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Teildokument:
Franz Osterroth / Dieter Schuster
Chronik der deutschen Sozialdemokratie - Band 1

Zeitraum:1914 - 1916

hier finden Sie Einträge zu folgenden Daten:

1914
Jan. /Febr. 1914
20. Febr. 1914
8./15. März 1914
26. März 1914
Frühjahr 1914
31. März 1914
April 1914
22./27. Juni 1914
28. Juni 1914
25. Juli 1914
28. Juli 1914
28./29. Juli 1914
29. Juli 1914
30. Juli 1914
31. Juli 1914
31. Juli 1914
31. Juli 1914
31. Juli 1914
Ende Juli/ Anf. August 1914
1./3. Aug. 1914
1. Aug. 1914
2. Aug. 1914
3. Aug. 1914
4. Aug. 1914
4. Aug. 1914
Aug. 1914
13. Aug. 1914
31. Aug. 1914
Sept. 1914
3. Sept. 1914

9. Sept. 1914
27. Sept. 1914
28. Sept. 1914
25. Okt. 1914
4. Nov. 1914bis Juni 1915
27. Nov. 1914
2. Dez. 1914
Anf. 1915
12./13. Jan. 1915
Febr. 1915
2./4. Febr. 1915
18. Febr. 1915
26. Febr. 1915
März 1915
2. März 1915
7. März 1915
10. März 1915
18. März 1915
20. März 1915
26./28. März 1915
27. März 1915
5./7. April 1915
7./8. April 1915
12. /13. April 1915
14. April 1915
5. Mai 1915
20. Mai 1915
9. Juni 1915
12.Juni 1915
19.Juni 1915
23. Juni 1915

24. Juni 1915
30. Juni/1. Juli 1915
3. Juli 1915
5. Juli 1915
22. Juli 1915
29. Juli 1915
14./16. Aug. 1915
20. Aug. 1915
Anf. Sept. 1915
5./8. Sept. 1915
Nov. 1915
5. Nov. 1915
30. Nov. 1915
9. Dez. 1915
18. Dez. 1915
20. Dez. 1915
21. Dez. 1915
1. Jan. 1916
7./9. Jan. 1916
11. Jan. 1916
11./18. Jan. 1916
13. Jan. 1916
14./15. Jan. 1916
Mitte Jan. 1916
Febr. 1916
18. Febr. 1916
19. März 1916
24. März 1916
25. März 1916
29. März 1916

30. März 1916
April 1916
5. April 1916
23./24. April 1916
24./30. April 1916
1. Mai 1916
Mai 1916
30. Mai 1916
5. Juni 1916
7. Juni 1916
28. Juni 1916
10. Juli 1916
20./21. Juli 1916
Aug.1916
8. Aug. 1916
15. Aug./ 24. Dez. 1916
23. Aug. 1916
18. Sept. 1916
19. Sept. 1916
20. Sept. 1916
21./23. Sept. 1916
Okt. 1916
26. Okt. 1916
27. Okt. 1916
4. Nov. 1916
9. Nov. 1916
11. Nov. 1916
2.Dez.1916
12. Dez. 1916
12. Dez. 1916
Winter 1916/17



1914 - 1916

1914

Der 3. Band der Erinnerungen von A. Bebel: »Aus meinem Leben« wird von K. Kautsky herausgegeben.

Jan. /Febr. 1914

Protestkundgebungen in vielen deutschen Städten gegen die geplante Verschlechterung des Koalitionsrechtes und des Verbotes des Streikpostenstehens.

20. Febr. 1914

Rosa Luxemburg wird von der Strafkammer Frankfurt a. M. wegen Aufreizung zum Ungehorsam - sie hatte die Arbeiter aufgefordert, nicht auf ihre französischen Brüder zu schießen - zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

8./15. März 1914

Die Sozialdemokratie veranstaltet die »Rote Woche«. Sie dient der allgemeinen Agitation für die Parteiorganisation und die Parteipresse. 148 109 neue Mitglieder und 83 784 neue Abonnenten werden geworben.

26. März 1914

Bei einer Nachwahl im Reichstagswahlkreis Borna-Pegau wird der bisherige Abgeordnete/ der Vorsitzende des »Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie« E. v. Liebert, vom sozialdemokratischen Kandidaten K. Ryssel geschlagen.

Frühjahr 1914

Die gewerkschaftlichen Angestelltenorganisationen schließen sich in loser Form zur »Arbeitsgemeinschaft für das einheitliche Angestelltenrecht« zusammen.

31. März 1914

Im Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag wird das abgelaufene Geschäftsjahr als ein Jahr der wirtschaftlichen Krise und der politischen Reaktion bezeichnet. Die Bestimmungen des Vereins- und Versammlungsrechtes seien trotz aller Auseinandersetzungen im Reichstage noch schlimmer mißachtet worden als in den vorausgegangenen Jahren. Dem Koalitionsrecht seien Fesseln angelegt worden, für die es gesetzliche Handhaben nicht gebe. Durch Polizeiverordnungen sei das Streikpostenstehen vielerorts unmöglich. Der Sozialdemokratie solle der jugendliche Zufluß abgesperrt werden durch die brutale Unterdrückung der proletarischen Jugendbewegung.

Die Zahl der Parteimitglieder beträgt 1 085 905, davon 174754 weibliche. Bei diesen Zahlen sind die während der »Roten Woche« geworbenen Mitglieder erst zum Teil berücksichtigt.

Die Zahl der Bildungsausschüsse beträgt 854, die der Jugendausschüsse 837. Für alle 38 Agitationsbezirke bestehen Bezirksleitungen. Die Ausschüsse zählen 19 107 Mitglieder. In 252 Orten arbeiten Kinderschutzkommissionen.

Der »Vorwärts« hat 161 000, »Die Neue Zeit« 10 600, »Die Gleichheit« 125 000, die »Arbeiter-Jugend« 102 726, »Der Wahre Jacob« 366 000, die »Kommunale Praxis« 3574 und die 14täglich erscheinende »Sozialdemokratische Parteikorrespondenz« 5500 Abonnenten, die Parteipresse insgesamt 1 488 345.

Täglich erscheinen 91 Parteizeitungen. Die Partei besitzt 65 Druckereien.

Die Sozialdemokratie ist in den Landtagen vertreten mit 30 Abgeordneten in Bayern, 25 in Sachsen, 20 in Hamburg, 17 in Württemberg, 16 in Bremen, 13 in Baden, 13 in Lübeck, 11 in Oldenburg, 11 in Elsaß-Lothringen, 10 in Preußen, 9 in Sachsen-Meiningen, 9 in Schwarzburg-Rudolstadt, 8 in Gotha, 8 in Hessen, 7 in Sachsen-Altenburg, 4 in Sachsen-Weimar, 3 in Reuß ältere Linie, 2 in Reuß jüngere Linie, 1 in Anhalt, 1 in Schaumburg-Lippe, 1 in Lippe, 1 in Schwarzburg-Sondershausen. Das sind zusammen 220 Abgeordnete.

Die Sozialdemokratie stellt 11 880 Stadt- und Gemeindevertreter. Der Bildungsausschuß teilt mit, daß in 215 Orten 357 Vortragskurse mit 2152 Vorträgen und 60 450 Teilnehmern gehalten wurden, 675 künstlerische Veranstaltungen mit 302 306 Besuchern, 769 Theaterabende und Volksvorstellungen mit 604 405 Besuchern, davon 38 Kindervorstellungen mit 25 465 Besuchern, stattfanden. 49 Gesellschaftsreisen für Arbeiter wurden unternommen. Von Wanderrednern, darunter H. Duncker, J. Borchardt, 0. Rühle, P. Lensch, wurden 882 Kurse mit 4795 Vorträgen und 137 120 Besuchern durchgeführt.

In 748 Orten gibt es 1147 Arbeiterbibliotheken, davon sind 591 Zentralbibliotheken, 556 gehören einzelnen Organisationen. Der Bücherbestand beläuft sich auf 833 857 Bücher. Für die Arbeiterbibliotheken wurden im Jahre 1913 284 357,97 Mark ausgegeben.

April 1914

Auf einer Reichskonferenz der Bezirksbildungsausschüsse werden die Delegierten mit neuen Unternehmungen des Zentralbildungsausschusses, besonders den Lichtbild- und Kinozentralen, bekanntgemacht.

22./27. Juni 1914

9. Kongreß der Gewerkschaften in München. 448 Delegierte vertreten 2 556 251 Mitglieder.

Tagesordnung: Die »Volksfürsorge« (G. Bauer); die Handhabung des Reichsvereinsgesetzes (A. Brey); Arbeitswilligenschutz und Unternehmerterrorismus (A. Schlicke); die Bestrebungen des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise (A. Neumann); Arbeitslosenfürsorge (A. Winnig); die gesetzliche Regelung der Tarifverträge (Th. Leipart); der Einfluß der Lebensmittelteuerung auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse (J. Timm).

C. Legien berichtet, daß das Vermögen der 47 großen Zentralverbände 1913 88 051 570 Mark betragen hat. Aus dem Streik- und Aussperrungsfonds wurden in den letzten drei Jahren 1 573 185 Mark Unterstützungen, an Arbeitslosenunterstützung 1913 13 037 435 Mark gezahlt. C. Legien geht ausführlich darauf ein, daß der Berliner Polizeipräsident die Gewerkschaften zu »politischen« Vereinen erklärt hat. Zweck dieser Aktion sei es, daß beim geltenden Vereinsrecht jugendliche Werktätige nicht mehr der Gewerkschaft beitreten könnten. Die Gewerkschaften würden aber eine andere Organisationsform für die Jugendlichen zu finden wissen. Die Handhabung des Reichsvereinsgesetzes von 1908 wird als schikanös-arbeiterfeindlich und illoyal gekennzeichnet; das Gesetz selbst würde die Anforderungen an ein freies Vereins- und Versammlungsrecht nicht erfüllen.

Ein weiterer Auf- und Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung sei dringend erforderlich. Eine gesetzliche Regelung des Tarifvertrages anzustreben, wird vom Kongreß abgelehnt, da der Boden dafür noch lange nicht geebnet sei.

In der Frage der Arbeitslosenversicherung hätten das Reich und die Einzelstaaten restlos versagt. Alle Organisationen der Arbeiter und Angestellten werden aufgefordert, in den Mittelpunkt ihrer Agitation die Forderung der öffentlichen Organisation der Arbeitslosenversicherung zu stellen und ihren ganzen Einfluß im öffentlichen Leben für sie einzusetzen.

In die Generalkommission werden gewählt: C. Legien (Vorsitzender), G. Bauer; H. Kube; A. Cohen; E. Döblin; C. Hübsch; A. Knoll; G. Sabath; H. Sachse; J. Sassenbach; R. Schmidt; 0. Schumann; H. Silberschmidt.

28. Juni 1914

Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar in Serajewo.

25. Juli 1914

Der Parteivorstand fordert die Organisationen zu Friedenskundgebungen auf, die in den folgenden Tagen in großer Zahl, mit zehntausenden Teilnehmern, durchgeführt werden.

28. Juli 1914

Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg.

28./29. Juli 1914

Das Internationale Sozialistische Büro fordert die europäische Arbeiterklasse auf, den Kampf um den Frieden, für eine schiedsgerichtliche Erledigung des österreichisch-serbischen Konfliktes fortzusetzen und zu verstärken.

29. Juli 1914

A. Südekum teilt Th. v. Bethmann Hollweg im Namen von F. Ebert, 0. Braun, H. Müller, F. Bartels und R. Fischer mit, daß keine Streikaktionen geplant seien.

30. Juli 1914

Der Parteivorstand beschließt, F. Ebert und 0. Braun mit der Parteikasse in die Schweiz zu schicken, da er bei Kriegsausbruch mit einem Verbot der Partei rechnet.

31. Juli 1914

H. Müller versucht in Paris, mit den französischen Sozialdemokraten eine einheitliche Haltung beim Kriegsausbruch zu vereinbaren. Während des Aufenthaltes wird J. von einem Nationalisten erschossen. Die Besprechungen verlaufen ergebnislos.

31. Juli 1914

Russische Generalmobilmachung.

31. Juli 1914

Das Reichsgebiet wird in Kriegszustand erklärt, der Belagerungszustand verkündet; die Versammlungs- und Meinungsfreiheit damit stark eingeschränkt. Sozialdemokratische Zeitungen werden während des Krieges auf Grund des Belagerungszustandes oft verboten.

31. Juli 1914

Der Parteivorstand appelliert angesichts der sich zuspitzenden internationalen Lage an die Arbeiter, sich nicht zu »Unbesonnenheiten, nutzlosen und falschverstandenen Opfern« hinreißen zu lassen.

Ende Juli/ Anf. August 1914

Zwischen dem preußischen Landwirtschaftsministerium und der Generalkommission wird über die Mithilfe der freien Gewerkschaften bei der Einbringung der Ernte ein Übereinkommen getroffen. Damit werden die Gewerkschaften von staatlichen Behörden zum ersten Mal als vertragsfähig anerkannt.

Die Parteien vereinbaren untereinander, keine Wahlkämpfe während des Krieges durchzuführen.

Der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie stellt für die Dauer des Krieges seine Tätigkeit ein.

1./3. Aug. 1914

Das Deutsche Reich erklärt Rußland und Frankreich den Krieg.

1. Aug. 1914

Wilhelm II. erklärt: »Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche.«

2. Aug. 1914

Die Vorständekonferenz der Gewerkschaften beschließt, alle Lohnbewegungen abzubrechen.

3. Aug. 1914

In der Fraktionssitzung der SPD-Reichstagsfraktion stimmen 14 Abgeordnete, darunter der Partei- und Fraktionsvorsitzende H. Haase sowie G. Ledebour und K. Liebknecht gegen die Bewilligung der Kriegskredite.

4. Aug. 1914

Großbritannien erklärt Deutschland den Krieg.

4. Aug. 1914

Der Reichstag tritt zur Bewilligung des ersten Kriegskredites zusammen. Die SPD-Fraktion bewilligt einstimmig die Kredite. H. Haase gibt als Vorsitzender für die SPD-Fraktion die Erklärung ab: »Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Ära des Wettrüstens herbeigeführt wurde und die Gegensätze unter den Völkern sich verschärften, sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen. Die Verantwortung hierfür fällt den Trägern dieser Politik zu; wir lehnen sie ab. Die Sozialdemokratie hat diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft, und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich in innigem Einvernehmen mit den französischen Brüdern, für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt . . . Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht mit einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen.

Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen. Wir fordern, daß dem Krieg, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. . .«

Aug. 1914

Bei Kriegsausbruch wird die Hälfte der SPD-Mitglieder, bis 1917 75 %, zum Militär eingezogen.

13. Aug. 1914

Parteivorstand und Generalkommission unterbreiten der Reichsregierung ein Programm, in dem grundlegende Maßnahmen für eine durchgreifende Organisation der gesamten Ernährung gefordert werden.

31. Aug. 1914

Das Verbot des Bahnhofsverkaufs sozialdemokratischer Schriften wird in den Bundesstaaten aufgehoben. Der preußische Kriegsminister teilt mit, daß der Erlaß vom 24. Januar 1894, welcher das Halten und die Verbreitung revolutionärer oder sozialdemokratischer Schriften sowie die Einführung solcher Schriften in Kasernen oder sonstigen Dienstlokalen verbietet, soweit derselbe sich auf sozialdemokratische Schriften beziehe, die nach dem 31. August 1914 erscheinen, aufgehoben wird. Die Aufhebung geschehe in der Erwartung, daß die Veröffentlichung von Artikeln unterbleibe, welche geeignet seien, den einheitlichen Geist des Heeres zu beeinträchtigen. Sollte das nicht zutreffen, so sei jedes Generalkommando befugt, das Verbot wieder in Kraft zu setzen.

Sept. 1914

Vertreter des Parteivorstandes versuchen vergeblich, von der Schweiz aus mit der französischen Partei in Fühlung zu kommen.

3. Sept. 1914

L. Frank, geboren 23. Mai 1874 in Nonnenweier/Baden, Rechtsanwalt, gründete 1904 die erste Organisation der Arbeiterjugend in Süddeutschland, 1906-1908 Redakteur von »Die junge Garde«, Organ des Verbandes junger Arbeiter Deutschlands, ab 1905 Mitglied des badischen Landtages, ab 1907 MdR, der sich als erster Reichstagsabgeordneter freiwillig gemeldet hatte, fällt in seinem ersten Gefecht in Frankreich.

9. Sept. 1914

Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg übersendet dem Staatssekretär C. v. Delbrück ein Kriegszielprogramm, in dem u. a. eine wesentliche Schwächung Frankreichs vorgesehen ist.

27. Sept. 1914

Der Parteiausschuß befürwortet übereinstimmend die Einhaltung des Burgfriedens.

28. Sept. 1914

Eine Konferenz der Redakteure der Parteipresse stimmt auf Vorschlag des Parteivorstandes folgenden Leitsätzen für die Haltung der Parteipresse im Kriege zu: 1. Die Parteipresse soll dem Hurrapatriotismus und chauvinistischen Treibereien entgegenwirken; 2. Annexionsgelüste bekämpfen; 3. bei Berichten über Kriegsgreuel, Gefangenen- und Verwundetenbehandlung mit größter Objektivität verfahren; 4. auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik schnell und wegweisend sein.

Im Verlauf des Krieges halten sich nicht alle Parteizeitungen an diese Leitsätze.

In Opposition zur Politik der Parteimehrheit stehen von Kriegsbeginn an der »Vorwärts« (bis 1915 ist R. Hilferding politischer Redakteur); die »Leipziger Volkszeitung« (H. Block); die »Bremer Bürgerzeitung« (A. Henke), die »Bergische Arbeiterstimme« (W. Dittmann), die »Niederrheinische Arbeiterzeitung« (K. Minster); die »Düsseldorfer Volkszeitung«, das Hallesche »Volksblatt«, der Braunschweiger »Volksfreund« (A. Thalheimer), der Stettiner »Volksbote«, der »Volksfreund« in Pirna (0. Rühle).

Durch Eingreifen des Parteivorstandes wird im Laufe des Krieges die politische Linie einiger dieser Blätter geändert.

25. Okt. 1914

Eine Konferenz der Bezirksleitungen der »Jugend-Ausschüsse« lehnt die Beteiligung an den militärischen Jugendkompagnien ab.

4. Nov. 1914
bis Juni 1915

W. Keil wird vom Landesvorstand Württemberg mit der Redaktion der »Schwäbischen Tagwacht« betraut. Damit beginnt eine heftige Auseinandersetzung innerhalb der württembergischen Partei um diese Zeitung und ihre politische Haltung. Sie endet mit der Gründung einer oppositionellen Gruppe unter F. Westmeyer, A. Crispien, E. Hoernle, J. Walcher, unterstützt von Clara Zetkin.

27. Nov. 1914

K. Kautsky stellt in einem Aufsatz fest, daß die Internationale kein wirksames Werkzeug im Kriege sei, »sie ist im wesentlichen ein Friedensinstrument«. Diese These wird von Rosa Luxemburg scharf verurteilt.

2. Dez. 1914

Die SPD-Fraktion - außer K. Liebknecht - stimmt erneut den Kriegskrediten zu. In der Fraktionssitzung hatten sich 17 Abgeordnete, unter anderen H. Haase, gegen die Bewilligung ausgesprochen. H. Haase begründet im Reichstag die Zustimmung damit, daß die Grenzen Deutschlands noch von feindlichen Truppen bedroht seien.

Anf. 1915

Ein Verständigungsversuch des Internationalen Sozialistischen Büros wird von den Franzosen und Engländern abgewiesen.

12./13. Jan. 1915

Der Parteiausschuß verlangt nachdrücklich, die Diskussion über die Parteipolitik nur innerhalb der Parteiorganisationen zu führen und dabei den parteigenössischen Geist aufrechtzuerhalten. Er hält es für wünschenswert, daß jede Gelegenheit ergriffen wird, um mit der gesamten Internationale, insbesondere den Bruderparteien in den kriegführenden Ländern, eine gemeinsame Aktion zugunsten des Friedens einzuleiten.

Febr. 1915

Als erste Rationierungsmaßnahme wird die Brotkarte eingeführt.

2./4. Febr. 1915

Die Reichstagsfraktion beschließt, daß die Abstimmungen im Plenarsaal geschlossen zu erfolgen haben, soweit nicht für den einzelnen Fall die Abstimmung ausdrücklich freigegeben sei. Glaubt ein Mitglied der Fraktion an der geschlossenen Abstimmung nicht teilnehmen zu können, so stehe ihm das Recht zu, der Abstimmung fernzubleiben, ohne daß dies einen demonstrativen Charakter tragen dürfe. Der von K. Liebknecht begangene »Disziplinbruch« wird auf das schärfste verurteilt.

Am 3. Februar veröffentlicht der »Vorwärts« ein Schreiben von K. Liebknecht an ihn, in dem dieser als Begründung für seine Abstimmung angibt, daß die Bewilligung der Kriegskredite nach seiner Überzeugung nicht nur den Interessen des Proletariats, sondern auch dem Parteiprogramm und den Beschlüssen internationaler Kongresse schroff widerspreche.

Die Fraktion weist am 4. Februar K. Liebknechts Behauptung mit aller Entschiedenheit zurück.

K, Liebknecht wird als Soldat eingezogen. Für die Sitzungen des Reichstages und des preußischen Abgeordnetenhauses wird er freigestellt.

18. Febr. 1915

Rosa Luxemburg wird verhaftet, um ihre einjährige Gefängnisstrafe zu verbüßen.

26. Febr. 1915

K. J. Vahlteich, geboren 30. Dezember 1839 in Leipzig, Schuhmacher, bei Gründung des ADAV 1863 Vereinssekretär, 1867 Vorsitzender des Dresdener Arbeiterbildungsvereins, Mitglied der Gothaer Programmkommission, 1874 - 1877 und 1878 - 1881 MdR, 1881 nach den USA ausgewandert, in Chicago gestorben.

März 1915

In ganz Deutschland finden auf Anregung des Parteivorstandes Frauenversammlungen statt, auf denen über die durch den Krieg notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen gesprochen wird. Mit besonderem Nachdruck wird die Forderung nach staatsbürgerlicher Gleichberechtigung erhoben. Der Staatssekretär des Innern C. v. Delbrück erklärt im Reichstag, die Gewerkschaften haben in erster Linie Aufgaben zu erfüllen, ohne die unser Wirtschaftsleben nicht denkbar sei.

2. März 1915

Der preußische Minister des Innern F. W. v. Loebell erklärt bei den Etatberatungen im preußischen Landtag, daß es die Zeitverhältnisse angebracht erscheinen lassen, über die Wahlrechtsfrage nicht weiter zu sprechen.

7. März 1915

Der Parteiausschuß billigt mit 35 gegen 5 Stimmen die Zustimmung der Reichstagsfraktion zu den bisher geforderten Kriegskrediten. Da die Gründe, die für die bisherigen Kreditbewilligungen ausschlaggebend gewesen seien, noch unvermindert fortbestehen, hält der Parteiausschuß die Bewilligung des Kriegsetats durch die Reichstagsfraktion für notwendig. Durch diese Etatbewilligungen würden Parteibeschlüsse zur Budgetfrage nicht verletzt. Der Parteiausschuß ist der Überzeugung, daß es sich bei der Bewilligung von Mitteln zur Landesverteidigung um einen jener zwingenden Ausnahmefälle handele, die in den Parteitagsbeschlüssen vorgesehen seien.

Einstimmig wird dem folgenden von der Reichstagsfraktion überwiesenen Antrag zugestimmt:

1. Die Fraktion begrüßt die Bemühungen, eine Verbindung mit unseren Genossen in Frankreich, England und Rußland herzustellen, um eine Verständigung über den von uns zu erstrebenden Frieden herbeizuführen. Sie ersucht den Vorstand, diese Bemühungen mit allem Nachdruck fortzusetzen.

2. In Übereinstimmung mit dem Bestreben des Parteivorstandes, eine internationale Verständigung über die Friedensaktion herbeizuführen, hält sie es für nötig, im eigenen Land soviel wie nur irgend möglich Aufklärung über die Notwendigkeit eines Friedens unter den Bedingungen zu verbreiten:

a) keine Eroberungen,

b) keine Vergewaltigung irgendeines Volkes,

c) freier Wettbewerb aller Völker im Ausland,

d) Vereinbarungen über die friedlichen Regelungen der Streitfragen zwischen den Regierungen,

e) planmäßige Einschränkung der Rüstungen.

Ebenso ist es notwendig, möglichst weite Kreise der Bevölkerung davon zu überzeugen: dieser Frieden kann und muß schon jetzt erreicht werden.

3. Die Fraktion ersucht den Fraktionsvorstand, Vorbereitungen zu treffen, um in der nächsten Tagung des Reichstages eine Aussprache über den Abschluß des erstrebten Friedens herbeizuführen.

10. März 1915

H. Haase bezeichnet es im Reichstag als unerträglich, daß noch immer nicht allen Staatsbürgern ohne Unterschied der Klasse, der Partei, der Konfession und der Nationalität volle Gleichberechtigung gewährt werde. Auf dem Gebiet des Vereinsrechts brauche der Reichsrat nur den Beschlüssen des Reichstages zuzustimmen. Zur Deckung der enormen Kriegsausgaben müssen nach Auffassung der Sozialdemokraten die Kriegsgewinne herangezogen werden.

18. März 1915

Die Reichstagsfraktion beschließt mit 77 gegen 23 Stimmen, geschlossen für den Etat zu stimmen.

20. März 1915

Der Reichstag billigt den Etat gegen die Stimmen von K. Liebknecht und 0. Rühle, der angibt, daß er die Parteitagsbeschlüsse zur Budgetbewilligung als bindend ansehe und der Fraktion die Kompetenz bestreite, diese Beschlüsse zeitweise außer Kraft zu setzen. Vor der Abstimmung erklärt Ph. Scheidemann, die Gründe, die maßgebend waren, den Kriegskrediten zuzustimmen, bestünden unvermindert fort. »Wir haben nach den bewundernswerten Taten unserer Truppen und ihrer Führer das feste Vertrauen, daß es gelingen wird, zu einem dauernden Frieden zu kommen. Zur Bekräftigung dieses letzten Willens werden wir diesem Etat zustimmen.«

Mit Rücksicht auf die von 0. Rühle angeführten Parteitagsbeschlüsse verlassen vor der Abstimmung 30 Abgeordnete den Sitzungssaal, darunter E. Bernstein, W. Dittmann, F. Geyer, H. Haase, G. Hoch, G. Ledebour und A. Stadthagen. Das Verhalten von K. Liebknecht und 0. Rühle wird von der Fraktion auf das entschiedenste verurteilt.

26./28. März 1915

In Bern tagt eine Internationale Frauenkonferenz, auf der 25 Delegierte aus sechs Ländern anwesend sind. Die Konferenz wendet sich gegen die Losung vom nationalen Verteidigungskrieg und fordert die sofortige Beendigung des Krieges.

Der deutsche Parteivorstand und die französische Parteileitung hatten es abgelehnt, offizielle Delegierte zu entsenden.

27. März 1915

Der Parteivorstand lehnt die Anerkennung der von der sogenannten württembergischen Landeskommission eingesetzten provisorischen Landesorganisation ab, da sie eine statutenwidrige Sonderorganisation sei. Sie hatte sich nach längeren innerparteilichen Auseinandersetzungen um die politische Haltung der Partei konstituiert und steht unter der Leitung von F. Westmeyer. Parteiorganisationen und -mitglieder, die sich der neuen Landesorganisation anschließen, würden damit aus der Partei ausscheiden.

5./7. April 1915

Internationale Konferenz der sozialistischen Jugend in Bern. Der deutsche Zentralausschuß hatte die Teilnahme abgelehnt. Die Konferenz fordert die Durchführung der internationalen Beschlüsse gegen den Krieg und die Organisation von Aktionen, um dem Krieg ein Ende zu bereiten.

In der Schweiz soll ein internationales Jugendsekretariat gebildet und eine Zeitschrift »Jugend-Internationale« herausgegeben werden. Sie erscheint ab 1. September. Die internationale sozialistische Jugendbewegung ist seitdem gespalten.

7./8. April 1915

Der Parteiausschuß erklärt sich gegen eine Stimme mit der Haltung des Parteivorstandes beim Parteistreit in Württemberg einverstanden.

12. /13. April 1915

Vertreter der Sozialdemokratie Deutschlands, Österreichs und Ungarns erklären bei einer Zusammenkunft in Wien:

»Trotz der langen Dauer des Krieges sind die Völker in allen Ländern unbeugsam entschlossen, mit aller Kraft ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu verteidigen.

Die sozialdemokratischen Parteien, die von jeher und ihrem Wesen nach für die Verbrüderung der Völker wirken, sind die berufenen Verkünder der Friedenssehnsucht. Diese entspringt dem Willen und der Kraft der Selbstbehauptung, nicht etwa dem Gefühl der Schwäche. Daraus aber folgt die Notwendigkeit, daß nur ein Frieden möglich ist, der kein Volk demütigt, daß nur ein solcher Frieden das dauernde Zusammenarbeiten aller Kulturvölker gewährleisten wird.

Die bei der Zusammenkunft vertretenen Parteien stehen auf dem Boden der Beschlüsse der internationalen Sozialistenkongresse, insbesondere des Kopenhagener Kongresses von 1910 und halten in diesem Sinne beim Friedensschluß folgende Sicherungen für notwendig:
Den Ausbau der internationalen Schiedsgerichte zu obligatorischen Einrichtungen.

Die Unterwerfung aller Staatsverträge und Vereinbarungen unter die demokratische Kontrolle der Volksvertretungen.

Die internationale vertragsmäßige Einschränkung aller Rüstungen mit dem Ziele der allgemeinen Abrüstung.

Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes aller Völker. Die Tatsache, daß die sozialdemokratischen Parteien der kriegführenden Länder ihr Land und Volk verteidigen, darf kein Hindernis dafür sein, die internationalen Beziehungen aller sozialistischen Parteien zueinander aufrechtzuerhalten, sowie die Tätigkeit ihrer internationalen Einrichtungen fortzuführen.«

14. April 1915

Das einzige Heft der von Rosa Luxemburg und F. Mehring herausgegebenen Monatsschrift für Praxis und Theorie des Marxismus »Die Internationale« wird von der Militärbehörde verboten. Das weitere Erscheinen wird von einer Vorzensur abhängig gemacht.

5. Mai 1915

»Sozialistische Auslandspolitik«, Korrespondenz, herausgegeben von R. Breitscheid, unter ständiger Mitwirkung von E. Bernstein, H. Block, G. Eckstein, K. Kautsky, H. Ströbel erscheint zum ersten Mal. Ab 22. November 1918 wird der Titel geändert in »Der Sozialist«.

20. Mai 1915

Die großen deutschen Wirtschaftsverbände (Bund der Landwirte, Deutscher Bauernbund, Vorort der christlichen deutschen Bauernvereine, Zentralverband deutscher Industrieller, Bund der Industriellen und Reichsdeutscher Mittelstandsverband) richten eine Denkschrift an den Reichskanzler, in der sie fordern, erst Frieden zu schließen, wenn er dem Deutschen Reich »politisch, militärisch-maritim und wirtschaftlich diejenigen Machterweiterungen bringt, die unsere größere Stärke nach außen gewährleisten«.

9. Juni 1915

In einem offenen Protestschreiben, das K. Liebknecht entworfen hat, warnen Vertreter der Linken den Parteivorstand und die Reichstagsmehrheit vor einer Fortsetzung der Politik des 4. August.

12.Juni 1915

Der Antrag der SPD-Abgeordneten des preußischen Landtages, die Wahlrechtsfrage auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen, wird gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.

19.Juni 1915

Die »Leipziger Volkszeitung« veröffentlicht einen Aufruf von E. Bernstein, H. Haase und K. Kautsky » Das Gebot der Stunde«. Darin wenden sich die Verfasser heftig gegen die von zahlreichen Personen und Verbänden, darunter dem Zentralverband deutscher Industrieller und dem Bund der Landwirte, geforderten Annexionen und gegen die weitere Bewilligung der Kriegskredite durch die Partei. Die Sozialdemokratie müsse sich angesichts dieser Kundgebungen die Frage vorlegen, ob sie es mit ihren Grundsätzen und Pflichten vereinbaren könne, in der Frage der Fortführung des Krieges an der Seite derjenigen zu stehen, deren Absichten in schroffem Widerspruch stünden zu der Erklärung der Reichstagsfraktion vom 4. August 1914. Im Anschluß an diesen Aufruf entwickelt sich eine heftige innerparteiliche Kontroverse. Die Generalkommission verurteilt mit aller Schärfe diesen »organisierten Sprengversuch der Einheit der deutschen Arbeiterorganisationen«. Die »Leipziger Volkszeitung« wird wegen dieses Aufrufs bis einschließlich 1. Juli verboten.

23. Juni 1915

In einer Erklärung des Parteivorstandes »Sozialdemokratie und Frieden« wird die Reichsregierung aufgefordert, ihre Bereitwilligkeit kundzutun, in Friedensverhandlungen einzutreten. Diese Aufforderung war bereits auf einer Vorstandssitzung am 7. Mai beschlossen, doch wegen des Eintritts Italiens in den Krieg nicht veröffentlicht worden. Das kompromißlose Eintreten für einen annexionslosen Frieden, wie er in dieser Erklärung gefordert wird, lehnt die bürgerliche Presse ab. Doch auch in einigen sozialdemokratischen Zeitungen wird die Erklärung kritisiert.

Wegen der Veröffentlichung dieser Erklärung wird der »Vorwärts« bis einschließlich 30. Juni 1915 verboten.

24. Juni 1915

Die Breslauer »Volkswacht« stellt fest, daß seit dem 4. August 1914 H. Cunow, P. Lensch, K. Haenisch, H. Schulz, M. Cohen und M. Grunwald vom linken zum rechten Flügel, E. Bernstein, K. Eisner vom rechten zum linken Flügel übergegangen seien.

30. Juni/1. Juli 1915

Der Parteiausschuß billigt erneut die Haltung des Parteivorstandes und der Fraktionsmehrheit und erkennt besonders die Bemühungen zur Anbahnung einer Verständigung mit den Bruderparteien der kriegführenden Länder an. Er verurteilt die unterirdische Minierarbeit, die darauf hinauslaufe, die Parteiorganisation von innen anzugreifen, um der Parteiarbeit den Willen der Parteiminderheit aufzuzwingen.

Ferner beschließt der Ausschuß gegen zwölf Stimmen, daß die Veröffentlichung des Aufrufes »Das Gebot der Stunde« durch H. Haase, zumal ohne vorherige Fühlungnahme mit der Partei- und Fraktionsleitung, nicht im Einklang mit den Pflichten eines Parteivorsitzenden stehe.

3. Juli 1915

Der Partei- und Fraktionsvorstand weist die Vorwürfe der Unterzeichner des Aufrufs energisch zurück. Die Vorbedingung für die erfolgreiche künftige Führung des Klassenkampfes sei die Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit unseres Landes. Dieser Sicherung zu dienen, sei deshalb Pflicht der deutschen Sozialdemokratie. Jede Drohung, die auf eine Parteispaltung hinziele, sei ein Verbrechen an der gesamten Arbeiterbewegung.

5. Juli 1915

Die Verbandsvorstände der Gewerkschaften heißen die Haltung, die von der übergroßen Mehrheit der Fraktion und des Parteiausschusses sowie vom Parteivorstand eingenommen wird, gut, da diese allein in dieser schweren Zeit den Interessen der Arbeiterschaft und der Gewerkschaften im besonderen diene. Die von den »Sonderbündlern« in der Partei vertretenen Ansichten widersprächen dem Wesen und Wirken der Gewerkschaften.

22. Juli 1915

Die sozialdemokratischen Abgeordneten F. Westmeyer, F. Engelhardt und F. Hoschka treten aus der württembergischen Landtagsfraktion aus und melden eine neue sozialistische Fraktion unter dem Namen »Sozialistische Vereinigung« an.

29. Juli 1915

Die sozialdemokratische Landtagsfraktion stimmt dem württembergischen Landesetat zu, weil die Regierung mit der Vorlage über die Einführung einer Vermögenssteuer in Württemberg eine alte sozialdemokratische Forderung erfüllt und dabei nach dem Grundsatz gehandelt habe, die weniger leistungsfähigen Klassen der Bevölkerung zu schonen.

14./16. Aug. 1915

In einer gemeinsamen Sitzung von Parteivorstand, Parteiausschuß und Reichstagsfraktion werden mit 104 gegen 34 Stimmen Leitsätze zur Frage der Kriegsziele beschlossen. Sie fordern die Sicherung der politischen Unabhängigkeit und Unversehrtheit des Deutschen Reiches, Förderung der wirtschaftlichen Annäherung durch möglichste Beseitigung von Zoll- und Verkehrsschranken, die Sicherstellung der Freiheit der Meere durch internationalen Vertrag. Das Ziel der Entente, Österreich-Ungarn und die Türkei zu schwächen und zu zertrümmern, wird zurückgewiesen; die Pläne »kurzsichtiger Eroberungspolitiker« sollen bekämpft, alle zukünftigen internationalen Konflikte einem zu schaffenden ständigen internationalen Schiedsgerichtshof unterbreitet werden.

20. Aug. 1915

Der Reichstag bewilligt gegen die Stimme von K. Liebknecht die vierten Kriegskredite. E. David als Sprecher der Fraktion fordert erneut eine Kriegsgewinnsteuer. Er verlangt mehr Fürsorge für die kämpfende Truppe und die Bevölkerung daheim und kritisiert die friedensfeindliche Haltung der Gegner Deutschlands.

In der vorausgegangenen Fraktionssitzung hatten 36 Abgeordnete gegen die Bewilligung gestimmt. Von ihnen nehmen 32 an der Reichstagssitzung nicht teil, drei stimmen für die Kredite.

Anf. Sept. 1915

Die erste Nummer der Halbmonatszeitschrift »Die Glocke«, herausgegeben von A. Helphand-Parvus, erscheint. Von Nummer 3 an übernimmt K. Haenisch die Redaktion. Sie gilt als Organ des rechten Flügels der Partei.

5./8. Sept. 1915

Im Schweizer Ort Zimmerwald kommen 38 oppositionelle Sozialisten zusammen. Aus Deutschland unter anderen E. Meyer, Berta Thalheimer, J. Borchardt, G. Ledebour, A. Hoffmann, J. Herzfeld, E. Vogtherr.

Clara Zetkin war verhaftet worden, nachdem die Beschlüsse der Berner Frauenkonferenz in Deutschland illegal verbreitet worden waren. K. Liebknecht ist Soldat.

Nachdem ein von W. I. Lenin vorgelegter Resolutionsentwurf, in dem die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg gefordert wird, mit 19 gegen 12 Stimmen abgelehnt wurde, stimmen alle Delegierte für ein Manifest, in dem es u. a. heißt: »Die herrschenden Gewalten der kapitalistischen Gesellschaft tragen die volle Verantwortung für diesen Krieg. Zahlreiche sozialistische Parteien und Führer haben den Sozialismus verraten, indem sie den Beschlüssen der internationalen Kongresse von Stuttgart, Kopenhagen und Basel nicht nachgekommen sind. Sie übernehmen die Verantwortung vor der Arbeiterklasse für diesen Krieg, für seine Ziele und Methoden. Die Hauptaufgabe ist der Kampf gegen diesen imperialistischen Krieg.« Eine »Internationale Sozialistische Kommission« wird errichtet, deren Sekretär der Schweizer Sozialdemokrat R. Grimm wird.

Nov. 1915

R. Schmidt, G. Bauer und C. Legien überreichen dem Reichskanzler einen Katalog grundsätzlicher gewerkschaftlicher Forderungen. Für den Bereich der Reichs- und Staatsbetriebe verlangen sie Anerkennung des Koalitionsrechts der Arbeiter und Angestellten; Anerkennung des Rechts der Vertreter der Gewerkschaften sowie Mitentscheidung bei der Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen; Anerkennung der Tarifverträge und Festlegung zur Anerkennung durch Unternehmer, die Aufträge vom Reich oder Staate erhalten. Anweisung an die Verwaltungsbehörden, die Gewerkschaften wegen ihrer sozialpolitischen Betätigung nicht als »politische Vereine« (für die vereinsrechtliche Einschränkungen gelten) zu behandeln; Heranziehung von Vertretern der Gewerkschaften zur Vorarbeit für sozialpolitische und wirtschaftliche Gesetze oder Verwaltungsmaßnahmen in gleicher Weise wie die Heranziehung von Vertretern von Unternehmer- oder landwirtschaftlichen Organisationen erfolgt.

5. Nov. 1915

Parteivorstand und Parteiausschuß wenden sich scharf gegen die zunehmende Lebensmittelteuerung. Sie zählen gleichzeitig zahlreiche Maßnahmen auf, die der Sicherung der Ernährung dienen sollen.

30. Nov. 1915

Bei der Verabschiedung eines Gesetzentwurfes über die Änderung des Belagerungszustandes erklärt Ph. Scheidemann, daß die Beschwerden, die die Sozialdemokraten über den Belagerungszustand hätten, durch dieses Gesetz nur zum kleinsten Teil erledigt seien.

9. Dez. 1915

Der Reichstag behandelt die Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, unter welchen Bedingungen der Reichskanzler geneigt sei, in Friedensverhandlungen einzutreten. Ph. Scheidemann erklärt: »Wir wünschen, daß der erste entscheidende Schritt zur Beendigung des furchtbaren Krieges von Deutschland ausgeht.« Demgegenüber bezeichnet Th. v. Bethmann Hollweg jedes Friedensangebot von deutscher Seite als eine Torheit, die den Krieg nicht abkürze, sondern nur verlängere, da die Gegner Deutschlands in einem solchen Angebot nur ein Zeichen der Schwäche sehen würden. In der Fraktion war ein Antrag G. Ledebours, den Reichskanzler auf bestimmte Friedensbedingungen festlegen zu wollen, abgelehnt worden.

18. Dez. 1915

Zahlreiche Parteizeitungen drucken einen Artikel des Parteivorstandes ab, die Partei habe in dem halben Jahrhundert ihres Bestehens noch niemals in einer so ernsten inneren Krise gestanden. Der Artikel endet: »Die Einheit und Geschlossenheit der Partei über alles!«

20. Dez. 1915

Die Fraktion beschäftigt sich mit der angekündigten Sonderaktion einer Reihe von Abgeordneten bei der Abstimmung über den Kriegskredit. Gegen 27 Stimmen beschließt sie, daß das selbständige Auftreten der Minderheit unzulässig sei, weil es gegen die dringend notwendige Einheit der Partei verstoße. H. Haase erklärt, daß er sich dem Vorgehen der Minderheit anschließen werde und infolgedessen sein Amt als Fraktionsvorsitzender niederlege.

21. Dez. 1915

Bei der Beratung des fünften Kriegskredites in Höhe von 10 Milliarden Mark bejaht die SPD die Notwendigkeit weiterer Verteidigung, gleichzeitig erhebt sie Einspruch gegen alle Annexionswünsche und spricht den dringenden Wunsch aus, daß die deutsche Regierung jede Möglichkeit zu Friedensverhandlungen bereitwillig wahrnehme. 19 von 45 Abgeordneten, die sich in der Fraktionssitzung gegen die Zustimmung ausgesprochen hatten, stimmen im Plenum gegen die Kredite. Ihre Ablehnung wird durch F. Geyer begründet. Die Fraktion sieht in der Sonderaktion einen Disziplinbruch bedauerlichster Art.

1. Jan. 1916

Oppositionelle Sozialdemokraten um Rosa Luxemburg und K. Liebknecht beschließen, sich den Namen »Gruppe Internationale« zu geben und ein Mitteilungsblatt »Politische Briefe« herauszugeben, das mit dem Namen »Spartacus« unterzeichnet wird. Die beschlossenen Leitsätze werden als eine Anwendung des Erfurter Programms auf die gegenwärtigen Probleme des internationalen Sozialismus bezeichnet. Die Augustkatastrophe sei ein notwendiges Ergebnis des Zustandes, in dem sich die internationale proletarische Klassenbewegung bei Kriegsausbruch befunden habe.
Die Präambel lautet: »Nicht Einheit, sondern Klarheit über alles«. Militarismus und Kriege seien nicht zu beseitigen oder einzudämmen, solange die kapitalistischen Klassen unbestritten ihre Klassenherrschaft ausüben. Der Kampf des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus sei ein Kampf um die politische Macht im Staate, die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Die II. Internationale habe sich als unfähig erwiesen, einen wirksamen Damm gegen den nationalen Chauvinismus zu errichten. Deshalb erfordere die Lebensnotwendigkeit für den Sozialismus, eine neue Arbeiterinternationale zu schaffen, welche die Leitung und Zusammenfassung des revolutionären Klassenkampfes gegen den Imperialismus in allen Ländern übernehme. Über diese Leitsätze kommt es mit anderen Oppositionellen wie G. Ledebour und A. Hoffmann zu Auseinandersetzungen.

In einer Dienstordnung der preußisch-hessischen Staatsbahnen wird das Verbot der Mitgliedschaft in sozialdemokratischen Vereinen und das Lesen sozialdemokratischer Zeitungen aufgehoben. Das Koalitionsverbot für Eisenbahner wird erst einige Monate später beseitigt.

7./9. Jan. 1916

Der Parteiausschuß berät die Vorgänge in der Reichstagsfraktion. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten wird mit 29 gegen 11 Stimmen gutgeheißen, da die Gegner noch keinerlei Geneigtheit zum Frieden zeigten; mit gleicher Stimmenverteilung wird das Vorgehen der 20 Abgeordneten auf das schärfste verurteilt. H. Haase als Vorsitzender verdiene durch sein Verhalten die schärfste Mißbilligung. Der »Vorwärts« erfülle seine Pflicht als Zentralorgan nicht, da die Redaktion die auf Parteizerrüttung gerichteten Bestrebungen fördere. Damit verwirke er jedes Recht, als Zentralorgan der Partei zu gelten. Auch die letzten Beschlüsse werden gegen elf Stimmen angenommen.

11. Jan. 1916

Die Reichstagsfraktion wählt F. Ebert als Nachfolger H. Haases neben Ph. Scheidemann und H. Molkenbuhr zum Fraktionsvorsitzenden.

11./18. Jan. 1916

Der Reichstag diskutiert ausführlich die Ernährungsfragen. Die Abgeordneten der SPD wenden sich gegen die anhaltende Lebensmittelteuerung und sprechen sich für eine zweckmäßige Organisation der Verteilung der Nahrungsmittel aus. Bei der Beratung der Heeresangelegenheiten fordert die SPD-Fraktion die Erhöhung der Mannschaftsbesoldung, eine Erhöhung des Urlaubs und eine bessere Behandlung der Mannschaften. Doch die Mehrheit des Reichstages lehnt die sozialdemokratischen Resolutionen zu diesen Fragen sowie die Forderungen, den Belagerungszustand, die Pressezensur und das Verbot der Erörterung der Kriegsziele aufzuheben, ab.

13. Jan. 1916

In der Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages wird eine Reform des preußischen Wahlrechts nach dem Kriege angekündigt.

K. Liebknecht tritt aus der Reichstagsfraktion aus, nachdem diese am 12. Januar mit 60 gegen 25 Stimmen beschlossen hatte, daß er wegen fortgesetzter Handlungen gegen die Beschlüsse der Fraktion, die Rechte, die aus der Fraktionszugehörigkeit entspringen, verwirkt habe. 0. Rühle erklärt sich mit K. Liebknecht solidarisch und tritt ebenfalls aus.

14./15. Jan. 1916

Mit 25 gegen 6 Stimmen erklärt die preußische Landeskommission, der von der Mehrheit der preußischen Landtagsfraktion beschlossenen Erklärung zum Kriege nicht zustimmen zu können. Sie spricht die bestimmte Erwartung aus, daß durch die Landtagsfraktion nichts geschehe, was geeignet sei, die Politik der Reichstagsfraktion zu durchkreuzen. Auch nach einigen Änderungen der Fraktionserklärung stimmt die Kommission dieser nicht zu. Darauf erklären die Abgeordneten P. Hirsch, A. Hofer, A. Hoffmann, P. Hoffmann, K. Liebknecht und H. Ströbel im »Vorwärts«, die Landeskommission habe nicht das Recht, ihnen die Politik vorzuschreiben. Als Richtschnur für ihre Tätigkeit könnten sie nur das Parteiprogramm und die Beschlüsse der nationalen und internationalen Parteitage anerkennen.

Mitte Jan. 1916

Die »Gruppe Internationale« erklärt: »Die deutsche Sozialdemokratie, deren Zusammenbruch nur die Feststellung ihrer längst bestehenden Schwäche war, muß eine völlige innere Umwandlung erfahren, wenn sie befähigt werden soll, die proletarische Masse in ihrer geschichtlichen Mission zu leiten.«

Febr. 1916

Rosa Luxemburgs »Die Krise der deutschen Sozialdemokratie« erscheint unter dem Pseudonym »Junius«. Sie hatte sie im April 1915 im Gefängnis geschrieben.

18. Febr. 1916

Rosa Luxemburg wird aus dem Gefängnis entlassen.

19. März 1916

Reichskonferenz der Spartakusgruppe in Berlin. 17 Teilnehmer. K. Liebknecht verlangt die vielseitigste Agitation und Propaganda unter den Arbeitern, Frauen und Jugendlichen, um diese auf große Massenaktionen vorzubereiten und das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse zu heben.

24. März 1916

Die Mehrheit der Fraktion stimmt einem neuen Kriegskredit zu.

Für die Fraktionsminderheit erklärt H. Haase, da die Regierung auf ihrem alten Wege beharre und von einer Neuorientierung nicht die Rede sei, könne sie diesem Etat nicht zustimmen. Als H. Haase von der entstandenen Verzweiflung der Völker durch die entfesselte Kriegsfurie spricht, wird ihm auch mit Zustimmung eines Teils der sozialdemokratischen Fraktion das Wort entzogen. Die Fraktion beschließt mit 58 gegen 33 Stimmen, daß H. Haase und diejenigen Mitglieder, welche die gemeinsam gefaßten Beschlüsse gröblich mißachteten und öffentlich durchkreuzten, die aus der Fraktionszugehörigkeit entspringenden Rechte verwirkt hätten. Darauf erklären 18 Abgeordnete, daß dieser Beschluß es ihnen unmöglich mache, innerhalb der Fraktion auch ferner die Pflichten zu erfüllen, die »uns durch die Wahl als Abgeordnete der sozialdemokratischen Partei auferlegt sind«. Sie schließen sich zur »Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft« zusammen. Zu ihr gehören E. Bernstein, W. Bock, W. Dittmann, F. Geyer, H. Haase, A. Henke, F. Kunert, G. Ledebour, A. Stadthagen, E. Wurm und F. Zubeil. In den Vorstand werden W. Dittmann, H. Haase und G. Ledebour gewählt.

25. März 1916

H. Haase legt in einer Sitzung des Parteivorstandes sein Amt als Vorsitzender nieder, da ein fruchtbares kollegiales Zusammenarbeiten im Parteivorstand bis zum nächsten Parteitag nicht mehr möglich sei.

29. März 1916

Auf einer Sitzung des Parteiausschusses wird die Gründung einer zweiten sozialdemokratischen Reichstagsfraktion als unvereinbar mit den Grundsätzen des Organisationsstatuts bezeichnet. Wer für solche Sonderorganisationen wirke oder in ihnen Mitglied werde, stelle sich außerhalb der Gesamtpartei.

Parteivorstand und Parteiausschuß rufen die Mitglieder auf, die Einheit der Partei zu wahren.

30. März 1916

Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft richtet an die Parteigenossen die dringende Aufforderung, sich im Rahmen des Organisationsstatuts weiter zu betätigen und die durch die Zugehörigkeit zur Partei gegebenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft betrachteten sich weiter als Vertreter der Partei.

April 1916

Zwischen dem Parteivorstand und dem »Vorwärts« kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen, weil sich die Redaktion schon seit längerem auf die Seite der Fraktionsminderheit gestellt hat.

5. April 1916

F. Ebert erklärt im Reichstag, solange die feindlichen Mächte auf ihren Zerschmetterungsplänen beharrten und keinen Frieden schließen wollten, so lange werde die SPD mit unserem Volk zur Verteidigung unseres Landes zusammenstehen. »Uns Sozialdemokraten ist es nicht leicht geworden, mit der Verteidigung unseres Landes auch das herrschende System zu schützen. Wir waren unzufrieden mit den wirtschaftlichen und politischen Zuständen im Reich. An unserer Stellungnahme ist durch den Krieg nichts geändert worden.«

Ph. Scheidemann verlangt am 6. April eine Reform des Vereinsrechtes und der Landtage, vor allem der von Preußen und Mecklenburg, sowie das Koalitionsrecht auch für die Landarbeiter.

23./24. April 1916

In Jena tagen unter der Leitung von K. Liebknecht etwa 30 oppositionelle sozialdemokratische Jugendliche. Die Teilnehmer bekennen sich zum Antimilitarismus im Sinne der internationalen Jugendkonferenzen von Stuttgart 1907 und Bern 1915. Der Anschluß an das Büro der internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen wird bestätigt und eine provisorische Zentrale eingerichtet, den Befürwortern der Politik des 4. August jedes Recht abgesprochen, im Namen der Jugend aufzutreten und die schärfste Fehde angesagt. Die »Arbeiter-Jugend« soll boykottiert werden.

24./30. April 1916

In Kienthal in der Schweiz kommen zur 2. Zimmerwalder Konferenz 43 Teilnehmer aus neun Ländern zusammen. Aus Deutschland nehmen als Vertreter der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft unter anderen A. Hoffmann und H. Fleißner, von der Spartakusgruppe Berta Thalheimer und E. Meyer und von der Gruppe der Bremer Linksradikalen P. Frölich teil. Die Mehrheit der Teilnehmer ist nicht bereit, mit den Mitgliedern der eigenen Partei und der Internationale zu brechen, die den Kriegskrediten zustimmen. Annexionen und Kriegsentschädigungen werden verworfen und zum Kampf für den Frieden durch Sozialismus aufgefordert. Die Sozialisten müßten unter allen Umständen gegen Kriegskredite stimmen und alle Steuern, was auch deren Charakter sein möge, ablehnen.

1. Mai 1916

K. Liebknecht demonstriert auf dem Potsdamer Platz in Berlin gegen den Krieg und wird darauf verhaftet.

Die Spartakusgruppe hatte zu einer 1.-Mai-Demonstration aufgerufen unter dem Motto: »Brot! Freiheit! Frieden!«, an der mehrere tausend Menschen teilnehmen.

An oppositionellen Gruppen bestehen die »Gruppe Internationale« oder »Spartakusgruppe«, die »Internationalen Sozialisten Deutschlands« um die Zeitschrift »Lichtstrahlen« von J. Borchardt und die oppositionelle Gruppe mit P. Frölich und J. Knief um die Wochenschrift »Arbeiterpolitik«, deren 1. Ausgabe am 24. Juni 1916 erscheint.

Mai 1916

Der Zentral-Bildungsausschuß nimmt an einer Konferenz aller Volksbildungsorganisationen Deutschlands in Weimar teil, auf der die Möglichkeit eines Zusammenarbeitens der Bildungsorganisationen der verschiedensten Weltanschauungen und Formen erörtert wird. Der Zentral-Bildungsausschuß beteiligt sich an dem neugegründeten Ausschuß der deutschen Volksbildungsvereinigungen unter dem Vorbehalt, daß sich die Zusammenarbeit auf die Technik der Bildungsarbeit beschränkt, ohne Behinderung der besonderen durch die Weltanschauung der einzelnen Gruppen und Organisationen bestimmten Aufgaben.

30. Mai 1916

Der Reichstag lehnt gegen die sozialdemokratischen Stimmen die Aufhebung des Belagerungszustandes ab.

5. Juni 1916

Die sozialdemokratische Fraktion stimmt einer Novelle zum Reichsvereinsgesetz zu, wonach die Gewerkschaften nicht als politische Vereine anzusehen sind. 16- und 17jährigen Jugendlichen wird die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften zugestanden, sofern sich diese von der Behandlung allgemeiner politischer Fragen fernhalten.

In der gleichen Sitzung stimmt die Fraktion der Kriegsgewinnsteuer zu, während die Erhöhung verschiedener indirekter Steuern, wie die Erhöhung der Post- und Telegrafengebühren, der Tabaksteuer von ihr abgelehnt wird. Die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft verweigert der Vorlage im ganzen die Zustimmung.

7. Juni 1916

Die beiden sozialdemokratischen Fraktionen lehnen den Etat ab. Die SPD-Fraktion stimmt indessen für den Nachtrag zum Reichshaushalt, in dem 12 Milliarden Mark Kriegskredite gefordert werden.

28. Juni 1916

Das Kommandanturgericht Berlin verurteilt K. Liebknecht wegen versuchten Kriegsverrats, erschwerten Ungehorsams und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu zwei Jahren, sechs Monaten und drei Tagen Zuchthaus und Entfernung aus dem Heere.

10. Juli 1916

Rosa Luxemburg wird in »Schutzhaft« genommen, die bis zum 8. November 1918 dauert.

20./21. Juli 1916

Der Parteiausschuß wendet sich energisch gegen die mangelhafte Organisation der Volksernährung. Die Rücksichtnahme auf die großen landwirtschaftlichen Besitzer beherrschte die Organisation der Volksernährung in einem Maße, das die Erhaltung der Arbeitskraft des konsumierenden Volkes und die Ernährung des Volksnachwuchses aufs gefahrvollste bedrohe.

Gegen die Forderung der Eroberungspolitiker, die den Widerstand der gegen Deutschland Krieg führenden Nationen noch mehr herausforderten und die Gefahr einer Kriegführung bis zur völligen Erschöpfung steigerten, wird schärfstens protestiert. Die Sozialdemokratie halte an der prinzipiellen Verwerfung aller Annexionen sowie jeder politischen und wirtschaftlichen Vergewaltigung eines Volkes von irgendeiner Seite fest, denn diese würden nur weitere Kriege in der Zukunft zur Folge haben.

Der Ausschuß hält die baldige Einberufung eines Parteitages für dringend erforderlich. Da indessen die Gewähr für eine ungehinderte Vorbereitung und für eine uneingeschränkte Aussprache auf einem Parteitag zur Zeit nicht gegeben sei, empfiehlt er dem Parteivorstand die Einberufung einer Konferenz der Parteiorganisationen, um der fortschreitenden Zerrüttung der Partei vorzubeugen.

Einige Tage später wendet sich die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft gegen die geplante Einberufung einer Parteikonferenz, da auch auf ihr die freie Aussprache wegen des bestehenden Belagerungszustandes nicht gewährleistet sei. Sollte dennoch eine Konferenz einberufen werden, solle die Opposition möglichst zahlreich auf der Konferenz vertreten sein.

Aug.1916

Der Parteivorstand fordert zu einer Unterschriftensammlung für eine Petition auf, die sich gegen die Propaganda der Annexionisten wendet. Die Petition wird, versehen mit 899149 Unterschriften, am 16. Dezember dem Reichskanzler zugestellt.

8. Aug. 1916

Lily Braun, geb. v. Kretschmann, geboren 2. Juli 1865 in Halberstadt, sozialistische Schriftstellerin, in Berlin gestorben. Sie schrieb unter anderem »Memoiren einer Sozialistin«, »Im Schatten der Titanen« und »Die Frauenfrage«.

15. Aug./ 24. Dez. 1916

F. Mehring wird in »Schutzhaft« genommen.

23. Aug. 1916

Das Oberkriegsgericht Berlin verurteilt K. Liebknecht in der Berufungsverhandlung zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus, zur Entfernung aus dem Heer und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von sechs Jahren.

18. Sept. 1916

A. v. Elm, geboren 24. September 1857 in Hamburg, Zigarrenarbeiter und Geschäftsführer des Verbandes, 1. Direktor der »Volksfürsorge«, einer der Pioniere der Genossenschaftsbewegung, 1894-1907 MdR, in Hamburg gestorben.

19. Sept. 1916

Der Parteivorstand und die Generalkommission wenden sich im »Vorwärts« gegen Flugblätter, in denen die Opposition die Vorstandspolitik fortgesetzt herabwürdige. Das müsse die Arbeiterorganisation zerrütten.

20. Sept. 1916

Die erste Nummer der »Spartacus«-Briefe erscheint.

21./23. Sept. 1916

In Berlin tritt die sozialdemokratische Reichskonferenz zusammen, an der außer dem Parteivorstand, dem Parteiausschuß, der Kontrollkommission und den Reichstagsmitgliedern beider Fraktionen 307 Delegierte teilnehmen. Die Tagesordnung: Die Politik der Partei (Ph. Scheidemann); die Tätigkeit des Parteivorstandes; Ph. Scheidemann rechtfertigt die Politik der Partei seit dem 4. August 1914. F. Ebert erstattet den Vorstandsbericht. Der Mitglieder- und Abonnentenrückgang sei größer als die Zahl der Einberufungen. H. Haase betont, daß die Opposition die Einheit der Partei wolle, aber nicht eine Partei, die Imperialismus, Kolonial- und Schutzzollpolitik betreibe und daß der Klassenkampf nicht abgeschwächt wird. Sie wolle die Partei auf dem festen Boden des sozialdemokratischen Programms. Im Namen der »Gruppe Internationale« erklärt Käte Duncker, daß die Spaltung durch die »Kriegspolitik der Parteileitung« erzeugt worden sei. Diesem Parteivorstand gegenüber wäre Disziplin ein Verbrechen. In einer Resolution, von E. David ausgearbeitet, werden noch einmal die Grundsätze der Fraktionsmehrheit und des Parteivorstandes zusammengefaßt. Das Manifest »Zur Friedensfrage« wird mit 251 gegen 5 Stimmen bei 15 Enthaltungen angenommen. Die Oppositionsgruppen lehnen die Beteiligung an den Abstimmungen ab, nachdem in namentlicher Abstimmung mit 276 gegen 169 Stimmen ein Antrag von H. Haase und G. Ledebour abgelehnt worden war, daß die Reichskonferenz zu sachlicher Beschlußfassung nicht berechtigt sei. Ein Antrag von E. Auer , die Kreditbewilligung gutzuheißen und die Abspaltung der Arbeitsgemeinschaft zu mißbilligen, wird mit 219 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen angenommen. Die anwesenden Reichstagsabgeordneten nehmen an der Abstimmung nicht teil.

Die Konferenz spricht sich ferner unter Protest gegen die Handhabung des Belagerungszustandes und der Zensur aus. Unter Ablehnung der Liebknechtschen Bestrebungen stellt sie fest, daß seine Handlungen keineswegs aus unehrenhaften Gründen begangen wurden. Die Konferenz bedauert die Verurteilung K. Liebknechts und die gegen ihn ausgesprochene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Weiterhin nimmt die Konferenz unter anderem Anträge gegen gehässige Kampfesweise, auf Herabsetzung der Höchstpreise und gemeinnützige Verteilung der Lebensmittel, auf Erhöhung der Kriegsunterstützung, auf fortschreitende Demokratisierung der Verfassung und Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung an.

F. Ebert mahnt in seiner Schlußrede zur Einigkeit. Die Differenzen seien nicht so groß, um die Einigkeit unmöglich zu machen.

Okt. 1916

Zwischen dem Parteivorstand und der Berliner Organisation kommt es zu Auseinandersetzungen um den »Vorwärts«. Ein Verbot der Zeitung durch die Militärbehörde soll nur aufgehoben werden, wenn ein Wechsel in der Redaktion - die mit der Opposition sympathisiert - eingetreten sei. Der Parteivorstand schlägt darauf der Pressekommission vor, daß ein Mitglied des Parteivorstandes in die Redaktion eintrete und die Vollmacht erhält, über den Inhalt des Blattes zu entscheiden. Das wird abgelehnt. Der Parteivorstand delegiert dennoch ein Mitglied des Vorstandes - H. Müller - in die Redaktion. Das Verbot wird daraufhin aufgehoben. Der Berliner Zentralvorstand, die Pressekommission und die Redaktion des »Vorwärts« rufen zur Abonnementsgeldverweigerung des »Vorwärts« auf. Die an dieser Aktion beteiligten Redakteure werden entlassen und der »Vorwärts« künftig im Sinne der Parteimehrheit redigiert.

Die Opposition bezeichnet das Vorgehen des Parteivorstandes als »Vorwärts-Raub«.

26. Okt. 1916

Der Reichstag beschäftigt sich mit einer stärkeren Heranziehung der Volksvertretung bei der Behandlung auswärtiger Fragen. Der Haushaltsausschuß soll auch in der tagungsfreien Zeit einberufen werden können.

27. Okt. 1916

Bei der Bewilligung von neuen Kriegskrediten sagt F. Ebert, daß die vornehmste Aufgabe sei, die Widerstandskraft unseres Volkes, das Gewaltiges leiste, zu stärken. Deshalb fordere die SPD bessere Regelung der Nahrungsmittelversorgung. Nötig seien die Herabsetzung der Lebensmittelpreise, besserer Arbeitsschutz, die Verbesserung der Familienfürsorge. Die Regierung dürfe nichts versäumen, um zu einem baldigen Frieden zu gelangen, der die Lebensinteressen der anderen Völker achte und das Unheil weiterer Kriege verhüte. Die Kredite werden gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft angenommen.

4. Nov. 1916

0. Landsberg erklärt im Reichstag, daß die Sozialdemokratie nach wie vor überzeugt sei, daß der Belagerungszustand, die Grundlage für die Anwendung der Schutzhaft, ungesetzlich sei.

9. Nov. 1916

F. Stampfer wird leitender Redakteur des »Vorwärts«.

11. Nov. 1916

H. Hanse, A. Hoffmann und G. Ledebour richten an das Oberkommando in den Marken ein Gesuch, eine Zeitung zu gründen. Das Gesuch wird am 16. November abgelehnt.

2.Dez.1916

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst an. Danach ist jeder männliche Deutsche vom 17. bis zum 60. Lebensjahr zum Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet. Alle nicht in kriegswichtigen Betrieben beschäftigten Personen können für kriegswichtige Arbeiten zwangsweise verpflichtet werden.

In allen Betrieben mit mehr als 50 Arbeitern wird die Einsetzung eines Arbeiterausschusses obligatorisch. Die Mitglieder werden in geheimer, direkter Wahl nach dem Verhältniswahlsystem von den volljährigen Betriebsangehörigen gewählt. In Betrieben mit weniger als 50 Arbeitern oder landwirtschaftlichen Betrieben können die Arbeiter ihre Forderungen einer Schlichtungsstelle unterbreiten, die aus je drei Arbeitgebern und -nehmern und einem vom Kriegsamt berufenen Vorsitzenden besteht. Damit ist den landwirtschaftlichen Arbeitern eine rechtlich geordnete Interessenvertretung eingeräumt. Die Einschränkung der Freizügigkeit der Arbeiter wird insofern korrigiert, als beim Nachweis besserer anderweitiger Arbeitsbedingungen die Arbeitsstelle gewechselt werden kann. Die sozialdemokratische Fraktion hatte sich mit 49 gegen 21 Stimmen für die Annahme des Gesetzentwurfes entschieden.

12. Dez. 1916

Th. v. Bethmann Hollweg teilt dem Reichstag mit, daß der Kaiser zu Friedensverhandlungen bereit sei. In einer gemeinsamen Antwortnote der Ententemächte wird der Vorschlag Wilhelms II. am 30. Dezember abgelehnt. Der »Vorwärts« schreibt dazu »... das deutsche Volk wird sich nicht darüber täuschen lassen, daß hinter der Ablehnung des Friedensvorschlages die Hoffnung steht, Deutschland dennoch schließlich niederwerfen zu können. Diese Absicht auch ferner zu vereiteln, liegt im Interesse des ganzen Volkes.«

Die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft fordert die Bekanntgabe der deutschen Friedensbedingungen und protestiert dagegen, daß das Friedensangebot ohne Mitwirkung der Volksvertretung abgegeben wurde.

12. Dez. 1916

In Berlin erklärt sich eine Vertreterversammlung sämtlicher Gewerkschaften Deutschlands, der Angestellten- und kaufmännischen Organisationen zur Mitarbeit an dem neuen Kriegshilfsdienstgesetz bereit. Auf dieser Tagung spricht auch der Staatssekretär des Innern. Damit werden die Gewerkschaften zum ersten Mal von der Regierung als Vertreter der Arbeitnehmer anerkannt.

Winter 1916/17

Erster Hungerwinter (Steckrübenwinter) nach einer schlechten Ernte und durch die Blockade. In mehreren Städten Deutschlands kommt es deshalb zwischen Januar und April erneut zu Unruhen, Demonstrationen und Streiks. Bereits vorher war vereinzelt gestreikt worden, so z. B. anläßlich der Verurteilung von K. Liebknecht.


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