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3. Der Bürgerkrieg

Im April 1992 begann Präsident Nabijew mit Repressalien gegen Vertreter der Opposition. Der Reformkommunist und Bürgermeister von Duschanbe, Maksud Ikramow, wurde verhaftet und Innenminister Mamadajes Nawschuwanow, ein Pamiri, entlassen, nachdem sich das Autonome Gebiet der Berg-Völker des Pamir am 22. April 1992 zu einer Autonomen Republik Badachschan erklärt hatte. Die Opposition reagierte mit Massendemonstrationen und forderte die Auflösung des Obersten Sowjets, Neuwahlen, die Bildung einer Nationalversammlung (Majlis-i Milli), eine neue Verfassung sowie den Rücktritt von Präsident Nabijew, Parlamentspräsident Safarali Kendschajew, Vizepräsident Nasrullo Dustow und Generalstaatsanwalt Nurullo Chuwajdullajew. Nachdem Präsident Nabijew eine Nationalgarde und die Opposition eine Volkswehr geschaffen hatten, kam es zu Straßenkämpfen.

Erst am 11. Mai 1992 gelang es nach schwierigen Verhandlungen, eine Koalitionsregierung zu bilden. Neuer Vizepräsident wurde der Jurist und stellvertretende Vorsitzende der Islamischen Partei, Dawlat Usmon. Der Vertreter der „Rastochez" und Philosoph Mirbobo Mirrachimow erhielt den Posten des Vorsitzenden des Rundfunk- und Fernsehkomitees. Nawschuwanow wurde wieder Innenminister, der zur Opposition übergelaufene Kommandeur der Nationalgarde Nabijews, Generalmajor Bachrom Rachmanow, wurde Verteidigungsminister, der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Autonomen Republik Badachschan, Akbarscho Iskandarow, Parlamentsvorsitzender und das Oberhaupt des Kasiats, Hadschi Akbar Turadschonsoda, Präsidiumsmitglied im Parlament. Die Koalitionsregierung, d.h. die Teilung der Macht, war für die Opposition vorteilhaft. Im Grunde genommen bedeutete die Koalitionsregierung der „Nationalen Aussöhnung" den Sieg der Opposition.

Andererseits war es kaum vorstellbar, daß der wirtschaftlich entwickeltere Norden die führende Rolle in der Machtfrage freiwillig dem Süden überlassen würde. Im Bürgerkrieg ging es nicht um die künftige Rolle des Islam, sondern um einen Machtkampf zwischen den bisherigen kommunistischen Machthabern und der gegen dieses Regime vereinigten, aber ansonsten heterogenen Opposition.

Der Bürgerkrieg nahm seinen Anfang, als sich die islamistisch-demokratische Opposition mit Waffengewalt gegen den kommunistischen Präsidenten Nabijew und das von Kommunisten beherrschte Parlament wandte. Präsident Nabijew und die Kommunisten des Nordens (Chodschent) verbanden sich mit den Kommunisten des Südens (Kuljab) und weigerten sich, sich den Beschlüssen der neuen Koalitionsregierung unterzuordnen. Die Gebietssowjets von Chodshent (Leninabad) und Kuljab erkannten die Regierung der „Nationalen Aussöhnung" nicht an. Der Imam von Kuljab, Haidar Schafirsoda, erklärte, daß in Duschanbe die Wahabiten (islamische Ketzer) mit Akbar Turandschonsoda an der Spitze die Macht ergriffen hätten. Die von Präsident Nabijew gebildete Nationalgarde aus jungen Kuljabis blieb zwar kurzlebig, und ihre Mitglieder kehrten nach ihrer Auflösung nach Kuljab zurück. Dort gründeten sie jedoch eine neue Miliz unter Führung von Rustam Abdurachim und des Gastwirtes Sangak Safarow, der wegen Raubmordes zuvor 23 Jahre im Gefängnis verbracht hatte.

Die Milizen aus dem Gebiet Kuljab überfielen im Juni/Juli 1992 das ursprünglich von den Basmatschen bewohnte und von den Islamisten und Demokraten kontrollierte Gebiet Kurgan-Tjube, wo sie Tausende von Menschen töteten und Flüchtlingsströme unter der Zivilbevölkerung auslösten. Der Versuch der islamistisch-demokratischen Regierung, durch die Gründung einer Rettungsfront „Heimat" (Nadzhoti Watan) unter Führung von Schodmon Jusufow (Demokratische Partei) am 21. Juni sowie die Unterzeichnung eines Friedensabkommens am 26. Juli in Chorog auf die Ereignisse Einfluß zu nehmen, scheiterte. Sie verlor die Kontrolle über immer größere Landesteile. Im Herbst 1992 versammelten sich die bewaffneten Gruppierungen der Kuljaber Klane vor der Hauptstadt Duschanbe. Ihr Anführer Sangak Safarow gründete eine Volksfront, der sich auch der frühere Parlamentsvorsitzende und Kuljaber Kommunist Safarali Kendschajew anschloß. Im September 1992 trat Nabijew von seinem Posten als Präsident der Republik zurück und kam am 10. April 1993 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Parlamentspräsident Akbar Iskandarow (ein Pamiri) wurde neuer Übergangspräsident und schuf einen Staatsrat, der dazu beitragen sollte, den Bürgerkrieg zu beenden. Zum neuen Ministerpräsidenten wurde Abdumalik Abdullodschanow, der dem Klan des früheren kommunistischen Präsidenten Machkamow angehörte, ernannt. Seine Ernennung wurde als Zugeständnis an die Klane des Nordens (Leninabad/Chodshent) gewertet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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