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4. Das kommunistische Terror-Regime

Im Oktober 1992 gelang es den Regierungstruppen der islamistisch-demokratischen Koalition noch, einen Angriff der Truppen der kommunistischen Volksfront aus Kuljab und Hissar auf Duschanbe zurückzuschlagen. Da in Duschanbe und Umgebung gekämpft wurde, fand die Tagung des Parlaments in Chodshent, im Norden des Landes, statt. Das mehrheitlich von Kommunisten besetzte und von Soldaten der russischen Armee umringte Parlament beschloß die Absetzung der islamistisch-demokratischen Regierung. Die Kommunisten von Chodshent (Leninabad) und Kuljab, d.h. die Klane des Nordens und des Südens, ergriffen erneut die Macht. Diesmal besetzten allerdings nicht die Kommunisten des Nordens, sondern die des Südens (Kuljab) die Schalthebel der Macht.

Am 10. Dezember 1992 marschierten die Truppen der kommunistischen Volksfront schon als Regierungstruppen in Duschanbe ein. Zum neuen Vorsitzenden des Obersten Sowjets Tadschikistans wurde Emomali Rachmonow gewählt, ehemaliger Vorsitzender des Exekutivkomitees des Gebiets Kuljab, Direktor der Sowchose „Lenin" sowie Organisator des Widerstandes gegen die Islamisten in Kuljab. Er wurde damit automatisch auch neuer Übergangspräsident des Landes. Den Posten des Ministerpräsidenten behielt der Vetreter des Nordens und Ex-Sowchose-Direktor, Abdumalik Abdullodschanow, der nach dem Tod seines Onkels in Saudi-Arabien zum Dollarmillionär geworden war. Die Zusammensetzung seiner Regierung deutete jedoch auf den entscheidenden Einfluß des Südens, d.h. der Kommunisten aus Kuljab, hin. Der neu ernannte Innenminister Jakub Salimow war Kommandeur der paramilitärischen Milizen von Kuljab gewesen und wie Safarow ein verurteilter Krimineller. Die neuen Machthaber beschlossen, das Gebiet Kuljab und das von den Kuljabern besetzte Gebiet Kurgan-Tjube zu einem einheitlichen Gebiet Chatlon zu vereinigen, den Vertrag über die kollektive Sicherheit der GUS-Staaten zu ratifizieren und russische „Friedenstruppen" herbeizurufen. Aus den paramilitärischen Verbänden der Kuljaber Volksfront sollte eine Nationalarmee aufgebaut werden.

Die Kommunisten aus der Region Kuljab, die im Dezember 1992 die Macht übernommen hatten, errichteten bald ein Terror-Regime, das sich vor allem gegen die islamische und demokratische Bewegung sowie die Berg-Badachschaner richtete. Die Flüchtlingsströme, vor allem aus den Hochburgen der islamischen und demokratischen Bewegung (Kurgan-Tjube, Garm, Kofirnichon, Tawildara u.a.), wuchsen an. Am 21. Juni 1993 wurden die Demokratische Partei, die Islamische Partei, Rastochez, und Lal’i Badachschan verboten, ihre Anhänger, darunter zahlreiche Journalisten, zu Hunderten umgebracht oder verhaftet. Unter den Verhafteten waren der Vorsitzende des Fernseh- und Rundfunkkomitees, Mirbobo Mirrachimow, der Ex-Bürgermeister von Duschanbe, Maksud Ikramow, die stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Partei, Oinichon Bobonasarowa, der Imam der Moschee von Kurgan-Tjube und zwei Präsidiumsmitglieder der Islamischen Partei der Wiedergeburt. Die Führer der Opposition flohen nach Afghanistan (Islamische Partei), Iran (Demokratische Partei) und Moskau (Dawlat Chudonasarow von „Lal’i Badachschan"). Sie wurden in Abwesenheit angeklagt und verurteilt. Anstelle des zunächst nach Kyrgystan geflohenen Kadi, Hadschi Akbar Turadschonsoda, wurde der prokommunistische Imam-Khatib der Moschee von Hissar, Fatchullo Scharifow, als Mufti zum neuen religiösen Oberhaupt des Landes bestimmt. Ihm folgte Imam Amonullo Negmatsoda, nachdem Scharifow im Januar 1996 ermordet worden war.

Die Repressalien richteten sich auch gegen die nationalistisch gesinnte städtische Intelligenz. Ihre Zeitungen sowie die unabhängige Wochenschrift „Charoghi ruz" wurden verboten, der Dichter Bozor Sobir verhaftet. Amnesty International warf dem kommunistischen Terror-Regime Folter, barbarische Tötungen und Verantwortung für das Verschwinden von Personen vor (vgl. Süddeutsche Zeitung, 5.5.1993). Auch russische Zeitungen berichteten über die Verhaftungswellen (Nezavisimaja Gazeta, 21.4.1993; Segodnja, 29.6.1993).

Die Intensität der Repression ließ auch nicht nach, nachdem sich am 29. März 1993 Volksfront-Führer Sangak Safarow und sein 1. Kommandeur Fajsali Sajdow bei Kurgan-Tjube gegenseitig umgebracht hatten. Zuvor hatte bereits der 3. Kommandeur der Kuljab-Truppen, Langari Langrijew, den 2. Kommandeur Rostam Abdulrachim erschossen. Der Ausnahmezustand wurde im Juli 1993 verschärft und ausgedehnt. Nachdem sich zahlreiche Anhänger der islamisch-demokratischen Bewegung in das Pamir-Gebirge zurückgezogen hatten, ließ die kommunistische Regierung Ortschaften in Berg-Badachschan bombardieren.

Nachdem alle Parteien der islamischen und demokratischen Opposition verboten worden waren, blieb eine Einparteienherrschaft der Kommunistischen Partei übrig. Zur Wahrung des Scheins einer Demokratie wurden „Blockparteien" gegründet, die jedoch lediglich auf dem Papier existierten. Zu diesen Parteien gehörten: die Partei der Politischen und Ökonomischen Erneuerung des Geschäftsmannes Muchtor Bobojew, die Volkspartei des Vizepräsidenten des Parlaments, Abdulmadschid Dostjew, die Partei der Nationalen Einheit des Ex-Ministerpräsidenten Abdumalik Abdullodschanow (Leninabad), der Volkskongreß von Rachmon Dadabajew für russische, usbekische und koreanische Minderheiten, die Union Progressiver Kräfte des Ministerpräsidenten Abdudschalil Samadow, die Gerechtigkeitspartei (Adolatho) des Lehrers Abdurachmon Karimow (Leninabad), die Sozialistische Partei von Mohiniso Oripowa (Leninabad) und die Volksdemokratische Partei von Abdudschalil Chomidow (Leninabad).

Durch Präsidentschaftswahlen sollte das Terror-Regime der Kuljab-Kommunisten legitimiert werden. Zwei Kommunisten standen als Kandidaten zur Wahl: der Kandidat des Süd-Klans aus der Region Kuljab, der Parlamentsvorsitzende Emomali Rachmonow, sowie Ex-Ministerpräsident Abdumalik Abdullodschanow, inzwischen Botschafter in Moskau, ein Anhänger des früheren Parteichefs Machkamow aus der Nord-Region Chodshent (Leninabad). Die letztere Kandidatur erfolgte auf Druck Rußlands und Usbekistans, die stets enge Beziehungen zur kommunistischen Nomenklatura des Nordens (Chodshent/Leninabad) unterhalten hatten. Gewinner der ursprünglich für den 25. September vorgesehenen, jedoch erst am 6. November 1994 abgehaltenen Wahlen wurde Emomali Rachmonow mit angeblich 58,32% der abgegebenen Stimmen. Die Wahlen fanden in einem Klima der Angst und Einschüchterung - mit mehrfacher Stimmabgabe und Stimmzettelfälschung - statt. Das Wahlgesetz wurde so konstruiert, daß die islamische und demokratische Opposition keine Möglichkeit hatten, eigene Kandidaten aufzustellen. Insofern dienten die Wahlen nicht dazu, die Lage im Lande zu stabilisieren und eine pluralistische Gesellschaft zu ermöglichen. Laut UNO und OSZE waren die Grundvoraussetzungen für freie und faire Wahlen nicht gegeben. Beide Organisationen weigerten sich, Beobachter an der Wahlveranstaltung zu entsenden. Rußland dagegen bezeichnete die Wahlen als legitim und demokratisch. Moskau legte hier andere Maßstäbe an, als es sonst vorgibt zu akzeptieren. Obwohl diese russische Rechtsauffasung nicht den europäischen Normen entsprach, wurde Rußland im gleichen Jahr in den Europarat aufgenommen (vgl. NZZ, 12.11.1994). Der neugewählte Staatspräsident Emomali Rachmonow ernannte Dschamsched Karimow zum Ministerpräsidenten.

Gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen wurde am 6. November 1994 auch ein Referendum über eine neue Verfassung durchgeführt. Sie sieht ein Präsidialsystem mit einem starken Präsidenten vor. Der Präsident ernennt und entläßt die Regierung, die Verwaltungschefs der Gebiete und die obersten Richter. Sein Veto gegenüber Gesetzen des neu zu wählenden Parlaments (Majlis-i Milli) kann von diesem nur mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden. Ein Passus über Minderheitenschutz ist nicht vorgesehen. Die Opposition war an der Ausarbeitung der durch das Referendum sanktionierten Verfassung nicht beteiligt.

Da die fünfjährige Amtszeit des noch immer so genannten Obersten Sowjets im Februar 1995 auslief, wurden am 26. Februar 1995 Parlamentswahlen und gleichzeitig Kommunalwahlen durchgeführt. Um die 181 Sitze im Parlament bewarben sich 354 Kandidaten, darunter 213 von der Kommunistischen Partei, neun von der Volkspartei, vier von der Partei der Nationalen Einheit und ein Kandidat von der Partei der Politischen und Ökonomischen Erneuerung sowie 127 „Unabhängige". In der ersten Runde wurden 161 Abgeordnete gewählt, darunter 60 von der Kommunistischen Partei, fünf von der Volkspartei, zwei von der Partei der Volkseinheit und ein Abgeordneter der Partei der Politischen und Ökonomischen Erneuerung. Unter den Abgeordneten befinden sich zwei Russen und 12 Usbeken. Mindestens 25 Abgeordnete hatten auch schon im alten Obersten Sowjet gesessen. Am 12. März 1995 fanden Nachwahlen für 20 Sitze statt. Obwohl sich die Partei der Nationalen Einheit und die Partei der Politischen und Ökonomischen Erneuerung vor der Wahl zurückgezogen hatten, tauchten beide seltsamerweise in den Wahlergebnissen auf. Im Parlament dominieren die Mitglieder der Kommunistischen Partei, darunter die alte Nomenklatura Tadschikistans aus den Zeiten der UdSSR. Die „Kuljabis" des Südens behielten mit ihren „gewählten" Volksfront-Kommandeuren mit krimineller Vergangenheit das Übergewicht gegenüber den Kommunisten des Nordens aus Chodshent/ Leninabad. Mit den manipulierten Wahlen wurden die alten kommunistischen Machtstrukturen wieder eingeführt. Die Oppositionsparteien waren verboten und zur Wahl nicht zugelassen. Diese Wahlen waren nicht als ein Schritt zur Wiederherstellung der nationalen Einheit nach dem Bürgerkrieg zu verstehen. Wegen ihres undemokratischen Charakters hatten OSZE und EU keine Wahlbeobachter entsandt. Moskau meldete jedoch, daß „unabhängige" ausländische Beobachter - Vertreter der Interparlamentarischen Versammlung der GUS-Staaten (Belarus, Rußland, Kyrgystan, Kasachstan) und Beobachter aus Indien, Afghanistan, Iran und den USA - die Wahlen als frei und demokratisch eingeschätzt hätten (Itar-Tass, 28.2.1995; Interfax, 28.2.1995).

Die 178 Abgeordneten des neuen Parlaments kamen am 6. April 1995 erstmals zusammen und wählten Safarali Radschabow zum neuen Parlamentsvorsitzenden. Nach den Wahlen verschlechterte sich jedoch die innenpolitische Situation für das Terror-Regime dramatisch. Nachdem die Klane aus der Region Kuljab alle Regierungs- und Verwaltungsposten besetzt hatten, kam es zu einem Konflikt zwischen den Kommunisten des Nordens und des Südens. Die Kommunisten des Nordens formierten sich in Chodshent unter Ex-Ministerpräsident Abdumalik Abdullodschanow und seiner Partei der Nationalen Einheit (Hezb-i Wahdat-i Milli) zu einer oppositionellen Kraft gegen die „Kuljabis". Im Süden scharte der ehemalige Parlamentsvorsitzende Safarali Kendschajew als Gegenspieler von Abdullodschanow in Hissar und Tursundsade Anhänger um sich. Während der Präsident auf Druck Moskaus dem Norden entgegenkommen wollte, verfolgte Innenminister Jakub Salimow, ein ehemaliger Volksfront-Führer aus dem Süden, weiterhin einen harten Kurs. Nach einer Schlägerei mit Präsident Rachmonow wurde er im August 1995 entlassen und zum Botschafter in der Türkei ernannt. Sein Nachfolger wurde ein Profi aus dem Sicherheitsapparat, Saidamir Suhorow. Nachdem Regierungstruppen bewaffnete Aufstände inszeniert hatten, wurde der Posten des Ministerpräsidenten neu mit dem ehemaligen Teppichfabrik-Direktor Jahio Asimow besetzt. Auch der 1. stellvertretende Ministerpräsident Machmadsajid Ubajdullajew wurde entlassen.

Im September 1995 begann eine bewaffnete Rebellion in der tadschikischen Armee. Die 1. motorisierte Schützenbrigade unter Führung des usbekischen Oberst Machmud Chudojberdijew überrannte in Kurgan-Tjube die in der Nähe stationierte 11. Brigade. Im Januar 1996 besetzte der frühere Feldkommandeur der Volksfront, Ibod Bojmatow, die Stadt Tursunsade. Beide Kommandeure forderten den Rücktritt der Regierung sowie Posten im Staatsapparat für die nördlichen Klane und die Usbeken. Präsident Rachmonow bemühte sich, den internen Konflikt zu entschärfen, indem er Regierungsmitglieder entließ und den rebellierenden Oberst Chudoberdijew zum Kommandeur einer neuen Sondereinheit der Leibgarde des Präsidenten ernannte. Am 9. März 1996 wurde ein „Versöhnungsabkommen" zwischen den rivalisierenden Gruppen unterzeichnet. Im Frühjahr 1996 fanden aus verschiedenen Anlässen in Tursunsade, Kurgan-Tjube und Ura-Tjube Demonstrationen gegen die Regierung statt. Im Juli 1996 gründeten drei frühere Ministerpräsidenten, Abdumalik Abdullodschanow, Dschamsched Karimow und Abdudschalil Samadow, einen oppositionellen „Block der Nationalen Wiedergeburt". Davor hatte die islamische Opposition bereits einen Partisanenkrieg begonnen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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