FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




1872 / 1874

In diesen Jahren werden eine Reihe von Berufsgewerkschaften gegründet, so z.B. von Sattlern, Schuhmachern, Schreinern, Holzarbeitern, Maurern, Formern, Stellmachern, Schiffszimmerern, Töpfern, Zimmerern, Buchbindern, Lithographen und Steindruckern sowie von Tabakarbeitern und auf einem Kongreß der Metallarbeiter Anfang April 1874 der "Allgemeine Deutsche Metallarbeiterverband".
Eine Anzahl dieser Verbände hält sich gegenüber den beiden politischen Richtungen neutral, die Holzarbeiter, die Metallarbeiter und Schuhmacher stehen dagegen zunächst unter lassalleanischem Einfluß.

In diesen Jahren werden in einzelnen Berufszweige lokale Tarifverträge vereinbart:
1872: im Steinmetzgewerbe Berlin; in der Ofensetzer- und Formerbranche in Hamburg und in der Remscheider Feilendinustrie, in Metallbetrieben Solingens.
1873: im Steinmetzgewerbe Hamburg und Leipzigs; in weiteren Metallbetrieben Solingens und 1874 in der Ofensetzer- und Formerbranche Hamburgs.
Der Berliner Steinmetztarifvertrag enthält Richtlinien zur Bildung einer paritätischen Überwachungskommission und zur Besetzung eines Einigungsamtes. Der Vertrag der Hamburger Ofenarbeiter setzt eine zehnstündige Arbeitszeit und differenzierte Lohnsätze für Ofensetzer und -former fest; im Tagelohn soll "nach Fähigkeiten und der Arbeitszeit des Arbeiters bezahlt werden", wobei "diese Theile daher auf gegenseitiger Übereinkunft beruhen sollen". Ausgehandelt wird der Vertrag von einem paritätisch besetzten "Comité" der Meister und Gesellen. Die Arbeiter der Remscheider Feilenproduktion handeln bereits differenzierte Lohnnormen aus.

1872

Der "Deutsche Gärtnerverband" wird gegründet. Er dient der Fachbildung und der Geselligkeit. In diesem Verband sind Arbeitgeber und Gehilfen organisiert.

Gustav Schmoller erklärt, "daß man unter allen Umständen den Gewerkvereinen ihre Sterbe- und Krankenkassen, ihre Invalidenkassen lassen muß. Ohne diese Kassen fehlt den Gewerkvereinen die wichtigste äußere Funktion und Tätigkeit, ohne diese Kassen werden sie bloß Streikvereine, die Händel suchen, nur um etwas zu tun zu haben".

4. April 1872

Reichskanzler O. von Bismarck wendet sich in einem Schreiben an Kaiser Wilhelm I. Seine Absicht ist, dem Kaiser hinsichtlich der "sogenannten Internationalen als einer augenblicklich die ... ganze civilisierte Welt durchziehenden Krankheit", Mittel und Wege vorzuschlagen, die allein zur Überwindung der Auswirkungen dieser Krankheit erfolgversprechend genutzt werden könnten. Nach Darlegung der "Ursache" dieser Krankheit, "... daß die besitzlosen Massen in dem Maß als ihr Selbstgefühl und ihre Ansprüche am Lebensgenuß allmählich steigen, sich auf Kosten der Besitzenden Klassen die Mittel zur Befriedigung dieser Ansprüche zu verschaffen streben...", entwirft Bismarck ein Grundsatzprogramm, von dem er die Wirkung eines "Heilungsprozesses" erwartet. Statt in der Anwendung "repressiver Mittel" sieht er in einem "... sehr langsamen Werk teils der fortschreitenden Bildung und Erfahrung, teils einer Reihe, die verschiedensten Gebiete des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührender legislativer und administrativer Maßregeln" die Möglichkeit, "...die Hindernisse tunlichst zu beseitigen, die der Erwerbsfähigkeit der besitzlosen Klassen im Wege stehen". Darüber hinaus hält er Präventivmaßnahmen der Regierung für erforderlich, um "... die Gesellschaft gegen den Versuch eines gewaltsamen Angriffs auf den Bestand des Besitzes zu schützen...".

April/Mai 1872

Die Streikbewegung gegen die ständige Erhöhung der Lebenshaltungskosten, für höhere Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit erreicht ihren Höhepunkt. Von den über 250 Streiks im Jahre 1872 beginnen etwa 85 im April und Mai, u.a. der vierwöchige Ausstand der 1.300 Schneider in Hamburg und Altona am 12. April, der Streik der 2.000 Hamburger Tischler am 16. April und der 6.000 Berliner Tischler am 28. April, der zehnwöchige Ausstand der rund 8.000 Berliner Maurer und Zimmerer am 20. April. Die Hamburger Former stehen ab 13. April im Ausstand, sie erreichen die Anerkennung ihrer Forderungen erst nach 19wöchigen erbittertem Kampf.
Auch in der Metallindustrie kommt es zu größeren Ausständen.
In fast allen diesen Arbeitskämpfen können die Arbeiter Erfolge erzielen, nicht zuletzt wegen der bestehenden Hochkonjunktur. Die z.T. sehr ungleichen Ergebnisse der Streiks sind auf die örtlich unterschiedlichen Stärken der Organisation zurückzuführen.

Mai 1872

Der Anfang Februar 1872 in Berlin gegründete "Verein der Maschinenfabrikanten, Eisengießereien- und Hüttenwerksbesitzer sowie verwandter Industrieller" empfiehlt seinen Mitgliedern als Kampfmittel gegen Streikende gekennzeichnete Abgangszeugnisse und schwarze Listen.
"Soll denn eine kleine Handvoll Sozialdemokraten unsere Arbeiter demoralisieren und terrorisieren? Sind wir nicht moralisch verpflichtet, das unsere zu tun, statt schüchtern uns auf das Abwarten zu legen, bis wir dann überrascht werden?"
Auch die selbständigen Handwerker beginnen sich in Branchenorganisationen zusammenzuschließen, um sich vor allem gegen die Forderungen der Arbeiter zu wehren.

18./25. Mai 1872

Eine Generalversammlung der Tabakarbeiter in Hannover beschließt, daß nur Mitglieder bei Streiks unterstützt werden sollen. Prinzipiell erklärt sich die Generalversammlung gegen Streiks für Lohnerhöhungen, da sie nicht imstande seien, die Lage der Arbeiter durchgreifend und auf die Dauer zu verbessern. Die Gewerkschaft nennt sich nun "Deutscher Tabakarbeiterverein".

19./21. Mai 1872

In Berlin findet der zweite Webertag statt, auf dem u.a. auch der "Allgemeine Deutsche Weber- und Manufakturarbeiterbund" gegründet wird, der alle bestehenden und noch zu gründenden Vereine, Innungen und Mitgliedschaften aufnehmen will, welche in das Fach der Manufakturarbeiter einschlagen. Auch die Weberinnen sollen in den Verband aufgenommen werden. Der Bund, dem sich auch die "Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter" anschließt, besteht nur bis 1873.
Die Stimmung innerhalb der Textilarbeiterschaft ist sehr schlecht.
Der Webertag warnt aber vor der Zerstörung von Maschinen.
"... daß die Mechanik wohl die Arbeitskraft überflüssig und die Arbeiter brotlos macht, daß dieselbe aber nicht zu vernichten oder zu reduzieren sei, sondern daß die gesellschaftlichen Verhältnisse so umzugestalten seien, daß dieselbe nicht mehr wie bisher ausschließlich im Dienste des Kapitals stehe und nicht bloß einzelnen, sondern allen Menschen zugute kommen."
Der Zweite deutsche Webertag akzeptiert außerdem die von Herrn Franz gemachte Aufforderung an alle Genossen, den Wahn durch Aufklärung zerstören zu helfen, daß durch Vernichtung der Mechanik dem Weber und Manufakturarbeiter geholfen sei und ersucht, dieselben von Gewaltakten abzumahnen."

19./24. Mai 1872

In Hamburg wird der "Allgemeine deutsche Formerbund" gegründet, der zunächst zum ADAV tendiert.

22./25. Mai 1872

Die Generalversammlung des ADAV in Berlin ist der Auffassung, alle innerhalb des Vereins bestehenden Gewerkschaften so bald wie möglich aufzulösen und die Mitglieder dem ADAV zuzuführen: "Eine weitere Ausdehnung der Streikkassen ist als eine Störung der Zentralisation der Arbeiter nicht praktisch."

27. Mai 1872

In Kassel wird der "Verein der deutschen Zigarren- und Tabakfabrikanten" gegründet. Er schreibt die Führung schwarzer Listen vor. Daneben versucht er die Arbeiter zu gewinnen, indem er solchen Arbeitern, die längere Zeit in einer Fabrik gearbeitet haben, falls sie versehen sind "mit dem Zeugnis der Unbescholtenheit und durch Alter und Krankheit arbeitsunfähig werden", eine Unterstützung in Aussicht stellt, soweit es die Vereinsmittel erlauben. Der Verein der Fabrikanten in der Porzellan-, Ton- und Steingutindustrie ruft direkt "gelbe Vereine" ins Leben. Er zwingt die Arbeiter zur Bildung von Lokalvereinen und Lokalkassen mit Beteiligung der Fabrikanten. Die Arbeitgeber des Baugewerbes schlagen im Mai 1872 vor, ein Streikpostenverbot zu erlassen, um "den freien Willen des einzelnen vor der Tyrannei, Diktatur, Gewalttätigkeit der Masse zu schützen".

27./28. Mai 1872

Auf der Generalversammlung des Allgemeinen Arbeiterunterstützungsverbandes in Berlin vertreten 18 Delegierte rund 8.300 Mitglieder. Die Delegierten - obwohl weitgehend auch auf der Generalversammlung des ADAV anwesend - lassen den Auflösungsbeschluß unbeachtet.
Die Generalversammlung ändert das Statut und führt die berufliche Gliederung wieder ein: "Es können die Arbeiter ein und desselben Gewerkes überall da, wo sie es für nötig halten, eine eigene Mitgliedschaft des Unterstützungsverbandes gründen und derselben einer der betreffenden Gewerkschaft entsprechenden Namen beilegen." Trotzdem bleibt die einheitliche Zentralorganisation bestehen.
Nach dem Vorbild des bisherigen einzigen korporativen Mitglieds, des "Allgemeinen deutschen Maurervereins", sollen die Mitglieder der angeschlossenen Vereine gegen Zahlung eines ermäßigten Beitragssatzes bei Streiks und Aussperrungen die gleichen Unterstützungsansprüche erhalten, wie die direkten Verbandsmitglieder.
In der Praxis bewirkt der Beschluß nichts, da der Maurerverein, dessen Verhältnis zum Unterstützungsverband das Modell für diesen Beschluß bildet, gleichzeitig seinen Austritt wegen der Ineffektivität des Verbandes als Streikunterstützungsaktion erklärt.
Hinzu kommt, daß die lokalen Fachvereine in diesen Jahren zwar den Anschluß an oder die Gründung von überregionalen Fachorganisationen anstreben, aber Mischverbände als weniger effektiv ansehen.

2. Juni / 28. Juli 1872

Bergarbeiter im Ruhrgebiet fordern eine 25%ige Lohnerhöhung als Anteil an den enormen Gewinnen der Grubenbesitzer und die 8-Stunden-Schicht.
Vierzehn Tage später wird der Streik ausgerufen, an dem sich ca. 20.000 Bergleute weitgehend aus dem Essener Raum beteiligen.
Die Grubenbesitzer weigern sich, die Arbeiter auch nur anzuhören. Die Lage für die Bergarbeiter verschlechtert sich mangels ausreichender finanzieller Unterstützung und der unnachgiebigen Haltung der Unternehmer. Der Streik bröckelt ab. Ende Juli nehmen die letzten Arbeiter die Arbeit wieder auf.
Dem nach den Erfahrungen dieses Streiks am 13. Oktober 1872 gegründeten "Rheinisch-Westfälischen Grubenarbeiterverband" wird die behördliche Genehmigung nicht erteilt.
Der Verband will "unter Ausschließung aller politischen und religiösen Fragen, lediglich die Ehre und die materiellen Interessen der Mitglieder wahren und fördern". Dazu gehören die Regelung der Arbeitszeit, unentgeltliche Berufsausbildung auf den Bergschulen, Rechtsschutz und ein Streikfonds. Nach dem vorgesehenen Streikreglement "dürfen Arbeitseinstellungen von Verbandsmitgliedern nicht willkürlich unternommen werden, sondern müssen vorher und rechtzeitig der Prüfung der Verbandsbehörde unterbreitet werden".
Eine Kranken- und Sterbelade soll errichtet werden. Aber als Aufgaben wird auch genannt: "Pflege des Frohsinns und der geistigen und körperlichen Ausbildung nach allen Richtungen".

8. Juni 1872

In einem Artikel im "Volksstaat" führt A. Bebel das Daniederliegen der deutschen Gewerkschaften auf den Parteistreit zurück, der noch nicht einmal ein Streit um Grundsätze, sondern um Formeln und Worte sei. A. Bebel hofft, daß dieser Streit durch die Gewerkschaften beseitigt werde. "In den Gewerksgenossenschaften liegt das Mittel, die jetzt bestehende Spaltung unter den Arbeitern zu beseitigen. Sind die Arbeiter erst von der Notwendigkeit der Gewerksgenossenschaftsorganisationen überzeugt, so werden sie auch schnell einsehen, daß dann die politische Verhetzung nicht mehr fortdauern darf; das Bedürfnis nach Einigung und Verständigung wird rasch wachsen. In der Gewerksgenossenschaft beruht die Zukunft der Arbeiterklasse; sie ist es, in der die Massen zum Klassenbewußtsein kommen, den Kampf mit der Kapitalmacht führen lernen, und welche so naturgemäß die Arbeiter ohne äußeres Zutun zu Sozialisten macht".
Eine "Union" der Gewerkschaften sei notwendig, denn nur diese könne die erforderliche systematische Agitation betreiben. Die Union könne aber kein allgemeiner Mischmasch sein, sondern eine Organisation nach Gewerken, da auch den Arbeitern das Hemd näher sei als der Rock.

15./17. Juni 1872

In Erfurt findet ein von Mitgliedern der "Eisenacher Partei" unter besonderer Aktivität von Th. Yorck organisierter Gewerkschaftskongreß statt, an dem 52 Delegierte teilnehmen. Sie vertreten rund 11.000 Gewerkschaftsmitglieder. Mehr als die Hälfte der auf dem Kongreß vertretenen Mitglieder der Internationalen Gewerksgenossenschaften lebt in Sachsen. Ein weiterer regionaler Schwerpunkt der Gewerkschaftsbewegung ist Süddeutschland, vor allem mit lokalen Fachvereinen.
Der Kongreß beschließt: "In Erwägung, daß die Kapitalmacht alle Arbeiter, gleichviel, ob sie konservativ, fortschrittlich, liberal oder Sozialdemokraten sind, gleich sehr bedrückt und ausbeutet, erklärt der Kongreß es für die heiligste Pflicht der Arbeiter, allen Parteihader beiseite zu setzen, um auf dem neutralen Boden einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation die Vorbedingung eines erfolgreichen kräftigen Widerstandes zu schaffen, die bedrohte Existenz sicher zu stellen und eine Verbesserung ihrer Klassenlage zu erkämpfen."
Der Kongreß spricht sein Bedauern darüber aus, "daß die Generalversammlung des 'Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins' in Berlin einen gegenteiligen Beschluß gefaßt hat".
Die vorgesehene "Gewerkschaftsunion" will: "die Vereinigung der deutschen Gewerksgenossenschaften, Gewerk- und Fachvereine, welche die materielle Besserung und geistige Hebung der Arbeiterklasse zu erreichen bestrebt sind".
Die "Union" soll also alle gewerkschaftlichen Arbeiterkreise Deutschlands, die sich in selbständige Gewerkschaften, Fachvereine und gemischte Gewerkschaften organisiert haben, umfassen.
Die "Union" soll die Gewerkschaftsmitglieder bei Streiks unterstützen und bei Maßregelungen Rechtsschutz gewähren, die Arbeitsvermittlung regeln, statistische Ermittlungen über die Lage der Arbeiter in Beziehung auf Löhne, Arbeitszeit, Lebensstellung fördern, Versicherungsbanken für Krankheits-, Invaliden- und Sterbe-, sowie Wanderunterstützungskassen gründen, Produktivgenossenschaften fördern sowie Zeitungen zur Förderung der Vereinszwecke gründen und die weitere Agitation dafür kräftig unterstützen.
Jede der "Union" beitretende Gewerkschaft oder jeder Fachverein soll auch zukünftig seine Satzungen selbständig bestimmen. Sie müssen jedoch mit dem Statut oder den Kongreßbeschlüssen der "Union" vereinbar sein.
Jede zur "Union" gehörende Organisation soll vierteljährlich den durch Kongreßbeschluß pro Mitglied und Monat festgesetzten Beitrag und einen statistischem Bericht an die "Union" einsenden.
Jedes Mitglied einer zur "Union" gehörenden Gewerkschaft oder eines Fachvereins usw. soll verpflichtet werden:
In Orten, wo eine eigene Gewerkschaft noch nicht besteht, einer anderen beizutreten.
An allen Orten, wo die Zahl der Arbeiter zu gering ist, um Mitgliedschaften verschiedener Gewerkschaften zu gründen, können gemischte Gewerkschaften errichtet werden.
Jede örtliche Unionsgewerkschaft soll einen Lokalausschuß wählen, der wiederum einen Sekretär und Kassierer wählt, denen die Verwaltung und Leitung obliegen soll.
Die Leitung der "Gewerkschaftsunion" soll ausgeübt werden:
durch den Kongreß, durch einen Ausschuß, welcher die Ausführung der Beschlüsse des Kongresses zu fördern, zu schützen und streng zu überwachen, sowie die "Union" nach innen und außen zu vertreten hat; alle Vereine, Lokal- und Gewerkschaftsausschüsse können von ihm zur Rechenschaft gezogen werden; durch eine Kontrollkommission als überwachende Behörde.
Der Zentralausschuß soll bestehen aus dem Vorsitzenden, einem Sekretär und deren Stellvertreter, einem Kassierer und soviel Beisitzern, als Gewerkschaften in der "Union" vertreten sind, der Sitz des Zentralausschusses durch den Kongreß bestimmt.
Sache des Zentralausschusses ist es u.a.: die statistischen Erhebungen zu veranlassen, zu leiten und zu ordnen, bei Arbeitseinstellungen auch entscheiden, ob sie zur Unionssache zu machen seien und wie hoch die Unterstützungssätze sein sollen. Die Hälfte der Unterstützungen haben die betreffenden Gewerkschaften aufzubringen. Es dürfen nur Mitglieder unterstützt werden, denen die Unterstützungen als Darlehen gegeben wird, das zurückzuzahlen ist, wenn die Arbeit ohne Genehmigung aufgenommen wird.
Alljährlich soll ein Kongreß der "Gewerkschaftsunion" stattfinden aus den eigens hierzu gewählten Vertretern der einzelnen Gewerkschaften und Fachvereine usw.
Zu den Funktionen des Kongresses sollen u.a. gehören:
den Sitz des Zentralausschusses und der Kontrollkommission zu bestimmen; die Prüfung bzw. Entlastung der betreffenden Funktionäre; über Agitationsmittel und Statutenabänderungen zu beschließen; die Gehälter der Funktionäre zu bestimmen.
Außer den regelmäßigen Beiträgen soll die "Union" die Eintrittsgelder der gemischten Mitgliedschaften, die etwaigen Überschüsse der Zeitung und die Überschüsse aller für Unterstützungszwecke gesammelten Gelder erhalten.
Der Kongreß beschließt, daß die Frauenarbeit in Fabriken und Werkstätten abzuschaffen ist.
Als Zentralorgan soll "Die Union", Organ der deutschen Gewerksgenossenschaften, Gewerk- und Fachvereine, wöchentlich als Beilage des "Volksstaates" erscheinen.
Ein Antrag, alle Gewerkschaften aufzulösen und einen einheitlichen Verband zu schaffen, wird mit 37 gegen 15 Stimmen abgelehnt.
Die Leitung des Komitees wird nach Leipzig gelegt, wo die Polizei jedoch eine aktive Arbeit verhindert.
Die Beschlüsse und die Satzungen werden nicht praktiziert. Das liegt zum einen daran, daß die Polizei und Justiz ihre Angriffe gegen die Gewerkschaften verstärken, auch wirkt sich die Wirtschaftskrise von 1873 bald erschwerend auf die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung und damit auf die Verwirklichung der Erfurter Beschlüsse aus. Zum anderen befürchten Gewerkschafter, die zentralen Gewerkschaften würden durch die Gewerkschaftsunion nicht gestärkt, sondern wegen der großen Zugeständnisse gegenüber den Fachvereinen geschwächt. Und schließlich wird die ganze Tragweite der Erfurter Beschlüsse vielfach nicht erkannt, weil es selbst unter den Mitgliedern der SDAP und der Gewerksgenossen oft noch Unklarheiten über den Charakter und die Rolle der Gewerkschaften und über deren Verhältnis zur Partei gibt.

30. Juni 1872

In Berlin wird der "Allgemeine Deutsche Sattlerverein" gegründet und Ignaz Auer zum Vorsitzenden gewählt.

Der Sattlerverband schließt sich keiner der beiden politischen Richtungen an und wählt deshalb sowohl den "Volksstaat" wie den "Neuen Social-Demokraten" zu seinen Publikationsorganen.

2. August 1872

Der "Allgemeine Weißgerberverband Deutschlands" wird in Berlin gegründet.

11. September 1872

In Mainz findet eine Konferenz der unter dem Einfluß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei stehenden Gewerkschaften statt. Th. Yorck berichtet, daß die Konstituierung der vom Erfurter Gewerkschaftskongreß im Juni beschlossenen Gewerkschaftsunion durch Polizeischikanen verhindert wurde. Die Konferenz beauftragt Th. Yorck, in Hamburg ein provisorisches Komitee zu bilden, das die Verbindung der Gewerkschaften zur gegenseitigen Unterstützung organisieren soll. Doch auch dieses Komitee kommt nicht zustande.

Nach dem Ruhrbergarbeiterstreik werden die Behörden durch einen Ministerialerlaß darauf hingewiesen, bei Streiks auf den Schutz der Arbeitswilligen zu achten und "Exzesse, wie sie bei Arbeitseinstellungen in der Regel vorzukommen pflegen", strafrechtlich zu verfolgen.

12. September 1872

In Berlin wird der "Allgemeine Deutsche Musiker-Verband" gegründet. Der Verband erstrebt die "Hebung und Sicherung der materiellen Lage" sowie der gesellschaftlichen Stellung des Musikerstandes durch Förderung und Pflege der geistigen Interessen seiner Mitglieder und des öffentlichen Musiklebens.

15./16. September 1872

Auf ihrer Generalversammlung in Erlangen verlangen die Handschuhmacher, daß pro Handschuhmacher nur jeweils ein Lehrling arbeiten darf.

6./10. Oktober 1872

Der "Allgemeine Tischlerverein" wird gegründet. Der Verein steht zunächst dem ADAV nahe.

7./8. Oktober 1872

Die "Kathedersozialisten" sprechen sich auf einer Tagung in Eisenach für die Koalitionsfreiheit und die Einrichtung von Einigungsämtern und Schiedsgerichten aus.
Die Tagung in Eisenach führt zur Gründung des "Vereins für Sozialpolitik", nachdem sich der "Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen" zur Unternehmerorganisation entwickelt hatte. Die Mitglieder - Wissenschaftler, Politiker, Geistliche, Journalisten und Arbeitgeber - fordern vom Staat ein Eingreifen in die Einkommensentwicklung, die Verhinderung liberaler Auswüchse - z.B. ein Bank- und Versicherungskontrollamt - eine wirksamere Fabrikgesetzgebung, einen stärkeren Einfluß der Arbeitnehmer auf den Arbeitsvertrag, die Verbesserung der Wohnverhältnisse, eine höhere Volksbildung und Enqueten zur sozialen Frage. Gustav Schmoller, Lujo Brentano und Adolph Wagner spielen eine wichtige Rolle in diesem "Stoßtrupp der Sozialreform".

November 1872

Auf einer geheimen Konferenz österreichischer und preußischer Ministerialbeamter sind sich diese darin einig, daß Einigungsämter nur dann "segensreich wirken würden, wenn sie aus der freien Initiative der Interessenten hervorgingen. Die Gesetzgebung könne später nachhelfen".

12. November 1872

Die "Dresdner Bank" wird gegründet.

17./20. November 1872

In Berlin wird der "Allgemeine Schuhmacherverein" gegründet, der dem ADAV nahesteht, sich aber nicht dem Arbeiterunterstützungsverband anschließt. Der Vorstand wird beauftragt, für alle Provinzen einen Musterlohntarif auszuarbeiten. Am 25. August 1874 wird der Verein "gerichtlich geschlossen".

23./26. November 1872

Der Kongreß des "Deutschen Tabakarbeitervereins" in Leipzig beschließt, daß die Vereinigung aller sozialdemokratischen Arbeiter in einer starken politischen Organisation die Grundbedingung der Einigung in den Gewerkschaften sei.

Dezember 1872

Der "Verein der deutschen Steinmetzen" wird gegründet. Er tendiert zur Sozialistischen Arbeiterpartei.

8. Dezember 1872

Der "Allgemeine deutsche Schiffszimmererverein" wird gegründet.

1873

Aus der "Vierteljahresschrift für öffentliche Gesundheitspflege" entsteht der "Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege", dessen nachhaltige Wirksamkeit in zunehmendem Maße auch von der Arbeiterbewegung anerkannt wird. Die Tätigkeit des Vereins umfaßt Städte- und Wohnungsbau ebenso wie Arbeitsplatzsicherung, Kindermedizin, Bekämpfung der Ursachen von Seuchen, Alkoholismus, Prostitution, statistisch-wissenschaftliche Erhebungen und legislativ-administrative Anregungen in den unterschiedlichsten Bereichen.

In einer vom Deutschen Handelstag veranstalteten Enquete über die Arbeitseinstellungen in Deutschland klagen die Unternehmer über die in Folge der zahlreichen Streiks "immer mehr zunehmende Demoralisation des Arbeiterstandes", die eine "Steigerung und Vergiftung des Klassenzwiespaltes" bewirken müsse.

In dem Entwurf eines politischen Programms "Die Katholiken im Deutschen Reich" fordert Bischof W. E. v. Ketteler u.a.: Verbot der Arbeit für Kinder unter 14 Jahren sowie der verheirateten Frauen, der Sonntagsarbeit, einen Normalarbeitstag von 10 oder höchstens 11 Stunden und eine Fabrikaufsicht.

8./11. Januar 1873

In Hamburg wird der "Verband der Schiffszimmerer" gegründet. Verbandsorgane werden der "Volksstaat" und der "Neue Social-Demokrat".
In § 1 der Statuten heißt es u.a.: Doch soll die Förderung und Ausbreitung der Idee, das Löhnungssystem in jeder Form zu beseitigen und an Stelle der Arbeitslöhne den Arbeitsertrag zu setzen, die Hauptaufgabe des Vereins sein.
In einem voraufgegangenen Aufruf waren die Schiffszimmerer aufgefordert worden, sich der Seeleute anzunehmen, die noch unter das Koalitionsverbot fallen.

13./17. Januar 1873

In Leipzig tagt zum ersten Mal eine "Delegierten-Tarifkonfernz" der Buchdrucker. Sie entwickelt den Vorentwurf eines für das gesamte deutsche Staatsgebiet geltenden Tarifvertrags.

28. Februar 1873

Die Berliner Arbeiterfrauen Berta Hahn, Pauline Staegmann und Johanna Schackow gründen den "Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein". Sie erklären, daß die Lage des weiblichen Geschlechts nur durch eine vollständige soziale Umwälzung der heutigen Gesellschaft verbessert werden könne.

13./15. April 1873

Vertreter von fünfzehn Buchbindervereinen gründen in Nürnberg den "Verband der Buchbinder und verwandter Geschäftszweige" als Dachorganisation. Die Konferenz beschließt die Herausgabe einer Verbandszeitung. Die Schaffung einer Reiseunterstützungs- und einer Invalidenkasse soll geklärt werden.
Sitz des Ausschusses wird Leipzig.
Verbandsorgan wird die "Allgemeine Buchbinderzeitung", die ab Oktober erscheint.

16./21. April 1873

Der 2. Verbandstag der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine in Berlin behandelt die Stellung der Gewerkvereine zur Politik.
Die Gewerkvereine fühlen sich von der Fortschrittspartei im Stich gelassen. Die Mehrheit der Partei stehe den Gewerkvereinen sogar feindlich gegenüber, da sie zur Klasse der Besitzenden gehöre und für Arbeiterforderungen nicht zu haben sei.
Der Verbandstag empfiehlt deshalb die Aufstellung eigener Kandidaten für die kommenden Reichstagswahlen. Die Praktizierung dieses Beschlusses endet jedoch mit einem völligen Mißerfolg.
Erneut beschäftigt sich der Verbandstag eingehend mit der Streikfrage und insbesondere der Festsetzung eines Streikreglements. In diesem wird nachdrücklich betont, daß die Beilegung von Streitigkeiten zunächst auf anderem Wege - durch Einigungsämter - versucht werden müsse und daß eine Einstellung der Arbeit jedenfalls nur dann stattfinden dürfe, wenn Aussicht auf Erfolg bestehe und die nötigen Geldmittel vorhanden seien. Eine Unterstützung seitens des Verbandes soll in der Regel erst nach vierwöchiger Dauer des Streiks eintreten.
Der Abschnitt 5 enthält eine besondere Streikvariante:
"Sind irgendwo gerechte Beschwerden, besonders betreffs Lohn und Arbeitszeit, vorhanden und eine gütliche Erledigung derselben nicht zu ermöglichen, so empfiehlt sich statt der kostspieligen und höchst zweifelhaften Streiks folgendes praktisch bewährte Verfahren, jedoch ebenfalls unter Zustimmung und Mitwirkung der Verbandsbehörden: Ein Teil der betreffenden Arbeiter (und zwar vorzugsweise die ledigen) treten möglichst geräuschlos einzeln und allmählich aus der Arbeit, indem dieselben sich an anderen Orten Beschäftigung suchen resp. solche durch den Generalrat usw. nachgewiesen erhalten und Zuzug fremder Arbeiter durch Zirkulare usw. energisch abgehalten wird. Nach dem wirtschaftlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage werden die betreffenden Arbeitgeber durch diese Pression zur Nachgiebigkeit gegen berechtigte Forderungen mit Sicherheit veranlaßt werden."
Die Delegierten fordern das Verbot industrieller Beschäftigung für alle schulpflichtigen Kinder und Beschränkung auf 10 Stunden für alle Minderjährigen, sowie für weibliche Personen. Ein anderer Beschluß verlangt staatliche Anerkennung der Gewerk-Vereine durch Verleihung der Korporationsrechte. Die Gelder der Unterstützungskassen sollen von denjenigen des Vereins streng getrennt werden. Das Koalitionsrecht ist gegen jede Beeinträchtigung zu schützen, insbesondere ist die Aufhebung des § 152 Abs. 2 der Gewerbeordnung anzustreben.
Der Verbandstag spricht sich erneut für Schiedsgerichte und Einigungsämter aus.
Die Delegierten lehnen jede Erhöhung bzw. Vermehrung der indirekten Steuern ab, erwarten demgegenüber deren baldige Abschaffung und an deren Stelle progressive Einkommensteuern.
Das Zensus- und Klassenwahlrecht in den Einzelstaaten und Gemeinden muß durch das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht ersetzt werden. Der Verband beschließt die Gründung einer Witwen- und Waisenkasse. Dagegen sollen die Kranken- und Begräbniskassen auch künftig den einzelnen Vereinen überlassen bleiben.

Mai 1873

Im "Volksstaat" erscheinen mehrere nicht gezeichnete Artikel "Praktische Emanzipationswinke", die sich mit der Zweckmäßigkeit der Gewerkschaften beschäftigen. Diese Artikel wollen beweisen, daß es ein verhängnisvoller Irrtum sei, die Gewerkschaften der rein politischen Bewegung direkt unterzuordnen. Klar sei allerdings, daß es die politische Bewegung sei, durch die sich die Arbeiter die volle Gleichberechtigung und die Abschaffung der Klassenherrschaft zu erkämpfen habe. Aber klar sei auch, daß die Befreiung des Arbeiterstandes nicht das Werk eines Jahrzehnts sein könne. Es nutze nichts, die Massen auf die soziale Revolution zu vertrösten. Der Trieb des Arbeiterstandes nach Befreiung sei tatsächlich vorhanden und er betätige sich auch. Sei es in politischer Agitation oder in gewerkschaftlicher Tätigkeit, immer gehe das Bestreben darauf hinaus, sich Unabhängigkeit zu erkämpfen. Es sei aber stets so gewesen, daß sich die Unterdrückten zunächst gegen die drückendsten Fesseln gewehrt hätten, und darum sei es verständlich, daß sich der Arbeiter zunächst bemühe, widerliche Fabrikordnungen zu beseitigen, kurze Arbeitszeit, geregelte Löhne und dergleichen zu erkämpfen. Das sei die Vorschule des Proletariats, die es an Erfahrungen bereichere, von Irrwegen ablenke und die festen Positionspunkte schaffe, von denen aus die Arbeiter endlich die wirkliche Ursache ihrer Knechtschaft erkennen und an ihrer Beseitigung arbeiten könnten. Es müsse sich nun darum handeln, dieser Erkenntnis Vorschub zu leisten, damit die Arbeiter den Kampf mit dem Bewußtsein führen lernten, daß es gelte, die Ursachen des wirtschaftlichen Kampfes zu beseitigen. Da zeige sich nun, daß die gewerkschaftlichen Bestrebungen den Gedanken an die Emanzipation der Arbeiterklasse zum Reifen bringe, und deshalb müßten diese sich natürlicherweise bildenden Organisationen den rein politischen gleichgestellt werden.
Es sei ein guter Gedanke des Erfurter Gewerkschaftskongresses gewesen, die Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung vom politischen Parteigetriebe zu befürworten. Die Gewerksgenossenschaften seien der feste Untergrund und das starke Gemäuer, das der politischen Agitation feste Haltepunkte und Stetigkeit verleihe. Sie könnten der politischen Bewegung nie schaden, sondern stets nützen, deshalb seien Beschlüsse, wie der des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, sie aufzulösen, geradezu ein Frevel. Vor allem sei es wichtig, neue Mitglieder durch belehrende Vorträge und Schriften zu gewinnen, Arbeitsnachweise, Reiseunterstützungen usw. einzuführen. Ein Statutenparagraph könne gern ausdrücken, daß Religion und Politik fernzuhalten seien. Das ändere nichts daran, daß die Gewerkschaften in Wirklichkeit durch Wahrung der gemeinsamen Interessen schon politisch wirkten. Dies werde verstärkt durch die Beschäftigung mit den Gesetzen über Arbeiterschutz und dergleichen. Dazu kämen die Verfolgungen, denen die organisierten Arbeiter durch die Behörden ausgesetzt seien, diese im Verein mit Volksversammlungen, Wahlen usw. bringe dann den Gewerkschaftlern den Gedanken bei, wie vieles sie mit der sozialdemokratischen Partei gemeinsam hätten. Es werde sich ihnen die Überzeugung aufdrängen, daß der Sozialismus eine geschichtliche Notwendigkeit sei, die nur planmäßig gefördert zu werden brauche.

5. Mai 1873

Nach zahlreichen Streiks und der Aussperrung aller Gewerkschaftsmitglieder, an der sich jedoch nicht alle Buchdruckereibesitzer beteiligen, beginnen am 1. Mai gemeinsame Beratungen über einen gesamtdeutschen Tarifvertrag. Nach vier Tagen wird einstimmig ein Reichstarifvertrag angenommen, der als wesentlichen Erfolg für die Gehilfen neben der Festsetzung einer ohne Pausen neuneinhalbstündigen Arbeitszeit, die Einführung der Alphabetberechnung und eine differenzierte Berechnung der Akkordarbeit enthält und der bis 8. Mai 1876 in "unanfechtbarer Gültigkeit" in Kraft bleiben soll. Der erste gesamtdeutsche Tarifvertrag überhaupt tritt am 9. Mai in Kraft. Eine der wichtigsten Abmachungen, die in dem nachträglich angegliederten "Tarifanhang" getroffen werden, ist die Verpflichtung beider Parteien zur Wahrung des Arbeitsfriedens während der Laufzeit des Tarifvertrags. "So lange der Tarif besteht, verpflichten sich Principale wie Gehülfen, nicht durch Strike, resp. Aussperrung eine Änderung des Tarifs zu erzwingen, vielmehr alle Differenzen über Handhabung und Auslegung desselben durch Schiedsgerichte, resp. durch das Einigungsamt entscheiden zu lassen, deren Ansprüchen unweigerlich Folge zu leisten ist." Dieser Tarifabschluß ist zweifellos nicht durch eine generelle Verhandlungsbereitschaft der Prinzipale zustandegekommen, sondern durch den Druck einer gut organisierten Gehilfenschaft unter besonderen, für die Arbeiterseite äußerst günstigen Arbeitsmarktbedingungen erzwungen worden.
In der Folgezeit nutzen deshalb zahlreiche Prinzipale die Chance, eigenmächtig die Tariflöhne zu senken.
1874/1875 erkennen nur etwa ein Drittel der Mitglieder des Unternehmerverbandes die tariflichen Vereinbarungen an.
Der Versuch der organisierten Buchbindergehilfen, in Leipzig zur gleichen Zeit einen einheitlichen "Akkordtarif" durchzusetzen, scheitert am Widerstand der Unternehmer.

9. Mai 1873

Mit Kursstürzen an der Wiener Börse beginnt eine schwere Wirtschaftskrise, die ihren Tiefpunkt 1878/1879 erreicht und sich mit kurzen Unterbrechungen - 1879-1882 und 1887-1890 - bis 1894 hinzieht. Die Krise führt in den meisten Industriezweigen zu einem erheblichen Rückgang bzw. einer längeren Stagnation der Produktion und der Investitionen. Unter dem Druck großer Arbeitslosigkeit müssen die Arbeiter und Arbeiterinnen starke Lohneinbußen und Arbeitszeitverlängerungen hinnehmen. Arbeitslosigkeit bedeutet rasch Existenznot, da es noch kaum Ansätze einer Erwerbslosenversicherung gibt. Die Hauptlast wird von der Armenfürsorge der Gemeinden und Städte getragen.
Gleichzeitig verhärtet sich die Arbeitgeberposition, um ihre Vormachtstellung zu behaupten.
Die Zahl der Auswandernden steigt in diesen Jahren wieder stark an.
Die Wirtschaftskrise führt auch zu einer Wende vom Wirtschaftsliberalismus zur Betonung nationalwirtschaftlicher Schutz- und Subventionsgesichtspunkte, zu einer Solidarisierung von Industrie und Landwirtschaft und auf dieser Grundlage zu den ersten Schutzzöllen 1879.

18./24. Mai 1873

Die Generalversammlung des ADAV in Berlin erkennt Streiks nun als berechtigte, wenn auch unzureichende Akte der Notwehr der Arbeiterklasse innerhalb des heutigen Gesellschaftszustandes an. Die endgültige Befreiung der Arbeit vom Druck des Kapitals könne aber nur durch den Sozialismus, also durch die politische Agitation und die feste Organisation des ADAV erreicht werden.

25. Mai 1873

Die Generalversammlung des "Allgemeinen Arbeiter-Unterstützungsverbandes" in Frankfurt a. Main erklärt:
a) Die gegenwärtige Streikbewegung in Deutschland ist die naturgemäße Folge des Drucks der Kapitalmacht auf die Arbeiterklasse; die Streiks sind somit berechtigt als ein, wenn auch unzureichender, Akt der Notwehr von seiten der Arbeiterklasse innerhalb des heutigen Gesellschaftszustandes.
b) Die Durchführung des Streiks hat vielfach das Entstehen von Korporativvereinen zur Folge gehabt, welche die Unterstützung Streikender bezwecken. Anderseits hat sich durch die Erfahrung herausgestellt, daß nur dort entschiedene Siege durch Streiks erzielt werden können, wo bereits der brüderliche sozialistische Geist alle Arbeiter fest vereint. Auf alle Fälle kann somit eine Korporativbewegung, welche sich von den sozialistischen Ideen entfernt und die Lassallesche Organisationsidee schädigt, nur schädlich auf die Arbeiterklasse wirken.
c) Die deutsche Korporativbewegung findet somit ihren inneren Halt ganz allein durch die Organisation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, und es ist deshalb Pflicht der Korporativvereine und ihrer Vorstände, zu veranlassen, daß die Mitglieder derselben auch Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins werden, um in diesen den unbedingt zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse nötigen organisierten sozialpolitischen Kampf zu führen.

Juni 1873

Wilhelm Bock wird Vorsitzender der bisherigen Gewerksgenossenschaft der Schuhmacher, sie nennt sich nun "Internationale Gewerkschaft der Schuhmacher".

Der "Deutsche Zimmererbund" wird gegründet, der sich dem Arbeiterunterstützungsverband anschließt. In einem Streikreglement wird festgelegt, daß Streikunterstützung nur an Mitglieder gezahlt werden darf, daß jeder Streik zuvor durch den Ausschuß genehmigt sein muß und daß der Ausschuß die aufgestellten Forderungen zu prüfen und nur soweit zu genehmigen habe, als sie "den Verhältnissen entsprechen und vernünftig begründet sind". Der Bund wird bereits im September 1874 wieder verboten.

Der Sitz der Schuhmachergewerkschaft wird nach Gotha verlegt, Wilhelm Bock wird Vorsitzender. Er warnt vor dem "grassierenden Streikfieber" der Schuhmacher. Die Gewerkschaft nennt sich nun "Gewerkschaft der Schuhmacher".

1./3. Juni 1873

In Berlin wird der "Allgemeine Böttcher- (Küfer-) Verein gegründet. Publikationsorgane werden der "Volksstaat" und der "Neue Sozialdemokrat". Der Kongreß beschließt: "Die Mitglieder dürfen sich in den Vereinsorganen nicht gegenseitig befehden, auch sind die Vereinsorgane gehalten, keine derartigen Anfeindungen aufzunehmen."

4./6. Juni 1873

Der "Allgemeine deutsche Maurerverein" nennt sich auf dem ersten Maurer- und Steinhauerkongreß in Berlin nun "Allgemeiner deutscher Maurer- und Steinhauerverein". Mit rund 10.000 Mitgliedern in 38 Orten gehört der Verein zu den größten Gewerkschaften in dieser Zeit
1874 stellt der Verein nach umfangreichen politischen und rechtlichen Verfolgungen seine Tätigkeit ein.

13. Juni 1873

Der Bergbauverein richtet eine Eingabe an den Reichstag, worin die Absicherung zivilrechtlicher Ansprüche gegen kontraktbrüchige Arbeiter, eine Strafbestimmung in der Gewerbeordnung gegen den Kontraktbruch und eine Verschärfung der Strafen gegen den Koalitionszwang verlangt wird.

9. Juli 1873

Das Münzgesetz für das Deutsche Reich wird erlassen. Es führt die Goldwährung ein und schafft ein einheitliches Münzsystem.

August 1873

Auf der Generalversammlung in Offenbach ändert der Sattlerverein seinen Namen in "Verein der Sattler und verw. Berufsgenossen".
I. Auer tritt als Vorsitzender zurück.

16./18. August 1873

Auf dem ersten Töpferkongreß in Dresden wird der "Allgemeine deutsche Töpferverein" gegründet, der auch Mitglieder in Deutsch-Österreich und der Schweiz organisiert.

23./27. August 1873

Der Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der für Nürnberg verboten wurde, tagt in Eisenach.

Der Kongreß empfiehlt den Parteimitgliedern, die Parteiprinzipien nach Kräften durch Wort und Schrift unter der Landbevölkerung zu verbreiten, um dadurch möglichst auch einer gewerkschaftlichen Organisation der Landarbeiter Bahn zu brechen.

20./22. September 1873

Auf dem Kongreß der Klempner in Frankfurt/Main wird der "Verband der deutschen Klempner (Spengler) und verwandten Berufsgenossen" gegründet. Sein Sitz ist Hamburg. An seiner Spitze steht Theodor Metzner.

28. September 1873

In der SDAP tritt erneut das Bemühen hervor, die Gewerkschaften in einer übergeordneten Organisation fest zusammenzuschließen. Mit dieser Frage befaßt sich in Braunschweig eine Konferenz der Vorsitzenden der Internationalen Gewerksgenossenschaften. Wiederum spielt Th. Yorck eine führende Rolle bei der Verwirklichung dieses Anliegens.

Oktober 1873

Die Generalversammlung der "Gewerkschaften der Holzarbeiter" in Nürnberg sieht es als wichtigste Zukunftsaufgabe an "die Mitglieder der Fachvereine für die gemeinsame Agitation und einheitliche Organisation zu gewinnen".

1. Oktober 1873

Die "Allgemeine Buchbinder-Zeitung" erscheint zum ersten Mal in Leipzig als Wochenzeitung.

29. November / 1. Dezember 1873

In Würzburg wird der "Deutsche Senefelder-Bund" als Vereinigung der Gauverbände der Lithographen und Steindrucker gegründet. Ihm sind auch Österreicher angeschlossen.
Ab 5. Januar 1874 veröffentlicht der Bund seine Zeitung "Der Senefelder-Bund" in Nürnberg, später in Berlin.

1./3. Dezember 1873

Ein "Kongreß der christlichen Arbeiter von Rheinland und Westfalen" in Aachen hat das Ziel, einen Allgemeinen christlichen Arbeiterverein für ganz Deutschland zu gründen. Der Kongreß beschließt: 1. den Arbeitern die Gründung von Bezirksvereinen zu empfehlen, "damit auf diese Weise die Verbindung aller christlichen Arbeiter Deutschlands zu einem Vereine möglich werde"; 2. ein Komitee zur Ausführung dieses Beschlusses einzusetzen. Andere Resolutionen fordern unbeschränkte Koalitionsfreiheit der Arbeiter, einen Normalarbeitstag von höchstens zehn Stunden in Fabriken und acht Stunden für unterirdische Arbeit, angemessene Löhne, Abschaffung der industriellen Arbeit für Frauen und möglichste Einschränkung für Mädchen, Teilnahme der Arbeiter bei Aufstellung der Fabrikordnung und Verwendung der Strafgelder, gewerbliche Schiedsgerichte. Schließlich wird die Begründung von "Erwerbsgemeinden" (Produktivgenossenschaften) und Baugenossenschaften, sowie Bekämpfung des Wohnungswuchers empfohlen. Durch interne Differenzen und den Kulturkampf scheitert dieser Versuch.

1874

Buchbindereibesitzer der großen Städte koordinieren ihre Bemühungen, den jungen Buchbinderverband zu zerschlagen: durch Maßregelungen führender Gewerkschafter, durch die Erstellung "schwarzer Listen" und durch Aussperrung wegen Verbandsmitgliedschaft.

In seinem Buch "Emanzipationskampf des vierten Standes" weist Rudolf Meyer darauf hin, daß es in Deutschland - im Gegensatz zu Großbritannien - noch nicht gelungen ist, die Arbeiter zu regelmäßiger Zahlung selbst geringer Beiträge anzuhalten. Zweifellos ist dies häufig durch Beschäftigungsschwankungen bedingt. Die oft erhebliche finanzielle Unterstützung von Streikenden werden nicht durch die Mitgliederbeiträge, sondern durch improvisierte Sammlungen aufgebracht.
Durch die Wirtschaftskrise bedingt, nimmt die Zahl der Streiks bis 1876 ab. 1874 werden 99, 1875 43 und 1876 30 Streiks gezählt.

Am Widerstand auch der Nationalliberalen scheitert eine Ende 1873 auf Druck des gewerblichen Mittelstandes von O. v. Bismarck eingereichte Kontraktbruchvorlage.
Nach einer Streikwelle seit 1871 soll das Koalitionsrecht eingeschränkt werden. Der bei Streiks unabdingbare Bruch des Arbeitsvertrages soll nicht mehr zivilrechtlich, sondern strafrechtlich geahndet werden. Zwar betrifft die Novelle formal auch Arbeitgeber, aber trotzdem sei sie eine "Kriegserklärung gegenüber der Arbeiterklasse", wie der Abgeordnete Wilhelm Hasselmann (ADAV) im Reichstag erklärt.

Januar 1874

Nach Versetzung des Staatsanwaltes H. v. Tessendorff nach Berlin nehmen die Prozesse gegen Parteimitglieder beider Parteien stark zu. So werden allein in Preußen in den ersten sieben Monaten 87 Mitglieder des ADAV zu insgesamt 211 Monaten und drei Wochen Gefängnis verurteilt. Das schärfere polizeiliche Vorgehen gegen Parteimitglieder trägt wesentlich dazu bei, die Einigung beider Parteien zu beschleunigen.

15. Januar 1874

Th. Yorck gibt in Hamburg das Blatt "Die Union" - Organ für die Holzarbeiter Deutschlands - heraus und nimmt maßgeblichen Einfluß auf das Zustandekommen von Abmachungen zwischen den Gewerkschaftsverbänden als wesentliche Schritte zur Bildung einer neuen Gewerkschaftsunion. So vereinbaren die Gewerkschaft der Holzarbeiter und die Internationale Metallarbeiterschaft, daß jeweils die Gewerkschaft an Orten, an denen nur eine Gewerkschaft vertreten ist, den Mitgliedern der anderen Gewerkschaften Reiseunterstützung zahlt.
Die "Internationale Gewerkschaft der Schuhmacher" schließt sich dieser Vereinbarung an.

2. März 1874

Der preußische Minister des Innern weist die Behörden in einem Zirkular an, verschärft gegen die Sozialdemokratie vorzugehen und insbesondere den § 130 ("Klassenhaßparagraph") des Reichsstrafgesetzbuches, der Strafverfolgung gegen die sozialdemokratische Agitation und Propaganda androht, in verstärktem Maße anzuwenden.

15. März 1874

Die "Union" schreibt: "Klassengesetzgebung, Klassenjustiz lautet jetzt die Parole, Ausnahmegesetze gegen die Arbeiter ist das Feldgeschrei, durch welches der Krieg gegen die Emanzipationsbestrebungen des vierten Standes, des Proletariats, auf der ganzen Linie eröffnet werden soll."

5./9. April 1874

Die von dem Eisen- und Metallarbeiterkongreß in Hannover ausgehenden Bestrebungen, eine einheitliche Metallarbeitergewerkschaft zu gründen, bleiben erfolglos.

15. Mai 1874

Th. Yorck behandelt in der "Union" und im "Volksstaat" in mehreren Artikeln die Frage "Wollen wir eine Gewerkschaftsunion oder nicht?". Die Delegierten, denen Zentralisationsbestrebungen ein Greuel gewesen seien, hätten in Erfurt zu viel Einfluß gehabt und die Beschlüsse würden deshalb zugunsten der Fachvereine gewirkt haben, anstatt die Zentralverbände zu Eckpfeilern der Union zu machen. Den Fachvereinen spricht Th. Yorck jede Existenzberechtigung ab.
In einer Union sollen die Fachgewerkschaften ihre gemeinsamen Interessen vertreten, ihre Selbständigkeit aber auf keinen Fall in Frage gestellt werden, nur sollen sie ihre Beiträge und Einrichtungen möglichst gleichartig gestalten.
Die Gewerkschaften sind Säulen, die die Union tragen sollen. "Die Gewerkschaftsunion selbst ist die vollkommenste Form der gewerkschaftlichen Organisation, die überhaupt geschaffen werden kann, und darf mit Fug und Recht als der Schlußstein der organisatorischen Bestrebungen auf gewerkschaftlichem Boden bezeichnet werden."
Für Th. Yorck ist eine stabile Verwaltung wichtig. Denn in agitatorischer und organisatorischer Beziehung könne nur dann etwas geleistet werden, wenn die Gewerkschaftsfunktionäre mit dem gesamten Gewerkschaftsleben verwachsen seien. Diese müssen agitatorisch und vor allem organisatorisch tätig sein können. Ein großer Fehler sei der, unentgeltliche Gewerkschaftsverwaltungen zu verlangen. Das Prinzip, daß jeder Arbeiter seines Lohnes wert sei, sollte am allerwenigsten von den Arbeitern selbst verletzt werden. Es dürfe sich nicht daran gestoßen werden, daß die Besoldung der Angestellten zunächst einen wesentlichen Teil der Einnahmen verschlinge; sehr rasch werde sich durch das Wachstum und die Erfolge der Gewerkschaft die teure Verwaltung bezahlt machen. Auch müsse jede Gewerkschaft, die es sich nur irgend leisten könne, ihre Verwaltung anständig honorieren.
Organisieren und wieder organisieren sei die Hauptsache bei der Gewerkschaftsorganisation. Auch bei der Agitation sei Sparsamkeit am falschen Fleck. Das übermäßige Ansammeln von Geldern in den Hauptkassen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Agitation sei zwecklos.
Das beste Mittel, den Gewerkschaften eine innere Festigkeit zu geben, sei aber, den Mitgliedern die Erkenntnis der Notwendigkeit der Gewerkschaften beizubringen. Gelinge das, dann seien sie mit unwiderstehlicher Gewalt an die Gewerkschaften gefesselt. Dazu sei jedoch eine besondere Zeitung notwendig.

26. Mai / 5. Juni 1874

Auf der Generalversammlung des ADAV in Hannover wird erneut heftig über die Notwendigkeit von Gewerkschaften diskutiert. Ein Antrag verlangt, die Generalversammlung solle erklären, die Gewerkschaften seien nicht geeignet, die Arbeiter gegen die Unterdrückung des Kapitals zu schützen. Die Gewerkschaften gefährdeten vielmehr, da sie auf der unmöglichen Selbsthilfe der Arbeiter beruhten, nicht nur deren Widerstandskraft, sondern auch die radikalen, sozialpolitischen Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Die Forderung, die Generalversammlung soll weiter beschließen, daß alle Gewerkschaften, deren Mitglieder angeblich der Lehre Lassalles huldigten, binnen Jahresfrist aufzulösen und die Mitglieder dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zuzuführen seien, wird zurückgezogen.
Die Generalversammlung erklärt dagegen die heutige gewerkschaftliche Bewegung für notwendig, indem dadurch der Druck auf die Kapitalmacht, welcher durch die heutige Produktionsweise auf dem Arbeiterstand lastet, etwas gelindert wird und der Arbeiterstand eine momentane Verbesserung seiner Lage durch Verkürzung der Arbeitszeit und Aufbesserung der Löhne erreicht.
Diese Verbesserung ist jedoch nur durch eine gute Zentralisation sämtlicher Gewerkschaften zu erreichen, und die heutige gewerkschaftliche Bewegung findet nur einen tatkräftigen Stützpunkt in der Herstellung einer alle Gewerkschaften umfassenden Zentralkasse.
Als solche bezeichnet die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins die bereits bestehende lebensfähige Hauptkasse des Allgemeinen Deutschen Arbeiterunterstützungsverbandes.
Die Generalversammlung fordert daher die einzelnen Gewerkschaften auf, sich dem Unterstützungsverbande anzuschließen.

Ende Mai 1874

Die Generalversammlung des "Allgemeinen Tischler-Vereins" in Frankfurt a. Main lehnt die vom Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gewünschte Auflösung ab.

4. Juni 1874

Die Firma Siemens verfügt, daß jedem "Beamten" (Angestellten) des Unternehmens ein 14-tägiger Erholungsurlaub zusteht. Die Arbeiter müssen darauf noch 35 Jahre warten.

5. Juni 1874

Die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterunterstützungsverbandes in Hannover diskutiert die Wiedereinführung des alten Statuts des Arbeiterschaftsverbandes. Das wird nicht erreicht. Doch die Gewerkschaften sollen bewogen werden, dem Unterstützungsverband beizutreten - ohne ihre Selbständigkeit aufzugeben -, "um dadurch eine bessere Zentralisation und ein planmäßiges Vorgehen innerhalb der heutigen Streikbewegung zu ermöglichen, und zwar in der Form, daß die einzelnen Gewerkschaften einen gewissen monatlichen Beitrag an die Hauptkasse des Unterstützungsverbandes zahlen, wofür ihren streikenden oder von der Arbeit ausgeschlossenen Mitgliedern Unterstützung nach Beschluß des Zentralausschusses geleistet werden muß.
Die Agitation innerhalb solcher sich dem Verbande anschließenden Gewerkschaften (Fachverbände) müßte jedoch den betreffenden Vorständen selbst überlassen bleiben, so daß das Verbandspräsidium mit solcher Agitation nichts zu tun hätte."

21./26. Juni 1874

Der Buchdruckertag in Dresden macht es - nach zahlreichen Maßnahmen von Prinzipalen, den Tarifvertrag nicht einzuhalten - für Verbandsmitglieder obligatorisch, nur zu tariflichen Bedingungen zu arbeiten. Er appelliert an den Unternehmensverband, seine Mitglieder ebenfalls zur Einhaltung des Tarifvertrages zu verpflichten.

23./25. Juni 1874

Am Gewerkschaftskongreß in Magdeburg nehmen 30 Delegierte teil, die die Internationale Metallgewerkschaft, die Gewerkschaft der Holzarbeiter, die Maurer- und Zimmerergewerksgenossenschaft, den Allgemeinen Deutschen Schneiderverein, die Internationale Gewerkschaft der Schuhmacher und den Allgemeinen Deutschen Sattlerverein vertreten. Die Tagung wird ständig von der Magdeburger Polizei behindert, indem sie die Sitzungen am 24. Mai untersagt und am 25. Mai erst nachmittags zuläßt.
Die Konferenz diskutiert und beschließt neue - von Th. Yorck vorgelegte - Statuten.
Nach § 1 der Statuten ist die "Gewerkschaftsunion" ein Verband der Gewerkschaften "zur gegenseitigen Wahrung ihrer Interessen und zur gemeinsamen Förderung ihrer Bestrebungen".
Nach § 2 sollte dieser Zweck erreicht werden:
"a) durch Kräftigung und Erweiterung aller von den vereinigten Gewerksgenossenschaften errichteten Schutz-, Unterstützungs- und Hilfskassen sowie Durchführung bedingungsloser Freizügigkeit und Gegenseitigkeit für alle diesen Kassen angehörende Mitglieder des Verbandes;
b) durch Förderung des Arbeitergenossenschaftswesens, Errichtung eigener Arbeitsvermittlungsbureaus, desgleichen für statistische Erhebungen über Arbeits-, Lohn- und Lebensverhältnisse der Arbeiter;
c) durch Gründung von Gewerkschaftsorganen zur Förderung und Vertretung der Gewerkschaftsinteressen auch durch die Presse."
Die Leitung der Union solle durch den alljährlich stattfindenden Kongreß der Union, durch einen Zentralausschuß, durch eine ständige Kommission erfolgen. In ein paar sehr wesentlichen Punkten weicht die Magdeburger Unionssatzung von der Erfurter Satzung ab. Dort war die Unterstützung bei Lohnbewegungen genau geregelt, hier geschieht das nicht. Natürlich soll aber auch bei Lohnbewegungen die Union in Funktion treten, denn ausscheidende Gewerkschaften sollen alle Ansprüche auf jede Unterstützung der Union bei Arbeitseinstellungen verlieren. Die Regelung dieser Unterstützung ist dem Zentralausschuß überlassen.
Von den Beiträgen, die von den Gewerkschaften an die Hauptkasse zu zahlen, sind sollen die Kosten für die Verwaltung und die Agitation bestritten und aus den etwaigen Überschüssen ein Unterstützungsfonds angesammelt werden.
Mit den Funktionen der ständigen Kommission, die als Beschwerdeinstanz gedacht ist, der auch die Kontrolle über die Geschäftsführung des Zentralausschusses zusteht, wird der Ausschuß der Metallarbeiter betraut.
Die Delegierten beschließen erneut, eine Gewerkschaftsunion zu bilden und eine eigene Zeitung herauszugeben: "Die Union", Organ der deutschen Gewerksgenossenschaften. Zahlreiche Gewerkschaften scheuen jedoch die finanzielle Belastung, die mit einem Beitritt zur "Union" verbunden ist und lassen ihre zunächst zugesagte Mitgliedschaft ruhen.

6. Juli 1874

In Berlin wird der "Allgemeine Maurer- und Steinhauerverein" gegründet.

18./21 Juli 1874

Der Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Coburg anerkennt die Solidarität der industriellen und ländlichen Arbeiter und will durch planmäßige Agitation die sozialistischen Grundsätze unter der Landbevölkerung verbreiten.

1. August 1874

Die erste Ausgabe des "Pionier", Organ der sozialistischen Gewerkschaften, erscheint in Berlin.

25. August 1874

Das Stadtgericht Berlin ordnet die vorläufige Schließung des "Allgemeinen Schuhmachervereins" nach § 8 des preußischen Vereinsgesetzes an.

4. September 1874

Der "Deutsche Zimmererbund" in Berlin wird verboten.

8. September 1874

Das Präsidium des "Allgemeinen Deutschen Arbeiterunterstützungsverbandes" beschließt, in Anbetracht der wachsenden polizeilichen Verfolgungen, den Verband selbst aufzulösen:
"Trotz alledem und alledem schließen wir mit dem Rufe: Es lebe die Einigkeit, es lebe die sozialistische Organisation!"
Die Mitglieder werden aufgefordert, künftig den "Pionier" zu abonnieren.

Oktober 1874

"Die Union", die nun als "Organ der deutschen Gewerksgenossenschaften" erscheint, hat außerhalb der Gewerkschaft der Holzarbeiter, deren Organ sie weiterhin bleibt, erst 350 Abonnenten.

"Die Ameise", wöchentliches Verbandsorgan des Gewerkvereins der Porzellanarbeiter, erscheint zum ersten Mal.

21. Oktober 1874

Der "Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller" wird in Berlin gegründet. Ziele der Unternehmerorganisation sind die Durchsetzung des Schutzzollsystems und der gemeinsame Kampf gegen die Forderungen der Arbeiterbewegung, insbesondere der Sozialdemokratie.

2. November 1874

Nach einer "Verordnung über einen Urlaub der Reichsbeamten" soll der "Urlaub zur Wiederherstellung der Gesundheit" den Reichsbeamten nur auf Antrag gewährt werden, wenn eine ärztliche Bescheinigung über die Notwendigkeit beigefügt ist. Beurlaubungen von Beamten können auf Grund der bestehenden Beamtenreglements in Ausnahmefällen bewilligt werden. Auf diese Bescheinigung kann die entscheidungsberechtigte Dienststelle jedoch "ausnahmsweise" verzichten. In der Folgezeit setzt sich der unwidersprochene Standpunkt mehr und mehr durch, die Erholungsbedürftigkeit des Beamten sei grundsätzlich einmal im Jahr gegeben. Schon 1871 war bei einer allgemeinen Postkonferenz in Berlin der Gedanke aufgetaucht, Erholungsurlaub regelmäßig allen etatmäßig angestellten Reichspostbeamten einschließlich der Unterbeamten auch ohne besondere ärztliche Bescheinigung unter Fortzahlung der Dienstbezüge zu gewähren. Ein solcher allgemeiner Urlaub wird 1873 versuchsweise und 1875 für dauernd vom Reichspostamt eingeführt und beträgt - allerdings ohne jeden Rechtsanspruch - z.B. für die Postunterbeamten 8 Tage im Jahr. Seit 1894 kann er auf Antrag auf 10 Tage verlängert werden. Außerdem ist es von diesem Jahre an auch den nicht etatmäßig angestellten Unterbeamten möglich, "in begründeten Fällen" bis zu 7 Tage Urlaub zu erhalten.

3. Dezember 1874

Der "Allgemeine deutsche Maurer- und Steinhauerbund" wird gegründet. Er tritt an die Stelle des "Allgemeinen deutschen Maurer- und Steinhauervereins", ohne sich wie dieser auf den ADAV festzulegen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

Previous Page TOC Next Page