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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
14. Okt. 1977

In der gemeinsamen Sitzung von Parteirat, Parteivorstand und Kontrollkommission der SPD in Bonn dankt W. Brandt vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Ausweitung des Entführungsfalles Hanns Martin Schleyer und der sich daraus ergebenden Belastungen unter einmütiger Zustimmung des Parteirates Bundeskanzler H. Schmidt für die Umsicht und Abgewogenheit, mit der dieser schwierige Vorgang in den letzten Wochen abgehandelt worden sei. Vor diesem Hintergrund sei es Pflicht eines jeden Sozialdemokraten, seinen Beitrag zu leisten, damit die Partei nicht durcheinandergebracht werde. „Wir dürfen niemandem Vorwände liefern, uns als zerstritten darstellen zu können.„ Jetzt erst recht gelte es, sich darauf zu besinnen, dass die SPD am 3. Oktober 1976 die Wähler gebeten habe, unter Helmut Schmidt und mit den Freien Demokraten diese Bundesrepublik Deutschland bis 1980 vernünftig zu regieren. „Der Wähler hat uns diesen Auftrag erteilt. Dies ist der anderes überwölbende Auftrag, der manche Sondervoten zurückdrängen muss.„ Er sei zuversichtlich, dass der Vorgang um die Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes vom 29. September 1977 ein Ausnahmefall bleiben werde. Weder der Bundeskanzler, noch er selbst oder der Fraktionsvorsitzende hätten Klartext reden können, als es darum gegangen sei, die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion für dieses eilbedürftige Gesetz einzuholen. Spätestens dann, wenn die von der Bundesregierung angekündigte Dokumentation zu dem Gesamtvorgang vorgelegt werden könne, werde sich zeigen, wie zwingend die Gründe für das Gesetz gewesen seien. Er erwarte daher, dass die abschließende Aussprache der Bundestagsfraktion am kommenden Dienstag einen positiven Schlusspunkt setzen und keine belastende Überraschung ergeben werde. Die Koalitionsparteien seien sich im übrigen einig, dass bei jeder der noch notwendig erscheinenden zusätzlichen Maßnahmen sichergestellt werde, dass die Koalition sich auf eine ausreichende Mehrheit aus den eigenen Reihen verlassen könne.

Zum Hamburger Parteitag erklärt W. Brandt, dieser werde keine Show-Veranstaltung, sondern zeigen, dass Sozialdemokraten in einer schwierigen Zeit sachliche Arbeit leisten könnten. Die Menschen in der Bundesrepublik würden spüren, dass die SPD ihnen Orientierung geben könne. Hamburg werde zeigen, dass wir Vertrauen in unsere Regierung haben und dass wir das Vertrauen unserer Wähler rechtfertigen. Neues Vertrauen müsse hinzu erworben werden. Die SPD habe ein Tief, das unmittelbar nach der Bundestagswahl zu spüren gewesen sei, überwunden. Gleichrangig daneben stehe die Frage der inneren Sicherheit, die immer gekoppelt sei mit der inneren Freiheit in unserem Lande. Die SPD stehe hier vor einem Zweifrontenkampf gegen die verbrecherischen Terroristen und die Demagogen, die den Terrorismus benutzen wollten, um die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zurückzudrehen. Er sei aber nicht bereit, die Oppositionsparteien mit all dem in einen Topf zu werfen, was in den letzten Tagen in ihrem Namen oder von einzelnen Vertretern des rechten Unionsflügels in die öffentliche Debatte gebracht worden sei. Mit großem Respekt habe er zum Beispiel die verantwortungsbewussten Äußerungen des niedersächsischen Finanzministers W. Leisler Kiep und die Haltung des Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel zur Kenntnis genommen. Der CDU-Vorsitzende Kohl habe also auch, wenn er es wolle, Vorbilder in den eigenen Reihen.

Die SPD habe sich jetzt vor allem auf drei Feldern der Politik zu bewähren: Sicherheit des Bürgers und seines demokratischen Staates; Reformbewusstsein erhalten und vermitteln, auch und gerade unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen, um somit unser Land in angemessenem Tempo auf die Zukunft einzurichten; Fortentwicklung Europas zu einer Gemeinschaft der Freiheit und sozialen Sicherheit.

H. Schmidt sagt, er sei zuversichtlich, dass der Vorgang um die Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes ein Ausnahmefall bleiben werde. H. Wehner stellt fest, dass nach seiner Überzeugung kein Mitglied der Fraktion bei den Beratungen des Kontaktsperregesetzes terroristische Handlungen beschönigt oder verharmlost habe. Unterschiedliche und gegensätzliche Meinungen habe es in der Bundestagsfraktion in Bezug auf die Behandlung des Gesetzentwurfs und bei seiner rechtspolitischen Bewertung gegeben.


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