Löhne und geregelt kurze Arbeitszeiten sind nicht nur für die gesundheitliche, sittliche und geistige Hebung der Arbeiter und ihrer Familien, sondern auch im wahren, dauernden Interesse der Unternehmer, der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates, insbesondere zur Verhütung von Geschäftsstockung und Massenarbeitslosigkeit, dringen erforderlich.
II. Durch die ungeheuren technischen Produktions- und Verkehrsfortschritte einerseits, durch den bedeutenden Rückgang des Kapitalzinses und eines Teils der Bodenrente andererseits, ist die wirtschaftliche Möglichkeit der Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung ohne Schädigung der anderen Klassen gerade in unserer Zeit und für unser Land gegeben. Die Erfahrung hat überdies unwiderleglich festgestellt, daß bessere Löhne und kürzere Arbeitszeiten die Leistungen der Arbeiter und damit die Betriebsergebnisse erhöhen.
III. Nur die freie Berufsorganisation der Gewerkvereine vermag aber in der Regel durch Zusammenfassung der als Einzelne ohnmächtigen Arbeiter die tatsächliche Verbesserung der Lohn- und Arbeitszeitverhältnisse in ausreichendem Maße zu erwirken und aufrecht zu erhalten. In der hierauf gerichteten planmäßigen Tätigkeit liegt, angesichts der größtenteils unzureichenden Löhne und übermäßigen Arbeitszeit in Deutschland, die wichtigste Aufgabe auch der deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker) und ihres Verbandes."
Es werden dann im einzelnen alle Mittel aufgezählt als: Kennenlernen des Arbeitsmarktes - Reise-, Übersiedelungs- und Arbeitslosenunterstützung - Schiedsgerichte und Einigungsämter - Benutzung guter Geschäftskonjunkturen, dann heißt es am Schluß: "Im äußersten Fall, bei Versagen aller friedlichen Mittel und wenn zur Durchsetzung berechtigter Forderungen auch günstige Verhältnisse und genügende Fonds vorhanden sind, Anwendung des gesetzlichen Rechts der Arbeitseinstellung in energischer, aber besonnener Weise und mit dem Ziele möglichst baldigen dauernden Friedens. Daher soweit irgend tunlich, selbständiges Vorgehen unserer Organisation; erforderlichenfalls jedoch in gerechter Sache Zusammenwirken mit anderen heimischen und gesinngungs-verwandten ausländischen Arbeitervereinigungen."
Die Organisationen sollen verstärkt Arbeitnehmer aus neuen Berufen gewinnen.
Doch auch auf diesem Verbandstag hören die internen Diskussionen nicht auf. Die Differenzen mit dem Düsseldorfer Ortsverband verschärfen sich, weil die Zeitung einen Artikel mit Angriffen auf den Verbandstag nicht veröffentlicht hat.

5. Juni 1895

Eine internationale Bildhauer-Konferenz in Nürnberg erklärt, "daß überall die Bildhauer Kampforganisationen anzustreben haben, und daß Unterstützungszweige nur dort zu bilden sind, wo solche unbedingt nothwendig sind. Ferner haben neben diesen die Bildhauer Widerstandsfonds zu schaffen und außerdem die politische Agitation im Sinne der modernen Arbeiterbewegung zu betreiben".
Die Konferenz beschließt, "als weiteres die Einsetzung einer internationalen Agitationskommission, welche als Zentralstelle für die ständig in allen Ländern vorzunehmende Propaganda zur Förderung der Bildhauerbewegung zu betrachten ist. Desgleichen hält es die Konferenz für nothwendig, in jedem Lande ein Korrespondenzcomité zu bestimmen, welches die schriftlichen Arbeiten des Landes in Bezug auf internationale Agitation mit der internationalen Agitationskommission vorzunehmen hat."
Das Internationale Agitationscomité soll dort seinen Sitz haben, wo die deutsche "Bildhauer-Zeitung" erscheint.

11. Juni 1895

In Lippe wird der christliche "Gewerkverein der Ziegler" gegründet.

14. Juni 1895

Die Berufszählung ergibt rund 402.400 hausindustriell tätige Personen, davon sind 164.810 Frauen.
Als Haupterwerb dient die hausindustrielle Beschäftigung 342.510 Personen, darunter 154.600 Frauen. Die Textilindustrie umfaßt mit 195.780 fast die Hälfte, die Bekleidungsindustrie mehr als ein Viertel aller Hausarbeiter.

17./21. Juni 1895

Die Generalversammlung des Buchdruckerverbandes in Breslau hält einstimmig an dem Bestande der Generalkommission in der innersten Überzeugung fest, daß sie zur Hebung der Gewerkschaftsorganisationen und damit der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter von höchster Bedeutung ist, darum appeliert sie an alle Arbeiter, der Kommission mit aller Kraft unterstützend zur Seite zu stehen. Sie wünscht, daß die Generalkommission streng auf gewerkschaftlichem Boden verharrt und ihre Mitglieder sich lediglich der Förderung der Gewerkschaften widmen.
Anstelle des Akkordlohnes den Zeitlohn einzuführen wird abgelehnt, weil es den Prinzipalen einen Vorwand für Lohnkürzungen geben würde.

24./28. Juni 1895

Die Generalversammlung des Unterstützungsvereins deutscher Hutmacher beschließt, künftig auch Arbeiterinnen aufzunehmen.

19./20. Juli 1895

In Heidelberg wird auf dem Journalisten- und Schriftstellertag der "Verband Deutscher Journalisten- und Schriftstellervereine" - ein Zusammenschluß von 18 Vereinen - gegründet.
Er bezweckt, die journalistischen und schriftstellerischen Vereinigungen deutscher Sprache zusammenzufassen, um die gemeinsamen rechtlichen und sozialen Interessen der deutschen Journalisten und Schriftsteller zu vertreten.
Insbesondere ist der Verband berufen, die gemeinsamen Interessen zu vertreten: a) in allen Fragen des Urheber- und Verlagsrechts, b) in allen Fragen des Preßrechts und des Preßhaftrechts, c) in der Wahrung der Standesehre und allgemeiner Standesfragen, d) in der Anbahnung und Förderung der Alters-, Witwen- und Waisenversorgung der Standesgenossen.

22. Juli 1895

Die Generalkommission teilt mit, daß 17 Verbände seit dem 2. Quartal 1894 bis einschließlich erstem Quartal 1895 keine Beiträge an die Generalkommission gezahlt haben.

14./17. August 1895

Im Essener Meineidprozeß werden sieben führende Mitglieder des Bergarbeiterverbandes zu insgesamt 19 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Mitte August / Anfang September 1895

Sozialdemokratische Zeitungen "verletzen" anläßlich der Einweihung eines Denkmals Wilhelms I. am 18. August in Berlin monarchische Gefühle. Die Sozialdemokratie nimmt an den Feiern zur 25jährigen Wiederkehr der Schlacht von Sedan nicht teil. In der Parteipresse erscheinen Artikel gegen die Politik O. v. Bismarcks und Wilhelms I. Erneut wird daraufhin in Regierungskreisen eine Verschärfung des preußischen Vereinsgesetzes und ein neues Sozialistengesetz besprochen.
Wilhelm II. erklärt in einem Trinkspruch: "... dann rufe ich sie, um der hochverräterischen Schar zu wehren, um einen Kampf zu führen, der uns befreit von solchen Elementen."
Reichskanzler Ch. zu Hohenlohe-Schillingsfürst verhält sich diesen Plänen gegenüber zurückhaltend; aber das preußische Vereinsgesetz wird nun strenger gehandhabt.
Im September werden mehrere sozialdemokratische Blätter wegen Majestätsbeleidigung oder anderer Vergehen beschlagnahmt und ihre Redakteure verhaftet, mehrere Volksversammlungen verboten oder aufgelöst.

21./23. August 1895

Die Generalversammlung der süddeutschen Gesellenvereine in Würzburg billigt die "Kölner Thesen" von 1893.
Mit dem Anwachsen der christlichen Gewerkschaften werden in zunehmendem Maße - ohne die "Kölner Thesen" zu revidieren - wirtschaftliche Probleme, insbesondere Lohnfragen, Streiks, Differenzen in den Arbeitsverhältnissen den Gewerkschaften überlassen.

25. August 1895

Die Generalversammlung des Verbandes deutscher Berg- und Hüttenarbeiter spricht den Verurteilten, u.a. dem Vorsitzenden und Kassierer, ihre volle Sympathie aus und erklärt, daß sie für die organisierten Bergarbeiter als ehrenvolle Männer gelten.
Der Bergarbeiterverband im Ruhrgebiet zählt noch rund 5.100 Mitglieder. Er hat somit seit 1890 ca. 91% seiner Mitglieder verloren. Er hat damit noch rund 1 Prozent der Bergarbeiter organisiert. Gründe dafür sind die Streikniederlagen, massive antigewerkschaftliche Maßnahmen von Unternehmern und Bergbaubehörden, aber auch interne Streitigkeiten durch konfessionelle Spannungen.

Herbst 1895

Für die Werbung weiblicher Gewerkschaftsmitglieder wurden seit Anfang des Jahres über 150 Versammlungen von weiblichen Referenten durchgeführt. Dazu wurden über 200.000 Flugblätter verteilt, auf denen u.a. auf die Versammlungen hingewiesen wurde.

30. September / 3. Oktober 1895

Sämtliche Delegierte auf dem Kongreß des Dachdeckerverbandes in Frankfurt/Main erkennen "die Nothwendigkeit und den großen Werth der Generalkommission für die Aufklärung der Arbeiter jeder einzelnen Branchen mithin auch für die gesammte Arbeiterbewegung an, und halten den Anschluß unseres Verbandes für wünschenswerth. Diejenigen Delegirten, welche trotzdem gegen den Anschluß gestimmt, haben dieses nur deshalb gethan, weil sie eine weitere finanzielle Belastung des Verbandes für unmöglich halten, aber auch sie sprechen ausdrücklich die Erwartung aus, daß der Anschluß erfolgt, sobald die Kassenverhältnisse es zulassen."

6./12. Oktober 1895

Der Parteitag der SPD in Breslau beauftragt die Reichstagsfraktion, bei den Beratungen über den Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für die Beseitigung aller Bestimmungen einzutreten, die die Frau dem Manne gegenüber benachteiligen, vor allem auch für die Rechte der unverheirateten Mütter und ihrer Kinder.
Der Parteitag erklärt es für die Pflicht der Arbeiterklasse, durch den politischen und gewerkschaftlichen Kampf mit aller Energie den Mißständen der Hausindustrie entgegenzutreten.
Der Parteitag beauftragt die Vertreter der Partei, im Reichstage zu fordern: Ausdehnung des gesetzlichen Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie und Schaffung besonderer Vorschriften, wie sie schon heute für die Tabakindustrie bestehen; Kontrolle aller hausindustriellen Betriebe durch männliche und weibliche Aufsichtsbeamte, welche Exekutivgewalt besitzen und mindestens zur Hälfte aus den Kreisen der Arbeiter und Arbeiterinnen entnommen werden.
Weiter erklärt es der Parteitag für die Pflicht der Parteimitglieder, den planmäßigen Kampf der Gewerkschaften für die Beseitigung des Zwischenmeistersystems, für die Errichtung von Betriebswerkstätten und die Einführung fester Tarife zu unterstützen.
Der Parteitag beauftragt die sozialdemokratischen Reichstags- und Landtagsabgeordneten sowie die Vertreter in den Kommunalverwaltungen, energisch einzutreten für die ausschließliche Vergebung aller Staats- und Kommunallieferungen an Unternehmer, welche Betriebswerkstätten unterhalten, die allen gesetzlichen Vorschriften entsprechen.
Zum 1. Mai beschließt der Parteitag: In Übereinstimmung mit den Beschlüssen der internationalen Arbeiterkongresse zu Paris 1889, Brüssel 1891 und Zürich 1893 feiert die deutsche Sozialdemokratie den 1. Mai als das Weltfest der Arbeit, gewidmet den Klassenforderungen des Proletariats, der Verbrüderung und dem Weltfrieden. Als würdigste Feier des 1. Mai betrachtet die Partei die allgemeine Arbeitsruhe. Daher empfiehlt der Parteitag denjenigen Arbeitern und Arbeiterorganisationen, die ohne Schädigung der Arbeiterinteressen den 1. Mai neben den anderen Kundgebungen auch durch die Arbeitsruhe feiern können, Arbeitsruhe eintreten zu lassen.

22./25. Oktober 1895

Der Kongreß aller Angestellten im Gastwirtsgewerbe in Hamburg diskutiert ausführlich die von der Reichsregierung durchgeführte Enquete über die Arbeitsbedingungen im Gaststättengewerbe. Eine zentrale Organisation wird von den Delegierten mit knapper Mehrheit abgelehnt. Die Delegierten werden verpflichtet, in ihren Organisationen dahin zu wirken, daß regelmäßig Beiträge an die Generalkommission abgeführt werden.

15. November 1895

Auf einer gemeinsamen Sitzung von Zentralrat und den Generalräten der Gewerkvereine kommt es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen einigen Mitgliedern und M. Hirsch. Die Kritiker meinen, daß Resolutionen ganz schön seien, daß aber kräftiges Handeln noch besser sei; ein Entgegenkommen der Arbeitgeber sei nicht zu erhoffen, und die Vereine müßten von obenher nicht immer zurückgehalten, sondern umgekehrt zu energischem Handeln angeregt werden.
Doch schließlich folgten die Sitzungsteilnehmer den Auffassungen von M. Hirsch, die er in einer Resolution zusammengefaßt hat: "Die kombinierte Versammlung des Zentralrats und der Generalräte ... beschließt ... möglichst in baldigen besonderen Sitzungen die praktische Verbesserung der Lohn- und Arbeitszeitverhältnisse, vor allem an Orten mit abnorm niedrigen Löhnen und überlangen Arbeitszeiten, nach den bewährten friedlichen Grundsätzen unserer Organisation tatkräftig in die Hand zu nehmen. Die Versammlung erklärt es ferner als Pflicht aller Ortsvereine und Ortsverbände, die Beseitigung der tatsächlichen Mißstände der Arbeiterverhältnisse als Hauptaufgabe unserer Organisation zu betreiben."

23. November 1895

Der "Bergknappe" - das Organ des Gewerkvereins des christlichen Bergarbeiterverbandes - erscheint zum ersten Mal. Es will "frei von allen religiösen und politischen Erörterungen nur das wirtschaftliche Interesse der Bergarbeiter auf dem Boden der ... Gesellschaftsordnung mit aller Entschiedenheit und Ausdauer fördern".

24. November 1895

Eine Konferenz von Konfektionsarbeitern in Erfurt beschließt: "Da die Hausindustrie eine der verderblichsten Auswüchse ist, die jemals die kapitalistische Produktionsweise erzeugt hat und sich für die Arbeiter und Arbeiterinnen, ganz gleich, ob in der Maß- oder Konfektionsbranche, Zustände herausgebildet haben, die, wenn nicht Einhalt gethan wird, zur vollständigen Degeneration der Arbeiter und Arbeiterinnen unseres Berufes führen, beschließt die Konferenz: die Forderung von Betriebswerkstätten zu einer allgemeinen für Maß- und Konfektionsarbeit zu machen, hauptsächlich aber mit aller Energie dahin zu wirken, daß für die Konfektionsarbeiter und -arbeiterinnen bessere Lebensbedingungen errungen werden."
"Die Konferenz fordert, daß seitens der Regierungen Untersuchungen über die sanitären Verhältnisse sowohl als über die soziale Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie veranstaltet werden. Ferner sind die bestehenden Arbeiterschutzbestimmungen im vollen Umfange auf die Hausindustrie auszudehnen."

27. November 1895

Der "Bund der Industriellen" wird gegründet. Er stellt die Belange der verarbeitenden Industrie in den Vordergrund. Er bezweckt nach seinen Statuten "die Wahrung der gemeinsamen Interessen der deutschen Industrie, sowie ein Zusammenwirken in allen die deutsche Industrie betreffenden Fragen. Ordentliche Mitglieder können sein: 1. Personen, die in selbständiger Stellung einem industriellen Betriebe in Deutschland angehören oder angehört haben, selbständige Ingenieure und Chemiker; 2. alle in Deutschland bestehenden industriellen Betriebe; industrielle Vereine oder Verbände."
Der Grund für die Gründung ist das Bestreben, dem kurz vorher ins Leben gerufenen "Bunde der Landwirte" eine geschlossene Organisation der Industrie entgegenzustellen und dadurch das Übergewicht des agrarischen Einflusses bei der Regierung und im Reichstage zu bekämpfen. Der seit 1876 bestehende "Zentralverband deutscher Industrieller" wird dafür als nicht geeignet angesehen, da er eine einseitig hochschutzzöllnerische Richtung verfolgt und überwiegend die Großindustrie in sich vereinigt. Demgegenüber will der Bund der Industriellen die Interessen der mittleren und kleineren Betriebe und insbesondere der leichten und Fertigindustrie zur Geltung bringen.
Sozialpolitisch verfolgt der Bund einen zwiespältigen, gegenüber dem Centralverband aber aufgeschlosseneren, Kurs.

29. oder 30. November 1895

Der sozialdemokratische Parteivorstand, die Berliner Preß- und Lokalkommission, die Agitationskommission u.a. Arbeiterorganisationen werden wegen angeblichen Verstoßes gegen § 8 des preußischen Vereinsgesetzes von 1850 - in Verbindung treten mit politischen Vereinen - polizeilich "geschlossen".

30. November 1895

Da direkte Kontakte zwischen Arbeitern und Gewerbeinspektoren häufig noch stark behindert werden, weist die Generalkommission im "Correspondenzblatt" darauf hin, daß die Gewerkschaftskartelle es sich zur Aufgabe machen müssen, ihre Leitung zu beauftragen, Beschwerden für den Gewerbeinspektor entgegenzunehmen oder besondere Kommissionen für diesen Zweck einzusetzen.

1. Dezember 1895

Auf seinem ersten Verbandstag in Hamburg ändert der "Deutsche Handlungsgehilfenverband" seinen Namen in "Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband", um sich besser vom "Verein deutscher Kaufleute" abzugrenzen.
Der Verband bezweckt: "durch den Zusammenschluß aller deutschen Handlungsgehilfen deren soziale Lage zu heben und in Treue zu Kaiser und Reich ihre Mitglieder zu national gesinnten Männern zu erziehen. Der Verband sieht eine seiner vornehmsten Aufgaben in dem Bestreben, das Ansehen des deutschen Handelstandes zu erhalten und zu kräftigen und zu diesem Zwecke namentlich in der kaufmännischen Jugend das Verständnis für Standesehre und deutsches Volksbewußtsein zu wecken und zu pflegen. Parteipolitische und konfessionelle Bestrebungen innerhalb des Verbandes sind ausgeschlossen.
Mittel zum Zweck sind dem Verbande, neben der Selbsthilfe durch die Wohlfahrtseinrichtungen für Mitglieder, eine ausgesprochene sozialpolitische Tätigkeit, indem er auf die gesetzgebenden Körperschaften, Behörden und die öffentliche Meinung zugunsten sozialer Reformen für den gesamten Handelsstand einzuwirken sucht.
Als solche sind anzusehen: Verkürzung der Arbeitszeit durch Höchstarbeitstag, Ladenschluß und völlige Sonntagsruhe; Verlängerung der Kündigungsfristen; Beseitigung der Konkurrenzklauseln; Regelung des Lehrlingswesens durch Schaffung eines bestimmten Verhältnisses zwischen der Zahl der Gehilfen und Lehrlinge und Ausbau des kaufmännischen Fortbildungsschulwesens mit Zwangsunterricht für Gehilfen und Lehrlinge unter 18 Jahren; Beseitigung der Nachteile der Frauenarbeit durch Verkürzung der Arbeitszeit für weibliche Angestellte auf höchstens acht Stunden täglich, Schutzbestimmungen zur Verhütung gesundheitlicher und sittlicher Gefahren, Beschränkung der Frauenarbeit auf Geschäftszweige, denen besondere weibliche Fähigkeiten von Nutzen sein können; Errichtung von Handlungsgehilfenkammern und Anstellung von Handelsinspektoren, um die Ausführung der sozialpolitischen Gesetze für den Handelsstand zu überwachen; Ausbau und Verbesserung der Kaufmannsgerichte; Ausbau der staatlichen Alters- und Invaliditätsversicherung; Schaffung einer besonderen Einrichtung für eine ausreichende Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenfürsorge für alle Handlungsgehilfen ohne Unterschied der Höhe ihrer Gehälter; Festsetzung von Mindestgehältern."
Der Verband besteht aus ordentlichen und unterstützenden Mitgliedern. Unterstützende Mitglieder können alle Personen, Firmen, Körperschaften oder Vereine werden, welche die Zwecke des Verbandes anerkennen und fördern wollen. Juden und sich in einem bewußten Gegensatze zum Deutschtum befindende Angehörige anderer Nationen können keine Mitgliedsrechte erwerben.

4. Dezember 1895

Die SPD-Reichstagsfraktion übernimmt die vorläufige Leitung der Partei und beschließt, den Fraktionsvorstand mit der Leitung der politischen Geschäfte zu betrauen und in Hamburg einen geschäftsführenden Ausschuß einzusetzen, der mit den Verwaltungsgeschäften betraut wird.

16. Dezember 1895

In einem Erlaß des Evangelischen Oberkirchenrates werden Geistliche vor der "unbesonnenen Parteinahme für die Förderung einer einzelnen Bevölkerungsgruppe", d.h. der Arbeiter, gewarnt.

Weihnachten 1895

Der christliche "Bayerische Eisenbahnerverband" wird gegründet.
In den kommenden Jahren kommt es zur Bildung zahlreicher christlicher Berufsgewerkschaften auf lokaler und regionaler Ebene. Schon bald verstärkt sich aber die Einsicht, diese Verbände zentral zusammenzuführen.

27./29. Dezember 1895

Der erste Verbandstag des Verbandes der Stukkateure, Gipser usw. in Kassel beauftragt den Vorstand, zu geeigneter Zeit mit dem Verband der Maurer einen Kartellvertrag abzuschließen. Der Verbandstag erklärt sich im Prinzip mit der Einführung der Arbeitslosen- und der Erweiterung der Reiseunterstützung einverstanden, da Staat und Kommune ihre Pflicht, die Arbeiter vor Arbeitslosigkeit zu schützen nicht nachkommen.

Ende Dezember 1895

Die erste von der Generalkommission herausgegebene Flugschrift "Was nützen uns die Gewerkschaften?" wird in einer Auflage von rund 360.000 Exemplaren veröffentlicht.
In unregelmäßigen Abständen will die Generalkommission nun Flugschriften veröffentlichen, die gewerkschaftliche Themen behandeln.

Ende 1895

Nach unvollständigen Angaben der Generalkommission steigt die Zahl an ca. 200 Streiks in diesem Jahr beteiligten Arbeitern auf rund 14.000, ein Zeichen für den Konjunkturaufschwung. Der Anteil der von den Verbandskassen erbrachten Streikkosten an den Gesamtkosten der Streiks liegt bei 48%.
Die unterschiedliche Beitragskraft wird deutlich zwischen dem Buchdruckerverband mit 53,75 Mark und dem Flößer-Verband mit 1,44 Mark pro Jahr.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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