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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
26./29. September 1868

Der von J. B. v. Schweitzer und F. W. Fritzsche nach Berlin einberufene Arbeiterkongreß, auf dem 206 Delegierte die 56 Gewerbezweigen angehören, aus 110 Orten angeblich 142.000 Arbeiter vertreten, beschließt die Bildung eines "Allgemeinen Deutschen Arbeiterschaftsverbandes" als Dachverband einzelner Gewerkschaften, zu dessen Präsident J. B. v. Schweitzer gewählt wird. K. Marx lehnt die ihm von J. B. von Schweitzer übersandten Statuten ab, da die Organisation des Verbandes nach dem Muster des ADAV entworfen sei.
Eine Delegation von Berliner Maschinenbauern unter Führung von M. Hirsch versucht, den Kongreß für ihre Gewerkschaftsvorstellungen zu gewinnen. Nach heftigen Auseinandersetzungen wird M. Hirsch des Saales verwiesen. M. Hirsch ruft daraufhin zur Bildung von Gewerkschaften "nach englischem Muster" auf.
Nach einer Vorlage, die J. B. von Schweitzer und F. W. Fritzsche dem Kongreß vorlegen, sollen 33 Gewerkschaften gegründet werden, die zusammen einen Verband bilden sollen, dessen Spitze, ein Präsidium, die Leitung in der Hand hat. Der Kongreß verringert die Zahl der zu gründenden Gewerkschaften auf 12. Er nennt sie, um zünftlerische Anklänge auszuschalten, auch nicht Gewerkschaften, sondern Arbeiterschaften und den Verband dementsprechend Arbeiterschaftsverband.
Es wird für die einzelnen Arbeiterschaften eine Mustersatzung ausgearbeitet, in der als Zweck der Vereinigung bezeichnet wird, daß sie "die Ehre und die materiellen Interessen der Beteiligten zu wahren und zu fördern" habe. Als Mitglied wird zugelassen jeder Arbeiter, jede Arbeiterin, jeder Kleinmeister und jede Kleinmeisterin des betreffenden Gewerbes. An der Spitze jeder Arbeiterschaft steht ein Präsidium und ein Ausschuß. Oberste Behörde ist die Generalversammlung. Neben der Maßregelungs- und Streikunterstützung sieht das Musterstatut noch die Reiseunterstützung vor, auch soll Sterbegeld gezahlt werden.
Jede Arbeiterschaft kann ihre Satzung und Einrichtungen selbständig regeln, hat sich aber "den Beschlüssen und Anordnungen der Generalversammlung und der Behörden des Verbandes zu fügen".
Als Leitung des Arbeiterschaftsverbandes wird ein Präsidium - ein Präsident und zwei Vizepräsidenten - eingesetzt. Neben ihm amtiert ein Zentralausschuß, der aus den Präsidenten der einzelnen Arbeiterschaften besteht. Das Verbandspräsidium soll die Beschlüsse des Gesamtausschusses zur Ausführung bringen sowie die Agitation, die Verwaltung und den Geschäftsgang im Verband leiten. Das Präsidium wird durch Urwahlen gewählt.
Die Arbeitseinstellungen sind Sache der einzelnen Arbeiterschaften. Diese können jedoch beantragen, daß sie zur Verbandssache gemacht werden sollen.
Der Zentralausschuß entscheidet dann, ob eine Arbeitseinstellung auf Kosten des Gesamtverbandes begonnen oder eine bereits begonnene unterstützt werden soll. Bejahendenfalls soll er die erforderlichen Mittel bewilligen.
Zum Präsidenten des Arbeiterschaftsverband wird J. B. v. Schweitzer, zum ersten Vizepräsidenten F. W. Fritzsche gewählt.
In der Diskussion taucht der Gedanke auf, zu prüfen, ob es nicht besser sei, anstatt der Einzelverbände einen allgemeinen, alle Berufe umfassenden Verband zu gründen. Einzelne Delegierte bezeichnen den Aufbau der Gewerkschaften nach Berufen sogar als ein reaktionäres Werk. J. B. von Schweitzer spricht sich dagegen aus. Er spricht den Freunden einer solchen Auffassung das Verständnis für die Gewerkschaftsbewegung ab. Wohl sei in der Parteibewegung, wo allgemeine Interessen zu vertreten seien, eine einzige Organisation notwendig; in der Gewerkschaftsbewegung sei es anders. Hier handle es sich um Arbeitseinstellungen. Die Leitung solcher müsse auf Fachkenntnis und auf dem richtigen Urteil darüber beruhen, ob die Forderungen den Verhältnissen entsprächen.

Neben dem Kongreß werden auf separaten Konferenzen die folgenden Gewerkschaften gegründet:
Die "Allgemeine Genossenschaft der Berg- und Hüttenarbeiter". Ihr werden die Arbeiter in den Hammer-, Walz- und Stahlwerken zugeteilt. Vorsitzender wird Carl Wilhelm Tölcke. Sie wird Juli 1869 verboten, weil sie politisch sei;
die "Allgemeine Deutsche vereinigte Metallarbeiterschaft", die auch die Eisengießer organisieren soll;
die "Allgemeine Deutsche Genossenschaft der Hand- und Fabrikarbeiter" - organisiert ungelernte Arbeiter und Arbeiter in "chemischen Fabriken", zu denen auch Zucker- und Papierfabriken gerechnet werden;
die "Allgemeine Deutsche Arbeiterschaft der Färber, Weber und Manufakturarbeiter";
der "Allgemeine Deutsche Schuhmacherverein";
der "Allgemeine Deutsche Bäckerverein";
die "Allgemeine Deutsche Arbeiterschaft der Buchbinder, Lederarbeiter, Sattler, Riemer und Handschuhmacher";
der "Gewerkverein Deutscher Holzarbeiter", Vorsitzender wird Theodor Yorck, der direkt eine Reiseunterstützung für wandernde, gemaßregelte und arbeitslose Mitglieder einführt;
die "Allgemeine Deutsche Maurergewerkschaft".
Von den bereits bestehenden Gewerkschaften schließt sich der "Allgemeine Deutsche Schneiderverein" zunächst provisorisch an, zahlt aber nie Beiträge. Die Zimmerer und Tabakarbeiter machen den Beitritt von einem Beschluß ihrer Generalversammlung abhängig. Die Zimmerer beschließen den Anschluß, während die Tabakarbeiter sich zunächst noch abwartend verhalten und auch keine Beiträge bezahlen. Die Buchdrucker werden nicht Mitglied.



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