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TEILDOKUMENT:
Der Norddeutsche Bund erläßt eine Gewerbeschulordnung und verankert in ihr den Gedanken der Fortbildungsschulen. Im § 106 Abs. II heißt es: "Durch Ortsstatut können Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge, sofern sie das 18. Lebensjahr nicht überschritten haben, zum Besuch einer Fortbildungsschule des Ortes, die Arbeits- und Lehrherren aber zur Gewährung der für diesen Besuch erforderlichen Zeit verpflichtet werden." Das Gebiet des Deutschen Zollvereins stellt nach Großbritannien und den Vereinigten Staaten die drittgrößte Industriemacht der Welt dar. Die "Zeitschrift für Gewerbe, Handel und Volkswirtschaft" schreibt, eine höhere Lohnforderung als die "der gewöhnlichsten Lebens- und Leistungskosten" könne der Arbeiter deshalb auch nur geltend machen, wenn "mit seiner Bildung sich auch seine Leistungskraft erhöht, der gebildetere Arbeiter auch gewandter, gelehriger, fleißiger, mäßiger, wirthschaftlicher, kurz brauchbarer und werthvoller wird". Anfang der 70er Jahre Die Schuhmacher haben drei zentrale Gewerkschaften, die sich untereinander heftig befehden: Die "Internationale Gewerksgenossenschaft der Schuhmacher", den "Allgemeinen Schuhmacherverein" und den "Gewerkverein der Schuh- und Lederarbeiter". 12./14. Januar 1870 Die Generalversammlung des "Allgemeinen Deutschen Arbeiterschaftsverbandes" in Berlin beschäftigt sich in der Hauptsache mit dem Schweitzerschen Plan. J. B. von Schweitzer erklärt dazu, die Umgestaltung sei erforderlich, um die notwendig werdenden Arbeitseinstellungen systematisch durchzuführen. Die einheitliche Form sei auch deshalb besser, weil sie Schwierigkeiten anderer Art besser standhalte. Der "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" habe z.B. die Wirren des Vorjahres schneller überwunden als die anderen Gewerkschaften. Hier zeige sich der Vorteil der strafferen Organisation.
24. Februar 1870 Mit dem preußischen Handelskammergesetz werden die Rechtsnormen für die Kammern vereinheitlicht. Für alle Handels- und Industriebetriebe wird die Mitgliedschaft in der Kammer verbindlich, auch Aktiengesellschaften werden nun Mitglieder der Handelskammern und die Kammern erhalten die Befugnis, die Gesamtinteressen der Handels- und Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen. 25./26. Februar 1870 Die "Deutsche Bank" sowie die "Commerz- und Diskontobank" werden gegründet. Frühjahr 1870 In einer Petition mit mehr als 8.000 Unterschriften fordern die Zigarrenarbeiter vom Norddeutschen Reichstag das Verbot, zumindest die Einschränkung der Zigarrenproduktion durch Strafgefangene. 21. März / Mai 1870 Im Zentrum der Lausitzer Textilindustrie - in Forst - kommt es zu einem mehrwöchigen Streik, nachdem Fabrikanten Listen mit den "behufs Lohnverbesserung bei ihnen gekündigt" drucken ließen und sich verpflichteten, diese Arbeiter nicht wieder einzustellen.
April 1870 Auf einem Fabrikantentag in Leipzig wird beklagt, daß die Arbeiter durch ihre Verbände in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten sind und tun müssen, was Unbekannte, die Verbände leitende Personen, befehlen. Der Fabrikantentag beschließt: von der Auffassung ausgehend, daß die Unterstützungseinrichtungen die Arbeiter in die Gewerkschaften zögen, eine Eingabe an das Bundeskanzleramt zu richten, worin die zwangsweisen Kranken- und Sterbekassen auch auf die Altersversorgung und Invalidität der Arbeiter ausgedehnt werden sollen. Die Kassen sollen im ganzen Bundesgebiet eingeführt werden und Freizügigkeit darin bestehen, d.h. die in der einen Kasse erworbenen Rechte sollten beim Eintritt in eine andere dort wieder aufleben. Die Gemeinden, die Unternehmer und die Arbeiter sollen zur Beitragsleistung verpflichtet sein. Als Grund für den Vorschlag wird angegeben: "Der Arbeiter greift jetzt schon voreilig zur Selbsthilfe, indem er Versprechungen für Kassen obiger Art ohne eingehende Prüfung adoptiert, die ihm von Leuten gemacht werden, die seine wahren Interessen nicht verstehen." 17./19. April 1870 Der "Gewerkverein der Holzarbeiter" hält in Mainz seine erste Generalversammlung ab. Nach den Auseinandersetzungen im Arbeiterschaftsverband hat er sich unter Führung von Theodor Yorck neu konstituiert.
20. April 1870 Der Vorstand des Buchdruckerverbandes weist seine Mitglieder darauf hin, vor der Annahme der jeweiligen Arbeitsbedingungen sich nach den bestehenden Lohnverhältnissen zu erkundigen und bei deren Nichteinhaltung das Arbeitsverhältnis abzulehnen; andernfalls gehe jeder Anspruch auf gewerkschaftliche Unterstützung verloren. 23./25. April 1870 Auf einem Kongreß wird der bisher im wesentlichen auf das Lugauer/Zwickauer Revier begrenzte Organisationsbereich der "Gewerksgenossenschaft der Bergarbeiter" erweitert zu einer überregionalen "Internationalen Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter" mit Sitz in Zwickau. Sie steht allen Arbeitern und Arbeiterinnen aus folgenden Gewerken offen: Bergbau, Teerschwählereien, Koksbrennereien, Schmelzhütten aller Art, Poch- und Waschwerken, Hammerwerken, Puddel- und Walzwerken, Stahlfabriken und Salinen sowie den Brunnenmachern. 21. Mai 1870 Im "Correspondent" wird in einem Artikel über "Gegenseitigkeit mit auswärtigen Verbänden" dem Buchdruckerverband als "nächstes Ziel" eine "innigere Verbindung mit den ausländischen Verbänden in der Schweiz, in Österreich, Belgien, Frankreich, England, den Niederlanden, eventuell auch Amerika", genannt, da der Buchdruckerverband "uns jetzt gekräftigt genug scheint, um seine Blicke etwas weiter schweifen zu lassen". 4./7. Juni 1870 Auf dem Kongreß der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Stuttgart weist Th. Yorck in seinem Referat über die Gewerkschaftsfrage darauf hin, daß sich die Gewerkschaftsbewegung noch am Anfang ihrer Entwicklung befindet. Er hebt ihre Bedeutung als "ein politisches Agitationsmittel" und ihren internationalen Charakter hervor und wendet sich gegen deren starre Zentralisation. Th. Yorck nimmt Streiks als die "Lehrschule des Sozialismus" in Schutz, meint aber auch, daß die Gewerkschaften nur Arbeitseinstellungen zu organisieren haben, sei falsch. Bei den Streiks werde die meiste Kraft erfolglos vergeudet. Auf Verkürzung der Arbeitszeit hinzuwirken, sei wichtiger als Lohnerhöhungen anzustreben. Gerade deshalb hätten die Gewerkschaften einen politischen Zweck, indem sie auf die Gesetzgebung einzuwirken versuchen müßten, ein Weg, der rascher zum Ziele führen werde als die Streiks. Sache der Gewerkschaften sei, den Arbeitern klarzumachen, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen müßten. Der Kongreß mißbilligt jeden, den Arbeitern nicht direkt durch das Kapital aufgezwungenen Streik, der nicht von einer Organisation genügend vorbereitet ist, um Aussicht auf Erfolg zu verbürgen.
12./15. Juni 1870 Die Generalversammlung des "Allgemeinen Deutschen Arbeiterunterstützungsverbandes" verabschiedet seine Statuten. Zweck des Verbandes ist es: "Durch festes Zusammenhalten, insbesondere, wenn nötig, durch organisierte Arbeitseinstellungen die Ehre und die materiellen Interessen der Beteiligten zu wahren und zu fördern. In diesem Zentralverband, der von einem dreiköpfigen Präsidium und einem zwölfköpfigen Zentralausschuß geführt werden soll, sind Arbeiter und Arbeiterinnen, Kleinmeister und Kleinmeisterinnen gemeinsam organisiert. Das Statut sieht nur die Streikunterstützung vor. Es soll eine einheitliche Krankenkasse neben dem Verband geschaffen werden, zu der die Mitgliedschaft freiwillig ist. Ferner soll Reiseunterstützung aus der Verbandskasse bezahlt werden.
30. Juni 1870 Der "Allgemeine Deutsche Zimmererverein" löst sich selbst auf. 1. Juli 1870 Der "Allgemeine Deutsche Zimmererverein" verschmilzt mit dem "Allgemeinen deutschen Arbeiterunterstützungsverband", nachdem sich die Mehrheit der Vereinsmitglieder in einer Urabstimmung für eine Verschmelzung ausgesprochen hatten. 9./11. Juli 1870 Auf der ersten Generalversammlung der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter in Crimmitschau wird mitgeteilt, daß ein Sechstel der rund 5.000 bis 6.000 Mitglieder Frauen sind.
13. Juli 1870 Der "Sozialdemokrat" veröffentlicht einen Beschluß des Ausschusses des Arbeiter-Unterstützungsverbandes: "In Erwägung, daß die planlosen Streiks und die zersplitterten Unterstützungen aus der Verbandskasse zwecklos sind; daß es geradezu ein Unsinn ist, wenn die Arbeiter an zwanzig Orten und in zwanzig Geschäftszweigen zugleich Streik machen und sich dabei einbilden, die Verbandskasse könne genug Geld haben, diese sämtlichen planlosen Streiks zu unterstützen; in Erwägung endlich, daß vor allem dahin gestrebt werden muß, Planmäßigkeit, Ordnung und Disziplin in das Streikwesen zu bringen, erklärt der Ausschuß: daß er stets für einen Streik nur dann Gelder bewilligen wird, wenn derselbe vorher statutengemäß angemeldet und gebilligt worden ist." 19. Juli 1870 / 10. Mai 1871 Der deutsch-französische Krieg ist ein schwerer Rückschlag für die junge deutsche Gewerkschaftsbewegung. Die Gewerkvereine gehen etwa auf 35.000, die Arbeiterschaften von etwa 18.500 auf 4.200 und die Gewerksgenossenschaften auf etwa 18.000 Mitglieder bei Kriegsende zurück. Dazu kommen noch rund 6.600 Mitglieder des Buchdruckerverbandes, die sich richtungspolitisch nicht festgelegt haben. Vier der zehn Berufsverbände der Gewerksgenossenschaften gehen während des Krieges ein. Die anderen können - organisatorisch geschwächt- keine Generalversammlungen einberufen.
28. Oktober 1870 Im "Soester Wahlprogramm" für die Katholische Fraktion im preußischen Abgeordnetenhaus wird u.a. gefordert: "Freiheit für alle den gesetzlichen Boden nicht verlassenden Bemühungen zur Lösung der sozialen Aufgaben. Gesetzliche Beseitigung solcher Übelstände, welche den Arbeiter mit moralischen oder körperlichem Ruin bedrohen."
13. Dezember 1870 Die auf der Basis des Soester Wahlprogramms gewählten katholischen Abgeordneten des preußischen Abgeordnetenhauses gründen die Fraktion "Zentrum (Verfassungspartei)". Die Fraktion erläßt am 11. Januar 1871 den Aufruf zu den Reichstagswahlen.
Die Zeitschrift "Arbeiterfreund" - Organ des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Classen - schreibt: "Streiks können nur verhindert werden, wenn es dem Arbeitgeber durch ein Übereinkommen gelinge, sich die Leistungen der Arbeiter im Voraus für einen längeren Zeitraum zu sichern, welches wiederum nur durch feste und bindende Verabredungen über den Lohn für einen längeren Zeitraum möglich ist."
Nach der Reichsgründung erlebt Deutschland einen großen Wirtschaftsaufschwung (Gründerjahre). Allein 1871 und 1872 werden in Preußen etwa 780 Aktiengesellschaften gegründet, gegenüber 300 in der Zeit von 1790 bis 1870. Als ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung erweist sich - neben den hohen französischen Kriegsentschädigungen - die Annexion von Elsaß-Lothringen. Die lothringischen Eisenerzvorkommen bilden eine bedeutende Grundlage für die deutsche Stahlindustrie, die nach 1900 entdeckten elsässischen Kalilager begründen mit den mitteldeutschen Vorkommen Deutschlands Kalimonopol auf dem Weltmarkt.
1871 / 1878 Der Arzt Ludwig Hirt veröffentliche in diesen Jahren den vierbändigen Zyklus: "Die Krankheiten der Arbeiter".
18. Januar 1871 In Versailles wird das deutsche Kaiserreich proklamiert. 18. März 1871 In Paris beginnt ein Aufstand französischer Arbeiter gegen die Regierung. Die Regierungsgewalt - die "Pariser Kommune" - wird durch Vertreter der Handwerker und Arbeiter übernommen. 21. März 1871 57 katholische Reichstagsabgeordnete, darunter Bischof W. E. v. Ketteler, gründen die Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags.
14. April 1871 Der Reichstag nimmt die Reichsverfassung an. Sie ist die unwesentlich geänderte, durch Verträge mit den süddeutschen Staaten ergänzte Verfassung des Norddeutschen Bundes. Der Reichstag, hervorgegangen aus allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen (Frauen haben kein Wahlrecht), bewilligt den Haushalt. Von ihm angenommene Gesetze werden erst gültig nach Zustimmung des Bundesrates, dem höchsten Organ, in dem Preußen mit 17 Vertretern von 58 aus 26 deutschen Staaten dominiert. Beim Bundesrat liegt die Einbringung, Ausführung und Kontrolle der Gesetze. Der Reichskanzler, vom Kaiser berufen und nur ihm rechenschaftspflichtig, führt die Regierung. Der Kaiser entscheidet über Krieg und Frieden, repräsentiert Deutschland gegenüber dem Ausland und verkündet die Gesetze. Die Verfassung enthält keine bürgerlichen Grundrechte.
19. April 1871 Im "Volksstaat" wendet sich Th. Yorck an die Vorstände und Mitglieder der Internationalen Gewerksgenossenschaften und schlägt ihnen vor, eine Gewerkschaftsunion zu bilden, "die die einzelnen Körperschaften verbindet und, ohne deren Selbständigkeit in eigenen Verwaltungssachen aufzuheben, doch die Möglichkeit bietet, selbsttätig vorzugehen. Ein bloßer Kartellvertrag, etwa nur dazu errichtet, um den Kontrahenten die Kassenbestände der verschiedenen Gewerkschaftskassen zu Verfügung zu stellen, wäre ebenso ungenügend als es andererseits verkehrt sein würde, jetzt alle Gewerkschaften in einen Topf zu werfen, um einen Gewerkschaftsbrei à la Schweitzer daraus zu machen. Ebenso aber haben wir im verflossenen Jahre sattsam Gelegenheit gehabt, zur beobachten, wohin es führt, wenn in einer Stadt jede winzige Mitgliedschaft in absolutester Unabhängigkeit von der womöglich noch kleineren Mitgliedschaft ihre eigenen Wege geht. Durch das vollständige Isoliertsein der Gewerkschaften ist es nun eben dahin gekommen, daß wohl keine derselben imstande sein wird, selbständig eine Generalversammlung abhalten zu können, und aus diesem Umstande ist recht deutlich zu ersehen, wie notwendig ein geregeltes und gemeinsames Zusammengehen und Zusammenwirken ist.
23. April 1871 M. Hirsch, wegen zahlreicher Streiks bei der Fortschrittspartei skeptisch beurteilt, betont in einem Erlaß, daß die deutschen Gewerkvereine auf Grund der Musterstatuten weit entfernt sind, Arbeitseinstellungen zu provozieren, dieselben vielmehr auf alle Weise zu erschweren und zu verhüten suchen. Es ist jede prinzipielle Feindseligkeit gegen das Kapital ausgeschlossen. Gleichberechtigung, Vereinbarung, Schiedsgericht sind unser Wahlspruch. 26. April 1871 Die letzte Nummer des "Social-Demokrat" erscheint. Nachfolgeorgan wird ab 1. Juli 1871 der "Neue Social-Demokrat". Mai 1871 In einer Resolution rät der Sozialdemokratische Arbeiterverein in Stuttgart den Parteigenossen dringend, "einen Streik nur dann zu beginnen, wenn gebieterische Notwendigkeit vorliegt und man über die dazu erforderlichen Geldmittel verfügen kann, ferner: nicht so planlos zu verfahren wie bisher, sondern nach einem ganz Deutschland umfassenden Organisationsplan. Als bester Weg, Geldmittel und Organisation zu beschaffen, wird die Gründung und Pflege der Gewerksgenossenschaften empfohlen."
10. Mai 1871 Der Friede zwischen Deutschland und Frankreich wird in Frankfurt a. Main unterzeichnet. 25. Mai 1871 In Berlin tagt die erste Generalversammlung des "Allgemeinen Arbeiterunterstützungsverbandes". 19 Delegierte vertreten nur noch rund 4.260 Mitglieder. Die Generalversammlung beschließt auf lokaler Ebene das Berufsprinzip wiederzuherstellen.
A. Bebel verteidigt im Reichstag die vielgeschmähte Pariser Kommune. Das europäische Proletariat sehe hoffnungsvoll auf Paris.
28. Mai 1871 Die letzten Mitglieder der Pariser Kommune ergeben sich. Die Regierungstruppen richten unter den Teilnehmern des Aufstandes ein furchtbares Blutbad an. 28./30.Mai 1871 In Glauchau nehmen 147 Delegierte aus 85 Orten am ersten deutschen Webertag teil. A. Bebel hält das Hauptreferat. In Resolutionen werden das Verbot der Kinderarbeit und die gesetzliche Einführung eines zehnstündigen Normalarbeitstages verlangt. Für den Webertag ist es "Pflicht der Fachgenossen, dahin zu wirken, daß die Frauen in den Fabriken und Werkstätten mit in die Gewerks- und Fachorganisationen als gleichberechtigt eintreten, und es dahin zu bringen, daß die Löhne für Frauen und Männer gleichgestellt werden". Der Webertag erachtet es auch für wünschenswert, daß sich Schiedsgerichte bilden, die zu gleichen Teilen aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehen, um Differenzen, durch die ein Streik droht, auf gütlichem Wege auszugleichen. 7. Juni 1871 Das Reichshaftpflichtgesetz tritt in Kraft. Nach massiven Protesten der Unternehmer ersetzt der Gesetzgeber die vorgesehene Gefährdungshaftung durch die Verschuldungshaftung. So kann ein Arbeiter, der einen Arbeitsunfall erleidet, durch den er zeitweilig oder lebenslang erwerbsunfähig wird, nur dann einen Entschädigungsanspruch anmelden, wenn er entweder bei der Eisenbahn in einem Bergwerk, Steinbruch oder in einer Fabrik beschäftigt ist und die Schuld des Unternehmers oder eines leitenden Angestellten an seinem Unfall nachweisen kann. Nur bei ca. 20% der Unfälle wird in den folgenden Jahren eine Unternehmerhaftung wirksam. Die Verpflichtung der Unternehmer ihre Arbeiter gegen Unfälle zu versichern wirkt sich als Kostenfaktor bei der Lohngestaltung negativ auf die Arbeiter aus. Juli 1871 / 1887 Mit der Aufhebung der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium beginnt der sog. "Kulturkampf", die Auseinandersetzung zwischen preußischem Staat, dem Liberalismus einerseits und der katholischen Kirche und dem Zentrum andererseits.
16. Juli / Ende August 1871 Berliner Maurer können durch mehrere bis 5-wöchige Streiks den 10-Stunden-Tag bei gleichem Lohn gegen den erbitterten Widerstand der Bauunternehmer durchsetzen. Die Streikenden werden durch Geldspenden aus dem In- und Ausland unterstützt.
16. Juli 1871 In Leipzig gründen Vertreter von 22 Bruderschaften den "Zentralverein der Deutschen Hutmacher" mit Sitz in Offenbach.
17./19. Juli 1871 Auf dem 1. deutschen Bühnenkongreß in Weimar wird die "Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger", die erste gewerkschaftliche Organisation aller deutschen Bühnenschaffenden, ins Leben gerufen. Zweck der Organisation ist "die Fortentwicklung des deutschen Theaters sowie die Sicherung und Hebung der geistigen und materiellen Interessen der deutschen Bühnenangehörigen". Theaterleiter und Direktoren können Genossenschaftsmitglied werden, Bühnenarbeiter nicht.
12./15. August 1871 Auf dem Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Dresden spricht Th. Yorck über den gesetzlichen Zehnstundentag, der dann auch als Forderung beschlossen wird, A. Bebel über die Forderung nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Landtags- und Gemeindewahlen, Wilhelm Bracke über das neue Haftpflichtgesetz. Der Kongreß erklärt das Haftpflichtgesetz als völlig unzureichend für die Arbeiter. 15. August 1871 Auf Vorschlag Th. Yorcks treffen Beauftragte der Ausschüsse der einzelnen Gewerksgenossenschaften nach dem Dresdener Kongreß der SDAP zusammen, "um über die Grundlage der Agitation zur Ausbreitung und Kräftigung der Gewerkschaften einerseits sowie über Mittel und Wege zur Gründung einer Gewerkschaftsunion andererseits zu beraten".
26./29. August 1871 Der 1. Verbandstag der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine in Berlin diskutiert nach dem Waldenburger Streik ausführlich über Streiks. Obgleich von einzelnen Vertretern betont wird, daß die gepredigte Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit aus dem Grunde unausführbar sei, weil der größte Teil der Arbeitgeber von ihr nichts wissen wolle, so wird doch eine Resolution angenommen, in der es heißt, daß "im Prinzip jede Arbeitseinstellung als den beteiligten Parteien, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, schädlich zu verwerfen sei". Deshalb soll eine Kommission Normen darüber feststellen, unter welchen Verhältnissen eine Beteiligung an derselben statthaft sei.
9./12. September 1871 Auf dem Buchdruckertag in Frankfurt a. Main, auf dem 50 Delegierte aus 34 Gauverbänden rund 6.200 Mitglieder vertreten, wird ein neues Statut verabschiedet. Der "Deutsche Buchdruckerverband" umfaßt die unter der Bezeichnung "Gauverbände" gegründeten Vereinigungen der Buchdrucker und Schriftgießer, welche aus Ortsvereinen bestehen.
Oktober 1871 In einem Flugblatt veröffentlicht M. Hirsch einen Statutenentwurf für Einigungsämter:
12. Oktober 1871 In einer Rede fordert der spätere "Kathedersozialist" Adolph Wagner Arbeitergewinnbeteiligung, Lohnerhöhungen, Verkürzung der Arbeitszeit, Verbesserung der Wohnungsverhältnisse sowie eine soziale Fabrik- und Steuergesetzgebung, wobei dem Staat bei der Verwirklichung dieser Forderung eine maßgebende Rolle zukomme. Gleichzeitig fordert er den "Verzicht der höheren Klassen auf ihren Rechtsanspruch auf eine viel bessere Lebensweise", um eine Revolution zu verhindern. 28. Oktober 1871 In Berlin wird der "Deutsche Lehrerverein" gegründet. Er ist parteipolitisch, religiös und weltanschaulich neutral und "bezweckt die Förderung der Volksbildung und den Ausbau der in ihrem Dienste stehenden Einrichtungen, insbesondere erstrebt er eine möglichst vollkommene Ausgestaltung des Schulwesens und vertritt die gemeinsamen Angelegenheiten des Lehrerstandes".
28. Oktober / Mitte November 1871 In Chemnitz streiken 6.500 Metallarbeiter. In mehreren Massenveranstaltungen wird erneut der gesetzliche Zehnstundentag gefordert. Trotz großer Solidarität der Arbeiter ganz Deutschlands muß der Streik ergebnislos abgebrochen werden. Er ist die größte Aktion innerhalb einer rasch anwachsenden Streikbewegung. 18. November 1871 Den ergebnislosen Abbruch des Chemnitzer Metallarbeiterstreiks führt "Der Volksstaat" auf den Mangel an gewerkschaftlicher Organisation zurück. "Gestehen wir ein: Unsere bisherige Organisation war ungenügend, unsere Gewerkschaften sind im großen und ganzen nur auf dem Papier vorhanden, wir haben Organisationsrahmen, allein die Rahmen sind nicht ausgefüllt. Machen wir die papierne Organisation zu einer wirklichen! Werfen wir uns mit aller Kraft in die gewerkschaftliche Bewegung! Schrecken wir vor keiner Schwierigkeit zurück! Begreifen wir, daß die Arbeiterklasse bloß die Wahl hat zwischen Niederlage und Organisation." 19./20. November 1871 146 Delegierte Berliner lassalleanischer Gewerkschaftsorganisationen aus 23 Gewerken und Fabrikvereinen gründen auf einem Kongreß in Berlin den "Berliner Arbeiterbund".
Ende 1871 Bis zu diesem Zeitpunkt gelingt es den Buchdruckern in zahlreichen Städten und Provinzorten den Zehnstundentag tarifvertraglich festzusetzen.
Ende 1871 / 1872 Die polizeilichen und gerichtlichen Verfolgungen gegen Mitglieder und Organisation der Arbeiterbewegung nehmen zu. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000 |