DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
17./20. Juli 1904

Der 5. Kongreß der christlichen Gewerkschaften in Essen fordert die christlichen Gewerkschaften auf, Arbeitslosenunterstützung einzuführen. Der Kongreß erkennt in der Arbeitslosenfürsorge eine der dringendsten Aufgaben der modernen Sozialpolitik und empfiehlt den Gewerkschaften die Einführung der Arbeitslosenunterstützung, fordert aber die reichsgesetzliche Regelung des Arbeitsnachweises und der Arbeitszeit, ferner vollständiges freies Koalitionsrecht für alle Arbeiter, damit sie die Selbsthilfe ungehindert organisieren können, sowie eine reichsgesetzliche Arbeitslosenversicherung unter Mitwirkung der Arbeiter.
In einer gesetzlichen Regelung der Heimarbeit und eines ausreichenden Schutzes der dort beschäftigten Arbeiternehmerinnen und Arbeiter sieht der Kongreß eine der nächsten und wichtigsten Aufgaben der gesetzlichen Sozialreform u.a. die Ausdehnung der Arbeiterversicherung auf die gesamte Heimindustrie; Unterstellung der Hausindustrie unter die Gewerbeinspektion, Verpflichtung der Unternehmer und Zwischenmeister zur Listenführung über die Hausgewerbetreibenden und Einführung von Lohnbüchern für alle Zweige der Hausindustrie; eine Wohnungskontrolle, die Festsetzung von Minimallöhnen durch gesetzlich zu schaffende gemeinsame Tarifkommissionen und die Überführung der Heimarbeit in Fabrikarbeit da, wo sie zu schweren Gesundheitsschädigungen führt.
Der Kongreß fordert die christlichen Arbeiter auf, mit vereinten Kräften für die Organisation der Heimarbeiter und -arbeiterinnen in christlichen Gewerkschaften zu wirken.
Der Kongreß betrachtet Arbeiterausschüsse als nützliche und notwendige Institutionen. Durch dieselben wird den Arbeitern Gelegenheit geboten, ihre Wünsche und Beschwerden durch Vertreter dem Arbeitgeber zu unterbreiten. Die Ausschüsse sind auch geeignet, die auf beiden Seiten oft bestehenden Vorurteile und falschen Ansichten zu beseitigen und kleine Differenzen, die nicht selten zu großen Schwierigkeiten führen, auf friedlichem Wege aus der Welt zu schaffen. Da die Einrichtung von Arbeiterausschüssen bei einem großen Teil der Unternehmer leider noch immer energischem Widerstand begegnet, so erachtet der Kongreß die gesetzliche Einführung derselben für Betriebe mit mehr als 20 Arbeitern für absolut geboten.
Mitglieder der Arbeiterausschüsse dürfen während ihrer Amtsdauer nicht entlassen werden.
Die Arbeiterausschüsse haben die Befugnis: Anträge, Wünsche und Beschwerden der Mitarbeiter der Betriebe den Arbeitgebern vorzutragen und sich in Zusammenkünften mit letzteren über dieselben gutachtlich zu äußern; in diesen Zusammenkünften über sonstige Fragen und Angelegenheiten, welche das Lohn- und Arbeitsverhältnis, insbesondere die Arbeitsordnung und Abänderungen derselben betreffen, ihr Gutachten abzugeben.
Der Kongreß ersucht die Staatsregierung und die gesetzgebenden Körperschaften, im Sinne des Vorstehenden, Arbeiterausschüsse gesetzlich einzuführen.
"Der Kongreß beauftragt den Gesamtverband, baldigst zu erwägen, innerhalb der nächsten 2 Jahre einen internationalen Kongreß christlich gesinnter Arbeiter aller Länder zwecks Förderung einer möglichst einheitlichen zielbewußten internationalen christlichen Gewerkschaftsbewegung einzuberufen."
In der Diskussion über den Geschäftsbericht wird von mehreren Delegierten beklagt, daß die gewerkschaftliche Arbeit nicht nur von den Behörden, sondern auch von Geistlichen behindert wird.
Von den rund 100.000 christlichen Gewerkschaften gehören rund 60.000 dem Bergarbeiter- und dem Textilarbeiterverband an. 80.000 der Gewerkschafter sind in Rheinland-Westfalen beheimatet.
In seiner Eröffnungsrede erklärte der Vorsitzende C. Schiffer, daß "der Arbeiterstand heutzutage noch vielfach statt Gerechtigkeit Unterdrückung, statt Achtung und Beachtung Mißachtung erfahre. Vor dem Gesetz, heißt es, sollen alle Staatsbürger gleich sein, aber der Arbeiter könne sich des Gefühls nicht entschlagen, daß ihm gegenüber oft Klassenjustiz gebraucht werde, so zum Beispiel bei der harten Bestrafung geringfügiger Streikvergehen".



Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | 1999