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TEILDOKUMENT:


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Struktur und Politik:
Skizze zur Geschichte der Bergarbeiter- und der Lebensmittelarbeiter-Internationale
von Peter Rütters




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Einleitung

Beide Berufssekretariate vergleichend zu skizzieren, folgt nicht einer gezielten Auswahl, sondern resultiert aus einem glücklichen Zufall. Er machte es möglich, eine umfangreiche Sammlung von Materialien beider Berufssekretariate zusammenzutragen, vor allem jeweils einen vollständigen Satz der Kongressprotokolle, und sie durch Verfilmung auf Mikrofiches zu sichern. Den in der FES-Bibliothek vorhandenen Stand der Sammlung von Publikationen beider Berufssekretariate auf Mikrofiches und in 'Papierform' dokumentiert der vorliegende Band.

* * *

Im Dezember 1995 beschloss der in Washington zusammengetretene 48. Kongress des Internationalen Bergarbeiterverbandes (IBV) die seit Ende der 80er Jahre vorbereitete Fusion (besser wohl: Eingliederung) mit der Internationalen Föderation der Chemie-, Energie- und Fabrikarbeiterverbände (ICEF). Diese Entscheidung beendete die mehr als 100 Jahre nahezu ununterbrochen bestehende eigenständige Existenz der Bergarbeiter-Internationale.

Die Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittel-Gewerkschaften (IUL), die Mitte der 90er Jahre mit 2,6 Mio. Mitgliedern (in 331 Gewerkschaften und 111 Ländern) kaum mehr Organisierte vertrat als die Bergarbeiter-Internationale, zeigte indes bislang wenig Ambitionen, ihre organisatorische Eigenständigkeit aufzugeben. Die Lebensmittelarbeiter-Internationale wurde im Jahr 1920 gegründet, doch liegen ihre historischen Wurzeln ebenfalls vor dem Ersten Weltkrieg.

Trotz dieser hier nur angedeuteten offensichtlichen Unterschiede zwischen den beiden Internationalen Berufssekretariaten (IBS) [Um diese Skizze nicht mit Fußnoten und Verweisen zu überfrachten, sei hier auf einige Arbeiten zu beiden Berufssekretariaten hingewiesen. Zum IBV: Karl-Georg Herrmann: Die Geschichte des Internationalen Bergarbeiterverbandes 1890-1939, Frankfurt a. M. 1994; Daniel C. Lazorchick: Miners' International Federation. An International Labor Study, Washington D. C. 1962; Peter Rütters: Der Internationale Bergarbeiterverband 1890-1993. Entwicklung und Politik, Köln 1995; - zur IUL: Leon A. Dale: The International Union of Food and Drink Workers' Associations, Washington D.C. 1959; Peter Rütters: Chancen internationaler Gewerkschaftspoli tik. Struktur und Einfluß der Internationalen Union der Lebens- und Genußmittelarbeiter-Gewerkschaften (1945-1985), Köln 1989.] unterlagen beide ähnlichen Rahmenbedingungen, die Entstehung und Entwicklung, Struktur und Funktion beeinflussten und prägten. Es soll daher in dieser Einleitung (anstelle von Organisationsskizzen zu beiden Berufssekretariaten) den Differenzen nachgegangen werden, die die Variationen in Entwicklung, Struktur und Politik bedingten. Dabei liegt es nahe, in dem jeweils vertretenen fachlichen Organisationsbereich, dem Berufs- und/oder Industriezweig, den wichtigsten Faktor für die Unterschiede der Berufssekretariate zu suchen.

Um dem nachzugehen, sollen exemplarisch folgende Aspekte vergleichend betrachtet werden: (1) die Gründungsphase der Berufssekretariate, (2) deren 'Institutionalisierung' zu eigenständigen internationalen Organisationen, (3) die Entwicklung ihres sektoralen (fachlichen) und räumlichen (Globalisierung) Organisationsbereichs sowie (4) Veränderungen der Anforderungen an die IBS, konkret: relevante Handlungsfelder.

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Gründungskonstellation

Auf Einladung der bereits gefestigten britischen Bergarbeitergewerkschaften trat vom 20. bis 23. Mai 1890 im belgischen Jolimont der Gründungskongress der Bergarbeiter-Internationale zusammen. Neben den britischen Verbänden [Die britischen Gewerkschaften waren in eigenständigen District-Verbänden organisiert; 1889 schlossen sich mehrere District-Verbände zur Miners' Federation of Great Britain (MFGB) zusammen, der sich in den nächsten zwei Jahrzehnten fast sämtliche District-Gewerkschaften anschlossen. Lange Zeit blieb die nordenglische Miners' National Union (MNU) ein einflussreicher Gegenspieler. Beide Organisationen waren auf den IBV-Kongressen vertreten, ebenso zahlreiche Vertreter von District-Gewerkschaften.] nahmen Gewerkschaftsvertreter aus Belgien, Deutschland, Frankreich und Österreich teil. Das Interesse, eine internationale Gewerkschaftsorganisation zu etablieren, verlief parallel zur Bildung nationaler Bergarbeitergewerkschaften in den einzelnen Ländern. Hinzu kam die Expansion der großindustriellen Kohlenförderung sowie das Wachstum insbesondere des Ruhrbergbaus [Vgl. F.-J. Brüggemeier, Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889-1919, 2. Aufl., München 1984.], was zu einer zunehmenden Konkurrenz der beiden großen Förderländer, Großbritannien und Deutschland, führte und die Verhandlungspositionen einzelner Gewerkschaften schwächen konnte [Vgl. die Begründung W. Crawfords, für einen internationalen Zusammenschluss der Bergarbei ter auf dem GründungsKongress, International Miners' Congress, held in Jolimont, Belgium, May 20th, 21st, 22nd, and 23rd, 1890, S. 3 f.].

Der Kongress führte ungleiche Gewerkschaften mit unterschiedlichen Erwartungen an eine internationale Organisation zusammen. Im Vergleich zu den etablierten und durchsetzungsfähigen britischen Verbänden standen die kontinentalen Gewerkschaften am Anfang ihrer Entwicklung [Auf dem Kongress 1890 repräsentierten 36 britische Gewerkschafter etwa 340.000 Mitglieder, während 50 belgische, 7 französische und 5 deutsche Delegierte sowie ein österreichischer Ge werkschafter ca. 65.000 Mitglieder vertraten. - Die geringe Vertretung deutscher Bergarbeiter auf diesem Kongress drückte den defizitären Entwicklungsstand der Bergarbeitergewerkschaften aus, war aber auch Folge der Repressionen preußischer Behörden, die Geldsammlungen für die Entsendung von Delegierten verhindert hatten und drohten, die Teilnehmer an der in ternationalen Konferenz wegen Landesverrats anzuklagen, vgl. International Miners' Congress, 1890, S.4, 7; ferner als einschlägige Arbeit zur Gründungsphase des IBV: K. G. Herrmann, Die Geschichte des Internationalen Bergarbeiterverbandes 1890-1939, Frankfurt a. M. 1994, S. 24.].
Sie hatten nur eine geringe, stark fluktuierende Mitgliedschaft, waren gesellschaftlich kaum akzeptiert, als Interessenvertretung der Bergarbeiter von seiten der Unternehmen abgelehnt und noch nicht in der Lage, einen maßgebenden Einfluss auf die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu gewinnen. Motive und Interessen, eine internationale Vereinigung der Bergarbeitergewerkschaften zu gründen, waren entsprechend unterschiedlich: Die kontinentalen Bergarbeitergewerkschaften hofften anfangs vor allem auf eine Kompensation ihrer Handlungsschwäche durch internationale Aktionen, während die britischen Gewerkschaften eher eine protektionistische Perspektive zu verfolgen schienen. In der Praxis des IBV standen jedoch die von 1890 bis 1913 jedes Jahr durchgeführten Kongresse [Der jährliche Kongressrhythmus ist ungewöhnlich verglichen mit dem zwei oder dreijährigen Turnus anderer Berufssekretariate.] im Mittelpunkt. Sie dienten einem mit der Zeit wachsenden Bedürfnis nach Erfahrungs- und Informationsaustausch, hatten aber zugleich die Funktion, einzelnen Mitgliedsverbänden als öffentlichkeitswirksames Forum für ihre nationalen Forderungen zu dienen. Diesen 'Kongress-Internationalismus' prägten vor allem die dominanten britischen Verbände, die die Kontinuität des IBV in der Gründungsphase sicherten. Aufgrund ihrer Mitgliederstärke dominierten sie lange Zeit die Bergarbeiter-Internationale und verhinderten einen institutionellen Ausbau, den aber auch strukturelle Faktoren hemmten. Die geringe Zahl der Mitgliedsverbände - bis 1913 waren Gewerkschaften aus 7 Ländern mehr oder weniger regelmäßig auf den Kongressen ver-

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treten [Außer den Gewerkschaften der fünf Gründungsländer schlossen sich nur die nordamerikanische UMWA (1904) und der niederländische Bergarbeiterverband (1910) dauerhaft an.] - verlangte keinen hohen Koordinationsaufwand. Service-Funktionen wie Reise- und Unterstützungskassen, Streikfonds und differenzierte Überweisungssysteme [Als einzige Serviceeinrichtung hatte die Bergarbeiter-Internationale auf Antrag der UMWA 1906 eine internationale Überweisungskarte für die gegenseitige Anerkennung der Gewerkschaftsmitgliedschaft eingeführt.], die andere Berufssekretariate unterhielten, bestanden nicht. Für derartige Einrichtungen fehlte entweder die handwerkliche Tradition (Reise- und Unterstützungskassen) oder sie waren angesichts der Entwicklungsdifferenzen der Gewerkschaften und der Konfliktmuster im Bergbau nicht funktional (Streikfonds) [Unabhängig von der Institutionalisierung einer Un terstützungseinrichtung hatte vor allem die MFGB kontinentale Mit gliedsverbände des IBV bei allen größeren Arbeitskämpfen fi nanziell unterstützt.].

Der 'Kongress-Internationalismus' des IBV entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Forum für einen intensiver werdenden Informations-, Erfahrungs- und Meinungsaustausch, der sich mit Fragen des Arbeitsschutzes, der sozialen Sicherheit, der Arbeitsbedingungen, der Arbeitsbeziehungen und der Produktionsbedingungen befasste und mit Diskussionen zur Anti-Kriegspolitik und -propaganda den berufsbezogenen Rahmen verließ. Ansatzweise gab es bereits den Versuch, die internationalen Verbindungen für eine Koordinierung von Arbeitskämpfen zu nutzen.

Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges - und auch in der Zwischenkriegszeit - blieb der IBV eine europäische Internationale, die ihre Basis vor allem durch die Organisationserfolge ihrer Gründungsmitglieder verbreitern konnte. Dennoch blieb der 1904 erfolgte Beitritt der mitgliederstarken nordamerikanischen United Mine Workers of America (UMWA) nicht ohne Folgen, da er die Dominanz der britischen Gewerkschaften einschränkte.

Die Internationale Union der Organisationen der Arbeiter und Arbeiterinnen der Lebensmittelindustrie (IUL) [Die IUL änderte im Laufe der Zeit, vor allem aufgrund von Fusionen, ihren Namen mehrmals. Derzeit steht das seit 1920 unveränderte Akronym IUL für Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften.] entstand 1920 durch die Fusion von drei vor Beginn des Ersten Weltkrieges gegründeten Berufssekretariaten: der Internationalen Vereinigung der Verbände der Bäcker, Konditoren und verwandten Berufsgenossen (gegründet 1907), dem Internationalen Sekretariat der Brauereiarbeiter (1908) und dem Internationalen Zentralbüro der Fleischarbeiter (1913). Diese drei IBS waren noch berufsbezogene Vereinigungen, gegründet von Gewerkschaften, die nach dem Berufsverbandsprinzip organisiert und von handwerklichen Traditionen geprägte waren. Ihr Zusammenschluss markiert den Übergang zu einem industrieverbandlichen Organisationsprinzip.

Die Gründungsgeschichte der drei Berufssekretariate beginnt nicht erst mit den erwähnten Gründungsdaten. Erste Ansätze für die Bildung einer internationalen Berufsvereinigung reichen bis in die 1890er Jahre zurück [Zur Entwicklung der drei Berufssekretariate vor 1914 vgl. Sigbard Nyström, Geschichte der IUL. 1. Teil: vom Ursprung bis 1920, Genf 1983, S. 38 ff., 50 ff., 99 ff.; Die internationalen Beziehungen der deutschen Arbeitgeber-, Angestellten- und Arbeiterverbände, bearb. im Kaiserlichen Statistischen Amte, Abtl. für Arbeiterstatistik (= 9. Sonderheft zum Reichs-Arbeitsblatte), Berlin 1914, S. 79 ff., 93 ff., 95 ff.; W. Kulemann, Die Berufsvereine. Geschichtliche Entwicklung der Berufsorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber aller Länder, Bd. 6, Berlin 1913, S. 289 f.].
So hatten Vertreter von Brauereiarbeitergewerkschaften aus England, Deutschland, der Schweiz, den Vereinigten Staaten und aus Ungarn in London 1896 vereinbart, ein Informationsbüro einzurichten, die Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenseitig anzuerkennen und durch frühzeitige Information über Arbeitskämpfe die grenzüberschreitende Anwerbung von Arbeitskräften und deren Einsatz als Streikbrecher zu verhindern. Organisatorische Schwächen der beteiligten Gewerk-

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schaften ließen diesen frühen Ansatz scheitern. - Der Gründung der Bäckereiarbeiter-Internationale und der Zentralstelle der Fleischereiarbeiter waren bilaterale Vereinbarungen über eine gegenseitige Anerkennung der Gewerkschaftsmitgliedschaft vorausgegangen [Beispielsweise schloss der deutsche Fleischereiarbeiter-Verband 1911 einen Gegenseitigkeitsvertrag mit der Amalgamated Meat Cutters and Butcher Workmen of North America ab; vgl. Die internationalen Beziehungen der deutschen Arbeitgeber-, Angestellten- und Arbeiterverbände, a.a.O., S. 96.].
Damit wurde ein Interesse an einer kontinuierlichen und umfassenderen Kooperation geweckt; die Umsetzung verzögerten jedoch organisatorische Defizite der beteiligten Gewerkschaften. Die europäischen Brauereiarbeiter-Gewerkschaften waren erst 1908 so weit gefestigt, um kontinuierlich 'internationale' Beziehungen aufbauen, regelmäßige Kongresse (1908, 1910 und 1912) abhalten, beim deutschen Verband ein Sekretariat einrichten und Mitgliedsbeiträge erheben zu können. Die etwa 130.000 Mitglieder in 8 Gewerkschaften (1912) stellten einen bescheidenen Organisationserfolg dar. In Variation findet sich dieses Gründungsmuster auch bei der 1913 beim deutschen Verband eingerichteten Internationalen Zentralstelle der Fleischarbeiter und bei der Internationalen Vereinigung der Verbände der Bäcker, Konditoren und verwandten Berufsgenossen. Die Bäckereiarbeiter-Internationale bedurfte zu ihrer Gründung im Jahr 1907 noch des Internationalen Sozialistenkongresses in Stuttgart, um Vertreter von Berufsgewerkschaften aus 7 Ländern zu einer Bäckereiarbeiter-Konferenz zu versammeln und die Einrichtung eines "Internationalen Sekretariats" beim deutschen Verband zu vereinbaren. Drei Jahre später, auf dem nächsten Kongress, gelang die Umwandlung in die "Internationale Vereinigung".

Die Handlungsschwerpunkte der drei Berufssekretariate waren sehr ähnlich. Sie umfassten Fragen der Reiseunterstützung, der gegenseitigen Anerkennung der Gewerkschaftsmitgliedschaft, schlossen Konflikthilfen bei größeren Arbeitskämpfen ein und waren auf die Abwehr der Anwerbung von Streikbrechern gerichtet; sie bestanden im Erfahrungs- und Informationsaustausch über Arbeits- und Lohnbedingungen und zielten mitunter auf gemeinsame Forderungen (z. B. das Nachtbackverbot). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass alle drei Berufssekretariate amerikanische Gewerkschaften als Mitglieder auswiesen [Der größte Mitgliedsverband der Brauereiarbeiter-Internationale war 1912 der amerikanische Brauereiarbeiterverband, der mit 62.774 Mitgliedern fast 50 % der Mitglieder des Berufssekretariates stellte. Bereits 1896 war die starke europäische Migration in die USA ein wichtiger Grund für den Versuch gewesen, eine internationale Organisation zu errichten, an dem ein Vertreter der amerikanischen Brauereiarbeiter teilnahm. - Auch die beiden anderen IUL-Vorläuferorganisationen hatten vor 1914 jeweils einen Mitgliedsverband in den USA mit einem relevanten Mitgliederanteil. Bei der Bäckereiarbeiter-Internationale waren es 1913 etwa 25 % von insgesamt 70.470 Mitgliedern, bei der Fleischarbeiter-Internationale sogar 40 % von insgesamt 24.650 Mitgliedern.].
Mit den jeweiligen Verbänden bestanden Gegenseitigkeitsvereinbarungen, die den Zweck hatten, die Gewerkschaftsanbindung von Immigranten in die USA zu erreichen.

Der Erste Weltkrieg unterbrach eine Weiterentwicklung der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, die sich angesichts des Kriegsbeginns nicht in der Lage fanden, intervenierend einzugreifen. Die Reaktivierung der Berufssekretariate nach 1918 schuf - abgesehen von einigen Schwierigkeiten, mit der Aktionslosigkeit von 1914 und der Einbindung der Gewerkschaften in die jeweilige nationale Kriegswirtschaft umzugehen - den Freiraum für eine Reorganisation, was den GründungsKongress der IUL im Jahr 1920 ermöglichte.

Der Zusammenschluß der drei Berufssekretariate [Dieser Zusammenschluss sollte bereits 1920 die Tabakarbeiter und die Gastwirtsgehilfen (und auch die Bötticher) einschließen, traf jedoch zu diesem Zeitpunkt auf Ablehnung, vgl. Internationale Union [der Organisationen] der Arbeiter und Arbeiterinnen der Lebensmittelindustrie, Protokoll der Verhandlungen des Internationalen Kongresses der Lebensmittel-Arbeiter und -Arbeiterinnen, Zürich, 25.-27.8.1920, Hamburg o.J., S. 2, 6 ff.] galt als Reaktion auf Veränderungen der Lebensmittelindustrie, sei doch der voranschreitenden "Zusammenfassung der Produktion von Nahrungs- und Lebensmitteln der verschiedensten Art in einzelnen Großbetrieben (...) in einer

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Reihe von Staaten durch Zusammenschluss der Arbeiterverbände dieser Branchen zu Lebensmittel- oder Nahrungsmittelarbeiterverbänden Rechnung getragen" worden, wie es in einer Resolution des Gründungskongresses von 1920 hervorgehoben wurde [Ebd., S. 28.]. Die Konzipierung der IUL als internationale Organisation mit 'industriellem' Zuschnitt griff zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung auf nationaler Ebene voraus, auf der das berufsverbandliche Organisationsprinzip überwog [Von den 18 Gewerkschaften aus 11 Ländern, die 1920 dem Gründungsappell der IUL folgten, vertraten nur 8 einen industrieverbandlichen Organisationsbereich, während die übrigen 10 Verbände berufsverbandlich Bäckerei - , Fleischerei- oder Brauereiarbeiter organisierten. Bis zum Kongress 1923 hatten sich jedoch schon 16 von nun 29 Gewerkschaften (in 19 Ländern) berufsübergreifend organisiert und vertraten 'Lebensmittelarbeiter'; vgl. Internationale Union der Organisationen der Arbeiter und Arbeiterinnen der Lebens- und Genussmittelindustrie, Tätigkeitsbericht des Sekretariats der IUL und Bericht der angeschlossenen Organisationen an den III. Internationalen Kongress der Lebensmittelarbeiter in Kopenhagen (...), Zürich o.J. [1925], S. 6 f.].

Gründungszeitpunkt und Stabilität von Berufssekretariaten, so lässt der Vergleich von IBV und IUL vermuten, waren maßgebend vom Entwicklungsstand einzelner nationaler Gewerkschaften geprägt. Die etablierten britischen Gewerkschaften halfen dem IBV über die schwierige Konstitutionsphase und die Schwächeperioden der kontinentalen Gewerkschaften hinweg. Bei den Vorläuferorganisationen der IUL bestanden Ende des 19. Jahrhunderts derart gefestigte Verbände noch nicht. Hier schufen bilaterale Verbindungen und Gegenseitigkeitsabkommen die Grundlage, um mehr als 15 Jahre nach der Gründung des IBV multilaterale Organisationen zu bilden. Die fachlich eng umrissenen Berufssekretariate der Bäckerei-, Brauerei- und Fleischarbeiter stellten nur ein kurze 'Vorgeschichte' für die Gründung der industrieverbandlichen IUL dar.

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Institutionalisierung

Mit der Gründung der beiden Berufssekretariate waren kleinräumige Organisationen entstanden, gebunden an einen 'geschäftsführenden' Mitgliedsverband, ohne institutionelle Eigenständigkeit und ohne eigene Kompetenzen. Diese organisatorische Begrenzung entsprach - trotz Zunahme in den 20er Jahren - der relativ geringen Zahl an Mitgliedsverbänden und deren Beschränkung auf Europa, abgesehen von jeweils einer nordamerikanischen Gewerkschaft, der UMWA beim IBV und dem Internationalen Verband der Bäckerei- und Konditoreiarbeiter (bis 1934) bei der IUL.

Erst die globale Expansion seit den 50er Jahren, Branchendifferenzierung bei der IUL durch Fusionen mit anderen Berufssekretariaten (1958, 1961 und 1994), die damit verbundene Zunahme von Mitgliedsverbänden, ein mehr oder weniger ausgeprägter Funktionswandel und schließlich die Knappheit verfügbarer Ressourcen haben zu einer stärkeren Institutionalisierung und 'Professionalisierung' der Berufssekretariate geführt. Zu bewältigen war vor allem, eine zunehmend heterogenere Mitgliedschaft zu integrieren und an den Entscheidungsprozessen auf zentraler (globaler) Ebene zu beteiligen sowie veränderte Handlungsanforderungen zu bewältigen.

IBV und IUL verfügten seit ihrer Konstituierung über wenige Entscheidungsorgane, die sich trotz des erheblichen Wandels der Mitgliederstruktur, Veränderungen des fachlichen und geographischen Organisationsbereichs und neuer Handlungsanforderungen eher in einem geringen Maße umgestalteten.

Der Kongress konstituiert das Berufssekretariat und gilt als höchstes Entscheidungsorgan, in dem alle Mitgliedsverbände vertreten sein können. Nachgeordnet ist ein kleineres Gremium, Vorstand/Exekutive (IUL), Internationales Komitee/Exekutiv-Komitee (IBV), das zwischen den Kongressen mit begrenzter Entscheidungsfähigkeit alle relevanten Fragen behandelt. Als kleines Administrativorgan, das das Sekretariat anleitet und überwacht, besteht beim IBV seit

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1951 das Exekutiv-Büro (seit 1984: Präsidentschaft) [Die Statuten von 1920/22 sahen auch ein Administrativorgan vor, dem der Präsident, die Vizepräsidenten und der Sekretär angehören sollten; es spielte in der Zwischenkriegszeit keine Rolle und verdeutlicht die geringe Institutionalisierung des IBV. ], bei der IUL seit 1920 das Exekutiv-Komitee (seit 1973: Geschäftsführender Ausschuss). Schließlich wird ein Sekretariat von einem neben-, später hauptamtlichen Sekretär/Generalsekretär geleitet.

Funktionale und institutionelle Veränderungen der Berufssekretariate zeigten sich nicht so sehr im Umbau der Entscheidungs- und Leitungsorgane, sondern in Änderungen ihrer Zusammensetzung und Kompetenzen, die als Zentralisierung der Entscheidungsstruktur zu charakterisieren sind.

Der IBV hatte seinen Kongressrhythmus 1920/22 auf einen zweijährigen Turnus umgestellt und damit das zwischen den Kongressen tagende Internationale Komitee (IK), das vor 1913 hauptsächlich der Kongressvorbereitung diente, zu einem relevanten Leitungsgremium aufgewertet. Integrierend wirkte, dass ihm bis zu vier Vertreter jedes Mitgliedsverbandes angehören konnten und dass es mehrmals im Jahr zusammentraf. Konnten in der Zwischenkriegszeit noch sämtliche Mitgliedsverbände an den Entscheidungsgremien direkt beteiligt sein, veränderte sich dies mit der globalen Expansion nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 1963 verblieb nur noch der Kongress als Organ, an dem alle Mitgliedsverbände unmittelbar beteiligt sein konnten, während die nachgeordneten Organe zunehmend nach repräsentativ-demokratischen Regeln besetzt wurden. Die Verlängerung der Kongressperiode auf schließlich vier Jahre (1963) verstärkte deren Gewicht. Als Integrationsklammer für divergierende Mitgliederstrukturen und Mitgliederinteressen diente die 1963 eingeführte Zusammensetzung nach Regionen, ohne jedoch die durch ihren Mitglieder- und Beitragsanteil begründete Dominanz der Gewerkschaften aus den Industrieländern einzuschränken.

Eine organisatorische Eigenständigkeit des IBV zu etablieren gelang indes nur halbheitlich. Bereits in der Gründungsphase kam die Forderung nach einem eigenständigen Sekretariat auf, in der Zwischenkriegszeit konnte dieses Anliegen - aufgrund der Konfliktkonstellation im Rahmen des britischen Bergarbeiterstreiks von 1926 - nur kurzzeitig (1925-27) umgesetzt werden [Im Jahr 1925 gelang es dem IBV mit der Wahl von Frank Hodges einen hauptamtlichen Sekretär einzusetzen. Hodges war bis 1924 Sekretär der MFGB gewesen, die zu dieser Zeit einen politischen Richtungswechsel nach links erlebte. Da Hodges als IBV-Sekretär die integrationsnotwendige Zurückhaltung gegenüber der Politik des britischen Verbandes während des Bergarbeiterstreiks von 1926 nicht übte, vielmehr die Konfliktstrategie der MFGB öffentlich mit kritischen und ablehnenden Stellungnahmen begleitete, lehnte die MFGB-Leitung Hodges als IBV-Sekretär ab und erzwang 1927 seinen Rücktritt. Im Anschluss an diesen Konflikt zeigte der britische Verband für einige Jahre ein geringes Interesse am IBV, das sogar so weit ging, dass von 1927 bis 1934 Achille Delattre vom belgischen Verband nebenamtlich als Sekretär bestellt wurde und der Sitz des IBV nach Brüssel verlegt wurde.].
Das Sekretariat wurde danach bis 1963 nebenamtlich vom jeweiligen Präsidenten der MFGB/NUM [Die Reorganisation und Umbenennung der MFGB in National Union of Mineworkers erfolgte 1945.] geführt, hatte aber seit 1950 für einige Jahre eine wachsende Zahl von Mitarbeitern und wurde noch in den 50er Jahren zumindest räumlich von der britischen NUM getrennt. Die Bestellung eines Generalsekretärs seit 1963 konnte den Einfluss der beiden dominanten europäischen Bergarbeitergewerkschaften, der NUM und der IGBE, auf das Sekretariat nur geringfügig abschwächen. Mit der Finanzkrise und nach dem Austritt der NUM (1983) [Zum Ausschluss bzw. Austritt der britischen NUM kam es 1983, nachdem die NUM im April 1983 gemeinsam mit dem französischen CGT-Bergarbeiterverband eine internationale Konferenz einberufen hatte, die einen grundsätzlichen Beschluss über die Bildung einer neuen, richtungsübergreifenden Bergarbeiter-Internationale fasste. Dieser Beschluss stellte die Existenz des IBV in Frage und drängte auf eine enge Kooperation mit staatskommunistischen Gewerkschaften in Osteuropa, die zu diesem Zeitpunkt wie der CGT-Verband noch der internationalen Berufsorganisation des WGB für Bergarbeitergewerkschaften angehörten. Die Mehrzahl der IBV-Mitglieder sprach sich auf dem IBV-Kongress 1983 gegen den von der NUM vertretenen Vorschlag aus, eine neue Bergarbeiter-Internationale zu gründen. Dennoch erfolgte 1985 die Etablierung der International Miners' Organisation (IMO), ohne das diese Organisation einen relevanten Einfluss erzielen konnte. Die Politik und der Positionswandel der NUM seit 1982 wurde nicht zuletzt durch die Wahl von Arthur Scargill, der den kommunistisch orientierten Flüger in der NUM repräsentierte, zum Präsidenten der britischen Bergarbeitergewerkschaft geprägt.] wurde die organisatorische Eigenständigkeit des IBV für einige Jahre durch die Wahl

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eines nebenamtlichen Generalsekretärs wieder reduziert [Nach dem Ausscheiden des NUM wurde das Sekretariat von London nach Brüssel verlegt und 1984-1989 von J. Olyslaegers nebenamtlich geleitet.].
Die seit 1989 eingeleitete Integration in die ICEF beendete dann die letzte Phase relativer Eigenständigkeit, die jedoch sehr stark vom finanziellen und organisatorischen Einfluss der IGBE geprägt war.

Mit der begrenzten Eigenständigkeit des IBV ging eine geringe funktionale Differenzierung einher. So wurde, abgesehen von der 1991 gegründeten europäischen Regionalorganisation, auf eine geographische oder branchen-/sektorenbezogene Differenzierung der Organisations- und Entscheidungsstrukturen verzichtet.

Die IUL hatte sich bereits 1920 mit Exekutiv-Komitee, Vorstand und in dreijährigem Turnus tagendem Kongress (seit 1973 alle vier, seit 1997 alle fünf Jahre) eine Entscheidungsstruktur gegeben, die nur noch auf Kongressebene alle Mitgliedsorganisationen unmittelbar beteiligte. Tendenzen zur 'Professionalisierung' lagen im nebenamtlich vom Schweizer Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter (VHTL) geführten und mit festangestelltem Personal ausgestatteten Sekretariat. Doch gelang auch bei der IUL die Lösung von der 'Vormundschaft' eines Mitgliedsverbandes erst 1956, obwohl seit 1949 ein hauptamtlicher (General-)
Sekretär gewählt wurde.

Die Zentralisierung der globalen Entscheidungsstruktur verlangte bei der IUL den Einbau von Integrationselementen, da zum einen durch die Fusionen mit der Tabakarbeiter-Internationale (1958), der Internationalen Union der Hotel-, Restaurant- und Caféangestellten (1961) und der Plantagenarbeiter-Internationale (1994), zum anderen durch eine wachsende Zahl von Mitgliedsorganisationen außerhalb Europas als Folge der Globalisierungsanstrengungen eine interessenheterogene Mitgliedschaft entstand. Zeitweise wurde die 'Branchen-Integration' durch besondere Vertretungsrechte in den zentralen Entscheidungsgremien gewährleistet, jedoch seit 1973 durch regionale Vertretungsprinzipien ersetzt, so dass die Delegation in die Exekutive und den Geschäftsführenden Ausschuss nach regionalen Gesichtspunkten erfolgt.

Als Gegengewicht zur Zentralisierung der Entscheidungsstruktur bestehen Regionalorgani-sationen für Afrika, Asien/Pazifik, Nord- und Lateinamerika und Europa sowie Branchengruppen für den Tabak-, den HRC- und den Agrarsektor, die eine Dezentralisierung der Entscheidungs-, Willensbildungs- und Handlungsstruktur erlauben. Die branchenbezogene Dezentralisierung und die Regionalisierung eröffnen die Möglichkeit, die Mitgliedsverbände kontinuierlich an den Entscheidungsprozessen der IUL zu beteiligen und dabei regionale und branchenspezifische Interessen zu berücksichtigen. Diese Strukturprinzipien, die aus der Entwicklung der IUL (Fusionen, Globalisierung) zu einer differenzierten und komplexen Organisation resultieren, stellen den Versuch dar, ein (sicherlich labiles) Gleichgewicht zwischen potentiell zentrifugalen Tendenzen der regionalen und der Brancheninteressen einerseits und den aus funktionalen Anforderungen notwendigen zentralisierten Entscheidungsprozessen auf der globalen Ebene andererseits herzustellen.

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Expansion und Integration

Bestand und Handlungsfähigkeit von Berufssekretariaten hängen u.a. davon ab, ob sie in der Lage sind, genügend Mitglieder an sich zu binden, die bereit und fähig sind, die für den Organisationserhalt erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Um das Mitgliederreservoir, das durch den fachlichen und den räumlichen Organisationsbereich bestimmt wird, zu

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erweitern und den Anspruch auf Repräsentativität aufrechtzuerhalten, mussten die IBS ihre Organisationsstruktur den Erfordernissen einer 'globalen' Gewerkschaftsinternationale anpassen. Der Ausbau der Berufssekretariate verlief in zwei Dimensionen: sektoral durch die Erweiterung des fachlichen Organisationsbereichs in Form von Fusionen oder durch Ausweitung des sektoralen Vertretungsanspruches, geographisch - nach dem Zweiten Weltkrieg - durch den Beitritt von Gewerkschaften außerhalb Europas.

- Fusionen und sektorale Expansion

Bei den meisten Berufssekretariaten erfolgt eine Entwicklung von einem beruflich-handwerklich bestimmten Organisationsbereich [Eine Vielzahl gerade kleiner, handwerklich geprägter Berufssekretariate verfügte aufgrund ihrer Berufs- oder Branchen-Identität über ein ausgesprochenes Beharrungsvermögen. Das erwies sich u.a. als Hemmnis bei den Reorganisationsplänen des Weltgewerkschaftsbundes 1945/48, aber auch angesichts des vom IBFG Mitte der 50er Jahre vorgelegten Vorschlags, eine Konzentration der IBS auf 7 Organisationen herbeizuführen. Aber auch Fusionen einzelner Berufssekretariate wurden durch dieses strukturkonservative Beharrungsvermögen verzögert und behindert.] zu einem der einen oder verschiedene Industriezweige umfaßt ['Industriezweig' ist hier vereinfachend gebraucht. Die IBS haben unterschiedliche Vertretungsbereiche entwickelt: neben Industriesektoren (Bergarbeiter) und Berufsgruppen (Lehrer) sind es Statusgruppen (Ange stellte) oder Arbeitgeber (Öffentlicher Dienst, Post), die als Abgrenzungskriterium dienen.]. Die Gründung der IUL als Fusion von 'Berufs'-Sekretariaten zu einer Vereinigung für die 'Lebensmittel-Industrie' kann beispielhaft für diese Entwicklung angesehen werden. Hingegen zählt die Bergarbeiter-Internationale zu einer Gruppe von Berufssekretariaten, die seit ihrer Gründung einen klar abgegrenzten Industriesektor organisierten [Weitere - allerdings in ihren Organisationsbereichen nicht so eindeutig wie der IBV gegenüber Veränderungen abgegrenzte - Berufssekretariate, die sämtlich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts gegründet wurden, sind die Internationale Vereinigung der Textilarbeiter (IVT), der Internationale Metallarbeiter/ge werk schafts-Bund (IMB) und die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF).].

Als Vereinigung von Gewerkschaften der 'Lebens- und Genußmittelindustrie' [Vgl. Protokoll des II. Kongresses der Internationalen Union der Organisationen der Arbeiter und Arbeiterinnen der Lebens- und Genußmittelindustrie, abgehalten vom 30. Sept. bis 2. Okt. 1923 im Volkshaus zu Brüssel, Zürich, Dezember 1923.] vertrat die IUL einen Industriesektor, der flexibel und anpassungsfähig genug war für den Wandel von der handwerklich geprägten Lebensmittelverarbeitung zur industriellen Produktion. Die Vorstellung einer umfassenden Lebensmittelarbeiter-Internationale reicht im übrigen bis in das Jahr 1908 zurück [Die 1908 gegründete Internationale Union der Hotel-, Restaurant- und Caféhausangestellten sah als einen Zweck ihrer Organisation vor, "die Bildung einer Internationalen Lebensmittelarbeiter-Union zu erwägen und einer solchen gegebenenfalls beizutreten", Die internationalen Beziehungen der deutschen Arbeitgeber - , Angestellten- und Arbeiterverbände, a.a.O. S. S. 72.].
Während 1920 eine Einbeziehung der Internationalen Union der Hotel-, Restaurant- und Caféhaus-Angestellten (IUHR) und der Internationalen Tabakarbeiter-Vereinigung (ITV) in die Gründung der IUL nicht gelang, waren in den 50er Jahren die Bestandsvoraussetzungen für beide Berufssekretariate prekär geworden, was 1958 zur Integration der Tabakarbeiter-Internationale und 1961 zur Fusion mit der IUHR führte. Organisationsexterne und -interne Faktoren bestimmten Verlauf und Zeitpunkt der Fusion: Wachsende Anforderungen aufgrund der 'globalen' Expansion, zunehmende Anforderungen durch Repräsentationsaufgaben (ILO, andere UN-Organisationen), branchenbedingte Mitglieder- und Ressourcenschwächen, schließlich Fusionen bei Mitgliedsverbänden, forderten oder erzwangen schlichtweg - wie bei der ITV - Anpassungsprozesse bei den Berufssekretariaten.

Die 1994 erfolgte Fusion der IUL mit der Internationalen Föderation der Plantagen-, Landwirtschafts- und anverwandten Arbeitnehmer (IFPAAW) war weder von Mitgliedsver-

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bänden noch von der IUL erstrebt worden [Letztlich nimmt diese Fusion gescheiterte Kooperationsansätze der 50er Jahre auf: In den 50er Jahren war die IUL daran beteiligt gewesen, die internationalen Plantagenarbeiter-Aktivitä ten aufzubauen; Mitte/Ende der 50er Jahre gab es Überlegungen und Verhandlungen hinsichtlich einer Verschmelzung mit der damaligen Landarbeiter-Föderation (ILF). Vor der Gründung der Plan tation Workers' International Federation (PWIF, 1957) und im Zug der Vereinigung von PWIF und ILF 1959 stand eine Beteiligung der IUL ebenfalls zur Debatte, wurde von ihr jedoch vor allem wegen der damit verbundenen erheblichen finanziellen Belastungen und der daraus resultierenden Abhängigkeiten vom IBFG abgelehnt. - Vgl. ICFTU, International Trade Secretariats, Brüssel 1962, S. 54 ff.].
Sie resultierte aus einer akuten Bestandskrise der Plantagenarbeiter-Internationale Anfang der 90er Jahre. Die Ausweitung des Organisationsbereichs der IUL auf die Land- und Plantagenarbeiter brachte eine fachliche Erweiterung auf den gesamten Bereich der Agro-Industrie. Doch ist zweifelhaft, ob die Mitgliedergewinne [Von 1993 bis 1997 hat sich die Zahl angeschlossener Organisationen von 233 (in 89 Ländern) auf 343 (in 112 Ländern) vergrößert, die der Mitglieder von 2,4 Mio. auf 2,6 Mio.] auch die Ressourcenbasis verbesserten.

Die Fusionen mit der Tabakarbeiter- und der Hotelangestellten-Internationale brachten eine Verbreiterung der Mitglieder- und Ressourcenbasis und eine organisatorische Rationalisierung, die mit dazu beitrugen, dass die IUL ihre Bestandsvoraussetzungen und ihre Handlungsfähigkeit aufrechterhalten konnte. Mit den Fusionen war eine wachsende Heterogenität der Mitgliederstruktur verbunden, was spezifische Integrationsleistungen verlangte durch die Bildung von Branchenstrukturen und (zeitweise) exklusive Vertretungsrechte in den Entscheidungsgremien. Ein anderer Effekt - dessen Wirkung nicht genau abzuschätzen ist - liegt im 'Identitätsverlust' durch die Entwicklung zu einem Branchen-Konglomerat.

Im Vergleich zur IUL kennzeichnet die Bergarbeiter-Internationale eine 'monolithische' Organisationsentwicklung ohne Fusionen - bis zu ihrer Eingliederung in die ICEF Ende 1995. Fehlende Nähe zu anderen Branchen und die klare Abgrenzung des Bergbaus gegenüber der produzierenden Industrie einerseits, eine homogene Mitgliedschaft, da die meisten Organisationen nur für den Bergbau zuständig waren, und eine ausgeprägte Berufsidentität andererseits stabilisierten diese Organisationsentwicklung selbst in Krisenphasen, die den IBV an den Rand der Handlungsfähigkeit brachten [Bestandsgefährdend waren vor allem das abnehmende Interesse der britischen NUM am IBV nach dem Berg arbeiterstreik von 1926 sowie der Ausschluss/Austritt der NUM 1983.].
Es gelang der Bergarbeiter-Internationale nicht, den sektoralen Schwerpunkt, der seit der Gründung auf dem (Stein-)Kohlenbergbau lag, im Verlauf ihrer hundertjährigen Organisationsgeschichte wesentlich zu verbreitern. Der schwedische Grubenarbeiterverband (Svenska Gruvindustriarbetareförbundet) trat seit seiner Aufnahme in den IBV (1928) zwar für eine Beschäftigung mit dem Erz-/Mineralbergbau ein. Die Einrichtung von Informations- und Arbeitsstrukturen sowie (zeitweise) eine Repräsentanz in den Entscheidungsgremien gelang für einige Zeit Mitte der 50er Jahre, als eine wachsende Zahl neuer Mitgliedsverbänden ihren fachlichen Organisationsschwerpunkt im 'Nicht-Kohlenbergbau' (NKB) hatte. Die Mehrzahl dieser Gewerkschaften kam aus Ländern der Dritten Welt, und viele von ihnen sind bis in die Gegenwart mit organisatorischen Problemen, geringer oder stark fluktuierender Mitgliedschaft und Ressourcenknappheit konfrontiert. Die 'sektorale Expansion' führte daher nicht zu einer relevanten Verbreiterung der Mitglieder- und Ressourcenbasis.

Die Konzentration auf den (europäischen) Kohlenbergbau stellte für den IBV ein 'strukturelles Dilemma' dar, indem die bestanderhaltenden Leistungen einer abnehmenden Zahl beitragsleistender Mitgliedsverbände der Industrieländer nicht von Gewerkschaften anderer Regionen ersetzt werden konnten. Rationalisierungsprozesse, die Substitution der Kohle als Energieträger (v. a. durch Erdöl und Atomenergie) sowie Konkurrenzprobleme des 'teueren' europäischen Tiefbaus gegenüber wesentlich günstigeren Förderbedingungen u. a. in Australien und Südafrika haben phasenweise zu dramatischen Mitgliederverlusten geführt.

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Von dieser Entwicklung waren auch die drei Gewerkschaften (IGBE, NUM und UMWA) betroffen, die seit den 50er Jahren allein zwischen 70 % und 90 % der Mitgliedsbeiträge erbrachten [So sank die Zahl der Mitglieder, für die ein vollständiger Beitrag entrichtet wurde von 1,9 Mio. (1960) auf etwa 740.000 (1975). - Der Austritt bzw. Ausschluss der NUM aus dem IBV verschärfte die Finanzierungskrise und führte dazu, dass die IGBE zeitweise etwa zwei Drittel der Beitragseinnahmen aufbrachte.].
Diese strukturellen Mitglieder- und Beitragsverluste - sie wurden durch den gewerkschaftspolitisch motivierten Ausschluss/Austritt der britischen NUM (1983) verschärft - konnten, abgesehen von Beitragserhöhungen, nicht ressourcen-wirksam kompensiert werden. Die Handlungsfähigkeit des IBV wurde dadurch seit den 70er Jahren zunehmend eingeschränkt.

Obwohl sich seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre die Handlungsvoraussetzungen des IBV verbesserten und nach dem Systemumbruch in Mittel- und Osteuropa Attraktivität, Mitgliederzahl und Aufgaben zunahmen, konnte das 'Strukturdilemma' nicht überwunden werden. Zwar befand sich der IBV Mitte der 90er Jahre nicht in einer akuten Bestandskrise, doch blieb unverkennbar, dass sich die ressourcenbezogenen Bestandsvoraussetzungen nicht wesentlich günstiger gestalten würden. Die Fusion mit der ICEF sollte eine internationale Interessenvertretung der Bergarbeitergewerkschaften bewahren. - Die Entscheidungen für eine Fusion mit der ICEF wurden vor allem durch parallele Entwicklung auf nationaler Ebene (Zusammenschluss IGBE mit der IGCPK) und durch strategische Überlegungen (wachsendes Engagement von Multinationalen Konzernen des Energiesektors im Kohlenbergbau) bestimmt.

- Globalisierung

Zu den wichtigen Veränderungen, die Struktur und Politik der Berufssekretariate beeinflussten, gehörte die Ausweitung des räumlichen Organisationsbereichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar hatten der IBV und die IUL schon vorher Kontakte zu außereuropäischen Gewerkschaften und mehr oder weniger kontinuierlich amerikanische Gewerkschaften als Mitgliedsorganisationen [Wie erwähnt trat dem IBV 1904 die UMWA bei, die mehr oder weniger kontinuierlich vor dem Ersten Weltkrieg, in der Zwischenkriegszeit sowie erneut ab 1948 an Kongressen und Tagungen des Internationalen Komitees teilnahm. Den drei Vorläuferorganisationen der IUL gehörte jeweils ein amerikanischer Berufsverband an; und von Anfang der 20er Jahre bis 1934 zählt die IUL einen amerikanischen Bäckerei- und Konditoreiarbeiter-Verband als Mitglied. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich erst ab 1950 nordamerikanische Gewerkschaften der IUL an: 1950 die United Packinghouse Workers' of America, UPWA, und 1952 die Amalgamated Meat Cutters & Butcher Workmen of North America, AMC&BW.], doch blieben Organisationsstruktur und Handlungsorientierung bis in die 50er Jahre auf Europa bezogen.

Der Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg hat verschiedene Ursachen und Voraussetzungen: (1) Die Entwicklung der Kommunikations- und Transportsysteme zählt dabei zu den weniger spektakulären Voraussetzungen, um globale Kontakte zu etablieren. (2) Ein wichtiger Impuls ging vom Kalten Krieg und der globalen Blockkonfrontation aus, der die Einflusskonkurrenz zwischen sozialdemokratisch/sozialistischen Gewerkschaften und kommunistischen Organisationen der Zwischenkriegszeit wiederbelebte und auf die Dritte Welt ausdehnte. Vor allem der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) [Der IBFG war Ende 1949 etabliert worden, nachdem die sozialdemokratisch orientierten Dachverbände aus dem Weltgewerkschaftsbund (WGB) Anfang 1949 ausgetreten waren. Der WGB war 1945 als richtungsübergreifende Einheitsorganisation in Paris gegründet worden, konnte aber die konzeptionellen, funktionalen und politischen Unterschiede zwischen kommunistischen Verbänden und sozialdemokratischen Gewerkschaften nicht überbrücken; er wurde schon nach kurzer Zeit zum politischen Instrument vor allem der sowjetischen Gewerkschafter. In der Spaltung des WGB manifestierte sich im Grunde erneut die seit 1917 bestehende Spaltung der Arbeiterbewegung.] begann seit Anfang der 50er Jahre eine auf die Abwehr kommunistischer Gewerkschaftseinflüsse gerichtete Regionaltätigkeit, an

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der sich die Berufssekretariate konzeptionell, finanziell und personell beteiligen sollten. Jedoch waren die meisten Berufssekretariate organisatorisch und finanziell dazu nicht in der Lage. Die in den 50er Jahren zögerlich begonnenen Regionalaktivitäten der IBS folgten daher meist keiner ausgewiesenen Konzeption. Sie reagierten anfangs auf Erwartungen einzelner Mitgliedsverbände und auf unterschiedliche externe Anforderungen, bevor sie seit den 60er/70er Jahren eine systematische Regionalpolitik zu entwickeln begannen. (3) Eine weitere Voraussetzung für die globale Expansion der Berufssekretariate stellte der Entkolonisationsprozess dar, der von der Bildung einer Vielzahl von Gewerkschaften begleitet war, die häufig auf Unterstützungsprogramme angewiesen waren. (4) Als Impuls für die Regionalaktivitäten ist schließlich auch die Entfaltung weltmarktbezogener Wirtschaftsbeziehungen sowie die damit verbundene Expansion Multinationaler Konzerne (MNK) zu sehen. Seit den 50er Jahren wurden derartige Veränderungen von einzelnen Gewerkschaften angeführt, um regionale Aktivitäten zu motivieren. Dennoch wurden Multinationale Konzerne von den Berufssekretariaten erst in den 60er Jahren als Handlungsanforderung wahrgenommen, während sie zu Beginn der Internationalisierung keine Rolle spielten.

Die geographische Erweiterung der Organisationsbereiche führte zur Aufnahme sehr unterschiedlicher Gewerkschaften, deren Bestands- und Handlungsfähigkeit, organisatorische Entwicklung und Eigenständigkeit divergierten. Tätigkeitsfelder und Organisationsstruktur der Berufssekretariate veränderten sich als Folge der über drei Jahrzehnte verlaufenden regionalen Expansion erheblich, zumal Gewerkschaften in Ländern der Dritten Welt häufig instabil und mitgliederschwach, mit geringen finanziellen Mitteln ausgestattet und durch staatliche Interventionen bedroht waren und in erster Linie Unterstützungsprogramme benötigten, um ihre eigene Organisation aufbauen und grundlegende Gewerkschaftsrechte durchsetzen und sichern zu können. Die geographische Ausweitung des Organisationsgebietes stellte die Berufssekretariate vor die Aufgabe, eine zunehmend heterogene Mitgliedschaft zu integrieren und an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Langfristig hingen Handlungsfähigkeit und Bestand der Berufssekretariate davon ab, ob und wie sie diese globale Erweiterung organisatorisch bewältigen und Organisations- und Unterstützungsanforderungen nachkommen konnten.

Das Hauptinteresse der IUL, außerhalb Europas neue Mitgliedsverbände zu gewinnen, richtete sich Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre auf die mitgliederstarken und beitragsfähigen Organisationen in Nordamerika. Hier lag auch der wichtigste Mitgliederzuwachs, der in den 50er Jahren erreicht wurde, während relevante Beziehungen zu Gewerkschaften in Asien und Afrika erst seit den 60er Jahren aufgebaut werden konnten. Eine intensive 'Regionalpolitik', um organisationsschwache Gewerkschaften in den "Entwicklungsländern" zu fördern, lag zu diesem Zeitpunkt außerhalb der konzeptionellen Orientierung und finanziellen Möglichkeit der IUL. Dass dennoch in Lateinamerika Mitte der 50er Jahre erste Schritte unternommen wurden, indem ein Regionalbüro eingerichtet und eine Regionalkonferenz abgehalten wurde, kam vor allem auf Drängen nordamerikanischer Gewerkschaften zustande. Angesichts der geringen Ressourcen waren diese Aktivitäten ohne Erfolg. Erst mit personeller und finanzieller Unterstützung nordamerikanischer Mitgliedsverbände gelang seit Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre eine erhebliche Intensivierung der Regionalaktivitäten. Allerdings richtete sich diese Tätigkeit bis Mitte der 60er Jahre immer stärker nach den Interessen der internationalen Politik der AFL-CIO, während die regionalpolitischen Ziele der IUL, die auf den Gewinn mitgliederstarker Gewerkschaften in Südamerika abstellten, vernachlässigt wurden. Auf die wachsende Entfremdung der Regionalaktivitäten in Lateinamerika reagierte die IUL 1965 mit der Schließung aller Regionalbüros. Als Konsequenz aus der mangelnden regionalen Legitimation und dem Fehlen einer Kontrollstruktur und um mitgliedernahe Partizipationsgremien und Kontrollmechanismen zu schaffen, wurde 1967 die erste Regionalorganisation gegründet. Sie wurde begrenzt auf den lateinamerikanischen und karibischen Raum, um eine Dominierung durch die mitglieder- und finanzstarken nordamerikanischen Gewerkschaften zu ver-

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hindern. Langfristig trug diese Konstruktion (neben einem umfangreichen Schulungs- und Unterstützungsprogramm) dazu bei, die Mitgliedschaft lateinamerikanischer Gewerkschaften in der IUL auszubauen und zu stabilisieren.

Im Vergleich zur lateinamerikanischen Erfahrung verlief die Expansion in Asien für die IUL weniger dramatisch und mitgliedermäßig erfolgreicher. Sie wurde Anfang der 60er Jahre mit Hilfe eines vom Genfer Sekretariat der IUL angeleiteten und kontrollierten Regionalbüros in Manila mitgliedernah begonnen und konnte sich seit Mitte der 60er Jahre auf gefestigte Organisationen in Neuseeland, Japan und Australien stützen, die Kontinuität und Stabilität der regionalen Entwicklung garantierten. Die Bildung der lateinamerikanischen Regionalorganisation wurde für den asiatisch-pazifischen Raum zum Vorbild, um 1969/1973 ebenfalls eine Regionalorganisation aufzubauen, die die regionale Identität und die Stabilität der Mitgliedsbeziehungen förderte.

Das Konzept der Regionalorganisationen, das der Integration interessenheterogener Mitgliedsverbände, aber auch der Etablierung, Koordination und Kontrolle der Regionalaktivitäten dienen sollte, wurde im Laufe der Zeit für alle Regionen angewandt. Für Europa (1973/81) verlief die Gründung bzw. Anbindung der Regionalorganisation an die IUL nicht ohne massive Konflikte um Status, Öffnung für richtungskonkurrierende Gewerkschaften und den Grad an Eigenständigkeit. Geprägt und strukturiert war diese spezifische Konfliktkonstellation durch die Orientierung der Regionalorganisation auf die E(W)G und die Anbindung an den 1973 relativ richtungsoffen gegründeten Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). Hintergrund für diese Differenzen war, dass seit Ende der 50er Jahre eine gering institutionalisierte, E(W)G-bezogene Koordinations- und Vertretungsstruktur der IUL-Gewerkschaften aus den sechs E(W)G-Ländern bestand, die sich seither weitgehend von IUL-Bindungen und Einflussnahmen emanzipiert hatte und mit der Erweiterung der EWG und der Gründung des EGB nun aufgewertet wurde. In Afrika erfolgte die Bildung einer Regionalorganisation relativ spät (1986), da über lange Zeit keine stabile Mitgliederbasis entstanden war. Die Gründe für dieses Defizit lagen teils in der Ressourcenschwäche der IUL, teils in den politisch und ökonomisch restriktiven Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern, die internationale Beziehungen und die Entwicklung eigenständiger Gewerkschaften hemmten oder verhinderten.

Insgesamt stellt sich die geographische Expansion der IUL als langsamer, über mehr als drei Jahrzehnte verlaufender Prozess dar, der anfangs keinem festen Konzept folgte. Aktivitäten der IUL wurden dabei häufig durch die geringen Ressourcen begrenzt. Als Schranken wirkten daneben vielfältige restriktive Bedingungen, die auf nationaler Ebene die Entwicklung der (potentiellen) Mitgliedsgewerkschaften behinderten, mitunter ihre Verbindungen zur IUL abschnitten. Dennoch erwies sich langfristig die globale Expansion als erfolgreich: 1993 (vor der Eingliederung der Plantagenarbeiter) kamen von etwa 230 Mitgliedsorganisationen fast 50 % aus Ländern der Dritten Welt.

Bei der Bergarbeiter-Internationale verlief die globale Expansion bereits in den 50er Jahren zielgerichteter [Für die Regionalpolitik hatte der Kongress von 1954 bereits Leitlinien beschlossen, die vom Grundsatz der Eigenständig keit der Gewerkschaften ausgingen, vgl. IBV, 36. Internationaler Kongress der Bergarbeiter, Dortmund, 1954, S. 163 f.] und - hinsichtlich der Mitgliederentwicklung - erfolgreicher als bei der IUL. Im Jahr 1957 kamen von den 31 Mitgliedsgewerkschaften 17 aus Afrika (7), Asien (6) und Lateinamerika (4) [Asymmetrisch blieb die Mitgliederstruktur, indem von den 2,5 Mio. Mitgliedern 75 % von europäischen Gewerkschaften und der UMWA organisiert wurden, die über 90 % des Beitragsaufkommens stellten; eine Relation, die sich bis zum Austritt/Ausschluss der britischen NUM nicht grundsätzlich änderte.].
Schon Anfang der 50er Jahre hatten sich Gewerkschaften aus Asien und Afrika dem IBV angeschlossen. Als Katalysator wirkte dabei die Beziehung der britischen National Union of Mineworkers (NUM) zu Gewerkschaften in den bestehenden oder ehema-

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ligen britischen Kolonialgebieten. Bei den meisten Gewerkschaften, abgesehen von den 'europäischen' Verbänden im südlichen Afrika, handelte es sich um organisatorisch instabile, mitglieder- und ressourcenschwache Verbände. Um die erforderlichen Unterstützungsaufgaben erfüllen zu können, hatte der IBV bereits 1953/54 durch Sonderbeiträge einen Regionalfonds eingerichtet, da über längere Zeit nicht mit substantiellen Beiträgen der Gewerkschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika gerechnet wurde. Kontinuität erhielten die Regionalaktivitäten des IBV, die in den 50er Jahren nur einzelne Unterstützungen und Hilfeleistungen umfassten, erst gegen Ende des Jahrzehnts, als Verbindungsbeauftragte (Liaison Officer) in Afrika und Asien eingesetzt wurden. Für Lateinamerika wurde erst 1963 ein Liaison Officer ernannt, da hier von 1957 bis 1962 die Inter-American Mineworkers' Federation (IAMF) als regionale Bergarbeiterorganisation bestand [Die IAMF war von der UMWA zusammen mit der ORIT und unter skeptischer Beteiligung des IBV überraschend auf der ersten lateinamerikanischen Regio nalkonferenz (1957) gegründet worden. Der IBV vermochte es weder direkte Verbindungen zu den lateinamerikanischen Mit gliedsverbänden der IAMF aufzunehmen noch Einfluss oder Ein blick in die Aktivitäten der IAMF zu gewinnen.].
Die Intensität des Engagements und die Beziehungen zu den Bergarbeiterverbänden gestalteten sich unterschiedlich in den einzelnen Regionen, bedingt vor allem durch die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Zahl der IBV-Mitgliedsverbände.

Zu einem Ausbau der regionalen Strukturen kam es nicht. Organisatorische und ressourcenmäßige Schwächen der Mitgliedsverbände und - insbesondere in Afrika - die Instabilität der Beziehungen zur Bergarbeiter-Internationale verhinderten diese Option, abgesehen von der beginnenden Finanzkrise des IBV. Die Ressourcenprobleme des IBV beendeten schließlich auch die Tätigkeit der Verbindungsbeauftragten in Lateinamerika 1973, in Asien 1975 und in Afrika 1983. Die in den 60er Jahren beginnende Stagnationsphase der IBV-Regionalpolitik konnte erst in den 80er Jahren überwunden werden, als mittels eines extern finanzierten Schulungsprogramms der IBV erneut Attraktivität für Bergarbeitergewerkschaften in Ländern der Dritten Welt gewann.

Einen weiteren Aufschwung der 'Globalisierung' des IBV brachte der Systemumbruch in Mittel- und Osteuropa (MOE). Er führte Anfang der 90er Jahre zu einem Beitritt reformierter oder neugegründeter Gewerkschaften der ehemaligen Ostblock-Staaten. Die 1991 gegründete Europäische Regionalorganisation des IBV (EBV) sollte zwar in erster Linie die energiepolitische Vertretung im EGB und gegenüber den EU-Organen sicherstellen, diente aber gleichzeitig dazu, die Einbindung der MOE-Gewerkschaften in den IBV zu unterstützen.

Trotz dieses 'Aufschwungs' der Mitglieder und der Aktivitäten seit Ende der 80er Jahre konnte das Struktur- und Ressourcendilemma nicht grundsätzlich überwunden werden. Vielmehr wuchsen Anforderungen und Erwartungen an die Bergarbeiter-Internationale, die von einer abnehmenden Zahl der beitragsfähigen Gewerkschaften nicht erfüllt werden konnten. Nicht zuletzt aus diesem strukturellen Dilemma resultierte, wie erwähnt, das Fusionsinteresse des IBV ab Ende der 80er Jahre.

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Handlungsfelder

Mit dem organisatorischen Ausbau der Berufssekretariate verbanden sich Veränderungen ihrer Aktivitäten, die bald über einen strukturierten Informations- und Erfahrungsaustausch hinausgingen. Wichtige Impulse und Anforderungen gingen von der Globalisierung aus, da die häufig schwachen Gewerkschaften in Ländern der Dritten Welt konkreter Hilfe für ihren Organisationsaufbau und die Schulung ihrer Funktionäre und Mitglieder bedurften. Die Einrichtung internationaler gouvernementaler Organisationen, insbesondere der 1919 gegründeten ILO, erforderte Repräsentations- und Koordinationsleistungen der Berufssekretariate, wenn - wie im Rahmen der ILO - versucht wurde, Grundsätze einer internationalen Sozial- und Arbeitsgesetzgebung zu gestalten. Die zunehmende weltwirtschaftliche Interdependenz, mit der nationale Gewerkschaften in Form multinational agierender Konzerne (MNK) kon-

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frontiert wurden, führte seit den 60er Jahren bei einigen IBS zu Bemühungen, spezifische Koordinationsstrukturen aufzubauen, um Einfluss auf die Unternehmenspolitik zu gewinnen und Gewerkschaften im Konfliktfall zu unterstützen. Schließlich konfrontierte die Globalisierung die Berufssekretariate verstärkt mit Einschränkungen von Gewerkschafts- und Menschenrechten; auch hier versuchten die Berufssekretariate mehr oder weniger systematisch zu intervenieren, um Bestand und Handlungsfähigkeit der Mitgliedsorganisationen zu erhalten.

- Organisations- und Schulungsprogramme

Mit dem Beitritt von Gewerkschaften aus Ländern der Dritten Welt wurden die IUL und der IBV mit Anforderungen konfrontiert, deren Organisationsentwicklung zu fördern und zu unterstützen. Für die Berufssekretariate haben Schulungs- und Organisationsprogramme die Funktion: (1) die organisatorische Entwicklung und Handlungsfähigkeit der angeschlossenen Verbände zu fördern und zu verbessern, nicht zuletzt, um die Mitgliederbasis zu verbreitern, (2) in eher begrenztem Maße Einfluss auf die Organisationsstruktur und die politische und gewerkschaftspolitische Orientierung zu nehmen, (3) die Attraktivität und Bedeutung der Berufssekretariate zu erhöhen.

Allerdings waren weder der IBV noch die IUL organisatorisch und finanziell in der Lage, umfangreiche Programme auf längere Sicht eigenständig durchzuführen. In den 50er Jahren, als die ersten Mitgliedsverbände aus Afrika, Asien und Lateinamerika von den IBS aufgenommen wurden, beschränkten sich Unterstützungen auf gelegentliche Sachhilfen, auf finanzielle Unterstützungen für die befristete Beschäftigung von Organisatoren oder die Kostenübernahme für die Teilnahme an Schulungskursen für Gewerkschafter. Auf eine breitere Basis konnte die IUL ihre Organisationsprogramme vorübergehend in den 60er Jahren stellen, als der IBFG Mittel aus einem Sonderfonds zur Verfügung stellte. Jedoch mussten die zahlreichen Projekte bald wieder reduziert werden, als der IBFG die Förderung einstellte. Zwar partizipierte die Regionaltätigkeit des IBV auch von den IBFG-Mitteln, doch war sie zunächst vor allem aus Eigenmitteln des IBV finanziert worden. Konzeptionell hatte die Bergarbeiter-Internationale sich vorrangig auf den Einsatz von 'Verbindungsbeauftragten' gestützt, die mehr oder weniger intensiv den Kontakt zu einzelnen Gewerkschaften unterhielten und gewerkschaftliche Bildungsarbeit sowie Beratung und Unterstützung (z. B. bei Tarifkonflikten) leisteten. Ressourcenprobleme - abgesehen von Erfahrungen des Kontrollverlustes in Lateinamerika - begrenzten und beendeten bei beiden Berufssekretariaten diese frühe Form der Schulungs- und Organisationsprogramme. Die Wirkung dieser Programme ist schwer einzuschätzen, doch weisen Mitgliederentwicklung und Beitragsleistungen in Afrika, Asien und Lateinamerika darauf hin, dass sie kaum geeignet waren, stabile und dauerhafte Verbindungen zu den Berufssekretariaten zu schaffen.

Umfangreiche Schulungs- und Organisationsprogramme, die über mehrere Jahre laufen und von differenzierenden Nachfolgeprogrammen fortgesetzt werden, hat die IUL etwa seit Ende der 70er Jahre, der IBV seit 1982/83 durchgeführt und seither erheblich ausgebaut. Die dafür benötigten Ressourcen - sie hatten eine Größenordnung, dass sie aus dem normalen Beitragsaufkommen der IBS nicht zu erbringen waren - wurden extern finanziert, vor allem von einem schwedischen Entwicklungshilfefonds, auf den über die skandinavischen Mitgliedsverbände Zugriff genommen werden konnte. Kern dieser erfolgreichen Programme war eine langfristig angelegte, an den spezifischen Interessen der Mitgliedsverbände orientierte, von ihren Interessen und Problemen bestimmte mitgliederbezogene Basisschulung, in deren Verlauf die Organisationen dazu gelangen sollten, eigenständige Schulungsabteilungen einzurichten [Vgl. IUL, Tagung der Exekutive, Genf, 12.-13.4.1978, Unterlagen des Sekretariats, III/e.].

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Bedeutung und Wirkung des Schulungsprogramms für den IBV zeigten sich vor allem darin, dass es innerhalb eines Jahrzehnts zu einem der wichtigsten mitgliederbezogenen Handlungsbereiche wurde, obwohl sich die Bergarbeiter-Internationale in einer akuten Finanzierungs-, Mitglieder- und Funktionskrise befand. Annahme und Durchführung des extern finanzierten Programms setzten den IBV erst in die Lage, den Mitgliedsverbänden in der Dritten Welt eine wichtige Unterstützungsleistung zu einem Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen, als die eigene Ressourcenschwäche die Aktivitäten immer weiter reduziert hatte. Es eröffnete dem IBV zudem die Chance, die zum Teil nur noch sporadischen Kontakte zu den Organisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu intensivieren und, da das Schulungsprogramm nicht auf IBV-Mitglieder beschränkt war, Verbindungen zu dem IBV nicht angeschlossenen Gewerkschaften aufzubauen. Einen Schwerpunkt bildeten die Beziehungen zu den Gewerkschaften im südlichen Afrika, insbesondere zur NUM in Südafrika [Insbesondere das 1984 in Südafrika begonnene Organisations- und Schulungsprogramm, das für die organisatorische Stabilisierung der südafrikanischen NUM erhebliche Relevanz hatte, wäre ohne die Programmfinanzierung und die bereits aufgebauten Schulungskapazitäten kaum möglich gewesen.].
Für den IBV hatte das Schulungsprogramm nicht zuletzt die Funktion, ihren organisatorischen Bestand zu erhalten und ihre Funktionsfähigkeit wieder herzustellen.

Für die Lebensmittelarbeiter-Internationale (IUL) bot die Annahme des extern finanzierten Schulungs- und Organisationsprogramms 1977/78 die Chance, mitgliederbezogene Dienstleistungen auf einer breiten Grundlage zur Verfügung zu stellen, nachdem seit Ende der 60er Jahre primär der Aufbau von Regionalstrukturen in Lateinamerika und Asien organisatorisch und finanziell unterstützt worden war. Die verfügbaren Ressourcen hatten es der IUL bis dahin nur erlaubt, Informationsvermittlungen und Konflikthilfen zu leisten, die nur begrenzte Attraktivität für die meisten Verbände besaßen.

Kontinuität und Expansion von Programmen und Projekten seit Beginn dieser Schulungs- und Organisationstätigkeit beinhalteten nicht nur für die Einzelgewerkschaften die Gefahr von Abhängigkeiten. In dieser - latenten - Gefahr standen/stehen auch der IBV und die IUL, da sie nicht in der Lage waren/sind, gegebenenfalls die recht umfangreichen Programme aus dem Beitragsaufkommen zu finanzieren. Dennoch liegt die Bedeutung der Programme vor allem darin, mit ihrer Hilfe direkt und indirekt die Bestands- und Handlungsvoraussetzungen beider Berufssekretariate zu verbessern.

- Verteidigung von Gewerkschafts- und Menschenrechten

Sicherung und Ausbau, Verteidigung und Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten gehören zu den zentralen Forderungen und Aufgaben internationaler Gewerkschaftsorganisationen [Vgl. IBFG, Jährliche Übersicht über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten, Brüssel 1985 ff.].
Im Kern beziehen sich diese Forderungen auf die allgemeinen Grundsätze gewerkschaftlicher Existenz. Sie sollen die Bildung und den Bestand von unabhängigen Gewerkschaften erlauben, demokratisch getragen von den organisierten Arbeitnehmern, unabhängig und unbeeinflusst von Regierung, Arbeitgebern und Unternehmen. Diesen Grundsätzen wird generelle Geltung zugesprochen, unabhängig von bestehenden Gesellschafts- und Rechtssystemen und vom wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstand.

Die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten, fehlende oder geringe gesellschaftliche Akzeptanz der Arbeitnehmerorganisationen sowie staatliche Restriktionen und Verbote begleiten die Gewerkschaften und die internationalen Gewerkschaftsorganisationen seit ihrer Gründung. Als Forderung nach 'internationaler Solidarität' gehört die Verteidigung von Gewerkschaftsrechten daher zur Tradition internationaler Gewerkschaftsprogrammatik und -politik, wenngleich die Interventionsmöglichkeiten und insbesondere deren Erfolgschancen meist gering waren.

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Ein wichtiger Grund für dieses Einflussdefizit ist in dem spezifischen Charakter vieler Fälle von Gewerkschafts- und Menschenrechtsverletzungen zu sehen. Das Spektrum ist weitgespannt und reicht von ungerechtfertigten Entlassungen von Gewerkschaftsvertretern, Verzögerungen und Verweigerungen von Tarifverhandlungen bis zur Nichtanerkennung von Gewerkschaften; es umfasst staatliche Einschränkungen von Organisationsmöglichkeiten, Kontrolle und Reglementierung der Gewerkschaften sowie Eingriffe in das Arbeitskampfrecht; Reglementierung nationaler und internationaler Zusammenschlüsse von Gewerkschaften sowie Verbot und Unterdrückung von Verbänden zählen ebenso dazu; schließlich Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung von Gewerkschaftern. Diese Aufzählung macht bereits deutlich, dass internationale Gewerkschaftsorganisationen wie die IUL und der IBV kaum in der Lage sein können, bedrohten Mitgliedsverbänden wirksamen Schutz zu bieten oder staatliche Repressionen zu verhindern.

Dennoch mussten sie sich mit Fragen der Gewerkschafts- und Menschenrechte und mit Interventionserwartungen seit den 60er und 70er Jahren intensiver auseinandersetzen. Organisationsstrukturelle Voraussetzung dafür war der Beitritt von Gewerkschaften aus Afrika, Asien und Lateinamerika, was beide Berufssekretariate mit massiven Einschränkungen von Gewerkschaftsrechten konfrontierte. Wachsende Interventionsanforderungen an Berufssekretariate korrespondierten mit Entwicklungen, die ihnen zumindest punktuell die Herausbildung einer interventionsfähigen Strategie gestattete.

Die Chance für eine mehr oder weniger erfolgreiche Intervention bei Verletzungen von Gewerkschaftsrechten hängt von zwei Faktoren ab: (1) den Akteuren und der Konfliktebene (Staat/Regierung oder Unternehmen/Betrieb) und (2) der Dimension des Konflikts. Je unspezifischer ein Konflikt und die Verletzung von Gewerkschaftsrechten, desto geringer sind die Chancen, eigenständig erfolgreich zu intervenieren und einen Mitgliedsverband zu unterstützen. Gegenüber der IUL hat der IBV das Handikap, dass der Bergbau in Ländern der Dritten Welt überwiegend entweder in staatlicher Regie betrieben wird oder aufgrund von Förderabgaben eine wichtige staatliche Einnahmequelle darstellt und daher eine ausgeprägte staatliche Interventionsneigung (nicht nur bei Arbeitskonflikten) besteht.

Zur Verteidigung von Gewerkschaftsrechten stehen den Berufssekretariaten unterschiedliche Mittel und Methoden zur Verfügung. Anwendung, Wirksamkeit und Erfolgsaussichten sind von der Ebene der Konfliktansiedlung und dem mobilisierbaren Einflusspotential abhängig.
Neben Protestresolutionen, die auf eine kritische Öffentlichkeit zielen, zählen dazu v. a. Boykottaufrufe, Klagen vor dem ILO-Ausschuss für Vereinigungsfreiheit, verschiedene Einflussnahmen (Protest, Boykott, Streik) auf die Haltung Multinationaler Konzerne. Relativ wirksam haben sich - insbesondere bei der IUL - Interventionen gegenüber MNK erwiesen, sofern der Konfliktanlass lokal und sachlich begrenzt war. Handlungsgrenzen für beide Berufssekretariate liegen jedoch nicht nur im Konfliktniveau der Gewerkschaftsrechtsverletzung, sondern auch in der Ressourcenverfügung und Mobilisierungsfähigkeit der Mitgliedsverbände.

Bei einzelnen Konflikten - insbesondere beim Kampf gegen die Apartheidpolitik in Südafrika - vermochten beide Berufssekretariate erhebliche Ressourcen zu mobilisieren und über längere Zeit die Mitgliedsverbände für die Unterstützung von Gewerkschaften zu gewinnen. Jedoch zeigte gerade das Beispiel der langfristigen und facettenreichen Kampagne für die südafrikanischen Gewerkschaften nicht nur die Mobilisierungsmöglichkeiten der Berufssekretariate, sondern auch deren Grenzen. Für ein derartig intensives Engagement bedurfte es einer spezifischen Konfliktkonstellation, die in ähnlicher Weise - und mit ähnlicher Mobilisierungswirkung - kaum wieder auftreten wird.

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- 'Gegenmacht' gegen Multinationale Konzerne

Da die Berufssekretariate auf internationaler Ebene 'gegnerfreie' Organisationen sind, ihnen also eine mit den nationalen Arbeitgeberverbänden vergleichbare Organisation nicht gegenübersteht, schienen eine Zeitlang Multinationale Konzerne (MNK) willkommene 'Ersatzorganisationen' zu sein für tarifvertragsähnliche Vereinbarungen, die einzelne IBS auf internationaler Ebene anstrebten.

Für die IUL spielte die Beschäftigung mit MNK seit Anfang der 60er Jahre eine an Bedeutung zunehmende Rolle, da in ihrem Organisationsbereich weit über 100 relevante international agierende Konzerne vertreten sind. Schon Anfang der 60er Jahre wurden Vorschläge für internationale Vereinbarungen und internationale Tarifregelungen entworfen. Die Bildung von sogenannten Konzernausschüssen für einige MNK erweiterte seit Anfang der 70er Jahre die Bemühungen um 'Gegenmacht', die in der Praxis indes häufig auf einmalige Konferenzen und Informationsaustausch beschränkt blieb. Von größerer Relevanz war eine systematische Informationsarbeit, die zur Aufstellung eines umfangreichen 'MNK-Directories' führte und die Basis bildete für konkrete Unterstützungen einzelner Mitgliedsverbände, z. B. anlässlich von Tarifkonflikten.

Obgleich sich 'Gegenmacht'-Vorstellungen der 70er Jahre nicht als realistische gewerkschaftspolitische Perspektive erwiesen, konnte die IUL in begrenztem Maße Interventionsfähigkeit gegenüber MNK gewinnen. Voraussetzung war jedoch, es handelte sich um lokale Konflikte, im betroffenen Konzern waren einflussmächtige Mitgliedsverbände vertreten und diese waren mobilisierungsbereit. Erfolgreich waren Aktionen, wenn Konflikte die Handhabung der Arbeitsbeziehungen und der Tarifpolitik in Konzernfilialen betrafen. Eine gestaltende MNK-Politik, ähnlich der Tarifpolitik der Mitgliedsverbände auf nationaler Ebene, lag indes bisher außerhalb des Handlungsbereichs der IUL. Eine hohe Mobilisierungsbereitschaft und einen mitunter überraschenden Einfluss konnte die IUL darüber hinaus erlangen, wenn es bei MNK-Konflikten um (lokal begrenzte) Auseinandersetzungen ging, die grundsätzliche Gewerkschafts- und Menschenrechte berührten.

Die Bildung 'Europäischer Betriebsräte' und ähnlicher konzernbezogener Konsultationsgremien seit Mitte/Ende der 80er Jahre, befördert in den letzten Jahren durch die EU-Richtlinie zu 'Euro-Betriebsräten', erweckte den Anschein, dass die in den 70er Jahren geforderten gewerkschaftlichen Konzernstrukturen endlich geschaffen würden. Die begrenzten Kompetenzen dieser Gremien, auch wenn sie über Informations- und Konsultationstätigkeiten hinausgehen und zu Rahmenvereinbarungen (z. B. über Gleichstellungsregelungen oder Qualifizierungsprogramme) gelangen, machen allerdings deutlich, dass es sich keineswegs um 'Gegenmacht'-Organe handelt, sondern um Gremien, die durch Information und Konsultation konfliktkanalisierende Funktionen gewinnen sollen.

Trotz solcher Einschränkungen und Veränderungen der MNK-Politik hatte und hat dieses Handlungsfeld für die IUL einen zentralen Stellenwert, der ihre Handlungs-, Koordinations- und Interventionsfähigkeit ausweist.

Im Vergleich dazu, spielten MNK für den IBV nur eine marginale Rolle. Der IBV hat sich mit dem Problem, das Multinationale Konzerne für die Interessenvertretung von Gewerkschaften darstellen, Anfang der 70er Jahre erstmals befasst. Während im europäischen Steinkohlenbergbau Multinationale Konzerne (MNK) keine Rolle spiel(t)en, waren die meisten Gewerkschaften im Erzbergbau, der in einigen Sparten von wenigen Konzernen mit Förderschwerpunkten in Ländern der Dritten Welt beherrscht wird, nicht in der Lage innerhalb der Bergarbeiter-Internationale entsprechende Initiativen und Aktivitäten zu etablieren. Der geringe Stellenwert des MNK-Problems resultierte zudem aus einer ausgeprägten staatlichen Reglementierung des Bergbaus, die mehr oder weniger auch die Produktions- und Arbeitsbedingungen umfasste. Hinzu kamen die Struktur der internationalen Verflechtung der für den IBV relevanten MNK. Da sie in Europa kaum wichtige Bergbau-Unternehmen betrieben, verfügten der IBV in den Industrieländern nicht über ein relevantes Mitglieder- und Einfluss-

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potential. Der IBV hatte daher bis in die 80er Jahre nur geringe Ansatzpunkte für direkte Interventionen von Bergarbeitergewerkschaften in Industrieländern zugunsten von Organisationen in Ländern der Dritten Welt. Aber auch die 1973 erfolgte Einrichtung eines MNK-Ausschusses blieb angesichts der allgemeinen Handlungsschwäche des IBV ohne innerorganisatorische Folgen.

Interventionschancen, die MNK durch ihre Präsenz in Ländern mit einflussfähigen Gewerkschaften eröffnen, versuchte der IBV erstmals im Rahmen der Anti-Apartheid-Kampagne zu nutzen. Eine Kampagne gegen Royal Dutch/Shell, die in Südafrika ein Bergwerk gemeinsam mit dem südafrikanischen Unternehmenskonglomerat Barlow Rand betreibt, richtete sich nicht allein gegen die gewerkschafts- und arbeitnehmerfeindliche Haltung des Konzerns, sondern auch gegen das ungebrochene Engagement des Energie-Multis in Südafrika.

Vor dem Hintergrund eines wachsenden Engagements von Energie-Konzernen im Kohlenbergbau und eines zunehmenden Konzentrationsprozesses im Erzbergbau wurde auf dem IBV-Kongress in Harare 1989 von Vertretern der UMWA eine Ausweitung der MNK-Aktivitäten gefordert, deren Umsetzung - abgesehen von der Fusion mit der ICEF - jedoch nicht systematisch erfolgte. Dennoch gelang auch es auch dem IBV bei einigen lokalen Tarifkonflikten in Betrieben Multinationaler Konzerne durch die Mobilisierung von Mitgliedsverbänden und vor allem durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen erfolgreich zu intervenieren. Derartige Aktionen stellten für den IBV indes Ausnahmen dar.

- Internationale Organisationen: die ILO

Repräsentation und Koordination der Mitgliedsverbände gegenüber zwischenstaatlichen internationalen Organisationen (International Governmental Organisations, IGO) stellen einen Aufgabenbereich für internationale Gewerkschaftsorganisationen dar, der seit der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (1919) und des Völkerbundes mit unterschiedlicher Intensität von Internationalen Berufssekretariaten wahrgenommen wurde. Mit dem Entstehen spezialisierter internationaler Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte sich dieses Aufgabengebiet. Doch bereits in den 50er und 60er Jahren wurde deutlich, dass die meisten Berufssekretariate nicht über die personellen und materiellen Ressourcen verfügten, um einen breit angelegten internationalen Lobbyismus betreiben zu können. Ausschlaggebend für eine auf wenige internationale Organisationen konzentrierte Interessenvertretung war darüber hinaus, dass die meisten internationalen Organisationen einerseits nur geringe Kompetenzen und Funktionen, andererseits komplexe und langwierige Entscheidungsprozesse haben und dass ihre Vertretungsstrukturen nationalen und internationalen Gewerkschaftsorganisationen kaum Chancen für ein wirksame Einflussnahme bieten. Die Interessenvertretung von IUL und IBV beschränkt sich daher auf wenige internationale Organisationen.

Im Mittelpunkt einer organisationsbezogenen Interessenvertretung stand für beide Berufssekretariate seit den 20er Jahren die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). "Globale Förderung der sozialen Gerechtigkeit durch Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten und (durch) die Anerkennung fundamentaler Menschenrechte" als programmatische Ziele machten die ILO zu einem Forum für eine internationale Vertretung von Arbeitnehmerinteressen [G. Unser, Internationale Arbeitsorganisation/IAO, in: U. Andersen, W. Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Organisationen, 2. Aufl., Opladen 1995, S. 149.].
Begünstigt wird dies durch die dreigliedrige Struktur dieser UN-Organisation, indem neben Repräsentanten von Regierungen in den meisten Gremien Arbeitgebervertreter und Gewerkschafter vertreten sind, und auch durch ihre konkrete Aufgabenstellung, obliegt doch der ILO die Ausarbeitung internationaler Mindestnormen (Übereinkünfte/Konventionen und Empfehlungen) arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Art, sowie die Entwicklung internationaler technischer Zusammenarbeit und arbeitswissenschaftliche Forschung, Dokumentation und Information.

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Mit großen, aber nicht eingelösten Erwartungen hatte der IBV bereits Ende der 20er Jahre den Versuch unternommen, mit Hilfe des Völkerbundes und der ILO eine Regulierung des europäischen Kohlenmarktes, zumindest aber eine internationale Reduzierung der Arbeitszeit zu erreichen, um die permanente Krise der Branche einzudämmen. Ähnlich hatte bereits Mitte der 20er Jahre die IUL erfahren müssen, dass die 1925 verabschiedete ILO-Konvention (Nr. 20) zum Nachtbackverbot den Anforderungen der Lebensmittelarbeiter-Internationale nicht entsprach. Dennoch blieb die ILO für den IBV eine wichtige Institution, um vor allem die für den Bergbau zentralen Fragen und Probleme der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes international zu bearbeiten und zu regeln.

Ein wichtiges Forum für die Diskussion von Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutz-Fragen wurde nach 1945 der neu eingerichtete ILO-Industrieausschuss für den Kohlenbergbau. Die Einrichtung eines ähnlichen Ausschusses für die Nahrungsmittel-Industrie gelang der IUL in den nächsten Jahrzehnten nicht (1989 wurde ein Industrieausschuss für den Hotel-Restaurant-Tourismus-Sektor eingerichtet), so dass für diesen Sektor nur sog. dreigliedrige Fachtagungen, die weniger häufig zusammentraten und institutionell im Rahmen der ILO geringer ausgestattet waren, einberufen wurden.

Neben den Bemühungen um die Verabschiedung von Konventionen und Empfehlungen versuchte der IBV die Kapazitäten der ILO für die Untersuchung berufsspezifischer Probleme (Arbeitssicherheit, Unfallursachenforschung im Bergbau, Berufskrankheiten etc.) zu nutzen. Der Kohlenbergbau-Ausschuss, der zwischen 1945 und 1988 zwölf Tagungen abhielt, erwies sich in diesem Zusammenhang als ein wichtiges Forum zur Erörterung dieser Fragen. Die von den einzelnen Tagungen zu den sachbezogenen Themen beschlossenen umfangreichen Schlussfolgerungen können, obgleich ihnen keine bindende Wirkung zukommt, den Charakter von Leitlinien annehmen. Sie stellen internationale Standards fest, die auf nationaler Ebene als Handlungsorientierung dienen mögen. Neben den Schlussfolgerungen zu den "technischen" Tagesordnungsthemen richtete der Kohlenbergbau-Ausschuss Forderungen für bestimmte Folgetätigkeiten an die ILO. Sie betrafen hauptsächlich Fragen der Arbeitssicherheit, der Unfallverhütung und des Gesundheitsschutzes. Zum Teil wurden sie von der ILO aufgegriffen und führten zu Expertentagungen und gelegentlich zur Erarbeitung von Mustersicherheitsbestimmungen.

Im Vergleich zum IBV setzte die aktionsorientierte Politik der Lebensmittelarbeiter-Internationale, für die die Handlungsfähigkeit und die Mobilisierungsbereitschaft der Mitgliedsverbände im Vordergrund standen, stärker auf eine instrumentelle Nutzung der ILO. Das betraf deren Forschungs- und Beratungsmöglichkeiten, aber auch die Chancen, die ILO als öffentlichkeitswirksames Forum für Klagen wegen Verletzungen von Gewerkschafts- und Menschenrechten zu nutzen.

Während industriespezifische Aufgabenstellungen der ILO über lange Zeit an Bedeutung eingebüßt haben, hat ihre Funktion als eines politischen/gewerkschaftspolitischen Forums an Bedeutung gewonnen. Für beide Berufssekretariate kommt diese Funktion vor allem in der Möglichkeit zum Zuge, vor der ILO offiziell Klagen einzureichen, wenn in Ländern, die die einschlägigen ILO-Konventionen ratifiziert haben, gegen die Prinzipien der Vereinigungsfreiheit verstoßen wurde. Zwar verfügt die ILO über keine wirksamen Sanktionsmittel, um die beklagten Ursachen abzustellen; ein hoher Stellenwert kommt indes dem propagandistischen Effekt zu und der damit stetig wiederholten Hervorhebung der Universalität der grundlegenden Gewerkschafts- und Menschenrechte.

* * *

Ein Resümee kann - und soll auch - am Ende dieser Skizze nicht stehen. Es sollte ja nicht versucht werden, einen mehr oder weniger trefflichen Abriss beider Berufssekretariate zu liefern, auch war nicht intendiert, mit der vergleichenden Betrachtung Entwicklung, Struktur und

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Politik beider IBS im Detail auszuleuchten, um zu erklären weshalb die Bergarbeiter-Internationale am Ende ihre Eigenständigkeit aufgeben musste - was angesichts ihres 'sektoralen/strukturellen Dilemmas' wohl offensichtlich ist -, während die IUL nach wie vor trotz mancher Krisen eine 'dynamische' Organisation darstellt, was wiederum nicht so einfach zu erklären wäre. Intendiert war vielmehr ein Abriss einiger Aspekte der Organisationsgeschichte beider Berufssekretariate, um auf deren Komplexität und Vielschichtigkeit hinzuweisen - und vielleicht ein Interesse an den im folgenden dokumentierten Materialien zu wecken.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002

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