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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17. Mai 1968

Der SPD-Vorsitzende W. Brandt richtet ein Rundschreiben an alle Organisationsgliederungen der SPD, in dem es u. a. heißt: Der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist es in dieser Woche nach harten Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner gelungen, bei der 2. Lesung der Notstandsverfassung wesentliche Verbesserungen der Beschlüsse des Rechtsausschusses durchzusetzen. Es ist jetzt sichergestellt, daß Dienstverpflichtungen und Arbeitsplatzwechselverbote nur entweder nach Feststellung des Verteidigungsfalles oder vorher mit Zustimmung einer 2/3 Mehrheit des Bundestages ausgesprochen werden können. Sonstige Maßnahmen nach den Vorsorge- und Sicherstellungsgesetzen können vor Eintritt des Verteidigungsfalles grundsätzlich nur mit Zustimmung des Bundestages getroffen werden. Die Zahl der Vorbedingungen für den Einsatz von Streitkräften bei einem inneren Notstand sind auf Betreiben der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion entscheidend vergrößert worden. Es ist besonders festgelegt worden, daß die in einzelnen Artikeln des Grundgesetzes vorgesehenen Notstandsmaßnahmen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten dürfen. Damit nimmt die Verfassung erstmals ausdrücklich das Recht auf Arbeitskämpfe auf. Im Grundgesetz ist das Widerstandsrecht eines jeden Staatsbürgers verankert worden: Gegen jeden, der es unternimmt, die Grundsätze des demokratischen und sozialen Rechtsstaates zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Damit ist grundgesetzlich sogar ein politischer Streik legitimiert worden, der die demokratische, die rechtsstaatliche, die soziale oder die bundesstaatliche Grundordnung erhalten will, sofern andere Abhilfe nicht möglich ist. Wir erinnern daran, daß darüber hinaus entscheidende Grundsätze sozialdemokratischer Verfassungspolitik bereits im Regierungsentwurf einschränkungslos enthalten waren, die unverändert jetzt in das Gesetz eingegangen sind, darunter die folgenden: Wegfall jeglichen Notverordnungsrechtes der Bundesregierung; ausnahmslose Wahrung der Rechte des Parlaments bzw. des Notparlaments in Gestalt des »Gemeinsamen Ausschusses«, der von Bundesrat und Bundestag gebildet wird; keinerlei Ersatzzuständigkeiten von Bundespräsident und Bundeskanzler; Wegfall jeglicher auf Notstandsrecht basierenden Eingriffsmöglichkeiten in das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, in das der Versammlungsfreiheit und in das der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit; klare Unterscheidung zwischen Verteidigungsfall und innerem Notstand; Gewährleistung der föderativen Machtverteilung zwischen Bund und Ländern auch im Verteidigungsfall und volle Wahrung der Zuständigkeiten und der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts.


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net edition fes-library | Juni 2001