Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den
Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger
Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999
Nach zahlreichen Streiks und der Aussperrung aller Gewerkschaftsmitglieder, an der sich jedoch nicht alle Buchdruckereibesitzer beteiligen, beginnen am 1. Mai gemeinsame Beratungen über einen gesamtdeutschen Tarifvertrag. Nach vier Tagen wird einstimmig ein Reichstarifvertrag angenommen, der als wesentlichen Erfolg für die Gehilfen neben der Festsetzung einer ohne Pausen neuneinhalbstündigen Arbeitszeit, die Einführung der Alphabetberechnung und eine differenzierte Berechnung der Akkordarbeit enthält und der bis 8. Mai 1876 in "unanfechtbarer Gültigkeit" in Kraft bleiben soll. Der erste gesamtdeutsche Tarifvertrag überhaupt tritt am 9. Mai in Kraft. Eine der wichtigsten Abmachungen, die in dem nachträglich angegliederten "Tarifanhang" getroffen werden, ist die Verpflichtung beider Parteien zur Wahrung des Arbeitsfriedens während der Laufzeit des Tarifvertrags. "So lange der Tarif besteht, verpflichten sich Principale wie Gehülfen, nicht durch Strike, resp. Aussperrung eine Änderung des Tarifs zu erzwingen, vielmehr alle Differenzen über Handhabung und Auslegung desselben durch Schiedsgerichte, resp. durch das Einigungsamt entscheiden zu lassen, deren Ansprüchen unweigerlich Folge zu leisten ist." Dieser Tarifabschluß ist zweifellos nicht durch eine generelle Verhandlungsbereitschaft der Prinzipale zustandegekommen, sondern durch den Druck einer gut organisierten Gehilfenschaft unter besonderen, für die Arbeiterseite äußerst günstigen Arbeitsmarktbedingungen erzwungen worden.
Stichtag:
5. Mai 1873
In der Folgezeit nutzen deshalb zahlreiche Prinzipale die Chance, eigenmächtig die Tariflöhne zu senken.
1874/1875 erkennen nur etwa ein Drittel der Mitglieder des Unternehmerverbandes die tariflichen Vereinbarungen an.
Der Versuch der organisierten Buchbindergehilfen, in Leipzig zur gleichen Zeit einen einheitlichen "Akkordtarif" durchzusetzen, scheitert am Widerstand der Unternehmer.