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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
15. Mai 1891

Papst Leo XIII erläßt die Enzyklika "Rerum novarum"; sie ist bis heute die grundlegende Stellungnahme der katholischen Kirche zur sozialen Frage. Papst Leo XIII. bestätigt die Teilung der Gesellschaft in zwei Klassen, die Verelendung der Besitzlosen und die Zuspitzung der sozialen Konflikte; den Sozialismus aber lehnt er strikt als Irrlehre und Irrweg ab. Der Auffassung des Sozialismus, daß eine Lösung der sozialen Konflikte nur durch die Aufhebung der kapitalistischen Eigentumsordnung und durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel möglich sei, stellt der Papst die Gewißheit entgegen, daß das Recht zum Besitz von privatem Eigentum ein dem Menschen von Natur aus zukommendes Recht sei.
Von diesem zentralen Satz leitet Leo XIII. seine Forderungen nach einer Reform der sozialen Zustände ab: Die sozialen Verhältnisse im allgemeinen und die Lohnverhältnisse des Arbeiters im besonderen müssen so gestaltet sein, daß der Erwerb von Eigentum möglich ist und daß besonders das kleine Eigentum geschützt wird. Diese Aufgaben werden dem Staat zugewiesen. Die natürliche Ordnung der Gesellschaft bedeutet nach päpstlicher Auffassung keine "Gleichmachung von hoch und niedrig, von arm und reich", vielmehr erfordert "das gesellschaftliche Dasein eine Verschiedenheit von Kräften und eine gewisse Mannigfaltigkeit von Leistungen. So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen".
Aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit ergeben sich für beide Verpflichtungen, für die Arbeiter u.a. "vollständig und treu die Arbeitsleistung zu verrichten" (sofern sie auf einem gerechten Vertrag beruht), "in der Wahrung ihrer Interessen sich der Gewalttätigkeit zu enthalten und in keinem Falle Auflehnung zu stiften"; die Arbeitgeber dagegen dürfen die Arbeiter "nicht wie Sklaven" behandeln, müssen deren persönliche Würde wahren: "dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vorenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel schreit". Grundsätzlich anerkennt also der Papst die kapitalistische Sozial- und Wirtschaftsordnung, er fordert nicht eine Reform des Systems, wohl aber eine der Gesinnungen: nur durch sie können die bestehende unerträgliche Klassentrennung und die scharf verurteilten Auswüchse der kapitalistischen Produktionsmethoden überwunden werden. Diese Reform der Gesinnungen aber ist die Aufgabe der Kirche. Aber nicht nur die Kirche, der Staat und die Besitzenden müssen für die Lösung der sozialen Frage Sorge tragen, sondern auch die Arbeiter selbst: sie werden vom Papst aufgefordert, sich zur Vertretung und Durchsetzung ihrer Rechte in christlichen Arbeitervereinen zusammenzuschließen; auch der Streik wird nicht generell ausgeschlossen.



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