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6. Die Afghanistan-Connection

Den Rückhalt für den Partisanenkrieg der islamischen Bewegung Tadschikistans bilden die Staaten des Mittleren Ostens - Iran, Pakistan und Afghanistan. Ohne sie wären die Erfolge im Kampf der moslemischen Partisanen gegen das von Rußland gestützte kommunistische Terror-Regime kaum vorstellbar. Pakistan schickte islamische Geistliche, Afghanistan Mujahedin. Saudi-Arabien und Iran finanzierten die Restaurierung alter Moscheen und Koranschulen und die Publikation religiöser Literatur.

Was eine potentielle Einflußnahme Afghanistans in Zentralasien betrifft, so hat hier ausschließlich das künftige Verhältnis zu Tadschikistan eine, dafür aber um so größere, Bedeutung. In beiden Ländern wurden etwa zu gleicher Zeit die kommunistischen Machthaber gestürzt. In Tadschikistan haben die Kommunisten jedoch mit Rußlands Hilfe die Macht zurückerobert. In beiden Ländern übernahm das Volk der Tadschiken de facto die Macht - in Tadschikistan anstelle der russischen Kolonisatoren. In Afghanistan wurde zunächst der Tadschike Achmed Schah Masud, Führer der tadschikischen Moslem-Kämpfer in Afghanistan, der starke Mann. Er behielt die Oberhand gegenüber seinem Rivalen, dem Führer der Paschtu-Stämme, Gulbuddin Hekmatjar, der eine extreme Variante des islamischen Fundamentalismus vertrat und im Kampf gegen das kommunistische Regime in Kabul von den USA, Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt wurde. Zum wachsenden tadschikischen Einfluß in Afghanistan trug auch die Tatsache bei, daß der Anteil der in Afghanistan lebenden rund 5 Mill. Tadschiken an der Gesamtbevölkerung zunimmt. 1979 stellten sie ein Drittel der Bevölkerung. Heute haben die Tadschiken und die afghanischen Paschtu-Stämme jeweils gleiche Anteile von ca. 35%. Der Anteil der Paschtunen nahm ab, weil Tausende von ihnen das Land verlassen haben. Die rund 1 Mill. Usbeken bilden die drittgrößte Volksgruppe in Afghanistan.

Die verschiedenen vom Westen unterstützten Gruppen der afghanischen Moslem-Kämpfer (Mujahedin) waren sich nur im Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht einig. Nach der Vertreibung der Sowjetarmee aus Afghanistan 1989 verbündete sich der tadschikische Kommandeur der Gruppierung Jamiat-e Islami, Achmed Schah Masud (der „Löwe vom Panschir-Tal"), mit der Privatarmee des usbekischen Generals Abdul Raschid Dostom, bis dahin Hauptstütze des Nadschibullah-Regimes, um im April 1992 das kommunistische Regime von Nadschibullah zu stürzen. Der Führer der Jamiat-e Islami, der Tadschike Burhanuddin Rabbani, wurde neuer afghanischer Präsident, sein Kommandant Masud Verteidigungsminister.

Dostom verlor das Machtpoker. Er tat sich deshalb mit seinem ehemaligen Todfeind, dem Führer der Hezb-e Islami, Gulbuddin Hekmatjar, zusammen. Beide gründeten im Januar 1994 einen Koordinierungsrat (Schuraj-e Hamahhangi) gegen Masud und Rabbani. Masud schloß ein Bündnis mit den Truppen von Ismail Khan sowie von Abdul Rasul Sajjaf, der die Partei „Etehad-e Islami" anführt. 1995 tauchte eine neue Paschtunen-Gruppe, die Taliban, auf, die mit Unterstützung Pakistans einen mystischen Islam in der Tradition des Sufismus vertritt. Die Taliban verband sich ebenfalls mit dem Usbeken-General Dostom, um die Regierung Rabbani zu stürzen.

Inzwischen zerfiel der Staat Afghanistan in „Fürstentümer", die von „Warlords" kontrolliert werden: das Zentrum (Kabul) von Rabbani, der Norden (Mazar-i Sharif) von Dostom, der Westen (Herat) von Ismail Khan, der Nordosten (Kunduz) von Masud, der Südosten von Hekmatjar und der Süden (Kandahar) von Mohammed Omar (Taliban). Keine der Gruppierungen ist vorerst in der Lage, die Machtfrage militärisch zu ihren Gunsten zu entscheiden. Überdies fehlt ein afghanisches Nationalbewußtsein, um den Staat neu zu beleben. Auch die islamische Religion scheint nicht in der Lage zu sein, zwischen den festgefügten Stammesstrukturen einigend zu wirken. Nachdem die Taliban, die im Süden des Landes einen islamischen Gottesstaat schuf, mit Unterstützung Dostoms die Stadt Herat im Westen erobert hatte, drohte das militärische Gleichgewicht zwischen den Gruppierungen zu kippen. Um dies zu verhindern, schlossen Präsident Rabbani und der Paschtune Hekmatjar ein neues Bündnis gegen die Taliban. Hekmatjar wurde in dieser neuen Machtkonstellation Ministerpräsident.

Der Staat Afghanistan zerfiel, weil er zum Spielball der Mächte wurde. Es geht um Einfluß in Zentralasien und die Kontrolle der Region. In Sachen Rohstoffsicherung (Öl und Gas) haben sich bereits US-Firmen engagiert und mit den „Warlords" (Dostom, Taliban) - nicht mit der afghanischen Regierung - Verträge ausgehandelt. In diesem Machtpoker kommt es den USA darauf an, den Iran zu isolieren. Hauptpartner der USA in dieser Auseinandersetzung ist Pakistan, das wiederum die „fundamentalistische" Taliban im afghanischen Machtkampf unterstützt. Insofern trägt der Westen selbst dazu bei, die von ihm propagierte Moderne in Gestalt des afghanischen Staates zu zerstören und den sonst gefürchteten islamischen Fundamentalismus zu fördern. Dies war schon 1979-1989 geschehen, als der Westen in Bild und Ton den Nimbus der „tapferen" Mujahedin pflegte und diese mit Stinger-Luftabwehrraketen ausrüstete. Auf der anderen Seite profiliert sich der Iran als regionale Großmacht, indem Teheran gemeinsam mit Rußland und Indien, dessen Hauptfeind Pakistan ist, die afghanischen Gruppierungen um Rabbani, Masud und Hekmatjar unterstützt. Auf der Seite Teherans steht auch die Wahdat-Fraktion afghanischer Schiiten des früheren Präsidenten Modschadeddi. Hinter dem Usbeken-General Dostom stehen Rußland, Usbekistan, Turkmenistan und die Türkei. Einem neuen Bündnis Dostoms mit Kabul steht vorerst der Tadschike Masud im Wege.

Vor diesem Hintergrund ist der Partisanen-Krieg der Islamischen Bewegung Tadschikistans zu verstehen, der quasi von allen afghanischen Gruppierungen, unabhängig von ihrer Zuordnung, unterstützt wird (vgl. Komsomolskaja Pravda, 7.2.1996, S. 3). Noch in den Jahren 1991/92 gab es zwischen Afghanistan und der tadschikischen islamischen Bewegung - außer dem üblichen Grenzverkehr und geringfügigen Waffengeschäften - kaum Kontakte. Eher waren es die tadschikischen Intellektuellen in der nationalistischen Rastochez-Bewegung, die von einer Grenzrevision und der Vereinigung aller Tadschiken in einem Groß-Tadschikistan träumten.

Mit dem Bürgerkrieg in Tadschikistan änderte sich die Situation. Die tadschikischen Moslem-Kämpfer verbündeten sich mit Mujahedin aus Afghanistan gegen die vorrückenden kommunistischen Milizen aus Kuljab. Eine Massenflucht von Bürgerkriegsopfern nach Afghanistan setzte um die Jahreswende 1992/93 in der Region Pjandsch ein. Die rund 90.000 tadschikischen Flüchtlinge verteilten sich in drei Lager: zwei (Kunduz und Talikan) im Herrschaftsgebiet Masuds und eins in Mazar-i Sharif unter Dostoms Kontrolle. Während im August 1993 der neue kommunistische Machthaber Tadschikistans, Emamoli Rachmonow, und der afghanische Präsident Rabbani einen Freundschaftsvertrag unterzeichneten, bereiteten die tadschikischen Moslem-Kämpfer gemeinsam mit afghanischen Mujahedin der Islamischen Partei (Hezb-e Islami) Hekmatjars und der Islamischen Gesellschaft (Jamiat-e Islami) Rabbanis sowie Wahabis und Salafis aus arabischen Ländern eine großangelegte Gegenoffensive vor. Es ist nicht auszuschließen, daß auch der Staat Tadschikistan - wie Afghanistan - als Folge des Partisanenkrieges in von „Warlords" kontrollierte Regionen zerfällt.

Anderer Art ist die Einflußnahme des Iran in Tadschikistan. Teheran sieht in Mittelasien, und damit auch in Tadschikistan, eine Pufferzone, die den Iran vor potentiellen russischen Expansionsabsichten schützen soll. Gleichzeitig weckte die Verwandtschaft beider Völker Ambitionen zur Schaffung eines Groß-Iran. Bereits im Dezember 1991 startete Teheran eine diplomatische Offensive. Eine iranische Regierungsdelegation besuchte Tadschikistan und unterzeichnete eine Erklärung über die Prinzipien der Zusammenarbeit beider Länder. Ein im Februar 1992 vereinbartes Rundfunk- und Fernsehabkommen betont die religiösen, historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern. Die Besucher aus Teheran sprachen in Duschanbe gerne über Tadschikistan als „Klein-Iran". Die schiitischen Iraner nahmen Rücksicht auf die sunnitischen Tadschiken und verzichteten auf die Verbreitung von Propagandamaterial über Ayatollah Khomeini. Statt dessen brachten sie 400.000 Schulbücher in Farsi und Aufnahmen iranischer Popmusik mit. Im Oktober 1992 entstand das gemeinsame Unternehmen „Tadsch-Iran", das die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder koordinieren sollte.

Das Interesse der Türkei an Tadschikistan ist weniger stark ausgeprägt, da die Tadschiken nicht zu den Turk-Völkern zählen. Erst während des Besuchs des türkischen Präsidenten Demirel im September 1995 in Duschanbe unterzeichneten beide Länder mehrere Abkommen über Zusammenarbeit. Die Entdeckung des Grabes des türkischen Generals Enver Pascha, der 1922 im Kampf gegen die Rote Armee gefallen war, in Tadschikistan im Mai 1996 und die Überführung nach Istanbul erweckten die Idee des Pantürkismus zum neuen Leben. Doch liegt das türkische Interesse eher in der Pflege der Beziehungen zu Turkmenistan und Usbekistan. Insofern mischt auch Usbekistan kräftig im Machtpoker in Zentralasien mit.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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