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1884 / 1886

Nach einem schwachen Konjunkturaufschwung folgt nun bis 1886 wieder Rückgang der Konjunktur.

1884 / 1890

Auch in diesen Jahren gelingt es auf lokaler Ebene, in verschiedenen Berufssparten Tarifverträge abzuschließen. Die Holzarbeiter (1884 in Berlin), Stukkateure und Gipser (1885 in Leipzig, 1889 in Hamburg, 1890 in Breslau), Glaser (1886 in Leipzig), Buchbinder (1887 in Leipzig, 1889 in Krefeld), Tischler (1887 in Leipzig, Berlin und Hamburg, 1888 in Stettin, 1889 in Bergedorf), Schuhmacher (1887 in Leipzig, 1890 in Altona), Tapezierer (1888 in Hamburg und Rostock), Hafenarbeiter (1888 in Hamburg), Feinmechaniker (1889), Steinsetzer, Korbmacher und Kupferschmiede (1890). 8 weitere Tarifverträge verzeichnen in diesem Zeitraum die Ofenarbeiter.
Der Tarifvertrag in der Berliner Holzindustrie kommt auf Initiative eines sozialpolitisch engagierten Unternehmers zustande und gilt in einer Jalousienfabrik, dessen Abschluß vom Betriebsinhaber in einer "Fabrikordnung" verfügt wird. Der Vertrag für Feinmechaniker wird in den Carl-Zeiß-Werken Jena, auf Anregung des damaligen Betriebsleiters Ernst Abbe eingeführt. Der Versuch E. Abbes, diesen Vertrag in der gesamten Optischen Industrie einzuführen, scheitert aber an der Ablehnung der übrigen Unternehmer.

1884

Der "Gewerkverein der Maschinenbauarbeiter" gibt eine eigene Zeitung "Regulator" heraus. Sie gehört bald zu den größten Gewerkschaftszeitungen und erscheint bis 1933.

In ihrem Entwurf eines Arbeiterschutzgesetzentwurfes fordert die SPD zum ersten Mal paritätische Arbeitskammern als Teil einer Selbstverwaltungsorganisation der Arbeit, in der Arbeitgeber und Arbeiter gemeinsam alle den Arbeiterschutz und die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter berührenden Fragen beraten und regeln.

Auf dem 1. Delegiertentag der "Deutschen Techniker" in Leipzig schließen sich die bisher regional arbeitenden Technikerverbände zum "Deutschen Techniker-Verband" zusammen.

In Halle wird der "Verband der Steinmetzen Deutschlands" gegründet. Der Verband basiert auf dem losen Vertrauensmänner-System mit stark lokalistischem Einschlag.

In seiner Broschüre "Wie verhalten sich die Arbeiter gegenüber dem neuen Kranken-Versicherungsgesetz?" bezeichnet A. Bebel die "eingeschriebene Hilfskasse in Verbindung mit der Berufsgenossenschaft" als die einzige Organisation "in welcher ein Arbeiter, der Strebsamkeit und Unabhängigkeitsgefühl besitzt, möglichste Sicherheit seiner Rechte mit Freiheit der Bewegung verlangt, eintreten kann und darf, ja eintreten muß". Die unabhängige Existenz der Krankenkassen sei "für die Blüthe des Fachvereins- und Genossenschaftswesens eine Lebensfrage".

Der Berliner Fabrikant Freese erläßt eine Fabrikordnung, die entscheidungsberechtigte - dem Parlamentarismus nachgebildete - Gremien, eine Mitarbeitergewinnbeteiligung, eine fortschrittliche Tarifpolitik und die Einführung des Achtstundentages enthält.
1881 war bereits in einer Tonwarenfabrik in Sachsen ein Fabrikausschuß gebildet worden.

In Offenbach wird von Gertrud Guillaume-Schack die "Zentral-Kranken- und Begräbniskasse für Frauen und Mädchen in Deutschland" gegründet. Ende 1885 hat diese Kasse über 15.000 Mitglieder in 166 Filialen. Trotz mancher Rückschläge bleibt die Kasse erhalten. Nach der Unterdrückung der Arbeiterinnenvereine ist sie das einzige überlokale organisatorische Band für Arbeiterinnen.
Seit 1885 gibt G. Guillaume-Schack für die Mitglieder der Kasse die Zeitung "Staatsbürgerin" heraus. Diese Zeitung veröffentlicht statistisches Material über die Lage der Arbeiterinnen, Fragebogen und Ergebnisse der Umfragen, aber auch Romane.
Nach dem Verbot der Zeitung "wegen Aufreizung zum Klassenhaß" werden Rundschreiben herausgegeben.
Nach der Berufs- und Gewerbezählung waren 1882 in Industrie und Gewerbe rund 550.000 Frauen beschäftigt, das ist rund ein Achtel der Industriearbeiterschaft. Unter Einschluß der zahlreichen Heimarbeiterinnen und der "selbständigen" Näherinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen oder Plätterinnen beträgt diese Zahl sogar mehr als eine Million. 18,5% aller Frauen sind somit erwerbstätig.
Der Arbeiterinnenanteil ist besonders hoch in der Textil- und Papierindustrie, im Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe, in Gärtnereien und in einzelnen Branchen bestimmter Industriezweige, so in der Tabak- und Zündwarenindustrie.
Die Frauen erhalten nicht nur niedrigeren Lohn, sondern verrichten als Hilfsarbeiterinnen oder Angelernte die niedrigst bezahlten Arbeiten.

Der Bundesrat erläßt Sicherheitsvorschriften für Zündholzfabriken, 1886 erfolgen Vorschriften für Bleifarben- und Bleizuckerfabriken und 1888 für Zigarrenfabriken.

20. April 1884

Papst Leo XIII. regt in seiner Enzyklika "Humani generis" die Bildung von katholischen Arbeitervereinen an, durch die die Arbeiter in die Kirche eingebunden, gleichzeitig gegen die Sozialdemokratie immunisiert werden sollen.

Auf dem Textilarbeiterkongreß in Gera wird eine neue Organisation gegründet. Sie fällt Mitte 1886 den Puttkamerschen Verfolgungsmaßnahmen zum Opfer.

26. April 1884

Der Deutsche Reichstag beschließt gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion die Änderung des Gesetzes über die freien Hilfskassen. Durch die Änderung werden die Befugnisse der Kassen beschränkt und die Rechte der Aufsichtsbehörden erweitert. Man versucht damit, im Rahmen der staatlichen Sozialpolitik, den Einfluß der Sozialdemokratie auf die freien Hilfskassen und dadurch auch auf die gewerkschaftlichen Fachverbände zu beseitigen. Die Hilfskassen zählen Ende 1880 60.000 Mitglieder, Ende 1885 734.000.

28./29. April 1884

Der erste Kongreß der Maurer in Berlin spricht sich für lokale Fachvereine mit einem "provisorischen Bureau" und für den Abschluß von Tarifverträgen aus. Zum Ausgleich für den fehlenden Zentralverband soll ein Fachorgan der Maurer herausgegeben werden. Es erscheint ab 1. Juni 1884 unter dem Titel "Der Bauhandwerker". Diese Zeitung wird auch von den Steinmetzen und Töpfern zum Fachorgan gewählt. Bis 1890 schließen die Maurer acht lokale Tarifverträge ab, in Lübeck 1885 und Mainz 1889.

Ostern 1884

Nachdem es bereits seit 10 Jahren örtliche Ansätze zu Zusammenschlüssen gegeben hatte und kleinere Lokalvereine der Meister geschaffen worden waren, wird in Düsseldorf der "Deutsche Werkmeister-Verband" gegründet. Er bezweckt, "alle deutschen Werkmeister zu vereinigen, um die Interessen der Mitglieder sowie der Angehörigen derselben zu schützen und zu fördern". Mitglied kann jeder Werkmeister eines gewerblichen oder industriellen Privat-, Kommunal- oder Staatsunternehmens innerhalb des Deutschen Reiches und dessen Grenzgebieten werden.
Als Werkmeister sind stets Betriebsbeamte im Sinne des § 133a der Reichsgewerbeordnung und des § 88 des Allgemeinen Berggesetzes zu betrachten, welche von einem Gewerbeunternehmer gegen feste Bezüge beschäftigt sind. Die Eigenschaft als selbständiger Meister setzt dann ferner voraus, daß demselben Arbeiter unterstellt sind, für deren Arbeiten er selbständig verantwortlich und deren Beaufsichtigung seine Hauptaufgabe ist.
Die Unterstützungseinrichtungen des Verbandes bestehen in einer Sterbekasse, Witwen- und Waisenunterstützung, Unterstützung stellenloser und invalider Mitglieder, Unterstützung in Notfällen und einem Brandversicherungsverein mit besonderen Statuten. Daneben wird Stellenvermittlung und Rechtsschutz gewährt. Das Verbandsorgan ist die "Deutsche Werkmeisterzeitung". Sitz ist Düsseldorf.
Über die Organisationsform und das Verhältnis der Gewerkschaften zur Partei kommt es in der folgenden Zeit zu Auseinandersetzungen im Verband.

9. Mai 1884

Reichskanzler O. von Bismarck spricht sich im Deutschen Reichstag während der Verhandlungen über die Unfallversicherungsvorlage für das "Recht auf Arbeit" aus.

12. Mai 1884

Der Reichstag stimmt mit 189 gegen 157 Stimmen, darunter wieder ein Teil des Zentrums, einer Verlängerung des Sozialistengesetzes um weitere zwei Jahre zu. Die Kommission hat mit zehn gegen zehn Stimmen für eine Ablehnung plädiert. Gegen das Gesetz spricht sich auch die Mehrheit der Deutsch-Freisinnigen-Fraktion und die des Zentrums aus. Bei den Beratungen setzt der Minister R. von Puttkamer anarchistische Attentate mit den Zielen der Sozialdemokratie gleich. A. Bebel entgegnet ihm darauf: Die Anarchisten seien nur möglich geworden durch das Sozialistengesetz, und die Väter des Sozialistengesetzes seien zugleich die Väter der Anarchisterei.

28. Mai 1884

In München erscheint die erste Ausgabe der Wochenzeitung "Das Recht auf Arbeit. Sozialpolitische Wochenschrift", die nach ihrem programmatischen Leitartikel der in der letzten Zeit "aufgeblühten" Fachvereins/Hilfskassenbewegung ihre besondere Aufmerksamkeit widmen will.
Herausgeber ist der sozialdemokratische Zeitungsverleger und Reichstagsabgeordnete Louis Viereck.
"Das Recht auf Arbeit" erscheint bis 1890.

1. Juni 1884

In Gera wird der "Deutsche Manufakturarbeiter und -arbeiterinnenverein" gegründet. Der Sitz wird Gera. Der Zweck des Vereins ist u.a. die Hebung der Geistigen und materiellen Interessen seiner Mitglieder. Er strebt Unterstützungskassen für reisende Mitglieder und für Mitglieder, die durch Ausführung der Vereinsbeschlüsse oder infolge ihrer Tätigkeit für den Verein arbeitslos wurden an. Weiterer Ziel sind die Gewährung von Rechtsschutz, die Regelung des Arbeitslohnes, der Arbeitszeit und der Arbeitsvermittlung, die möglichste Beseitigung der Akkordarbeit und die Belehrung über allgemeine Fach- und gewerbliche Angelegenheiten.
Vereinsorgan wird die "Deutsche Manufakturarbeiter-Zeitung", die ab 1. Juli 1884 erscheint.
Im Frühjahr 1887 wird der Verband von der Polizei als "politischer Verein" erklärt und aufgelöst. Der Vereinsvorstand wird wegen "Inverbindungtretens politischer Vereine" zu Geldstrafen verurteilt.

7./9. Juni 1884

Auf einem Kongreß von Töpfern in Dresden vertreten 18 Delegierte 1.485 Mitglieder von örtlichen Krankenkassen der Töpfer.
Die Delegierten beschließen, eine Zentral-, Kranken- und Sterbekasse der Töpfer und Berufsgenossen Deutschlands mit Sitz in Dresden und eine Zentral-Wander-Unterstützungskasse mit Sitz in Berlin zu gründen.

Juli 1884

Auf einem Schneiderkongreß in Gotha - 25 örtliche Fachvereine sind vertreten - wird der föderativ strukturierte "Zentralverband der Fachvereine der Schneider und verwandten Berufsgenossen Deutschlands" gegründet. Er soll der überregionalen Reiseunterstützung und der Auszahlung von Sterbegeldern dienen, aber ihm werden auch Funktionen zur Regelung des Arbeitslohnes und der Arbeitszeit übertragen. Die Entscheidung über allgemeine und partielle Streiks liegt bei den Lokalorganisationen. In einer Resolution wird betont, daß nur die Einführung eines gesetzlich geregelten Normalarbeitstages die traurige Lage des Schneidergewerbes verbessern kann und die Delegierten deshalb verpflichtet sind, mit allen Mitteln dafür einzutreten.
Weitere Beschlüsse betreffen ein Verbot der Militär- und Gefängnisarbeit, den Kampf gegen gesundheitsgefährdende Werkstätten, die Errichtung von Fachschulen, die Empfehlung eines Beitritts zu den Freien Hilfskassen und den Kampf gegen die im Entstehen begriffenen Innungen.

Der "Centralverband deutscher Industrieller" erklärt sich auf Entschiedenste gegen jede Einrichtung, durch welche die Arbeiter in besonderer Organisation, den Arbeiterausschüssen, den Arbeitgebern gegenübergestellt werden; denn eine solche würde nicht nur den Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeiter verstärken, sondern auch die absolut unentbehrliche Autorität der Betriebsleitung gefährden.

6. Juli 1884

Das erste Unfallversicherungsgesetz tritt in Kraft. An die Stelle der privatrechtlichen Haftpflicht tritt eine kollektive Haftpflichtversicherung der Unternehmer. Es gilt zunächst nur für einige besonders gefährdete Bereiche der Industrie - Bergwerke, Steinbrüche, Fabriken, Werften, gefährliche Baustellen und im Schornsteinfegergewerbe - wird aber bald ausgedehnt, so im Mai 1886 auf die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Die Beiträge werden allein von den Unternehmern aufgebracht. Die Beitragshöhe ist von der Größe des Unternehmens und der jeweiligen Unfallgefahr abhängig. Die Selbstverwaltung in berufsständischen Berufsgenossenschaften ist eine reine Unternehmersache. Die Arbeiter sind nur in den neu geschaffenen Spruchbehörden bis zur Spitze vertreten.
Die Unfallentschädigung wird gewährt bei tödlichen Arbeitsunfällen (Begräbniskosten und Hinterbliebenenrente), Arbeitsunfähigkeit (Lohnausfall - Rente bzw. Krankengeld in Höhe von zwei Dritteln seines Arbeitslohnes - und Arztkosten - nach der Krankenversicherung - ab der 14. Woche) und Invalidität (Renten).
An der Spitze der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung steht das Reichsversicherungsamt als oberste Rechtsprechungs- und Aufsichtsinstanz. Der bald danach gegründete "Verband der Deutschen Berufsgenossenschaften" bemüht sich gemeinsam mit dem Reichsversicherungsamt um die Ausarbeitung von Unfallverhütungsvorschriften, die im einzelnen durch Kommissionen, die sich paritätisch aus Vertretern der Arbeitnehmer und der Genossenschaftsvorstände zusammensetzen, konkretisiert werden. Bei Mißachtung können Unternehmer bzw. Arbeiter bestraft werden.
Die Sozialdemokraten stimmen gegen das Gesetz, weil nicht alle Arbeiter in die Haftpflicht einbezogen werden. Die zunächst vorgesehenen Arbeiterausschüsse werden wegen der "Gefahr einer Verschärfung des Klassengegensatzes" von der Mehrheit des Reichstages abgelehnt.
Während der Verhandlungen im Reichstag hatte A. Bebel Reichskanzler O. von Bismarck aufgefordert, er solle die Regierungen verschiedener Industrieländer zu einer internationalen Konferenz veranlassen, "in welcher völlig gleichmäßige und gemeinsame Feststellungen in bezug auf den Schutz der Arbeiter in Industrie, Handel und Gewerbe stipuliert (festgesetzt) werden."

31. August / 4. September 1884

Der Katholikentag in Amberg nimmt eine Antrag des Verbandes "Arbeiterwohl" an, in dem die Gründung christlicher Arbeitervereine empfohlen wird. Der Generalsekretär des Verbandes F. Hitze erklärt dazu: "Organisieren wir unsere christlichen Arbeiter, ehe es zu spät ist; organisieren wir sie in christlichen Vereinen, ehe der Feind in unseren eigenen Mauern ist! Wir müssen der organisierten Sozialdemokratie eine christliche Organisation entgegenstellen. Wir müssen aus unseren christlichen Arbeitern eine wohlgeschulte, wohlbewaffnete Armee bilden, die den Sozialdemokraten auch in die Fabrik und Werkstätten hinein folgt."
F. Hitze weist aber auch darauf hin, "daß die Sozialdemokratie nicht bloß eine intellektuelle Verirrung" sei, "sie erwachse aus den sittlichen Notständen unseres Volkes."
Nach den vom Vorstand des Verbandes "Arbeiterwohl" veröffentlichten "Grundzügen für die Organisation von christlichen Arbeitervereinen" sollen folgende "Standestugenden" gefördert werden: "Fleiß, Treue, Nüchternheit, Sparsamkeit, Familiensinn, Hebung des Standesbewußtseins". Politik ist ausgeschlossen. Materielle Zwecke können verfolgt werden: "Wesentlich sind dieselben nicht." Vor allem dürfen sie nicht die entsprechenden Einrichtungen der Arbeitgeber durchkreuzen, denn die "Arbeitgeber haben das erste Recht und die erste Pflicht für ihre Arbeiter zu sorgen." Streiks kommen nicht in Frage, doch darf kein Arbeiter, "der sich dieses gesetzlichen Mittels zu günstigerer Gestaltung des Arbeitsvertrages bedient" deswegen ausgeschlossen werden. "Der Verein als solcher und der Präses muß jede Beteiligung und Verantwortung ablehnen."
Es sollen neben den eigentlichen Arbeitervereinen auch Vereine für jugendliche Arbeiter und für Arbeiterinnen gegründet werden. An der Spitze jedes Vereins soll ein von der kirchlichen Behörde delegierter Geistlicher stehen. Evangelische Arbeiter können als "Teilnehmer" oder "außerordentliche Mitglieder" aufgenommen werden.

18. September 1884

Der Bundesrat beschließt die Verlängerung des kleinen Belagerungszustandes für Berlin, Hamburg und Umgebung sowie Leipzig und Umgebung für ein weiteres Jahr.

28./30. September 1884

Auf dem außerordentlichen Verbandstag der Hirsch-Dunckerschen-Gewerkvereine in Berlin werden die Statuten der Invalidenkasse des Verbandes den neuen gesetzlichen Bestimmungen angepaßt.

1. Oktober 1884

Die "Zentralkranken- und Sterbekasse der Sattler und Berufsgenossen Deutschlands" beginnt ihre Tätigkeit. Sie regt zur Gründung einer Reihe von Fachvereinen an.

Der "Allgemeine Deutsche Sängerverband" wird gegründet. Er organisiert zunächst Chorsängerinnen und -sänger sowie Inspizienten von Bühnen.
Der Verband bezweckt die Vertretung und Förderung der geistigen und materiellen Interessen seiner Mitglieder mit Ausschluß von politischen, sozialpolitischen und religiösen Fragen. Dieser Zweck soll u.a. erreicht werden durch "Erstrebung von zeitgemäßen, den Lebensbedürfnissen entsprechenden Gagen und Spielhonoraren auf gesetzlichem Wege, die Einführung eines speziellen Chorkontraktformulars, welches spezielle Leistungen zu enthalten hat sowie Rechtsschutz und Unterstützungsleistungen.

6. Oktober 1884

In Berlin wird aus den "Ortsvereinen der Kaufleute" der selbständige Verein "Verein der Deutschen Kaufleute" gegründet, der sich als 17. nationaler Gewerkverein dem "Verband der Deutschen Gewerkvereine" anschließt.
In der im Jahre 1885 festgelegten Satzung heißt es: "Der Verein der Deutschen Kaufleute bezweckt den Schutz und die Förderung der Rechte und Interessen seiner Mitglieder auf gesetzlichem Wege. Dieser Zweck soll hauptsächlich erreicht werden: durch Förderung des handelswissenschaftlichen Unterrichts, durch Regelung des Salärs gemäß den lokalen Lebensbedingungen, durch Hinwirkung, daß die Sonntgsarbeit bis auf das unerläßlich Notwendige abgestellt wird, daß das Lehrlingswesen zugunsten des Handelsstandes sowohl als auch der Lehrlinge selbst verbessert werde."

24. Oktober 1884

In Dresden wird die "Zentral-Kranken- und Sterbekasse für Fabrik- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts" gegründet. Sie wird im März 1886 - inzwischen auf mehr als 50 Filialen und rund 15.000 Mitglieder angewachsen - wegen "Insolvenz" geschlossen.

28. Oktober 1884

Die Sozialdemokraten erringen bei den Reichstagswahlen große Erfolge. 549.990 Stimmen = 9,7% werden für sie abgegeben, das sind 76% mehr als 1881. Sie gewinnen insgesamt 24 Mandate. Der sozialdemokratischen Fraktion gehören u.a. auch an Wilhelm Bock, der zwischen 1873 und 1878 Vorsitzender der Schuhmachergewerkschaft ist sowie Heinrich Meister, der seit 1868 die Tabakarbeiterorganisation in Hannover und seit 1882 den kontrollierenden Ausschuß der Zentralorganisation der Tabakarbeiter leitet. Der Wahlkampf hatte diesmal nicht wieder unter so starker polizeilicher Behinderung zu leiden. Der Reichstag hatte zudem beschlossen, daß die Anmeldung einer Wahlversammlung durch einen Sozialdemokraten und mit einem sozialdemokratischen Redner nicht unter die Bestimmungen des Sozialistengesetzes falle.
Das Zentrum behält bei der Wahl seine dominierende Stellung. Nach diesem Wahlerfolg der Sozialdemokraten werden die Bestimmungen des Sozialistengesetzes wieder schärfer angewandt; nach der kaiserlichen Botschaft von 1881 war eine "milde Praxis" durchgeführt worden.

9. November 1884

In Leipzig wird die "Unterstützungs-Vereinigung der Bürsten- und Pinselmacher" gegründet.

26. November 1884

O. von Bismarck erklärt im Reichstag: "Wenn es keine Sozialdemokraten gäbe, und wenn nicht eine Menge sich vor ihnen fürchtete, würden die mäßigen Fortschritte, die wir überhaupt in der Sozialreform bisher gemacht haben, auch noch nicht existieren."

12. Dezember 1884

Der Münchner Polizeipräsident stellt in einem Bericht fest: "In der Tat hat sich die Sozialdemokratie in den Fachvereinen ... eine Organisation der Arbeiterbevölkerung geschaffen, die ihr es ermöglicht, zahlreiche 'Arbeiter-Bataillone' jederzeit für ihre Interessen mobil zu machen."

25. Dezember 1884

Eine Versammlung von Gerbern aus sieben Städten gründet in Altona den "Zentralunterstützungsverband deutscher Gerber und Lederzurichter".
Der Verein bezweckt, sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Unterstützung an reisende und arbeitslose Mitglieder zu zahlen, untentgeltliche Arbeitsnachweise aufzubauen.
Das Verbandsorgan "Der Gerber" erscheint ab 1. Oktober 1886.

25./26. Dezember 1884

Der "Verband der Maler, Lackierer, Anstreicher und Tüncher und Weißbinder Deutschlands" wird wieder gegründet.
Trotz der sehr spezialisierten Arbeit und der unterschiedlichen Qualifikationen können bis 1890 in fünf größeren Städten - Bremen, Flensburg, Hamburg, Lübeck, München - Tarifverträge abgeschlossen werden. Sie gelten für gelernte und ungelernte Arbeiter. Die Tarifbewegungen werden von einer dem Vorstand unterstellten "Zentralprüfungskommission" koordiniert.

25./27. Dezember 1884

Nach der Gründung zahlreicher Branchenfachvereine aber auch von Metallarbeiterfachvereinen und einer ausführlichen Diskussion über die bessere Organisationsform findet in Gera ein Metallarbeiterkongreß statt. Vertreten sind 28 gemischte und 16 Berufsorganisationen - Klempner, Schlosser, Schmiede, Former - aus 30 Orten. Beim Zustandekommen dieses Kongresses spielt die "Deutsche Metallarbeiter-Zeitung" eine wichtige Rolle.
Die Delegierten beraten zunächst ausführlich über Fragen der lokalen Organisation und entscheiden sich gegen die Branchen- und für Metallarbeiterfachvereine und damit für das Prinzip der gewerkschaftlichen Organisation nach Industrieverbänden. Nur dort, wo es örtliche oder gesetzliche "Hindernisse" gibt, soll die Bildung von Branchenorganisationen weiterhin erlaubt sein. Die Delegierten begründen die Notwendigkeit einer "Organisation sämtlicher Metallarbeiter". "Die gewerkschaftliche Vereinigung der Arbeiter allein kann die durchgreifende Umgestaltung unserer heutigen Produktionsverhältnisse nicht ermöglichen, jedoch ist eine zeitweilige Verbesserung der Lage der Arbeiter zu erzielen, sobald eine Organisation sämtlicher Metallarbeiter herbeigeführt wird." Die Delegierten beschließen, die "Vereinigung der Metallarbeiter Deutschlands" zu gründen.
Die Vereinigung versteht sich als Zentralorganisation mit örtlichen Mitgliedschaften, die ihre bisherigen Namen beibehalten dürfen und nur mit dem Zusatz "Mitgliedschaft der Vereinigung ... " ergänzen sollen. Den lokalen Organisationen wird eine gewisse finanzielle Selbständigkeit eingeräumt, indem sie die Hälfte der Einnahmen zurückbehalten und für Wanderunterstützungen, Entschädigungen in Streikfällen und Gewährung von Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten verwenden dürfen.
Geleitet wird die "Vereinigung" von einem siebenköpfigen Ausschuß am Vereinssitz.
Diese Gewerkschaftsvereinigung besteht jedoch nur bis zum 19. August 1885. Die Behörden erklären sie und vielfach auch die ihr angeschlossenen Fachvereine zu "politischen Vereinen", um sie verbieten zu können. Da es zunächst nicht möglich ist, eine neue Zentralorganisation zu schaffen, werden nach dem Prinzip des Berufsverbandes wieder zentralisierte Branchenverbände der Metallarbeiter gebildet.
Die "Deutsche Metallarbeiter-Zeitung" wird nicht verboten und nennt sich um in "Organ der Metallarbeiter-Fachvereine Deutschlands".

27. Dezember 1884

Der Berliner Polizeipräsident übergibt dem preußischen Innenminister eine Denkschrift "Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland", in der er feststellt, daß die geringe Lebenskraft der "Gewerkvereine" sich namentlich auch darin zeige, daß "dieselben auch nach der zeitweiligen völligen Beseitigung der sozialdemokratischen Konkurrenz durch das Sozialistengesetz nicht weiter Wurzel zu schlagen vermochten. Neuerdings hat der Versicherungszwang des Krankenkassengesetzes diese Gewerkvereine wieder zu einem gewissen Aufflackern gebracht und ihnen, ihrer Krankenkassen wegen, eine Anzahl neuer Mitglieder zugeführt.
Die mannigfachen, in den Einrichtungen der 'Gewerkvereine' hervorgetretenen Mängel, der an Despotismus streifende Zentralismus in der Organisation und das steigende Mißtrauen der Arbeiter in das von den 'Gewerkvereinen' proklamierte Prinzip der bloßen Selbsthilfe, wird für die Gewerkvereine auch für die Folge 'nur eine kümmerliche Entwicklung' prognostiziert.
Umso lebenskräftiger haben sich von jeher die von der sozialdemokratischen Parteileitung vor Erlaß des Sozialistengesetzes als 'Gewerkschaften' begründeten oder begünstigten Vereinsbildungen erwiesen.
Die besondere Eigentümlichkeit der (deutschen) Gewerkschaftsbewegung und zugleich die Hauptquelle der Schwierigkeiten für die Behandlung derselben seitens der Behörden liegt jedenfalls in dem Zusammenfließen wirtschaftlicher und politischer Tendenzen, welche bei den gegenwärtig bestehenden Gewerkschaften nicht sowohl in dem offiziellen Programm als in dem tatsächlichen Verhalten derselben hervortritt.
Erstreckt sich die politische Tendenz der Gewerkschaften nur auf die Mittel zur Durchführung eines an sich unpolitischen wirtschaftlichen Programms (Regelung der Arbeitszeit, des Arbeitslohnes, der sonstigen Arbeitsbedingungen, der Frauen- und Kinderarbeit und dergleichen), so entspringt dieselbe durchaus naturgemäß der richtigen Erwägung, daß ein derartiges Programm in großem Stil und mit nachhaltiger Wirkung kaum allein durch den bloßen Druck der vereinigten Arbeiter auf die Arbeitgeber, sondern, wenn überhaupt, so nur unter Mitwirkung politischer Faktoren, insbesondere der Gesetzgebung, verwirklicht werden kann.
Weniger natürlich, aber auf die Dauer gleichfalls schwer vermeidlich erscheint das Eindringen der politischen Tendenz auch in die 'Ziele' der Gewerkschaftsbewegung. Die Anknüpfung der gewerkschaftlichen Agitation an gewisse, den Arbeitern in ihren Tagessorgen besonders empfindliche Punkte bringt die Leiter der gewerkschaftlichen Organisationen in ein ganz besonders enges persönliches und sachliches Verhältnis zu ihren Gewerksgenossen. Der Besitz der gewerkschaftlichen Vertrauensposten wird also von Natur zu einem Machtmittel von so besonderer Bedeutung, daß es nur zu begreiflich ist, wenn politische Parteien sich um denselben aufs eifrigste bemühen. Dafür bilden die Verbände im allgemeinen eine Elitetruppe. Deshalb sind die Fachverbände das sicherste Mittel zur Beherrschung der Arbeitermassen."

Die meisten Fachvereine werden als Sammelpunkte sozialdemokratischer Elemente geschildert. Besonders groß sei der Einfluß in den Organisationen der Manufakturarbeiter, Maurer, Metallarbeiter, Schneider, Schuhmacher, Tabakarbeiter und Tischler.
Dem Polizeipräsidenten sind z.Z. 13 gewerkschaftliche Zentralverbände bekannt:
Allgemeiner Weißgerber-Verband (Sitz: Altenburg);
Verband der Glacéhandschuhmacher (Sitz: Altenburg);
Deutscher Xylographenverband (Sitz: Stuttgart);
Unterstützungsverein Deutscher Buchdrucker (Sitz: Stuttgart);
Unterstützungsverein deutscher Hutmacher (Sitz: Leipzig);
Unterstützungsverein der Bildhauer Deutschlands (Sitz: Stuttgart);
Verband deutscher Zimmerleute (Sitz: Berlin);
Zentralverband der deutschen Tischler- (Schreiner-) Vereine (Sitz: Stuttgart);
Deutscher Manufakturarbeiter und -arbeiterinnenverein (Sitz: Gera);
Zentralverband der Schneider und verwandten Berufsgenossen Deutschlands (Sitz: Hamburg);
Verband der Steinmetzen Deutschlands (Sitz: Berlin);
Unterstützungsverein deutscher Schuhmacher (Sitz: Gotha);
Reiseunterstützungsverein deutscher Tabakarbeiter (Sitz: Bremen).
Der Polizeipräsident stellt weiter fest: "Die Statuten dieser Verbände sind häufig nach Form und Inhalt denjenigen der älteren aufgelösten Gewerkschaften sehr ähnlich.
Die Gewerkschaftsbewegung bleibt noch gegenüber der Zentralkassenbewegung zurück, obwohl die treibenden Elemente bei beiden durchaus die gleichen sind.
Gleichwohl kann aus solchen Verhältnissen in Zukunft keineswegs auf eine geringere Lebensfähigkeit der Gewerkschaftsbewegung geschlossen werden, obwohl das Fernbleiben von den Krankenkassen eher zu spüren ist als von den Gewerkschaften. Leute ohne vorausblickenden Gemeinsinn sich daher von den Fachorganisationen umso eher auszuschließen geneigt sind, als die Mitglieder derselben leicht in eine sehr exponierte Stellung gegenüber den Arbeitgebern und den Behörden geraten, und die von den Verbänden erreichten Erfolge häufig von selbst auch den außerhalb derselben stehenden Gewerksgenossen zugute kommen."
Der Polizeipräsident äußert gegen eine strengere Anwendung der verschiedenen Gesetze Bedenken, da damit "auch wertvolle und immer unentbehrlicher werdende Organe zur Vertretung berechtigter wirtschaftlicher Fachinteressen vernichtet werden". Auch ließen sich neue Organisationsbestrebungen nicht völlig ausschalten, "so drängt sich die Frage auf, ob nicht der Versuch an der Zeit ist, in positiver Weise die Gewerkschaftsbewegung bei der Auffindung der richtigen Ziele zu unterstützen und derselben einen festen gesetzlichen Boden zu bereiten, auf welchem ihre naturwüchsigen wirtschaftlichen Bestrebungen zu einer gesunden Entwicklung gelangen könnten, gleichzeitig aber allen schädlichen Abirrungen im staatlichen und gesellschaftlichen Interesse ausreichend vorgebeugt wäre."
Er schlägt deshalb ein Reichsgesetz vor, das den Wirkungskreis und die besonderen Rechte der gewerkschaftlichen Organisationen klar und deutlich abgrenzt, wie andererseits die Stellung der Staatsgewalt zu derselben einheitlich zu regeln hätte.
"Durch den Erlaß eines Reichsgesetzes würde der Staat nicht nur großen sozialen Gefahren vorbeugen, sondern auch den Anfang zu der korporativen Ausgestaltung des Arbeiterstandes machen, nach welcher derselbe, dem heutigen Zuge der Zeit entsprechend, ebenso wie andere Erwerbsstände instinktiv zu ringen scheint."
Die Denkschrift wird zu den Akten gelegt.

Ende 1884

11 der in der Denkschrift genannten Verbände organisieren qualifizierte Handwerksberufe, 2 - Manufakturarbeiter und Tabakarbeiter - haben keinen auf ein Handwerk begrenzten Organisationsbereich.
Beide Verbände bemühen sich um die Beschäftigten eines Industriesektors. Sie unterscheiden sich auch darin von den reinen Berufsverbänden, daß sie auch Frauen und ungelernte Arbeiter als Mitglieder aufnehmen.
Die Organisationsformen sind noch sehr vielfältig. Vorherrschend ist noch der berufliche Fachverein auf lokaler Ebene. Doch da die Organisationen in hohem Maße von den Behörden abhängig sind, bilden sich die unterschiedlichsten regionalen und strukturellen Verbände.
So werden, da die Mehrzahl der Handwerker und Arbeiter nicht organisiert sind, häufig bei Entscheidungen über einen Streik alle ortsansässigen Berufsgenossen in öffentlichen Versammlungen hinzugezogen.
Trotz der Strukturveränderungen im Handwerk liegt das Schwergewicht der Gewerkschaftsbewegung noch bei den ausgebildeten Handwerkern aus Klein- und Mittelbetrieben. Der Organisationsgrad ist noch sehr gering.
Ende 1884 bestehen etwa 200 Fachvereine mit 15.000 Mitgliedern. Bei der Berufszählung 1882 waren 7,341 Millionen Arbeiter gezählt worden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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