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Reinhard Mutz

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

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Ein historisches Lehrstück

Die Themenfrage läßt sich nicht schlichtweg verneinen. Denn es gibt bestätigende Beispiele, wenngleich nicht in allzu üppiger Zahl. Ich nenne eines und chiffriere der Einfachheit halber die beteiligten Akteure: Zwei politische Einheiten, A und B, liegen miteinander im Streit. A wähnt sich schwächer als B und verbündet sich, um den Nachteil auszugleichen, mit einem Dritten: C. So gestärkt schreiten A und C gemeinsam zur Tat, überfallen B, erobern sein Territorium und nehmen es in Besitz. In seiner Bedrängnis ruft B das übergeordnete Gemeinwesen zu Hilfe: D. Dieses entsendet eine kopfstarke Streitmacht, die das besetzte Gebiet umstellt und vollständig einschließt. Die Okkupanten erkennen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage, sie ziehen sich zurück. Kein Schuß ist gefallen. Die Streitsache kommt vor Gericht und wird durch Schiedsspruch geschlichtet.

Ein glücklicher Ausgang, eine idyllische Geschichte, ein authentischer Fall! Die Handelnden waren:

A - das Amt Zug (in der Schweiz) bzw. die Landgemeinden des Amtsbezirks,

B - Die Stadt Zug, der Amtssitz,

C - der Kanton Schwyz,

D - die alte Schweizer Eidgenossenschaft.

Es handelt sich um den literatureinschlägigen Zuger Banner- und Siegelstreit. Leider ist der Fall nicht mehr ganz jungen Datums, er spielte im Jahr 1404. Gleichwohl vermittelt er wichtige Einsichten.

Zum einen belegt der Vorgang, daß sich die Beendigung eines gewaltträchtigen Konflikts durch das Eingreifen Außenstehender nicht nur vorstellen läßt, sondern in prinzipiell wiederholbarer Weise stattgefunden hat. Zum anderen verdeutlicht er mit geradezu schulbeispielhafter Klarheit, welche Merkmale gegeben sein müssen, damit eine Intervention nicht nur als erfolgreich, sondern auch als gerechtfertigt angesehen werden kann. Es sind dies Merkmale, die das Einschreiten als Vorgehensweise eines Systems kollektiver Sicherheit kennzeichnen, drei an der Zahl:

1.) Der Aggressor ist durch die Verbindung von Rechtsbruch und Gewalthandlung eindeutig identifiziert.

2.)..Eine Institution existiert, die berechtigt (wenn nicht gar verpflichtet) ist, einzugreifen.

3.) Diese Institution verfügt neben der rechtlichen Befugnis auch über die politische Bereitschaft und die materielle Fähigkeit zur wirksamen Intervention.

Möglicherweise sind internationale Interventionen der jüngsten Vergangenheit weniger überzeugend ausgefallen, weil es an einem oder mehreren dieser Merkmale gefehlt hat. Es kann aber auch sein, daß von vornherein elementare Voraussetzungen für den Erfolg eines militärischen Eingreifens überhaupt nicht vorhanden waren. Betrachten wir daraufhin die kritischen Fälle, die in den letzten Jahren gerade die deutsche Öffentlichkeit bewegt haben und noch bewegen.

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Das Beispiel Jugoslawien

Haß und Demagogie, genährt aus feindseligem Nationalismus, sind die Triebkräfte des Krieges im früheren Jugoslawien. Aber das Phänomen beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Land. Es breitet sich unterschiedlich virulent über das gesamte ehemalige sozialistische Lager. Nirgendwo markieren bestehende Staatsgrenzen geschlossene Siedlungsgebiete homogener Nationalitäten. Mischungs- und Überschichtungsverhältnisse gibt es in vielen Varianten. Jeder der alten und jeder der neu entstandenen Staaten Ostmittel-, Südost- und Osteuropas hat innerhalb oder außerhalb seiner Grenzen ein spezifisches Minderheitenproblem oder eine Kombination von Minderheitenproblemen. Das darin enthaltene Konfliktpotential neigt zur Selbstentzündung und hat sich in Jugoslawien am gewalttätigsten entladen.

Ein regionaler Kriegsherd mitten in Europa mit dem Risiko der Ausweitung zum Flächenbrand mußte in den europäischen Hauptstädten alle Alarmglocken schrillen lassen. Der Versuch, das Feuer durch eine bewaffnete Intervention auszutreten, ist dennoch aus guten Gründen unterblieben. Einer der Gründe war die Unklarheit, gegen welche Streitpartei wie vorzugehen sei, um welches politische Ziel durchzusetzen. Die klassische Forderung an einen Aggressor ist die Wiederherstellung des status quo ante. Der status quo ante auf dem Balkan war der jugoslawische Bundesstaat. Für den Erhalt des multinationalen Bosnien-Herzegowina Krieg zu führen, nachdem man der Beseitigung des multinationalen Jugoslawien gerade Beihilfe geleistet hatte, wäre ein zweifelhafter Interventionsgrund gewesen.

Neben der Intervention zur Beendigung eines Krieges erlangt neuerdings die humanitäre Intervention wachsende Aufmerksamkeit. In Jugoslawien ließen sich Einsatzaufträge für Eingriffsstreitkräfte vorstellen, die nicht die aktive Bekämpfung einer der kriegführenden Seiten bezwecken, sondern die sich auf Hilfeleistung für zivile Kriegsopfer beschränken und insofern auf Zustimmung in der europäischen Öffentlichkeit zählen können. Die Entsetzung belagerter Ortschaften und die Versorgung der dort verbliebenen Bevölkerung, die Auflösung von Lagern, in denen Zivilpersonen gefangengehalten und der Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt werden, die Einrichtung und Sicherung von Schutzzonen für Flüchtlinge sind Beispiele solcher Hilfsmissionen unterhalb der Schwelle militärischer Kampfhandlungen. Sie sind es wohl aber nur in der Theorie. Sie würden augenblicklich zu militärischen Operationen, sobald sich ihnen, womit gerechnet werden müßte, bewaffneter Widerstand entgegenstellt. Diesen Widerstand überwinden zu können, wäre also ein von vornherein in die Einsatzplanung einzubeziehendes Erfordernis, was den Bedarf an Mannschaftsstärke entsprechend erhöhen würde. Eine zusätzliche Kriegspartei träte auf den Plan. Ob das zur Abkürzung des Krieges und zur Verminderung seiner Opfer beitrüge, ist ungewiß. In den zuständigen Gremien der NATO sind mehrfach Szenarien dieser Art entwickelt, durchgerechnet und regelmäßig verworfen worden.

Verallgemeinert besagt das jugoslawische Beispiel, daß sich ein militärischer Mitteleinsatz nicht schon durch das Ziel rechtfertigt, das er verfolgt, wenn nicht auch gewährleistet ist, daß das Ziel erreicht wird. Mit anderen Worten: Der Einsatz muß rechtfertigungsfähig und politisch verantwortbar sein. Gewalt, die Kriegsleid mindern soll, aber das Kriegsleid vermehrt oder verlängert, wird ihre öffentliche Billigung rasch wieder verlieren. Inwieweit konkrete Aktionen den beiden Kriterien genügen, läßt sich nur an realen Gegebenheiten beurteilen. In Bosnien-Herzegowina jedenfalls befürwortet eine Mehrzahl der Experten kriegsbeeinflussende Operationen zu Lande, wie begrenzter Zielsetzung auch immer, mangels Erfolgsaussicht und Verhältnismäßigkeit nicht.

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Das Beispiel Somalia

Wie Jugoslawien für Europa, so verkörpert Somalia für Afrika einen in Grenzen repräsentativen Konflikttyp. Erschöpft und ausgezehrt durch lange Jahre des Bürgerkriegs, den Ost wie West mit Waffen gespeist haben, Massen von Flüchtlingen und Vertriebenen, Zerstörung der agraren Subsistenzbasis, Zusammenbruch ziviler Infrastruktur - ein Lagebild, das sich ganz ähnlich in etlichen weiteren schwarzafrikanischen Staaten findet. Der bewaffnete Schutz der Versorgungstransporte in die Hungergebiete Somalias wurde zum Probelauf einer neuen Interventionsform, des "robusten peacekeeping". Tatsächlich hat das amerikanische Unternehmen restore hope, das im Dezember 1992 anlief, die Verteilung der internationalen Lebensmittelhilfe sicherstellen können. Das Massensterben in den Flüchtlingssammellagern nahm ein Ende. Dieses Nahziel war nach rund drei Monaten erreicht. Von da an hätte die Mission entweder eingestellt oder mit einem neuen, militärisch lösbaren Auftrag versehen oder durch ein breites entwicklungspolitisches Wiederaufbauprogramm abgelöst werden müssen.

Statt dessen verbiß sich die amerikanische Rangertruppe in einen lärmenden Sonderkrieg gegen die Milizen des General Aidid. Bilder massakrierter US-Soldaten brachten die Heimatfront ins Wanken. Dem hastigen Abzug der Amerikaner aus Somalia folgte ein nationales UN-Kontingent nach dem anderen, darunter das der Bundeswehr, die in dem Wüstenflecken Belet Huen ihren bisher kostspieligsten Auslandseinsatz bestritten hat. Die dauerhafte Befriedung des Landes konnte nicht bewirkt werden, die UN-Mission gilt als gescheitert. Inzwischen sind die Scheinwerfer abgebaut, die Blauhelm-Nachhut verläßt gerade das Land. Die Somalier sind wieder sich selbst und ihren undurchsichtigen Fehden überlassen.

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Das Beispiel Irak

Die internationale Diskussion über angemessene Formen und Mittel der Friedenssicherung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts reicht allerdings noch weiter zurück. Sie begann im Grunde mit dem Golfkrieg des Jahres 1991. Er ist das einzige Beispiel einer im technischen Sinne gelungenen Intervention. Über deren Anlaß gehen die Meinungen kaum auseinander. Der Staat, der einen anderen Staat okkupiert und annektiert, begeht einen schweren Bruch des Völkerrechts. Dem Aggressor Irak seine Kriegsbeute unbehelligt zu belassen, hätte die internationale Gemeinschaft für das Unrecht mitverantwortlich gemacht. Eine andere Frage ist, ob sich verantworten läßt, einer völkerrechtswidrigen Gewalt ein beliebiges Vielfaches an Gegengewalt entgegenzusetzen. Gemessen am Verhältnis von Kampfdauer, Mitteleinsatz und Schadensumfang war desert storm die massivste Kriegshandlung dieses Jahrhunderts. Sie wurde einem Land gegenüber exekutiert, das mit seiner Abhängigkeit von einem einzelnen Exportgut - Erdöl - und seiner gleichermaßen hohen Abhängigkeit von Importen an Lebensmitteln geradezu lehrbuchhaft Voraussetzungen für die Wirksamkeit nichtmilitärischer Sanktionsmittel bietet. Daß dieses Instrumentarium ausgeschöpft worden ist, ehe der Entschluß zum Krieg fiel, kann niemand behaupten.

Hinzu kam, daß die politische Glaubwürdigkeit westlicher Interventionsbereitschaft beschädigt wurde. Territoriale Expansion, gewaltsame Landnahme waren in dieser Region kein Einzelfall. An entschiedenen Verurteilungen der einschlägigen Vorgänge durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen herrschte gleichfalls kein Mangel. Dennoch hat nie eine westliche Regierung ernsthaft vorgeschlagen, z.B. die Marokkaner aus der Westsahara herauszubomben, oder die Syrer aus dem Libanon, oder die Israelis aus der Westbank. Man frage nach dem Unterschied zwischen der Westsahara, dem Libanon, der Westbank einerseits und Kuweit andererseits - und ahnt den Grund für das Handeln nach zweierlei Maß.

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Einige politische Folgerungen

Können internationale Interventionen Kriege verhindern oder beenden? Natürlich genügen drei einzelne Fallbeispiele nicht für generelle Aussagen. Überdies handelt es sich in zwei Fällen um Bürgerkriege und nicht um zwischenstaatliche Konflikte, wie sie das Völkerrecht im Auge hat, wo es sich mit internationaler Friedenssicherung befaßt. Wenn die Antwort skeptisch ausfallen muß, so mit derselben Begründung, die auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministers vom November 1992 anführen. Dort ist von einem künftigen Risikopotential die Rede, dessen Ursachen soziale, ethnische, religiöse Gegensätze, das globale Wohlstands- und Entwicklungsgefälle sowie demographische, ökonomische und ökologische Fehlentwicklungen sind. Die Folgerung lautet: Diese regionalen Krisen und Konflikte "sind aufgrund ihres Ursachencharakters nicht militärisch lösbar. Sie können auch nicht mit militärischen Potentialen ausbalanciert werden." Dem Urteil ist zuzustimmen. In aller Regel nimmt sich das militärische Instrumentarium als zu grobschlächtig aus, um kriegsverhindernde oder kriegsbeendende Wirkungen zu zeitigen, die auch den Ansprüchen von Gerechtigkeit, Verantwortbarkeit und Verhältnismäßigkeit genügen. Die Irak-Invasion von 1991 ist kein Gegenbeispiel. Sie hat durch Krieg einen Landraub rückgängig gemacht und den Aggressor bestraft, aber gerade nicht einen Krieg verhindert oder beendet.

Ein zu pessimistisches Fazit? Krieg ist kein Naturunglück, sondern das Handeln von Menschen, nicht Schicksal, sondern Politik. Auch Kriegsverhütung ist Politik und erfordert Politik. Daß im Verhalten von Regierungen dieser Aufgabe dieselbe Priorität zukäme wie in ihren Erklärungen, läßt sich nicht erkennen. Bei jedem bewaffneten Konflikt sind gegenüber den Wenigen, die das Kriegsverbot verletzen, die Vielen, die es beachten, weltweit in erdrückender Überzahl. Doch die reichen Mächte zögern, die vorhandenen Kräfte wirksam zu bündeln. Nichts verrät mehr über den wirklichen Zustand der Vereinten Nationen als die Klage ihres Generalsekretärs, daß für die wachsende Zahl multinationaler Friedensmissionen der Weltorganisation in einem ganzen Jahr gerade soviel Mittel zur Verfügung stehen wie für die nationalen Streitkräfte und Rüstungen an einem einzigen Tag. Hatten zu Zeiten des Abschreckungsfriedens Armeen vor allem den politischen Zweck, den Ausbruch von Kriegen zu verhindern, so sollen sie nun eher deren Ausgang militärisch bestimmen. In diesem Licht verändert die Frage nach der friedenspolitischen Tauglichkeit internationaler Interventionen ihren Sinn.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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