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Peter Heinrich Carstens

Chief of Staff, Supreme Allied Commander Europe

Mein beruflicher Lebensweg hat es ganz ohne eigenes Zutun mit sich gebracht, daß ich in den zurückliegenden drei Jahren an mindestens zwei Stellen sehr unmittelbar mit Interventionen und Operationen für die Vereinten Nationen oder im Dienste der Vereinten Nationen zu tun hatte, nämlich in Vorbereitung des deutschen Unterstützungsverbandes für UNOSOM in Somalia und nunmehr seit 18 Monaten bei den schwierigen, komplizierten und häufig auch frustrierenden Erfahrungen, die wir machen müssen in dem Bemühen, die Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien zu unterstützen.

Nach den Beobachtungen, die ich dabei gemacht habe, sind es drei Faktoren, die über Erfolg und Mißerfolg solcher Interventionen entscheiden. Zum ersten das Mandat. Hans-Joachim Vergau hat hier, glaube ich, schon genügend gesagt über die unzureichenden Möglichkeiten, die im allgemeinen ein Mandat nach Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen bietet, jedenfalls gemessen an den Erwartungen, die an solche Einsätze auch in der Öffentlichkeit geknüpft werden. Ein Mandat nach Kapitel VI vermag eben nicht mehr, als Kriegsparteien, die den Weg zum Frieden suchen, aber ohne fremde Hilfe nicht finden, auf dem Wege des Konsenses dahin zu helfen. Ein Mandat nach Kapitel VI vermag nicht mehr, als die Folgen des Krieges zu mildern, indem man seinen Opfern hilft. Allenfalls ist es auch noch ein geeignetes Mittel - nicht ganz ohne Wirkung, nebenbei bemerkt -, Weltöffentlichkeit herzustellen.

Anders Kapitel VII. Es enthält das Recht, Zwangsmaßnahmen anzuwenden, und bei entsprechend energischem Vorgehen und ausreichenden Kräften ist es jedenfalls potentiell geeignet, einen Waffengang zu beenden. Im allgemeinen aber haben wir in den zurückliegenden Einsätzen nicht mehr gesehen als eine Begrenzung der Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung.

Der zweite wichtige Faktor ist der politische Wille, der hinter dem Vollzug des Mandats steht. Und der politische Wille entsteht natürlich in demokratisch verfaßten Gesellschaften in der öffentlichen, politisch geführten Diskussion und kann nur sehr begrenzt "von oben" verordnet werden. Die Beteiligung, zumal an einem Einsatz nach Kapitel VII, ist ohne ein Mindestmaß politischer Akzeptanz in den truppenstellenden Ländern nicht denkbar. Und die politische Akzeptanz wird natürlich ganz wesentlich davon beeinflußt, ob nationale Interessen berührt sind und ob die Risiken, gegebenenfalls Opfer, überschaubar bleiben. Diese beiden Grundtatsachen vermag auch der von uns gelegentlich salopp so bezeichnete "CNN-Effekt" nur begrenzt zu überlagern. Die Tatsache, daß schreckliche Bilder ihre suggestive Kraft in Wohnstuben verbreiten, ist natürlich geeignet, Akzeptanzprozesse in eine bestimmte Richtung zu drängen. Wir haben das besonders eindrucksvoll am Beispiel Somalia erlebt. Die humanitäre Intervention in Somalia ist letztlich ausgelöst worden durch die schrecklichen Hungerbilder, die wir aus diesem Land gesehen haben, wie umgekehrt der kurzfristige Rückzug des amerikanischen Kontingents auf einen ähnlichen, eben nur entgegengesetzten Effekt zurückzuführen war.

Schließlich, und das ist, denke ich, aus militärischer Sicht ein ganz entscheidendes Element, Kräfte und Mittel müssen ausreichen. Dabei ist zu sehen, daß einstweilen die Träger des Mandates, die Vereinten Nationen oder z.B. die OSZE, weder über eigene Kräfte noch über eigene militärische Führungs- und Kommandostrukturen verfügen, sondern auf das angewiesen sind, was die truppenstellenden Nationen ihnen freiwillig zu geben bereit sind. Daran scheitert häufig die Bereitstellung hinreichend robuster und auftragsgerecht bewaffneter Kontingente, zumal die Zahl der potentiellen Kandidaten, die das militärische Potential besitzen, an solchen Operationen erfolgreich teilzunehmen, nicht endlos ist.

Dabei spielt insbesondere natürlich auch der überproportional große Bedarf an logistischer Unterstützung eine Rolle. Gemessen an herkömmlichen Operationen, wie wir sie in Zentraleuropa Dutzende von Malen durchgespielt haben zu Zeiten des Kalten Krieges, ist der logistische Apparat, der für eine Operation in einem weit entlegenen, geographisch schwer zugänglichen Gebiet notwendig ist, um ein Mehrfaches größer. Und die Zahl der Länder, die über so etwas verfügen, ist sehr begrenzt. Das war letztlich auch ausschlaggebend dafür, daß die Vereinten Nationen sich an die Bundesrepublik gewandt haben, als es darum ging, einen Logistikverband für Somalia bereitzustellen.

Und schließlich Führungsstrukturen. Wir erleben sehr schmerzhaft, daß die Führungsstrukturen, die die Vereinten Nationen notgedrungen von Fall zu Fall ad hoc bilden müssen, in aller Regel nur sehr ungenügend ausgelegt und ausgebildet sind. Ich sehe keine Organisation, die eine integrierte, funktionierende Führungsstruktur besitzt, wie die NATO sie hat. Zugegeben, einstweilen nur für Einsätze innerhalb des NATO-Vertragsgebiets, aber auch dieser Mangel ist erkannt. Das, was unter der etwas irreführenden Formel CJTF bekanntgeworden ist, ist ja der Versuch, diese Führungslücke zu füllen, die NATO zu befähigen, gegebenenfalls im Dienste der Vereinten Nationen oder anderer Organisationen auch außerhalb des NATO-Vertragsgebiets zu operieren. Und schließlich zum Thema Kräfte, Mittel und Führungsstrukturen noch eine notwendige Bemerkung: Unklare Befehlsstrukturen oder eine nicht funktionierende Teilung der Verantwortung ist ein sicherer Weg zum Mißerfolg. Und auch dafür bietet das, war wir in Somalia beobachten, ein deutliches Beispiel.

Abschließend noch zwei, drei Punkte, die gelegentlich in der Bewertung dessen, was die Vereinten Nationen unternehmen, übersehen werden. Eine Intervention sollte erstens nur ins Auge gefaßt werden, wenn ein klares, definierbares und erreichbares Ziel vorliegt. Und dieses Ziel sollte dann auch hinreichend öffentlich beschrieben werden, damit es nicht zu den übersteigerten Erwartungen kommt, wie wir sie immer wieder beobachten, wenn Mandate nach Kapitel VI erteilt werden, die Weltöffentlichkeit gleichwohl Ergebnisse erwarten würde, wie sie nur nach einem Mandat nach Kapitel VII allenfalls zu erwarten wären. Zweitens ist es wichtig, einen überschaubaren und definierten Zeitrahmen ins Auge zu fassen, damit solche Interventionen nicht ewig dauern. Dafür ist Zypern ein besonders negatives Beispiel. Denn auch hier geht es letztlich um Kräfte und Ressourcen, die nicht endlos verfügbar sind. Drittens kommt es darauf an, klare Bedingungen und Kriterien für das Ende der Operation und den Rückzug festzulegen. Wir erleben immer wieder, daß es vergleichsweise einfach ist, eine Intervention zu beginnen: Rein kommt man leicht, aber wie kommt man wieder raus? Im Augenblick sind wir im Obersten Hauptquartier in SHAPE mit der Frage beschäftigt, wie das denn militärisch zu bewältigen wäre, wenn die Kontingente der NATO und der nicht der NATO angehörenden Truppensteller unter dem Kommando von UNPROFOR in einer gewaltsamen militärischen Operation herausgelöst werden müssen. Also, es ist auch immer das Ende zu bedenken. Und das geschieht oder geschah nicht immer in ausreichendem Maße.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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