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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
1885

Nach einer Befragung des Allgemeinen Brauerverbandes, ergibt sich eine Nettoarbeitszeit von durchschnittlich 13,2 Stunden bei seinen Mitgliedern. In Hildesheim und Zwickau werden 15 Stunden gearbeitet, in Norden 16 bis 18 Stunden - und zwar auch an Sonn- und Feiertagen. Zu keiner Nachtstunde sind die Brauer sicher, nicht zu Extraarbeit aus dem Schlaf geholt zu werden. Das hat zur Folge, daß ein Brauer mit 35 Jahren als "ausgedient" gilt und seinen Beruf aufgeben muß. Nur in wenigen größeren Städten wie Hannover und Dresden gibt es in einigen Brauereien schon den 12-Stunden-Tag. 6 Stunden Ruhezeit seien für einen Brauergesellen genug, erklärt ein Stuttgarter Brauereibesitzer, weil ihm bei längerer Zeit zu viel Gelegenheit zur Selbstbildung bleibe. Das sei weder wünschenswert noch notwendig.
Bei den Bäckern und Fleischern wird zum großen Teil noch länger gearbeitet.
Bei Bäckern und Konditoren, Metzgern und Brauern, in geringerem Maße auch bei Kellnern und anderen Gastwirtsgehilfen, ist das Kost- und Logiswesen üblich. Lehrlinge wie Gesellen wohnen und essen im Betrieb bzw. im Haus des Meisters. Sie können so zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Arbeit herangezogen werden und befinden sich unter ständiger Aufsicht.

Der Vorstand der Gewerkvereine übermittelt in einer Petition an den Reichstag seine Vorstellungen zum Arbeitsschutz:
Der Staat hat die Aufgabe und Pflicht, soziale Mißstände, welche die körperliche und geistige Gesundheit zahlreicher Arbeiter und damit die äußere und innere Sicherheit des Gemeinwesens gefährden, mit aller Kraft zu bekämpfen und zwar u.a. durch folgende Hauptmittel:
Eine mit der Zeit fortschreitende Volkserziehung, welche, auf klares Denken, sittliches Wollen und verständiges festes Handeln gerichtet, für das praktische Leben und seine Kämpfe vorbereitet.
Die Gewerkvereine fordern die Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit und gesetzlich geschützte Berufsorganisationen der Arbeiter sowie einen internationalen Arbeitsschutz.
Die Gewerkvereine verlangen konkret: das Verbot jeder gewerblichen Arbeit von Kindern unter 14 Jahren, der Sonntags- und Nachtarbeit, sowie der Arbeit in besonders gesundheitsschädlichen Betrieben und Festsetzung einer höchstens 10stündigen Arbeitszeit für jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren in Fabriken; dieselben Vorschriften für Arbeiterinnen; möglichste Trennung der Geschlechter, frühere Entlassung verheirateter Frauen und Verbot der Beschäftigung während insgesamt 8 Wochen vor und nach der Entbindung; einen baldigen Erlaß allgemein bindender Vorschriften zum Schutz für Leben und Gesundheit der Arbeiter; eine wesentliche Vermehrung der Fabrikinspektoren, welchen ständige paritätische Ausschüsse zur Seite zu setzen sind; die Vorschrift, daß Fabrik-, Werk- und Arbeitsordnungen nur nach Anhörung der Arbeiter und mit Genehmigung der Fabrik-Inspektoren erlassen und abgeändert werden dürfen; das Verbot der Herstellung gewerblicher Erzeugnisse für den Privatbedarf in Straf- und ähnlichen Anstalten.
"Alle diese gesetzlichen Zwangsbestimmungen halten wir aber für ungenügend, wenn nicht einerseits durch Erleichterung der übermäßigen und ungerechten Steuern, und andererseits durch Normativgesetze für die Berufsvereinigungen zur Wahrung der Rechte und Interessen der Beteiligten die materielle Lage und die eigene genossenschaftliche Tätigkeit der Arbeiter in vertrauensvollem und versöhnendem Sinne gefördert werden."

Der "Reise- und Unterstützungsverein deutscher Böttcher" wird gegründet. Er nennt sich 1887 um in "Zentralverein der deutschen Böttcher".

Der Düsseldorfer Regierungspräsident Hans Hermann v. Berlepsch regt die Gründung eines "Bergischen Vereins für Gemeinwohl" an, dem einige Jahre später auch ein linksrheinischer Verein zur Seite tritt. Diese Arbeitgebervereine wollen "mit vereinten Kräften berechtigten Wünschen des vierten Standes durch Taten christlicher Liebe und Humanität" entgegenkommen. 1887 stiftet der Bankier August von der Heydt der Elberfelder Ortsgruppe dieses Vereins einen Geldbetrag und ein Grundstück, auf dem nach seinem Willen ein Erholungshaus für Arbeiter gebaut werden soll. Die Idee zu einem solchen Haus, das in der Folgezeit auch entsteht und Platz für 30 Arbeiter bietet, geht auf Vorbilder in Frankreich und besonders in England zurück. In Deutschland gibt es nur drei schon bestehende Vorbilder in München, Straßburg und Frankfurt/Main, die ebenfalls auf privaten Stiftungen beruhen. Um 1890 werden in Berlin und Nürnberg dann auch Häuser auf Gemeindekosten mit Unterstützung der Ortskrankenkassen gebaut. Nach dem Willen des Elberfelder Stifters soll das Haus erholungsbedürftigen Arbeitern, vor allem Rekonvaleszenten, ein "Asyl" sein, in welchem "sie sich im Sommer eine zwei- bis dreiwöchige Erholung gönnen und dadurch ihr Kräfte wiederherstellen können". Die Stadt Elberfeld erklärt sich bereit, das Haus in städtische Regie zu übernehmen.
Bei diesen Bemühungen, Arbeitern eine längere Erholungspause zu ermöglichen, geht es fast ausschließlich um eine Wiederherstellung der Kräfte nach einer schweren Krankheit oder bei völliger Erschöpfung. Außer durch eine niedrige Selbstbeteiligung des Arbeiters sollen die Kosten durch die Krankenkassen und - je nach Bedürftigkeit - durch Stiftungen aufgebracht werden. Bei der in dieser Zeit beginnenden Diskussion um eine Erholung des Arbeiters geht es vornehmlich um die Abschaffung der Sonntagsarbeit in möglichst allen Gewerben. Mit den Argumenten, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie werde darunter leiden, die Autorität und die Entscheidungsfreiheit der Unternehmer würden dadurch zu sehr eingeschränkt und von einem Zuviel an freier Zeit gingen auch Gefahren für das leibliche und sittliche Wohl der Arbeiter aus, werden aber alle Gesetzesinitiativen, die die Sonntgsarbeit einschränken wollen, mehrfach in den 80er Jahren, zuletzt 1889, von Bismarck und vom Bundesrat abgelehnt.

In mehreren Berichten weist der Oberpräsident der Rheinprovinz auf die Bedeutung der Fachvereine auch für die Ausbreitung sozialdemokratischer Ideen hin, wobei die Ausdehnung auf "Unterstützungs-, Spar-, Sing-, Rauch- und andere gesellige Vereine" neben dem Bestreben bemerkt wird, "durch Veranstaltungen von Festlichkeiten" in der Arbeiterschaft attraktiv zu bleiben.


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