Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Kongreß der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAI) in Wien. 664 Delegierte vertreten rund 6200000 Mitglieder. Tagesordnung: Der Kampf um die Abrüstung und gegen die Kriegsgefahr (L. de Brouckère); die Lage in Deutschland und Zentraleuropa und der Kampf der Arbeiterklasse um die Demokratie (O. Bauer); die Weltwirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit (R. Grimm).
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
25. Juli/ 1. Aug. 1931
E. Vandervelde, der Vorsitzende der Internationale, weist darauf hin, daß sich die Krise am schärfsten in Deutschland auswirke. Als ihre Ursachen nennt er den Krieg, den wirtschaftlichen Nationalismus und das kapitalistische System. Es werde die vornehmste Aufgabe des Kongresses sein, die bestehenden Schwierigkeiten unter dem dreifachen Gesichtspunkt der Abrüstung, der Arbeitslosigkeit und des Kampfes um die Demokratie anzupacken.
Der Kongreß fordert eine schnelle und großzügige Kredithilfe für Deutschland und eine rasche Regelung der Reparationsfrage und der Kriegsschulden. Die wichtigste Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse sei die Verteidigung der Demokratie. Der Kongreß habe volles Vertrauen zu den deutschen Arbeitern, daß sie den deutschen Faschismus schlagen werden.
Sollte aber die faschistische Gewalt der Arbeiterklasse ihren demokratischen Kampfboden entreißen, dann werde der Arbeiterklasse kein anderer Ausweg bleiben, als der Gewalt des Faschismus alle ihre Machtmittel entgegenzuwerfen. Die Welt habe keine andere Wahl als die: Entweder eine sofortige und großzügige internationale Aktion zur Rettung der Wirtschaft, der Demokratie und des Friedens oder die Katastrophe und den Bürgerkrieg.
Zur Wirtschaftskrise stellt der Kongreß u. a. fest:
»Die Anarchie, die der kapitalistischen Wirtschaft innewohnt, kann nicht beseitigt werden, ohne das kapitalistische System selbst zu beseitigen. In weiten, auch nichtproletarischen Kreisen lebt angesichts des unerhörten Maßes von Elend die Überzeugung, daß an die Stelle des kapitalistischen Wirtschaftssystems eine planmäßige Gestaltung der Weltwirtschaft treten muß. Aufgabe der internationalen sozialistischen Parteien und Arbeiterorganisationen ist es, diese Erkenntnis durch die klare Aufdeckung der Grundursachen der kapitalistischen Mißwirtschaft zu fördern, die Wege zu weisen für die Verwirklichung der sozialistischen Gemeinwirtschaft, um die gegenwärtige Krise auszunützen für den systematischen Kampf des Proletariats gegen die bürgerliche Klassenherrschaft.
Der Kampf der Arbeiterklasse für die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft muß im Interesse des Proletariats in der Gegenwart verbunden sein mit dem Kampf zur Linderung der Krise und der Not der Krisenopfer.«
Der Kongreß bestätigt die Beschlüsse von Brüssel (1928) und Zürich (Januar 1931).
Der Kongreß fordert mit Nachdruck die öffentliche, demokratische Kontrolle der Wirtschaft, insbesondere der monopolistischen Zusammenschlüsse aller Art. Die Voraussetzung ihres vollen Erfolges ist die Änderung des Eigentums an den Produktionsmitteln sowie der Wirtschaftsmethoden. Als wichtigsten Schritt hierzu und zugleich als Überleitung zur sozialistischen Planwirtschaft betrachtet der Kongreß die Sozialisierung der Schlüsselindustrien, die Schaffung staatlicher oder genossenschaftlicher Handelsmonopole, die im Interesse der Gemeinwirtschaft verwaltet werden, und die Verstaatlichung des Bank- und Kreditwesens. Er fordert die sozialistischen Parteien auf, diese Forderungen in den Mittelpunkt des Kampfes gegen die Krise zu stellen, durch ihre Verwirklichung auf nationalem Gebiet die Bedingungen für die Durchführung einer internationalen öffentlichen Wirtschaftskontrolle zu schaffen und den Boden für die Verwirklichung des Sozialismus vorzubereiten.
Der Kongreß fordert die Abrüstung durch den Völkerbund und die Anwendung des internationalen Schiedsverfahrens bei Konflikten zwischen den Staaten. Die Propaganda gegen den Krieg soll verstärkt werden.
In die Exekutive der SAI werden neben dem Vorsitzenden E. Vandervelde (Belgien) u.a. A. Crispien, J. Stelling und O. Wels gewählt.