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TEILDOKUMENT:
"Haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt?" [Seite der Druckausg.: 89 (Fortsetzung]]
Annette Quaedvlieg
Es ist Dr. Horst Heidermann, damals Stellvertretender Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung, der mir mit strenger Miene und prüfendem Blick diese Frage bei meinem Einstellungsgespräch im Mai 1982 stellt. Ja, ich hatte es mir gut überlegt. Ja, ich wollte dem Beamteneid abtrünnig werden und meine Tätigkeit in der Bibliothek des Bundesamtes für Zivilschutz beenden. Zehn Jahre Titelaufnahmen von Verwaltungsliteratur, Bunkerbau- und Selbstschutzfibeln waren genug! Außerdem, wie sollte ich mein gewerkschaftliches Sendungsbewußtsein und meinen gewerkschaftlichen Tatendrang in so einer Bundesbehörde auch nur halbwegs zur Anwendung bringen? Und als überzeugte Teilnehmerin an Friedens- und Anti-AKW-Demonstrationen erschien mir die Tätigkeit in dieser Institution schwer vereinbar mit meinen politischen Überzeugungen. Welche Freude, dass die Bibliothek des Archivs für soziale Demokratie in der FES zwei Stellen ausgeschrieben hatte. Eine Bibliothek, die weltweit zu den größten Spezialbibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung zählt. Materialien beschaffen, sammeln und bearbeiten können, die die historischen und aktuellen Kämpfe der arbeitenden Klasse [Seite der Druckausg.: 90] dokumentieren, welch befriedigende Aussicht! Eine Institution, die ihrem politischen Selbstverständnis nach gewerkschaftliches Engagement begrüßt und fördert, da war ich sicher! Über meine Tätigkeit in der "Fachgruppe Bibliotheken, Archive und Dokumentationsstelle" der ÖTV-Kreisverwaltung Bonn kannte ich schon einen Gewerkschaftsaktivisten aus dem Archiv der sozialen Demokratie. Es lag also auf der Hand, sich ein wenig kundig zu machen. Ein Dämpfer auf meine schwärmerische Vorfreude. Die Mitgliedschaft in der ÖTV könne man durchaus erwähnen, so der Rat, aber jeglichen Anflug kämpferischer Töne unbedingt vermeiden. Auch wenn in der Geschäftsführung jeder Gewerkschaftsmitglied sei, schlage doch mindestens so stark das Arbeitgeberherz in ihrer Brust. Außerdem gebe es noch zwei potentielle interne Bewerber, die mit Zeitvertrag beschäftigt seien, aber nicht übernommen werden sollten. Der Betriebsrat werde deshalb wahrscheinlich einer externen Bewerbung widersprechen. Gewissenskonflikt: Sollte ich mich unter diesen Umständen bewerben? Ich tat es, und meine Bewerbung war erfolgreich.
Zettel-Traum und Zettel-Trauma
Am 1. September 1982 nehme ich meine Tätigkeit in der Erwerbungsabteilung Monographien auf.
SPD, DGB, Einzelgewerkschaften - das Graue" Inland
Seit 1977 hatte meine Vorgängerin Gudrun Augustin bei der Beschaffung Grauer Literatur bereits Beachtliches geleistet. Ihrem Engagement und ihrer Qualifikation habe ich es zu verdanken, dass nun auch ich für den Bereich Graue Literatur Inland den Bestandsaufbau in eigener Verantwortung betreiben darf. Das sieht in der Praxis so aus: Regelmäßige Sichtung und Auswertung der "Reihe B: Monographien und Periodika außerhalb des Verlagsbuchhandels" der Deutschen Nationalbibliographie. Doch alle, die mit der leidvollen Gattung Graue Literatur zu tun haben, wissen, dass die Reihe B" trotz Pflichtexemplargesetz nur ein Bruchteil der tatsächlich publizierten Titel außerhalb des Buchhandels zu verzeichnen vermag. Oft fehlt das Wissen um die gesetzliche Abgabepflicht bei den herausgebenden Institutionen oder man schert sich nicht darum. Deshalb muss ich mich daneben noch vieler anderer Erwerbungsquellen bedienen. Die regelmäßige Durchsicht von Mitgliedszeitschriften der SPD und anderer Parteien, des DGB, der Einzelgewerkschaften und ihrer Umfeld-Organisationen bieten Hinweise auf [Seite der Druckausg.: 91] aktuelle Broschüren, Festschriften, Dokumentationen. Doch nur selten findet man diese Hinweise in einer schönen, übersichtlichen Rubrik mit der Überschrift "Neuerschei-nungen". Oft sind die Hinweise in einem Text und irgendwo unter der Rubrik Ver-mischtes zwischen Jubilaren und Seminarankündigungen versteckt. Es bedarf es mitunter beträchtlichen Spürsinns, um sie zu entdecken. Von den Segnungen einer korrekten Titelangabe haben die Redakteure oft noch nie etwas gehört. Da kündigt der SPD-Ortsverein Altenkessel-Rochershausen stolz seine Festschrift zum 100sten Bestehen an. Aber wie bitte heißt sie? Schließlich muss ich ein Bestellformular schreiben und bei Lieferung muss ich in der Lage sein, den Titel unter Hunderten von Bestellungen wiederzufinden. Bibliothekssorgen, um die sich diese Unschuldigen noch nie Gedanken gemacht haben! Das Zeitalter der EDV-Bestellung und des EDV-Katalogs mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Recherche liegt noch in weiter Zukunft. Aber damit nicht genug. Warum haben sie nicht daran gedacht, die Bestelladresse zu nennen? Bis zur Bezirksebene der SPD habe ich es gut: Da existiert ein Adressenverzeichnis. Aber die Ebene darunter - Fehlanzeige! Das Referat Organisation beim SPD-Parteivorstand, um Hilfe gebeten, winkt ab. Sie verfügen auch nicht über alle Adressen der Ortsvereine oder dürfen sie aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weitergeben. Aber ich muss diese Festschrift bestellen, ihr Erwerb gehört unzweideutig ins Kernsammelgebiet der Bibliothek. Also den zuständigen SPD-Bezirksverband ermitteln und bitten, dass sie die Bestellung weiterleiten. Oder, eine durchaus auch erfolgversprechende Möglichkeit, die Bestellung an die SPD-Ratsfraktion der Gemeinde oder des Ortes zu schicken. Das Internet mit seinen Adressnachweisen steht noch lange nicht zur Verfügung. Bei den Gewerkschaftsveröffentlichungen besteht das gleiche Problem. Ungenaue Titel-angaben, fehlende Bezugsquellen. Auch hier ist Phantasie und Spürsinn gefragt. Fehlt der Hinweis auf das herausgebende Referat, die herausgebende Gewerkschaftsfachgruppe, kann es durchaus passieren, dass die Bestellung irgendwo "hängenbleibt", weil es oft keine zentrale Versandstelle für Publikationen gibt. Also nachforschen. Doch all diese Mühen nehme ich gern in Kauf, denn immerhin handelt sich hier um Publikationen, deren Existenz mir bekannt wird. Aber wie viele mögen es sein, die gedruckt, verteilt, eingestampft werden oder irgendwann vergriffen sind, ohne jemals ihren Weg in die Bibliothek der FES und somit in die Sammlung des gedruckten Gedächtnisses der Arbeiterbewegung gefunden zu haben? Der Anspruch auf vollständige Sammlung dieser Materialien ist ein hehres Ziel - und eine Sisyphusarbeit. Auch Besuche bei Parteizentralen und Gewerkschaften dienen dem Bestandsaufbau. Was dort aus Aktenschränken und Broschürenlagern zutage kommt, vervollständigt oft die auf schriftlichem Wege erworbenen Bestände.
Ja, die Beschaffung ist mitunter mühselig. Und wenn dann noch eine Bezahlung von
[Seite der Druckausg.: 92] diverser Formulare aushändigen kann, dann ... Dann denke ich an den schönen Satz von Albert Camus: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Aber welche Befriedigung, wenn man die Zugangsnummer auf die mühsam beschaffte Streikdokumentation der Heinze-Frauen in der IG Druck und Papier, die um gleichen Lohn für gleiche Arbeit streiten, stempeln kann. Welche Freude, wenn man eine Broschüre der Bochumer Jusos über die Unterwanderung der SPD durch die Trotzkisten inventarisieren kann. Die erhebende Phantasie, dass in vielleicht hundert Jahren eben diese Publikationen dem neugierig forschenden Bibliotheksbenutzer ein lebendiges Bild verflossener Kämpfe und erbitterter Ideologienstreits vermitteln. Vielleicht wird ja die Bibliothekarin, die dann die Bibliotheksführung macht, ganz zufällig eben jene Broschüren vorzeigen mit dem Bemerken, dass sich der Wert Grauer Literatur in ihrer Seltenheit bemißt und auf dem Antiquariatsmarkt beachtliche Preise erzielt. So wie wir es heute mit den Broschüren aus der historischen SPD-Bibliothek tun. Bei politischen Veranstaltungen, Demonstrationen werden die Büchertische auch unter dem Blickwinkel des Bestandsaufbaus durchstöbert. Denn auch überregionale, programmatische Veröffentlichungen der Frauen-, Friedens- und Anti-AKW-Bewegung sollen den Weg in die Bibliothek finden. Es ist schön, zum Teil aus Privatbesitz, z. B. Broschüren des "Aktionskreis Leben - Gewerkschafter gegen Atom" zum Buchbestand beisteuern zu können. Die Benutzungsstatistik beweist, dass die Graue Literatur Inland begehrt ist. Der Anteil der Grauen Literatur an der Gesamtausleihe für die Publikationen Deutschland bis 1945 und Bundesrepublik bewegt sich über die Jahre konstant zwischen 50 und 70 %. (Detaillierte Statistiken hierzu sind dem Beitrag von Irmgard Bartel zu entnehmen.) Die Übernahme der Bibliothek des DGB und mehrerer Einzelgewerkschaften bestätigt, dass trotz all unser Mühe Vollständigkeit bei der Sammlung Grauer Literatur stets unerreicht bleibt. Insbesondere auf der Ebene der Gewerkschaftsgliederungen unterhalb der Bundesvorstände wird unser Bestand durch diese Sammlungen entscheidend ergänzt.
SED und FDGB, TUC, CGT, CGIL ... - Die "Graue" DDR und das "Graue" Ausland
Die zuständigen FachreferentInnen wählen aus National- und Fachbibliographien aus und ich bestelle.
[Seite der Druckausg.: 93] Beendet ist damit auch der leidige Streit innerhalb der FES, ob man die SED- und FDGB-Publikationen in die "Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" (BizGA) aufnehmen solle. Es gibt Stimmen in der Geschäftsführung, die die Auffassung vertreten, derart tendenziöse Veröffentlichungen könnten nicht als wissenschaftlich anerkannt werden. Die Redaktion der BizGA enthält sich jedoch jeder politischen Wertung und wehrt derartige Eingriffsversuche erfolgreich ab. Bei der Bestellung westeuropäischer Parteien- und Gewerkschaftsliteratur hilft bei der Adressenermittlung oft zuletzt nur noch der Anruf bei der Botschaft. Aber der Bestandsaufbau erfolgt auch sehr intensiv durch die regelmäßigen DFG-geförderten Beschaffungsreisen in ganz Westeuropa. Wenn die in Paris und Rom sorgfältig verschnürten Pakete endlich nach bangem Warten, weil gerade mal wieder ein Poststreik war, nach Wochen oder Monaten etwas ramponiert eintreffen, heißt es sortieren: Monographien, Periodika, Archivmaterial.
Regenbogen
Die Bücherberge müssen inventarisiert und es muss eine interimistische Titelaufnahme erstellt werden. Auf der elektrischen Schreibmaschine werden sie mit mehreren Durchschlägen geschrieben. Bei zu heftigen Tippfehlern heißt das neu tippen, denn auf den Durchschlägen ist sonst nur noch Buchstabenchaos zu verzeichnen. Die einzelnen Durchschläge werden mit der Zugangsnummer = Signatur versehen mit Stempeln, die einen wahren Höllenlärm machen. Zettel in den Interimskatalog einstellen, Zettel für das Zugangsbuch einstellen, das am Ende jeden Jahres gebunden wird. Mit dem gleichen Höllenlärm wird die Signatur ins Buch und auf das Signaturschild gestempelt, stets Gefahr laufend, dass schwarze, schmierige Spuren entstehen. Ein Durchschlag wird an den Laufzettel geheftet. Die lange Reise durch die Stationen der Buchbearbeitung kann beginnen.
Zur Manuskripterstellung der Zugangslisten Graue Literatur Inland und Graue Literatur Ausland werden auf riesigen Kartonbögen die Titelaufnahmen aufgeklebt und nachher verkleinert. Beim Aufkleben würde man sich eine Einrichtung wünschen, wie sie die Zigarrendreherinnen und -dreher im vorigen Jahrhundert entwickelt haben. Um die Eintönigkeit ihrer Arbeit zu beleben, stellten sie einen der ihren als Vorleser frei. Eine praktische Variante der Arbeiterbildung!
[Seite der Druckausg.: 94]
Spagat
Nicht nur was den Arbeitsbereich betrifft, trete ich in die Fußstapfen meiner Vorgängerin. Nach Ablauf der Probezeit nehme ich an den wöchentlich stattfindenden Versammlungen der ÖTV-Vertrauensleute teil. 1984 kandidiere ich erstmals für den Betriebsrat und werde gewählt. Ab jetzt muss ich meine Arbeitszeit zwischen Bibliothek und Betriebsrat aufteilen und so bleibt es bis heute.
ALLEGRO-Revolution
Dornröschen erwacht
Im September 1989 geht Dr. Horst Heidermann, Geschäftsführer der FES, in Ruhestand. Erst nach und nach wird uns bewusst, wie stark er die Bibliothek gefördert hat. Der neue Geschäftsführer, Dr. Jürgen Burckhardt, betraut ab Februar 1991 Dr. Manfred Stegger als Mitglied der Geschäftsführung mit dem Bereich Personalentwicklung und Organisation. Ihm obliegt zugleich die Leitung der EDV-Abteilung und damit die Entwicklung einer mittel- bis langfristigen EDV-Strategie für die FES. In der Tat ist Kollege Stegger jemand, der modernes Management und technologischen Fortschritt auf seine Fahnen geschrieben hat. Und hierfür bietet die Bibliothek ein weites und ergiebiges Gestaltungsfeld. Zu diesem Zeitpunkt ist die Bibliothek ein Gebilde, das sich traditionsgemäß und traditionsbewusst in gemessenem, stetigem Tempo fortbewegt, vergrößert und auch professionalisiert. Der Bibliotheksleiter, Herr Ziska, hat bereits die Notwendigkeit des Eintritts in das EDV-Zeitalter erkannt, aber sein Herz schlägt noch im konventionellen Takt. Ihn, der auf jeder tschechischen Titelaufnahme mit unfehlbarer Sicherheit noch das letzte fehlende Hatschek entdeckt, treibt die Sorge um, ob ein EDV-System auch alle diakritischen Zeichen abzubilden vermag. Einige der Bibliothekskolleginnen und -kollegen sind wie ich seit Jahren aktive ÖTV-Vertrauensleute und definieren sich als links. Und das heißt zur damaligen Zeit immer noch: Die EDV-Einführung erst mal hinauszögern, zunächst über Rahmenbedingungen wie Arbeitsschutz, Pausenregelungen, Arbeitsplatzsicherung, Mischarbeit (d. h. mindestens 50 % Nicht-PC-Arbeit) , die Sicherung der Arbeitsplätze etc. verhandeln. Bei den ÖTV-Vertrauensleuten und im Betriebsrat tobt zeitweise ein erbitterter Kampf um die korrekte gewerkschaftliche Linie. EDV-Euphorie, aber auch nur die Auflistung der EDV-Vorteile kann durchaus als Aufweichung der Kampfkraft und Schwächung der Verhandlungsmacht interpretiert werden. Wir ÖTV-Aktivistinnen und -Aktivisten der Bibliothek sind hin und her gerissen. Einerseits zeigt die Entwicklung in anderen Bibliotheken, dass der EDV-Einsatz unaufhaltsam ist. Auf der anderen Seite wiegen die Argumente der EDV-Kritiker nach wie vor schwer. Schließlich haben wir selbst jahrelang gewerkschaftliche Veranstaltungen und Seminare besucht, technologische Gefahren analysiert und Abwehrstrategien entwickelt. Den Siegeszug der EDV als notwendig und gegeben hinnehmen, könnte auch zur Folge haben, des Rechtsabweichlertums bezichtigt zu werden. Und das würde uns treffen! [Seite der Druckausg.: 95] In diese Bibliotheks-Gemengelage stößt der dynamische Modernisierungswille des Kollegen Stegger. Denn er möchte es sich einmal auf seine Fahne heften können, die Bibliothek aus dem Dornröschenschlaf erlöst zu haben.
"Dornröschen", aufgeschreckt durch die bevorstehende externe Durchleuchtung und recht unvermittelt mit den Anforderungen der modernen Bibliothekswelt konfrontiert, ist sich zunächst nicht schlüssig, ob es die "Befreiung" bedauern oder begrüßen soll. Doch noch bevor das Hug-Guchtachten schriftlich vorliegt, wird in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen , oft nach Dienstschluss bei Kollegen und Kolleginnen zu Hause, eine gemeinsame Strategie entwickelt. Und diese Strategie heißt: Einführung der EDV: Ja! Aber keine kritiklose Übernahme aller extern entwickelten Änderungsvorschläge. Was Herr Hug kann, können wir auch und zwar ohne Honorar. Unsere Zusammenkünfte bei kaltem Büfett bis spät in die Nacht bringen eine Fülle guter Ideen zutage. Sie schaffen ein Gefühl von Solidarität und die Gewissheit, dass wir den Weg ins EDV-Zeitalter mit vereinten Kräften selbstgestaltet gehen können und gehen werden. Tatsächlich ist bereits im April 1992 unser gemeinsam erarbeitetes Papier "Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung - Konzeptioneller Entwurf" fertig. Wie immer bei derartigen Papieren, ist es fraglich, ob es wirklich alle zuständigen Personen auf der Leitungsebene lesen. Aber es wird positiv vermerkt, dass die Bibliothek Eigeninitiative gezeigt hat. Erst im Mai 1992 legt Herr Dr. Hug sein schriftliches Gutachten "Entwicklungsmöglich-keiten der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung" vor und bezieht sich zum Teil auf das von uns erarbeitete Konzept. Er analysiert Schwachstellen, macht Verbesserungsvor-schläge zum Führungsstil und zur Kommunikationsstruktur, gibt Anregungen zur schär-feren Profilierung der Erwerbungspolitik und der Bildung von Arbeitsteams. Kernpunkt ist jedoch die sehr nachdrückliche Empfehlung zur EDV-Umstellung, Einbindung in einen Bibliotheksverbund und Konversion des Zettelkataloges.
Dornröschen tanzt ALLEGRO
Wir werden nicht gezwungen, sklavisch den Hug-Empfehlungen zu folgen. Die nun folgenden Schritte werden im Konsens mit den entsprechenden Arbeitsbereichen entwickelt und umgesetzt. Unter der Leitung des Kollegen Dr. Rösch bildet sich eine EDV-Arbeitsgruppe.
Die Erwerbungsabteilung muss leider noch warten. Die Katalogisierung wird nun nicht mehr nach den Kieler Katalogisierungsregeln, sondern nach den "Regeln für die alphabe- [Seite der Druckausg.: 96] tische Katalogisierung" (RAK) erfolgen. Wir, deren Ausbildung zum Teil noch bei den "Preußischen Instruktionen" geendet hat, genießen deshalb bereits im Frühjahr 1993 gemeinsam mit den Kolleginnen der Katalogabteilung eine interne RAK-Fortbildung, und lernen deren Tücken und Fallstricke kennen. Prof. Heinz Puhlmann von der Fachhochschule Hamburg vollbringt das Wunder, uns die 823 RAK-Paragraphen nebst Anlagen nahe zu bringen. Das gelingt ihm durch sein hervorragendes Fachwissen, vor allem aber durch seinen feinsinnigen Humor, der Loriotsche Züge trägt. Die Graue Literatur erweist sich dabei als eine schier unerschöpfliche Quelle für prinzipielle, hitzige, erbitterte bibliothekarische Fachdebatten. Was ist nach RAK bei der Festschrift, deren Titel mit "1849-1974" beginnt, als Hauptsachtitel zu betrachten? Darf man nach RAK SPD <Bonn> als Abkürzung ansetzen oder ist dies nur mit der Ergänzung Unterbezirk oder Kreisverband erlaubt? Die Leidenschaft, mit der hier mitunter um die richtige Interpretation einzelner Paragraphen gerungen wird, steht der der Marx-Interpreten verschiedener Couleur in nichts nach. Aber der Streit um die korrekte Ansetzung ist notwendig. Denn wir sind nicht in der Situation, die Mehrzahl der Körperschaftsansetzungen bequem aus der GKD (Gemeinsame Körperschaftsdatei) übernehmen zu können. Viele Körperschaften aus dem Bereich SPD, Gewerkschaften und deren Umfeld und ausländischer Parteien und Gewerkschaften werden von uns erstmalig angesetzt. Diese Verantwortung lastet auf uns. Aber wenn bei unseren komplizierten Problemen trotz intensiven Studiums in keinem der 823 Paragraphen eine Lösung gefunden werden kann, können wir nach bestem Wissen und Gewissen selbst entscheiden. Hierfür erteilt uns Herr Puhlmann die Absolution. Zum Schluss verrät er uns noch, dass er den Aufenthalt in Bonn besonders genossen hat, weil er hier morgens im Fernsehen schon "Käptn Blaubär" empfangen konnte. Wir danken und sehen RAK-gestählt zuversichtlich in die Zukunft. Die Integration von Bestell- und Katalogisierungsabteilung wird ab 1994 realisiert.
Zur Handhabung des EDV-Programms steht uns das "Lernbuch für die Einführung von ALLEGRO in der Bibliothek der FES" zur Verfügung. Die Mitglieder der seit Frühjahr 1992 bestehenden Bibliotheks-EDV-Gruppe haben es in vorbildlicher Weise verfasst. Daran können sich andere Abteilungen der FES bei ihrer EDV-Einführung ein Beispiel nehmen. Ruth Großgart hat sich inzwischen zur versierten ALLEGRO-Spezialistin entwickelt und steht uns bei allen Fragen und Problemen der Katalogisierung in diesem Programm hilfreich zur Seite. Die Titelaufnahme entsteht nun bereits bei der Bestellung. Der Bestellvorgang erfolgt mit ALLEGRO-Order. Die zu bestellenden Titel werden in einer Liste ausgedruckt und zugleich mit einem Anschreiben an die herausgebende Institution versehen. Beim Bucheingang wird die Titelaufnahme soweit notwendig korrigiert und um Signatur, statistische Angaben, Bibliographiezuweisung u. ä. ergänzt. Jedes Buch erhält einen Exemplarsatz, der auch die notwendigen Daten für den Zugangsnachweis enthält.
[Seite der Druckausg.: 97] Die Reise der Buchzugänge ist durch die integrierte Katalogisierung entscheidend verkürzt. Nunmehr nur noch uniform weiß mit dem Ausdruck der Titelaufnahme versehen, geht das fertig katalogisierte Buch nach der Korrektur zur Sacherschließung an die FachreferentInnen. Verglichen mit den früheren Durchlaufzeiten landen die Neuzugänge jetzt beinahe mit Überschallgeschwindigkeit an ihrem Platz im Magazin.
Dornröschen tanzt digital
Das rasante Tempo, das die Bibliothek in ihrer technologischen Entwicklung seit der EDV-Einführung vor sieben Jahren angeschlagen hat, bleibt bestehen. Dies ist vor allem unseren EDV-Experten zu verdanken, die nach dem Weggang des Kollegen Dr. Rösch im Sommer 1997 aus dem Kollegen Walter Wimmer und der Kollegin Ruth Großgart bestehen. Und eben jener Kollege Wimmer war anno 1982 einer der beiden Kollegen, die nicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden sollten! Welch Glück, dass dies damals noch unerkannte EDV-Talent der Bibliothek erhalten blieb. Die Entwicklung, die die Bibliothek auf dem Gebiet der Erfassung digitaler Publikationen bereits zurückgelegt hat, lässt sich an verschiedener Stelle in dieser Festschrift eindrucksvoll nachlesen. Hunderte von FES-Veröffentlichungen sind bereits weltweit digital abrufbar, ganze Server der Gewerkschaften werden "downgeloaded". Beim Bestandsaufbau im Bereich Graue Literatur Inland zeigt sich immer deutlicher, dass Veröffentlichungen von Parteien und Gewerkschaften zunehmend gar nicht mehr in Papierform erscheinen. Die FES-Bibliothek hat aber auch für diese Veröffentlichungen einen Archivierungsauftrag. Konkret heißt das: Zur Durchsicht der 'Deutschen Bibliographie' und der Mitgliedszeitschriften von Parteien und Gewerkschaften gesellt sich nunmehr die Sichtung und Auswertung der Server der jeweiligen Institutionen. Oft sind nur hier Hinweise auf neue Publikationen zu finden. Zum Teil sind diese noch in Papierform erhältlich und beschaffbar. Aber zunehmend werden Broschüren zu aktuellen Themen nur noch digital angeboten. Nach Auswertung der derzeit im Probebetrieb laufenden Projekte zur Archivierung und Verzeichnung digitaler Publikationen wird ein einheitliches Verfahren entwickelt werden. Ich begnüge mich derzeit damit, die digitalen Veröffentlichungen auszudrucken, um sie so in den Bibliotheksbestand inventarisieren zu können. Auch wir nutzen bei der Erstellung und Verbreitung der Bibliotheksveröffentlichungen die Möglichkeiten der digitalen Welt. Aufgrund des rückläufigen Bibliotheksetats wird seit 1998 auf die Papierausgabe der Zugangslisten Graue Literatur Inland und Graue Literatur Ausland verzichtet. Sie sind jetzt nur noch im Intranet der FES und für die externe Nutzung im Internet abrufbar.
[Seite der Druckausg.: 98]
Corporate Identity, Feelings und Healings
Schon zu Zeiten, als wir noch gar nicht wissen, was Corporate Identity ist, halten wir in der Bibliothek ziemlich gut zusammen. Wie in unserem Beruf üblich, sind auch in der FES-Bibliothek die Frauen zahlenmäßig in der Übermacht. Hierarchisch gesehen sieht es schlechter aus. Zu unseren Gunsten wollen wir behaupten, dass die durchweg gute Stimmung der hohen Sozialkompetenz der Bibliotheks-Frauen zuzuschreiben ist. Auch diese ist schon vorhanden, als die meisten von uns noch gar nicht wissen, dass es sich hierbei um eine vorwiegend weibliche Eigenschaft handelt. An der Spitze steht jedoch - von Anbeginn ein Mann! Mein Eintritt in die Bibliothek fällt in die Ära Horst Ziska. Acht Fremdprachen sprechend, ein detaillierter Kenner der skandinavischen und osteuropäischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, liegt ihm besonders der Ausbau und die Festigung unseres Ruhmes auf dem Gebiet der internationalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung am Herzen. Er hat in den Jahren seiner Tätigkeit hierin Herausragendes geleistet. In Kooperation mit zahlreichen Partnerbibliotheken in West- und insbesondere Osteuropa werden wichtige Verfilmungsprojekte realisiert. Die osteuropäischen Bibliotheken dafür großzügig mit Buchgeschenken aus unserem reichen Dublettenschatz zu versorgen und ihnen bei der Erwerbung für sie schwer beschaffbarer westlicher Literatur behilflich zu sein, ist selbstverständlich für ihn.
Eine so große Abteilung wie die unsrige zu leiten, ist sicherlich oft nicht leicht. Wir Bibliothekarinnen, das geht noch! Obwohl er sich bei einigen von uns mitunter auch mehr vornehme Zurückhaltung, dezentere Ausdrucksweise, leisere Stimmen und bessere Manieren gewünscht hätte. Keine Frauen mit Gewerkschaftsslogans und lauten Debatten, keine lauthals lachenden Frauenansammlungen! Aber das größere Problem sind zeitweise die "Jungs. Rein geschlechtermäßig betrachtet gibt es neben der Frauenübermacht etliche "Jungs", aber "Die Jungs" sind eigentlich nur zwei. "Die Jungs" sind miteinander befreundet und fühlen sich durch ihren Chef teilweise in ihrem bibliothekarischen Tatendrang gebremst und in ihrem bibliothekarisch-wissenschaftlichen Selbstverständnis missverstanden. Und in der Tat, wenn man betrachtet, was inzwischen aus den "Jungs" geworden ist - einer Bibliotheksleiter, der andere Professor - hätten sie wahrscheinlich etwas mehr Lob verdient gehabt. Aber auch ein Chef ist Mensch und möchte gelobt werden. Daran mangelt es mitunter auf der anderen Seite. Und so gibt es manch angespannte Zeiten. Halbwegs legitimiert durch mein Amt als Betriebsrätin, pendle ich als Emissärin zwischen den Fronten, mehr oder weniger erfolgreich um Verständnis für die Empfindlichkeiten und Eigenheiten der jeweils anderen Seite werbend.
[Seite der Druckausg.: 99] hatte, pendelt Herr Ziska minutenlang zwischen den Schreibtischen der beiden "Jungs" mit den fassungslosen Worten: "Fehlalarm! Mein lieber Spitz! Fehlalarm! Mein lieber Spitz!" Wenn Herrn Ziska unsere geballte Menschenpräsens zu nahe rückt, schlüpft er in eine andere Haut. Den grauen Magazinerkittel korrekt geknöpft, begibt er sich in die stille, abgeschirmte Welt des Magazins, um in den noch ungesichteten Schenkungen für unser Sammelgebiet Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen. Doch er gibt uns auch Kostproben seines wunderbaren Humors. So die Schilderung seiner um ein Haar gescheiterten Dienstreise nach Polen: Auf Grund eines blauen Auges erscheint er dem Grenzbeamten suspekt, und sein Erklärungsversuch, dass es sich bei seiner Mission um eine Beschaffungsreise handle, wird von diesem zunächst gründlich fehl interpretiert ... . Oder wenn er mitten in einem Dienstgespräch, die Hände auf dem Rücken verschränkt hin und her schreitend und aus dem Fenster blickend, die Flugversuche der jungen Schwalben kommentiert: "Die Jungs fliegen wieder unter die Markise". Und wenn er die Kollegin K., die der lebhaften allgemeinen Debatte am gemeinsamen Mittagstisch lange Zeit still gefolgt ist, fragt: "Kollegin K., wollen Sie jetzt nicht einmal von etwas anderem schweigen?" Es versteht sich von selbst, dass die lautstarken Debatten im Benutzerbereich vor der Ausleihtheke nicht seine Billigung finden. In der Mittagspause lassen sich hier auf den gelb-grün changierten Polstern der Sitzgruppe vorzugsweise ÖTV-Aktivistinnen und -Aktivisten aus Archiv und Bibliothek nieder und erörtern mit Archivleiter Werner Krause die neuesten politischen Aktionen der Friedensbewegung. Eingehüllt in immer dichter werdende Rauchschwaden, geben sie kluge Bemerkungen über die richtigen und falschen Mobilisierungs- und Bündnisstrategien zum Besten. Ab und zu trauen sich mutige Benutzerinnen mit zu diskutieren. Bis, völlig zu Recht, Kollegin Mester, die derweil komplizierte telefonische Anfragen beantworten, Bücher und Archivalien ausleihen und zurück buchen muss, die Geduld verliert und uns zur Mäßigung ermahnt. Natürlich nimmt eine große Zahl der Bibliothekskolleginnen und -kollegen gemeinsam an den großen Friedensdemonstrationen teil. Nach Dienstschluss werden dafür auf rotem Stoff Transparente mit der Aufschrift "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker" und "Sofortige Abrüstung - ÖTV-Gruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung" in einer versteckten Ecke des Bibliotheksmagazins gemalt. Die gewerkschaftlich Aktiven aus der Bibliothek machen ihrem Berufsstand alle Ehre. Zur 1.-Mai-Demonstration, bei Veranstaltungen zum Gedenktag 50 Jahre Bücherverbrennung, beim Flugblatt verteilen, sind sie stets zahlreich, gewissenhaft und pünktlich zur Stelle. Undenkbar, solche Verpflichtungen zwecks Pflege der Zweierbeziehung zu vernachlässigen. Doch trotz Arbeit und Politik, auch die Macht der Liebe fordert ihren Tribut! Beim gemeinsamen bibliothekarischen Tun werden erste zarte Bande geknüpft. Von Liebesleid soll hier nicht die Rede sein. Aber das Liebesglück darf öffentlich erwähnt werden: drei Paare sehen, finden und vermählen sich! Vier Kinder erblicken in diesen drei reinen Bibliotheksehen das Licht der Welt. Insgesamt ist die Nachwuchsbilanz noch sehr viel beeindruckender: 23 "Bibliothekskinder" werden geboren, die der zwischenzeitlich aus der Bibliothek ausgeschiedenen KollegInnen nicht mitgerechnet. Und das nächste Bibliothekskind kommt bestimmt! [Seite der Druckausg.: 100] Wer meint, das Kinderkriegen habe mit der Arbeit nichts zu tun, irrt gewaltig. Um die zahlreichen Mutterschafts-, Erziehungs- und Sonderurlaubszeiten möglichst ohne Reibungs-, Produktivitäts- und Zeitverlust auszugleichen, ist ein beträchtliches Maß an personalplanerischer Weitsicht, Phantasie und Geschicklichkeit gefordert. Es bedeutet KollegInnen mit Zeitverträgen einstellen. Manches Mal ist die Konstellation günstig und bei Rückkehr der Stelleninhaberin steht schon der nächste Mutterschaftsurlaub ins Haus. So können Zeitverträge verlängert und mitunter umgewandelt werden. Es gilt, den Wünschen der Mütter nach Teilzeitarbeit möglichst weitgehend zu entsprechen, ohne dass die Arbeitsorganisation darunter leidet. Nach Rücksprache mit den Kolleginnen machen Bibliotheksleitung und Betriebsrat Vorschläge. Kollege Hüttemeister, der Personalchef, hört zu, berät, genehmigt Zeitverträge, Sonderurlaube und Anträge auf diverse Modelle der Teilzeitarbeit. Gestützt auf seinen langen Erfahrungsschatz und gesunden Menschenverstand lenkt er unsere personalpolitischen Geschicke mit ruhiger, sicherer Hand. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass die gewerkschaftlichen und frauenpolitischen Forderungen nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatleben in unserem Betrieb in vielerlei Hinsicht umgesetzt sind. Betrachtet man es aus dem Blickwinkel des FES-Vorstandsvorsitzenden, Herrn Holger Börner, haben wir in der Bibliothek sowie schon paradiesische Zustände. Er gründet diese Einschätzung aber nicht nur auf unseren Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarungen, sondern vor allem auf den Neubauabschnitt II, der Anfang 1991 vollendet wird. Von ihm profitiert auch die Bibliothek in Form neuer Büro- und Magazinräume. Das Wichtigste aber ist: Der Ausleihbereich erstrahlt in völlig neuem Ambiente. Er wird um eine schöne Glashalle mit Leseecke und einen zusätzlichen Benutzersaal erweitert. Die Arbeitsplätze an der Theke werden heutigen technologischen Anforderungen gemäß ausgestattet. Das Mobiliar mit dem Charme der siebziger Jahre wird durch moderne, formschöne, funktionale Bibliotheksmöbel ersetzt. Und deshalb sagt Herr Börner, wenn er bei uns zu Gast ist, jedesmal: "Eigentlich müssten Sie Kurtaxe dafür zahlen, dass Sie hier arbeiten dürfen!" Soweit würden wir nicht gehen, sind aber dankbar, dass der Vorstand und das Geschäftsführende Vorstandsmitglied Dr. Burckhardt die für die Neugestaltung notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt haben. 1995 wird das letzte Relikt der konventionellen Bibliotheks-Ära aus dem Katalogsaal entfernt: der Zettelkatalog. Denn dank der äußert großzügigen finanziellen Unterstützung, 1994 durch den Geschäftsführer Dr. Burckhardt genehmigt, kann die Konversion des Zettelkataloges bereits nach einem Jahr erfolgreich abgeschlossen werden. Wir freuen uns sehr, dass der Geschäftsführer diesen weiteren, entscheidenden Modernisierungsschritt ermöglicht hat. Denn die Konversion bedeutet für uns und vor allem für die Benutzerinnen und Benutzer eine enorme Verbesserung der Arbeits- und Recherchemöglichkeiten. Im Sommer 1995 geht Herr Ziska in Ruhestand. Dr. Rüdiger Zimmermann wird sein Nachfolger. Somit lenkt nun einer der "Jungs" unsere Geschicke und kann seine Fähigkeit als kompetenter und erfolgreicher Bibliotheksleiter unter Beweis stellen. Seine nunmehr fast fünfjährige Bilanz ist beeindruckend.
[Seite der Druckausg.: 101]
1969-2069
Wenn dereinst unsere Nachfahren zum hundertsten Jubiläum wieder eine Festschrift herausgeben, werden sie dann noch wissen, wie dieser Titel korrekt nach RAK zu katalogisieren ist? Werden sie noch wissen, dass es sich nach § 128,6 bei "1969-2069" mitnichten um den Hauptsachtitel handelt, sondern der Haupteintrag unter "Hundert Jahre Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung" zu erfolgen hat? Oder werden sie unser gewichtiges Regelwerk dann ebenso milde-nachsichtig belächeln, wie wir heute die "Preußischen Instruktionen"? Wird es im Jahre 2069 einen Vorstand und eine Geschäftsführung der Friedrich-Ebert-Stiftung geben, die den Wert dieser großen und bedeutenden Sammlung zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung kennen und schätzen? Wird dieser Vorstand bereit sein, der Bibliothek die Wahrnehmung ihres Auftrag der Sammlung, Archivierung und Pflege des publizierten Gedächtnisses der Arbeiterbewegung zu ermöglichen? Wir hoffen und wünschen es. Diese Bibliothek, für die August Bebel im "Vorwärts" am 20. Februar 1878 mit seinem Artikel "Die Nothwendigkeit der Gründung einer allgemeinen Partei-Bibliothek" den Grundstein gelegt hat, hat bereits eine leid- und wechselvolle Geschichte erlebt. Zerstückelt, requiriert, verkauft, verschollen, fand nur ein kleiner Teil der historischen SPD-Bibliothek seine Heimat in unserer vor 30 Jahren gegründeten Bibliothek. Damals mit circa 80.000 Bänden bestückt, beeindruckt sie heute mit ihrem Bestand von 600.000 Bänden. Aber das eigentlich Bedeutende liegt hinter diesen Zahlen verborgen. "Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen", sagt Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht "Der Bücherfreund" und hat dabei vielleicht in erster Linie an die schöngeistigen Seelen gedacht. Wir beherbergen in unserer Bibliothek die "Seelen" der unzähligen Generationen von Namenlosen und Namhaften, die durch ihr Handeln die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaftsbewegung geschrieben haben und schreiben.
Doch trotz allem und vor allem: Immer und immer wieder von der Solidarität! [Seite der Druckausg.: 102] Diese Welt zu pflegen und zu erhalten ist unsere Aufgabe. Damit auch in siebzig und hundert Jahren die Generationen nach uns diese Welt betreten und die in ihr wohnenden Seelen für sie lebendig werden können. "Haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt?" "Ja! Und ich habe es nicht bereut!"
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