TITLE/CONTENTS

Teildokument:
Franz Osterroth / Dieter Schuster
Chronik der deutschen Sozialdemokratie - Band 1

Zeitraum: 1917/1918

hier finden Sie Einträge zu folgenden Daten:

7. Jan. 1917
16. Jan. 1917
18. Jan. 1917
19. Jan. 1917
20. Jan. 1917
1. Febr. 1917
14. Febr. 1917
16./22. Febr. 1917
23. Febr. 1917
10. März 1917
14. März 1917
20. März 1917
22. März 1917
29. März 1917
April 1917
1. April 1917
6. April 1917
6./8. April 1917
7. April 1917
16./23. April 1917
18./19. April 1917
25. April 1917
26. April 1917
28. April 1917
29. April 1917
Mai 1917
11. Mai 1917
Mitte Mai 1917
Juni/Juli 1917
8. Juni 1917
12. Juni 1917
26. Juni 1917
27./30. Juni 1917

7./8. Juli 1917
8./9. Juli 1917
11. Juli 1917
13. Juli 1917
19. Juli 1917
2. Aug. 1917
25. Aug. 1917
Ende Aug. 1917
2. Sept. 1917
5. Sept. 1917
5./12. Sept. 1917
Herbst 1917
28. Sept. 1917
1. Okt. 1917
14./20. Okt. 1917
1. Nov. 1917
3. Nov. 1917
7. Nov. 1917
12. Nov. 1917
Mitte Nov. 1917
22./24. Nov. 1917
29. Nov. 1917
1. Dez. 1917
3. Dez. 1917
5. Dez. 1917
12. Dez. 1917
Ende 1917
6. Jan. 1918
8. Jan. 1918
22. Jan. 1918
24. Jan. 1918
28 Jan. 1918

30. Jan. 1918
30. Jan. 1918
31. Jan. 1918
1. Febr. 1918
2. Febr. 1918
4. Febr. 1918
19. Febr. 1918
26. Febr. 1918
27. Febr. 1918
3. März 1918
22. März 1918
2. Mai 1918
17. Mai 1918
23. Mai 1918
31. Mai 1918
Juni/Sept. 1918
8. Juni 1918
9. Juni 1918
9./10. Juni 1918
11. Juni 1918
14. Juni 1918
26. Juni 1918
3. Juli 1918
31. Juli 1918
14. Aug. 1918
9. Sept. 1918
11. Sept. 1918
21. Sept. 1918
23. Sept. 1918
28. Sept. 1918
28./29. Sept. 1918
30. Sept. 1918

Anf. Okt. 1918
2. Okt. 1918
2. Okt. 1918
3. Okt. 1918
3. Okt. 1918
4. Okt. 1918
5. Okt. 1918
7. Okt. 1918
9. Okt. 1918
12. Okt. 1918
13. Okt. 1918
15. Okt. 1918
17. Okt. 1918
22. Okt. 1918
23. Okt. 1918
26. Okt. 1918
26./27. Okt. 1918
27. Okt. 1918
29./30. Okt. 1918
29. Okt. 1918
Anf. Nov. 1918
3. Nov. 1918
4. Nov. 1918
5. Nov. 1918
6. Nov. 1918
6. Nov. 1918
7. Nov. 1918
7. Nov. 1918
8. Nov. 1918
8. Nov. 1918
8. Nov. 1918
9. Nov. 1918



1917/1918

7. Jan. 1917

Auf Einladung des Vorstandes der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft treffen sich in Berlin Vertreter der beiden oppositionellen Parteigruppen, um über die Taktik ihrer Abgeordneten im Reichstag, über Maßnahmen zum Schutz des Parteistatuts und der Organisationen sowie die Sicherung der Eigentumsrechte der Parteigenossen an ihren Zeitungen zu diskutieren. An der Konferenz nehmen 157 Parteimitglieder, darunter 19 Reichstagsabgeordnete und 34 Vertreter der »Gruppe Internationale« teil.

Mit 111 Stimmen werden die Politik des Parteivorstandes und sein Vorgehen gegen die Parteiopposition verurteilt. Die Orts- und Kreisorganisationen, deren Mehrheit die Auffassung der Opposition teilt, werden aufgefordert, in enge Fühlungnahme zueinander zu treten. Dort, wo die Oppositionellen nicht die Mehrheit in der Organisation hätten, sollen sie im Rahmen des Parteistatuts unermüdlich für die Ausbreitung ihrer Anschauungen wirken und sich zusammenschließen. Doch solle das innerhalb der Organisation der Sozialdemokratie geschehen.

Einer Resolution der »Gruppe Internationale«, in der zum Beitragsboykott aufgefordert und erklärt wird, die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen Sozialdemokratie dürfe nur solange aufrechterhalten bleiben, als dies ihre selbständige außerparlamentarische Aktion nicht beeinträchtige, stimmen nur deren Anhänger zu.

16. Jan. 1917

Die Generalkommission und die Vorstände von fünf Gewerkschaften versichern dem Reichskanzler, daß sie nach der Ablehnung des deutschen Friedensangebots vom 12. Dezember 1916 noch fester hinter der Regierung stehen und alle Kräfte »in dem Kampf um die Existenz des Landes« einsetzen werden.

18. Jan. 1917

Der Parteiausschuß beschließt die organisatorische Trennung der sozialdemokratischen Mehrheit von der Minderheit mit 29 gegen 10 Stimmen, nachdem der Parteivorstand die Zusammenkunft am 7. Januar als Bruch des Organisationsstatuts verurteilt hatte.

19. Jan. 1917

Der Abgeordnete A. Hoffmann teilt dem Büro des preußischen Abgeordnetenhauses die Bildung einer neuen Fraktion unter dem Namen »Sozialdemokratische Fraktion (Alte Richtung)« mit, der A. Hoffmann, P. Hoffmann, H. Ströbel und A. Hofer angehören.

20. Jan. 1917

Der Parteivorstand fordert die Anhänger der Opposition auf, aus der Partei auszutreten. R. Wengels und Luise Zietz distanzieren sich von diesem Aufruf, worauf der Parteivorstand die weitere Zusammenarbeit mit ihnen ablehnt.

1. Febr. 1917

Deutschland eröffnet den uneingeschränkten U-Boot-Krieg.

14. Febr. 1917

Im preußischen Abgeordnetenhaus wird die Reform des Wahlrechts während des Krieges abgelehnt. Der konservative Sprecher erklärt, die Konservativen würden an einer Reform nach dem Kriege mitarbeiten, vorausgesetzt, daß der Grundsatz »Wahlrecht nach Leistung« Berücksichtigung finde.

16./22. Febr. 1917

Streiks in Bergwerken und Metallbetrieben des Ruhrgebietes.

23. Febr. 1917

Die Fraktion der Mehrheitssozialdemokraten stimmt der 8. Vorlage für Kriegskredite zu. Die Kriegsausgaben belaufen sich gegenwärtig auf rund drei Milliarden Mark pro Monat. F. Ebert erklärt, »solange die Eroberungsziele der Feinde bestehen und Deutschland niedergeschmettert werden soll« bekunde die deutsche Sozialdemokratie erneut ihre feste Entschlossenheit auszuhalten bis zur Erreichung eines die Lebensinteressen des deutschen Volkes sichernden Friedens.

10. März 1917

In Rußland bricht die Revolution aus. Das zaristische Regime wird beseitigt, der Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zunächst fortgesetzt.

14. März 1917

Die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft veröffentlicht ihr Programm in Form einer Resolution, die die Fraktion beim Etat des Reichskanzlers einbringt. Darin werden die Erweiterung der Rechte des Reichstages, der baldige Abschluß eines Friedens, das Verhältnisswahlsystem, das Stimmrecht vom 20. Lebensjahr an auch für Frauen, die Einführung des Reichstagswahlrechts in allen Bundesstaaten und die Aufhebung aller noch gegen einzelne Parteien, Schichten oder Klassen der Bevölkerung bestehenden Ausnahmegesetze gefordert.

20. März 1917

Anstelle von K. Liebknecht wird F. Mehring in den preußischen Landtag gewählt.

22. März 1917

Die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft sendet an die sich ihr anschließenden Organisationen »Organisationsgrundlinien für die Opposition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands«. Sie sollen auf einer neuen Reichskonferenz beraten werden.

29. März 1917

Die sozialdemokratische und die nationalliberale Fraktion beantragen die Einsetzung eines Ausschusses zur Vorbereitung von Reformen zur politischen Neuordnung im Deutschen Reich (Verfassungsausschuß). Der Reichstag stimmt zu.

April 1917

Der »Internationale Jugendbund« (IJB) wird gegründet. Er will gegen den Krieg und die um sich greifende Völkerverhetzung kämpfen. Er erstrebt die Zusammenfassung aller rechtliebenden Menschen in einer Partei der Vernunft der Jugend aller Länder. Durch planmäßige politische Erziehungsarbeit will der Bund seinem Ziel näherkommen. Wissenschaftliche Grundlage dieser Erziehungsarbeit bilden die philosophischen Arbeiten von L. Nelson.

1. April 1917

Die Brotrationen werden auf 170 gr. pro Tag und die Kartoffelrationen auf 2500 gr. pro Woche gekürzt. Für Erwachsene gibt es daneben pro Woche 80 gr. Butter, 250 gr. Fleisch, 180 gr. Zucker und ein halbes Ei.

6. April 1917

Die Vereinigten Staaten erklären Deutschland den Krieg.

6./8. April 1917

In Gotha findet eine Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition statt, auf der die »Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)« gegründet wird. Die Konferenz tagt auf Anordnung der Militärbehörde unter Ausschluß der Öffentlichkeit, der Bericht über die Verhandlungen muß später dem stellvertretenden Generalkommando in Kassel zur Zensur vorgelegt werden. Es sind 143 Teilnehmer anwesend: 124 Delegierte von Wahlkreisen, 15 Reichstagsabgeordnete und vier sonstige Teilnehmer, darunter K. Kautsky. H. Haase referiert über die Situation der Partei. Die gemeinsame Organisation solle die Partei wieder zur grundsätzlichen Politik zurückführen. Die alte Partei sei moralisch völlig zusammengebrochen. W. Dittmann spricht über die Organisation der Partei, F. Rück verlangt für die »Gruppe Internationale« die größtmögliche Bewegungsfreiheit.

Die Delegierten sind sich nicht einig über die Notwendigkeit parlamentarischer Tätigkeit und die Möglichkeit von Massenaktionen. Mit einer Gegenstimme wird ein von K. Kautsky verfaßtes Manifest verabschiedet, das die Arbeiter auffordert, sich auf Kämpfe gegen Teuerung und Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit vorzubereiten. Es verlangt eine Amnestie für politische Gefangene, die Aufhebung der Zensur, unbeschränktes Vereins-, Versammlungs- und Koalitionsrecht, Aufhebung der Ausnahmegesetze gegen Landarbeiter, Staatsarbeiter und Gesinde, Arbeitsschutz und Achtstundentag, sowie das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht. Die Revolution in Rußland wird begrüßt.

Grundlinien der neuen Partei sind: Die USPD stehe in grundsätzlicher Opposition zum herrschenden Regierungssystem, zur Kriegspolitik der Reichsregierung und zu der vom SPD-Parteivorstand im Regierungsfahrwasser geführten Politik. Programm und Organisation der Partei seien nach den im Kriege neu gewonnenen Erkenntnissen auszugestalten. Bis dahin ist das Statut der SPD die Grundlage für die Organisation der Opposition.

Die Zentralleitung besteht aus einem Aktionskomitee und einem Beirat. Das Aktionskomitee ist unter Mitgliedern aus Berlin und Umgebung, der Beirat aus den übrigen Bezirken zu wählen. Das Aktionskomitee besteht aus zwei Vorsitzenden, dem Kassierer, den Schriftführern und den Beisitzern, darunter einem weiblichen Mitglied. Der Zentralleitung oder ihren Mitgliedern ist es nicht gestattet, in irgendeiner Form Eigentumsrechte an den geschäftlichen Unternehmungen der Partei, insbesondere Parteizeitungen oder -druckereien, zu erwerben. Vor wichtigen politischen Maßnahmen habe die Zentralleitung die Vertreter der Bezirke zur Beratung zusammenzurufen.

Dem Aktionskomitee gehören an: W. Dittmann, H. Haase, A. Hofer, G. Laukant, G. Ledebour, R. Wengels und Luise Zietz; dem Beirat R. Dißmann, W. Dittmann, H. Fleißner, W. Grütz, A. Henke, S. Oerter und F. Schnellbacher. Die Kontrolle über die Parteileitung übt der Kontrollausschuß aus.

Um das Schwergewicht der politischen Aktionen in die Massen zu verlegen, sei bei allen wichtigen Entscheidungen, welche die Haltung der Partei für längere Zeit festlegen, eine Urabstimmung abzuhalten, vorausgesetzt, daß die technischen Möglichkeiten hierzu vorhanden seien.

Nach dieser Konferenz bilden sich Gruppen der »Freien Sozialistischen Jugend«.

Der USPD schließen sich erhebliche Teile der Mitglieder in den Bezirken Groß-Berlin, Leipzig, Frankfurt a. M., Ostpreußen, Niederrhein, Braunschweig, Halle, Erfurt und Groß-Thüringen an. »Die Leipziger Volkszeitung« gilt als Hauptorgan der USPD.

7. April 1917

In einer Osterbotschaft Wilhelms II. an Th. v. Bethmann Hollweg wird dieser beauftragt, dem Kaiser einen Gesetzentwurf über die Reform des preußischen Wahlrechts nach dem Kriege vorzulegen, in dem die direkte und geheime Wahl enthalten ist. Nach dem Kriege sei für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr.

16./23. April 1917

In Berlin treten 319 Betriebe mit 300 000 Arbeitern in den Streik gegen die mangelhafte Lebensmittelversorgung und aus Protest gegen die Verhaftung des Leiters der Dreherbranche im Metallarbeiterverband, R. Müller. Der Streik wird von den revolutionären Obleuten, oppositionellen Gewerkschaftsfunktionären, deren Kern die Metallarbeiter bilden, gegen den Willen der Gewerkschaften organisiert. Bereits am zweiten Tag beschließt die Vertreterkonferenz der Gewerkschaften, die Arbeit wieder aufzunehmen, nachdem die Regierungs- und Militärbehörden zusätzliche Lebensmittelrationen versprochen und die Zusage gegeben haben, daß niemand wegen der Teilnahme am Streik zum Militärdienst eingezogen werde. Ein Teil der Betriebe streikt weiter und wird daraufhin unter militärische Leitung gestellt.

Ende März hatten bereits in Kiel 26 000 Arbeiter einen zweitägigen Proteststreik durchgeführt.

Mitte April kommt es auch in Leipzig zu einem Streik, an dem mehr als 30000 Arbeiter beteiligt sind, die zahlreiche politische Forderungen, darunter die Bildung eines Arbeiterrates, erheben. Der Streik wird von den Gewerkschaften nicht unterstützt.

18./19. April 1917

In Berlin tagen in einer gemeinsamen Sitzung der Parteiausschuß, der Parteivorstand, die Vorstände der Reichstagsfraktion und der preußischen Landtagsfraktion sowie die preußische Landeskommission. Als Gäste sind Vertreter der österreichischen und ungarischen Sozialdemokratie anwesend, unter ihnen V. Adler und K, Renner. Der unverbrüchliche Entschluß der deutschen Arbeiterklasse, das Deutsche Reich als ein freies Staatswesen aus diesem Kriege hervorgehen zu lassen, wird bekräftigt. Von den Teilnehmern werden die Beseitigung aller Ungleichheiten der Staatsbürgerrechte, jeder Art bürokratischen Regimentes und seine Ersetzung durch den entscheidenden Einfluß der Volksvertretung verlangt. Die von den feindlichen Regierungen verbreitete Zumutung, die Fortführung des Krieges sei nötig, um Deutschland zu freiheitlichen Staatseinrichtungen zu zwingen, wird entschieden zurückgewiesen, mit leidenschaftlicher Anteilnahme der Sieg der russischen Revolution begrüßt. Die Tagung sei mit dem Beschluß des russischen Arbeiter- und Soldatenrates einverstanden, einen gemeinsamen Frieden vorzubereiten ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen auf der Grundlage einer freien nationalen Entwicklung aller Völker. Wichtigste Pflicht der SPD, wie der Sozialisten aller Länder, sei es, die Regierungen zum klaren Verzicht auf jegliche Eroberungspolitik zu drängen und so rasch wie möglich entscheidende Friedensverhandlungen auf dieser Grundlage herbeizuführen.

25. April 1917

Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg verfügt in einem Erlaß, daß künftig jeder Streik in kriegswichtigen Betrieben, jede Aufforderung und jeder Versuch dazu und die Absicht, Streikbrecher von der Arbeit abzuhalten, als Vorschubleistung für eine feindliche Macht oder als Schädigung der Kriegsmacht des Deutschen Reiches angesehen werden.

26. April 1917

Nachdem Generalfeldmarschall P. v. Hindenburg jede noch so unbedeutend erscheinende Arbeitseinstellung als eine unverantwortliche Schwächung der Verteidigungskraft verurteilt hatte, antworten die Vorstände der Gewerkschaftsbünde, daß Arbeitseinstellungen in der gegenwärtigen Stunde zu vermeiden sind. Erhaltung und Sicherheit des Reiches stehen an erster Stelle. Nach allen Kundgebungen der Gegner Deutschlands unterliegt es keinem Zweifel, daß nicht eine Verminderung, sondern nur eine Erhöhung der Widerstandskraft Deutschlands einen baldigen Frieden bringen kann. Sie weisen aber darauf hin, daß die mangelhafte Ernährungslage, unzureichende Entlohnung, unnötige Härten bei der Durchführung des Hilfsdienstgesetzes und die alten Methoden der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitern zu einer Mißstimmung in der arbeitenden Bevölkerung geführt haben.

28. April 1917

Die Generalkommission und der Parteivorstand sprechen sich gegen jede Arbeitsruhe am 1. Mai aus, nachdem die »Gruppe Internationale« zu einem Kampftag für Frieden, Freiheit und Brot aufgerufen hatte.

29. April 1917

In der dänischen Zeitung »Sozialdemokraten« wird eine Einladung des Sekretärs des Internationalen Sozialistischen Büros C. Huysmans an alle Sektionen veröffentlicht, am 15. Mai 1917 in Stockholm zur Erörterung der internationalen Lage zusammenzukommen. Die Einladung ergeht auch an die Minderheitsparteien in den kriegführenden Staaten. Doch die Konferenz kommt hauptsächlich wegen des Widerstandes der Regierungen und Vorbehalten der sozialistischen Parteien der Entente-Mächte nicht zustande.

Mai 1917

In mehreren deutschen Staaten erklären sich die Regierungen zur Änderung der Verfassung und der Landtagswahlrechte bereit, so in Bremen, Lübeck, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Mecklenburg-Schwerin und Sachsen.

11. Mai 1917

Die Fraktion der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft teilt dem Reichstagsbüro mit, daß sie sich fortan als »Fraktion der Unabhängigen Sozialdemokraten« bezeichne.

Mitte Mai 1917

Der Parteivorstand kündigt Clara Zetkin als Redakteurin von »Die Gleichheit«. Marie Juchacz und H. Schulz übernehmen die Redaktion.

Juni/Juli 1917

Auf mehreren Schiffen der deutschen Flotte führen Matrosen Hungerstreiks durch. Die Matrosen bilden Menagekommissionen, die ihre Beschwerden gegenüber den Vorgesetzten vertreten sollen.

8. Juni 1917

Eine internationale gewerkschaftliche Konferenz in Stockholm, auf der neun Länder vertreten sind, erachtet die Sicherung der Arbeiterrechte, des Arbeiterschutzes und der Arbeitersicherung als eine der wichtigsten Bestimmungen eines Friedensvertrages.

12. Juni 1917

Die nach Stockholm zu einer Besprechung entsandte Delegation der SPD legt ihre Auffassungen in einer umfangreichen Denkschrift »Die deutsche Sozialdemokratie und der Frieden« nieder.

26. Juni 1917

Der Parteiausschuß beauftragt die Reichstagsfraktion, bei der nächsten Reichstagssitzung von der Reichsleitung mit allem Nachdruck zu verlangen, daß sie zur Kriegszielfrage klar Stellung nehme und sich zur Demokratisierung im Innern, namentlich zur Einführung des gleichen Wahlrechts in Preußen, erkläre.

27./30. Juni 1917

Die Generalversammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes lehnt nach harten Auseinandersetzungen mit 73 gegen 44 Stimmen die Anträge ab, das Verhalten der Gewerkschaftsvertreter im Reichstag zu mißbilligen, gegen die Festlegung der Gewerkschaften auf die Politik des 4. August zu protestieren und eine Beitragssperre gegen die Generalkommission durchzuführen.

7./8. Juli 1917

Eine Reichsfrauenkonferenz der Mehrheitssozialdemokratie, an der 50 Delegierte aus 38 Kreisen teilnehmen, beschäftigt sich mit der Lage der Frauen in der Kriegswirtschaft und fordert erneut das Frauenstimmrecht.

8./9. Juli 1917

Reichskonferenz der sozialistischen Jugend in Halle (Saale). Die Konferenz beschließt »Leitsätze für die sozialistische Jugendbewegung« .

11. Juli 1917

Wilhelm II. fordert, daß der Gesetzentwurf zur Änderung des preußischen Wahlrechts das gleiche Wahlrecht enthalten müsse.

13. Juli 1917

Th. v. Bethmann Hollweg wird gestürzt. Sein Nachfolger wird G. Michaelis.

19. Juli 1917

Bei der Beratung neuer Kriegskredite bringen die Fraktionen des Zentrums, der Fortschrittlichen Volkspartei und der Sozialdemokraten eine Resolution ein. - M. Erzberger hatte am 6. Juli im Hauptausschuß eine Friedenskundgebung des Reichstages vorgeschlagen, die sich ausdrücklich auf das Wort aus der Thronrede vom 4. August 1914 bezieht: »Uns treibt nicht Eroberungssucht«. In der Kundgebung sollte bekundet werden, daß der Reichstag einen Frieden der Verständigung und dauernden Aussöhnung der Völker anstrebe. Mit einem solchen Frieden seien alle erzwungenen Gebietsabtretungen, politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar. Nachdem Reichskanzler G. Michaelis diese berühmte Friedensresolution akzeptiert hat mit der entwertenden Bemerkung, »wie ich sie auffasse«, wird sie gegen die Stimmen der Konservativen und der Nationalliberalen und bei Stimmenthaltung der Unabhängigen Sozialdemokraten, die eine eigene Resolution eingebracht hatten, angenommen.

Vertreter der Fraktionen, die für die Friedensresolution stimmten, arbeiten künftig im »Interfraktionellen Ausschuß« zusammen. Die sozialdemokratische Fraktion stimmt den Kriegskrediten »im Sinne der Resolution« zu.

2. Aug. 1917

Ca. 400 Matrosen verlassen trotz Verbotes das Panzerschiff »Prinzregent Luitpold« in Kiel und halten in der Stadt eine Protestversammlung gegen den Krieg ab. Hauptsprecher ist der Matrose A. Köbis. Die Matrosen nehmen Verbindung mit Vertretern der beiden sozialdemokratischen Parteien auf.

25. Aug. 1917

Im Prozeß gegen die aufrührerischen Matrosen werden fünf zum Tode, vier zu je 10-15 Jahren Zuchthaus und fünfzig Matrosen zu insgesamt 400 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Ende Aug. 1917

Ein freier Ausschuß aus Vertretern der Parteien und des Reichstages wird gebildet, zunächst um die Antwort auf die päpstliche Friedensnote zu beraten. Seine Zuständigkeitsgrenzen sollen später näher festgelegt werden. Die sozialdemokratische Fraktion wählt F. Ebert und Ph. Scheidemann zu Ausschußmitgliedern. E. David und H. Molkenbuhr zu ihren Stellvertretern.

2. Sept. 1917

Die Deutsche Vaterlands-Partei wird gegründet,1. Vorsitzender wird Admiral A. v. Tirpitz, 2. Vorsitzender Landwirtschaftsdirektor W. Kapp. Die Partei erstrebt den sogenannten »Siegfrieden«, mit umfassenden Annexionen. Sie führt eine überaus heftige Propaganda gegen alle Vertreter des Verständigungsfriedens.

5. Sept. 1917

Die Matrosen A. Köbis und M. Reichpietsch werden hingerichtet. Die mit ihnen zum Tode verurteilten Matrosen H. Beckers, W. Sachse und W. Weber werden begnadigt.

5./12. Sept. 1917

In Stockholm wird die sog. 3. »Zimmerwalder Konferenz« eröffnet, an der aus Deutschland H. Haase, G. Ledebour, A. Stadthagen und Käte Duncker teilnehmen. In einem Manifest wird zu internationalen proletarischen Massenaktionen aufgefordert, um das Weltgemetzel zu beenden und damit gleichzeitig den sozialistischen Frieden zu sichern.

Herbst 1917

Die »Arbeitsgemeinschaft für das einheitliche Angestelltenrecht« bildet ein festeres Kartell und nennt sich nun »Arbeitsgemeinschaft für Angestelltenverbände« (AfA). Im Mittelpunkt des Aktionsprogramms steht die gemeinsame Vertretung der ihr angeschlossenen Verbände auf der Grundlage eines »reinen und einheitlichen Arbeitnehmer-Standpunktes«.

28. Sept. 1917

Der Parteivorstand kündigt K. Kautsky als leitendem Redakteur von »Die Neue Zeit«, da durch seinen Anschluß an die USPD seine Stellung unhaltbar geworden sei. Sein Nachfolger wird H. Cunow.

1. Okt. 1917

Eine internationale Gewerkschaftskonferenz in Bern, auf der zehn Nationen vertreten sind, nimmt gewerkschaftliche Forderungen zum Friedensvertrag an, die Gemeingut der internationalen Gesetzgebung werden sollen: zum Koalitionsrecht, zum Freizügigkeitsrecht, zur Arbeitsvermittlung, zum Arbeiterschutz, zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsaufsicht, zur Arbeitszeit, zur Hygiene und Unfallversicherung, zur Heimindustrie, zum Kinderschutz, zum Seemannsrecht und -schutz.

14./20. Okt. 1917

Parteitag der SPD in Würzburg. 283 Delegierte. Tagesordnung: Bericht des Parteivorstandes (F. Ebert, 0. Braun); Bericht der Reichstagsfraktion (E. David); die nächsten Aufgaben der Partei (Ph. Scheidemann); F. Ebert teilt mit, daß nach den Feststellungen der letzten Wochen von 38 Bezirksorganisationen mit 357 Wahlkreisen sechs Bezirke und 38 Wahlkreise sich der USPD angeschlossen haben. Dem Parteitag werden Ausarbeitungen vorgelegt über Demokratisierung von 0. Landsberg, über die nächsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik von H. Cunow, über die künftige Finanzpolitik des Deutschen Reiches von W. Keil und über die sozialpolitischen Aufgaben von R. Wissell.

Der Parteitag billigt mit 265 gegen 14 Stimmen die Politik der Reichstagsfraktion seit dem 4. August 1914 und stellt sich auf den Boden der »Friedensresolution« des Reichstages vom 19. Juli 1917. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zeit sei es, den Parteistreit beizulegen.

Die parlamentarischen Vertreter der Partei werden verpflichtet, einheitlich und geschlossen in den Parlamenten aufzutreten. Alle Bestrebungen auf Herstellung der Parteieinheit müßten die Forderung auf Anerkennung des Mehrheitsprinzips in sich schließen.

Der Parteitag verlangt die sofortige Verwirklichung der Sehnsucht des deutschen Volkes nach Demokratie. Die unverzügliche Durchführung des gleichen Wahlrechts in Preußen und die entscheidende Mitwirkung des Reichstages bei allen großen Fragen der Zeit seien Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes. Bei der Lösung der Aufgaben in Staat und Gemeinde müssen die Frauen ein Mitbestimmungsrecht erhalten.

Der Parteivorstand wird aufgefordert, für die Wiederherstellung Belgiens als neutralen Staat einzutreten.

Die Reichsregierung soll eine Amnestie aller wegen politischer Vergehen inhaftierter und verurteilter Personen erlassen.

Zur Linderung des Kriegselends müßten die im Krieg erworbenen Reichtümer herangezogen werden.

Die Partei soll sich mit der Lage der Staats- und Gemeindebeamten beschäftigen.

Zu Vorsitzenden der Partei werden bei 326 gültigen Stimmen F. Ebert (311), Ph. Scheidemann (312), zum Kassierer 0. Braun (308), als Schriftführer F. Bartels (313), H. Molkenbuhr (316), H. Müller (315), W. Pfannkuch (315), Marie Juchacz (310), als Beisitzer E. Ernst (313) und 0. Wels (308) gewählt. Mitglieder der Kontrollkommission werden bei 317 gültigen Stimmen F. Brühne (288), A. Brey (251), G. Gradnauer (272), J. Timm (270), M. Grunwald (279), H. Müller / Lichtenberg (249), F. Fischer (263), P. Löbe (285) und C. Hengsbach (131).

E. David, H. Heimann, K. Korn, P. Löbe, H. Müller und H. Schulz sollen die Arbeiten des Zentralbildungsausschusses während der Dauer des Krieges fortführen. Mit der Generalkommission soll eine Verständigung über die Mitarbeit der Gewerkschaften im Ausschuß herbeigeführt werden. Scheidet ein Mitglied des Vorstandes oder der Kontrollkommission vorzeitig aus, so hat der Parteiausschuß nach Anhörung des Vorstandes und der Kontrollkommission eine Ersatzwahl vorzunehmen.

1. Nov. 1917

Reichskanzler G. Michaelis tritt zurück. Nachfolger wird Graf G. v. Hertling. Die Mehrheitsparteien machen ihre Zustimmung zu seiner Ernennung von der Erfüllung einer Reihe von Forderungen abhängig, unter anderem: der Einbringung der preußischen Wahlrechtsfrage und der Vorlage eines Arbeitskammergesetzes.

3. Nov. 1917

Die Parteileitung der USPD verwirft den Aufruf des Würzburger Parteitages zur Einigung als Lippenbekenntnis. Die USPD kennzeichnet die »Partei Würzburger Richtung« als nationalsozial, in der die Generalkommission der Gewerkschaften herrsche, die seit Jahren und namentlich seit Kriegsausbruch den Vorstand jener Partei in diese Richtung gedrängt habe.

7. Nov. 1917

Russische Oktoberrevolution. Die provisorische Regierung wird gestürzt. In St. Petersburg übernehmen die Bolschewisten unter W. I. Lenin die Macht.

12. Nov. 1917

Die Parteileitung der USPD ruft zu Massenversammlungen auf, bei denen ein allgemeiner Waffenstillstand und ein auf allen Seiten annexionsloser Frieden gefordert werden sollen. In Rußland habe das Proletariat die politische Gewalt ergriffen - ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Noch niemals sei dem Proletariat eine so große Aufgabe zugewiesen wie in diesem Augenblick.

Mitte Nov. 1917

F. Ebert und F. Stampfer begrüßen die Oktoberrevolution. Sie hoffen dadurch auf eine Beendigung des Krieges im Osten.

22./24. Nov. 1917

Die Vertreter der Vorstände der in der Generalkommission vereinigten Gewerkschaften beschließen ein »Sozialpolitisches Arbeitsprogramm«, in dem sie u. a. fordern: die Errichtung eines Reichsarbeitsministeriums; paritätisch besetzte Arbeitskammern; die gesetzliche Anerkennung der Tarifverträge; die Einführung des Achtstundentags; die Einrichtung öffentlicher Arbeitsnachweise; gesetzliche Regelung eines Reichswohnungsgesetzes; die Sozialisierung des Kohlenbergbaues und -großhandels, des Kalibergbaus und der Aufbereitung der Kalisalze, der Gewinnung und Fernübertragung elektrischer Kraft und des Getreidehandels; langfristige Handelsverträge; ein System der Meistbegünstigung; allmähliche Herabsetzung der Zölle; den Abbau der indirekten Steuern auf Artikel des Massenverbrauchs; ein internationales Schiedsgericht für Wirtschaftsstreitigkeiten; reichsgesetzliche Regelungen des Gesundheitswesens; Verstaatlichung des Ärztewesens und der Apotheken; Vereinheitlichung der gesamten Arbeiter- und Angestelltenversicherung auf der Basis der Dreiteilung der Beiträge zwischen Versicherten, Unternehmern und Reich, und auf paritätischer Verwaltung und Rechtsprechung sowie eine vom Reich getragene Arbeitslosenversicherung.

29. Nov. 1917

Reichskanzler G. v. Hertling gibt im Reichstag das russische Waffenstillstands- und Friedensangebot bekannt. Die deutsche Regierung ist zu Verhandlungen bereit.

1. Dez. 1917

Gegen die Stimmen der Unabhängigen Sozialdemokraten nimmt der Reichstag die neue Kriegskreditvorlage an. F. Ebert erklärt vor der Abstimmung, daß die »ehrlich gebotene Hand Rußlands nicht zurückgestoßen werden dürfe«.

3. Dez. 1917

Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Deutschland, seinen Verbündeten und Rußland in Brest-Litowsk. Am 5. Dezember wird eine 10tägige Waffenruhe, am 15. Dezember ein 28tägiger Waffenstillstand abgeschlossen.

5. Dez. 1917

Im preußischen Abgeordnetenhaus sagt der konservative Sprecher bei der ersten Lesung der Wahlrechtsfrage, die Konservativen machten die Entwicklung zur parlamentarischen Regierungsform nicht mit.

12. Dez. 1917

Parteivorstand und geschäftsführender Ausschuß der Landesorganisation der Sozialdemokratie Preußens fordern erneut die völlige Beseitigung des Herrenhauses, allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht für alle über 20 Jahre alten Staatsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts, Neueinteilung der Wahlkreise, Einführung der Verhältniswahl und Erweiterung der Rechte der Volksvertretung statt ihrer Beschneidung.

Ende 1917

Die USPD verfügt über Zeitungen in Gera, Greiz, Halle, Hof, Leipzig, Nordhausen, Pirna, Remscheid und Solingen.

6. Jan. 1918

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion erklärt, daß angesichts der Vorgänge in Brest-Litowsk bei den Friedensverhandlungen und des Ansturms der Annexionisten gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein freundnachbarliches Verhältnis und ein dauernder Frieden nur möglich sei bei ehrlicher Durchführung des demokratischen Grundrechts der Selbstbestimmung der Völker.

8. Jan. 1918

USA-Präsident W. Wilson verkündet seine 14 Punkte. Als Richtlinien für den Weltfrieden schlägt W. Wilson darin u. a. vor: Öffentlichkeit aller internationalen Vereinbarungen; Freiheit der Meere; Freiheit des Welthandels; Rüstungsbeschränkung; internationale Regelung der Kolonialfragen; Räumung von Rußland, Frankreich, Belgien, Rumänien, Serbien und Montenegro; Abtretung Elsaß-Lothringens; Bildung eines unabhängigen polnischen Staates und Gründung eines Völkerbundes.

22. Jan. 1918

Im Hauptausschuß des Reichstages protestieren die sozialdemokratischen Vertreter gegen das Verbot des »Vorwärts«, das verhängt worden war, weil er über einen Streik in Wien berichtet hatte.

24. Jan. 1918

In Österreich breitet sich eine Streikbewegung aus.

Ph. Scheidemann berichtet im Hauptausschuß darüber, daß F. Ebert und er als Landesverräter bezeichnet würden und täglich Droh- und Schmähbriefe erhielten, weil sie für einen Verständigungsfrieden einträten. Die Urheberschaft dafür läge bei der Vaterlandspartei.

28 Jan. 1918

Die Haltung der deutschen Vertreter bei den Verhandlungen von Brest-Litowsk löst eine große Unruhe bei der Arbeiterschaft aus. In den Rüstungsbetrieben Berlins und Umgebung bricht ein Streik aus, an dem sich bereits am ersten Tag 100 000 Arbeiter beteiligen. Die Zahl steigt weiter an und erreicht nach Aussage des Innenministers 180 000, nach der der Streikleitung 300 000. Der Streik hat von Beginn an politischen Charakter. Ein Arbeiterrat aus 250 Vertrauensleuten wählt zur Leitung der Streikbewegung einen Aktionsausschuß, dem im Laufe des Tages W. Dittmann, H. Haase, G. Ledebour, 0. Braun, F. Ebert und Ph. Scheidemann beitreten. Doch vor dem Beitritt der letzten beiden werden von der Streikleitung folgende Forderungen erhoben: Rasche Herbeiführung des Friedens ohne Annexionen; Zuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen; ausgiebigere Lebensmittelversorgung; Aufhebung des Belagerungszustandes sowie aller Ausnahmebestimmungen, der Zensur und der Militarisierung der Betriebe; Freilassung aller wegen politischer Vergehen Inhaftierter und Verurteilter und durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen, zunächst aber die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Männer und Frauen vom 20. Lebensjahr ab für den preußischen Landtag.

Auch in anderen Städten kommt es unter dem Eindruck der Berliner Vorgänge zu Streiks, so in Hamburg, Kiel, Bremen, Danzig und Leipzig. In München fordern Streikende nach einer Rede von K. Eisner die sofortige Beendigung des Krieges. K. Eisner wird verhaftet und wegen Landesverrats angeklagt.

30. Jan. 1918

Alle Versammlungen werden in Berlin verboten, das Gewerkschaftshaus polizeilich geschlossen, der Arbeiterrat aufgelöst, die Bildung einer neuen Streikleitung untersagt und der »Vorwärts« verboten. Die Generalkommission verhält sich neutral, da nach ihrer Ansicht die Streikbewegung eine rein politische Angelegenheit sei. Es werden infolgedessen keine Streikgelder gezahlt.

30. Jan. 1918

Der Parteiausschuß der Sozialdemokratie stellt fest, daß sich der Streik nicht gegen die Landesverteidigung richte, sondern aus einer tiefen Mißstimmung durch die Ernährungsschwierigkeiten und den Druck des Belagerungszustandes entstanden sei. Da alle Warnungen und Ratschläge der Partei ungehört verhallt seien, wäre dieser Ausbruch der Volksstimmung unvermeidlich geworden. Der Eintritt der Abgeordneten beider sozialdemokratischer Fraktionen in die Streikleitung biete die volle Gewähr, die Bewegung in geordnetem Rahmen zu halten und sie rasch, ohne Schädigung der Allgemeinheit, zu Ende zu bringen. Die Verantwortung für die Entwicklung der Dinge treffe jene Stellen, die sich vor Ausbruch des Streiks und während seiner Dauer beharrlich geweigert hätten, die Stimme der Vernunft zu hören und deren Politik offensichtlich auf die Erzwingung eines Macht- und Gewaltfriedens gegen die eigene Bevölkerung hinsteuere. Die Reichsregierung solle sich eindeutig für die ausgiebigere Lebensmittelversorgung, für die rasche Aufhebung des Belagerungszustandes und alle das Vereinsrecht und die Presse einschränkenden Maßnahmen, für die Aufhebung der Militarisierung der Betriebe, die schnellste Durchführung der Wahlrechtsreform in Preußen und für einen allgemeinen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker einsetzen.

31. Jan. 1918

Nach ernsten Zusammenstößen in Moabit, Charlottenburg und Spandau werden der verschärfte Belagerungszustand über Berlin verhängt und außerordentliche Kriegsgerichte eingesetzt. W. Dittmann wird, als er in einer verbotenen Versammlung spricht, verhaftet.

1. Febr. 1918

Der Oberbefehlshaber in den Marken gibt bekannt, daß 7 Betriebe unter militärische Leitung gestellt werden. Den Arbeitern wird befohlen, die Arbeit bis zum 4. Februar wieder aufzunehmen; Zuwiderhandelnde würden nach den Strafgesetzen des Belagerungszustandes bestraft, die Wehrpflichtigen unter ihnen außerdem eingezogen.

2. Febr. 1918

Der Reichskanzler empfängt unter anderen F. Ebert, H. Haase, G. Ledebour und Ph. Scheidemann zu einer Besprechung über den Streik, nachdem die Regierung es abgelehnt hatte, mit Vertretern der streikenden Arbeiter direkt zu verhandeln. Er verweigert in der Unterredung die Zustimmung zu einer geschlossenen Versammlung der Streikenden.

4. Febr. 1918

Die Streikenden nehmen fast vollzählig wieder die Arbeit auf. Im Laufe des Februar werden die im Zusammenhang mit dem Streik erlassenen Verbote wieder aufgehoben.

W. Dittmann wird durch das außerordentliche Kriegsgericht wegen versuchten Landesverrats in Tateinheit mit Vergehen gegen das Gesetz über den Belagerungszustand zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.

19. Febr. 1918

Nach einer neuen deutschen Offensive erklärt sich die Sowjetregierung zur unverzüglichen Unterzeichnung der Friedensbedingungen bereit. Die praktisch von der Obersten Heeresleitung (OHL) diktierten Bedingungen sehen vor: die Sowjetunion verzichtet auf ihre Hoheit in Polen, Litauen, Kurland. Das künftige Schicksal dieser Gebiete sollte von Deutschland und Österreich-Ungarn im Benehmen mit der Bevölkerung bestimmt werden. Die Ukraine und Finnland werden selbständig. Die Mittelmächte räumen das besetzte Gebiet erst nach einem allgemeinen Friedensschluß.

26. Febr. 1918

Ph. Scheidemann erklärt im Reichstag, daß die Politik, die gegenüber Rußland getrieben werde, nicht die der Sozialdemokratie sei. »Schaffen wir keine Zustände, die nach Ablauf der revolutionären Bewegung eine Revanchestimmung gegen uns erzeugen. Wird der Friede kein wahrer Friede, dann haben wir die Revolution . . .
Es ist eine schamlose Lüge, daß dem Berliner Streik landesverräterische Absichten zugrunde gelegen hätten. Den Arbeitern war nicht, wie der Vaterlandspartei, Versammlungsfreiheit gegeben. Sie wurden auf die Straße getrieben und dort mit der Waffe behandelt.«

27. Febr. 1918

H. Haase erklärt, Rußland sei ein Gewaltfrieden aufgezwungen worden, wie er schlimmer nicht gedacht werden könne. Der politische Streik werde für alle Zeiten eine hervorragende Stelle in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung einnehmen.

3. März 1918

Unterzeichnung des Brest-Litowsker Friedensvertrages zwischen den Mittelmächten und der Sowjetregierung.

22. März 1918

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der Unabhängigen Sozialdemokraten die neue Kriegskreditvorlage an. F. Ebert erklärt, daß sich Deutschland gegenüber dem Westen immer noch in der Verteidigung befinde.

In der gleichen Sitzung wird der Friedensvertrag mit Rußland gegen die Stimmen der Unabhängigen Sozialdemokraten und bei Stimmenthaltung der Mehrheitssozialdemokraten angenommen. Die Stimmenthaltung begründet Ph. Scheidemann damit, daß die Sozialdemokratie mit der Art des Zustandekommens des Vertrages, bei dem der Reichstag ausgeschlossen war und mit wesentlichen Teilen seines Inhalts nicht einverstanden sei. Da aber mit diesem Vertrag der Kriegszustand im Osten tatsächlich beendet werde, wolle die Partei den Vertrag nicht ablehnen.

2. Mai 1918

Im preußischen Abgeordnetenhaus wird mit 235 gegen 183 Stimmen bei vier Stimmenthaltungen das gleiche Wahlrecht abgelehnt, obwohl die Regierung mehrmals betont hatte, daß die Reformvorlage nun annehmbar sei, wenn in ihr das gleiche Wahlrecht enthalten sei.

17. Mai 1918

Der Parteivorstand ruft zu Massenversammlungen auf, in denen die Auflösung des preußischen Landtages gefordert werden soll.

23. Mai 1918

Der »Vorwärts« veröffentlicht den Entwurf eines »Aktionsprogrammes der Sozialdemokratie«, dessen Ausarbeitung auf dem Würzburger Parteitag beschlossen worden war. In dem Entwurf heißt es, die SPD müsse »in zielbewußter Mitarbeit die Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse unseres Volkes in eine zum Sozialismus führende Bahn« lenken. Zu den Forderungen gehören u. a.: Parlamentarisierung; gleiches, geheimes Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts für alle parlamentarischen Gremien; Umwandlung des stehenden Heeres in ein Volksheer; Beseitigung des Bildungsmonopols der herrschenden Klassen; Abtragung eines beträchtlichen Teils der Kriegsschulden durch schärfste Erfassung der in der Kriegszeit entstandenen Vermögensvermehrungen; reichsgesetzliche Ordnung und progressive Erhöhung der Einkommens- und Vermögenssteuer nach sozial- und bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten; der achtstündige Arbeitstag; durchgreifender Schutz der Frau vor und nach der Entbindung; Schutz der Jugendlichen; Verbot der gewerblichen Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren. Das Programm enthält ferner zahlreiche Vorschläge für den Übergang zur Friedenswirtschaft.

31. Mai 1918

Der Parteiausschuß tadelt aufs schärfste die zögernde und nachgiebige Haltung der Regierung gegenüber dem volks- und vaterlandsfeindlichen Vorgehen der agrarischen und schwerindustriellen Parteien, die einen Verständigungsfrieden verhinderten.

Juni/Sept. 1918

Zahlreiche Streiks in Deutschland u. a. wegen der schlechten Lebensmittelversorgung.

8. Juni 1918

Bei der Wahl des Reichstagspräsidiums wird Ph. Scheidemann mit 194 Stimmen zum Vizepräsidenten gewählt.

9. Juni 1918

Der »Vorwärts« weist darauf hin, daß sich bei einem eventuellen Empfang des Reichstagspräsidiums durch den Kaiser die Situation gegenüber der Vorkriegszeit geändert habe, denn der Kaiser habe 1914 gesagt, daß er keine Parteien, nur noch Deutsche kenne. Vor kurzem hätte schon bei einem parlamentarischen Empfang beim Staatssekretär K. Helfferich eine persönliche Zusammenkunft und Aussprache des Kaisers mit führenden sozialdemokratischen Parlamentariern stattgefunden.

9./10. Juni 1918

Auf dem Parteitag der sächsischen Sozialdemokratie in Dresden wird die Zahl der sächsischen Parteimitglieder, die zur USPD übergetreten sind, mit 62 000 angegeben.

11. Juni 1918

Im preußischen Abgeordnetenhaus wird mit den Stimmen der Konservativen, der Nationalliberalen und einem Teil des Zentrums anstelle des gleichen das Pluralwahlrecht angenommen.

14. Juni 1918

F. Ebert wird zum Vorsitzenden des Hauptausschusses des Reichstages, G. Stresemann zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

26. Juni 1918

Der Parteivorstand erklärt sich bereit, an einer internationalen Sozialistenkonferenz in einem neutralen Land, wie sie vom Internationalen Sozialistischen Büro vorgeschlagen wurde, teilzunehmen.

3. Juli 1918

Ph. Scheidemann fragt im Reichstag: »Wo ist der Mann im Bürgerkleide, der dem Großen Hauptquartier sagt, den Weltfrieden, den das deutsche Volk so bald als möglich will, den können wir mit militärischen Erfolgen nicht erreichen. Wir wollen einen Schluß in Ehren, aber Schluß!«

In der gleichen Sitzung ruft G. Ledebour das deutsche Proletariat zur Revolution auf. Nur ein internationaler Massenstreik könne den Frieden bringen.

31. Juli 1918

Der »Vorwärts« macht einen Aufruf des »Bundes der Kaisertreuen« bekannt, der sich als die innerpolitische Ergänzung der »Deutschen Vaterlandspartei« bezeichnet. In dem Aufruf heißt es unter anderem: »Deutsche! Die Sozialdemokratie, dem deutschen Wesen fremd wie ihr Name der deutschen Sprache, rüstet zur Entscheidungsschlacht. Millionen zählt das Heer der Irrgeleiteten, trefflich sind sie organisiert, überreich mit Munition versehen. . .

Die Regierung selbst leitete die Demokratisierung ein, der diejenige der anderen deutschen Bundesstaaten unmittelbar auf dem Fuße folgen wird. Die Demokratisierung Deutschlands wird die Vorfrucht der Sozialdemokratisierung sein.«

14. Aug. 1918

Bei Besprechungen im Großen Hauptquartier wird festgestellt, daß Deutschland und Österreich-Ungarn militärisch außerstande seien, den Kriegswillen des Gegners zu brechen und gezwungen seien, dieser Kriegslage in der Führung der Politik hinfort Rechnung zu tragen. Am 21. August werden die Parteiführer in Berlin über diese Besprechung informiert.

9. Sept. 1918

Parteivorstand und Generalkommission richten an den Reichskanzler eine Denkschrift über die Lebensmittelfrage, in der die Regierung aufgefordert wird, mit jeder Begünstigung der Produzenteninteressen zu brechen und den Lebensbedürfnissen des Volkes Rechnung zu tragen, da sonst das Deutsche Reich einem verhängnisvollen Zustand entgegentreibe.

11. Sept. 1918

Der Parteivorstand und der preußische Landesausschuß protestieren auf das schärfste gegen die Fortsetzung der Wahlrechtskomödie im Herrenhaus und fordern die Auflösung des Abgeordnetenhauses. Der Regierung wird vorgeworfen, sie sehe der absichtlichen Verschleppung der geplanten Reformen tatenlos zu.

21. Sept. 1918

General E. Ludendorff verlangt von der Reichsregierung, Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen mit den USA aufzunehmen.

23. Sept. 1918

Die Reichstagsfraktion und der Parteiausschuß der SPD beschließen in gemeinsamer Sitzung aber getrennter Abstimmung mit 55 gegen 10 und 25 gegen 11 Stimmen, den Eintritt von Parteimitgliedern in eine etwa neu zu bildende Regierung unter folgenden Bedingungen zu billigen:

Uneingeschränktes Bekenntnis zur Friedensresolution vom 19. Juli 1917 mit der Bereitschaftserklärung, einem Völkerbund beizutreten, der auf der Grundlage der friedlichen Behandlung aller Streitfälle und der allgemeinen Abrüstung beruhe.

Wiederherstellung Belgiens, Serbiens und Montenegros, Autonomie Elsaß-Lothringens. Sofortige Einführung der Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten; bei Friedensschluß sind alle besetzten Gebiete freizugeben.

Für alle Bundesstaaten das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht. Der preußische Landtag sei aufzulösen, wenn das gleiche Wahlrecht abgelehnt werde.

Einheitlichkeit der Reichsleitung, Berufung von Regierungsvertretern aus der Parlamentsmehrheit oder von Personen, die der Parlamentsmehrheit entsprechen.

Aufhebung von Artikel 9 der Reichsverfassung. (Niemand darf gleichzeitig Mitglied des Bundesrats und des Reichstages sein.) Die politischen Veröffentlichungen der Krone und der Militärbehörden seien vor ihrer Veröffentlichung dem Reichskanzler mitzuteilen.

Sofortige Aufhebung aller Bestimmungen, durch die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden; die Zensur dürfe nur auf militärische Fragen angewandt werden.

Beseitigung aller militärischen Institutionen, die der politischen Beeinflussung dienen.

Ein Eintritt in das Kabinett G. Hertling wird grundsätzlich abgelehnt.

28. Sept. 1918

Die drei Mehrheitsparteien einigen sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm, das die Forderungen der SPD enthält.

28./29. Sept. 1918

Im Kronrat fordert die Oberste Heeresleitung ein sofortiges Waffenstillstands- und Friedensgesuch. Zu diesem Zweck solle die Reichsregierung auf breiterer Grundlage umgebildet werden. Wilhelm II. stimmt zu.

30. Sept. 1918

In einem Erlaß an Reichskanzler G. Hertling wünscht Wilhelm II., daß das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite. Es sei daher sein Wille, daß Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen seien, in weitem Umfang an den Rechten und Pflichten der Regierung teilnehmen.

Anf. Okt. 1918

Die sozialpolitische Abteilung des Reichswirtschaftsamtes wird zu einem selbständigen Reichsarbeitsamt umgestaltet; G. Bauer, der 2. Vorsitzende der Generalkommission, dessen Leiter. Nachfolger G. Bauers als 2. Vorsitzender wird der Leiter des Zentralarbeitersekretariats R. Wissell.

2. Okt. 1918

Die SPD-Reichstagsfraktion stimmt gegen sieben Stimmen (unter anderen Ph. Scheidemann) dem Eintritt von Sozialdemokraten in die Regierung zu. F. Ebert schildert in der Sitzung die Lage Deutschlands als außerordentlich ernst und betont die Pflicht der Parteien, dem deutschen Volke in diesen unendlich entscheidungsschweren Tagen ihre Kraft in jeder Beziehung zur Verfügung zu stellen.

2. Okt. 1918

In einer Konferenz zwischen Gewerkschaftsvertretern - C. Legien, A. Schlicke und G. Bauer - und Vertretern der Unternehmerverbände wird eine grundsätzliche Einigung darüber erzielt, daß zwischen Unternehmern und Gewerkschaften eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden müsse, um der zu erwartenden schwierigen wirtschaftlichen Lage nach Beendigung des Krieges Herr zu werden.

3. Okt. 1918

Wilhelm II. ernennt den Prinzen M. v. Baden zum neuen Reichskanzler.

3. Okt. 1918

An den amerikanischen Präsidenten W. Wilson wird ein deutsches Friedens- und Waffenstillstandsangebot auf der Basis der 14 Wilsonschen Punkte gerichtet, nachdem E. Ludendorff erklärt hatte, »48 Stunden kann die Armee nicht mehr warten«.

4. Okt. 1918

Die neue Reichsregierung wird gebildet. Ph. Scheidemann, A. Gröber (Zentrum) und M. Erzberger (Zentrum) werden mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Staatssekretärs beauftragt und bilden zusammen mit dem Reichskanzler, dem Vizekanzler F. Payer (liberal) und R. Friedberg (nationalliberal) das engere Kabinett.

5. Okt. 1918

Parteileitung und Reichstagsfraktion der USPD stimmen dem Waffenstillstands- und Friedensangebot zu. Der Friede werde aber nur gesichert, wenn das Proletariat seine Durchführung in die Hand nehme.

Das System des Militarismus habe einen Schlag erlitten, von dem es sich nicht mehr erholen werde; die Katastrophe des Weltkrieges müsse von der Sozialdemokratie ausgenutzt werden, anstelle des kapitalistischen das sozialistische System gesetzt werden. Tiefe Umwälzungen gingen in allen Staaten vor sich. Bei diesem Umgestaltungsprozeß eine führende Rolle zu übernehmen, sei die historische Aufgabe des internationalen Proletariats. Die Methoden des Regierungssozialismus führen nur zur Lähmung der selbständigen Betätigung der Arbeiterklasse und zur Stärkung der bürgerlichen Gesellschaft. Das Ziel der USPD sei die sozialistische Republik.

Der Reichstag vertagt sich gegen die Stimmen der USPD auf unbestimmte Zeit.

7. Okt. 1918

Die Spartakusgruppe fordert die Arbeiter und Soldaten auf, sich mit der Parlamentarisierung nicht zufrieden zu geben, sondern die sozialistische Revolution in Deutschland vorzubereiten, in der die Arbeiter- und Soldatenräte die Gewalt übernehmen sollen. An Sofortmaßnahmen werden u. a. gefordert: Amnestie für alle politischen Gefangenen; Aufhebung des Belagerungszustandes und des Hilfsdienstgesetzes; entschädigungslose Annullierung aller Kriegsanleihen; Enteignung der Banken, Bergwerke, Hütten und des Großgrundbesitzes; wesentliche Verkürzung der Arbeitszeit und Festlegung von Mindestlöhnen.

9. Okt. 1918

Führende Industrielle in Düsseldorf meinen, daß nur ein Bündnis mit den Gewerkschaften die Sozialisierung und die Revolution verhindern können.

12. Okt. 1918

Personen, die wegen politischer Vergehen, insbesondere wegen Teilnahme an Streiks, Straßendemonstrationen, Lebensmittelunruhen bestraft wurden, werden amnestiert. So erhalten W. Dittmann und K. Eisner die Freiheit wieder.

13. Okt. 1918

Der Parteitag der bayerischen Sozialdemokratie fordert die Einsetzung eines Staatsgerichtshofes zur Feststellung und Aburteilung aller Schuldigen, die frühere Friedensaktionen zum Scheitern gebracht und für die ungeheure Zahl von Opfern während und nach dem Kriege die Verantwortung zu tragen hätten. Diese Untersuchung habe vor keiner noch so hochstehenden Person Halt zu machen.

Anstelle des schwerkranken G. v. Vollmar wird E. Auer zum Vorsitzenden der bayerischen Sozialdemokraten gewählt.

15. Okt. 1918

E. David wird mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Unterstaatssekretärs im Auswärtigen Amt, R. Schmidt mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Unterstaatssekretärs im Kriegsernährungsamt beauftragt. Der Unterstaatssekretär im Kriegsernährungsamt A. Müller wird zum Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt ernannt.

17. Okt. 1918

Der SPD-Parteivorstand erklärt, nicht durch Herbeiführung eines bolschewistischen Chaos, durch Entfesselung eines Bürgerkrieges, könne die innere Erneuerung Deutschlands erfolgen; nur im Wege friedlicher Umwälzung wolle die Sozialdemokratie das Staatswesen zur Demokratie und das Wirtschaftsleben zum Sozialismus überleiten. Deutschland und das deutsche Volk seien in Gefahr, das Opfer der Eroberungssucht englisch-französischer Chauvinisten und Eroberungspolitiker zu werden. Mit einem Frieden der Vergewaltigung, der Demütigung und der Verletzung seiner Lebensinteressen werde sich das deutsche Volk nie und nimmer abfinden.

22. Okt. 1918

F. Ebert erläutert im Reichstag die Gründe für den Eintritt in die Regierung: »Gewiß, es wäre bequemer für uns, draußen zu stehen und unsere Hände in Unschuld zu waschen. Aber in der Schicksalsstunde des deutschen Volkes wäre eine solche Politik vor der Geschichte, vor der Nation und nicht zuletzt vor der Arbeiterklasse nie und nimmer zu verantworten. Wir sind in die Regierung hineingegangen, weil es heute um das ganze Volk, um seine Zukunft, um Sein oder Nichtsein geht. Wir wissen, was wir mit unserem Schritt gewagt haben. Gelingt es uns aber, die Schauer des Krieges auch nur um einige Tage zu verkürzen und dadurch Zehntausenden das Leben zu retten, so wäre uns das Rechtfertigung und Genugtuung genug. Hätten wir durch Verweigerung unserer Mitarbeit auch nur den Schimmer einer Friedensmöglichkeit vernichtet, so hätten wir unverantwortlich gehandelt.«

23. Okt. 1918

K. Liebknecht wird aus dem Zuchthaus entlassen.

26. Okt. 1918

Der Reichstag verabschiedet eine Reihe verfassungsändernder Gesetze: zur Kriegserklärung und zum Abschluß eines Friedens ist die Zustimmung des Reichstages erforderlich; der Reichskanzler benötigt zu seiner Amtsführung das Vertrauen des Reichstages. Die Militärgewalten werden wieder der Zivilregierung unterstellt.

26./27. Okt. 1918

Reichskonferenz der Freien Sozialistischen Jugend Deutschlands. 57 Delegierte beschließen den festen organisatorischen Zusammenschluß. Die Leitsätze der Jenaer Konferenz (25./26. April 1916) sollen Grundlage der Organisation sein.

27. Okt. 1918

Die USPD veranstaltet große Demonstrationsversammlungen, auf denen die sozialistische Republik gefordert wird. In Berlin spricht K. Liebknecht.

29./30. Okt. 1918

Die Absicht der deutschen Flottenleitung, noch einmal aktiv in den Krieg einzugreifen, wird durch die Befehlsverweigerung der Matrosen verhindert. Die Matrosen wenden sich gegen weiteres Blutvergießen und die Verlängerung des Krieges. Mehrere hundert Matrosen werden verhaftet. Aus dem Protest gegen die Verhaftung entwickelt sich der Aufstand in Kiel.

29. Okt. 1918

Ph. Scheidemann fordert in einem Brief an den Reichskanzler, Wilhelm II. zu empfehlen, freiwillig zurückzutreten. Der »Vorwärts« teilt am 2. November mit, daß dieses Schreiben im Einvernehmen mit den Vorständen der Partei und der Fraktion erfolgt sei.

Anf. Nov. 1918

In den Ländern werden die Verfassungen im demokratischen Sinn geändert und neue Regierungen gebildet, in die auch Sozialdemokraten eintreten.

3. Nov. 1918

In Kiel kommt es bei einem Demonstrationszug von Arbeitern und Matrosen zu blutigen Zusammenstößen. Die Aufständischen wählen einen Soldatenrat, der die weitere Leitung der Bewegung in die Hand nimmt.

Am 4. November stellen die Matrosen ihre Forderungen auf: u. a. sofortige Beendigung des Krieges; Abdankung der Hohenzollern; Aufhebung des Belagerungszustandes; Freilassung der bei den Unruhen Ende Oktober verhafteten Matrosen und aller politischen Gefangenen. Sie verlangen aber auch die einheitliche Menage für Mannschaften und Offiziere; die Abschaffung der Grußpflicht gegenüber den Offizieren außer Dienst und in Punkt 9: »Die Anrede >Herr Kapitän usw.< hat nur am Anfang eines Satzes zu dienen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs fällt sie weg, und ich rede den Vorgesetzten mit Sie an!« Staatssekretär C. Haussmann und G. Noske nehmen am Abend die Forderungen an und versprechen rasche Durchsetzung bei der Regierung.

4. Nov. 1918

Der Vorstand der SPD rät ab, den durch unterschriftslose Flugblätter und Mundpropaganda ergangenen Aufforderungen Folge zu leisten. Straßendemonstrationen durchzuführen. Die USPD fordert einen sofortigen Frieden und ruft die Arbeiterklasse auf, sich zum Eingreifen bereitzuhalten.

5. Nov. 1918

Die Arbeiter der Kieler Großbetriebe treten in einen Sympathiestreik, die Streikbewegung greift auf ganz Deutschland über.

6. Nov. 1918

Reichstagsfraktion und Parteiausschuß der SPD fordern den sofortigen Abschluß des Waffenstillstandsvertrages, die unverzügliche Demokratisierung der Regierung und Verwaltung Preußens und der anderen Bundesstaaten und die Amnestie für alle militärischen Vergehen. Die in der Kaiserfrage unternommenen Schritte werden vom Parteiausschuß und der Fraktion gebilligt.

6. Nov. 1918

Sitzung der revolutionären Obleute, Der Vollzugsausschuß erhält Vollmacht, frühestens am 11. November einen Aufstand auszurufen. Die Spitzen der USPD stimmen am 7. November zu.

Der Parteivorstand der SPD fordert in einem Aufruf auf, der sozialdemokratischen Taktik der friedlichen Umwälzung »zu den Zielen der Demokratie und des Sozialismus« zu folgen.

7. Nov. 1918

Der SPD-Parteivorstand und die SPD-Reichstagsfraktion stellen folgende Forderungen an den Reichskanzler, bei deren Nichterfüllung sie aus der Regierung treten: Freigabe der verbotenen Versammlungen, Anweisung an Militär und Polizei zur äußersten Besonnenheit, Rücktritt des Kaisers und Kronprinzen bis zum 8. November, Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses in der Regierung, Umgestaltung des preußischen Ministeriums im Sinne der Mehrheitsparteien des Reichstages.

7. Nov. 1918

In München rufen SPD und USPD gemeinsam zu einer Massendemonstrationsversammlung auf. Am Abend wird ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, zu dessen Vorsitzenden K. Eisner gewählt wird. Der bayerische König verläßt München.

Auch in anderen Städten kommt es zu Erhebungen und der Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten.

8. Nov. 1918

In München wird die Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung gebildet, an deren Spitze K. Eisner (USPD) steht. In den anderen deutschen Ländern werden nach dem Ende der Monarchien ebenfalls neue Regierungen gebildet.

8. Nov. 1918

Das Ultimatum der SPD an den Reichskanzler wird bis zum Abschluß des Waffenstillstandes verlängert.

8. Nov. 1918

Rosa Luxemburg wird aus der »Schutzhaft« entlassen.

9. Nov. 1918

Der Arbeiter- und Soldatenrat von Berlin verkündet den Generalstreik unter gemeinsamer Leitung von SPD und USPD.

Die SPD-Mitglieder treten aus der Reichsregierung aus. Prinz M. v. Baden veröffentlicht die Abdankung Wilhelm II. und überträgt F. Ebert die Geschäfte des Reichskanzlers. F. Ebert fordert ihn auf, die Regentschaftzuübernehmen, doch Ph. Scheidemann ruft die freie deutsche Republik aus. Wenig später proklamiert K. Liebknecht die sozialistische Republik Deutschland.

F. Ebert beruft Ph. Scheidemann und O. Landsberg in die Regierung. Die Unabhängigen verhandeln noch über einen Regierungseintritt. F. Ebert erläßt zwei Aufrufe: An die Volksernährung zu denken und sie nicht durch Unruhen zu stören und an die Beamten, auf ihren Posten auszuharren.

Eine Nationalversammlung wird angekündigt, in deren Hände die Regierung ihre Machtbefugnisse zurücklegen werde.

In vielen Städten bilden sich in den Novembertagen spontan Arbeiter- und Soldatenräte. Auf der ersten Sitzung des von den »revolutionären Obleuten« gebildeten provisorischen Arbeiter- und Soldaten-Rates unter Vorsitz von E. Barth (USPD) erklären sie, daß alle gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt in den Händen der Vertreter der Arbeiter und Soldaten liege.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

Previous Page TOC